Länderbericht Ägypten - Hans-Böckler

Länderbericht Ägypten
4. Juni 2015
Herausgegeben von Dr. Roby Nathanson
Der Hans-Böckler-Stiftung vorgelegt
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Armuts- und Einkommensverteilung ................................................................... 1
1.
Einführung .......................................................................................................................... 1
2.
Zustand und Entwicklung von Ungleichheit und Armut in Ägypten ................................. 2
3.
Wachstum, Armut und Ungleichheit .................................................................................. 5
3.1
Statistische Analyse ............................................................................................................. 6
3.2
Empirischer Nachweis ......................................................................................................... 7
4.
Beschäftigung im öffentlichen Dienst, Armut und Ungleichheit ....................................... 8
5.
Umverteilungspolitik, Armut und Ungleichheit ............................................................... 10
5.1
Beschreibung ..................................................................................................................... 10
5.2
Auswirkungen ................................................................................................................... 12
6.
Globalisierung................................................................................................................... 15
7.
Fazit .................................................................................................................................. 18
Literaturhinweise ............................................................................................................................... 20
Kapitel 2: Bildung, Berufsausbildung und der Arbeitsmarkt ........................................... 22
1.
Einführung ........................................................................................................................ 22
2.
Das Bildungssystem.......................................................................................................... 23
2.1
Allgemeiner Hintergrund................................................................................................... 23
2.2
Höhere Bildung ................................................................................................................. 25
2.3
Berufsausbildung ............................................................................................................... 27
3.
Statistische Analyse .......................................................................................................... 33
3.1
Internationaler Vergleich ................................................................................................... 33
3.2
Die Bildung in Ägypten..................................................................................................... 36
4.
Ungeeignete Qualifikationen ............................................................................................ 39
5.
Schulungen in Unternehmen ............................................................................................. 44
6.
Fazit .................................................................................................................................. 45
Literaturhinweise ............................................................................................................................... 47
Kapitel 3: Emigration ............................................................................................................ 49
1.
Einführung ........................................................................................................................ 49
2.
Statistische Analyse .......................................................................................................... 50
2.1
Internationaler Vergleich ................................................................................................... 50
2.2
Die ägyptische Emigration näher betrachtet...................................................................... 53
3.
Die Entscheidung zur Migration ....................................................................................... 55
4.
Auswirkungen der Emigration auf das Heimatland .......................................................... 59
4.1.
Geldüberweisungen ........................................................................................................... 59
4.2
Rückwanderungen ............................................................................................................. 62
4.3
Sonstige Auswirkungen ..................................................................................................... 64
5.
Fazit .................................................................................................................................. 66
Literaturhinweise ............................................................................................................................... 68
Kapitel 4: Arbeitsvorschriften, Gewerkschaften und Arbeitnehmer ................................ 70
1.
Einführung ........................................................................................................................ 70
2.
Die Arbeitsvorschriften..................................................................................................... 71
2.1
Kurzer historischer Überblick ........................................................................................... 71
2.2
Die aktuelle Situation ........................................................................................................ 72
2.3
Die Anwendung der Vorschriften...................................................................................... 75
3.
Die Gewerkschaften .......................................................................................................... 77
3.1
Kurzer Überblick ............................................................................................................... 77
3.2
Der gesetzliche Rahmen der Gewerkschaften ................................................................... 79
3.3
Jüngste Entwicklungen ...................................................................................................... 82
4.
Fazit .................................................................................................................................. 84
Anhang A: Die Berechnung der rechtlichen und faktischen Indizes................................................. 86
Literaturhinweise ............................................................................................................................... 87
Kapitel 5: Handelsabkommen ............................................................................................... 88
1.
Einführung ........................................................................................................................ 88
2.
Integrationsabkommen ...................................................................................................... 89
2.1
Der Integrationsprozess zwischen Ägypten und der EU ................................................... 90
2.2
Der Prozess der panarabischen Integration ....................................................................... 92
3.
Handel ............................................................................................................................... 94
3.1
Gesamthandel .................................................................................................................... 94
3.2
Handel nach Hauptpartnern ............................................................................................... 95
3.3
Die Zusammensetzung des Handels .................................................................................. 97
4.
5.
Die Auswirkungen ägyptischer Handelsabkommen ....................................................... 101
4.1
Aktuelle Abkommen ....................................................................................................... 101
4.2
Projektierte Abkommen: Freihandelsabkommen (DCFTA) zwischen der EU und
Ägypten........................................................................................................................... 105
Fazit ................................................................................................................................ 109
Literaturhinweise ............................................................................................................................. 111
Kapitel 1:
Armuts- und Einkommensverteilung
1. Einführung
Armutsbekämpfung ist ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklung und eines der Hauptziele
der Millennium Development Goals (MDG). Während in den MDG auf Ungleichheit nicht
explizit hingewiesen wird, ist sie ein nicht zu unterschätzendes Problem, obwohl einige
Wirtschaftsexperten davon ausgehen, dass so lange die Armut gering gehalten wird, keine
Dringlichkeit besteht, sich um die Ungleichheit zu kümmern. Sie argumentieren, dass die
Konzentration von Reichtum mindestens in frühen Entwicklungsstadien Einsparungen,
Investitionen und Wachstum generieren könnte. Es gibt also keinen Grund, die Gewinne der
sehr Reichen zu beschränken. Das Argument erinnert an die bekannte Kuznets-Hypothese.
Diese besagt, dass während eine Wirtschaft sich entwickelt, die wirtschaftliche Ungleichheit
durch die Marktkräfte zuerst erhöht und dann reduziert wird. Daher kann in einem frühen
Stadium der Entwicklung Gleichheit auf Kosten des Wachstums gehen. Es gibt jedoch starke
Gegenargumente. Erstens zeigen grundlegende wirtschaftliche Prinzipien, dass sich die
Verteilung des Einkommens in einem Land direkt auf das Wohlergehen des Volkes auswirkt.
Die Maximierung des gesamtwirtschaftlichen Wohlergehens stand immer im Mittelpunkt der
wirtschaftlichen Analyse. Eine ausgewogenere Verteilung des nationalen Einkommens
bedeutet, dass das Gesamtwohlergehen (bei gleicher Gewichtung des Wohlergehens des
Individuums) für einen gegebenen Durchschnitt des Pro-Kopf-Einkommens höher ist. Zudem
ist Gerechtigkeit für den Aufbau sozial ausgewogener Staaten mit einer starken
Zivilgesellschaft von zentraler Bedeutung. Beobachtungen zeigen schließlich, dass sich häufig
in den ärmsten Ländern ein hohes Maß an Ungleichheit findet (UNRISD, 2010). Bedenken in
Bezug auf Ungleichheit haben daher einen immanenten Wert.
Dieses Kapitel befasst sich mit den Problemen der Armut und der Ungleichheit in Ägypten.
Eine Studie von Bibi und Nabli (2009) hat gezeigt, dass die relevante Literatur sehr
eingeschränkt ist. Die Autoren haben außerdem gezeigt, dass abgesehen von den Problemen
in Bezug auf die Messung, Untersuchungen zu Armut und Ungleichheit in arabischen
Ländern zwei Hauptspuren verfolgt haben. Die erste Spur hat sich auf die Zusammenhänge
zwischen
Wachstum
und
Ungleichheit
sowie
deren
Auswirkungen
auf
die
Armutsbekämpfung konzentriert. Die zweite befasste sich mit den Auswirkungen staatlicher
Politik auf Armut und Ungleichheit. Beide gelangen zu dem Ergebnis, dass in allen
1
arabischen
Ländern,
außer
in
Ägypten,
das
auch
in
Kontraktionsphasen
einen
Umverteilungseffekt zugunsten der Armen erfahren hat, Wachstum der Hauptfaktor der
kontinuierlichen Armutsbekämpfung war. Was die Politik anbetrifft, lag der Fokus im
arabischen Kontext auf der öffentlichen Verwaltung, auf Sozialausgaben sowie auf
Investitionen in Humankapital und Globalisierung.
Das Kapitel ist wie folgt unterteilt: In Abschnitt 2 wird der Zustand und die Entwicklung von
Ungleichheit und Armut in Ägypten analysiert. Abschnitt 3 diskutiert die Beziehung zwischen
Wachstum, Armut und Ungleichheit innerhalb eines bestimmten Landes. In Abschnitt 4 wird
dasselbe in Bezug auf die öffentliche Verwaltung diskutiert. Abschnitt 5 beurteilt die Rolle
der Sozialpolitik, während in Abschnitt 6 die Auswirkung der Globalisierung auf Armut und
Ungleichheit untersucht wird. Abschnitt 7 enthält das Fazit.
2. Zustand und Entwicklung von Ungleichheit und Armut in
Ägypten
Vor der näheren Untersuchung des Zustands und der Entwicklung von Ungleichheit und
Armut in Ägypten sind einige Vorbehalte zu beachten, die eine gewisse Vorsicht bei der
Interpretation der Daten nahelegen. Erstens sind die Daten nicht ohne Weiteres verfügbar.
Obwohl die meisten Länder regelmäßig Befragungen von Haushalten durchführen, ist der
Zugang zu solchen Daten stark erschwert. Zweitens sind solche Erhebungen nicht in der Lage,
das Einkommen der reichsten Sektoren der Gesellschaft verlässlich abzubilden, was dazu
führt, dass die vorhandenen Messungen die Ungleichheit sehr wahrscheinlich unterbewerten.
Drittens werden die Befragungsergebnisse nicht durch Abgleich mit anderen Datenquellen
wie etwa Arbeitsmarktdaten (Lohnstatistik) oder Steuerdaten validiert. Schließlich werden die
Auswahl der Stichproben und die Befragungsmethoden in den arabischen Staaten nicht
einheitlich gehandhabt, wodurch die Rangfolge der einzelnen Staaten etwa beim Gini-Index
auf die unterschiedliche Erhebung und Verarbeitung der Daten zurückzuführen sein mag und
nicht zwingend die tatsächlichen Verhältnisse wiedergibt (Nabli and Bibi, 2009). Um das
Störpotential der erwähnten Faktoren auf unsere Untersuchung zu beschränken, möchten wir
uns so weit wie möglich auf eine und dieselbe Datenquelle abstützen, d. h. für dieses Kapitel
auf die so genannten Weltentwicklungsindikatoren (World Development Indicators, WDI) der
Weltbank.
Abb. 1 zeigt den durchschnittlichen Gini-Index von 2005-2010 und die Entwicklung des
Index für Ägypten und vergleichbare Länder zwischen 1990 und 2010. Innerhalb der Region
2
Mittlerer Osten und Nordafrika (MENA) weist Ägypten zwischen 2005 und 2010 die
niedrigsten Gini-Werte auf. Gegenüber den übrigen Vergleichsländern ist Ägyptens GiniWert ähnlich wie jener Pakistans, aber niedriger als jener aller anderen Länder.
Was die Entwicklung anbetrifft, zeigt Ägypten zwischen 1990 und 2010 fast keine
Veränderung. Auch in den Vergleichsländern ist kein bestimmtes Muster erkennbar. Die
Entwicklung in Ägypten mag enttäuschen, Dabei ist jedoch Folgendes zu bedenken:
Einerseits gehörte Ägyptens GINI-Index in den Jahren 1990-1995 bereits zu den niedrigsten,
sodass keine eindrückliche Verbesserung erwartet werden kann. Andererseits wiesen Indien
und Indonesien in den Jahren 1990-1995 ähnliche Werte wie Ägypten auf, wobei sich deren
Situation bis 2010 verschlechtert hat.
Abb. 1: Gini-Koeffizient – Stand und Entwicklung
Durchschnitt 1990-1994
Durchschnitt: 2005-2010
70
60
60
50
50
40
40
30
30
20
20
10
10
0
Ägypten
Jordanien
Jemen
Tunesien
Iran
Marokko
Israel
Pakistan
Indien
Indonesien
Vietnam
Sri Lanka
Nicaragua
Philippinen
El Salvador
Paraguay
Bolivien
Guatemala
Honduras
Ägypten
Jordanien
Jemen
Tunesien
Iran
Marokko
Israel
Pakistan
Indien
Indonesien
Vietnam
Sri Lanka
Nicaragua
Philippinen
El Salvador
Paraguay
Bolivien
Guatemala
Honduras
0
15
Entwicklung: 1990-2010
10
5
-5
-10
Ägypten
Jordanien
Jemen
Tunesien
Iran
Marokko
Israel
Pakistan
Indien
Indonesien
Vietnam
Sri Lanka
Nicaragua
Philippinen
El Salvador
Paraguay
Bolivien
Guatemala
Honduras
0
-15
-20
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
3
Abb. 2 konzentriert sich auf Armut, gemessen am Anteil der Bevölkerung, die mit 1,25 und 2
(PPP) US-Dollar oder weniger am Tag lebt. Der erste Schwellenwert (1,25) soll extreme
Armut zeigen, der zweite „normale“ Armut. Extreme Armut scheint in der MENA-Region,
außer in Jemen, in 2005-2010 sehr gering zu sein. Sie ist zudem geringer als in allen anderen
Vergleichsländern. Die extreme Armut ist zwischen 1990 und 2010 generell zurückgegangen.
In Bezug auf Armut (Schwellenwert von 2) ist Ägypten schlechter als der Rest der MENARegion (außer Marokko und Jemen) und viele andere Vergleichsländer aufgestellt. Was die
Entwicklung der Armut anbetrifft, hat sie sich in Ägypten ähnlich wie in anderen MENALändern verringert, jedoch um viel weniger als in Nicht-MENA-Ländern.
Die Ungleichheit in Ägypten war und bleibt, zusammenfassend gesagt, gering im Vergleich
zu Ländern in und außerhalb der Region. Extreme Armut ist gering und rückläufig. In Bezug
auf Armut ist Ägypten schlechter als der Rest der MENA-Region (außer Marokko und Jemen)
und viele andere Vergleichsländer aufgestellt.
Abb. 2: Armutsquote (PPP, % der Bevölkerung) – Stand und Entwicklung
80
70
70
60
60
50
50
40
40
30
30
20
20
10
10
0
0
Jordanien
Israel
Tunesien
Iran
Ägypten
Marokko
Jemen
El Salvador
Nicaragua
Paraguay
Sri Lanka
Guatemala
Bolivien
Honduras
Vietnam
Philippinen
Pakistan
Indonesien
Indien
80
4
Jordanien
Israel
Tunesien
Iran
Ägypten
Marokko
Jemen
El Salvador
Nicaragua
Paraguay
Sri Lanka
Guatemala
Bolivien
Honduras
Vietnam
Philippinen
Pakistan
Indonesien
Indien
Durchschnitt ($ 2 am Tag):
2005-2010
Durchschnitt ($ 1,25 am Tag):
2005-2010
Entwicklung ($ 1,25 am Tag):
1990-2010
20
10
10
0
0
-10
Jordanien
Israel
Tunesien
Iran
Ägypten
Marokko
Jemen
El Salvador
Nicaragua
Paraguay
Sri Lanka
Guatemala
Bolivien
Honduras
Vietnam
Philippinen
Pakistan
Indonesien
Indien
20
-10
-20
-20
-30
-30
-40
-40
-50
-50
Jordanien
Israel
Tunesien
Iran
Ägypten
Marokko
Jemen
El Salvador
Nicaragua
Paraguay
Sri Lanka
Guatemala
Bolivien
Honduras
Vietnam
Philippinen
Pakistan
Indonesien
Indien
Durchschnitt ($ 2 am Tag):
1990-2010
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
3. Wachstum, Armut und Ungleichheit
Wie in der Einführung erläutert, ist Wachstum einer der Mechanismen, mit denen
Ungleichheit und Armut reduziert werden können. Dollar und Kraay (2002) haben, neben
anderen,
gezeigt,
dass
gesamtwirtschaftliches
Wachstum
zu
entsprechendem
Einkommenswachstum der Armen führt. Während diese Befunde unterschiedlichen
Definitionen der Armut standzuhalten scheinen, kann eine Reihe anderer Faktoren derartige
positive Auswirkungen behindern. Lopez (2004), der den Effekt unterschiedlicher politischer
Strategien auf die Ungleichheit untersucht hat, hat festgestellt, dass Verbesserungen in der
Bildung und Infrastruktur zur Reduzierung der Einkommensungleichheit führen können,
während finanzielle Entwicklung, die Beseitigung von Handelsschranken und die
Verkleinerung des Staatsapparats die umgekehrte Wirkung haben können, d. h. es besteht die
Gefahr, dass sie die Ungleichheit vergrößern. Die Berechnungen legen nahe, dass die
negativen Auswirkungen dieser politischen Strategien die positiven Auswirkungen auf die
Ungleichheit zumindest kurzfristig aufwiegen. Diese Zusammenhänge sind in den
verschiedenen Ländern jedoch komplex und uneinheitlich, und es gibt nur eine begrenzte
Anzahl an Studien zu diesem Problem in arabischen Ländern.
In diesem Abschnitt versuchen wir zunächst einen allgemeinen Eindruck der Entwicklung von
Ungleichheit, Armut und Wachstum in Ägypten und in einer Reihe von ähnlichen Ländern zu
gewinnen und befassen uns dann eingehender mit den Ergebnissen der Literatur zu Ägypten.
5
3.1
Statistische Analyse
Abb. 3 legt nahe, dass 4 Länder in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Wachstum und
Ungleichheit besser als Ägypten aufgestellt sind. Es handelt sich um Jordanien (MENA) und
Nicaragua, El Salvador und Pakistan, die zwischen 1990 und 2010 eine größere Reduzierung
des Gini-Werts mit einer geringeren Wachstumsrate als Ägypten im selben Zeitraum erreicht
haben. Die übrigen Länder haben sich diesbezüglich schlechter entwickelt als Ägypten.
Insbesondere Vietnam, Marokko, Indien und Sri Lanka weisen zwar eine höhere
Wachstumsrate als Ägypten auf, jedoch auch eine größere Ungleichheit im selben Zeitraum.
Abb. 3: Wachstum und Ungleichheit
15
10
5
0
-5
-10
-15
-20
GINI-Entwicklung 1990-2010
Pro-Kopf-BIP (konstante internationale $ 2011) Durchschnittliches Wachstum 1990-2010
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
Abb. 4 konzentriert sich auf den Zusammenhang zwischen Wachstum und Armut unter
Verwendung derselben Indikatoren und desselben Zeitraums wie in den vorherigen
Berechnungen. Die Reduzierung der extremen Armut (Schwellenwert von 1,25 US-Dollar) in
Ägypten scheint, im Vergleich zu anderen Ländern, zu gering. In der MENA-Region ist
Jordanien etwas besser aufgestellt: stärkere Reduzierung der extremen Armut bei einer
tieferen Wachstumsrate. Außerhalb der Region ist die Situation in Pakistan, Nicaragua,
Honduras und auf den Philippinen besser als in Ägypten. In diesen Ländern ist die extreme
Armut merklich zurückgegangen, während ihre Wachstumsraten weit unter der von Ägypten
lag. Das nahezu gleiche Bild ergibt sich in Bezug auf „normale“ Armut (Schwellenwert von
1,25 US-Dollar): Manche Länder sind diesbezüglich viel besser aufgestellt als Ägypten.
6
Abb. 4: Wachstum und Armut
20
0
10
-20
0
-10
-20
-30
Vietnam
Nicaragua
Indonesien
Pakistan
Sri Lanka
Honduras
El Salvador
Philippinen
Jordanien
Tunesien
Ägypten
Indien
Iran
Marokko
Israel
Bolivien
Paraguay
-10
Vietnam
Pakistan
Indonesien
Nicaragua
El Salvador
Honduras
Philippinen
Sri Lanka
Indien
Tunesien
Jordanien
Ägypten
Iran
Marokko
Israel
Paraguay
Bolivien
10
-30
-40
-40
-50
-50
Armutsquote bei $ 1,25 am Tag (PPP) Entwicklung
1990-2010 (% der Bevölkerung)
Pro-Kopf-BIP (konstante internationale $ 2011)
Durchschnittliches Wachstum 1990-2010
Armutsquote mit $ 2 am Tag (PPP) Entwicklung
1990-2010 (% der Bevölkerung)
Pro-Kopf-BIP (konstant 2011 internationale $)
Durchschnittliches Wachstum 1990-2010
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
Auf den ersten Blick widersprechen die Ergebnisse der beschreibenden Analyse dem Fazit
von Bibi und
Nabli
(2009),
dass Ägypten auch in
Kontraktionsphasen einen
Umverteilungseffekt zugunsten der Armen erfahren hat. Der nächste Abschnitt geht näher auf
die anderen Faktoren ein, die sich auf den Zusammenhang zwischen Wachstum und
Armut/Ungleichheit auswirken können.
3.2
Empirischer Nachweis
Daymon and Gimet (2007) haben die Hauptdeterminanten der Reduzierung von Armut und
Ungleichheit in 9 MENA-Ländern (Algerien, Ägypten, Iran, Kuwait, Jordanien, Marokko,
Katar, Syrien und Tunesien) für den Zeitraum von 1980-2003 untersucht und dazu die
Paneldatenanalyse verwendet. Sie haben festgestellt, dass diese Länder den KuznetsWendepunkt, an dem das Wachstum beginnt, die Ungleichheit zu reduzieren, noch nicht
erreicht haben. Sie haben daher Strategien zur Reduzierung der Ungleichheit empfohlen, wie
etwa
die
Erhöhung
der
Effizienz
des
Bildungswesens,
die
Reduzierung
der
Geschlechterungleichheit und den erleichterten Zugang zu Bankkrediten als wichtige
Instrumente für die künftige Reduzierung von Ungleichheit und Armut.
Kheir-El-Din und El-Laithy (2006) haben die Wachstumsinzidenzkurve (Growth Incidence
Curves, GIC) unter Verwendung der ägyptischen Haushaltserhebungen der Jahre 1991, 1995,
1999 und 2004 geschätzt. Die GIC beschreibt die Korrelation zwischen der Entwicklung der
Einkommensverteilung und dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum. Sie haben festgestellt,
7
dass das Wachstum über den gesamten Zeitraum zur Abnahme der Ungleichheit beigetragen
hat. Marotta et al. (2011) haben für den Zeitraum zwischen 2005 und 2008 ähnliche Fragen
gestellt. Um zu untersuchen, in welchem Ausmaß die Armen in Ägypten vom Wachstum
profitieren konnten, haben sie die Veränderung der Einkommen der Armen mit der
Veränderung der Einkommen der Schichten verglichen, die nicht als arm gelten. Das
Wachstum soll dann armutsmindernd wirken, wenn die verteilungsspezifischen Änderungen,
die mit dem Wachstum einhergehen, die Armen begünstigen. Die Ergebnisse legen nahe, dass
Ägypten dank des schnellen wirtschaftlichen Wachstums zwischen 2005 und 2008 eine
eindrückliche Reduzierung der Armut erreicht hat. Der Wohlstand einer durchschnittlichen
Person, die 2005 arm war, hat zwischen 2005 und 2008 nahezu 10 Prozent pro Jahr
zugenommen, was ausreichend war, um diesen Haushalt aus der Armut zu heben. Die
Wohlhabenden haben jedoch mehr hinzugewonnen als die Armen, besonders in ländlichen
Gebieten. Zudem wurden einige nicht als arm geltende Schichten durch das Wachstum
negativen Dynamiken ausgesetzt, wodurch sie verarmt sind. Dies hatte zur Folge, dass in
jenem Zeitraum auch die Ungleichheit zunahm, wodurch die Auswirkung des Wachstums auf
die Reduzierung der Armut abgeschwächt wurde. Insgesamt blieb im Zeitraum von 20052008 nur 45 Prozent der ägyptischen Bevölkerung von der Armut verschont. Dies bedeutet,
dass 55 Prozent der Ägypter im selben Zeitraum Armut erfahren oder am Rande der Armut
gelebt haben. Die Armutsrate und die Rate der Armutsgefährdeten sind jedoch im Verlauf der
Zeit von 46 Prozent auf 36 Prozent gefallen.
4. Beschäftigung im öffentlichen Dienst, Armut und Ungleichheit
Der öffentliche Sektor spielt in arabischen Ländern traditionell eine wichtige Rolle. Er
beschäftigt zwischen 14 und 40 Prozent aller Arbeitnehmer (Abb. 5). Ägypten befindet sich
diesbezüglich im Vergleich mit MENA-Ländern im Mittelfeld, verglichen mit Ländern wie
Indonesien, Türkei, Mexiko und Brasilien jedoch auf einem viel höheren Niveau. Die
Arbeitsbedingungen sind im öffentlichen Sektor in der Regel weitaus besser für Arbeitnehmer
(z. B. Jobsicherheit, soziale Sicherheit, Gehälter usw.) als im privaten Sektor, was die
Präferenz vieler Arbeitnehmer für Stellen im öffentlichen Dienst erklärt.
8
Abb. 5: Durchschnittliche Beschäftigungsanteile im öffentlichen Sektor (2000)
Quelle: Weltbank (2013)
Adams (2002) hat Daten nationaler Haushaltserhebungen von Ägypten und Jordanien
verwendet, um die Auswirkung der unterschiedlichen Einkommensquellen, einschließlich
Einkommen aus nicht landwirtschaftlicher Tätigkeit, auf die Ungleichheit von ländlichen
Einkommen zu untersuchen. Er hat festgestellt, dass die Armen in beiden Ländern von einer
bestimmten Einkommensquelle aus nicht landwirtschaftlicher Tätigkeit abhängen: von der
Beschäftigung im öffentlichen Dienst. In Ägypten beziehen die Armen 43 Prozent ihres
Einkommens aus nicht landwirtschaftlicher Tätigkeit von staatlichen Gehältern, während in
Jordanien die Armen 60 Prozent ihres Einkommens aus dieser Quelle erhalten. Das heißt, die
Beschäftigung im öffentlichen Dienst in beiden Ländern stellt eine die Ungleichheit
verringernde Einkommensquelle dar.
Adams und Page (2003) haben länderübergreifende Daten und Länderfallstudien verwendet,
um Trends in Bezug auf Armut, Ungleichheit und wirtschaftliches Wachstum in der MENARegion zu analysieren. Sie haben gezeigt, dass sowohl internationale Überweisungen als auch
die Beschäftigung im öffentlichen Dienst eine statistisch signifikant positive Auswirkung auf
das Niveau der Armut und deren Ausmaß in der Region haben. Eine Steigerung des Anteils
an Geldüberweisungen von 10 Prozentpunkten am BIP verringert die Armutsquote (1,00 USDollar pro Person und Tag) in der MENA-Region demnach durchschnittlich um 5,7 %,
während eine Steigerung des Anteils der Beschäftigung im öffentlichen Dienst von
10 Prozentpunkten gemessen an der Gesamtbeschäftigung die Armutsquote um 6,2 %
reduziert. Ein regionsübergreifender Vergleich legt zudem nahe, dass die Beschäftigung im
öffentlichen Dienst zwar keine statistisch signifikante Auswirkung auf die Armut in den
Entwicklungsländern per se hat, die Armutsinzidenz und das Armutsdefizit in der MENARegion jedoch reduziert (Bibi und Nabli, 2009).
9
5. Umverteilungspolitik, Armut und Ungleichheit
5.1
Beschreibung
Um die gefährdete Bevölkerung zu schützen, setzen viele Regierungen auf eine soziale
Umverteilungspolitik
wie
etwa
soziale
Sicherheitsnetze,
Preissubventionen
und
Sozialversicherungssysteme. Soziale Sicherheitsnetze (SSN) umfassen Bargeld- oder
geldwerte Transfers (z. B. Lebensmittelmarken), Sachmitteltransfers (z. B. Schulspeisung,
Nahrungsmittelergänzungsleistungen für Mütter und Kinder, Lebensmittelrationen zum
Mitnehmen)
und
Gebührenverzicht
für
lebensnotwendige
Dienstleistungen
(z B.
Schulbildung, Gesundheitswesen, Versorgungsleistungen und Transport). Diese Programme
sind im Gegensatz zur Sozialversicherung, die Leistungen umfasst, die auf zuvor geleisteten
Beiträgen
basieren
(z. B.
Arbeitslosenversicherung
und
Alters-
oder
Berufsunfähigkeitsversicherung) nicht beitragspflichtig.
Viele Regierungen in der MENA-Region tendierten dazu, auf ein Umverteilungssystem zu
setzen, das auf umfassenden Subventionen grundlegender Verbrauchsartikel basiert. Das
garantierte erschwinglichen Zugang zu Nahrung und Brennstoff für alle Bürger, und zwar
ungeachtet ihrer Bedürfnisse. Dies hat wiederum zur Folge, dass die Region in der effizienten
Verwendung von SSN-Ressourcen hinter anderen Regionen zurückliegt (Silva et al. 2013).
MENA-Länder geben insbesondere durchschnittlich 5,7 Prozent des BIPs für Subventionen
aus, gegenüber nur 1,3 Prozent des BIPs im Entwicklungslanddurchschnitt (siehe Abb. 6). In
Ägypten repräsentieren Subventionen nahezu den gesamten Betrag des SSN. Zudem geben
MENA-Länder, mit Ausnahme des Irak, viel mehr für die verzerrenderen und besonders die
Reichen begünstigenden Brennstoffsubventionen (4,5 Prozent des ägyptischen BIPs) aus als
für Nahrungsmittelsubventionen und Lebensmittelkarten (1,1 Prozent des BIPs), wie in
Abb. 7 dargestellt. Bei den nicht-subsidiären Ausgaben konzentrieren sich die meisten
MENA-Länder, einschließlich Ägyptens, auf Bargeldtransferprogramme (siehe Tabelle 1).
10
Abb. 6: SSN-Ausgaben mit und ohne Subventionen, 2008-11
Quelle: (Silva et al. 2013)
Abb. 7: Nahrungsmittel- und Brennstoffsubventionen, 2008-2011
Quelle: (Silva et al. 2013)
Tabelle 1: Anteil (%) von nicht-subsidiären SSN-Ausgaben nach Wirtschafts- und
Programmart. 2008–2011
Bahrain
Ägypten, arab
Rep.
Irak
Jordanien
Kuwait
Libanon
Marokko
Saudi Arabien
Syrische
Arabische
Republik
Tunesien
Westjordanland
und Gaza
Jemen, Rep.
Bargeldtransfer
Gebührenfreistellungen,
Bildungs- und
Gesundheitsleistungen
Nahrungs- und
andere
Sachmitteltransfers
Wohnungen
Schulung
WorkfareProgramme
Andere
k. A.
k. A.
Mikokredit und
Einkommen
generierende
Aktivitäten
k. A.
k. A.
100,0
91,9
k. A.
8,1
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
100,0
44,5
100,0
k. A.
2,5
100,0
100,0
k. A.
0,5
k. A.
82,9
4,9
k. A.
k. A.
k. A.
8,7
k. A.
k. A.
20,8
k. A.
k. A.
k. A.
1,1
k. A.
k. A.
3,7
k. A.
k. A.
k. A.
29,6
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
15,6
k. A.
0,1
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
16,6
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
17,1
51,6
k. A.
k. A.
69,0
64,0
27,9
k. A.
k. A.
34,3
k. A.
k. A.
k. A.
1,7
0,2
k. A.
k. A.
k. A.
2,8
k. A.
55,5
3,7
k. A.
k. A.
k. A.
k. A.
40,8
k. A.
Quelle: (Silva et al. 2013) Legende: '–' (nicht verfügbar), 'k.A.' (nicht zutreffend), '..' (vernachlässigbar) oder '0'
(Null).
11
5.2
Auswirkungen
Als erste Beurteilung der Auswirkungen des SSN wird in Abb. 8 die Anzahl der
Leistungsempfänger
in
SSN-Programmen
als
Anteil
der
Gesamtbevölkerung
der
ausgewählten Länder präsentiert. Die Abbildung zeigt, dass sich die MENA-Länder in ihrer
SSN-Abdeckung stark unterscheiden. In einigen Ländern, z. B. Ägypten, Irak, Kuwait und
Syrien, ist die landesweite Abdeckung recht gering, in Jemen hingegen umfassend. Die
Abdeckung durch Geldüberweisungen ist in Bahrain und Jemen am höchsten. Im Libanon
profitiert ein Großteil der Bevölkerung von unentgeltlicher Behandlung in Krankenhäusern.
Abb. 8: Landesweite Abdeckung von nicht-subsidiären SSN-Programmen,
nach Programmart, 2008-11
Quelle: (Silva et al. 2013). Hinweis: SSN = Soziales Sicherheitsnetz. Die Abdeckungen der einzelnen
Programme werden unabhängig von jeweils anderen hinzugefügt. Bei dieser Berechnung wird davon
ausgegangen, dass es zwischen den SSN-Programmen keine Überlappungen gibt, weshalb sie die Obergrenze
der Schätzung der SSN-Abdeckung repräsentiert.
Statt nach der Abdeckung der Bevölkerung können die Auswirkungen des SSN gestützt auf
die Einkommensklassen der Leistungsempfänger beurteilt werden. Aus dieser Perspektive ist
die Kosteneffektivität einiger SSN als soziales Schutzinstrument sehr fraglich, weil ihre
Verwendung nicht zielgerichtet ist. Etwas die ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung in
Jordanien
profitieren
von
weniger
als
einem
Viertel
der
Gesamtausgaben
für
Brennstoffsubventionen. In Ägypten ist die Situation diesbezüglich besser. Dort erhalten die
ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung etwas weniger als 40 % der Nahrungsmittelsubventionen
(Abb. 9).
Es
wird
jedoch
häufig
argumentiert,
dass
niedrige
Brennstoff-
und
Nahrungsmittelpreise Verschwendung und Überkonsum verursachen, was zu Umweltschäden,
12
unwirtschaftlichen Investitionsentscheidungen und Wettbewerbsverzerrungen führen kann. In
Ägypten haben Preissubventionen Berichten zufolge zur Verwendung von Brot als Tier- und
Fischfutter geführt. Preissubventionen fördern zudem sozial unverträgliche Aktivitäten wie
Schmuggel, Schwarzmärkte und Korruption (IMF, 2011).
