Strukturelle Probleme belasten Ägyptens Wirtschaft

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Ausgabe 1 | 10. Februar 2016
Strukturelle Probleme belasten Ägyptens Wirtschaft
Dr. Mario Jung
Senior Regional Economist
NER, Coface
Defizite gegenüber regionalen Wettbewerbern, Schwächen in Infrastruktur, Verwaltungs-und Bildungssystem, politische
Probleme und kritische Sicherheitslage: Die Wirtschaft Ägyptens bewegt sich auf einer instabilen Basis. Und die Abhängigkeit
von ausländischen Investitionen ist groß. Im Fokus der Märkte und der Investoren wird dabei aber auch immer die politische
­Situation in Ägypten stehen.
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Moderates Wirtschaftswachstum
Ein stärkeres Wachstum ist auch bitter
nötig, um die stark wachsende und junge
Bevölkerung an Wohlstand und Arbeit
teilhaben zu lassen. Nach unserer Ein­
schätzung wird Ägypten beim Wachs­
tumstempo im laufenden Fiskaljahr
2015/16 sogar noch eine kleine Schippe
drauflegen können: Wir erwarten dem­
nach eine leichte Wachstumsbeschleuni­
gung auf 4,4%. Allerdings halten wir es für
äußerst schwierig, bis Mitte 2019 das
erklärte Regierungsziel eines Wachstums
von 6% erreichen zu können. Denn der
Zielerreichung stehen Hindernisse in
Form großer struktureller Probleme im
Weg.
© andrej67/iStock/Thinkstock/Getty Images
Nach schwierigen Jahren hat die ägypti­
sche Wirtschaft im gerade abgelaufenen
Jahr 2015 wieder Tritt gefasst. Unter stabi­
leren politischen Verhältnissen hat sich
das Wirtschaftswachstum im Fiskaljahr
2014/15 (Juli 2014 bis Juni 2015) deutlich
beschleunigt: auf 4,2%, nachdem es im
Fiskaljahr 2013/14 noch bei 2,2% gelegen
hatte.
Die Erweiterung des Suezkanals stieß bei ausländischen Investoren auf großes Interesse.
Mangelnde Konkurrenzfähigkeit
Die ägyptische Wirtschaft hat mit großen
Defiziten in der Wettbewerbsfähigkeit zu
kämpfen. Sie schlagen sich in einem
merklichen Fehlbetrag in der Leistungs­
bilanz nieder, der von 3,3% des Brutto­
inlandsprodukts im vergangenen Jahr bis
auf 4,2% im neuen Jahr ansteigen dürfte.
Diese für Ägypten negative Entwicklung
wurde zusätzlich durch die Tatsache
begünstigt, dass sich Ägypten zuletzt
vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur
von Energie entwickelt hat. Außerdem
hat die vergleichsweise enge Bindung
des Ägyptischen Pfund an den US-Dollar
dazu geführt, dass es weniger stark
gegenüber dem Greenback abgewertet
hat als beispielsweise die Währungen
wichtiger Wettbewerber wie der Türkei
oder Marokkos.
Dass die ägyptische Wirtschaft von ihren
strukturellen Rahmenbedingungen her
für den internationalen Wettbewerb nur
unzureichend gerüstet ist, zeigen Ver­
gleichsstudien internationaler Institutio­
nen. Auch wir bewerten das Geschäfts­
klima in diesem nordafrikanischen Land
mit der Einstufung B, was einer mittelmä­
ßigen Qualität des Geschäftsumfeldes
entspricht.
Laut Wettbewerbsreport des Weltwirt­
schaftsforums belegt Ägypten gerade
einmal Platz 116 unter 140 betrachteten
Staaten. Bei fast allen Kriterien, die das
Weltwirtschaftsforum heranzieht, fällt
Ägypten gegenüber den regionalen Wett­
bewerbern aus dem Nahen Osten und
Nordafrika zurück. Besonders stark ausge­
prägt sind laut Weltwirtschaftsforum die
Rückstände bei den makroökonomischen
Rahmenbedingungen, der Infrastruktur
und der Bildung. Im Doing Business
Report der Weltbank sieht es für Ägypten
auch nicht viel besser aus: Hier belegt der
nordafrikanische Staat Platz 131 von 189
Ländern. Gegenüber der Befragung im
Vorjahr hat sich Ägypten sogar um fünf
➤
Plätze verschlechtert. Die gravierendsten
Probleme sieht die Untersuchung der
Weltbank in der Versorgung mit Elektrizi­
tät, der Rechtssicherheit und im Steuer­
system. Und auch bei avisierten Firmen­
gründungen können die Rahmenbedin­
gungen von Seiten der Verwaltung und
Justiz für ausländische Kapitalgeber
schwierig sein. Eine Firmenneugründung
kann daher bis zu fünf Jahre dauern,
wobei bis zu 78 verschiedene ägyptische
Behörden Genehmigungen erteilen müs­
sen!
Sicherheitslage bremst Tourismus
Ein weiteres gravierendes Problem für die
Wettbewerbsfähigkeit ist die kritische
Sicherheitslage, die vor allem auf den
wichtigen Wirtschaftszweig Tourismus
durchschlagen kann. Umsätze im Touris­
mus sind für Ägypten nämlich nichts
anderes als Dienstleistungsexporte, die
den Saldo in der Leistungsbilanz verbes­
sern. Der Tourismus macht rund 13% der
ägyptischen Wirtschaftsleistung aus und
5% der Arbeitsplätze. Hinzu kommt, dass
der Tourismussektor ein wichtiger Devi­
senbringer ist und daher ein signifikanter
Faktor, um die Devisenknappheit Ägyp­
tens einigermaßen im Zaum zu halten.
