Der vormalige Vorsitzende des Adolf-Reichwein-Vereins, Prof. Dr. Joachim Bodag, ist am 15. November 2015 verstorben. Joachim Bodag repräsentiert eine bedeutende Epoche unserer Vereinsarbeit. Erwurde 1996 zumVorsitzendendesARV gewähltund hattediesesAmtbiszum Jahre 2002 inne. In seine Amtszeit fielen so markante Vereinsaktivitäten, wie die Übergabe des VereinsarchivsandieBibliothekfürBildungsgeschichtlicheForschung1997,dieFestveranstaltung des Vereins zum 100. Geburtstag Reichweins 1998 in Rosbach v.d.H., die unvergessliche gemeinsame Tagung mit der Stiftung Adam von Trott 2000 in Kreisau, die Vereinstagung in Pretzsch, auf der das Projekt der Werkausgabe von Reichweins Schulschriften auf den Weg gebracht wurde und zum Abschluss seiner Vorstandsarbeit im Jahre 2002 die erneut mit der Stiftung von Trott in Imshausen durchgeführte Jahrestagung. Allein die Aufzählung dieser Wegmarken seiner Arbeit macht deutlich, in welchem Maße Joachim Bodag zum Ansehen des Adolf-Reichwein-Vereinsbeigetragenhat.DerVereinschuldetihmgroßenDank. JoachimBodagundseineFrauBrigittewarenvieleJahrelanginFalkenberg/MarkalsLehrertätig, nuretwa13KilometerentferntvonTiefensee,underhatdortineinemStilgearbeitet,derunsan ReichweinsSchularbeiterinnert-derklassischeVolksschullehrerinkleinenGemeinden,derauch imkulturellenBereichdesOrtesAkzentesetztundinderSchularbeiteinfachallesmachtundalles kann, der aktiv ist bei Theateraufführungen, seien es Laienspiele oder Schulopern, im Gemeindechorsingt, beiSportveranstaltungen oder als TorhüterderLehrer-Fußballmannschaft, oder–dasseihierderOriginalitätwegenerwähnt–denörtlichenKarnevalsvereingründet.Alles dasistinDokumentenundFotosvonseinemSohnMatthiasdokumentiert,derselbst,mitseinem BruderWolfram,eininderDDRbekannterBlues-Musikerwar.NiemandinunseremVereinhätte dem stillen, bescheidenen Mann eine solche Vielseitigkeit zugetraut, denn er liebte es nicht, im Vordergrundzustehen.NachseinerZeitalsLehrerarbeiteteerabdenfrühensiebzigerJahrenals Leiter der Hauptabteilung Lehrerbildung an der Berliner Humboldt-Universität mit dem SchwerpunktFilmästhetischeErziehungundpromovierte1978mitdemThema„Untersuchungen zu filmtheoretischen Grundlagen der erziehungswirksamen schöpferischen Aneignung von Filmadaptionen literarischer Werke im Deutschunterricht“. Es folgte eine ganze Reihe weiterer Publikationen,vorallemzurMedienerziehung. WieJoachimBodag,derdasKriegsende1945verwundetineinemrussischenLazaretterlebte,zu Reichweinfand,undwieerzudessenLebenswerkstand,hater1997beiderÜbergabedesAdolf- Reichwein-Archivs in der Bibliothek für BildungsgeschichtlicheForschunggeschildert: Als ich vor mehr als 40 Jahren als junger Lehrer im Katalog nach Schriften von Adolf Reichwein suchte, hatte ich damals schon in Zeitschriften von diesem außergewöhnlichen Menschengelesen.Undvorallemhattemirin jenen Jahren Friedrich Binsky, ein älterer sozialdemokratischer Lehrer und väterlicher Freund, viel über Reichweins Leben und Der junge Lehrer 1949 mit seiner Klasse in Falkenberg Schaffen erzählt. Er hatte Adolf Reichwein nochpersönlichkennengelernt,dennerwaralsLehrerbis1933ReichweinsVorgängerinTiefensee undwurdealsSPD-Mitgliedebenfallsstrafversetzt,ausTiefenseeweg.Vonihmerfuhricheiniges über die Jugend Reichweins, über seine Kriegserlebnisse und die schwere Verwundung. Ich hörte von seiner Tätigkeit in der thüringischen Volkshochschule, von seiner Arbeit im preußischen