Abb. 9: Verteilung von Subventionen an verschiedene Einkommensgruppen (Anteil in
Prozent)
Quelle IWF (2011),
Adams
(2000)
hat
eine
detailierte
Analyse
der
Leistungsempfänger
von
Nahrungsmittelsubventionen vorgelegt. Bei der Untersuchung der Verteilungseffekte
ägyptischer Nahrungsmittelsubventionen hat die Studie Daten von Haushaltserhebungen
verwendet und gezeigt, dass das ägyptische Nahrungsmittelsubventionssystem klar auf die
Armen ausgerichtet ist. Es gibt jedoch Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen
Gebieten. In urbanen Gebieten wird das Nahrungsmittelsubventionssystem von einem
Nahrungsmittel dominiert – einfaches Baladi-Fladenbrot – das absolut und relativ gesehen
mehr von den Armen (unterste Quintilgruppe) als von den Reichen (oberste Quintilgruppe)
konsumiert wird. Die Auswahl an Nahrungsmitteln, die in städtischen Gebieten subventioniert
wird,
hat
zur
Folge,
dass
die
Armen
mehr
Einkommenstransfers
aus
Nahrungsmittelsubventionen erhalten als die Reichen. Im Gegensatz dazu ist das
Nahrungsmittelsubventionssystem weniger gut auf die armen ländlichen Gebiete ausgerichtet.
Dort ist das einzige subventionierte Nahrungsmittel, das in absoluten Zahlen mehr von den
Armen konsumiert wird, Baladi-Weizenmehl. Obwohl die Armen von Einkommenstransfers
von Baladi-Weizenmehl mehr profitieren als die Reichen, erhalten die Armen durch das
gesamte
Nahrungsmittelsubventionssystem
im
Einkommenstransfers als die Reichen.
13
ländlichen
Ägypten
etwas
weniger
Angesichts der finanziellen Last der Subventionsprogramme und des Problems der
Zielausrichtung hat Ägypten verschiedentlich Änderungen am subventionierten Warenkorb
vorgenommen. Audet et al. (2007) haben Dominanzkurven für den Konsum verwendet, um
unter Verwendung der Integrierten Haushaltserhebung (EIHS) von 1997 die Auswirkungen
auf
die
Armut
zu
analysieren,
die
durch
die
Änderungen
im
Nahrungsmittelsubventionssystem in Ägypten bewirkt wurden. Die Analyse konzentrierte
sich auf die Ausgabenstruktur ägyptischer Haushalte, um besser zu verstehen, ob diese
Reformen ein geeignetes Instrument für die Armutsbekämpfung waren. Zur Zeit der
Erhebung wurden Zucker, Speiseöl, Weizen und Brot subventioniert, und die Reform bestand
darin, stattdessen Zucker, Speiseöl, Makkaroni, Linsen und Bohnen zu subventionieren.
Die Ergebnisse legen nahe, dass die Reform nicht allen Fällen gut fundiert war. Zunächst
wäre es angemessen gewesen, Makkaroni zu besteuern und die Subventionen für Brot zu
erhöhen. Die Erhöhung der Steuern auf Makkaroni hätte eine höhere Subvention für Brot
ermöglicht. Dies hätte wiederum eine Reduzierung aller Armutsindizes verursacht. Daher war
diese Änderung der Liste der subventionierten Nahrungsmittel nicht wünschenswert, selbst
wenn die Kosteneffizienz der Besteuerung von Makkaroni 23 % höher ist als die von Brot.
Zweitens wäre es angemessen gewesen, Bohnen zu besteuern, um Tamwin-Brot zu
subventionieren. Eine Erhöhung der Steuern auf Bohnen hätte eine Erhöhung der Subvention
für Tamwin-Brot ermöglicht und die Armut nach allen Indizes reduziert. Auch diese
Änderung der Liste der subventionierten Nahrungsmittel ist nicht wünschenswert, selbst wenn
die Kosteneffizienz der Besteuerung von roten Bohnen (bzw. anderer Bohnen) 62 % (bzw.
188 %) höher ist als die der Besteuerung von Tamwin-Brot.
Schließlich legen die Ergebnisse auch nahe, dass es angemessener gewesen wäre, Mehl zu
besteuern, um die Subventionen für Linsen zu erhöhen. Der Austausch von Tamwin-Mehl
durch Linsen auf der Liste der subventionierten Nahrungsmittel war aus der Sicht der
Armutsbekämpfung hingegen eine wünschenswerte Entscheidung. Insgesamt scheint es, dass
die Änderungen, die an der Liste der subventionierten Nahrungsmittel vorgenommen wurden,
als Instrument für die Armutsbekämpfung nicht immer relevant waren.
Laabas und Limam (2004) haben mehrere Komponenten der staatlichen Politik und deren
Auswirkungen auf die Armut in sieben arabischen Ländern untersucht (Algerien, Marokko,
Tunesien, Jordanien, Jemen, Mauretanien und Ägypten). Die Arbeit verwendete ein System,
das die Endogenität von Wachstum, Einkommensungleichheit und Armut sowie die
Wechselwirkungen dieser Faktoren unter Verwendung unterschiedlicher Definitionen von
Armut und alternativer Schätzverfahren berücksichtigt. Es haben sich einige bemerkenswerte
14
Resultate ergeben. Erstens, die staatliche Politik wird sich durch ihren Effekt auf die
Einkommensverteilung nur indirekt auf die Armut aus. Zweitens ist eine Politik, die auf eine
gleichmäßigere Einkommensverteilung abzielt, effektiver in der Armutsbekämpfung als eine
Politik, die die Erhöhung des durchschnittlichen Konsums und Wachstums bewirken soll.
Drittens wirken Staatsausgaben, Transfers und eine Geldpolitik, die darauf abzielen, die
Inflation zu reduzieren, armutsmindernd. Im Gegensatz dazu hat die Beseitigung von
Handelsschranken, die zu den Instrumenten einer wachstumsorientierten Politik gehört, eine
negative Auswirkung auf Einkommensverteilung und Armut. Viertens scheinen Transfers als
Instrument der sozialen Ausgabenpolitik stärker auf die Einkommensverteilung und die
Armut zu wirken. Schließlich hat eine Politik, die auf grundlegende Bedarfsprodukte wie
Getreide abzielt, einen größeren Effekt auf Armut und Einkommensverteilung als eine
gesamtheitlich ausgerichtete Politik. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass angesichts
der widersprüchlichen Effekte der staatlichen Politik auf Wachstum, Armut und
Einkommensverteilung die Auswahl der richtigen Mischung politischer Maßnahmen mit
Vorsicht getroffen werden muss, um positive Ergebnisse zu erzielen.
6. Globalisierung
Der anhaltende Globalisierungsprozess hat sowohl in entwickelten Ländern als auch in
Entwicklungsländern
Bedenken
hinsichtlich
seiner Auswirkungen
auf Armut
und
Ungleichheit hervorgerufen. Empirische Daten, die speziell den Zusammenhang zwischen
dem Handel und Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt betreffen, legen jedoch nahe, dass der
Handel nicht die Hauptursache der Probleme auf dem Arbeitsmarkt (ob Lohnunterschiede
oder Arbeitslosigkeit) ist, und zwar weder in entwickelten Ländern (Dewatripont et al., 1999)
noch in Entwicklungsländern (Lee und Vivarelli, 2005). Das Hauptproblem ist nicht der
Handel per se, sondern die mangelnde Fähigkeit der Wirtschaft (sowohl der Arbeitnehmer als
auch der Unternehmen) sich durch Weiterbildung, technologische Anpassung, Erneuerung der
Produkte und Neuausrichtung der Märkte an die Schocks der Marktöffnung anzupassen. Des
Weiteren ist die Auswirkung der Handelsliberalisierung auf den Arbeitsmarkt weitgehend
kontextspezifisch und tendiert dazu, von einem Land zum anderen zu variieren.
Wie oben erläutert, ist Wachstum ein wichtiger Faktor der Armutsbekämpfung. Während die
Auswirkungen des Handels auf den Wohlstand in der Welt bestens bekannt sind, gelten seine
Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum einzelner Länder als umstritten. Levine und
Renelt (1992), Edwards (1992) und Dollar (1992) haben festgestellt, dass die Liberalisierung
15
des Handels das Wachstum steigert. Nachfolgend haben Rodriguez und Rodrik (1999) die
Stabilität der positiven Auswirkungen der Liberalisierung auf das Wachstum hinterfragt. Die
anderen länderübergreifenden Daten (siehe hierzu die Studie von Berg und Krueger [2003])
unterstützen mehrheitlich nachdrücklich die Auffassung, dass die Liberalisierung des Handels
zu höheren Einkommen führt, obwohl das Ausmaß dieses Effekts von der Art der gehandelten
Waren abhängt (Hausmann et al., 2007). Sofern die Liberalisierung des Handels zu höheren
Einkommen führt, sollte sich dieser Effekt auch bei den Armen bemerkbar machen, wie
Dollar und Kraay (2002), neben anderen, gezeigt haben. Wie oben dargelegt, können
derartige positive Auswirkungen jedoch durch mehrere andere Faktoren verhindert werden.
Im Rest dieses Abschnittes untersuchen wir zunächst den Zusammenhang zwischen
Globalisierung und Wachstum, der sich indirekt auf die Armut auswirkt. Anschließend
diskutieren wir mögliche direkte Auswirkungen der Globalisierung auf die Armut.
In einer ersten Studie (Makdissi et al., 2006) wurden die Hauptdeterminanten und
Besonderheiten der Wachstumserfahrung in arabischen Ländern im Vergleich mit dem Rest
der Welt analysiert. Die Autoren haben zwei sich ergänzende Ansätze verwendet. Der erste,
das so genannte Growth Accounting, versucht, den relativen Beitrag von Realkapital, Arbeit
und Totaler Faktorproduktivität (TFP) zum Wachstum zu ergründen. Der Ansatz hat gezeigt,
dass die TFP in dieser Region im Vergleich zu anderen Regionen keine wichtige Quelle für
das Wachstum darstellte. Das bedeutet, dass das Wachstum hauptsächlich auf dem
akkumulierten Bestand an Realkapital und auf Arbeit und nicht auf dessen bzw. deren
effizienter Verwendung beruhte. Unter den arabischen Ländern trug die TFP nur in den relativ
offenen Volkswirtschaften Ägyptens, Marokkos und Tunesiens zum Wachstum bei. Der
zweite, mit Barro assoziierte Ansatz legt das Hauptaugenmerk auf den Treiber der TFP und
stützt sich auf die Befunde, wonach die TFP weltweit die Hauptdeterminante von Wachstum
ist. Makdissi et al. (2006) haben unterschiedliche Determinanten geprüft, z. B. die effiziente
Nutzung
von
Real-
Verwaltungsapparats,
und
Humankapital,
Diversifizierung
Offenheit
der
des
Ausfuhren
Handels,
und
Qualität
des
internationale
Wettbewerbsfähigkeit. Sie sind zu der Auffassung gelangt, dass die Liberalisierung einer
Volkswirtschaft für das Wachstum nur eine untergeordnete Rolle spielt. Das liegt an der
Tatsache, dass die Ausfuhren der arabischen Länder kaum diversifiziert und auf dem
Weltmarkt wenig konkurrenzfähig sind.
Die in Makdissi et al. (2006) verwendeten Daten decken den Zeitraum von 1960-1997 ab. Seit
den späten 1990ern wurden in den betreffenden Ländern einige Reformen durchgeführt,
welche die Situation möglicherweise geändert haben. Die Analyse von Hassan et al. (2011)
16
hat sich auf einen jüngeren Zeitraum (1980-2007) konzentriert, als die wirtschaftliche
Liberalisierung in einigen arabischen Ländern wie Ägypten bereits fortgeschritten war. Sie
haben festgestellt, dass der Handel in der Region ein wichtiger Wachstumstreiber und seine
geschätzte Auswirkung sogar höher als in mehreren anderen Regionen war. Des Weiteren
schien der Handel einen höheren Anteil des Wachstums zu erklären als die finanzielle
Entwicklung und ihre Granger-kausalen Wachstumsfaktoren. Die Autoren kamen zu dem
Schluss, dass Handel eine entscheidende Variable in der Region darstellt, und dass
Bemühungen, das Finanzsystem zu reformieren und zu verstärken, sich nur dann als
nutzbringend erweisen, wenn sie von Maßnahmen begleitet werden, die einen Anreiz bieten,
den Handel zu entwickeln.
In Bezug auf Armut haben Bibi und Nabli (2010) eine umfassende Überprüfung der
Ergebnisse im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Handels in arabischen Ländern
vorgelegt. Hinsichtlich Ägyptens hat sich Zaki (2011) auf den Zusammenhang zwischen
Handel, Geschlecht und Beschäftigung konzentriert. Er hat festgestellt, dass auf
makroökonomischer Ebene Ausfuhren über den Zeitraum von 1960 bis 2009 eine
signifikante, positive Auswirkung auf die Beschäftigung hatten. Die Auswirkungen der
Ausfuhren auf die Beschäftigung haben sich im Anschluss an die Reformen, die in den 1990er
Jahren durchgeführt und 2004 fortgesetzt wurden, verstärkt. Auf individueller Ebene haben
sich die Ausfuhren auf die Gehälter der Männer und auf die Wahrscheinlichkeit der Frauen,
zu arbeiten, ausgewirkt. Mit anderen Worten, bei den Frauen erfolgte die Anpassung über den
Umfang der Beschäftigung, bei den Männern über die Gehälter.
Said und Elshennawy (2010) haben die Auswirkungen der Handelsliberalisierung auf die
Beschäftigung und Gehälter im verarbeitenden Gewerbe für den Zeitraum von 1993-2006
untersucht, der mit einer signifikanten Reduzierung von Handelsbarrieren und steigender
Arbeitslosigkeit in Ägypten einherging. Die ökonometrische Analyse hat gezeigt, dass die
Arbeitslosigkeit im ganzen verarbeitenden Gewerbe und nicht nur in den Handelsbranchen
stieg. Ein Großteil der Arbeitslosigkeit lässt sich jedoch nicht durch den Personalabbau im
Zusammenhang mit der Handelsliberalisierung erklären. Zudem wurde ein Zusammenhang
zwischen der Senkung der Zölle und der zunehmenden Exportorientierung, einerseits, und
steigenden Löhnen im verarbeitenden Gewerbe, andererseits, festgestellt. Die Senkung der
Zölle und die zunehmende Exportorientierung haben jedoch unterschiedliche Auswirkungen
auf die verschiedenen Quintile der Lohnverteilung. Die Reduzierung der Handelsbarrieren hat
Arbeitslosigkeit oder geringe Löhne für ältere Arbeitskräfte und Arbeitskräfte mit geringem
Bildungsniveau verursacht.
17
Acar und Dogruel (2012) haben die Quellen der Lohnungleichheit im verarbeitenden
Gewerbe in Algerien, Ägypten, Iran, Jordanien, Marokko und der Türkei für den Zeitraum
von 1980-1997 untersucht. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass Lohnungleichheit durch
Marktöffnung vermindert wird. Es ist jedoch der Anteil an Importen, nicht an Exporten, der
hilft, die Ungleichheit zu vermindern.
7. Fazit
Die Reduzierung von Armut und Ungleichheit ist eine wesentliche Komponente der
Entwicklung. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung ist die Reduzierung von Armut und
Ungleichheit für den Aufbau sozial ausgewogener Staaten und die Umsetzung einer starken
Zivilgesellschaft von zentraler Bedeutung. Dieses Kapitel befasste sich mit den Problemen
von Armut und Ungleichheit in Ägypten. Es hat eine Beurteilung des Ausmaßes der beiden
Phänomene und der Rolle der unterschiedlichen politischen Strategien in diesem
Zusammenhang vorgelegt. Diese politischen Strategien umfassen wachstumsorientierte
Maßnahmen, Beschäftigung im öffentlichen Dienst, Sozialtransfer sowie Subventionen und
Öffnung des Handels.
Die Beurteilung hat gezeigt, dass Ungleichheit in Ägypten verglichen mit Ländern in und
außerhalb der Region gering war und ist. Diesbezüglich zeigt Ägypten zwischen 1990 und
2010 jedoch fast keine Veränderung. Extreme Armut ist in Ägypten sehr gering und sogar
geringer als in allen anderen Vergleichsländern. Die extreme Armut ist zwischen 1990 und
2010 generell zurückgegangen. Bezüglich „normaler“ Armut ist Ägypten schlechter als der
Rest der MENA-Region (außer Marokko und Jemen) und viele andere Vergleichsländer
aufgestellt. Was die Entwicklung der Armut anbetrifft, hat sie sich in Ägypten ähnlich wie in
anderen MENA-Ländern verringert, jedoch um viel weniger als in Nicht-MENA-Ländern.
Unter den Maßnahmen, die auf die Reduzierung der Armut abzielen, spielen die
wachstumsfördernden Maßnahmen eine wichtige Rolle. In Ägypten scheint das Wachstum
zur Reduzierung von Armut und Ungleichheit beigetragen zu haben. Das war jedoch in
geringerem Umfang der Fall als in vergleichbaren anderen Ländern. Eine weitere politische
Maßnahme betrifft die Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Diese scheint die Armut in
Ägypten reduziert zu haben, führte jedoch zu einem aufgeblähten öffentlichen Sektor, der
nicht nachhaltig sein kann. Die Größe des öffentlichen Sektors in Ägypten steht im Vergleich
mit MENA-Ländern auf einem durchschnittlichen Niveau, ist jedoch bedeutend größer als in
Vergleichsländern wie Indonesien, Türkei, Mexiko und Brasilien. Um die Armut zu
18
bekämpfen, hat Ägypten zudem auf eine soziale Umverteilungspolitik gesetzt, z. B.
Interventionen
des
sozialen
Sicherheitsnetzes,
Preissubventionen
und
Sozialversicherungssysteme. Das Land gibt etwa 7 % seines BIPs für derartige Maßnahmen
aus, bedeutend mehr als im Durchschnitt der Entwicklungsländer. In Ägypten repräsentieren
Subventionen nahezu den gesamten Betrag des SSN. Nicht-subsidiäre Ausgaben
konzentrieren sich auf Geldtransferprogramme. In Bezug auf die Ausrichtung derartiger
Maßnahmen auf die Armen ist die Situation in Ägypten besser als in vielen Ländern der
Region: Die ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung erhalten etwas weniger als 40 % der
Nahrungsmittelsubventionen. Es wird jedoch häufig argumentiert, dass tiefe Brennstoff- und
Nahrungsmittelpreise Verschwendung und Überkonsum verursachen, was zu Umweltschäden,
unwirtschaftlichen Investitionsentscheidungen und Wettbewerbsverzerrungen führen kann.
Zudem gibt es Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Die Armen
erhalten durch das gesamte Subventionssystem im ländlichen Ägypten etwas weniger
Einkommenstransfers als die Reichen. Ägypten hat verschiedentlich Änderungen am
subventionierten Warenkorb vorgenommen, die Daten legen jedoch nahe, dass die Reformen
in
allen
Fällen
unzureichend
fundiert
waren.
Schließlich
scheint
der
laufende
Globalisierungsprozess, der sowohl in entwickelten Ländern als auch in Entwicklungsländern
Bedenken bezüglich der Auswirkungen auf Armut und Ungleichheit hervorgerufen hat, durch
seinen Wachstumseffekt zur Reduzierung der Armut und Ungleichheit beigetragen zu haben.
Neuere Daten legen nahe, dass die Marktöffnung ein wichtiger Wachstumstreiber war und
seine geschätzten Auswirkungen sogar noch größer als in mehreren anderen Regionen waren.
Es gibt jedoch Unterschiede zwischen den Bevölkerungsschichten. Die Reduzierung der
Handelsbarrieren hat Arbeitslosigkeit oder geringe Löhne für ältere Arbeitskräfte und
Arbeitskräfte mit geringem Bildungsniveau verursacht.
19
Literaturhinweise
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20
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North Africa', World Bank, Washington D.C.
21
Kapitel 2:
Bildung, Berufsausbildung und der Arbeitsmarkt
1. Einführung
Die Rolle des menschlichen Kapitals als wesentlicher Treiber der wirtschaftlichen
Entwicklung wird heute sowohl in der theoretischen als auch in der empirischen Literatur
anerkannt. Bessere Bildung und ein besseres Gesundheitswesen steigern die Produktivität und
das Einkommen der Arbeitnehmer, was ein höheres Wirtschaftswachstum zur Folge hat.
Zudem kann die Bildung menschlichen Kapitals zur Armutslinderung und zum Abbau von
Ungleichheiten beitragen. Die Steigerung des Bildungsniveaus erhöht das Lebenseinkommen
einer Person. Neueste Daten bestätigen diesen äußerst signifikanten Effekt des
Humankapitals:
Ein
höherer
Durchschnitt
an
Ausbildungsjahren
ist
mit
Einkommensungleichheit negativ assoziiert (siehe beispielsweise Lustig et al., 2013, und
Huber und Stephens, 2014).
Ägypten ist mit einer Bevölkerung von über 80 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste
Land in der arabischen Welt. Über die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 24 Jahre. Der
Anteil der Bevölkerung, der sich derzeit in der Grundschule und -ausbildung befindet, wird
auf über 18 Millionen geschätzt. Zudem kommen jedes Jahr schätzungsweise 600.000
Ägypter neu auf den Arbeitsmarkt. Obwohl der Prozentanteil der Ägypter mit
Hochschullabschluss zugenommen hat, sind die Qualifikationen und Kenntnisse, die in der
Grundschule und Grundausbildung erworben wurden, häufig schlecht an die Anforderungen
des Arbeitsmarkts angepasst. Das zeigt die hohe Arbeitslosigkeit unter den Jungen, besonders
unter den Abiturienten und Hochschulabgängern. Hohe Arbeitslosigkeit geht mit offenen
Stellen einher, ein Indiz für das Missverhältnis zwischen der Nachfrage und dem Angebot an
Qualifikationen, die vom Schul- und Berufsbildungssystem hervorgebracht werden.
Der ägyptische Arbeitsmarkt ist in verschiedener Hinsicht heterogen. Zunächst einmal ist auf
die Unterscheidung zwischen der Beschäftigung im öffentlichen und im privaten Sektor
hinzuweisen. Die Beschäftigung im privaten Sektor unterteilt sich wiederum in zwei weitere
Segmente, die Gehaltsempfänger und die Selbstständigen. Schließlich gibt es eine
Unterscheidung zwischen der Beschäftigung im formellen und informellen Sektor. Während
die formelle Beschäftigung im öffentlichen Sektor dominant ist, wird die informelle
Beschäftigung im privaten Sektor auf 70 % geschätzt (Assaad, 2009).
22
Diese Merkmale verstärken die Rolle des Humankapitals als Einstiegspunkt für die Linderung
der Wachstums-, Armuts- und Ungleichheitsprobleme in Ägypten. Das vorliegende Kapitel
beschäftigt sich mit dem ägyptischen Bildungssystem und seinen Leistungen. In Abschnitt 2
wird das Bildungssystem mit besonderer Betonung der höheren Bildung und der
Berufsausbildung beschrieben. Abschnitt 3 enthält eine statistische Analyse der Erfolge des
Landes in Bezug auf Arbeitslosigkeit, Bildung und Berufsausbildung. Abschnitt 4 befasst sich
sodann mit dem Problem des Qualifikationsmissverhältnisses, während in Abschnitt 5 die
Fortbildungsangebote durch Unternehmen diskutiert werden. Abschnitt 6 zieht Bilanz.
2. Das Bildungssystem
2.1
Allgemeiner Hintergrund1
Die ägyptische Verfassung auferlegt dem Staat die Verantwortung für die Bildung seiner
Bürger. Bildung ist ein staatlich garantiertes Grundrecht in Ägypten. Das aktuelle ägyptische
Bildungssystem besteht aus mehreren Ebenen, die öffentliche (staatliche) und private
Sektoren umfassen. Auch der private Bildungssektor steht unter staatlicher Aufsicht, um
sicherzustellen, dass er der Bildungspolitik des Staates entspricht.
Das öffentliche Bildungssystem in Ägypten ist für die Bürger kostenlos und für alle
zugänglich. Das Finanzministerium (Ministry of Finance, MoF) ist für die gesamte
Finanzpolitik und für die Alimentierung der einzelnen Ausgabenposten verantwortlich. Der
öffentliche Finanzierungsmechanismus berücksichtigt jedoch nicht die Effizienz von
Einrichtungen, es gibt keine Mechanismen zum Messen von Leistungen. Außerdem gibt es
keinen direkten Zusammenhang zwischen der Mittelvergabe an die einzelnen Einrichtungen
und deren tatsächlicher Bedürfnisse. Schließlich werden die Entwicklung und die
Verbesserung des Schulsystems finanziell zusätzlich von mehreren internationalen
Einrichtungen wie der Weltbank, UNESCO, UNICEF, der Ford Foundation und USAID
unterstützt.
Die ägyptische Regierung ist für die Bildungspolitik sowie für die Organisation, Verwaltung
und Beaufsichtigung der Bildung verantwortlich. Die Aufsicht über das Bildungssystem
findet auf unterschiedlichen Ebenen staatlicher und kommunaler Regierungsgewalt statt. Die
meisten legislativen Entscheidungsgewalten liegen beim Präsidenten und beim Parlament,
geknüpft an die Vorgaben der Verfassung. Die allgemeine Führung des nahezu gesamten
1
Dieser Abschnitt beruht auf der Arbeit von Stopikowska und El-Deabes (2012).
23
Bildungssystems liegt in der Verantwortung des Bildungsministeriums. Die höhere Bildung
wiederum
unterliegt
der
Aufsicht
des
Ministeriums
für
Hochschulbildung
und
wissenschaftliche Forschung. Auf lokaler Ebene ist die Implementierung der Bildungspolitik
Aufgabe der relevanten Organe der Regierungsbezirke, Städte und Dörfer.
Alle Schulen werden durch ihre eigenen Führungsstrukturen und die einzelnen Universitäten,
Hochschulen und anderen Hochschuleinrichtungen durch eigene Vertreter verwaltet. Die
Vertreter der Bildungseinrichtungen bilden Räte, die für die Zusammenarbeit innerhalb der
akademischen Gesellschaft und zusammen mit dem entsprechenden Minister für
Hochschulbildung zuständig sind. Wichtige Themen und Projekte werden auf nationalen
Konferenzen zu ausgewählten Problemen und bestimmten Bildungsbereichen weiter
diskutiert.
Gemäß der ägyptischen Verfassung besteht eine Schulpflicht. Sie dauert 9 Jahre und umfasst
2 Stufen: 6 Jahre Primarstufe und 3 Jahre Mittelstufe. In der letzteren können allgemeine
Bildungsprogramme oder Berufsausbildungen angeboten werden. Die Sekundarschulbildung
(allgemeine Bildung, technische Schulbildung auf mittlerer Stufe oder Berufsbildung) dauert
3 oder 5 Jahre (weiterführende technische Ausbildung). Abgänger von Sekundarschulen
können kostenlos postsekundäre, jedoch keine tertiären Bildungseinrichtungen besuchen. Die
Ausbildung an technischen Mittelschulen dauert 2 Jahre und an den höheren technischen
Instituten 4-5 Jahre. Die Absolventen höherer technischer Institute erhalten technische
Fachhochschuldiplome.
Um sich für einen Studienplatz an einer Universität bewerben zu können, müssen Abgänger
von Sekundarschulen entsprechende Zertifikate oder Diplome mit den besten Noten
aufweisen. Die erste Stufe der höheren Bildung an der Universität dauert 4-6 Jahre, die
nächste 2-5 Jahre. Mit dem erworbenen MA-Abschluss kann sich ein Absolvent nach
mindestens 2 Jahren Nachdiplomstudium für eine Promotion bewerben.
Die Bildung auf allen Ebenen wird sowohl von öffentlichen als auch von privaten
Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Letztere können religiöse (muslimisch oder christlich
geführt) oder nicht-religiöse private Einrichtungen sein, ägyptische oder ausländische. Wie
die öffentlichen Einrichtungen stehen jedoch auch private Einrichtungen unter staatlicher
Aufsicht.
Internationale Schulen können ein Lehrprogramm eines anderen Landes anbieten (z. B. ein
britisches oder amerikanisches), sie müssen jedoch vom Ministerium zertifiziert werden,
damit sich ihre Absolventen bei ägyptischen staatlichen Universitäten einschreiben können.
24
Die Absolventen der einzelnen Stufen privater Bildungsinstitutionen erhalten gleichwertige
Zertifikate und Qualifikationen wie die Absolventen von staatlichen Einrichtungen.
Das Aschariten-System spielt im ägyptischen Bildungssystem eine wichtige Rolle. Es weist
den gleichen Lehrplan auf wie die öffentliche Bildung, schenkt jedoch islamischen Studien
mehr Aufmerksamkeit. Aschariten-Absolventen können ihre akademischen Studien an der AlAzhar-Universität oder jeder anderen privaten Bildungseinrichtung fortsetzen, zu staatlichen
Hochschulen und Einrichtungen ist ihr Zugang jedoch beschränkt. Das Aschariten-System ist
ein unabhängiges Netzwerk von Schulen, die der Al-Azhar-Universität untergeordnet sind
und unter der Aufsicht des Hohen Rates der Al-Azhar (angeführt vom Großen Scheich), der
direkt mit dem Premierminister zusammenarbeitet.
Zudem gib es weitere Bildungsangebote auf unterschiedlichen Ebenen, die bestimmten
Kategorien von Studenten angeboten werden. Die 'Kuttab' ist die traditionelle islamische
Schule, die den Massen Religionsunterricht, das Auswendiglernen von Koranversen und auch
grundlegende Lese- und Schreibfertigkeiten bietet. Sie hat selbst in der heutigen Zeit noch
eine ergänzende Bildungsfunktion. Die Zahl der Kuttab-Schulen hat jedoch deutlich
abgenommen. Weitere Bildungsprogramme und Schulen sind auf die Bedürfnisse von
Blinden und Sehbehinderten, Tauben oder Hörgeschädigten oder Personen mit anderen
Behinderungen wie geistig Behinderte und Personen mit rheumatischen Herzerkrankungen
zugeschnitten. Ein besonderes Augenmerk wird auf besonders begabte Kinder gelegt, zwecks
Herausbildung einer wissenschaftlichen Elite für die Entwicklung der ägyptischen
Wissenschaft. Schließlich gibt es Erwachsenenbildungsprogramme, die das Ziel verfolgen,
das Bildungsniveau in der ägyptischen Gesellschaft zu heben und das Analphabetentum
auszumerzen.
2.2
Höhere Bildung 2
Die höhere Bildung in Ägypten wird von Universitäten und Hochschulinstituten, technischer
und nicht-technischer Ausrichtung, angeboten. Ein bedeutender Anteil der Studenten studiert
an technischen und nicht-technischen Hochschulinstituten (sowohl privater als auch
öffentlicher Art). 20 % der Studenten des tertiären Bildungssystems studieren an solchen
Instituten.
Die Aufsicht über die höhere Bildung in Ägypten ist stark zentralisiert. Zuoberst im
hierarchischen System steht der Staatspräsident, der die Leiter sämtlicher Universitäten
2
Dieser Abschnitt beruht auf Barsoum (2014)
25
benennt. Das Ministerium für Hochschulbildung (Ministry of Higher Education, MoHE) ist
für sämtliche Hochschuleinrichtungen (öffentliche oder private) zuständig und für die
Planung, die Formulierung der Bildungspolitik und die Qualitätskontrolle verantwortlich. Das
Zulassungsverfahren für angehende Studenten obliegt der Verantwortlichkeit der zentralen
Vergabebestelle (Central Placement Office), während die Verteilung der Studenten auf die
öffentlichen Universitäten Aufgabe des MoHE ist. Unter dem MoHE arbeiten drei Hohe Räte,
die alle Hochschuleinrichtungen beaufsichtigen. Diese sind das Supreme Council of
Universities (SCU), zuständig für die öffentlichen Universitäten, der Supreme Council for
Private Universities (SCPU), zuständig für die privaten Universitäten, und der Supreme
Council for Technical Colleges (SCTC), der alle Fachhochschulen verwaltet.
Die 2006 gegründete National Authority for Quality Assurance and Accreditation of
Education (NAQAAE) dient als unabhängige Zulassungsstelle für alle Arten und Stufen der
Bildung in Ägypten (höhere Bildung, voruniversitäre Bildung, technische Bildung und
Berufsausbildung). Zu ihren Aufgaben gehören die Förderung von Maßnahmen zur
Qualitätssicherung, die Vorbereitung der Zulassung von Bildungseinrichtungen und das
Zulassungsverfahren selbst.
Öffentliche Universitäten werden von Hochschulräten geleitet. Sie setzen sich aus Dozenten,
Dekanen der einzelnen Fakultäten, dem Präsidenten der Universität, Vizepräsidenten und
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit einem starken Bildungshintergrund zusammen.
Die Abteilungen und Fakultäten verwalten sich selbst. Entscheidungen zu wichtigen Fragen
werden durch Wahlen und Abteilungssitzungen getroffen. Zudem gibt es eine parallele
Einrichtung, den „Professorenklub“, in dem Missstände bzw. Beschwerden des Lehrkörpers
von Hochschulinstitutionen zur Sprache kommen. Der Klub wird in der Regel von einem
gewählten Gremium geleitet und agiert als Gewerkschaft. Die Universitätspräsidenten hatten
früher das Recht, Dekane zu ernennen, doch seit der Revolution von 2012 werden diese
wieder durch Wahlen bestimmt.
Außer der Amerikanischen Universität in Kairo, die 1919 als private, gemeinnützige
amerikanische Institution gegründet wurde, waren alle ägyptischen Universitäten bis in die
frühen 1990er Jahren ausschließlich öffentlich. 1992 wurde ein Gesetz verabschiedet, um die
Einrichtung privater Universitäten zu autorisieren und zu regulieren. Nach dem Erlass des
Gesetzes
öffneten
1996
vier
neue
Universitäten
ihre
Tore,
gefolgt
von
fünf
Hochschulinstitutionen im Jahre 2000 und sechs weiteren Universitäten 2006. Private
Einrichtungen benötigen eine NAQAAE-Zulassung, um den Lehrbetrieb aufnehmen bzw.
aufrecht zu erhalten.