Denn dieser Wirtschaftsbereich alleine ist
verantwortlich für rund 20% der ägypti­
schen Deviseneinnahmen.
Doch mit dem mutmaßlichen Terroran­
schlag auf ein russisches Passagierflug­
zeug im Herbst 2015 sind die Risiken für
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die ägyptische Tourismusbranche wieder
ein Stück weit größer geworden. Dabei
hatten sich die Gästezahlen – im Vergleich
zum Vorjahreszeitraum – im ersten Halb­
jahr 2015 noch um 8,2% erholt. Damit
dürfte auch die von der Regierung ange­
strebte Besucherzahl von 10 Millionen im
Jahr 2015 vermutlich nicht erreicht wor­
den sein, weil ein Ausbleiben der Russen
als zahlenmäßig wichtigster Touristen­
gruppe deutliche Spuren in der Statistik
hinterlassen dürfte. Infolgedessen rückt
die Besucherzahl von 15 Millionen im
Rekordjahr 2010 wieder in weitere Ferne.
Regionale Ertragsschwäche
belastet
Mit dem Leistungsbilanzdefizit und der
Devisenknappheit zeigt die ägyptische
Volkswirtschaft eine strukturelle Ver­
wundbarkeit ihrer außenwirtschaftlichen
Flanke, die sich durch einen weiteren Fak­
tor in den vergangenen anderthalb Jah­
ren vergrößert hat: den Verfall der Preis­
notierungen für Rohöl. Zwar entlastet
dieser einerseits die ägyptischen Konsu­
menten und Unternehmen und insge­
samt auch die ägyptische Importbilanz an
Energie. Dieser Preisverfall hat aber für die
erdölexportierenden Nachbarn Ägyptens
aus der Golfregion zur Folge, dass deren
Einnahmen einbrechen und daher zu
einer massiven Belastung für ihre Staatsfi­
nanzen werden. Und dies hat andererseits
indirekt auch Rückwirkungen auf die
ägyptische Wirtschaft. Denn wir sehen
durchaus die Gefahr, dass sich die Golf­
staaten als Folge des Ölpreisverfalls mit
Investitionen, Transfers und Subventio­
nen in Ägypten zurückhalten könnten –
solange keine spürbare Entspannung an
den Rohstoffmärkten in Sichtweite ist.
Die genannten außenwirtschaftlichen
Probleme stellen die ägyptische Staats­
führung unter Präsident Abdel-Fattah alSisi vor große Herausforderungen. Darü­
ber hinaus ist das hohe Defizit im Staats­
haushalt anzugehen: Zwar stehen mit
dem günstigeren konjunkturellen Aus­
blick die Zeichen auf eine weitere Besse­
rung des Fehlbetrags in der Staatskasse.
Mit den von uns erwarteten ungefähr
10% der Wirtschaftsleistung bliebe das
Staatsdefizit im laufenden Fiskaljahr aber
weiterhin immens hoch. Im fragilen politi­
schen System Ägyptens sind Ausgaben­
kürzungen mit Fingerspitzengefühl vor­
zunehmen, zum einen, weil sie große Teile
der Bevölkerung beeinträchtigen können,
zum anderen, weil sie die politische Stabi­
lität verschlechtern könnten. Denn mit
hohen Zuweisungen und Anteilen am
Wirtschaftskreislauf wird beispielsweise
die starke Stellung des Militärs gesichert.
Reformen und Investitionen nötig
Eine Fortsetzung des Reformkurses bleibt
für Präsident al-Sisi notwendig, um das
Wachstumstempo der ägyptischen Wirt­
schaft erhöhen zu können. Unerlässlich
sind in diesem Zusammenhang Investitio­
nen, die auch über Kapitalzuflüsse aus
dem Ausland gestemmt werden können.
Die Unsicherheiten haben im Verlauf des
zurückliegenden Jahres abgenommen,
sind aber bei weitem nicht verschwun­
den. Positiv gewirkt hat dabei sicherlich
die Eröffnung des Prestigeobjekts neuer
Suezkanal. Und auf einer Entwicklungs­
konferenz im März konnte Ägypten
immerhin 60 Mrd USD an Investitionsund Finanzierungsmitteln einsammeln.
„Im Fokus der Märkte und der Investoren wird auch immer die politische
Situation in Ägypten stehen.“
Um die Zuflüsse aus dem Ausland auf­
rechtzuerhalten oder gar zu erhöhen,
müssen die in den genannten Vergleichs­
studien der internationalen Institutionen
aufgelisteten strukturellen Schwächen
Ägyptens angegangen werden. Ein glaub­
würdiger Reformprozess benötigt sicher­
lich Zeit, lässt sich aber im inzwischen
günstigeren konjunkturellen Umfeld
­besser stemmen. Im Fokus der Märkte
und der Investoren wird dabei aber auch
immer die politische Situation in Ägypten stehen. Wir stufen das Länderrisiko
­Ägyptens mit C ein. Demnach können
sich die sehr unbeständigen politischen
und wirtschaftlichen Aussichten und ein
Geschäftsumfeld mit vielen besorgniser­
regenden Schwächen deutlich im Zah­
lungsverhalten der Unternehmen nieder­
schlagen. Daher ist die Wahrscheinlichkeit
von Zahlungsausfällen hoch.
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