KultusministeriumunterCarlHeinrichBeckerundvonseinenabenteuerlichenReisenundFahrten. Tiefbeeindrucktwarich,alsichvonderlebendigenLehrtätigkeitReichweinsalsProfessorander Pädagogischen Akademie Halle erfuhr. Und bewegthat mich die Tatsache, dass er 1933 als SPDMitglied von den Nazis aus dem akademischen Lehramt entlassen wurde und als Lehrer an die einklassigeDorfschulenachTiefenseeging.Undwieerdort,mittenindernationalsozialistischen Diktatur, eine Insel freiheitlicher Erziehung und Bildung entwickelte, die bald die innere Größe einer pädagogischen Provinz gewann, das erfüllte mich mit Bewunderung. So erfuhr ich damals auch von seinem späteren Wirken als Museumspädagoge in Berlin und von seinem Anschluss an den KreisauerKreis,jenerWiderstandsgruppe,diesichumdenGrafen Moltke geschart hatte, in der Reichwein Verbindung mit dem kommunistischenWiderstandumAntonSaefkowundFranzJacob Wandern in der Mark suchte. Und erschüttert war ich, als sich erfuhr von seiner Verhaftung, seiner mutigen und aufrechten Haltung vor dem berüchtigten Freislerschen Volksgerichtshof, von den Qualen, von dem unmenschlichen Todesurteil und dem unfassbaren, schrecklichen Ende am Strang. Das alles hat mich damals zutiefst erregt und erregt mich heute noch. AbericherinneremichauchnochandasglücklicheGefühl,alsmirdannetwasspäter,allerdingsin eineranderenBibliothek,Reichweins"SchaffendesSchulvolk"ausgeliehenwurde.Undwasichdort las,hatmichfasziniert,vorallemseinepädagogischeMaxime,dasssichdie Eigenständigkeit der Erziehung immer nur in der Unantastbarkeit ihrer Ansätzezeige,dievomKindestammenundvonihmbestimmtwerden.Eine Schule,diedurchgeistigeSelbstbestimmung,aberzugleichauchdurchdie Entfaltung des freien Willens zur Leistung geprägt war. Als ich das las, öffneten sich mir als Lehrerneue Horizonte. Nächtelang habe ich gelesen und exzerpiert, ganze Passagen des Buches habe ich abgeschrieben, über 40 Seiten, und diese Blätter haben mich mein ganzes Schulmeisterleben begleitet.Aberauchspäter,alsLehrerbildneranderUniversität,erhieltich Schulsport in der Natur immer wieder Impulse und Anregungen aus Adolf Reichweins Schriften. Und heute kann ich nun miterleben, wie unser Adolf-Reichwein-Archiv in die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung aufgenommen wird, und ich wünsche mir, dass es nun auch schöpferischgenutztwird.ArchivesindjaetwassehrLebendiges.Siesollenjanichtnurbewahren, sondernvorallemüberliefern.EinWort,dasKarlMarxineinemanderenZusammenhanggesagt hat, gilt sicher auch für Archive: Sie sind das "aufgeschlagene Buch der menschlichen Wesenskräfte".UnddieseKräftemusssichjedeGenerationneuerwerben,unddasheißtimmer,das Überlieferte neu zu entdecken, den gegenwärtigen Erfordernissen entsprechend. Das heißt aber auch-unddasliegtmirbesondersamHerzen-Überliefertesnichtallzuschnellundallzuforschals veraltet und verstaubt abzutun. Das gilt besonders für überlieferte Werte. Und so hoffe ich, dass hier die humanen Wertvorstellungen Adolf Reichweins für die Gegenwart und Zukunft lebendig erhaltenwerden. Adolf Reichwein hat uns im "Schaffenden Schulvolk" gerade zu dieser anspruchsvollen Aufgabe selbst mahnende Worte gesagt. Gestatten Sie mir, dass ich diese zum Abschluss zitiere: "Die Geschichte des menschlichen Schicksals durch die Jahrhunderte istnicht so leichtflüssig, daß sich im hurtigen Wechsel von Geschlecht zu Geschlecht neue Werte, auch in der Erziehung, herausspielten. Wertgefüge bleiben kräftiger und dauerhafter im Gewebe des Volkes und seiner Schichtenverankert,alsmanchmalgeglaubtwird."
© Copyright 2025 ExpyDoc