26
Der rechtliche Rahmen für private Hochschuleinrichtungen in Ägypten trifft keine klare
Unterscheidung zwischen gewinnorientierten und gemeinnützigen Einrichtungen. Private
Hochschuleinrichtungen in Ägypten sind auf Studiengebühren angewiesen, um ihre
Betriebskosten zu decken. Die Gebührenstruktur ist extrem unterschiedlich, d. h. es gibt
Hochschulinstitute, die LE 3.000 pro Jahr verlangen, während das Lehrgeld an ausländischen
privaten Universitäten bis zu LE 100.000 pro Jahr betragen kann.
2.3
Berufsausbildung 3
Die berufliche Aus- und Weiterbildung (Vocational education and training, VET) betrifft den
Ausbildungsprozess, der zusätzlich zur allgemeinen Bildung, das Studium von technischen
und verwandten Wissenschaften sowie den Erwerb theoretischer und praktischer Kenntnisse
und Befähigungen im Hinblick auf die Ausübung von Berufen in unterschiedlichen Sektoren
von Wirtschaft und Gesellschaft umfasst (Quelle: UNESCO Revised Recommendation,
2001). Der Begriff technische und berufliche Aus- und Weiterbildung (Technical and
vocational education and training, TVET) wird in vielen Ländern als äquivalenter Begriff
verwendet.
Berufliche Aus- und Weiterbildung wird oftmals als Möglichkeit wahrgenommen, die
Chancen von Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, besonders derjenigen, denen
die Ressourcen, Qualifikationen oder die Motivation fehlt, ihre höhere Bildung fortzusetzen.
Das Ziel ist es, ihre Chancen auf eine erfolgreiche Berufskarriere zu verbessern, indem die
Grundausbildung enger an bestimmte Berufe und Aufgaben angelehnt wird, die auf dem
Arbeitsmarkt nachgefragt werden. Sie soll zudem das Problem der ungeeigneten
Bildungsangebote reduzieren, das häufig als Hauptquelle der hohen Arbeitslosigkeit in
Entwicklungsländern gesehen wird.
Wie in vielen MENA-Ländern erweist sich in Ägypten die Bildung einer gemeinsamen
Berufbildungsstrategie trotz der Beteiligung von Vertretern aus dem privaten Sektor und den
Sozialpartnern als schwierig. Infolgedessen ist der Zusammenhang zwischen den vom
Berufsbildungssystem hervorgebrachten Qualifikationen und denen, die vom privaten Sektor
benötigt werden, schwach. Ein von der European Training Foundation initiiertes Projekt zur
Überwachung der Berufsbildung in den Mittelmeerländern (einschließlich Ägyptens) hat
Schwächen in Bezug auf die Evaluierungspraxis festgestellt. Die Überwachung und
Evaluierung hat sich vorwiegend auf Inputindikatoren (Lehrer, Einrichtungen, Studienpläne)
3
Dieser Abschnitt beruht auf Eichhorst et al. (2012)
27
statt auf den Erfolg der Berufsbildung beim Erreichen von Ausbildungszielen konzentriert.
Kamen leistungsbasierte Indikatoren zum Einsatz, wurden diese offensichtlich nicht richtig
verwendet, um das bestehende System zu beurteilen und zu verbessern.
Wie oben erwähnt, besteht die Schulpflicht aus einer Primar- und einer Vorbereitungsstufe.
Die Primarstufe dauert sechs Jahre, die Vorbereitungsstufe drei Jahre. Schüler, die die
Abschlussprüfung am Ende der Primarstufe bestehen, wechseln auf Vorbereitungsschulen,
während die Schüler, die die Prüfung nach zwei Versuchen nicht bestehen, entweder auf
berufsvorbereitende Schulen wechseln oder die Ausbildung abbrechen.
Die allgemeine Sekundarstufe dauert drei Jahre, die sekundäre Berufsbildung drei bis fünf
Jahre. Die tertiäre Bildungsstufe umfasst Universitäten und nicht universitäre Einrichtungen.
Nicht universitäre Einrichtungen sind technische Fachhochschulen, die zweijährige
Lehrgänge anbieten, und höhere technische Einrichtungen mit vierjährigen Lehrangeboten. Zu
beachten ist, dass Universitäten Lehrer für technische Berufe ausbilden, während höhere
technische Schulen Studenten für die Beschäftigung in bestimmten Branchen vorbereiten.
Seit einigen Jahren wird mehr Wert auf Berufsbildungssysteme gelegt, die sich eng an sich
entwickelnden Industrien orientieren und lokale Partnerschaften zwischen der Industrie und
Ausbildungszentren fördern. Mit diesen Ansätzen wird versucht, alternative Möglichkeiten
für die Bereitstellung praktischer Qualifikationen zu entwickeln. Es wird erwartet, dass sie
sich vorteilhaft auf die Lehrplanreform auswirken. Sie umfassen die Ausbildung durch die
Anbindung an die Industrie, z. B. durch das duale System und Ausbildungsplätze, Ausbildung
am Arbeitsplatz und Umschulung. Abb. 1 fasst den Berufsbildungsprozess zusammen.
28
Abb. 1: Der Berufsbildungsprozess in Ägypten
Quelle: http://www.unevoc.unesco.org/printwtdb.php?ct=EGY&do=print
Für die Berufsbildung sind zwei Ministerien zuständig. Das Bildungsministerium (Ministry of
Education, MoE) verwaltet Berufsfach- und Berufsschulen, und das Ministerium für
Hochschulbildung (Ministry of Higher Education, MoHE) ist für die technischen
Fachhochschulen zuständig. Vier weitere Einrichtungen sind für den Aufbau eines nationalen
Qualitätssicherungsprogramms verantwortlich. Dieses bezweckt, die Qualität der Ausbildung
und die Bereitstellung von Lehrpersonal sicherzustellen, das gemäß internationalen Standards
geschult ist. Zu diesen Einrichtungen gehören die Nationale Behörde für Qualitätssicherung
29
und Ausbildungszulassung (National Authority for Quality Assurance and Accreditation of
Education), das Nationale Qualitätsprogramm (National Quality Program), die ägyptische
Organisation für Normung und Qualität (Egyptian Organization for Standardization and
Quality) und der ägyptische Zulassungssrat (Egyptian Accreditation Council).
Die technische und berufsbildende Ausbildung umfasst drei Bereiche: Industrie, Handel und
Landwirtschaft. Die Finanzierung der Berufsbildungszentren erfolgt vornehmlich durch
öffentliche Mittel (basierend auf der Zahl der eingeschriebenen Schüler in Vorjahren). Das
Berufsbildungssystem wird konkret wie folgt durch folgende Faktoren finanziert:
1. Studiengebühren: Die Studiengebühren beschränken sich in der Regel auf die
Deckung der Verwaltungskosten. Die sekundäre Berufsausbildung ist generell
gebührenfrei. Einige Einrichtungen können Gebühren erheben, aber diese gehen
vollumfänglich an das Finanzministerium. Einrichtungen können Studenten auch
durch monatliche Beihilfen unterstützen.
2. Zuweisungen aus dem Staatshaushalt: Die staatliche Finanzierung ist immer noch
gering, wenn sie in den letzten Jahren auch zugenommen hat.
3. Geldgeber und internationale Partner: Eine derartige Finanzierung wird über
Zuschüsse oder Darlehen an staatliche Ministerien und über international getragene
Berufsbildungsprogramme gewährt. Zu den internationalen Geldgebern gehören die
Europäische Union, die Weltbank und verschiedene ausländische Regierungen
(Kanada, Frankreich, Deutschland, USA usw.).
Wie oben erwähnt, werden Neueinsteiger auf dem Arbeitsmarkt häufig als unzureichend
vorbereitet angesehen (Angel-Urdinola and Semlali, 2010). Das Berufsbildungssystem wird in
Frage gestellt, und viele Beobachter argumentieren, dass es seine Ziele im Wesentlichen
verfehlt hat (Diego et al., 2013). Hierzu werden folgende Gründe genannt:
1. Die
hohe
Fragmentierung
des
Berufsbildungssystems:
1.237
Berufsausbildungszentren, angegliedert an 27 Ministerien oder Behörden, werden in
19 unterschiedlichen Gouvernements unabhängig voneinander betrieben. Das ruft
einen Mangel an Koordination unter den Ausbildungsprogrammen und mit den
Anforderungen des Arbeitsmarkts hervor. Zudem werden Lehrpläne nicht regelmäßig
überprüft, und viele Lehrgänge entsprechen nicht den Bedürfnissen der Industrie und
des privaten Sektors. Die Überwachung und Evaluierung des tatsächlichen Werts der
Ausbildungsprogramme auf dem Arbeitsmarkt ist überdies sehr mangelhaft.
30
2. Wie oben in Bezug auf das Bildungssystem im Allgemeinen erwähnt, verteilen die
Ministerien ihre Budgets den Anbietern von Berufsausbildungen ohne deren Leistung
zu berücksichtigen.
3. Ausbilder sind für ihre jeweiligen Aufgaben nicht angemessen geschult. Nur 35 % der
Ausbilder verfügten über eine pädagogische Ausbildung, und nur 50 % hatten eine
fortgeschrittene praktische Ausbildung absolviert. Zusätzlich ist das Lehrmaterial in
den Ausbildungszentren überwiegend in schlechtem Zustand (aufgrund fehlender
Wartung) und verbraucht, oder es wird zu wenig genutzt.
Angesichts dieser Probleme und um einen industriebezogenen Qualifikationsrahmen für die
Berufsbildung zu entwickeln, wurde das National Skills Standards Project (NSS) ins Leben
gerufen. Es handelt sich um eine Kooperation zwischen einem Konsortium von europäischen
Bildungsorganisationen und Ägyptens Sozialfonds für Entwicklung. Das Projekt konzentriert
sich auf folgende Punkte i) ein industriebezogenes Zulassungs- und Qualifikationssystem, ii)
Lehrerausbildung gemäß europäischen Standards und ii) eine nachhaltige Ausbildungspolitik
und Verwaltungsstruktur.
Mehrere weitere Reformen des Berufsbildungssystems sind entweder noch im Gange oder
bereits umgesetzt:
1. Das regionale Projekt der Europäischen Stiftung für Berufsbildung (ETF) fördert die
Kooperation zwischen sieben Ländern im Mittelmeerraum (Jordanien, Ägypten,
Marokko, Tunesien, Frankreich, Italien und Spanien) zur Standardisierung von
Qualifikationen in den Bereichen Tourismus und Bau. Das Ziel ist es, die Mobilität
qualifizierter Arbeiter zu verbessern und ihren Status aufzuwerten.
2. Die Europäische Union unterstützt aktiv Berufsbildungsprogramme, die das Ziel
haben, eine Partnerschaft zwischen staatlichen Einrichtungen und dem öffentlichen
Sektor aufzubauen, die Qualität der Ausbildung zu verbessern und ein System
nationaler Richtlinien zu entwickeln. Das Programm zur Modernisierung der Industrie
(Industrial Modernization Program, IMP) ist eine gemeinsame Initiative der
Europäischen Union und der ägyptischen Regierung. Es hat, unter anderem, das Ziel,
mehr
Jobmöglichkeiten
für
Absolventen
technischer
Bildungsgänge
und
Berufsschulen zu schaffen.
3. Die Weltbank hat ein sechsjähriges (2004-2010) Pilotprojekt mitfinanziert, mit dem
ein bedarfsgesteuerter Ausbildungsmechanismus implementiert werden sollte. Es
handelte sich um das Kompetenzentwicklungsprojekt (Skills Development Project), in
dessen Rahmen privaten Unternehmen und Ausbildungseinrichtungen Mittel für die
31
Ausbildung qualifizierter Arbeitnehmer zur Verfügung gestellt wurden. Das Hauptziel
des Projekts war es, Arbeitnehmer mit markttauglichen Qualifikationen auszustatten
und die Wahrnehmung der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu verbessern.
4. Die Mubarak-Kohl-Initiative Duales System (MKI-DS), die 1991 ins Leben gerufen
wurde, bezweckte den Ausbau der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Ägypten.
Ein Schlüsselfaktor dieser Initiative ist die gemeinsame Verantwortlichkeit des
privaten und öffentlichen Sektors sowie deren Kooperation. Die Hauptpartner: Das
ägyptische Bildungsministerium, der Investoren- und Unternehmerverband und die
Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Studenten, die einen
dreijährigen Lehrgang belegen, verbringen zwei Tage in der Woche in einer
technischen Sekundarschule und vier Tage bei einem Unternehmen, um die
erforderlichen Fähigkeiten und Qualifikationen zu erhalten. Die MKI-DS endete 2007,
als das Programm vollständig in das ägyptische Berufsausbildungssystem integriert
war. Zu diesem Zeitpunkt wurde ein neues Programm der Deutschen Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit gestartet, das auf den Erfolgen der MKI-DS aufbauen
sollte. Die Mubarak-Kohl-Initiative for Vocational Education, Training and
Employment
Promotion
Privatwirtschaft
und
(MKI-vetEP)
engagierte
Zivilgesellschaft,
um
neue
sich
Partner
dem
aus
Problem
Staat,
der
Jugendarbeitslosigkeit anzunehmen. Das Ziel des MKI-vetEP ist es, die interaktive
Beschäftigungsfähigkeit
Jugendlicher
durch
Ausbildungs-
und
Arbeitsmarktinstitutionen zu verbessern.
5. In Kooperation mit der Europäischen Union wurde zwischen 2005 und 2013 ein
umfassendes TVET-Reformprogramm implementiert. Der Schwerpunkt dieses
Reformprogramms liegt auf der Stärkung der Verbindung zum Arbeitsmarkt, indem
lokale und sektorale Ausbildungspartnerschaften mit Unternehmen (Enterprise
Training Partnerships, ETP) eingerichtet werden.
6. In bestimmten Städten wurden schließlich weitere Programme ins Leben gerufen, um
bestimmte Probleme anzugehen. Im Gouvernement Fayoum wurde ferner ein
Programm zur Aus- und Weiterbildung der ägyptischen Jugend erstellt, um die
Beschäftigungschancen in Ägypten und im Ausland zu verbessern. Sein Fokus lag auf
der
Erneuerung
und
Modernisierung
ausgewählter
Bildungs-
/Berufsausbildungszentren in Fayoum und auf der Bereitstellung von Berufswahl- und
Berufsberatungsdiensten für lokale Studenten. Das Ministerium für Bildung (MoE)
und das USAID-finanzierte ägyptische Programm für Wettbewerbsfähigkeit (Egypt's
32
Competitiveness Program, ECP) haben in acht Pilotschulen in Alexandria, Port Said
und Sharkia schulbasierte Beschäftigungseinheiten eingerichtet. Diese Einheiten
bieten den Studenten der technischen Schulen Beschäftigungsmöglichkeiten in den
Sektoren
Nahrungsmittelverarbeitung,
Bekleidung
und
Tourismus.
Durch
Vereinbarungen mit den Fabrikbesitzern erhalten die Studenten eine praktische
Ausbildung und praktische Arbeitserfahrung in Fabriken, welche die Chancen der
Studenten, unmittelbar nach ihrem Abschluss eine Anstellung zu finden, steigern.
3. Statistische Analyse
3.1
Internationaler Vergleich
Bildung
Abb. 2 zeigt den Prozentanteil der Bevölkerung zwischen 15 und 65 ohne formale
Schulbildung und dessen Entwicklung in Ägypten und in Vergleichsländern. Dieser Anteil ist
in Ägypten ist nach Marokko und Jemen der höchste in der Region. Er ist höher als in jedem
anderen Vergleichsland außerhalb der Region, außer Indien und Nicaragua. Wie in fast allen
Vergleichsländern nahm dieser Anteil zwischen 2000 und 2010 etwas ab.
Abb. 2: Der Anteil der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren ohne formale Bildung
80,00
70,00
60,00
50,00
40,00
30,00
20,00
10,00
0,00
2000
2005
Algerien
Ägypten
Iran
Jordanien
Marokko
Syrien
Tunesien
Jemen
Argentinien
Bolivien
Brasilien
Kolumbien
Costa Rica
Ecuador
Indien
Indonesien
Israel
Malaysia
Mexiko
Nicaragua
Philippinen
Sri Lanka
Thailand
Türkei
Vietnam
2010
Quelle: Barro and Lee (2013)
Abb. 3 zeigt den Prozentanteil der Bevölkerung zwischen 15 und 65 mit Grundschulabschluss
und dessen Entwicklung in Ägypten und in Vergleichsländern. Der Prozentanteil ist in
Ägypten nach Algerien der niedrigste in der Region. Er ist bedeutend niedriger als in vielen
Vergleichsländern und nahm zwischen 2000 und 2010 etwas ab. Der Blick auf Abb. 4, die
den Prozentsatz der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren mit primärem und sekundärem
33
Schulabschluss (jedoch ohne tertiären Abschluss) zeigt, lässt die Situation in Ägypten jedoch
komfortabler erscheinen. Dieser Anteil in Ägypten ist mit dem vieler anderer Länder wie der
Türkei, Mexiko und Brasilien vergleichbar. Außerdem deutet er auf eine nicht unerhebliche
Zunahme zwischen 2000 und 2010 hin. Schließlich geht aus Tabelle 5 hervor, die ähnliche
Information wie die vorherigen Tabellen bietet, sich jedoch auf Personen mit primärem,
sekundärem und tertiärem Abschluss konzentriert, dass Ägypten hinter vielen Ländern
innerhalb und außerhalb der MENA-Region zurückliegt. Dieser Anteil nimmt in Ägypten
jedoch zwischen 2000 und 2010 zu.
Abb. 3: Prozentsatz der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren, die nur eine
Grundschule absolviert haben
45,00
40,00
35,00
30,00
25,00
20,00
15,00
10,00
5,00
0,00
2000
2005
Algerien
Ägypten
Iran
Jordanien
Marokko
Syrien
Tunesien
Jemen
Argentinien
Bolivien
Brasilien
Kolumbien
Costa Rica
Ecuador
Indien
Indonesien
Israel
Malaysia
Mexiko
Nicaragua
Philippinen
Sri Lanka
Thailand
Türkei
Vietnam
2010
Quelle: Barro and Lee (2013)
Abb. 4: Prozentsatz der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren, die nur eine primäre
und sekundäre Schulbildung absolviert haben
60,00
50,00
40,00
30,00
20,00
10,00
0,00
2000
2005
Algerien
Ägypten
Iran
Jordanien
Marokko
Syrien
Tunesien
Jemen
Argentinien
Bolivien
Brasilien
Kolumbien
Costa Rica
Ecuador
Indien
Indonesien
Israel
Malaysia
Mexiko
Nicaragua
Philippinen
Sri Lanka
Thailand
Türkei
Vietnam
2010
Quelle: Barro and Lee (2013)
34
Abb. 5: Prozentsatz der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren, die eine primäre,
sekundäre und tertiäre Ausbildung absolviert haben
25,00
20,00
15,00
2000
10,00
2005
5,00
2010
Algerien
Ägypten
Iran
Jordanien
Marokko
Syrien
Tunesien
Jemen
Argentinien
Bolivien
Brasilien
Kolumbien
Costa Rica
Ecuador
Indien
Indonesien
Israel
Malaysia
Mexiko
Nicaragua
Philippinen
Sri Lanka
Thailand
Türkei
Vietnam
0,00
Quelle: Barro and Lee (2013)
Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosenquote in Ägypten ist, wie in allen anderen Ländern in der Region, sehr hoch.
Sie hat seit 2010 zugenommen, während die entsprechende Quote in Algerien, Jordanien und
Marokko rückläufig war. Eine derartige Zunahme könnte mit der politischen Instabilität seit
2011 zusammenhängen, da Tunesien, Jemen und Syrien (Länder des „Arabischen Frühlings“)
ebenfalls eine Zunahme aufweisen. Die Arbeitslosenquoten in allen Ländern der Region,
einschließlich Ägyptens, sind höher als in Vergleichsländern.
Abb. 6: Arbeitslosenquote (in % der Erwerbsbevölkerung)
20
15
10
5
Algerien
Ägypten
Iran
Jordanien
Marokko
Syrien
Tunesien
Jemen
Argentinien
Bolivien
Brasilien
Kolumbien
Costa Rica
Ecuador
Indien
Indonesien
Malaysia
Mexiko
Nicaragua
Philippinen
Sri Lanka
Thailand
Türkei
Vietnam
0
Durchschnitt 2005-2009
Durchschnitt 2010-2013
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
Eines der am häufigsten zitierten Probleme in Bezug auf die MENA-Region ist die hohe
Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventen. Um zu sehen, wie Ägypten in dieser Hinsicht
aufgestellt ist, zeigt Abb. 7 den Anteil der Arbeitslosen mit Hochschulabschluss an der
35
Gesamtarbeitslosigkeit. Die Abbildung bestätigt das Ausmaß des Problems in Ägypten. Selbst
wenn man den Zeitraum nach 2011 außer Acht lässt, weist Ägypten einen höheren Anteil an
Arbeitslosen mit Hochschulabschluss auf als jedes andere Land der Stichprobe, außer den
Philippinen.
Abb. 7: Arbeitslose mit Hochschulabschluss ( in % der Gesamtarbeitslosigkeit)
Algerien
Ägypten
Iran
Jordanien
Marokko
Syrien
Tunesien
Jemen
Argentinien
Bolivien
Brasilien
Kolumbien
Costa Rica
Ecuador
Indien
Indonesien
Malaysia
Mexiko
Nicaragua
Philippinen
Sri Lanka
Thailand
Türkei
Vietnam
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Durchschnitt 2005-2009
Durchschnitt 2010-2013
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
3.2
Die Bildung in Ägypten
Der oben dokumentierte hohe Prozentsatz der ägyptischen Bevölkerung ohne jede formale
Bildung hat den Staat dazu veranlasst, die Anzahl der Schulen im ganzen Land zu erhöhen.
Das nationale Netzwerk der Schulgebäude wurde um 1,5 % pro Jahr erhöht. Mehr Beachtung
wurde dabei ländlichen Regionen geschenkt, wo die Steigerung 2 % beträgt. Die Klassen sind
mit durchschnittlich 30-45 Schülern in der Grundschule jedoch immer noch zu groß. In
einigen Regionen (Alexandrien, Gizeh) weisen die Klassen gar über 50 Schüler auf
(Stopikowska and El-Deabes, 2012).
Tabelle 1 zeigt die Anzahl Schüler auf verschiedenen Bildungsstufen und Schulen nach
Geschlecht, Region (ländlich und urban) und Art der Schule (öffentlich und privat). Insgesamt
gibt es geringfügige Unterschiede nach Geschlecht (zugunsten der Männer) und nach Region
(zugunsten der urbaner Räume). Der auffälligste Unterschied besteht zwischen den
Schulbetreibern. In privat geführten Schulen sind weniger als 10 % der Schüler des Landes
eingeschrieben. Im Hinblick auf die Bildungsstufe wird ein Geschlechtsunterschied in der
sekundären Schulstufe wie folgt deutlich: in der industriellen und landwirtschaftlichen
Ausbildung (zugunsten der Männer), in der kaufmännischen Ausbildung (zugunsten der
36
Frauen) und in der technischen Ausbildung und der Sonderpädagogik (zugunsten der
Männer). Es gibt viel weniger Schüler aus ländlichen Gebieten in der allgemeinen sekundären
Bildungsstufe als aus städtischen Gebieten, wodurch sich die Chancen Ersterer auf eine
höhere Bildung reduzieren. Gleiches gilt für die technischen und berufsbildenden Schulen.
Tabelle 1: Anzahl Schüler auf verschiedenen Bildungsstufen und Schulen (2009/2010)
Stadien
Vorschule
Primarstufe
Einklassenschulen
Mädchenfreundliche Schulen
Gemeindeschulen
Vorbereitung
Allgemeine Sekundarschule
Industrielle Sekundarschule
Landwirtschaftliche
Sekundarschule
Handelsschule
Technische Ausbildung
Sekundarschulbildung gesamt
Sonderpädagogik
Gesamt
Gesamt
727835
9334322
70204
22619
10689
4041072
862147
667075
125464
Frauen
346617
4508380
64454
19444
6854
1991163
459410
242065
23942
Männer
381218
4825942
5750
3175
3835
2049909
402737
425010
101522
Land
284939
5083716
58795
20497
8014
2159752
239103
121630
26856
Stadt
442896
4250606
11409
2122
2675
1881320
623044
545445
98608
468254
294788
1260793
560795
2122940 1020205
37888
13956
16.367.569 7.971.073
173466
699998
1102735
23932
8.396.496
130640
279126
518229
4263
8.138.205
337614
981667
1604711
33625
8.229.364
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
78798
389456
81030
1179763
150926
1972014
563
37325
1.370.118 14.997.451
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
Staatlich
529696
8550513
70204
22619
10689
3804391
792251
664843
125464
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
Privat
198139
783809
0
0
0
236681
69896
2232
0
6T
6T
6T
6T
6T
Quelle: Stopikowska and El-Deabes (2012).
Tabelle 2 zeigt die Anzahl der Klassen und Schulen auf unterschiedlichen Stufen nach Region
und Schulbetreiber. Sie zeigt, dass in ländlichen Gebieten die Grundschulklassen die Mehrheit
bilden, während allgemeine sekundäre, technische und berufsbildende Klassen gehäuft in
urbanen Räumen vorkommen. Dies könnte ein Grund für den erschwerten Zugang der
ländlichen Jugend zu Bildungsangeboten sein. Die Tabelle zeigt zudem, dass sich die private
Bildung hauptsächlich auf die Grundschul- und Vorbereitungsstufe konzentriert.
37
Tabelle 2: Anzahl Klassen und Schulen der verschiedenen Bildungsstufen (2009/2010)
Stadien
Klassen
Schulen und Abteilungen
Gesamt
A
B
C
D
A
B
C
D
24237 10119 14118 7039 17198 8212
4524
3688 1533 6679
242676 134967 107709 24543 218133 16951 10381
6570 1622 15329
3269
2750
519
0
3269
3269
2750
519
0
3269
876
787
89
0
876
876
787
88
0
876
Gesamt
Vorschule
Primärstufe
Einklassenschulen
Mädchenfreundliche
Schulen
Gemeindeschulen
Vorbereitung
Allgemeine
Sekundarschule
Industrielle
Sekundarschule
Landwirtschaftliche
Sekundarschule
Handelsschule
Sonderpädagogikschulen
Gesamt
6T
6T
6T
6T
6T
397
110760
27750
301
59411
7706
6T
6T
6T
6T
6T
886
6T
3327
6T
21483
6T
4213
6T
14388
3951
10437 2220 12168
754
4278
593
3685
103
4175
857
454.411 225.282 229.129 44.896 409.515 44.631
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
A – Land
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
B – Stadt
7T
6T
C – Privat
861
6T
0
176
6T
6T
506
202
552
703
18
839
18.764 5.255 39.376
6T
6T
6T
10
124
6T
6T
6T
6T
6T
248
154
25.867
6T
6T
6T
697
6T
397
8626
1772
6T
6T
6T
52
6T
0
1228
642
6T
174
6T
6T
6T
6T
176
6T
96
4138
1634
6T
6T
6T
6T
6T
871
6T
0
6T
301
5716
780
6T
6T
6T
6T
6T
6T
84
6T
397
9854
2414
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
397
102676
24927
6T
6T
6T
6T
6T
17756
6T
4213
6T
0
8084
2823
6T
3811
6T
6T
6T
6T
6T
6T
21567
6T
96
51349
20044
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
6T
D – Staatlich
Quelle: Stopikowska and El-Deabes (2012)
Das System der höheren Bildung in Ägypten besteht aus 623 akademischen Einrichtungen.
Unter diesen befinden sich 34 Universitäten sowie 589 Kollegien und Institute mit insgesamt
rund 4 Millionen eingeschriebenen Studierenden. Kaufmännische und pädagogische
Studiengänge
sind
die
beliebtesten
Fächer,
gefolgt
von
Kunst,
Geistes-
und
Rechtswissenschaften. Medizinische, pharmazeutische und besonders zahnmedizinische
Studiengänge sind vergleichsweise gering vertreten. Die Geschlechterungleichheit auf der
Ebene der höheren Bildung ist nicht sehr signifikant: das Verhältnis eingeschriebene
Frauen/eingeschriebene Männer lag 2008 bei rund 85 % (Stopikowska und El-Deabes, 2012).
Neben dem Bildungssystem ist das System des lebenslangen Lernens, das Arbeitnehmern
ermöglicht, ihre Kenntnisse kontinuierlich zu verbessern, in Ägypten immer noch
unterentwickelt. Abb. 8 legt nahe, dass Unternehmen in arabischen Ländern immer noch
keine aktive Rolle an Ausbildungsprogrammen einnehmen. Außer in Algerien ist in Ägypten
der Anteil der Unternehmen, die formale Ausbildungslehrgänge anbieten, gemessen an der
Gesamtanzahl der Unternehmen der niedrigste in der Region, auch wenn er zwischen 2000
und 2009 nicht unerheblich zugenommen hat. Er bleibt jedoch geringer als in fast allen
Vergleichsländern außerhalb der Region.
38
Abb. 8: Unternehmen, die formale Ausbildungslehrgänge anbieten
(in % der Unternehmen)
Durchschnitt 2000 - 2004
Vietnam
Türkei
Thailand
Sri Lanka
Philippinen
Nicaragua
Mexiko
Malaysia
Indonesien
Indien
Ecuador
Costa Rica
Kolumbien
Brasilien
Bolivien
Argentinien
Syrien
Marokko
Jordanien
Ägypten
Algerien
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Durchschnitt 2005 - 2009
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
4. Ungeeignete Qualifikationen
Gemäß Angel-Urdinola und Semlali (2010) haben ägyptische Arbeitgeber Schwierigkeiten
bei
der
Rekrutierung
von
qualifizierten
Arbeitskräften.
Die
Ergebnisse
der
Unternehmenserhebung der Weltbank von 2008 weisen darauf hin, dass Unternehmen die
Qualifikationen und die Ausbildung von Arbeitnehmern zu den fünf Haupthindernissen für
die positive Entwicklung des Geschäftsklimas zählen. Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse dieser
Erhebung in Bezug auf die Beurteilung der Qualifikationen junger Bewerber durch
Arbeitgeber. Nur 18 % aller befragten Unternehmen sind der Meinung, dass die
Qualifikationen der Arbeitnehmer sehr gut sind.
Tabelle 3: Beurteilung der Qualifikationen junger Bewerber durch Arbeitgeber
(in % der Arbeitgeber)
sehr gut
mittel
schlecht
18,2
10,1
38,6
39,2
22,4
50,5
42,4
49,4
41,0
37,0
31,3
47,5
12,0
19,8
40,6
62,9
13,5
28,9
66,1
8,2
20,5
Qualifikation
Erforderliche technische Qualifikation
Praktische Schulung in der Schule
Kommunikationsfähigkeiten
Schreibfähigkeiten
Fähigkeit, das in der Schule erlernte
Wissen anzuwenden
Leistungsbereitschaft und Disziplin
Allgemeine Bereitschaft
Quelle: Angel-Urdinola and Semlali. (2010).
39
El-Hamidi,
(2010)
hat
unter
Verwendung
der
Erhebungen
des
ägyptischen
Arbeitsmarktpanels von 1998 und 2006 das Ausmaß und die Entwicklung der Diskrepanz
zwischen Ausbildung und Beschäftigung nach Geschlecht und Berufsgruppen untersucht.
Die wichtigsten Ergebnisse lauten wie folgt: Im privaten Sektor der ägyptischen Wirtschaft
gibt es Anhaltspunkte für eine Diskrepanz zwischen Ausbildung und Beschäftigung. Tabelle 4
zeigt, dass die Gesamtinzidenz zwischen 1998 und 2006 unabhängig vom Geschlecht von
51 % auf 42 % zurückgegangen ist. Die fehlende Übereinstimmung von Ausbildung und
Beschäftigung ist bei Männern wahrscheinlicher als bei Frauen. Der Rückgang der
Diskrepanz manifestiert sich in der Abnahme der Überqualifizierung, während der Anteil der
ungenügend ausgebildeten Arbeitnehmer zugenommen hat. In beiden Jahren war die
Diskrepanz bei Männern wahrscheinlicher als bei Frauen, und der Rückgang ist bei Frauen
ausgeprägter, hauptsächlich aufgrund des Rückgangs der Überqualifikation.
Tabelle 4: Die Inzidenz der ausbildungsbezogenen Diskrepanz nach Geschlecht,
1998 und 2006
Angemessen ausgebildet
Hoher Bildungsstand
Geringer Bildungsstand
Männer
48,16
43,44
8,40
1998
Frauen
55,07
28,99
15,94
Gesamt
48,96
41,77
9,27
Männer
57,12
11,46
31,42
2006
Frauen
65,41
16,98
17,61
Gesamt
58,12
12,12
29,76
Quelle: El-Hamidi, (2010)
In Bezug auf Berufsgruppen findet sich die höchste Diskrepanz 2006 bei leitenden
juristischen Beamten und Managern, Sachbearbeitern, technischen Fachkräften und bei
Hilfsarbeiter. Zwischen 1998 und 2006 verzeichneten diese Berufsgruppen (außer
Hilfsarbeiter) eine markante Zunahme der Diskrepanz, während sie bei Handwerkern und
Fabrikarbeitern deutlich zurückging (siehe Tabelle 5).
Tabelle 5: Die Inzidenz der Diskrepanz zwischen Ausbildung und Beschäftigung
Beruf
Leg, Senior Officer, Manag.
Spezialisten
Technik.& Gleichrangige
Sachbearbeiter
Verkäufer
Handwerker & verw. Berufe
Anl.- & Maschinenbed. & Mont.
Hilfsarbeitskräfte
Angemessen
1998
Über
Unter
Angemessen
2006
Über
Unter
70
90
89
70
71
57
62
63
8
22
13
43
3
37
30
10
3
8
16
36
-
63
90
72
64
71
67
70
63
1
22
27
15
3
2
5
37
9
5
8
14
30
28
32
Quelle: El-Hamidi, (2010)
40
Im Hinblick auf die Inzidenz nach Jahren der Berufserfahrung zeigt Tabelle 6, dass während
die Diskrepanz 1998 mit zunehmender Berufserfahrung rückläufig war, sie 2006 entsprechend
zunahm.
