Lieferung aus der EU in ein deutsches Warenlager

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Lieferung aus der EU in ein deutsches Warenlager
Für grenzüberschreitende Lagergeschäfte gibt es weder im UStG noch im Unionsrecht besondere
Vorgaben. Zur Anwendung kommen daher die allgemeinen Vorschriften. Dabei sind zwei Grundfälle
zu differenzieren
Allgemeines Lager/Konsignationslager:
Bei diesem Typus handelt es sich um ein Lager, aus welchem
üblicherweise mehrere Abnehmer beliefert werden, wobei die
Entscheidung darüber, welche Ware an welchen Kunden geliefert/verkauft wird, noch nicht abschließend getroffen wurde.^
Call-Off-Stock:
Bei diesem Typus handelt es sich um ein Lager, welches exklusiv für einen Kunden eingerichtet wird. Der Kunde entnimmt
die Ware entsprechend seinem Bedarf.
Die deutsche Finanzverwaltung differenziert die oben genannten Lagertypen nicht (vgl. Abschn. 3.12. Abs. 3 Satz 7 UStAE).
Wird daher die Ware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat
nach Deutschland in das Lager verbracht, muss sich der Unternehmer in Deutschland für umsatzsteuerlichen Zwecke
registrieren lassen, um den innergemeinschaftlichen Erwerb
aufgrund des Verbringens erklären zu können. Die anschließende Entnahme aus dem Lager behandelt die Verwaltung als
steuerbare und steuerpflichtige Inlandslieferung.
Dieser pauschalen Sichtweise ist das Niedersächsische Finanzgericht entgegengetreten.
Sachverhalt
Klägerin ist eine britische Kapitalgesellschaft mit Sitz in Großbritannien. Sie ist in der Automobil-Zulieferindustrie tätig und
beliefert ihren einzigen Kunden, die A-AG, mit in Großbritannien hergestellten Aluminiumzierblenden. Im Rahmen von Justin-Time-Lieferverträgen versandte die Klägerin ihre Ware für
die A-AG in ein von diesem ausgewähltes Warenlager. Dort
wurde die Ware für die A-AG nach deren Vorgaben EDVtechnisch erfasst. Je nach Bedarf wurde die Ware anschließend direkt vom Automobilproduzenten in die nahe Produktion
übernommen. Hierfür wurden zwischen der Klägerin und den
Abnehmern Vereinbarungen getroffen, wonach die Klägerin
nach individueller und zeitlicher Vorgabe der Kunden ihre
Produkte hergestellt und in ein von ihr bei einem Lagerhalter
angemietetes Lager nach Deutschland geliefert hatte. Der
Lieferung vorangegangen war stets eine verbindliche Bestellung (Lieferabruf) durch die A-AG.
Die Zwischenlagerung der Autoteile erfolgte für wenige Tage
bis maximal vier Wochen. Die Abrechnung durch Erteilung
einer Gutschrift erfolgt dann gegen Vorlage der Lieferscheine
zum 25. des der Lieferung folgenden Monats.
Die Klägerin sah die Lieferungen an die A-AG als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an. Das Finanzamt
ging demgegenüber von einer steuerbaren und steuerpflichtigen Inlandslieferung aus.
Entscheidung
Das Niedersächsische Finanzgericht gab der Klage statt.
Wenn lediglich ein Abnehmer Zugriff auf das Lager hat (calloff-Stock), ist regelmäßig von einer direkten innergemeinschaftlichen Lieferung an den Abnehmer auszugehen. Der
Abnehmer steht bereits bei Beginn der Lieferung fest. Der
Lieferant hat mit der Lieferung auf das Lager regelmäßig bereits alles getan, um dem Abnehmer den Zugriff auf die Ware
zu ermöglichen. Dem Abnehmer obliegt dann nur noch - je
nach Produktionsfortschritt - die Entnahme der Ware aus dem
Lager.
Letztlich hängt die umsatzsteuerliche Beurteilung bei der Einlagerung in ein Konsignationslager aber von der konkreten
Ausgestaltung des Lagervertrags ab. Die Parteien können
regeln, dass
-
erst bei Abruf der Ware aus dem Lager durch den
Abnehmer ein Kaufvertrag über die entnommene Ware zustande kommt, oder
bereits bei Lieferbeginn ein unbedingter Kaufvertrag
über den Warenbestand abgeschlossen werden sollte.
Das Niedersächsische Finanzgericht hat die Vertragsabreden
zwischen Lieferant (Klägerin) und Abnehmer dahin gehend
ausgelegt, dass jeder Warenlieferung bereits bei Lieferbeginn
ein unbedingter Kaufvertrag zugrunde lag. Es folgert dies aus
folgenden Umständen:
-
verbindliche Bestellungen (Lieferabrufe) vor Beginn
der Lieferung,
kurze Verweildauer der Waren im Lager (höchstens
vier Wochen),
-
Waren wurden im Lager etikettiert und im Warenwirtschaftssystem des Abnehmers erfasst,
Kosten für Lagerung und Versicherung wurden auf
den Abnehmer abgewälzt,
Entnahme der Ware dient nicht der Erfüllung kaufrechtlicher Lieferpflichten, sondern setzt die Fälligkeit
des Kaufpreises in Gang.
PRAXISHINWEIS
1.
Die Auslegung und die rechtliche Würdigung des
Konsignationsvertrags betrifft zwar „nur“ einen Einzelfall. Die dort zugrunde liegenden vertraglichen Abreden dürften aber beispielhaft für eine Vielzahl von Lagergeschäften mit einem Abnehmer sein. Insofern
dürfte gerade bei Lagergeschäften mit nur einem Abnehmer regelmäßig von einer direkten innergemeinschaftlichen Lieferung an den Abnehmer auszugehen
sein.
2.
Das Ergebnis dürfte auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH stehen. Dieser hat in seinem
sog. „Ship-to-hold“ Urteil vom 30.7.2008 (XI R 67/07,
BStBl II 2009, 552) ausdrücklich festgestellt, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt, wenn
der Abnehmer bei Beginn der Lieferung feststeht.
Soweit die Finanzverwaltung (OFD Frankfurt vom
17.03.2010, UR 2010, 709) die BFH-Entscheidung für
Warenbewegungen in ein Konsignationslager mit der
Begründung nicht für einschlägig erachtet, dass ein
Abnehmer bei Warenlieferungen in ein Konsignationslager gerade noch nicht feststehe, kann dies jedenfalls für Lieferungen in ein Lager mit nur einem
Abnehmer (call-off-stock) nicht gelten.
3.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass viele EUMitgliedstaaten Vereinfachungsregelungen vorsehen,
wonach – zumindest in Fällen der call-off stock –von
einer unmittelbaren innergemeinschaftlichen Lieferung ausgegangen werden kann (vgl. Überblick von
Müller-Lee, UStB 2003, 238 und UStB 2007, 253
mwN).
Fundstelle
Niedersächsisches FG 18.6.15, 5 K 335/14, Revision zugelassen, astw.iww.de, Abruf-Nr. 145530
Quelle: ID 43649300