Rosen - Migration Bildet

Lisa Rosen (Universität Osnabrück) Inklusive und Interkulturelle Schulentwicklung durch (angehende) Lehrkräfte mit Migrationshintergrund Die Rekrutierung von Lehrkräften mit Migrationshintergrund stellt in Deutschland eine zentrale Strategie interkultureller (vgl. Karakaşoğlu et al. 2011) und inklusiver Schulentwicklung dar (Panagiotopoulou & Rosen 2015a). Allerdings ist der bildungspolitische Optimismus, dass Lehrkräfte mit Migrationshintergrund zum Abbau der Bildungsbenachteiligung von Schüler_innen mit Migrationshintergrund qua ‚angeborener‘ mehrsprachiger und interkultureller Kompetenzen beitragen, zu hinterfragen: So zeigt etwa die Analyse von leitfadengestützten Interviews von und mit Lehramtsstudierenden mit Migrationshintergrund, dass sie die Ausgrenzung ihrer nicht-­‐deutschen Familiensprachen im schulischen Kontext nur bedingt als illegitim oder diskriminierend beschreiben und ihre eigene Mehrsprachigkeit kaum mit professioneller Unterrichtsgestaltung in Verbindung bringen (vgl. Panagiotopoulou & Rosen 2015b). Weiterhin artikulieren sie im Rahmen von Gruppendiskussionen ihre Unsicherheit und Überforderung mit Blick auf die Frage, wie sie ihre Mehrsprachigkeit in ihrem zukünftigen Berufsfeld einbringen können (vgl. Lengyel & Rosen 2015). Insbesondere befürworten die angehenden Lehrkräfte mit Migrationshintergrund eine strikte Sprachentrennung und unterstützen die monolinguale Ideologie des deutschen Schulsystems im Sinne eines „separate bilingualism“ bzw. „parallel monolingualism“ (vgl. Creese & Blackledge 2010, S. 105). Da diese Sichtweisen auf migrationsbedingte Mehrsprachigkeit von den Lehramtsstudierenden selbst mit ihren schulbiographischen und schulpraktischen Erfahrungen begründet werden, haben wir von diesen Ergebnissen ausgehend die folgende Fragestellung entwickelt: Ob und wie hängen berufspraktische Erfahrungen, die von (mehrsprachigen) Lehrkräften im Kontext monolingual oder multilingual organisierter Bildungsinstitutionen gesammelt werden, mit ihren Einstellungen gegenüber migrationsbedingter Mehrsprachigkeit und translingualer Handlungspraxis in der Schule zusammen? Dieser Frage gehen wir im Rahmen des international vergleichenden Projektes „Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und pädagogische Professionalität“ nach (vgl. Panagiotopoulou & Rosen 2015c). Bislang sind bei Forschungsaufenthalten in Kanada und Griechenland über 50 leitfadengestützte Expert_inneninterviews mit (mehrsprachigen) pädagogischen Professionellen durchgeführt worden, und zwar an der Deutschen Schule in Thessaloniki (Februar-­‐April 2013), der Deutschen Schule in Montreal (April 2014), an griechischen Ergänzungsschulen in Montreal (April 2014) und an der Deutschen Schule in Athen (Oktober 2014). Im Vortrag werde ich neben dem bildungspolitischen Hintergrund und des Forschungsstandes zu (angehenden) Lehrkräften mit Migrationshintergrung auf Basis erster Analysen gemäß der Grounded Theory die Hypothese formulieren, dass die eigene (beginnende) mehrsprachige Praxis der Professionellen im Kontext einer mehrsprachig organisierten Institution nicht ausschließlich zu einer schlichten Würdigung der Mehrsprachigkeit der Schüler_innen führt, sondern auch zu einer „translingualen“ Unterrichtspraxis (vgl. García & Wei 2013). Literatur: Creese, Angela & Blackledge, Adrian (2010): Translanguaging in the Bilingual Classroom: A Pedagogy for Learning and Teaching? In: The Modern Language Journal 94, pp. 103–115. García, Ofelia & Li Wei (2013): Translanguaging. Language, Bilingualism and Education. Palgrave Macmillan. Karakaşoğlu, Yasemin; Gruhn, Mirja & Wojciechowicz, Anna (2011): Interkulturelle Schulentwicklung unter der Lupe. (Inter-­‐)Nationale Impulse und Herausforderungen für Steuerungsstrategien am Beispiel Bremen. Münster u.a.: Waxmann. Lengyel, Drorit & Rosen, Lisa (2015): Diversity in the staff room – Ethnic minority student teachers’ perspectives on the recruitment of minority teachers. In: Lengyel, Drorit & Rosen, Lisa (Eds.): Minority teachers in different educational contexts – Recent studies from three German-­‐speaking countries. Tertium Comparationis – Journal für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft, 21(2), pp. 161–184. Panagiotopoulou, Argyro & Rosen, Lisa (2015a): Migration und Inklusion. In: Reich, Kersten; Asselhoven, Dieter & Kargl, Silke (Hg.): Eine inklusive Schule für alle: Das Modell der Inklusiven Universitätsschule Köln. Weinheim: Beltz, S. 158-­‐167. Panagiotopoulou, Argyro & Rosen, Lisa (2015b): „Sprachen werden benutzt, (…) um sich auch gewissermaßen abzugrenzen von anderen Menschen“ – Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund plädieren für einsprachiges Handeln im schulischen Kontext. In: Geier, Thomas & Zaborowski, Katrin U. (Hg.): Migration: Auflösungen und Grenzziehungen – Perspektiven einer erziehungswissenschaftlichen Migrationsforschung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 169-­‐190. Panagiotopoulou, Argyro & Rosen, Lisa (2015c): Professionalism and multilingualism in Greece and Canada: An international comparison of (minority) teachers’ views on linguistic diversity and language practices in monolingual vs. multilingual educational systems. In: Lengyel, Drorit & Rosen, Lisa (Eds.): Tertium Comparationis – Journal für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft 21(2), pp. 225-­‐250. Zur Person: Lisa Rosen ist Professorin für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft am Fachbereich für Erziehungs-­‐ und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück. Ihre Arbeitsschwerpunkte im Bereich der international und interkulturell vergleichenden Erziehungswissenschaft lauten: Jugend und soziale Ungleichheiten, migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und pädagogische Professionalität, sexuelle Bildung in der Migrationsgesellschaft, reifizierungssensible Forschungsmethoden und rekonstruktive Bildungs-­‐ und Inklusionsforschung.