Tabelle 6: Die Inzidenz der ausbildungsbezogenen Diskrepanz nach Jahren der
Berufserfahrung und Geschlecht, 1998 und 2006
Anzahl
Jahre
Erfahrung
Männer
1-5
6-10
11-20
20-30
30+
Frauen
1-5
6-10
11-20
20-30
30+
1998
2006
Angem.
ausgebildet
Hoher
Bildungsstand
Geringer
Bildungsstand
Angem.
ausgebildet
Hoher
Bildungsstand
Geringer
Bildungsstand
43,20
44,75
50,60
57,52
56,32
52,80
47,86
38,86
33,63
27,59
4,00
7,39
10,54
8,85
16,09
66,91
66,28
51,72
38,39
30,37
16,25
12,60
8,86
5,69
6,67
16,82
21,11
39,42
55,92
62,96
53,70
68,75
36,00
75,00
44,44
38,89
25,00
24,00
0,00
22,22
7,41
6,25
40,00
25,00
33,33
70,54
60,23
68,52
52,17
63,64
18,75
21,59
9,26
4,35
13,64
10,71
18,18
22,22
43,48
22,73
Quelle: El-Hamidi,
(2010)
Tabelle 7 betrachtet die Diskrepanz nach Berufsgruppen und zeigt, dass Arbeiterjobs sich
schnell an die Änderungen angepasst haben: 1998 waren 40 % und 2006 53 % der
Arbeitnehmer adäquat ausgebildet, resp. 45 % und 63 % der Arbeitnehmerinnen. Eine
ähnliche Verbesserung kann bei Fachkräften beobachtet werden. Für kaufmännische
Angestellte hat sich die Situation bei Männern verbessert, während sie sich bei Frauen
verschlechtert hat. Die Veränderungen sind jedoch sehr gering.
Tabelle 7: Die Inzidenz der Diskrepanz nach Berufsgruppen und Geschlecht,
1998 und 2006
1998
Spezialisten Angestellte
77,36
54,58
3,77
21,12
18,87
24,3
2006
Spezialisten Angestellte
86,6
56,01
0,48
26,87
12,92
17,11
5T
Männer
Angemessen ausgebildet
Hoher Bildungsstand
Geringer Bildungsstand
Frauen
Angemessen ausgebildet
Hoher Bildungsstand
Geringer Bildungsstand
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
Arbeiter
40,28
59,72
0
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
5T
Arbeiter
53,32
5,37
41,3
5T
5T
5T
5T
5T
65,79
0
34,21
5T
5T
58,62
32,76
8 62
5T
5T
5T
5T
45,45
54,55
0
5T
5T
5T
5T
5T
5T
Quelle: El-Hamidi, (2010)
41
86,08
1,27
12,66
56,55
30,36
13,1
5T
5T
5T
5T
5T
5T
63,38
2,82
33,8
5T
5T
5T
El Hamidi (2010) hat eine ökonometrische Analyse durchgeführt, um den Ertrag von Überund Unterqualifikation sowie angemessener Ausbildung zu untersuchen. Sie hat festgestellt,
dass das Ertragspotential von überqualifizierten männlichen Angestellten höher qualifizierter
Berufe und Arbeitern höher ist als bei angemessen ausgebildeten Männern und 2006 höher
war als 1998. Frauen in höher qualifizierten Berufen, sowohl Über- als auch
Unterqualifizierte, erreichten 1998 einen höheren Ertrag als angemessen ausgebildete Frauen.
Demgegenüber war der Ertrag bei Überqualifizierten 2006 höher und bei Unterqualifizierten
geringer als bei angemessen Ausgebildeten. Frauen in Arbeiterberufen wurden, besonders
2006, bestraft, wenn ihre Ausbildung unzureichend an die gewählte Arbeit angepasst war, und
erhielten weniger Gehalt als Männer.
Bertoni und Ricchiuti (2014) haben gestützt auf die Panelerhebungen des Arbeitsmarkts von
2006 und 2012 die Rolle der individuellen und kontextuellen Merkmale für die
Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit von Personen untersucht. Sie haben festgestellt, dass
für Frauen, Jugendliche und gebildetere Arbeitnehmer die Wahrscheinlichkeit der
Arbeitslosigkeit höher ist und diesen Umstand als Anzeichen für eine Diskrepanz zwischen
Ausbildung und Beschäftigung interpretiert. Des Weiteren führ ein späterer Eintritt in den
Arbeitsmarkt zu einer Reduzierung der Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit einer Person.
Zudem weisen verheiratete Personen (männlich oder weiblich), die als Hauptverdiener in
ihrem Haushalt fungieren und in ländlichen Gouvernements oder in Regionen leben, an denen
Hochschulen interessiert sind, eine geringere Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit auf.
Bartlett (2013) hat das Ausmaß der ungeeigneten Qualfikation nach Bildungsniveau
untersucht. Die Analyse basiert auf einem Diskrepanzverhältnis, das wie folgt definiert ist:
Für ein gegebenes Bildungsniveau entspricht das Diskrepanzverhältnis dem Verhältnis
zwischen dem Anteil der arbeitslosen Personen und dem Anteil der beschäftigten Personen
mit demselben Bildungsniveau. Ein Verhältnis über 1 ist ein Anzeichen einer „positiven“
Diskrepanz. Das bedeutet, dass es ein Arbeitskräfteüberangebot mit dem jeweiligen
Bildungsniveau gibt. Das Ausbildungssystem stellt der Wirtschaft gemessen am Bedarf „zu
viele“ Arbeitnehmer mit dem jeweiligen Qualifikationsniveau zur Verfügung. Ist das
Verhältnis kleiner als 1, gilt das Gegenteil.
Tabelle 8 zeigt das Verhältnis für unterschiedliche Bildungsniveaus nach Geschlecht für den
Zeitraum
2005-2010.
Insgesamt
zeigen
die
Ergebnisse
unabhängig
von
den
Ausbildungsgruppen ein erhebliches Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt jedoch
bedeutende Unterschiede zwischen den Bildungsniveaus und Geschlechtern. Arbeitnehmer,
die höchstens die Grundschule absolviert haben, erfahren eine starke negative Diskrepanz,
42
während jene mit Sekundarschulbildung und höherer Bildung mit dem Problem bedeutender
Überqualifizierung konfrontiert werden. Das Diskrepanzverhältnis ist besonders groß für jene
mit einem Universitätsabschluss und anderer höherer Bildung (über 2 seit 2007).
Es gibt zudem signifikante Unausgewogenheiten zwischen den Geschlechtern. Das
Missverhältnis bei Frauen mit entweder allgemeiner oder beruflicher Sekundarschulbildung
ist positiv und höher als bei Männern. Im Gegensatz dazu ist das Missverhältnis bei Männern,
die einen Universitätsabschluss haben, positiv und größer als bei den Frauen.
Tabelle 8: Diskrepanzverhältnisse in Ägypten, 2005-2010
2005
0,050
2006
0,062
6T
Analphabet
Gesamt
Männer
5T
5T
Frauen
0,007
5T
0,011
5T
Können lesen &
schreiben
Gesamt
5T
0,071
5T
0,087
5T
Männer
0,111
5T
0,128
5T
Frauen
0,053
5T
0,079
5T
W eniger als
Mittelstufe
Gesamt
5T
0,307
5T
0,324
5T
Männer
0,435
5T
0,456
5T
Frauen
0,375
5T
0,357
5T
Allgemeine
Sekundarstufe
Gesamt
5T
2,189
5T
2,095
5T
Männer
2,003
5T
1,923
5T
Frauen
2,518
5T
2,341
5T
Technische
Sekundarstufe
Gesamt
5T
Männer
Frauen
Mehr als
Gesamt
Mittelschulabschluss
Männer
5T
1,524
5T
1,528
5T
1,566
5T
1,480
5T
Frauen
1,233
5T
1,258
5T
Gesamt
Universität & höher
1,764
5T
5T
1,790
5T
Männer
1,995
5T
2,091
5T
Frauen
1,254
5T
5T
1,182
5T
Quelle: Bartlett
43
1,605
5T
(2013)
1,411
5T
2,562
5T
5T
2,363
5T
2,295
5T
5T
2,175
5T
2,395
5T
1,795
5T
2,052
5T
5T
1,504
5T
2,157
5T
1,918
5T
1,478
5T
5T
1,793
5T
1,508
5T
2,014
5T
1,792
5T
5T
1,773
5T
1,573
5T
1,776
5T
1,782
5T
5T
1,990
5T
1,709
5T
1,295
5T
2,326
5T
5T
1,531
5T
2,222
5T
1,412
5T
1,644
5T
5T
1,625
5T
1,721
5T
1,294
5T
1,819
5T
5T
1,939
5T
1,867
5T
2,350
5T
1,275
5T
5T
0,838
5T
1,289
5T
1,522
5T
1,448
5T
5T
1,004
5T
1,263
5T
0,578
5T
1,274
5T
5T
1,115
5T
1,161
5T
0,406
5T
0,392
5T
5T
0,334
5T
0,278
5T
0,317
5T
0,454
5T
5T
0,400
5T
0,373
5T
0,147
5T
0,332
5T
5T
0,268
5T
0,268
5T
0,185
5T
0,174
5T
5T
0,167
5T
0,132
5T
0,126
5T
0,148
5T
5T
0,142
5T
0,108
5T
0,031
5T
0,116
5T
5T
0,103
5T
0,088
5T
0,171
5T
0,015
5T
5T
0,082
5T
0,013
5T
6T
5T
0,104
5T
2010
0,090
6T
5T
0,095
5T
2009
0,113
6T
5T
0,118
5T
2008
0,058
6T
5T
0,102
5T
2007
0,052
6T
5T
2,433
5T
1,471
5T
5T
1,741
5T
5. Schulungen in Unternehmen
Der hohe Anteil an Hochschulabgängern an den Arbeitslosen zeigt sowohl das Missverhältnis
zwischen dem Arbeitskräftebedarf und der Bereitstellung von Qualifikationen als auch die
geringe Beteiligung der Unternehmen an der Ausbildung. Hochschulabgänger haben in der
Regel den erforderlichen Hintergrund, um neue Aufgaben zu lernen und sich diesen
anzupassen. Neben dem Bildungssystem ermöglicht die Ausbildung durch Unternehmen den
Arbeitsnehmern, ihre Kenntnisse kontinuierlich zu aktualisieren, was in Ägypten jedoch
immer noch unterentwickelt ist.
Abb. 8 in Abschnitt 3 hat gezeigt, dass Unternehmen in arabischen Ländern immer noch
keinen aktiven Anteil an Ausbildungsprogrammen nehmen. Außer in Algerien ist in Ägypten
der Anteil der Unternehmen, die formale Ausbildungslehrgänge anbieten, gemessen an der
Gesamtanzahl der Unternehmen der niedrigste in der Region, auch wenn er zwischen 2000
und 2009 nicht unerheblich zugenommen hat. Er bleibt jedoch geringer als in fast allen
Vergleichsländern außerhalb der Region.
Einige empirische Studien haben den Effekt von unternehmensgesponserten Ausbildungen in
Entwicklungsländern untersucht. Revenga et al. (1994) haben festgestellt, dass in Mexiko
Ausbildungen die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit reduzieren und die
Monatseinkommen von Männern erhöhen. Attanasio et al. (2008) haben gezeigt, dass in
Kolumbien Ausbildungen sowohl die Einkommen als auch die Beschäftigung erhöhen. Aedo
und Nuñez (2001) kamen in ihrer Studie über Argentinien zu dem Schluss, dass sich
Ausbildungen positiv auf Einkommen und Beschäftigung auswirken. Rosholm et al. (2007)
haben sich mit den Auswirkungen von Ausbildungen auf die Einkünfte von Arbeitnehmern in
kenianischen und sambischen Produktionsunternehmen befasst und festgestellt, dass diese nur
gering positiv ausfallen.
Soweit uns bekannt ist, haben sich nur Achy und Sekkat (2011) sowie Sekkat (2011) mit einer
solchen Frage bei einem arabischen Land befasst, nämlich am Fall von Marokko. Achy und
Sekkat (2011) haben gestützt auf eine Stichprobe großer und kleiner Unternehmen aus sieben
Branchen in Marokko festgestellt, dass die Investition der Unternehmen in Humankapital,
d. h. Ausbildung, ihnen ermöglicht, Arbeitsplätze zu schaffen. Sekkat (2011) hat unter
Verwendung einer ähnlichen Stichprobe im Hinblick auf die Produktivität festgestellt, dass
sich intensive Ausbildung signifikant positiv auf die Produktivität in kleinen und mittleren
Unternehmen auswirkt. Für Ägypten scheint es keine Studie dieser Art zu geben.
44
6. Fazit
Die Bildung von Humankapital ist als Vehikel für wirtschaftliches Wachstum,
Armutsbekämpfung und Reduzierung von Ungleichheiten weithin anerkannt. Statistische
Daten zeigen jedoch, dass der Anteil der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren, die über
keine formale Bildung verfügt, in Ägypten nach Marokko und Jemen der höchste in der
Region ist. Er ist höher als in jedem anderen Vergleichsland außerhalb der Region, außer
Indien und Nicaragua, obwohl die ägyptische Verfassung Bildung als Grundrecht der Bürger
festschreibt und eine Grundschulpflicht besteht. Der Anteil von Personen mit einem tertiären
Abschluss am Bevölkerungsteil zwischen 15 und 65 Jahren ist in Ägypten geringer als in
vielen anderen Ländern innerhalb und außerhalb der MENA-Region.
Gleichzeitig scheinen ägyptische Arbeitgeber Schwierigkeiten zu haben, qualifizierte
Arbeitnehmer zu finden. In 2008 waren nur 18 % aller befragten Unternehmen der Meinung,
dass die Arbeitnehmer über sehr gute Qualifikationen verfügen. Abgesehen vom
Bildungssystem ist das System des lebenslangen Lernens, das Arbeitnehmern ermöglicht, ihre
Kenntnisse kontinuierlich zu verbessern, in Ägypten immer noch unterentwickelt. In diesem
Land ist der Anteil der Unternehmen, die eine formale Ausbildung anbieten, gemessen an der
Gesamtanzahl der Unternehmen der niedrigste in der Region, außer in Algerien, und er ist
geringer als in fast allen Vergleichsländern außerhalb der Region.
Manche Forscher schreiben diese Situation dem Missverhältnis zwischen den Anforderungen
des Arbeitsmarkts und den Qualifikationen zu, die vom Schul- und Berufsbildungssystem
hervorgebracht werden. Das ägyptische Bildungssystem entspricht in groben Zügen den
Bildungssystemen vieler anderer Staaten weltweit. Es besteht aus der Vorschul-, Grundschul-,
Sekundar- und Tertiärstufe. Die Grundschulbildung ist obligatorisch, die Schulpflicht beträgt
9 Jahre: 6 Jahre Primarstufe und 3 Jahre Vorbereitungsstufe. Nach der Primarstufe bietet das
Bildungssystem allgemeine oder berufsbildende Schulprogramme an. Die Bildung auf allen
Stufen wird sowohl von öffentlichen als auch von privaten Einrichtungen zur Verfügung
gestellt. Das öffentliche Bildungssystem ist kostenlos und allen zugänglich. Das private
Bildungsangebot umfasst religiös geprägte Schulen (muslimischer oder christlicher
Ausrichtung) und solche säkularer Art, ägyptisch oder ausländisch getragen. Wie die
öffentlichen Einrichten stehen jedoch auch die privaten Einrichtungen unter staatlicher
Aufsicht. Bei der Finanzierung der öffentlichen Bildung werden die Effizienz der
Bildungseinrichtungen und ihre Leistungen nicht berücksichtigt. Zudem gibt es keinen
direkten Zusammenhang zwischen der Mittelvergabe an die einzelnen Einrichtungen und
45
deren tatsächlicher Bedürfnisse. Das Berufsbildungssystem wird von vielen Beobachtern
ebenfalls kritisiert. Sie legen dar, dass es sein Ziel weitgehend verfehlt hat. Dieser Umstand
wird seiner starken Fragmentierung (zu viele Akteure), einer wenig zielgerichteten
Finanzierung und der unzureichenden Qualifikation der Ausbilder zugeschrieben. Zur
Verbesserung des Berufsbildungssystems wurde mehrere Reformen angestoßen oder bereits
umgesetzt: Unter diesen scheint die Mubarak-Kohl-Initiative Duales System (MKI-DS), die
1991 ins Leben gerufen wurde, sehr erfolgreich gewesen zu sein.
46
Literaturhinweise
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48
Kapitel 3:
Emigration
1. Einführung
Arbeitsmigration ist ein zentrales Merkmal der heutigen internationalen Wirtschaft. Die
neuesten vorhandenen Schätzungen legen nahe, dass es 2010 weltweit 215 Millionen
Migranten 4 gab. Die Hauptquelle dieser Migrationsströme sind Entwicklungsländer. Auf sie
entfielen über 65 Prozent der Gesamtzahl der Emigranten. Über die Ursachen und Folgen
dieses Phänomens wird intensiv diskutiert.
Frühe Untersuchungen über die Migration aus den 1960er und 1970er Jahren unterstützen die
Ansicht, dass die Migration, besonders jene gebildeter Migranten, sich für die
Zurückbleibenden klar nachteilig auswirkt (siehe Docquier und Sekkat, 2006, für eine
ausführlichere Diskussion). Deshalb haben einige Forscher (etwa Bhagwati und Hamada
1974) die Implementierung eines Mechanismus für internationale Geldüberweisungen
gefordert, der die Ursprungsländer für die eingetretenen Verluste entschädigen soll.
Die neuere Literatur verweist auf Möglichkeiten, wie die Migration sich positiv auf die
Wirtschaft des Ursprungslands auswirken kann. Diese umfassen mehrere 'Feedback-Effekte',
z. B.
Geldüberweisungen,
Rückwanderungen,
den
Aufbau
von
Geschäfts-
und
Handelsnetzwerken sowie die Auswirkung von Migrationsaussichten auf die Bildung.
Geldüberweisungen sind häufig eine wesentliche Einkommensquelle in Entwicklungsländern:
sie beliefen sich 2010 auf rund 463 Milliarden US-Dollar 2010 5, etwa soviel wie ausländische
Direktinvestitionen und etwa das Dreifache der offiziellen Entwicklungshilfe (Weltbank,
2006). Insofern können sich Geldüberweisungen stark auf die Armut und auf Entscheidungen
von Haushalten in Bezug auf Arbeitskräfteangebot, Investitionen und Bildung auswirken. Die
Rückwanderung ist ebenfalls eine potentiell wichtige Quelle für positive Feedbacks, obwohl
ihr Ausmaß kaum bekannt ist. Emigranten erwerben Wissen und finanzielle Mittel in reichen
Ländern und verbringen danach den Rest ihrer Berufslaufbahn in ihrem Ursprungsland. Die
Aussicht auf Emigration kann zudem dazu führen, dass mehr Personen in der Heimat in die
Bildung investieren. Wird davon ausgegangen, dass die Wahrscheinlichkeit der Migration von
den Bildungsanforderungen abhängt und der Bildungsertrag in entwickelten Ländern höher
4
http://econ.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/EXTDEC/EXTDECPROSPECTS/0,,contentMDK:22803131~
pagePK:64165401~piPK:64165026~theSitePK:476883,00.html
5
www.worldbank.org/prospects/migrationandremittances.
49
ist, dann erhöhen Migrationsaussichten den erwarteten Bildungsertrag und damit die
Investitionen in die Bildung von Humankapital. Schließlich kann die Bildung von
Migrantennetzwerken die Bewegung von Waren, Faktoren und Ideen zwischen den
Aufnahmeländern der Migranten und ihrer Heimat erleichtern. Ethnische Netzwerke helfen
bei der Beseitigung von Informationsproblemen im Zusammenhang mit der Beschaffenheit
der ausgetauschten Waren.
Ein neuer Bereich der Literatur befasst sich mit den nicht wirtschaftlichen Auswirkungen der
Migration auf das Ursprungsland. Sie können verschiedene Bereiche betreffen, wie etwa
ethnische Diskriminierung, Fruchtbarkeit, Korruption, Demokratie und die Qualität
öffentlicher Einrichtungen.
Gestützt auf die hier bereits gewonnenen Einsichten aus der Literatur untersucht das
vorliegende Kapitel die Auswirkungen der Migration auf die wirtschaftliche Entwicklung und
das Wirtschaftswachstum in Ägypten. Das Kapitel ist wie folgt unterteilt: Abschnitt 2 enthält
eine statistische Analyse der ägyptischen Emigration im Allgemeinen sowie nach
Emigrationsziel und Bildungsniveau. In Abschnitt 3 werden die Determinanten dieser
Emigrationsströme diskutiert. Abschnitt 4 untersucht die Auswirkungen der Emigration auf
das
Heimatland
der
Emigranten.
Dabei
wird
zwischen
den
wirtschaftlichen
(Geldüberweisungen, Rückwanderung usw.) und den nicht wirtschaftlichen Auswirkungen
(Fruchtbarkeit, Qualität der öffentlichen Einrichtungen, Demokratie usw.) unterschieden.
Abschnitt 5 zieht Bilanz.
2. Statistische Analyse
2.1
Internationaler Vergleich
Abb. 1 zeigt, dass ägyptische Emigranten etwas mehr als 4 % der in Ägypten lebenden
Bevölkerung ausmachen. Dieser Prozentanteil liegt, obwohl nicht unerheblich, weit unter dem
in vielen anderen Ländern der Region. Ägyptische Emigranten leben hauptsächlich in anderen
arabischen Ländern (Abb. 2). Der Anteil solcher Emigranten an der Gesamtemigration ist viel
höher als in anderen Ländern in der Region. Der größte Teil der algerischen, marokkanischen,
tunesischen
und
türkischen
Emigranten
lebt
in
Europa.
Die
unterschiedlichen
Emigrationsziele der Emigranten einzelner Länder in der Region könnten einige Unterschiede
bei den Auswirkungen der Emigration zwischen den Ländern erklären, wie nachstehend
gezeigt werden soll.
50
Abb. 1: Emigrationsrate in 2010 (in % der Bevölkerung)
16,0
14,0
12,0
10,0
8,0
6,0
4,0
2,0
0,0
Quelle:
http://econ.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/EXTDEC/EXTDECPROSPECTS/0,,contentMDK:22803131~
pagePK:64165401~piPK:64165026~theSitePK:476883,00.html
Abb. 2: Emigration nach Ziel in 2010 (in %)
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
Andere
EU
Arabische Länder
Nordamerika
Quelle:
http://econ.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/EXTDEC/EXTDECPROSPECTS/0,,contentMDK:22803131~
pagePK:64165401~piPK:64165026~theSitePK:476883,00.html
Bei der Diskussion der Auswirkungen der Emigration auf das Ursprungsland standen zwei
Aspekte im Mittelpunkt: die Geldüberweisungen, die häufig eine Haupteinkommensquelle
von Entwicklungsländern sind, und die Abwanderung von Fachkräften, die generell als
bedeutender Kostenfaktor für solche Länder gilt. Der weitere internationale Vergleich wird
sich daher auf diese beiden Aspekte konzentrieren.
Abb. 3 zeigt den Anteil der persönlichen Geldüberweisungen am BIP, die in ausgewählten
Ländern der Region empfangen wurden. Zwischen 2000 und 2012 lag der größte Anteil, wenn
auch abnehmend, in Jordanien. Unter den übrigen Ländern hatte Ägypten den zweithöchsten
Anteil nach Marokko. In diesem Zeitraum hat der Anteil in Ägypten kontinuierlich
51
zugenommen und erreichte 2012 bereits einen Wert (7,32 %), der höher war als jener von
Marokko (6,79 %).
Gemäß Wahba (2014) steht Ägypten in der Liste der größten Empfängerländer von
Geldüberweisungen, die 2012 in Entwicklungsländer überwiesen wurde, an sechster Stelle.
Die Geldüberweisungen nach Ägypten haben seit 2009 erheblich zugenommen und 2012 etwa
die Summe von insgesamt 19 Milliarden US-Dollar erreicht. Geldüberweisungen sind die
größte Quelle nicht arbeitsbezogenen Einkommens von Haushalten. 2012 haben etwa 4 % der
Haushalte Geldüberweisungen von Haushaltsmitgliedern oder anderen Verwandten im
Ausland erhalten. Überraschenderweise gleicht dieser Anteil dem Anteil im Jahre 2006,
obwohl die Anzahl der Haushalte in 2012 im Vergleich zu 2006 gestiegen ist.
Abb. 4 vergleicht das Ausmaß der Fachkräfteabwanderung und der Abwanderung von gering
qualifizierten Arbeitskräften in ausgewählten Ländern. Die Quoten der Abwanderung von
gering qualifizierten Arbeitskräften sind stets geringer als die Fachkräfteabwanderung. In
Bezug auf letztere ist Marokko am stärksten betroffen, und zwar mit einem Anteil der
Abwanderung von Fachkräften an der gesamten gebildeten Bevölkerung von etwa 16,5 %.
Marokko wird dicht gefolgt vom Iran (mehr als 14 %) und dann von Irak und Tunesien (etwa
12 %). In Ägypten ist die Fachkräfteabwanderung nach Libyen am geringsten.
Abb. 3: Erhaltene persönliche Geldüberweisungen (in % des BIP)
25,00
Algerien
20,00
Ägypten
Israel
15,00
Jordanien
10,00
Marokko
Syrien
5,00
Tunesien
0,00
Türkei
Quelle: www.worldbank.org/prospects/migrationandremittances)
52
Abb. 4: Migration und Fachkräfteabwanderung in der MENA-Region im Jahr 2000
Quelle: Docquier and Marchiori (2010).
2.2
Die ägyptische Emigration näher betrachtet
Die ägyptische Emigration ist ein relativ neues Phänomen, da sie hauptsächlich in den 1970er
Jahren begonnen hat. Diese Entwicklung ergab sich aus dem hohen Arbeitskräftebedarf von
arabischen Ländern, die vom starken Anstieg der Ölpreise profitierten, und aus einer
ägyptischen Gesetzesreforn, die temporäre und dauerhafte Migration erleichterte (Amer und
Fargues, 2014). Die ägyptischen Migrationsströme schwanken seit den 1970er Jahren
aufgrund von Ölpreisschwankungen, politischen Spannungen in der Region (z. B. Irak-IranKrieg, Golfkrieg) und gesetzgeberischen Massnahmen, die in Golfländern die eigenen
Staatsbürger bevorzugen, stark (Amer und Fargues, 2014). Tabelle 1 bestätigt die Ergebnisse
unserer darstellenden Analyse: Arabische Länder nehmen 93 % der Migranten auf, und
nahezu zwei Drittel der ägyptischen Emigranten fanden Aufnahme in den Golfstaaten.
Tabelle 1: Die Emigrationsziele ägyptischer Migranten 2006
Zielländer
in %
Saudi-Arabien
Jordanien
Libyen
Kuwait
Emirate
OECD – Europa
USA und Kanada
Sonstige arabische Länder
Sudan und Subsahara-Afrika
37,43
16,11
13,64
12,27
11,56
2,24
1,89
1,68
1,24
Quelle: Amer und Fargues (2014)
53
Abb. 5 fasst das allgemeine Bildungsprofil ägyptischer Emigranten zusammen. Das
Bildungsprofil heutiger und früherer Migranten (Rückkehrmigranten) ist relativ ähnlich. Es
unterscheidet sich jedoch vom Profil von Nichtmigranten. Migranten sind in der Regel
gebildeter als Nichtmigranten. Die Hälfte der Nichtmigranten hat keine Bildung der unteren
Sekundarstufe
im
Vergleich
zu
35 %
und
40 %
der
heutigen
Migranten
und
Rückkehrmigranten. Des Weiteren sind weniger als ein Viertel der Emigranten Analphabeten
oder ohne Schulabschluss, verglichen mit über einem Drittel der Nichtmigranten. Zwischen
22 % und 25 % der Emigranten haben mindestens einen Universitätsabschluss, gegenüber nur
16 % der Nichtmigranten..
Abb. 5: Bildung von Nichtmigranten, heutigen Migranten und Rückkehrmigranten 2006 (in %)
Quelle: Amer und Fargues (2014)
Das Bildungsprofil ägyptischer Emigranten unterscheidet sich auch nach dem Zielland
(Wahba, 2010)). 2006 hatten etwa 71 % der Ägypter, die in arabischen Ländern arbeiteten,
einen Mittelstufen- oder unteren Mittelstufenabschluss und 25,8 % einen höheren Abschluss.
Etwa 50 % der ägyptischen Migranten in Europa haben ein mittleres und 17 % ein höheres
Bildungsniveau. Schließlich besitzen 76,2 % der ägyptischen Migranten in den USA einen
Hochschulabschluss und 16,1 % einen Abschluss der Mittelstufe.
54
3. Die Entscheidung zur Migration
Das Ausmaß der Emigration kann durch viele Schub- und Sog-Faktoren und durch
geografische, historische und sprachliche Distanzen zwischen den Ländern erklärt werden.
Zahlreiche
empirische
Arbeiten
haben
die
Determinanten
der
internationalen
Migrationsströme untersucht. Sie haben folgende Faktoren als Determinantenausgemacht:
•
Einkommensunterschiede zwischen den Ländern;
•
Anteil der Bevölkerung zwischen 15 und 39 Jahren in den Ursprungs- und
Zielländern;
•
Anteil an Immigranten in der Gesellschaft;
•
Ausmaß der Armut im Ursprungsland.
Marfouk (2006) hat aufgrund von bilateralen Daten auf dem Jahr 2000 zur Emigration aus
153 Entwicklungsländern in 30 Zielländer die Rolle von Determinanten der bilateralen
Emigrationsströme einzuschätzen versucht. Dabei ist ein wichtiger Punkt die Unterscheidung
zwischen der Emigration von Menschen mit und ohne Bildung. Tabelle 2 zeigt die Elastizität
der bilateralen Emigrationsraten für alle unabhängigen Variabeln.
Tabelle 2: Die Elastizität der Emigrationsrate
Geringqualifizierte
Hochqualifizierte
Gesamt
0,4490**
0,7876**
0,6476**
-2,94
-5,29
-4,41
0,9182**
1,1537**
1,1049**
-4,49
-5,78
-5,61
-0,2571**
-0,3267**
-0,3090**
-3,66
-4,77
-4,56
Geografische Entfernung (Herkunft-Ziel), 1.000 km
-1,4607**
-1,2108**
-1,4648**
-8,12
-6,85
-8,43
Geografische Entfernung (Herkunft-Ziel), 1.000 km, quadriert
0,4487**
0,1818
0,3987**
-4,42
-1,81
-4,08
Frühere koloniale Bindungen
0,0631**
0,0404**
0,0316**
-13,75
-9,19
-7,2
Sprachliche Nähe
-0,0016
0,0838**
0,0458**
-0,14
-7,79
-4,28
3,6510**
5,4343**
4,5875**
-10,49
-15,56
-13,42
-0,2697**
-0,3287**
-0,2574**
-4,5
-5,6
-4,49
0,1956**
0,1900**
0,2087**
-3,87
-3,85
-4,27
GNI, PPP angepasst, Pro-Kopf-'Ziel/Herkunft'-Quote
GNI, PPP angepasst (Herkunft), 1.000
GNI, PPP angepasst (Herkunft), 1.000, quadriert
Population (Ziel), in Log
Arbeitslosenrate (Ziel), in Prozent
Diversifikation (Ziel)
55
Geringqualifizierte
Hochqualifizierte
Gesamt
1,3086**
1,1997**
1,0912**
-10,03
-9,33
-8,65
Zuwanderungspolitik (EU15)
-0,1515**
-0,2157**
-0,1846**
-3,99
-5,74
-5
Zuwanderungspoliitik (CAN, AUS, NEZ, USA)
0,1082**
0,1753**
0,1287**
-6,8
-11,21
-8,4
0,0712
0,1328**
0,1094*
-1,42
-2,7
-2,25
1,4877**
1,5974**
2,3277**
-6,12
-6,68
-9,97
0,0167**
0,0149**
0,1324*
-2,55
-2,32
-2,08
Öffentliche Sozialausgaben (Ziel), in Prozent des BIP
Religiöse Zersplitterung (Herkunft)
Bevölkerung 15-29 (Herkunft), in Prozent der Gesamtbevölkerung
Bürgerkriege (Herkunft) – Kriegsopfer
Quelle: Docquier and Sekkat (2006). Hinweis: Abhängige Variable: Emigrationsrate (in Prozent),
Schätzmethode: Tobit-Regressionen, die Zahlen in Klammern sind die absoluten Werte der t-Verhältnisse; **
signifikant bei 1 %; *signifikant bei 5 %.
Diese Regressionen zeigen, dass die Determinanten der Migration zwischen Bildungsgruppen
variieren. Die globale Regressionsanalyse ohne Berücksichtigung der Bildungsunterschiede
marginalisiert die äußerst starke Heterogenität. Die Ergebnisse zeigen insbesondere
folgendes:
•
Hochqualifizierte Arbeitnehmer reagieren empfindlicher auf Unterschiede in Bezug
auf den Lebensstandard. Eine Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommensunterschieds um
10% zwischen den Ziel- und Ursprungsländern bewirkt eine Erhöhung der Rate der
hochqualifizierten Emigration um 7,9 % gegenüber einer Erhöhung von nur 4,5 % bei
gering qualifizierten Arbeitnehmern.
•
Während der Effekt der Entfernung sowohl bei qualifizierten als auch bei
unqualifizierten Arbeitnehmern negativ ist, ist die Auswirkung der Entfernung im
Quadrat positiv, d. h. der marginale Effekt der Entfernung ist abnehmend.
•
Koloniale Verbindungen aus der Vergangenheit spielen eine wichtige Rolle. Der
Effekt dieser Variable ist bei unqualifizierten Arbeitnehmern ausgeprägter.
•
Die qualifizierte und unqualifizierte Emigrationsrate steht in umgekehrtem Verhältnis
zur Arbeitslosenquote im Zielland. Die Migration von hoch qualifizierten Emigranten
wird stärker von Arbeitsmöglichkeiten im Zielland beeinflusst als die Migration von
gering qualifizierten Emigranten.
•
Die Bevölkerung im Zielland verkörpert die Immigrationskapazität und die
wirtschaftlichen Möglichkeiten im Zielland. In Bezug auf den Einkommenseffekt sind
qualifizierte Arbeitnehmer empfänglicher für wirtschaftliche Gelegenheiten.
56
•
Sozialhilfeprogramme wirken sich sowohl auf die qualifizierte als auch auf die
unqualifizierte Migration aus.
•
Die Größe der jungen Alterskohorten in den Ursprungsländern ist ein wichtiger
Faktor, der die Süd-Nord-Migration antreibt.
•
Zunächst wäre darauf hinzuweisen, dass bei steigender Opferzahl in Bürgerkriegen,
die Emigration sowohl bei Qualifizierten als auch bei Unqualifizierten befördert wird.
•
Sprachliche Nähe ist nur für hoch qualifizierte Migranten signifikant. Die Erklärung
ist, dass die vor der Migration erworbenen Qualifikationen besser auf die Zielländer
übertragbar sind, in denen die gleiche Sprache gesprochen wird.
•
Schließlich versucht die europäische Immigrationspolitik die Emigration sowohl von
hochqualifizierten als auch von gering qualifizierten Arbeitnehmern zu verhindern.
Die Elastizität ist besonders negativ für die Qualifizierten. Im Gegensatz dazu
favorisieren die vier traditionellen Immigrationsnationen (Australien, Kanada,
Neuseeland und die USA) alle Formen der Immigration, jedoch hauptsächlich die
qualifizierte Immigration.
Amer und Fargues (2014) stellen eine mikroökonomische Analyse der Determinanten der
Emigration in Ägypten vor. Die Studie präsentiert insbesondere die Ergebnisse einer
neuerlichen Umfrage über die Einstellung der ägyptischen Jugend zur Emigration. Diese
Studie wurde vom Zentrum für Migrationspolitik entwickelt und 2013 vom ägyptischen
Forschungszentrum für öffentliche Meinung (Centre for Public Opinion Research) (Baseera)
über Telefoninterviews durchgeführt. Von 2.509 Personen im Alter von 18-35, die telefonisch
befragt wurden, gaben 468 (18,7 %) an, sie hätten die Absicht zu emigrieren. Von diesen
waren 81,8 % männlich und 18,2 % weiblich. Von den 468 Personen haben 104 (22 %) eine
dauerhafte Emigration und 364 (78 %) eine langfristige, jedoch nicht dauerhafte Migration
geplant.
Die Autoren haben die Antriebsfaktoren für die Emigration in drei Gruppen eingeteilt:
individuelle Merkmale, die aktuelle Situation zum Zeitpunkt der Umfrage und Vertrautheit
mit der Migration.
Sie haben drei individuelle Merkmale gefunden, die emigrationsfördernd wirken:
1. Hochschulbildung: 65,4 % der Betroffenen haben eine Hochschulbildung (mit oder
ohne Abschluss).
2. Familienstand: 50,9 % der Betroffenen sind noch ledig. Familiäre Verpflichtungen
sind ein Hinderungsfaktor für die Migration.
3. Religion: Christ zu sein, ist ein Antriebsfaktor für die Emigration.
57
Drei Aspekte hinsichtlich der aktuellen Situation des Landes tragen dazu bei, junge
Menschen zur Emigration zu bewegen.
1. Die Suche nach (besserer) Beschäftigung: Die Aussicht auf eine Arbeit ist der
Hauptantriebsfaktor für die Emigration unter jungen Ägyptern.
2. Überqualifizierung: Die Unzufriedenheit mit der aktuellen Beschäftigung und die
Unterbeschäftigung sind in der Tat gewichtige Erklärungen dafür, dass junge
Menschen die Emigration in Erwägung ziehen.
3. Fehlendes Vertrauen in die Stabilität Ägyptens: Potenzielle Emigranten haben ihre
Bedenken über die Zukunft ihres Landes zum Ausdruck gebracht, eine
Stimmungslage, die mit dem Migrationswunsch verbunden wird.
Zwei Aspekte der Kontakte mit Emigranten machen die Emigration zu einer realistischen
Option:
1. Die Berührung mitder Migrationserfahrung anderer: 87,1 % der Befragten, die eine
Migrationsabsicht erklärten, haben von ständig im Ausland lebenden Landsleuten
gehört,
während
der
entsprechende
Prozentanteil
unter
jenen,
die
keine
Migrationsabsicht angaben, bei 70,4 % lag. Der Kontakt mit der Migrationserfahrung
anderer wird zu einem noch stärkeren Antriebsfaktor für die Migration, wenn die
Erfahrungen der ständig im Ausland lebenden Landsleute als positiv angegeben
werden.
2. Ein Land, in dem Verwandte und Freunde im Ausland leben: Das bestimmt die
Emigrationsbereitschaft unabhängig von dem Land, in den die Verwandten oder
Freunde leben, außer für Saudi-Arabien. Weniger potenzielle Emigranten haben
Verwandte oder Freunde, die in Saudi-Arabien leben. Im Gegensatz dazu, sind
Verwandte und Freunde, die im Westen leben, z. B. in den USA, Kanada und
Frankreich, ein leistungsstarker Antriebsfaktor für die Migration.
Die Umfrage gibt zudem Aufschluss über die Gründe für die Rückkehr. Gefragt, was sie zur
Rückkehr nach Ägypten veranlassen würde, gab die Mehrheit der Befragten an, dass familiäre
Angelegenheiten ein zwingendes Motiv darstellten. Jedoch nur eine Minderheit war der
Auffassung, dass das Finden einer geeigneten Arbeitsstelle in Ägypten oder eine Heirat für sie
ein ausreichender Grund sein würde, zurückzukehren, wenn sie einmal im Ausland sind. Die
Bedeutung der Rückkehrfaktoren variiert geschlechtsspezifisch nicht.
58
4. Auswirkungen der Emigration auf das Heimatland
Die frühe Literatur, die sich mit der Migration befasst, stammt aus den 1960ern und 1970ern
und unterstützt die Ansicht, dass die Migration, besonders die qualifizierte, für die
Zurückbleibenden
zweifelsfrei
nachteilig ist.
Folglich
haben
einige
Autoren
die
Implementierung eines Mechanismus für internationale Geldüberweisungen verlangt, der die
Ursprungsländer für die eingetretenen Verluste kompensiert. Die jüngste Literatur, die sich
mit der Auswirkung der Emigration auf das Ursprungsland auseinandersetzt, verweist auf die
positiven Feedbacks in Bezug auf Geldüberweisungen, Rückwanderung, Geschäfts- und
Handelsnetzwerke, Humankapital und die Qualität von Einrichtungen. Die vorhandene
Literatur, die sich auf Ägypten konzentriert, hat jedoch nur einen Teil dieser Auswirkungen
angesprochen.
4.1.
Geldüberweisungen
Geldüberweisungen haben eine starke Auswirkung auf die Armut und auf Entscheidungen
von Haushalten in Bezug auf Arbeitskräfteangebot, Investitionen und Bildung. Tabelle 5, in
der die Hauptergebnisse einer jüngsten Umfrage dargestellt werden, bietet jedoch ein relativ
pessimistisches Bild in Bezug auf die Verwendung von Geldüberweisungen in Ägypten. Sie
zeigt, dass die täglichen Kosten den Hauptteil des Einkommens aus Geldüberweisungen
absorbieren, während begrenzte Mittel für Investitionen ausgegeben werden.
Tabelle 5: Die Verwendung von Geldüberweisungen
Algerien
Ägypten
Jordanien
Libanon
Marokko
Tunesien
Syrien
Tägliche
Kosten
45
43
74
56
46
61
Zahlung von
Schuhlgebühren
13
12
16
24
31
23
11
Hausbau
Firmengründung
Investitionen
Sonstiges
23
18
4
5
16
34
8
3
5
2
-
5
15
6
5
5
16
-
11
12
5
2
25
20
Anzahl der
Befragten
64
31
40
41
40
40
49
Quelle: Marchetta (2012).
Diese pessimistische Sicht der Verwendung von Geldüberweisungen wurde kürzlich von
Billmeier und
Massa
(2009),
die sich
mit
den
indirekten
Auswirkungen
von
Geldüberweisungen auf Investitionen auseinandersetzten, in Frage gestellt. Die Autoren
haben untersucht, ob Geldüberweisungen zur Vertiefung der Kapitalmärkte in einer Reihe von
17 Ländern im Nahen Osten und in Mittelasien, einschließlich Ägypten, Jordanien, Libanon,
59
Marokko und Tunesien, beitragen. Sie fanden heraus, dass Geldüberweisungen von
Emigranten sich stark auf das Kapitalisierungsniveau der Aktienmärkte in nichterdölexportierenden Ländern auswirken, da sie eine Quelle privater Ersparnisse darstellen und
die im Wirtschaftssystem zirkulierende Liquidität erhöhen. Die Ergebnisse legen daher nahe,
dass die Makro-, nicht die Mikroeffekte von Geldüberweisungen auf Investitionen maßgebend
sein könnten. Des Weiteren haben die Autoren gezeigt, dass die Auswirkungen von durch
Geldüberweisungen finanzierten Investitionen auf den Arbeitsmarkt möglicherweise nicht auf
Migrantenbereiche beschränkt sind.
Adams und Page (2003) haben die Auswirkungen von Erdölerträgen, Geldüberweisungen und
der Beschäftigung im öffentlichen Dienst auf die Reduzierung von Ungleichheit und Armut
untersucht. Sie haben gestützt auf eine Gruppe von 50 Entwicklungsländern, einschließlich
Ägypten, einfache ökonometrische Modelle durchgerechnet. Diese Modelle verknüpfen
entweder das Armuts- oder das Ungleichheitsniveau mit dem Niveau der oben beschriebenen
Variablen sowie weiterer Kontrollvariablen. Die Ergebnisse der Auswirkung von
Geldüberweisungen auf die Armut legen nahe, dass Geldüberweisungen die Armut in der
MENA-Region
signifikant
reduzieren.
Der
Effekt
ist
größer
als
in
anderen
Entwicklungsländern. Geldüberweisungen scheinen jedoch keine signifikante Auswirkung auf
die Ungleichheit in der Region zu haben. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass sich
Geldüberweisungen aus dem Ausland möglicherweise gut über die gesamte Bevölkerung
verteilten und die absolute Armut reduzierten, die Ungleichheit insgesamt jedoch unverändert
ließen.
Sharaf (2014) hat den langfristigen kausalen Zusammenhang zwischen Geldüberweisungen
und dem BIP in Ägypten für den Zeitraum von 1977-2012 untersucht. Die Ergebnisse haben
gezeigt, dass zwischen Geldüberweisungen und dem BIP ein langfristiger Zusammenhang
besteht, und zwar wirken sich Geldüberweisungen statistisch signifikant kausal positiv auf das
BIP aus. Letzteres lässt jedoch langfristig in Ägypten keine Aussage über die Entwicklung
von
Geldüberweisungen
zu.
Die
Ergebnisse
bestätigen
die
Bedeutung
von
Geldüberweisungen für die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums in Ägypten. Elseoud
(2014) hat die Auswirkungen von Geldüberweisungen von Arbeitnehmern auf diverse
makroökonomische Variabeln in Ägypten während des Zeitraums von 1991-2011 untersucht.
Die Ergebnisse zeigen das Vorhandensein eines langfristigen Zusammenhangs zwischen den
Geldüberweisungen
von
Arbeitnehmern
und
den
makroökonomischen
Variabeln.
Insbesondere liegt eine unidirektionale Kausalität von Geldüberweisungen zu privater
Vermögensbildung und zu Exporten vor, während eine bidirektionale Kausalität zwischen
60
Geldüberweisungen und privatem Verbrauch, Staatsausgaben und wirtschaftlichem
Wachstum besteht.
Elbadawy und Roushdy (2009) haben die Auswirkungen der internationalen Migration und
Geldüberweisungen auf Schulbesuch und Kinderarbeit Ägypten untersucht, gestützt auf die
Erhebungen des ägyptischen Arbeitsmarktspanels (ELMP) von 2006. Sie haben festgestellt,
dass Geldüberweisungen sich bei männlichen Jugendlichen im Universitätsalter stark positiv
auf die Teilnahme an entsprechenden Bildungsangeboten auswirken. Die Migration hat einen
positiven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit des Schulbesuchs junger Mädchen und einen
leichten Einfluss auf die Beanspruchung von Bildungsangeboten durch Frauen im
Universitätsalter. In Bezug auf Kinderarbeit hat sich gezeigt, dass Migration und
Geldüberweisungen die Kinderarbeit bei Knaben signifikant reduziert. Das Leben in einem
Migrantenhaushalt scheint jedoch die Wahrscheinlichkeit leichter Hausarbeit bei älteren
Knaben zu erhöhen. Was die Arbeit von Mädchen anbetrifft, wird die lange Dauer der
Hausarbeit durch Geldüberweisungen reduziert.
Koska et al. (2013) haben die obigen Befunde in einem gewissen Umfang abgeschwächt. Sie
haben die Rollen der Migration und der Geldüberweisungen bei der Bildung von
Humankapital von Kindern in Ägypten untersucht, gestützt Erhebungen des ägyptischen
Arbeitsmarktpanels (ELMP) von 1998 und 2006. Das Papier prüft zwei gegenläufige Effekte
von Geldüberweisungen und Emigration. Einerseits können Geldüberweisungen einen
positiven Effekt auf das Einkommen ausüben und daher die Bildung des Haushalts erhöhen.
Andererseits können sich Geldüberweisungen nachteilig auswirken, wenn sie signalisieren,
dass sich unqualifizierte Arbeit auszahlt und zusätzliches Einkommen unabhängig von der
Ausbildung verdient werden kann. Des Weiteren kann die Emigration zu einer Zunahme der
häuslichen Arbeitsbelastung von nichtmigrierenden Haushaltsmitgliedern führen, auf Kosten
der Zeit für Schulbesuche. Die Ergebnisse zeigen, dass der positive Einkommenseffekt und
der negative Effekt der Familienzerrüttung parallel existieren. Durchschnittlich erhöht eine
Steigerung von 10% der Wahrscheinlichkeit, Geldüberweisungen zu erhalten, die
Wahrscheinlichkeit der Einschulung um 1,5 % und reduziert die Wahrscheinlichkeit der
Teilnahme am Arbeitsmarkt um 3 %. Der befähigende Effekt der Emigration scheint also die
schädlichen Effekte der Geldüberweisungen zu überwiegen.
Majeed
(2014) hat
Geldüberweisungen
in
unter
einer
Untersuchung
Verwendung
eines
zur Armut
die Auswirkungen
internationalen
Paneldatensatzes
von
aus
65 Entwicklungsländern, einschließlich Ägypten, für den Zeitraum von 1970-2008 geprüft.
Die Studie unterscheidet sich von der vorhandenen Literatur zu den Auswirkungen von
61
Geldüberweisungen auf die Armut, indem sie explizit auf die Bedeutung der finanziellen
Entwicklung hinweist, die diesen Zusammenhang beeinflusst. Der Autor hat gezeigt, dass die
Auswirkungen von Geldüberweisungen auf die Armut vom Niveau der finanziellen
Entwicklung
der
die
Wirtschaftssysteme
Geldüberweisungen
mit
niedrigem
empfangenden
finanziellen
Wirtschaft
abhängt.
Entwicklungsniveau
Auf
scheinen
Geldüberweisungen einen nachteiligen Effekt zu haben, während Wirtschaftssysteme mit
vergleichsweise entwickelten Finanzsystemen nicht unter den nachteiligen Effekten von
Geldüberweisungen leiden. Insgesamt führen Geldüberweisungen zur Akzentuierung und
nicht zur Linderung der Armut in Ländern mit niedrigem finanziellen Entwicklungsniveau.
4.2
Rückwanderungen
Gemäß Wahba (2007) ist das Problem der Rückwanderungen im Fall von Ägypten besonders
interessant. Emigration ist naturgemäß zunächst temporär. Die Rückwanderung ist daher nicht
notwendigerweise das Ergebnis einer gescheiterten Auslandserfahrung. Zweitens ist der
Zweck der Emigration Erwerbstätigkeit und nicht Bildung. Anders ausgedrückt, migrieren
ägyptische Migranten nicht, um höhere Abschlüsse und eine formale Bildung zu erwerben.
Dies ermöglicht, die Auswirkungen von Arbeitsaufenthalten im Ausland und des Erwerbs
einer formalen Ausbildung gesondert zu betrachten. Drittens tendieren Rückkehrmigranten in
Ägypten zu heterogenem Bildungsniveau, was eine Differenzierung zwischen den
Auswirkungen von Arbeitsaufenthalten im Ausland auf gebildete und ungebildete
Arbeitnehmer ermöglicht.
In Bezug auf die Auswirkungen der Rückkehrmigration auf das Ursprungsland haben
McCormick und Wahba (2001) den Zusammenhang zwischen der Beschäftigung im Ausland
und den Ersparnissen, einerseits, und unternehmerischer Tätigkeit nach der Rückkehr,
andererseits, untersucht. Sie haben unter Verwendung eines ökonometrischen Modells der
Wahrscheinlichkeit, Unternehmer zu sein, Belege für die Hypothese gefunden, dass sowohl
Ersparnisse von Arbeit im Ausland als auch die Dauer des Auslandsaufenthalts die
Wahrscheinlichkeit, Unternehmer zu werden, unter gebildeten Rückkehrern in Ägypten
erhöhen. Unter den ungebildeten Rückkehrern erhöhen Ersparnisse im Ausland allein die
Wahrscheinlichkeit, Unternehmer zu werden. Die Ergebnisse für Gebildete legen nahe, dass
der Erwerb von Qualifikationen im Ausland möglicherweise bei der Erklärung, wie Chancen
im Ausland das Unternehmertum nach der Rückkehr beeinflussen, eine substantiellere Rolle
spielt als Ersparnisse.
62
Wahba (2007) hat sich mit den Gehältern von Migranten nach der Rückkehr und damit
befasst, wie sie durch die temporäre Arbeitserfahrung im Ausland und das Humankapital
beeinflusst werden, das Migranten im Ausland erworben haben. Um zu untersuchen, in
welchem Ausmaß sich temporäre Arbeitserfahrung im Ausland bei der Rückkehr auf
Humankapital und Gehälter auswirkt, hat sie das Lohngefälle zwischen Rückkehrmigranten,
Nicht-Migranten unter angestellten Arbeitskräften geschätzt. Unter Verwendung der Daten
aus der Umfrage zum ägyptischen Arbeitsmarkt und der Stichprobenerhebung über
Arbeitskräfte von 1998 hat sie festgestellt, dass temporäre Migration bei rückkehrenden
Migranten zu einer Gehaltsprämie führt. Rückkehrmigranten verdienen durchschnittlich etwa
38 Prozent mehr als Nicht-Migranten.
Wahba und Zenou (2012) haben bei der Frage, ob Rückkehrmigranten eher Unternehmer
werden als Nicht-Migranten aus Ägypten, untersucht, wie Sachkapital und Sozialkapital
interagieren. Sozialkapital kann als Determinante der Unternehmerschaft eine Rolle spielen,
weil Unternehmer sich in Bezug auf Informationen und Dienstleistungen auf ihre Kontakte
stützen. Das Leben im Ausland kann den Emigranten einen Teil ihres Sozialkapitals im
Ursprungsland entziehen. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass selbst wenn die Rolle des
Sozialkapitals konstant gehalten wird, ein Rückkehrer aus dem Ausland wahrscheinlicher
Unternehmer wird als ein Nicht-Migrant. Obwohl Migranten der Verlust ihres Sozialkapitals
droht , sammeln sie im Ausland Ersparnisse und Erfahrungen, die Ihre Chance, Unternehmer
zu werden, erhöhen.
Marchetta (2012) hat untersucht, ob Rückkehrer in der Lage sind, ihre Unternehmen in
Ägypten am Leben zu erhalten. Der Erwerb von Qualifikationen in den Zielländern kann die
unternehmerischen Fähigkeiten der Rückkehrer verbessern. Des Weiteren können ihre
angesammelten Ersparnisse nicht nur helfen, die Start-up-Kosten zu decken, sondern auch
Kredithürden zu überwinden. Bei der Analyse wurde zudem berücksichtigt, dass Emigranten
der Verlust eines Teils ihres Sozialkapitals droht und dass sie zurück in der Heimat bessere
Möglichkeiten als angestellte Arbeitnehmer haben. Infolgedessen haben sie möglicherweise
weniger Anreize, um für den Erhalt ihres Unternehmens zu kämpfen. Die Ergebnisse zeigen,
dass unternehmerische Aktivitäten ägyptischer Rückkehrer eine signifikant höhere
Wahrscheinlichkeit haben, langfristig zu überdauern als die von Nicht-Rückkehrern. Sie
bestätigen zudem die Länge der Migrationserfahrung und die Ersparnisse als Determinanten
der Berufswahl. In Bezug auf das Bildungsniveau gibt es jedoch einen Unterschied: Weniger
gebildete investieren mehr. Von den Rückkehrern, die in unternehmerische Tätigkeit
investiert haben, verfügen 28% über eine höhere Bildung, und von den Rückkehrern, die
63
keine solche Investition getätigt haben, sind es 47 %, wobei diese Differenz statistisch
signifikant ist. Die Daten zeigen zudem, dass das Emigrationsziel eine Rolle spielt:
Rückkehrer aus Europa haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, Unternehmer zu werden.
4.3
Sonstige Auswirkungen
Bislang haben sich die genannten Ergebnisse mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der
Emigration auf das Ursprungsland auseinandergesetzt. Ein neuer Literaturbereich befasst sich
derzeit mit den nicht wirtschaftlichen Auswirkungen der Migration auf das Ursprungsland.
Solche Auswirkungen umfassen die verschiedensten Aspekte, einschließlich ethnischer
Diskriminierung, Fruchtbarkeit, Demokratie und der Qualität von Einrichtungen.
Fargues (2006) hat die Auswirkung von Geldüberweisungen auf die demografische
Entwicklung von Entwicklungsländern untersucht. Dazu hat er die Fruchtbarkeitssituation in
drei Mittelmeerländern untersucht: Marokko, Türkei und Ägypten. Er hat festgestellt, dass
Geldüberweisungen mit geringer Fruchtbarkeit in den ersten beiden Ländern und mit höherer
Fruchtbarkeit im dritten Land einhergehen und legte dar, dass das unterschiedliche
Fruchtbarkeitsverhalten auf die unterschiedlichen Fruchtbarkeitsraten in den Hauptzielländern
zurückzuführen sein könnten. Migranten aus der Türkei und aus Marokko leben überwiegend
in Europa, wo die demografische Transformation abgeschlossen ist, während ägyptische
Arbeitnehmer hauptsächlich in den Staaten des persischen Golfs leben, wo die
Fruchtbarkeitsraten nach wie vor hoch sind.
Die
obigen
Ergebnisse
lassen
jedoch
auch
andere
Interpretationen
zu.
Nicht
Geldüberweisungen, sondern die Auswirkungen der „Kultur“ im Zielland könnten dafür
verantwortlich sein. Das wird in der Literatur als „Normentransfer“ bezeichnet. Die Relevanz
der internationalen Migration geht weit über den Personenverkehr an sich hinaus, da sie auch
einen
leistungsstarken
Mechanismus
darstellt,
Ideen
und
Verhaltensweisen
über
Landesgrenzen hinweg zu übertragen. Des Weiteren kann die Rückkehrmigration einen
Einfluss ausüben, weil Rückkehrer eine katalytische Rolle spielen können, indem sie sich
ändernde Einstellungen bezüglich Fruchtbarkeit auch unter den Nicht-Migranten verbreiten.
Beine et al. (2008) finden Anhaltspunkte für einen milden positiven Effekt von
internationalen Geldüberweisungen auf die Fruchtbarkeit im Heimatland. Ihre Studie weist
jedoch auf eine weitaus größere Auswirkung der Übertragung von Fruchtbarkeitsnormen hin.
Bertoli und Marchetta (2015) haben die Idee des „Normentranfers“ untersucht, indem sie der
Frage nachgegangen sind, ob eine temporäre Migrationserfahrung in einem arabischen Land
einen signifikanten Einfluss auf die Fruchtbarkeitsentscheidungen von ägyptischen
64
Haushalten hat. Genauer geht es um die Frage, ob ein Rückkehrer aus einem Land mit hoher
Fruchtbarkeitsrate mehr Kinder hat als im Land gebliebene Paare. Sie haben die Erhebung des
ägyptischen Arbeitsmarktspanels von 2006 verwendet, in der die Gesamtanzahl der
Lebendgeburten pro Paar angegeben ist. Die Ergebnisse zeigen, dass die Rückkehrmigration
einen signifikanten und positiven Einfluss auf die Gesamtanzahl der Kinder hat. Ägyptische
Paare, bei denen der Ehemann ein Rückkehrer aus einem arabischen Land ist, haben eine
signifikant höhere Anzahl an Kindern. Die Punktschätzungen der Auswirkung der
Rückkehrmigration auf die Gesamtanzahl der Kinder in Rückkehrerhaushalten liegen
zwischen 1,14 und 1,43 Kindern. Da die durchschnittliche Fruchtbarkeitsrate in den
Zielländern der ägyptischen Migranten zwischen 1,04 und 1,55 Kindern pro Frau liegt,
scheinen ägyptische Rückkehrer eine Anzahl an Kindern zu haben, die näher an der Norm des
Ziellandes als des Ursprungslandes liegt.
Beine und Sekkat (2013) haben sich auf einen anderen Aspekt des „Normentransfers“
konzentriert. Sie haben die Auswirkung von Emigration auf die Qualität von Einrichtungen
im Ursprungsland untersucht und fanden Belege dafür, dass die Gesamtmigration sich direkt
auf die Veränderung in Einrichtungen auswirkt. Die Auswirkung ist positiv: Die Emigration
in Ländern mit Einrichtungen hoher Qualität wird mit einer Verbesserung der Qualität der
Einrichtungen im Ursprungsland verbunden. Die Auswirkung qualifizierter Migration ist viel
größer. Des Weiteren hängt die Auswirkung von den Einrichtungen im Zielland ab. Die
Qualität der Letzteren hat positive und signifikante Auswirkungen auf die Qualität der
Einrichtungen im Ursprungsland, besonders, wenn die qualifizierte Migration berücksichtigt
wird. Insgesamt stützen diese Ergebnisse die Hypothese der Übertragung von institutionellen
Normen aus dem Ziel- auf das Heimatland.
Beine und Sekkat (2014) haben sich einer ähnlichen Frage wie in der vorhergehenden Arbeit
angenommen (Einfluss der internationalen Emigration auf die Entwicklung der Qualität von
Einrichtungen im Heimatland), sich dieses Mal jedoch auf den potenziellen Unterschied der
Auswirkungen abhängig vom Status des Ziellands konzentriert (d.h. früherer Kolonisator,
wirtschaftliche oder politische Macht). Sie haben zudem untersucht, ob die Auswirkung von
der Qualität der Einrichtungen im Zielland abhängt. Die Ergebnisse zeigen, dass der Status
und die Qualität der Einrichtungen im Zielland eine Rolle spielen, und dass während der
Umstand der Emigration in Länder der ehemaligen Kolonisatoren keine Auswirkung auf die
Qualität der Einrichtungen im Ursprungsland hat, die Emigration in wirtschaftlich starke
Länder (Gründungsmitglieder der OECD) oder in politisch starke Länder (ständige Mitglieder
65
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen) sich dagegen positiv auf die Qualität der
Einrichtungen im Heimatland auswirkte.
5. Fazit
Ägyptische Emigranten repräsentieren etwas mehr als 4 % der ägyptischen Bevölkerung, was
weit unter dem entsprechenden Anteil in manchen anderen Ländern der Region liegt. Der
größte Teil der ägyptischen Emigranten lebt hauptsächlich in anderen arabischen Ländern.
Dieser Anteil ist bedeutend höher als der entsprechende Anteil in anderen Ländern der
Region. Das Bildungsprofil der Emigranten unterscheidet sich von dem von Nicht-Migranten:
Migranten sind in der Regel gebildeter als Nichtmigranten. Das Bildungsprofil ägyptischer
Migranten unterscheidet sich zudem nach Zielland: etwa 71 % der Ägypter, die in arabischen
Ländern arbeiteten, hatten einen Mittelstufen- oder unteren Mittelstufenabschluss und 25,8 %
einen höheren Abschluss. Im Gegensatz dazu hatten 76,2 % der Ägypter, die in die USA
emigrierten, einen Hochschulabschluss und 16,1 % einen Mittelstufenabschluss. Solche
Unterschiede
nach
Emigrationszielen
zwischen
Ländern
in
der
Region
erklären
möglicherweise einige Unterschiede bei den Auswirkungen der Emigration auf die
verschiedenen Länder. So schwankten etwa die ägyptischen Migrationsströme aufgrund von
Ölpreisschwankungen, politischen Spannungen in der Region (z. B. Irak-Iran-Krieg,
Golfkrieg) und gesetzgeberischen Maßnahmen, die in Golfländern die eigenen Staatsbürger
bevorzugen, stark.
Die Beweggründe für die Emigration lassen sich in drei Kategorien aufteilen: individuelle
Merkmale (Bildungsgrad, Familienstand und Religion), die aktuelle Situation (eine Arbeit
finden, Unzufriedenheit mit einem aktuellen Job und fehlendes Vertrauen in die Stabilität von
Ägypten) und Kenntnisse der Migration (mit der Migration Anderer und dem fremden Land
vertraut sein, in dem Verwandte und Freunde leben).
Die Literatur verweist auf Kanäle, über welche die Emigration wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Auswirkungen auf die Wirtschaft des Ursprungslands haben kann. Zu den
wirtschaftlichen
Auswirkungen
gehören
mehrere
„Feedback-Effekte“,
z. B.
Geldüberweisungen, Rückwanderungen, der Aufbau von Geschäfts- und Handelsnetzwerken
und die Auswirkung von Migrationsaussichten auf die Bildung. Die nicht-wirtschaftlichen
Auswirkungen betreffen eine breite Auswahl von Aspekten, einschließlich ethnischer
Diskriminierung, Fruchtbarkeit, Korruption, Demokratie und der Qualität von Einrichtungen.
Das wird in der Literatur als „Normentransfer“ bezeichnet, weil die internationale Migration
66
auch einen Mechanismus für die Übertragung von Ideen und Verhaltensweisen zwischen
Ländern darstellt.
Die Daten bezüglich Ägyptens bestätigen die Bedeutung von Geldüberweisungen für die
Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und für die Reduzierung der absoluten Armut,
jedoch nicht der Ungleichheit. Es wurde zudem festgestellt, dass Geldüberweisungen eine
starke positive Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit des Schulbesuchs bei jungen
Mädchen, jedoch bei Frauen im Universitätsalter nur einen milden Effekt auf die
Beanspruchung
von
Bildungsangeboten
haben.
Obwohl
Geldüberweisungen
einige
nachteilige Auswirkungen haben können (z. B. leicht generiertes Einkommen und eine
Zunahme der Hausarbeit für die Zurückbleibenden), zeigen die Ergebnisse, dass die positiven
Effekte die negativen Auswirkungen überkompensieren.
Die Daten für Ägypten stützen zudem die Hypothesen, dass sowohl Ersparnisse im Ausland
als auch die Arbeitserfahrungen die Wahrscheinlichkeit, Unternehmer zu werden, unter
gebildeten Rückkehrern nach Ägypten erhöhen. Des Weiteren weist die unternehmerische
Tätigkeit ägyptischer Rückkehrer eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit langfristig zu
bestehen, als die von Nicht-Rückkehrern. Obwohl Migranten der Verlust ihres Sozialkapitals
droht, halten diese positiven Auswirkungen an. Schließlich führt die temporäre Migration bei
der Rückkehr der Migranten zu höheren Gehältern. Rückkehrmigranten verdienen
durchschnittlich etwa 38 Prozent mehr als Nicht-Migranten.
In Bezug auf nicht-wirtschaftliche Auswirkungen zeigen verfügbare Daten für Ägypten, dass
sich Emigration auf die Fruchtbarkeit und die Qualität von Einrichtungen auswirken kann.
Ägyptische Paare, bei denen der Ehemann ein Rückkehrer aus einem arabischen Land ist,
haben eine signifikant höhere Anzahl an Kindern. Die Emigration hat zudem eine
Auswirkung auf die Qualität von Einrichtungen. Die Auswirkung hängt von den
Einrichtungen im Zielland ab. Die gute Qualität der Einrichtungen im Zielland hat positive
und signifikante Auswirkungen auf die Qualität der Einrichtungen im Ursprungsland,
besonders durch die qualifizierte Migration.
67
Literaturhinweise
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Billmeier, A. und I. Massa (2009), 'What drives stock market development in emerging
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remittances, and the human capital formation of Egyptian children', International Review of
Economics and Finance, 28, S. 38-50.
Marchetta, F. (2012), 'The Impact of Migration on the Labor Markets in the Arab
Mediterranean Countries', Middle East Development Journal, 4:1.
Sharaf, M. F. (2014), "The Remittances-Output Nexus: Empirical Evidence from Egypt.'
Economics
Research
International
Economics,
Artikel-ID
965240,
http://dx.doi.org/10.1155/2014/965240
Wahba, J. (2010), 'Labor Markets Performance and Migration Flows in Egypt', National
Background Paper, European Commission, Occasional Paper 60, Volume III.
Wahba, J. (2014), “Through the Keyhole: International Migration in Egypt', Economic
Research Forum Working Paper 830.
68
Wahba, J. and Y. Zenou (2012), 'Out of sight, out of mind: Migration, entrepreneurship and
social capital', Regional Science and Urban Economics, 42:5, S. 890-903.
69
Kapitel 4:
Arbeitsvorschriften, Gewerkschaften und Arbeitnehmer
1. Einführung
Fast alle Länder verfügen über ein System von Gesetzen und Institutionen, deren Zweck darin
besteht, die Interessen der Arbeitnehmer zu schützen. Dieses System deckt drei Bereiche des
Arbeitsmarkts ab: Beschäftigung, Tarifverhandlungen und soziale Sicherheit. Individuelle
Arbeitsverträge werden durch Arbeitsgesetze geregelt. In Tarifverhandlungen findet dagegen
die
Aushandlung,
Übernahme
und
Durchsetzung
von
Vereinbarungen
zwischen
Arbeitnehmer- und Arbeitgebergruppen statt. Sie betreffen zudem die Einrichtung von
Gewerkschaften und ihre Handlungen. Schließlich decken die Sozialversicherungsgesetze
soziale Bedürfnisse und Zustände wie z.B. Krankheit, Pension, Behinderung, Arbeitslosigkeit
und Mutterschutz ab (Botero et al. 2004).
Die Auswirkungen eines solchen Systems auf die Wirtschaft rufen zwei unterschiedliche
Ansichten hervor. Eine Ansicht sieht derartige Regelungen als wichtigen sozialen Schutz für
Arbeitnehmer sowie als Instrument, das sich förderlich auf die Wirtschaftsleistung auswirkt.
Der andere Standpunkt betrachtet sie dagegen als hinderlich für Anpassungen bei
wirtschaftlichen Erschütterungen. Arbeitgeber würden Neueinstellungen meiden und
„Insider“ bevorzugen (Betcherman et al., 2001). Solche Regelungen werden zudem in vielen
Entwicklungsländern als Hindernisse für die Entwicklung der Fertigungsindustrie gesehen.
Die empirischen Belege für die beiden Ansichten sind jedoch zwiespältig und erlauben keine
eindeutige Schlussfolgerung. Viele Studien finden keinen Zusammenhang zwischen den
Arbeitsmarktgesetzen und den beschäftigungspolitischen Ergebnissen, während andere zu
dem Schluss kommen, dass striktere Arbeitsmarktgesetze mit geringerer Beschäftigung
einhergehen (Diego et al., 2010).
Dieses Problem ist besonders für Ägypten relevant, ein Land, das in Bezug auf die
Industrialisierung rückständig ist und eine schwache wirtschaftliche Leistung aufweist. Solche
Ergebnisse werden von einigen Beobachtern institutionellen Zwängen zugeschrieben, die die
Aktivitäten des privaten Sektors im Allgemeinen und die private Fertigungsindustrie im
Besonderen behindert haben. Unter diesen Zwängen sind die am meisten genannten die den
Finanzsektor
betreffende
Politik,
die
Steuerverwaltung,
die
Energiepolitik,
Arbeitsmarktvorschriften und Verwaltungssysteme. Zu beachten ist jedoch, dass diese
Probleme nicht spezifisch für Ägypten sind. Sie sind in vielen Entwicklungsländern weit
70
verbreitet, besonders in denen, die der importsubstituierenden Industrialisierung gefolgt sind
(Getachew und Sickles, 2007).
Der Zweck dieses Kapitels ist es, die Vorschriften und Institutionen des Arbeitsmarkts in
Ägypten zu untersuchen. Das soll in vier Abschnitten geschehen. Der nächste Abschnitt
konzentriert sich auf Arbeitsvorschriften. Abschnitt 3 schildert den Rahmen für das
Funktionieren der Gewerkschaften. Abschnitt 4 präsentiert das Fazit.
2. Die Arbeitsvorschriften
2.1
Kurzer historischer Überblick
Bis 2003 wurden die Arbeitsmarktvorschriften in Ägypten durch das Gesetz 137 (1981
erlassen) und seine zahlreichen Anwendungsdekrete geregelt. Das Gesetz hat den
Arbeitnehmern zahlreiche Schutzmaßnahmen garantiert, welche später jedoch für die
adäquate Entwicklung des privaten Sektors als zu unflexibel erachtet wurden. So hatten
Arbeitnehmer mit schriftlichem Arbeitsvertrag, in dem die Art der Arbeit und die vereinbarte
Vergütung angegeben war, eine lebenslange Arbeitsplatzgarantie. Nach der dreimonatigen
Probezeit konnte der Arbeitnehmer nicht mehr entlassen werden so lange der Vertrag gültig
war. Zeitverträge wurden automatisch zu unbefristeten Verträgen, wenn der anfängliche
Vertrag abgelaufen war. Eine Entlassung war nur bei schweren Verstößen des Arbeitnehmers
zulässig, wie z.B. der Aneignung einer falschen Identität oder des Begehens eines
„schwerwiegenden“ Fehlers, und mit komplexen und kostspieligen Verfahren verbunden
(Getachew und Sickles, 2007).
In den frühen 1990er Jahren hat Ägypten, wie viele andere Entwicklungsländer, ein
Strukturanpassungsprogramm lanciert, das den Zweck verfolgte, die Planwirtschaft auf eine
Marktwirtschaft
hinzulenken.
Die
Reformen
umfassten
eine
makroökonomische
Stabilisierung, die Handelsliberalisierung, die Beseitigung unnötigen bürokratischen Ballasts
und die Verabschiedung von Arbeitsgesetzen. 1991 hat die Regierung einen Ausschuss aus
Vertretern der einzigen Gewerkschaft, der Wirtschaft, des Arbeitsministeriums, von
Rechtsgemeinschaften und der ILO einberufen, um eine neue Arbeitsgesetzgebung
auszuarbeiten. 1994 wurde ein Entwurf vereinbart, der jedoch erst 2003 dem Parlament
vorgelegt und von diesem genehmigt wurde. Das neue Gesetz veränderte insbesondere die
Praxis der unkündbaren Beschäftigung. Es ermöglicht Arbeitgebern, Arbeitnehmer unbefristet
mit „temporären“ Verträgen zu beschäftigen und sie nach Ablauf dieser Verträge nach
eigenem Ermessen zu entlassen (Beinin, 2012).
71
2.2
Die aktuelle Situation
Derzeit sind die den Arbeitsmarkt betreffenden Hauptvorschriften im Arbeitsgesetz
Nr. 12/2003 und im Unterstützungskassengesetz Nr. 156/2002 festgehalten. Hinsichtlich der
Sozialversicherung ist das wichtigste Gesetz das Sozialversicherungsgesetz Nr. 79/75. Alle
Gesetze zur Regelung von Arbeitsverträgen müssen generell ILO-Konventionen und Empfehlungen befolgen. Es gibt grundlegende ILO-Konventionen und andere ILOKonventionen. Unter den 18 MENA-Ländern haben nur sieben, einschließlich Ägypten, alle
grundlegenden ILO-Übereinkommen ratifiziert. Hinsichtlich der anderen ILO-Konventionen
ist Ägypten das einzige MENA-Land, das sie alle, 63 an der Zahl, ratifiziert hat. Die
wichtigsten Vorschriften bezüglich Arbeitsverträge sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
72
Tabelle 1: Die wichtigsten Arbeitsvorschriften
Die Vorschriften für befristete Arbeitsverträge (Fixed-Term Contracts, FTC)
Für Dauerbeschäftigungen
verbotene FTC
Nein
Maximale Dauer eines FTC,
ausschließlich Verlängerungen
Regeln für die Verlängerung eines
FTC über die urspr. maximale
Laufzeit hinaus
Unlimitiert
Maximale kumulative Dauer eines
FTC-Verhältnisses, einschließlich
aller Verlängerungen
Unlimitiert
Unlimitiert, Mitarbeiter kann jedoch
nach 5 Jahren kündigen
Die Vorschriften zu Mindestlöhnen (Minimum Wages, MW)
MW für einen 19 Jahre alten Arbeitnehmer in seinem ersten Job
Verhältnis MW/Durchschnittslohn
Vereinbarung der Tarifpartner (in der Praxis165 L/Monat)
11%
Maximale Dauer eines FTDC (in
Monaten), ausschließlich
Verlängerungen
Nein
Die Vorschriften in Bezug auf Standardarbeitstage und Überstunden.
Länge des
Standardarbeitstags
8 Stunden
Maximale Limite von Überstunden
unter normalen Umständen
2 Std./Tag
Prämie für Überstunden
Tage der typischen Arbeitswoche in
der Fertigung
5 oder 6
35 % am Tag, 70 % nachts
Maximal zulässige Anzahl
Arbeitsstunden pro Arbeitstag
10
Die Vorschriften in Bezug auf Standardarbeitstage und Überstunden (Forts.)
Maximale Anzahl der Arbeitstage pro Woche
6
Kann die Arbeitswoche für einen Arbeitnehmer für
2 Monate/Jahr auf 50 Std. pro Woche erweitert werden,
um auf einen saisonalen Produktionsanstieg zu reagieren?
Ja
Obligatorische Prämie für
Nachtarbeit (in % des Gehalts)
Pflichtreduzierte Schichtzeit für
Nachtarbeit
Nein
Nein
Die Vorschriften in Bezug auf Erholung und Urlaub
Gesetzliche Mindestruhezeit in Stunden zwischen Arbeitstagen
14
Gesetzlich festgelegter, bestimmter wöchentlicher
Ruhetag
K/A
Obligatorischer bezahlter Jahresurlaub (in Arbeitstagen)
nach 20 Jahren Beschäftigung
30
Die Vorschriften zum Mutterschaftsurlaub
Der Mutterschutz gemäß Gesetz Nr. 12 (2003) schützt Frauen, die im privaten Sektor arbeiten. Von der Anwendung dieses Gesetzes ausgenommen sind Frauen im öffentlichen Dienst,
Hausfrauen, Mitglieder der Familie des Arbeitgebers und Landwirtschaftsarbeiterinnen. Frauen im öffentlichen Dienst und Arbeitnehmerinnen in öffentlichen Einrichtungen sind durch
separate Gesetze geschützt. Eine Arbeitnehmerin darf während ihres Beschäftigungszeitraums nicht mehr als zweimal Mutterschaftsurlaub nehmen.
Die normale Dauer des
Zwangsurlaub
Die Finanzierung
Die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs
Diskriminierungsverbot und
Mutterschaftsurlaubs
der Leistungen
Beschäftigungssicherheit
90 Tage vor oder nach der 45 Tage nach der
Die
Eine Frau, die in einem Unternehmen mit 50 oder mehr Arbeitnehmern
K. A.
Niederkunft
Niederkunft
Sozialversicheru
arbeitet, kann 2 Jahre unbezahlten Urlaub nehmen, um sich um ihr Kind zu
ng und der
kümmern (optional Mutterschaftsurlaub). Dieser Urlaub wird ihr während
Arbeitgeber
ihres Beschäftigungszeitraums höchstens zweimal gewährt. Frauen im
öffentlichen Dienst können diese Art Urlaub während ihres gesamten
Beschäftigungszeitraums dreimal nehmen.
Die Vorschriften in Bezug auf betriebsbedingte Entlassung von Arbeitnehmern
Ein Arbeitgeber kann den Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers auf
der Basis von betriebsbedingten Kündigungen beenden.
Der Arbeitgeber muss einen Dritten
benachrichtigen, bevor er einem
Arbeitnehmer betriebsbedingt
kündigt.
Der Arbeitgeber benötigt die
Genehmigung eines Dritten, bevor er
einem Arbeitnehmer betriebsbedingt
kündigt
Ja
Ja, benachrichtigen und konsultieren
Ja
Der Arbeitgeber muss einen Dritten
benachrichtigen oder konsultieren,
bevor er einer Gruppe von
9 Arbeitnehmern betriebsbedingt
kündigt.
Ja, benachrichtigen und konsultieren
Die Vorschriften in Bezug auf betriebsbedingte Entlassung von Arbeitnehmern (Forts.)
Bevor ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer betriebsbedingt
kündigen kann, muss er einer Umschulungs- oder
Neuzuordnungsverpflichtung nachkommen.
Nein
Für betriebsbedingte Entlassungen oder Freistellungen gelten Prioritätsregeln.
Gibt es Prioritätsregeln für die
Wiedereinstellung?
Ja
Nein
Die Vorschriften bezüglich Abfindung und Kündigungsfrist
Die Kündigungsfrist für betriebsbedingte Entlassung nach
20 Jahren permanenter Beschäftigung
Formel für finanzielle Abfindung?
1 Monat für Angestellte, Büroangestellte und Arbeiter;
Da betriebsbedingte Entlassungen in kleinem Maßstab nicht zulässig sind, gibt es keine gesetzlich
bindende Formel für Abfindungen. Die gesetzlich vorgeschriebene Abfindung bei
Massenentlassungen beträgt 1 Monat für jedes der ersten 5 Jahre und 1,5 Monate für jedes Jahr
nach dem 5. Jahr.
Arbeitslosenversicherungssysteme
Das Land hat ein
Arbeitslosenversicherungssystem.
Ja
Die Finanzierung des
Arbeitslosenversicherungssystems
Der Arbeitgeber entrichtet 2 % der
Gehälter der versicherten Personen.
Finanzielle
Abfindung für
Entlassung nach
20 Jahren
permanenter
Beschäftigung?
27,5 Monate
Umfang und Dauer des Arbeitslosenunterstützung
60 % des letzten Gehalts der versicherten Person. Die Versicherungssumme muss der versicherten
Person bis zu dem Tag vor dem Datum des Beginns eines neuen Beschäftigungsverhältnisses
gezahlt werden, oder bis zum Ablauf von 16 Wochen, je nachdem, was früher eintritt. Wenn die
Beitragsdauer 24 Monate übersteigt, muss dieser Zeitraum auf 28 Wochen verlängert werden. Die
Entschädigung muss zudem auch während der vom Arbeitsamt festgelegten Berufsausbildung
gezahlt werden.
Quelle: Übernommen von Angel-Urdinola und Kuddo (2010)
73
Im Vergleich mit anderen Ländern in der Region weist Ägypten einige Besonderheiten auf.
Es ist neben Algerien, dem Iran und Kuwait das einzige Land, in dem es eine
Arbeitslosenversicherung gibt. Das System wird jedoch nicht vollständig genutzt. In Ägypten
haben beispielsweise im Zeitraum von 2001-2007 weniger als 350 Personen pro Jahr solche
Leistungen erhalten (Angel-Urdinola und Kuddo, 2010). Die Gründe dafür sind u. a.
mangelndes
öffentliches
Bewusstsein
für
die
Arbeitslosenversicherung,
restriktive
Anspruchsbedingungen und die Schwierigkeit, Entlassungsentscheidungen „aus triftigem
Grund“ zu dokumentieren.
Ägypten gehört zudem zu der Hälfte der Länder in der MENA-Region, die einen Mindestlohn
festgelegt haben. In den Fällen, in denen viele Unternehmen „monopsonistische“ Macht auf
dem Arbeitsmarkt haben und Arbeitnehmer wenig mobil sind, sind Mindestlöhne besonders
hilfreich. Dies ist der Fall in Ägypten, wo die Arbeitslosenquoten etwa zwischen
Gouvernementen stark variieren (von weniger als 5 % in Luxor, Fayoum und Suhag bis zu
16 % in Dakhalia). Ungeachtet dessen scheinen Arbeitnehmer, besonders Frauen, nicht von
schlechteren zu besseren Standorten zu ziehen, um nach besseren Arbeitsmöglichkeiten zu
suchen (Angel-Urdinola und Kuddo, 2010). Es ist jedoch zu beachten, dass, wie in vielen
MENA-Ländern, Sanktionen für die Nichteinhaltung der Mindestlohnvorschriften existieren,
diese jedoch kaum durchgesetzt werden.
In Bezug auf Jahresurlaub gehört Ägypten mit bis zu 30 Ferientagen zu den großzügigsten
Ländern in der MENA-Region. Den kürzesten vorgeschriebenen Jahresurlaub gibt es mit
5 Ferientagen im Libanon. Dies entspricht dem von der ILO-Konvention empfohlenen
Minimum. In europäischen Ländern hingegen variiert der vorgeschriebene bezahlte
Jahresurlaub in Unternehmen des privaten Sektors zwischen 20 und 25 Ferientagen (Kuddo,
2009).
Wie die meisten MENA-Länder gewährt auch Ägypten Mutterschaftsurlaub, dieser gehört
jedoch zu den knappsten – 90 Tage vor oder nach der Niederkunft, wobei mindestens 45 Tage
nach der Niederkunft vorgeschrieben sind. Im Gegensatz dazu dauert der Mutterschaftsurlaub
in Algerien und Marokko 14 Wochen. Am kürzesten dauert er in Tunesien (30 Tage).
Ägypten hat zudem bestimmte Einschränkungen in Bezug auf den Mutterschaftsurlaub
festgelegt. Eine Frau darf beispielsweise während ihres Beschäftigungszeitraums nicht mehr
als zweimal Mutterschaftsurlaub nehmen.
Die Freistellung von Arbeitnehmern aufgrund betriebsbedingter Umstände ist mit einigen
Einschränkungen zulässig. Arbeitgeber sind gehalten, individuelle Entlassungen von einer
dritten Partei beurteilen und bestätigen zu lassen. Außerdem gibt es für Wiedereinstellungen
74
Prioritätsregeln.
Arbeitgeber
müssen
bei
betriebsbedingten
Kündigungen
eine
Kündigungsfrist von 3 Monaten einhalten, und die finanzielle Abfindung für Arbeitnehmer
mit 20 Dienstjahren entspricht 27,5 Monatsgehältern. Während in den meisten MENALändern die Kündigungsfrist einen Monat beträgt, beträgt sie in Ägypten drei Monate.
Ägypten ist schließlich in Bezug auf Arbeitsstunden weniger restriktiv als andere Länder in
der Region. Es gibt keine Einschränkungen für Nachtarbeit oder Arbeit an wöchentlichen
Feiertagen. Es erlaubt 6-Tage-Arbeitswochen und 50-Stunden-Arbeitswochen für 2 Monate.
2.3
Die Anwendung der Vorschriften
Während diese Vorschriften für Unternehmen sehr einschränkend zu sein scheinen, werden
sie in den verschiedenen Ländern unterschiedlich um- und durchgesetzt. In einigen Ländern
(Jordanien, Ägypten) gelten etwa in Sonderwirtschaftszonen andere Arbeitsgesetze..
Zugleich werden Arbeitsvorschriften in einigen Ländern (hauptsächlich Libanon, Oman,
Syrien und Ägypten) von Unternehmen als wesentliche Einschränkung wahrgenommen,
während dies in anderen Ländern wie Jordanien, Algerien, Marokko, im Westjordanland und
in Gaza in geringerem Maße zutrifft. Gemäß der Investment Climate Assessment (ICA)Umfrage von 2008 werden Arbeitsvorschriften und Pflichtbeiträge in Ägypten als wesentliche
Hindernisse wahrgenommen, welche die formale Beschäftigung für viele Unternehmen
einschränken. Produktionsfirmen, Dienstleistungsunternehmen und Hotels haben angegeben,
dass sie netto 21, 9 bzw. 15 Prozent mehr Arbeitnehmer einstellen würden, wenn es in Bezug
auf die Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern keine Einschränkungen gäbe (AngelUrdinola und Kuddo 2010).
Um die realen Stärken der Einschränkungen von Arbeitsvorschriften zu beurteilen, haben
Angel-Urdinola und Kuddo (2010) mehrere weitverbreitete Indizes präsentiert. Der
Employing Workers-Index (EWI, ein höherer Wert des Index deutet auf strengere
Arbeitsgesetze hin) zeigt, dass Ägypten (und auch der Libanon, Jordanien, Jemen, der Irak,
der
Iran,
Syrien
und
das
Westjordanland
und
Gaza)
den
Standards
anderer
Entwicklungsregionen wie Lateinamerika und Südasien entsprechen. Tunesien, Algerien und
Marokko weisen einen höheren Index auf.
Ein weiterer hilfreicher Index ist der so genannte Difficulty of Hiring-Index (DHI). Dieser
Index ist in Ägypten, im Iran, in Syrien und in Jordanien tief. In Algerien, Libanon, Dschibuti
und Marokko ist der DHI verglichen mit regionalen und internationalen Standards hingegen
hoch.
75
Der 'Rigidity of Hours-Index' (HDI) weist darauf hin, dass der HDI in der MENA-Region
geringer als in der OECD, ECA und in Subsahara-Afrika, nahe an dem in LAC und höher als
in Süd- und Ostasien ist. In der MENA-Region ist der HDI gering im Libanon, in Syrien,
Jordanien und Kuwait, während er in Ägypten, Katar, in den Vereinigten Arabischen
Emiraten, im Jemen, Iran und Irak internationalen Standards entspricht. In Oman, SaudiArabien, WBG, Algerien, Dschibuti und Marokko ist der DHI hoch im Vergleich zu
regionalen und internationalen Standards (was strengere Arbeitsgesetze nahe legt).
Schließlich reflektiert der „Difficulty of Redundancy-Index“ (DRI) das Ausmaß der
Einschränkung von Entlassungen durch gesetzgeberische Maßnahmen. Er basiert auf den
Anforderungen für Kündigungsfristen/Begründungen für Entlassungen, der Genehmigung für
die Kündigung durch Dritte, Verpflichtungen, Arbeitnehmer nach der Kündigung neu
zuzuordnen/umzuschulen und anderen Prioritätsregeln für die Wiedereinstellung. Die
Ergebnisse zeigen, dass der DRI in Nicht-GCC-MENA-Ländern zu den höchsten der Welt
gehört. Unter den Nicht-GCC-MENA-Ländern orientiert sich der DRI im Irak, in Katar, in
der Westbank und im Gazastreifen, Jemen, Dschibuti, Libanon und Algerien an
internationalen Standards. Iran, Syrien, Marokko, Ägypten, Jordanien und Tunesien weisen
im Vergleich zu regionalen und internationalen Standards einen hohen DHI auf (was auf
striktere Vorschriften in Bezug auf Entlassungen hindeutet).
Die Analyse von Angel-Urdinola und Kuddo (2010) legt interessanterweise nahe, dass
Arbeitgeber in Ländern mit „scheinbar“ strikteren Arbeitsvorschriften, z. B. Algerien und
Marokko, Arbeitsgesetze nicht als wesentliche Einschränkung für ihre Geschäftstätigkeit
identifizieren, während in Ländern mit vordergründig weniger strikten Arbeitsgesetzen, z. B.
Ägypten, Libanon und Syrien, Arbeitgeber Arbeitsgesetze als wesentliche Einschränkung für
ihre Geschäftstätigkeit betrachten. Ein möglicher Grund ist, dass die Arbeitsgesetze in einigen
Ländern, in denen die Durchsetzung mangelhaft ist, möglicherweise vollständig umgangen
werden. In solchen Fällen ist der Arbeitsmarkt trotz vorhandener strikter Arbeitsgesetze
praktisch unreguliert (und somit vergleichsweise flexibel).
Cammett und Posusney (2012) ergänzten die obige Analyse, indem sie die Indizes der
rechtlichen und faktischen Arbeitsflexibilität in der Region berechneten. Eine kurze
Darstellung ihrer Methode ist in Anhang A enthalten. Tabelle 2 präsentiert die Ergebnisse und
zeigt, dass in Ägypten die rechtliche Flexibilität höher ist als die faktische Arbeitsflexibilität.
Dies bedeutet, dass der Arbeitsmarkt in der Praxis durch Vorschriften weniger eingeschränkt
ist, als es das formale Gesetz nahe legt. Im Vergleich zu anderen Ländern in der Region ist
jedoch selbst die faktische Arbeitsflexibilität in Ägypten (nach Marokko) am geringsten, was
76
nahe legt, dass die Arbeitsmärkte in der Praxis in beiden Ländern die am wenigsten flexiblen
in der Region sind.
Tabelle 2: Die gesetzliche und die faktische Flexibilität
Kategorie/Land
Ölmonarchien
Bahrain
Kuwait
Oman
Katar
Saudi-Arabien
UAE
Von Einheitsparteien regierte Staaten
Algerien
Ägypten
Syrien
Tunesien
Jemen
Nicht-Ölmonarchien
Jordanien
Marokko
Regionaler Durchschnitt
Weltweiter Durchschnitt
Rechtliche
Arbeitsflexibilität
62,5
75,3
57,7
72,8
51,7
60,5
57,1
51,5
52,3
46,4
47,0
51,8
59,8
51,9
71,8
32,0
57,1
52,2
Tatsächliche
Arbeitsflexibilität
66,2
76,9
62,0
74,6
56,8
65,4
61,6
60,7
61,8
56,6
59,0
58,5
67,5
61,1
74,0
48,2
63,7
60,9
Quelle: Cammett und Posusney (2012) entnommen
3. Die Gewerkschaften
3.1
Kurzer Überblick
Der Organisierungsgrad der Arbeitnehmerschaft in Gewerkschaften ist in der MENA-Region
traditionell gering. Daten und Literatur legen nahe, dass die gewerkschaftliche Organisierung
weitgehend auf Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor und in privatisierten öffentlichen
Unternehmen beschränkt ist. Im privaten Sektor war sie bislang selten präsent (Gatti et al.,
2013). Die neuesten Schätzungen zur Gewerkschaftsdichte und Tarifverhandlungen in
verschiedenen Ländern sind in Tabelle 3 dargestellt. In Bezug auf die Dichte befindet sich
Ägypten mit einer Rate von 16,1 %, die höher als in einigen Entwicklungsländern wie
Kolumbien, Nicaragua, El Salvador und Costa Rica, jedoch niedriger als in anderen Ländern
wie Brasilien, Syrien und Guatemala ist, in der Mitte der Rangliste. Betreffend
Tarifverhandlungen steht Ägypten von 24 Ländern in der Tabelle an fünfter Stelle (2,1 %). Es
liegt weit hinter Mexiko, Chile und Costa Rica (über 9 %).
77
Tabelle 3: Gewerkschaftsdichte und Tarifverhandlungen 2007-2010
Dichte (in % der Gesamtbeschäftigung)
Brasilien
17,8
Kolumbien
2,2
Costa Rica
10,3
Zypern
55,1
Ägypten
16,1
El Salvador
8,1
Deutschland
16,2
Guatemala
34
Nicaragua
3,4
Norwegen
65,2
Spanien
15,7
Schweden
74,8
Schweiz
17,7
Syrien
19,4
Großbritannien
24,5
Tarifbindung (in % Beschäftigung)
Australien
Österreich
Kanada
Chile
Costa Rica
Ägypten
El Salvador
Finnland
Deutschland
Italien
Luxemburg
Mexiko
Nicaragua
Niger
Paraguay
Peru
Philippinen
Portugal
Sierra Leone
Spanien
Schweiz
Großbritannien
USA
Venezuela
34,7
79,4
26,4
9,8
11,8
2,1
2,5
67,8
54,6
73,6
60,7
9
3,5
0,2
1,2
2,4
0,6
25,8
3,5
61,2
39,8
32,2
12,3
4,7
Quelle: Übernommen von Hayter und Stoevska (2011).
In einer großen Mehrheit der arabischen Länder haben Gewerkschaften bei der vom Staat
geführten Industrialisierung und Modernisierung explizit als Partner mitgewirkt. Tabelle 4
zeigt, dass es pro Land, außer in Marokko (drei Gewerkschaften), eine einzige Gewerkschaft
gibt. Die dominante Einheitsgewerkschaft ist, wieder außer in Marokko, einer Partei
angegliedert, bei der es sich in der Regel um die regierende Einheitspartei handelt, oder in ihr
integriert. In Ägypten waren Arbeitnehmer nicht vertreten in den Gewerkschaftsgremien, die
nur aus Bürokraten bestanden und deren Aufgabe darin bestand, das politische und
wirtschaftliche System stabil zu halten. Die Leitung des nationalen Gewerkschaftsbundes
wurde zudem vom Arbeitsministerium wahrgenommen (Gatti et al., 2013).
78
Tabelle 4: Die Struktur der Gewerkschaften
Land
Marokko
Jordanien
Ägypten, arab Rep.a
Tunesiena
Algerien
Syrische Arabische
Republik
Iraka
Struktur
3 Gewerkschaften
1 Gewerkschaft
1 Gewerkschaft
1 Gewerkschaft
1 Gewerkschaft
1 Gewerkschaft
Zugehörigkeit
lose Parteizugehörigkeit
parteiunabhängig
parteizugehörig
parteizugehörig
parteizugehörig
gehört zur Einheitspartei
1 Gewerkschaft
gehört zur Einheitspartei
Quelle: Gatti et al. (2013). Hinweis: „a“ beschreibt die Aufstellung vor der Revolution in der Arabischen
Republik Ägypten und in Tunesien und vor dem Regimewechsel im Irak.
Der staatlich getragene ägyptische Gewerkschaftsbund (Egyptian Trade Union Federation,
ETUF) ist seit 1957 der alleinige gesetzliche Gewerkschaftsbund in Ägypten, ein Status, der
in Gesetz 35 von 1976 formalisiert wurde. In den 2000er Jahren verzeichnete der ETUF
3,8 Millionen Mitglieder von insgesamt rund 27 Millionen Werktätigen. Nahezu alle
Gewerkschaftsmitglieder arbeiten im Staatsdienst oder in öffentlichen kommerziellen
Unternehmen. Die Struktur des ETUF basiert auf der Dominanz des öffentlichen Sektors
(Beinin, 2012). Mit dem Aufstand gegen das Mubarak-Regime wurden etwa 1.000 neue, vom
ETUF unabhängige Gewerkschaften gegründet (Beinin, 2013). Manche von ihnen sind einem
der
zwei
neuen
Verbänden
angegliedert:
dem
ägyptischen
Bund
unabhängiger
Gewerkschaften (Egyptian Federation of Independent Trade Unions – EFITU) oder dem
ägyptischen demokratischen Arbeitskongress (Egyptian Democratic Labor Congress –
EDLC).
3.2
Der gesetzliche Rahmen der Gewerkschaften
Der Internationale Gewerkschaftsbund (International Trade Union Confederation – ITUC, 2014)
verweist auf die folgenden Rechtsvorschriften, welche die Gewerkschaftsaktivität in Ägypten
einschränken:
1. Die Vereinigungs- und Organisationsfreiheit
a. Die Einschränkungen des Rechts von Arbeitnehmern, eine Gewerkschaft ihrer
Wahl zu gründen und ihr beizutreten. Das Gesetz legt ein System des
Gewerkschaftsmonopols fest, in dem Arbeitnehmer nicht das Recht haben,
außerhalb der vorhandenen Gewerkschaftsstruktur Berufsverbände zu bilden.
Bei freien Berufen erlaubt die Verfassung die Gründung lediglich einer
Gewerkschaft pro Beruf.
79
b. Einschränkungen des Rechts von Gewerkschaften, ihre Verwaltung zu
organisieren: Einschränkungen des Rechts, Vertreter zu wählen und sich
vollständig frei selbst zu verwalten. Die Regierung kann die Absetzung des
Exekutivkomitees
einer
Gewerkschaft
verlangen,
wenn
er
Arbeitsunterbrechungen oder Arbeitsabwesenheit in einem öffentlichen Dienst
oder in kommunalen Diensten provoziert hat. Außerdem kann die
Gewerkschaft nicht frei Aktivitäten organisieren und Programme formulieren.
2. Tarifverhandlungen
a. Einschränkungen freier und freiwilliger Verhandlungen: Frei verhandelte
Tarifverträge und obligatorische Schlichtungsverfahren und/oder verbindliche
Schiedsverfahren im Fall von Meinungsverschiedenheiten während der
Tarifverhandlungen müssen vom Staat genehmigt werden. Die Behörden oder
Arbeitgeber haben zudem das Recht, die Tarifverträge einseitig außer Kraft zu
setzen oder deren Inhalt oder Umfang zu ändern oder zu erweitern.
b. Einschränkungen oder Verbot von Tarifverhandlungen in bestimmten
Sektoren:
Beamte
Kommunalverwaltungen,
öffentlicher
Ämter,
haben
Recht
kein
einschließlich
auf
der
Tarifverhandlungen.
Hausangestellte und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer sowie Arbeitnehmer,
die Mitglieder der Familie des Arbeitgebers und von diesem abhängig sind,
haben kein Recht auf Tarifverhandlungen.
3. Streiks
a. Gesetzlich zugelassene Streikmaßnahmen sind Beschränkungen unterworfen,
z. B.
wenn
unzulässige,
unangemessene
oder
ungerechtfertigte
Voraussetzungen vorliegen. Für die Organisation von Streikmaßnahmen
müssen Arbeitnehmer die vorherige Genehmigung des Gewerkschaftsbundes
einholen.
b. Arbeitnehmer
und
Streikmaßnahmen
Gewerkschaften,
teilnehmen,
müssen
die
an
nicht
mit
erheblichen
autorisierten
zivil-
oder
strafrechtlichen Sanktionen rechnen. Arbeitnehmer, die an einer legitimen
Streikmaßnahme teilgenommen haben, dürfen etwa aufgrund dessen bestraft
werden, dass in der Streikankündigung die Dauer des Streiks nicht angegeben
wurde.
c. Zudem gibt es in bestimmten Sektoren Einschränkungen oder Verbote in
Bezug auf Streiks. Beamte der staatlichen Behörden, einschließlich der
80
Kommunalverwaltungen und öffentliche Behörden, haben kein Recht auf
Streik. Ermessensentscheidungen oder übermäßig lange Listen „essentieller
Dienstleistungen“, für die das Recht zu streiken untersagt oder erheblich
eingeschränkt ist. Das Gesetz schreibt verbindliche Schiedsverfahren für
Dienstleistungen vor, die im engeren Sinn des Begriffs nicht essentiell sind.
Spezifische Einschränkungen betreffen die EPZ. Hausangestellte und ähnliche
Arbeitnehmer sowie
Arbeitnehmer,
die Mitglieder der
Familie
des
Arbeitgebers und abhängig von diesem sind, haben kein Recht auf Streik.
Als ob die genannten Einschränkungen nicht schon strikt genug wären, zeigt die Praxis, dass
nahezu alle Rechte in der Regel verweigert werden. Manche von ihnen sind auf der ITUCWebsite angegeben: HTTP://SURVEY.ITUC-CSI.ORG/EGYPT.HTML?LANG=EN#TABS-2
In Bezug auf Arbeitsvorschriften präsentieren wir in Tabelle 5 die Indizes von Cammett und
Posusney (2012) zur rechtlichen und faktischen Gewerkschaftsbewegung in der MENARegion. Die Tabelle bestätigt das Vorhandensein der oben erwähnten Einschränkungen im
Zusammenhang mit der Gewerkschaftsbewegung in Ägypten. Abgesehen von den
Golfmonarchien ist Ägypten in der Rangordnung der Länder bei den rechtlichen Aspekten
zuunterst anzutreffen. Das bedeutet, dass das Gesetz restriktiver als in anderen Ländern ist.
Zudem ist die Praxis, wie oben erwähnt, noch restriktiver als das Gesetz. Die Punktzahl auf
der faktischen Ebene ist viel höher als auf der rechtlichen Ebene. Im Vergleich mit anderen
Ländern in der Region ist die Punktzahl auf faktischer Ebene in Ägypten am niedrigsten, was
nahe legt, dass die Tätigkeit der Gewerkschaften dort am meisten eingeschränkt wird.
81
Tabelle 5: Die gesetzliche und faktische Gewerkschaftsbewegung
Kategorie/Land
Ölmonarchien
Bahrain
Kuwait
Oman
Katar
Saudi-Arabien
UAE
Von Einheitsparteien regierte Staaten
Algerien
Ägypten
Syrien
Tunesien
Jemen
Nicht-Ölmonarchien
Jordanien
Marokko
Regionaler Durchschnitt
Weltweiter Durchschnitt
Rechtliche
Arbeitsstandards
42,7
68,6
47,9
72,9
67,1
0,0
0,0
66,9
78,6
53,6
61,4
84,3
56,4
78,2
71,4
85,0
58,6
72,2
Tatsächliche
Arbeitsstandards
31,4
48,0
32,8
50,6
56,8
0,0
0,0
38,1
51,5
26,8
27,2
55,7
29,5
51,4
45,3
57,5
37,1
45,7
Quelle: Cammett und Posusney (2012) entnommen
3.3
Jüngste Entwicklungen
Einige Jahre vor dem Aufstand in Ägypten haben unterschiedliche Bewegungen die
Gründung unabhängiger Gewerkschaften veranlasst. Die größte und einflussreichste dieser
Bewegungen war die unabhängige Gewerkschaft der Arbeitnehmer der Grundsteuerbehörde
(Independent General Union of Real Estate Tax Authority Workers – IGURETA), welche die
Angestellten bei den Kommunalverwaltungen vertritt. Die Bewegung, die zur Gründung
dieser Gewerkschaft führte, bildete sich 2007. Ein Jahr später traten der neuen Gewerkschaft
über 30.000 von etwa 50.000 betroffenen Angestellten bei. Die neue Gewerkschaft wurde,
obwohl illegal, 2009 vom Arbeitsministerium anerkannt. Vor Ende 2010 wurden zudem zwei
unabhängige Gewerkschaften der Techniker im Gesundheitswesen und der Lehrer gegründet.
IGURETA und die unabhängigen Gewerkschaften der Techniker im Gesundheitswesen und
der Lehrer haben einen neuen Bund lanciert (Federation of Independent Trade Unions –
EFITU). Die Gründung des EFITU wurde im Januar 2011 bekanntgegeben. Der
ursprünglichen Bewegung schlossen sich die Rentnervereinigung (Retirees’ Association) und
Vertreter der Arbeitnehmer in der Textil-, Pharmazie-, Chemie-, Eisen- und Stahl- sowie
Automobilbranche aus den Industriegebieten in Kairo, Helwan, Mahalla al-Kubra usw. an.
Der EFITU gibt eine Mitgliedschaft von etwa 200 Gewerkschaften und 2 Millionen Arbeitern
82
und Angestellten an. Der EFITU war unter Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst am
stärksten vertreten und ist im Fertigungssektor vergleichsweise schwächer (Beinin, 2012).
Der ägyptische demokratische Arbeitskongress (Egyptian Democratic Labor Congress –
EDLC) wurde offiziell 2011 als unabhängiger Gewerkschaftsbund mit einer angegebenen
Mitgliedschaft von 186 Gewerkschaften gegründet. Er wurde vom Präsidenten des NGOs
CTUWS und dem früheren Arbeiterführer der Helwan Iron and Steel Factory gegründet
(Abdalla, 2012). Das CTUWS ist das Zentrum für Gewerkschaften und Arbeitnehmer, eine
bekannte ägyptische Nichtregierungsorganisation, die seit 1999 Arbeitsrechte verteidigt.
Siehat bei der rechtlichen und technischen Unterstützung von Arbeiterführern stets eine
wichtige Rolle gespielt. Das CUTWS glaubt, dass die Effizienz der neuen Institution nur dann
garantiert werden kann, wenn der Transformationsprozess als langfristiger Integrationsprozess
erfolgt. Heute arbeitet es daran, den EDLC in einen nachhaltigen Bund zu transformieren.
Die beiden neuen Verbände (EFITU und EDLC) unterscheiden sich hinsichtlich ihrer
strategischen und organisatorischen Visionen und ihrer Ansichten in Bezug auf ihr politisches
Engagement. Im Gegensatz zum EFITU sieht sich der EDLC nicht als Gewerkschaftsbund,
sondern eher als eine arbeitnehmerorientierte Koalition lokaler Gewerkschaften. Er verfolgt
einen“Bottom-up“-Ansatz, basierend auf dem ethischen Vorhaben, Arbeiter vom Sinn der
demokratischen gewerkschaftlichen Organisierung als langfristige Garantie für eine
nachhaltige und effektive Institutionalisierung der Arbeitervertretung zu überzeugen. Der
EFITU wird im Gegensatz dazu offiziell als Gewerkschaftsbund mit institutioneller und
rechtlicher Kompetenz für die politische Arbeitervertretung genannt. Er verfolgt einen „Topdown“-Ansatz für die Förderung der Interessen der Arbeitnehmer und strebt eine Rolle in der
politischen Arena an. Er ist zudem hierarchisch organisiert und hat eine zentralisierte interne
Struktur. Um politisch mehr Einfluss auszuüben, versucht der EFITU so viele der neu
gegründeten Gewerkschaften wie möglich aufzunehmen und damit die Integrierung in der
politischen Arena voranzutreiben. Tabelle 5 zeigt, dass während der alte ETUF den größten
Teil der Werktätigen repräsentiert, der Anteil des neuen EFITU nicht unerheblich ist.
Tabelle 5: Die Gewerkschaftsverbände
Bezeichnung
ETUF
EFITU
EDLC
Anzahl angegliederte
Gewerkschaften
23
261
246
Quelle: Abdalla (2012).
83
Arbeitnehmer
Anteil an der
(in Millionen)
Beschäftigtenzahl
3,8
16,2%
2,4
10,2%
k. A.
k. A.
Die künftige Entwicklung der Gewerkschaften in Ägypten ist jedoch von mehreren Faktoren
abhängig:
Rechtliche Hindernisse: Das Gesetz 35 erkennt den ETUF als einziges legitimes und legales
Bundesorgan der Arbeiternehmervertretung an, was im Widerspruch zu den von der
ägyptischen Regierung ratifizierten ILO-Konventionen steht. Die Diskussionen zur
Ausweitung der Gewerkschaften dauern an.
Anerkennung und Legitimität: In Bezug auf den vorherigen Punkt sehen sich neue
Gewerkschaften Schwierigkeiten gegenüber, wenn es darum geht, ihre neuen Organisationen
offiziell zu registrieren, da der rechtliche Rahmen noch nicht geklärt ist. Des Weiteren
bevorzugen Arbeitgeber des öffentlichen Sektors Verhandlungen mit den Führungskräften der
offiziell registrierten und traditionell etablierten Verbände. Im privaten Sektor spielen
Arbeitgeber ihre Macht gegenüber Arbeitnehmern aus, um sie von gewerkschaftlichen
Aktivitäten abzuhalten.
Ressourcen und Kapazität: Den neuen Führungskräften fehlt die Erfahrung in den meisten
grundlegenden gewerkschaftlichen Funktionen. Dies ist ein Schwachpunkt, der im
Wesentlichen
aus
dem
Fehlen
jeglicher
Tradition
von
unabhängigen
Gewerkschaftsbewegungen in Ägypten resultiert. Des Weiteren fehlen den neuen
Gewerkschaften die finanziellen Ressourcen, und zwar aufgrund des Unvermögens,
regelmäßige Mitgliederbeiträge zu kassieren, besonders weil viele Arbeitnehmer bereits die
ETUF-Mitgliedsbeiträge zahlen.
4. Fazit
Das System der Gesetze und Institutionen zur Regulierung der Arbeitsmärkte verfolgt das
Ziel, Arbeitnehmer zu schützen und der Tarifpartnerschaft einen geordneten Rahmen zu
geben. Während die einen solche Systeme als vorteilhaft sowohl für Arbeitnehmer als auch
für Arbeitgeber erachten, sind andere der Auffassung, dass sie Anpassungen an
wirtschaftliche Erschütterungen erschweren, Neueinstellungen verhindern und ein Hindernis
für die Entwicklung des Fertigungssektors in Entwicklungsländern darstellen. Die
empirischen Belege für die jeweiligen Ansichten sind zwiespältig und erlauben keine
eindeutige Schlussfolgerung.
Dieses Papier untersucht das System der Gesetze und Institutionen, die den ägyptischen
Arbeitsmarkt regeln. Das Land ist in Bezug auf die Industrialisierung im Rückstand und weist
eine schwache wirtschaftliche Leistung auf, was von einigen Beobachtern institutionellen
84
Hemmnissen, einschließlich Arbeitsmarktvorschriften, zugeschrieben werden, die die
Aktivitäten des privaten Sektors im Allgemeinen und die private Fertigungsindustrie im
Besonderen behindert haben.
Die Analyse hat gezeigt, dass das Land im Rahmen des strukturellen Anpassungsprogramms
wichtige Reformen verabschiedet hat, besonders in Bezug auf den Arbeitsmarkt. Das alte
Gesetz (von 1981), das den Arbeitnehmern zahlreiche Schutzmaßnahmen garantiert, welche
jedoch für den privaten Sektors als zu unflexibel erachtet wurden, wurde 2004 durch ein
neues Gesetz ersetzt. Das neue Gesetz hat insbesondere die Praxis der unkündbaren
Beschäftigung verändert und es Arbeitgebern ermöglicht, Arbeitnehmer mit „temporären“
Zeitarbeitsverträgen unbefristet zu beschäftigen und sie nach Ablauf dieser Verträge zu
entlassen. Der Vergleich mit den Gesetzen in anderen MENA-Ländern zeigt, dass das neue
Gesetz in der Mehrheit der Fälle für die Arbeitgeber restriktiver ist. Der Blick auf die
Situation in der Praxis legt jedoch nahe, dass die Durchsetzung derartiger Rechtsvorschriften
nicht so streng ist und Raum für ein nicht unerhebliches Maß an Flexibilität lässt.
Ein wichtiger Aspekt der Arbeitsmarkteinrichtungen ist das Recht, eine Gewerkschaft zu
gründen und zu betreiben. In dieser Hinsicht ist Ägypten sehr restriktiv. Bis in die 2000er
Jahre war die Vertretung der Arbeitnehmer per Gesetz das Monopol einer Gewerkschaft: Der
ägyptische Gewerkschaftsbund (Egyptian Trade Union Federation – ETUF). Dieser ist an die
regierende Partei angegliedert und seine Führung bestand ausschließlich aus einem
Verwaltungsapparat ohne Arbeitnehmervertreter. Inzwischen wurden aber zwei unabhängige
Gewerkschaften gegründet: Der ägyptische Bund unabhängiger Gewerkschaften (Egyptian
Federation of Independent Trade Unions – EFITU) und der ägyptische demokratische
Arbeitskongress (Egyptian Democratic Labor Congress – EDLC). Die weitere Entwicklung
und Unabhängigkeit der Gewerkschaftsbewegung in Ägypten könnte jedoch durch mehrere
Hindernisse beeinträchtigt werden, seien diese gesetzlicher Art (das Gesetz erkennt immer
noch ausschließlich den ETUF an), operativ (neue Gewerkschaften haben Schwierigkeiten bei
der offiziellen Registrierung, öffentliche Arbeitgeber bevorzugen die Verhandlung mit den
Führern
des
ETUF,
und
private
Arbeitgeber
halten
Arbeitnehmer
von
Gewerkschaftsaktivitäten ab) oder finanzieller und organisatorischer Natur (mangelnde
Erfahrung der Führungskräfte und die Unfähigkeit, regelmäßige Mitgliedsbeiträge zu
generieren).
85
Anhang A: Die Berechnung der rechtlichen und faktischen
Indizes
(Quelle: Stallings, 2010)
Gesetzliche Arbeitsstandards (De jure labor standards – DJLS) werden beurteilt, indem
die nationale Arbeitsgesetzgebung in Bezug auf 17 Indikatoren evaluiert wird, die sich auf die
Vereinigungsfreiheit, das Recht auf Tarifverhandlungen und das Recht auf Streik beziehen.
Die Autoren haben Texte des Arbeitsgesetzes, ICFTU-Jahresberichte, Jahresberichte des
Außenministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika über Menschenrechte, Berichte des
IAO-Ausschusses für Vereinigungsfreiheit und andere sekundäre Quellen konsultiert, um die
Punktzahlen zu ermitteln. Die Formel der Indexberechnung lautet wie folgt:
DJLS = 100 – {[(FA + CB + RS)/35]*100}
Wobei FA die Vereinigungsfreiheit, CB die Tarifverhandlungen und RS das Recht auf Streik
ist. Die Methode der Berechnung von FA, CB und RS variiert abhängig davon, ob ein Land
Verbote in diesen Bereichen hat oder nicht. In Fällen von allgemeinen Verboten lautet der
gewichtete Wert der einzelnen Bewertungen wie folgt:
1. FA = 15
2. CB = 10
3. RS = 10
In Fällen, in denen es keine allgemeinen Verbote gibt, wird der gewichtete Wert der einzelnen
Bewertungen durch die Summe der spezifischen Verstöße ermittelt.
Um die faktischen Arbeitsstandards (de facto labor standards, DFLS) zu beurteilen,
haben die Autoren Indikatoren für Rechtsstaatlichkeit, Vereinigungs- und Organisationsrechte
und beobachtete Verstöße aufgenommen. Die Formel zur Berechnung des Index lautet wie
folgt:
DJLS = 100 – {[(FA + CB + RS + VIOL + ROLW + AOR)/45.83]*100}
Wobei VIOL die Summe der Verstöße gegen Arbeitsrechte, ROLW der umskalierte
Weltbank-Indikator für Rechtsstaatlichkeit und AOR der umskalierte Freedom HouseIndikator für Vereinigungs- und Organisationsrechte ist. Wie bei DJLS werden die Rohwerte
der Resultate auf einer Skala von 0-100 angepasst, wobei höhere Scores höhere
Arbeitsstandards reflektieren.
86
Literaturhinweise
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Economic Research Forum, Working Paper 915
87
Kapitel 5:
Handelsabkommen
1. Einführung
Ägypten ist Vertragspartner mehrerer Handelsabkommen. Das Land ist seit 1970
Vertragspartner des GATT und seit 1995 WTO-Mitglied. Als solches nimmt es aktiv am
multilateralen Handelssystem teil. Es gewährt seinen sämtlichen WTO-Handelspartnern
MFN-Status. Ägypten hat zudem 1997 das Freihandelsabkommen der Staaten der Arabischen
Liga (Greater Arab Free Trade Area – GAFTA) unterzeichnet. Das GFTA hat das Ziel, den
Handel zwischen arabischen Ländern zu erleichtern und zu fördern. Dieses Abkommen, das
am 01. Januar 1998 in Kraft trat, wird als neuer Antriebsfaktor für die wirtschaftliche
Integration der arabischen Welt betrachtet. 2004 hat Ägypten dann das so genannte AgadirAbkommen mit Jordanien, Marokko und Tunesien unterzeichnet, das eine schnellere und
umfassendere Implementierung der Integration als unter dem GAFTA bezweckt.
Was die Beziehungen zwischen Ägypten und Europa anbetrifft, wurde das erste
Kooperationsabkommen zwischen der EG und Ägypten 1977 unterzeichnet. Im Juni 2001
folgte das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Ägypten, das 2004 in Kraft trat. Die
EU und Ägypten haben zudem im November 2010 ein Protokoll unterzeichnet, das einen
Mechanismus für die Beilegung von Streitigkeiten festlegt. Bilaterale Verhandlungen zur
Liberalisierung des Austauschs von Dienstleistungen und des Niederlassungsrechts finden
derzeit ebenfalls statt. Im Anschluss an Sondierungsgespräche 2012 wurde im Juni 2013 mit
einem Dialog zur Errichtung einer weitreichenden und umfassenden Freihandelszone (Deep
and Comprehensive Free Trade Area, DCFTA) begonnen. Es ist in diesem Zusammenhang
darauf hinzuweisen, dass obwohl jedes Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen, das von
der EU und seinen Mittelmeer-Partnern unterzeichnet wurde, bilateraler Natur ist, die EU
besonderes Augenmerk auf Maßnahmen legt, welche geeignet sind, die regionale
wirtschaftliche Integration voranzutreiben, insbesondere den Prozess, der von den vier
südlichen Mittelmeeranrainerstaaten im Rahmen des Agadir-Abkommens begonnen wurde.
Im Juli 1999 haben Ägypten und die Vereinigten Staaten von Amerika ein Handels- und
Investitionsabkommen unterzeichnet. Das Abkommen hat das Ziel, einen Rat zu Handels- und
Investitionsfragen zu bilden, der aus Vertretern beider Regierungen besteht. Der Rat trifft
regelmäßig zusammen, um bestimmte Handels- und Investitionsangelegenheiten zu
diskutieren. Es wurden Arbeitsgruppen für Fragen der Zollverwaltung und -reform,
88
öffentliche
Auftragsvergabe,
gesundheitspolizeiliche
und
pflanzenschutzrechtliche
Maßnahmen und Angelegenheiten in Bezug auf den Agrarzoll eingerichtet.
Unter
der
Schirmherrschaft
Handelsprotokoll
mit
Israel
der
USA
hat
Ägypten
unterzeichnet.
Dieses
am
14. Dezember 2004
Protokoll
legt
ein
sogenannte
„Sonderwirtschaftszonen“ (qualified industrial zones) in Ägypten fest. Produkte aus diesen
Zonen haben zollfreien Zugang zu den USA, vorausgesetzt, dass 35 % ihrer Bestandteile das
Produkt der israelisch-ägyptischen Kooperation sind.
Am 31. Oktober 2000 hat Ägypten das Abkommen für einen gemeinsamen Markt für das
östliche und südliche Afrika (Common Market for Eastern and Southern Africa – COMESA)
unterzeichnet. Die Vertragspartner sind Djibouti, Kenia, Madagaskar, Malawi, Mauritius,
Sudan, Sambia und Simbabwe. Das Abkommen bezweckt die Abschaffung von Zöllen für
Produkte aus dem COMESA-Raum.
Schließlich hat Ägypten mehrere andere bilaterale und regionale Handelsabkommen
unterzeichnet oder verhandelt diese derzeit (z. B. mit der EFTA und der Türkei).
In diesem Kapitel werden die wichtigsten ägyptischen Freihandelsabkommen mit der EU und
arabischen Ländern analysiert, um ihre Auswirkungen auf die wirtschaftliche und soziale
Entwicklung aufzuzeigen. Abschnitt 2 analysiert die beiden wichtigsten Handelsabkommen
Ägyptens: das Integrationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Ägypten und
das Panarabische Abkommen. Abschnitt 3 untersucht den ägyptischen Handel mit Waren und
kommerziellen Dienstleistungen, einschließlich Entwicklung,
Zusammensetzung und
Ursprung/Ziel. Abschnitt 4 befasst sich mit den Auswirkungen der beiden wichtigsten
ägyptischen Handelsabkommen sowie mit der vorgesehenen Erweiterung des Abkommens
mit der EU (DCFTA).
2. Integrationsabkommen
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit zwei Hauptprozessen: mit dem
Integrationsabkommen zwischen der EU und Ägypten und dem panarabischen Abkommen.
Zur Einordnung der ägyptischen Handelsabkommen erweist sich die Balassa-Klassifizierung
als hilfreich. Sie unterscheidet fünf Phasen der wirtschaftlichen Integration: 6
1. Freihandelszonen (Free Trade Areas – FTAs): Es handelt sich um Abkommen, durch
die Partnerstaaten Handelsbarrieren untereinander abschaffen, während sie ihre
nationalen Barrieren gegen Drittländer aufrechterhalten. Dies erfordert in der Regel
6
Einige fügen eine sechste Phase in Bezug auf den politischen Einigungsprozess hinzu.
89
strikte Ursprungsregeln und kostspielige Zollprüfungen, um die künstliche Umlenkung
der Handelsströme zu verhindern.
2. Zollgemeinschaften (Customs Unions – CUs): Im Rahmen dieser Art von Abkommen
schaffen die Partnerstaaten alle Barrieren für den Handel untereinander ab und
übernehmen einen gemeinsamen Zollsatz gegenüber Drittländern. Damit erübrigt sich
die Übernahme von Intra-CU-Ursprungsregeln und der Bedarf an Zollprüfungen..
3. Gemeinsame Märkte (Common Markets – CMs): Abkommen, die alle Merkmale einer
CU haben, aber zusätzlich die Mobilität der Produktionsfaktoren ermöglichen.
4. Wirtschaftsgemeinschaften (Economic Unions – EUs): Zusätzlich zu den Merkmalen
eines CM, implizieren EUs die Harmonisierung der Finanz-, Steuer-, Industrie- und
Sozialpolitik sowie die Einrichtung eines gemeinsamen Handlungsmusters für
auswärtige Beziehungen.
5. Währungsunion (Monetary Union): Impliziert zusätzlich zur Harmonisierung der
Wirtschaftspolitik die Einführung einer gemeinsamen Währung.
In jüngeren Analysen von Handelsintegrationen wird zudem zwischen solchen oberflächlicher
tiefgreifender Art unterschieden. Die oberflächliche Integration umfasst die Absenkung oder
Abschaffung von Barrieren für den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen
Ländern innerhalb der Region. Die tiefgreifende Integration bezieht die Reformierung oder
Erweiterung des institutionellen Umfelds mit ein, um den Handel und Standort der Produktion
ungeachtet nationaler Grenzen freier zu gestalten. Zu den Elementen der tiefgreifenden
Integration gehören u. a. die Harmonisierung der Gesetzgebung, die Festlegung gemeinsamer
Normen und technischer Vorschriften, den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen und die
Anpassung der Rechtsvorschriften in Bezug auf das geistige Eigentum.
Wie in der Einführung erwähnt wird, ist Ägypten Partner mehrerer Integrationsabkommen.
Sie sind überwiegend der ersten Balassa-Stufe zuzurechnen und von oberflächlicher Art. Die
Verhandlungen mit der EU in Bezug auf den Übergang von der oberflächlichen zur
tiefgreifenden Integration, d. h. DCFTA, dauern an.
2.1
Der Integrationsprozess zwischen Ägypten und der EU
Das erste Kooperationsabkommen zwischen der EG und Ägypten wurde 1977 unterzeichnet.
Es wurde anschließend durch den Abschluss von vier bilateralen Protokollen von 1977
bis 1995 umgesetzt. Das Kooperationsabkommen bildete die Grundlage für wirtschaftliche,
technische und finanzielle Hilfe sowie für die kommerzielle Zusammenarbeit. Im Juni 2001
wurde das Kooperationsabkommen von 1977 dann vom einem Assoziierungsabkommen
90
zwischen der EU und Ägypten abgelöst. Es trat 2004 in Kraft und wurde zu jenem Zeitpunkt
für beide Parteien rechtsverbindlich. Der Integrationsprozess zwischen der EU und Ägypten
beruht nach wie vor auf diesem Abkommen.
Das Assoziierungsabkommen ist für Ägypten von besonderer Bedeutung, da die Europäische
Union
sein
wichtigster
Handelspartner,
seine
Hauptquelle
für
ausländische
Direktinvestitionen und sein wichtigster bilateraler Geldgeber ist. Das Abkommen umfasst
ferner Vereinbarungen zur politischen, wissenschaftlichen, technologischen und kulturellen
Zusammenarbeit. Es sieht die Einrichtung eines jährlich auf Ministerebene tagenden
Assoziationsrats vor sowie einen Assoziationsausschuss, der für die Umsetzung des
Abkommens verantwortlich ist.
Das Abkommen sieht die Einrichtung einer Freihandelszone innerhalb von 15 Jahren vor.
Quantitative Einschränkungen und andere Maßnahmen mit entsprechendem Effekt auf den
Handel wurden nach Inkrafttreten des Abkommens abgeschafft. Mit Ausnahme einiger
Produkte (einschließlich Wolle, Baumwolle, Häute und Felle und verschiedener Öle) sind
Exporte in die EU zollfrei. Auf der anderen Seite sollen Zollabgaben für EU-Importe in
Ägypten abhängig vom Produkt und gemäß der dem Abkommen beigefügten Produktlisten in
einem Zeitraum von maximal 15 Jahren auslaufen. Das Abkommen legt zudem fest, dass die
EU und Ägypten den größten Teil ihres Handels mit landwirtschaftlichen Produkten und
Fischereierzeugnissen schrittweise liberalisieren.
Beide Parteien bekräftigen ihre Rechte und Pflichten unter dem GATS- und dem WTOAbkommen zu Schutzmaßnahmen, Antidumping, Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen.
Hinsichtlich des Austauschs von Dienstleistungen haben beide Parteien vereinbart, eine
Erweiterung des Abkommens in Erwägung zu ziehen, um die Liberalisierung von
Dienstleistungen hinzuzufügen, einschließlich des Rechts der Gründung von Unternehmen
der einen Partei auf dem Territorium der anderen. Des Weiteren garantieren beide Parteien
den ungehinderten Kapitalverkehr für ausländische Direktinvestitionen und die freie
Rückführung etwaiger Gewinne aus solchen Investitionen.
2011 hat der Rat der EU-Außenminister die Europäische Kommission ermächtigt,
Handelsgespräche mit Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien zu beginnen, um
weitreichende und umfassende Freihandelszonen (Deep and Comprehensive Free Trade Areas –
DCFTAs) einzurichten. Im Vergleich zu den ktuellen Handelsbeziehungen werden die
zukünftigen DCFTAs Teil der vorhandenen Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen sein
und
einen
vollständigen
Handelserleichterungen,
Bereich
technische
von
beiderseitigen
Handelsbarrieren,
91
Interessen
abdecken,
z. B.
gesundheitspolizeiliche
und
pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, Investitionsschutz, öffentliche Beschaffung und
Wettbewerbspolitik. Während der Verhandlungen müssen die unterschiedlichen Niveaus der
wirtschaftlichen Entwicklung und der regulatorischen Prioritäten der Partner im südlichen
Mittelmeerraum berücksichtigt werden. Die EU legt zudem besonderes Augenmerk auf
Maßnahmen zur Förderung der regionalen wirtschaftlichen Integration. Dies gilt insbesondere
für den Prozess, der unter den vier Partnern im südlichen Mittelmeerraum im Rahmen des
Agadir-Abkommens begonnen wurde. Im Anschluss an Sondierungsgespräche in 2012 wurde
im Juni 2013 ein Dialog zur DCFTA gestartet. Vorerst sind keine weiteren Treffen vorgesehen.
2.2
Der Prozess der panarabischen Integration
Seit den 1950er Jahren ist der Integrationsgedanke Gegenstand von über 20 Abkommen
zwischen arabischen Ländern. Diese umfassen panarabische Abkommen wie die Convention
for Facilitating Trade and Regulating Trade Transit, das 1953 unterzeichnet wurde, oder die
Greater Arab Free Trade Area (GAFTA), die 1998 eingeführt wurde. Zudem gab es
subregionale Abkommen, z. B. der Arab Common Market von 1964 (Ägypten, Irak,
Jordanien und Syrien), die Union des arabischen Maghreb von 1989 (Algerien, Libyen,
Mauretanien, Marokko und Tunesien) und der 1981 gegründete Golfkooperationsrat (Bahrain,
Kuwait, Oman, Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate). Fast alle
diese Initiativen sind zum Stillstand gekommen, obwohl das Freihandelsabkommen der
Staaten der Arabischen Liga (Greater Arab Free Trade Area – GAFTA) und der
Golfkooperationsrat (Gulf Cooperation Council – GCC) einige Erfolge erringen konnten. Des
Weiteren ist der Fluss von Kapital und Arbeit zwischen arabischen Ländern alles andere als
unbedeutend, obwohl nicht das Ergebnis formaler Abkommen wie etwa des arabischen
Abkommens zur Mobilität arabischer Arbeitskräfte oder des Abkommens zur arabischen
wirtschaftlichen Einheit, das die Freiheit des Kapitalverkehrs garantieren soll (siehe IOM
2010).
1997 haben vierzehn arabische Länder Gespräche über die Bildung des GAFTA begonnen
und
sich
nach
mehreren
Gesprächsrunden
darauf
geeinigt,
das
Zieldatum
der
Implementierung des GAFTA auf den 1. Januar 2007 festzulegen. Achtzehn der
zweiundzwanzig Mitglieder der Arabischen Liga haben das Abkommen unterzeichnet. 7 Die
wichtigsten Regelungen betrafen die progressive Abschaffung von Zoll- und Nicht-ZollBarrieren für den Handel von Fertigwaren unter den GAFTA-Vertragspartnern. Nach
7
Algerien, Bahrain, Ägypten, Irak, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Libanon, Libyen, Marokko, Oman,
Palästina, Saudi-Arabien, Sudan, Syrien, Tunesien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
92
mehreren Verzögerungen bei der Umsetzung wurde die Abschaffung der Zölle am
1. Januar 2005 abgeschlossen, also zwei Jahre früher als geplant. Es existieren jedoch immer
noch mehrere Nicht-Zoll-Barrieren, und der Freihandel deckt bis jetzt nur industrielle
Produkte, aber keine Dienstleistungen und landwirtschaftliche Erzeugnisse ab. Selbst wenn
das GAFTA zu einigen positiven Ergebnissen führte, bleiben seine Erfolge bislang weit hinter
den Erwartungen zurück.
Die GAFTA-Regelungen sehen zwei Arten von Ausnahmen in Bezug auf die
Handelsliberalisierung vor. Die erste betrifft ständige Ausnahmen im Zusammenhang mit
religiösen, hygienischen, ökologischen oder sicherheitstechnischen Faktoren. Die zweite
bezieht sich auf temporäre Ausnahmen, die nicht mehr als 15 % der Gesamtimporte der
einzelnen GAFTA-Länder aus anderen GAFTA-Ländern ausmachen dürfen. Sechs
Mitgliedsstaaten haben die Implementierung dieser temporären Einschränkungen bis 2002
abgeschlossen – Jordanien, Tunesien, Syrien, Libanon, Ägypten und Marokko. Die Anzahl
der temporär ausgeschlossenen Produkte reichte von 35 für Ägypten bis 898 für Marokko.
Diese Produkte standen für 0,3 % bzw. 6,7 % des Handels (Abedini und Péridy, 2008)
Aufgrund des starken landwirtschaftlichen Sektors in der Region unterlagen die
Landwirtschaft und landwirtschaftliche Produkte einem „Landwirtschaftskalender“, der jedem
Staat die Anwendung von Handelsschutzmaßnahmen für höchstens zehn landwirtschaftliche
Produkte aus dem Abkommen während der Erntezeit erlaubte, und zwar höchstens sieben
Monate pro Jahr und maximal insgesamt45 Monate für alle aufgelisteten Produkte (Abedini
and Péridy, 2008).
Das GAFTA wird von den Ministerräten der Mitgliedsländer und von einem ständigen
Exekutivorgan verwaltet. Es hat ein funktionierendes Sekretariat, das zur Wirtschaftsabteilung
der Arabischen Liga gehört. Das Programm auferlegt zudem den Industrie- und
Handelskammern in arabischen Ländern die Überwachung der Umsetzung.
Am 25. Februar 2004 hat Ägypten ein Freihandelsabkommen mit Jordanien, Marokko und
Tunesien unterzeichnet. Das sogenannte Agadir-Abkommen verpflichtete die Parteien im
Wesentlichen, alle Zollabgaben für den gegenseitigen Handel bis zum 1. Januar 2005
abzuschaffen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bezug auf Normierungs- und
Zollverfahren
zu
intensivieren.
Das
Abkommen
deckt
zudem
die
öffentlichen
Ausschreibungen, Finanzdienstleistungen, Notfallmaßnahmen, geistiges Eigentum und die
Beilegung von Streitigkeiten ab. Es wurde als großer Schritt in Richtung einer EuropaMittelmeer-Freihandelszone 2010 erachtet, da es auch Regelungen zur bilateralen und
diagonalen Kumulation enthält.
93
3. Handel
In diesem Abschnitt wird der ägyptische Handel sowohl in Bezug auf Waren und
kommerzielle Dienstleistungen analysiert, einschließlich Entwicklung, Zusammensetzung und
Ursprung/Ziel.
3.1
Gesamthandel
Abb. 1 und 2 stellen die Ausrichtung der Exporte Ägyptens und anderer Länder der Region
dar, gemessen am Export von Waren und kommerzieller Dienstleistungen in Prozent des BIP.
In Bezug auf die Warenexporte weist Ägypten den niedrigsten und über den gesamten
Zeitraum hinweg leicht rückläufigen Anteil auf. Der Anteil des Exports kommerzieller
Dienstleistungen am BIP gehörte zu Beginn des Zeitraums hingegen zu den höchsten und
nahm dann kontinuierlich ab, bis er 2012 unter den niedrigsten war. Bis 2010 waren die
Anteile der Exporte von Waren und kommerziellen Dienstleistungen am ägyptischen BIP
weitgehend ausgeglichen. In den anderen Ländern verkörpern kommerzielle Dienstleistungen
in der Regel einen geringeren Anteil am BIP als Warenexporte. Nach 2008 ist der Anteil der
Exporte kommerzieller Dienstleistungen stark zurückgegangen. Der Anteil der Warenexporte
ging auch zurück, aber weniger deutlich. Während die anderen Länder nach 2008 ebenfalls
einen Rückgang verzeichneten, haben sich diese Werte nach 2009 außer in Ägypten überall
wieder erholt.
Abb. 1: Warenexporte (in % des BIP)
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Ägypten
Israel
Jordanien
Marokko
Syrien
Tunesien
Türkei
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
94
2012
Abb. 2: Exporte kommerzieller Dienstleistungen (in % des BIP)
25
Ägypten
20
Israel
15
Jordanien
Marokko
10
Syrien
5
Tunesien
Türkei
0
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
3.2
Handel nach Hauptpartnern
Zur vorläufigen Darstellung der Auswirkungen der beiden genannten Handelsabkommen auf
Ägypten befasst sich dieser Abschnitt mit dem ägyptischen Handel mit seinen
Vertragspartnern. Aus Abb. 3 geht hervor, dass Ägypten nach Jordanien das Land ist, das
sowohl in Bezug auf Importe als auch auf Exporte am meisten mit anderen arabischen
Ländern handelt. Der Unterschied zu Jordanien zeigt sich am deutlichsten bei den Exporten.
Im relevanten Zeitraum haben sowohl ägyptische Importe aus anderen arabischen Ländern als
auch Exporte dorthin zugenommen.
Abb. 3: Der Anteil des Warenexports in die arabische Welt und des Imports
aus diesen Ländern (in % der gesamten Ein- und Ausfuhren)
70
40
Exporte
60
Importe
35
30
50
25
40
20
30
15
20
10
10
5
0
0
Ägypten, arab. Rep.
Jordanien
Ägypten, arab. Rep.
Jordanien
Marokko
Tunesien
Marokko
Tunesien
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
95
Verglichen mit den Hauptpartnern ist der Anteil der ägyptischen Exporte in die EU, mit
Ausnahme von Jordanien, tiefer. Er ist weitaus geringer als von Marokko, Tunesiens und der
Türkei. Der Anteil der Exporte in die EU ist in allen Ländern, außer in Israel, abnehmend. Der
Anteil der ägyptischen Exporte nach Nordamerika gehört zu den niedrigsten und liegt weit
unter den entsprechenden israelischen und jordanischen Werten. Dieser Anteil ist zudem
rückläufig.
In Bezug auf Importe ist der Anteil der ägyptischen Importe aus der EU, mit Ausnahme von
Jordanien, geringer als bei den anderen Ländern. Er ist weitaus geringer als in Marokko,
Tunesien und in der Türkei. Der Anteil der Importe aus der EU ist in allen Ländern
rückläufig. Der Anteil der ägyptischen Importe aus Nordamerika ist gering und vergleichbar
mit dem anderer Länder, außer Israel, wo er am höchsten ist.
Abb. 4: Der Anteil der Warenexporte in die EU und nach Nordamerika
(in % des Gesamtexports)
70
70
EU
60
60
50
50
40
40
30
30
20
20
10
10
0
0
Quelle: COMTRADE
96
Nordamerika
Abb. 5: Der Anteil der Warenimporte aus der EU und aus Nordamerika
(in % des Gesamtimports)
60
60
Die EU
50
50
40
40
30
30
20
20
10
10
0
0
Nordamerika
Quelle: COMTRADE
3.3
Die Zusammensetzung des Handels
Da die Zusammensetzung der Ausfuhren eines Landes für sein Wachstum von Bedeutung ist
(Hausmann et al., 2007), befasst sich dieser Abschnitt mit diesem Aspekt. Angesichts ihrer
Bedeutung für die ägyptischen Exporte deckt die Analyse neben den Warenexporten auch
Exporte kommerzieller Dienstleistungen ab. Abb. 6 zeigt, dass Ägypten sich insofern vom
Rest der Länder abhebt, als ein großer Anteil seiner Warenexporte aus Öl besteht. Dieser
Anteil hat über den Zeitraum der Beobachtung jedoch kontinuierlich zugunsten von
gefertigten Produkten abgenommen, die seit 2009 den größten Anteil der ägyptischen Exporte
ausmachen, wenn dieser Anteil auch geringer ausfällt als in den anderen Ländern.
97
Abb. 6: Die Aufgliederung der Warenexporte nach Art der Ware (in %)
Ägypten
Israel
100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20%
0%
0%
Jordanien
Marokko
100%
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
80%
60%
40%
20%
0%
Tunesien
Türkei
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
98
Abb. 7 zeigt, dass Tourismus und Transport über 80 % der ägyptischen Exporte
kommerzieller Dienstleistungen repräsentieren. Diese beiden Sektoren belegen zudem einen
großen Anteil in den anderen Ländern, außer in Israel, wo ICT-Dienstleistungen die
wichtigste Komponente (über 60 %) der kommerziellen Dienstleistungen darstellen. Obwohl
geringer als in Israel ist der Anteil der ICT-Dienstleistungen auch in Marokko von einiger
Bedeutung (etwa 33 %). Wie bei den Waren scheinen ägyptische Exporte auch bei den
kommerziellen Dienstleistungen noch von traditionellen Strukturen bestimmt.
99
Abb. 7: Die Aufgliederung der Exporte kommerzieller Dienstleistungen nach Art der
Dienstleistung (in %)
120
120
Ägypten
100
100
80
80
60
60
40
40
20
20
0
0
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
120
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
120
Jordanien
100
100
80
80
60
60
40
40
20
20
0
0
120
Tunesien
100
100
80
80
60
60
40
40
20
20
0
Marokko
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
120
Israel
Türkei
0
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Quelle: Weltentwicklungsindikatoren
100
4. Die Auswirkungen ägyptischer Handelsabkommen
4.1
Aktuelle Abkommen
Zur Beurteilung der tatsächlichen Erträge aus der wirtschaftlichen Integration wird häufig ein
auf der ökonometrischen Einschätzung von Gravitationsmodellen basierender Ansatz
verwendet. De Wulf und Maliszewska (2009) haben die Literatur zum Barcelona-Prozess
studiert 8 und eine qualitative und sektorale Beurteilung der Auswirkungen auf den Handel
und die Investitionen in Ägypten, Israel, Jordanien, Marokko und Tunesien geliefert. Ihre
Analyse zeigt, dass der Barcelona-Prozess nur im Fall von Ägypten und Tunesien zu einem
verstärkten Handel mit der EU beigetragen hat. Es wurden keine Anhaltspunkte für die
Auswirkungen des Prozesses auf den Handel von Marokko, Jordanien und Israel mit der EU
gefunden.
Zusätzlich zur Beurteilung der Auswirkungen des Barcelona-Prozesses hat Söderling (2005)
die folgende Frage gestellt: Gibt es signifikante unerschlossene Exportmärkte für die MENARegion? Der Autor hat das Gravitätsmodell mit einem Panel-Datensatz gespeist, der
90 Länder und etwa 90 Prozent des gesamten Welthandels abdeckt. Die Ergebnisse haben
zuerst gezeigt, dass es viele Nicht-EU-Exportmärkte gibt, die von den Ländern im südlichen
Mittelmeerraum noch nicht erschlossen sind. An erster Stelle dieser Märkte stehen die USA.
Dieser Markt bleibt von Jordanien, Marokko, Syrien und Tunesien weitgehend ungenutzt,
während Algerien und Ägypten einen Exportüberschuss in die Vereinigten Staaten aufweisen.
Japan und mehrere andere asiatische Länder sind ebenfalls wichtige unerschlossene NichtEU-Märkte. Israel ist ein weiterer unerschlossener Markt, insbesondere für Jordanien und
Ägypten, trotz des von Ägypten, Israel und den USA unterzeichneten Abkommens.
Hinsichtlich des Barcelona-Prozesses selbst zeigen die Ergebnisse, dass Ägypten einen
leichten Exportüberschuss in die EU aufweist, während Algerien und Syrien, beide
überwiegend Exporteure von Kohlenwasserstoffen, einen signifikanten Exportüberschuss in
die EU aufweisen. Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass mehrere MENA-Länder die
Vereinigten Staaten von Amerika als Exportmarkt viel zu wenig nutzen. Auch die
Auswirkungen der Integrationsmaßnahmen mit der Europäischen Union waren demnach
bislang moderat, in einzelnen Fällen jedoch signifikant.
8
Der Barcelona-Prozess wurde im November 1995 von den Außenministern der 15 EU-Mitglieder und
12 Partnern aus dem Mittelmeerraum lanciert. Er hat die Grundlage für die Europa-Mittelmeer-Partnerschaft
geschaffen, die sich inzwischen erweitert und zur Union für den Mittelmeerraum entwickelt hat. Er basierte auf
den Grundsätzen der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen, des Dialog und der Zusammenarbeit, und
versuchte, einen Mittelmeerraum des Friedens, der Sicherheit und des gemeinsamen Wohlstands zu schaffen.
101
Cieślik und Hagemejer (2009) haben eine ähnliche Analyse wie Söderling (2005)
durchgeführt. Der Hauptunterschied liegt darin, dass sie die Auswirkungen anderer
multilateraler und bilateraler Freihandelsabkommen untersucht haben, die von den MENALändern untereinander und mit anderen Ländern außerhalb der Region abgeschlossen wurden.
Dazu gehören die EFTA-Abkommen, die Union des arabischen Maghreb, der arabische
Kooperationsrat, unterschiedliche bilaterale Abkommen zwischen MENA-Ländern sowie
bilaterale Abkommen mit den EU-assoziierten Staaten (jetzt neue EU-Mitgliedsländer) in
Zentral- und Osteuropa und den NAFTA-Ländern: Kanada, Mexiko und die USA. Die
Stichprobe deckt den Zeitraum von 1980-2004 und 196 Handelspartner von sieben MENALändern ab: Algerien, Ägypten, Marokko, Tunesien, Israel, Jordanien und Türkei. Die
Autoren haben festgestellt, dass während die EU-Gemeinschaftsabkommen Importe der
MENA-Länder signifikant erhöht haben, sie nicht zur Ausweitung ihrer Exporte in die EUMärkte beigetragen haben.
Ferragina et al. (2009) liefern einen Vergleich des relativen Erfolgs der innereuropäischen
Abkommen (d. h. mit den MOEL) gegenüber dem Barcelona-Prozess. Sie haben zuerst den
potenziellen (nicht tatsächlichen) Handel zwischen den Mitgliedern der innereuropäischen
Abkommen einerseits und zwischen den Mitgliedern des Barcelona-Prozesses andererseits
berechnet. Anschließend haben die den potenziellen und den tatsächlichen Handel über die
beiden Liberalisierungszeiträume hinweg verglichen, um den Beitrag der einzelnen Prozesse
zu dokumentieren. Die Ergebnisse zeigen, dass das Handelspotenzial zwischen der EU und
dem südlichen Mittelmeerraum bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist, und dass sich die
Situation verschlechtert. Das Verhältnis zwischen dem tatsächlichen Handelsvolumen und
dem Handelspotential liegt zwischen 20 % und 30 % des Handespotentials. MOEL zeigen
hingegen viel höhere und steigende Verhältnisse.
Abedini und Péridy (2008) haben versucht, den Ex-post-Effekt des GAFTA zu beurteilen. Sie
haben festgestellt, dass das Abkommen im Zeitraum von 1988-2005 zu einer Bruttoerhöhung
des Handels von etwa 20 % geführt hat. Ein Problem mit diesem Ergebnis ist der Umstand,
dass das GAFTA nach 1998 nur graduell implementiert wurde (in anfänglichen Schritten von
10 %, später auf 20 % pro Jahr, und die vollständige Implementierung erst 2005 erreicht
wurde). Daher gibt es ein Attributions- bzw. Identifikationsproblem. Der Effekt anderer
Ereignisse muss ebenfalls genauer geprüft werden, z. B. die Erweiterung der EU, der
Ausschluss einiger landwirtschaftlichen Produkte aus dem GAFTA während eines Großteils
des Zeitraums (z. B. ist die Landwirtschaft der dynamischste Importzweig Syriens), und die
graduelle Abschaffung von Textilquoten unter der WTO während des Zeitraums.
102
Péridy (2005) hat das Handelspotenzial unter den Ländern des Freihandelsabkommens von
Agadir geschätzt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Handelsflüsse zwischen diesen Ländern
aufgrund der hohen Handelskosten äußerst gering bleiben. Insbesondere reflektieren die
geschätzten Auswirkungen der Grenzen ein signifikantes Defizit der Handelsintegration in
diesem Gebiet. Auch das Exportpotenzial zwischen diesen Ländern bleibt aufgrund der
mangelnden Handelskomplementarität beschränkt. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass
das Agadir-Abkommen möglicherweise nur eingeschränkte Auswirkungen auf den Handel
hat.
Freund und Portugal-Perez (2012) haben die Auswirkungen der unterschiedlichen
Abkommen, an denen arabische Länder beteiligt sind (z. B. GAFTA, EU-MENA, TürkeiMENA, Agadir und US-MENA), auf den Handel nach ihrem Inkrafttreten und ihrer
Implementierung untersucht. Sie haben geringe Auswirkungen der GAFTA-, EU-MENA- und
der Türkei-MENA-Abkommen festgestellt, die unter denen standardmäßiger präferentieller
Handelsabkommen anzusiedeln sind. Im Gegensatz dazu liegen die Auswirkungen des
Agadir- und des USA-MENA-Abkommens auf demselben Niveau oder über dem
gewöhnlicher präferentieller Handelsabkommen. Es gibt jedoch wichtige Unterschiede
zwischen den Auswirkungen von Exporten und Importen sowie zwischen den einzelnen
Ländern. Durch die Aufschlüsselung der Auswirkungen haben die Autoren festgestellt, dass
sich die Abkommen mit der EU positiv auf die EU-Exporte auswirkten. Für signifikante
positive Auswirkungen auf die MENA-Exporte fanden sie keine Bestätigung. Erfolge von
Abkommen mit den USA sind auf das Abkommen zwischen den USA und Jordanien
begrenzt. Nur Agadir hatte Auswirkungen, die mit jenen gewöhnlicher präferentieller
Handelsabkommen vergleichbar waren. Insgesamt haben die aktuellen Handelsabkommen
den Handel demnach nicht auf wirtschaftlich sinnvolle Weise stimuliert.
Die bislang erwähnten Studien haben sich auf den Warenhandel konzentriert. Konan (2003)
hat die Auswirkungen des Handels sowohl von Waren als auch von Dienstleistungen für
Tunesien und Ägypten untersucht. Sie hat insbesondere drei verschiedene Stufen der
Integration geprüft: die oberflächliche Integration, die Reduzierung von Nicht-Zoll-Barrieren
(Non-Tariff Barriers, NTBs) und die Liberalisierung der Barrieren für den Handel mit
Dienstleistungen. Die Kombination der drei Stufen hat zur Formulierung von fünf Szenarien
geführt: i) oberflächliche Integration, ii) präferenzielle Liberalisierung, entweder durch die
Europa-Mittelmeer-Initiative oder das PAFTA; iii) multilaterale Liberalisierung, iv)
tiefgreifende Integration, bei der NTBs auf Waren abgeschafft werden, und v) Liberalisierung
der Dienstleistungen, die aus der Reduzierung von Barrieren für den grenzübergreifenden
103
Handel sowie von Barrieren für ausländische Direktinvestitionen (Foreign direct investment,
FDI) im Dienstleistungssektor besteht. In Tabelle 1 sind die Auswirkungen der
unterschiedlichen Kombinationen auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) zusammengefasst.
Die Erträge aus einer Handelsliberalisierung, die nur die Abschaffung der Zölle bezweckt, ist,
außer in einem Fall, für Tunesien prozentual signifikant höher als für Ägypten. Die Erträge
aus dem GAFTA allein betragen zwei Prozent des ägyptischen BIPs, während für ein
oberflächliches Handelsabkommen zwischen der EU und Ägypten ein vernachlässigbarer
Effekt errechnet wurde.
Hinsichtlich der Szenarien einer tiefergreifenden Integration zeigen die Ergebnisse, dass eine
Liberalisierung, die sowohl die Abschaffung von Zoll- und Nicht-Zoll-Barrieren für den
Handel mit Waren umfasst, zu signifikant höheren Erträgen als die bei der oberflächlichen
Integration führt. Insgesamt sind die BIP-Zuwächse in Ägypten zweimal höher, obwohl ihre
Niveaus im Vergleich zu denen in Tunesien immer noch bescheiden sind.
Die Ergebnisse in Bezug auf die Szenarien der Liberalisierung von Dienstleistungen zeigen,
dass während die Effekte der Aufhebung von Grenzen allein bereits positiv sind, die
Durchführung von Reformen, die ausländische Direktinvestitionen ermöglichen, in beiden
Ländern substanzielle zusätzliche Erträge generiert. Die Erträge sind in beiden Ländern
vergleichbar. Während in Tunesien BIP-Zuwächse mit denen vergleichbar sind, von denen
ausgegangen wird, dass sie über eine tiefgreifende Liberalisierung des Warenhandels
erreichbar sind, scheint Ägypten mehr von einer Liberalisierung zu profitieren, die sich auf
den Handel mit Dienstleistungen statt mit Waren konzentriert.
104
Tabelle 1: Die Veränderung des BIPs (in %) gestützt auf Integrationsszenarien
Szenarien
Oberflächlich: nur Zölle
Europa-Mittelmeer-Abkommen
GAFTA
GAFTA plus Europa-Mittelmeer
MFN
Europa-Mittelmeer-PAFTA und MFN
Tunesien
Ägypten
3,03
-0,07
3,02
2,12
2,20
0,90
2,05
0,85
0,45
0,45
Tiefgreifend: Zölle plus Waren-NTBs
GAFTA plus Europa-Mittelmeer
Unilaterales MFN-Europa-Mittelmeer-Abkommen
GAFTA und MFN
8,26
8,82
8,85
1,87
1,33
1,49
Die Liberalisierung von Dienstleistungen
Aufhebung der Grenzen für Dienstleistungen
Die Liberalisierung von Investitionen in Dienstleistungen
Die vollständige Liberalisierung von Dienstleistungen
0,74
7,79
8,78
2,49
8,39
8,71
Kombination
GAFTA (nur Zölle)
-0,07
2,05
GAFTA, Europa-Mittelmeer, MFN (nur Zölle)
4,31
0,45
GAFTA plus Europa-Mittelmeer (Zölle plus Waren-NTBs)
8,26
1,87
GAFTA, Europa-Mittelmeer, MFN (Zölle plus Waren-NTBs)
8,85
1,49
Liberalisierung von Dienstleistungen (keine Änderung der
Warenbarrieren)
8,78
8,71
GAFTA plus oberflächliche Liberalisierung von Warenverkehr und
Dienstleistungen
4,85
0,81
GAFTA plus tiefgreifende Liberalisierung von Warenverkehr,
Dienstleistungen und FDI
16,49
8,2
Quelle: Konan (2003). MFN = 'most favored nation' (meistbegünstigte Nation), unilaterale Zollsenkung.
4.2 Projektierte Abkommen: Freihandelsabkommen (DCFTA) zwischen
der EU und Ägypten.
Das DCFTA zwischen der EU und Ägypten wird derzeit noch verhandelt. Die Evaluierung
seiner Auswirkungen betrifft daher nur die erwarteten Effekte.
Eine erste Studie wurde von der EU an ein externes Beratungsunternehmen in Auftrag
gegeben. Der Ergebnisbericht (ECORYS, 2014) präsentiert die voraussichtlichen
wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen des DCFTA zwischen der EU und
Ägypten. Die Studie basiert auf einer Kombination aus quantitativen und qualitativen
Analysen sowie Konsultationen von Interessengruppen und hat zur Beurteilung ein
errechenbares allgemeines Gleichgewichtsmodell (CGE) verwendet. Das Modell zeigt sowohl
kurz- als auch langfristige Ergebnisse auf, wobei der Unterschied darin liegt, dass Kapital
langfristig zwischen Sektoren neu zugeordnet werden kann. Das Szenario, das verwendet
105
wird, um die wahrscheinlichen Auswirkungen des Abkommens zu simulieren, beruht auf
folgenden Annahmen:
1. Die Zölle werden nur in der Landwirtschaft gesenkt, weil die Zölle auf Industriegütern
bereits abgeschafft sind. Es wird davon ausgegangen, dass Landwirtschaftszölle in
Ägypten für EU-Importe um 80 % reduziert werden, während Zölle in der EU für
ägyptische Importe um 95 % reduziert werden.
2. Nicht-Zoll-Maßnahmen (Non-tariff measures, NTMs) bei Dienstleistungen für
ägyptische Dienstleistungen, die in der EU bereitgestellt werden, werden um drei
Prozent reduziert, und bei EU-Dienstleistungen, die in Ägypten bereitgestellt werden,
um fünf Prozent.
Es wird erwartet, dass das BIP in Ägypten kurzfristig um 1,2 % ansteigt. Langfristig wird eine
Steigerung von 1,8 % erwartet. Die Analyse der Auswirkungen der unterschiedlichen Arten
der Liberalisierung zeigt, dass die Reduzierung von NTMs für Waren bei weitem der
wichtigste Beitrag für die erwarteten Gewinne aus dem DCFTA ist – er ist für mehr als die
Hälfte der Gewinne verantwortlich. Die Reduzierung der Landwirtschaftszölle trägt, wenn
auch in weit geringerem Ausmaß, ebenfalls signifikant zu Einkommenszuwächsen bei.
Es wird zudem erwartet, dass der ägyptische Handel insgesamt zunehmen wird und zwar
kurzfristig mit einer geschätzten Steigerung von 8 % und langfristig mit einer Steigerung von
25 %. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass die Exporte in die EU kurzfristig sogar um
nahezu 17 % und langfristig sogar um 50 % wachsen werden.
Bezüglich der Gehälter für gering-, mittel- und hochqualifizierte Arbeitnehmer wird erwartet,
dass diese kurzfristig um 1,9 %, 4,8 % bzw. um 0,1 % ansteigen werden. Langfristig gesehen
werden die erwarteten Gehaltsänderungen möglicherweise weniger positiv ausfallen und sich
für geringqualifizierte Arbeitnehmer sogar negativ entwickeln.
Eine weitere, von vier Akademikern durchgeführte Studie (Ghoneim et al., 2012) gibt
ebenfalls Aufschluss über die potenziellen Auswirkungen des DCFTA. In der Studie wurde
ein Gravitätsmodell für den Handel zwischen der EU und 11 Ländern im südlichen
Mittelmeerraum verwendet, um die Auswirkungen auf den Handel zu simulieren. In
Anbetracht der Tatsache, dass der Schutz durch NTMs in der Regel viel wesentlicher als Zölle
(außer im Fall von Algerien und Tunesien), weisen Marokko, Tunesien und Ägypten die
niedrigsten Zollhürden auf (weniger als 25 %). Die Berechnung der Förderung des Handels
aufgrund der oberflächlichen und tiefgreifenden Integration zeigt:
1. Es wird erwartet, dass die Abschaffung von Zöllen moderate bzw. begrenzte Erträge
produziert. Dies gilt jedoch nicht für Algerien und Tunesien (oder nur in geringerem
106
Ausmaß), da beide Länder höhere Zölle als andere Mittelmeerländer verlangen.
Ägypten
und
Marokko
weisen
moderate
Importsteigerungen
aufgrund
der
Abschaffung von Zöllen auf (etwa 30 %). Für die anderen Länder (Libanon,
Jordanien, Israel und Türkei) kann von einer weiteren oberflächlichen Integration nur
eine begrenzte Importsteigerung erwartet werden, da die potenziellen Erträge aufgrund
früherer Liberalisierung der Zollabgaben, sowohl multilateral (GATT) als auch
regional (Barcelona-Abkommen) bereits nahezu vollständig erreicht wurden.
2. Die Abschaffung von NTMs kann hingegen zu starken Zunahmen des Handels führen.
In Bezug auf Importe liegt die erwartete Steigerung zwischen etwa 25 % in Marokko
und Tunesien und 60 % in Algerien. Die anderen Länder befinden sich auf den
mittleren Rängen und weisen Importsteigerungen von 32 % (Libanon) bis 39 %
(Ägypten und Jordanien) aus. Exportsteigerungen sind, obwohl auch signifikant
(35 %), geringer als Importsteigerungen.
3. Die Zunahme des Handels aufgrund einer oberflächlichen Integration kann zudem
durch die Senkung von Handels- und Logistikkosten weiter gesteigert werden.
Neben der Tatsache, dass diese Ergebnisse nur die voraussichtlichen, nicht die tatsächlichen
Auswirkungen betreffen, gibt das DCFTA Anlass zu ernsthaften Bedenken in Bezug auf die
dynamischen Auswirkungen einiger Regelungen. Es sei daran erinnert, dass im Vergleich zu
aktuellen Handelsbeziehungen die zukünftigen DCFTAs einen vollständigen Bereich von
beiderseitigen Interessen abdecken, z. B. Handelserleichterung, technische Handelsbarrieren,
gesundheitspolizeiliche
und
pflanzenschutzrechtliche
Maßnahmen,
Investitionsschutz,
Beschaffungen der öffentlichen Hand und Wettbewerbspolitik.
Shadlen (2005) hat argumentiert, dass tiefgreifende Integration in größerem Ausmaß bedeutet,
dass Entwicklungsländer neue Einschränkungen in Bezug auf die Verwaltung eingehender
ausländischer Investitionen, das geistige Eigentum usw. akzeptieren. Die zusätzlichen
Einschränkungen, die durch regionale bilaterale Abkommen auferlegt werden, gefährden die
nationalen Möglichkeiten der industriellen Modernisierung erheblich und sind in der Regel
viel restriktiver als unter den WTO-Regelungen. Unter dem NAFTA-Abkommen kann
Mexiko beispielsweise ausländische (insbesondere US- und kanadische) Akquisitionen nicht
mehr kontrollieren und verhindern. Nur im Fall von Aufkäufen mit außerordentlich hohem
Volumen, und in den Fällen, in denen ausländische Eigentümer über vierzig Prozent eines
mexikanischen Unternehmens erwerben möchten, unterliegen Ankäufe der staatlichen
Genehmigung. Mexiko darf aber nicht versuchen, die Einstellungs- und Weiterbildungspraxis
107
von Unternehmen zu beeinflussen oder die Rückführung von Investitionskapital, Zahlungen,
Gewinnen und Abgaben auf irgendeine Weise einzuschränken.
Shadlen (2005) hat zudem auf das Problem der Urheberrechte verwiesen. Entwicklungsländer
beispielsweise, die regionale bilaterale Abkommen mit den USA abschließen, akzeptieren in
der Regel Verpflichtungen im Bereich des geistigen Eigentums, die weit über das
hinausgehen,
was
von
WTO-Mitgliedern
gefordert
wird.
Anforderungen,
dass
Unterzeichnerstaaten via „Pipeline“-Schutz einen erhöhten Patentschutz und längere
Zeiträume für Datenexklusivität bieten, sind Standardmerkmale derartiger Abkommen. Aber
viele Pharmaunternehmen in Entwicklungsländern haben keine Patente beantragt, häufig, weil
pharmazeutische Produkte zum Zeitpunkt der Erfindung nicht patentierbar waren. Den
„Pipeline“-Schutz zu garantieren, bedeutet, Patente für Produkte zu gewähren, die für die
Dauer des Patents im ersten Land nicht neu sind. Wenn Pharmaunternehmen zudem die
Zulassung für Arzneimittel von lokalen Zulassungsbehörden ersuchen, müssen Sie in der
Regel Testdaten einreichen. Wenn der Zugriff auf diese Daten gesperrt ist, können Hersteller
von generischen Medikamenten ohne Wiederholung kostspieliger und zeitaufwändiger
klinischer Studien keine behördliche Zulassung erhalten. Während TRIPs Staaten
Verpflichtungen in Bezug auf die Behandlung von Testdaten auferlegen, drängen die USA in
regionalen bilateralen Abkommen ausnahmslos auf ein Minimum von fünf Jahren für die
Datenexklusivität.
Derartige
Verpflichtungen
in
den
US-RTAs
passen
nicht
unbedingt
zu
den
Entwicklungsperspektiven der Entwicklungsländer, die Partner solcher Abkommen sind. Die
Auferlegung von Elementen der tiefgreifenden Integration im Pharmabereich kann deshalb
beispielsweise mit einiger Wahrscheinlichkeit soziale Unruhen hervorrufen (Ghoneim, 2008).
Dies wird durch einen OXFAM-Bericht (2004) bestätigt, der gezeigt hat, dass die
Bedingungen, welche die USA in Bezug auf das geistige Eigentum im Pharmasektor in seinen
FTAs als 'TRIPS+'-Verpflichtung auferlegt, welche die Schutzmaßnahmen im Bereich der
öffentlichen Gesundheit, die WTO-Mitgliedern unter TRIPS gewährt werden, aushebeln.
Dadurch wird der Zugang zu erschwinglichen Medikamenten in Entwicklungsländern
eingeschränkt.
Schließlich erfordert die Harmonisierung von Normen und Vorschriften, dass ein
Entwicklungsland Verfahren und Einrichtungen zur Konformitätsbewertung einrichtet. Es
muss außerdem die Kapazität haben, seine Prüflaboratorien international zu zertifizieren.
Viele Entwicklungsländer wie Ägypten verfügen nicht über Laboratorien, die ein solches
Leistungsniveau bieten können (Ghoneim, 2008).
108
5. Fazit
Ägypten ist Vertragspartner mehrerer Handelsabkommen. Dazu gehören WTO, GFTA,
Agadir, das Abkommen zwischen der EU und Ägypten, das US-ägyptische Abkommen, das
Abkommen zwischen der Türkei und Ägypten, das israelisch-ägyptische Abkommen und das
COMESA.
In
diesem
Kapitel
wurden
die
Auswirkungen
der
ägyptischen
Freihandelsabkommen mit der EU und arabischen Ländern präsentiert.
Die Entwicklung des ägyptischen Handels im Laufe der Zeit lässt nicht auf bedeutende
Effekte derartiger Abkommen schließen. Der Anteil von Warenexporten am BIP ist geringer
als in vielen Ländern in der Region und nimmt seit 2005 leicht ab. Der Anteil an Exporten
kommerzieller Dienstleistungen am BIP, der zu Beginn der 2000er Jahre unter den höchsten
war, hat inzwischen kontinuierlich abgenommen, bis er 2012 zu den niedrigsten gehörte.
Bezüglich der Partner treibt Ägypten bedeutenden Handel mit anderen arabischen Ländern,
sowohl die Importe als auch die Exporte betreffend. Im Untersuchungszeitraum haben sowohl
ägyptische Importe aus anderen arabischen Ländern zugenommen als auch die Exporte
dorthin. Im Gegensatz dazu ist der Anteil der EU an ägyptischen Exporten geringer als in den
anderen Ländern der Region und ebenfalls rückläufig. Nordamerikas Anteil an ägyptischen
Exporten gehört zu den niedrigsten und liegt weit unter dem entsprechenden Anteil der
Exporte Israels und Jordaniens. Dieser Anteil ist zudem auch rückläufig.
Da die Zusammensetzung der Exporte eines Landes für sein Wachstum von Bedeutung ist,
haben wir auch diesen untersucht. Sowohl bei Waren als auch bei kommerziellen
Dienstleistungen wird der ägyptische Export immer noch von traditionellen Strukturen
dominiert. Obwohl der Anteil von Öl, das zu Beginn des relevanten Zeitraums der
Hauptwarenexportartikel war, während des Beobachtungszeitraums kontinuierlich zugunsten
von hergestellten Produkten abgenommen hat, bleiben letztere im Vergleich zu anderen
Ländern in der Region untervertreten. Tourismus und Transport verkörpern über 80 % der
ägyptischen Exporte kommerzieller Dienstleistungen.
Die Überprüfung der empirischen Beurteilung der Erträge aus der wirtschaftlichen Integration
zeigt unterschiedliche Auswirkungen. In Bezug auf Europa hat der Barcelona-Prozess nur im
Fall von Ägypten und Tunesien zu einem verstärkten Handel mit der EU beigetragen.
Ägypten scheint zudem viel in die USA zu exportieren, was bei manchen anderern arabischen
Ländern nicht der Fall ist. Es gibt jedoch unerschlossene Exportmärkte. Japan und mehrere
andere asiatische Länder sind wichtige unerschlossene Nicht-EU-Märkte. Israel ist ein
weiterer unerschlossener Markt, insbesondere für Jordanien und Ägypten, trotz des von
109
Ägypten, Israel und den USA unterzeichneten Abkommens. In Bezug auf Abkommen
innerhalb des MENA-Raums zeigen das GAFTA und das Türkei-MENA-Abkommen nur
geringe Auswirkungen. Im Gegensatz dazu entsprechen die Auswirkungen des AgadirAbkommen jenen standardmäßiger präferentieller Handelsabkommen oder gehen gar über sie
hinaus.
Hinsichtlich der Szenarien einer tiefergreifenden Integration zeigen die Ergebnisse, dass eine
Liberalisierung, die sowohl die Abschaffung von Zoll- und Nicht-Zoll-Barrieren für den
Handel mit Waren umfasst, zu signifikant höheren Erträgen als die bei der oberflächlichen
Integration führt. Insgesamt sind BIP-Zuwächse in Ägypten zweimal höher, obwohl ihre
Niveaus im Vergleich zu denen in Tunesien immer noch bescheiden sind. Das DCFTA
zwischen der EU und Ägypten wird derzeit noch verhandelt. Die Evaluierung seiner
Auswirkungen betrifft daher nur die erwarteten Effekte. Die geschätzten Auswirkungen auf
den Handel sind widersprüchlich. Außerdem gibt das DCFTA Anlass zu ernsthaften
Bedenken in Bezug auf die dynamischen Auswirkungen einiger Regelungen, z. B.
Handelserleichterungen,
technische
Handelsbarrieren,
gesundheitspolizeiliche
und
pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, Investitionsschutz, öffentliche Beschaffung und
Wettbewerbspolitik. Die Befürchtungen sind auf die Tatsache zurückzuführen, dass
Einschränkungen, die durch regional-bilaterale Abkommen, z. B. NAFTA, auferlegt werden,
einschneidender sind und die nationalen Möglichkeiten der industriellen Modernisierung
stärker gefährden als die WTO-Regelungen.
110
Literaturhinweise
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of its trade effects', Journal of Economic Integration, 23:4, S. 848-872.
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