"€žTätervolk€" und - Goethe

Neue Folge 49
Frankfurter
MontagsVorlesungen
Politische Streitfragen
in zeitgeschichtlicher Perspektive
„Tätervolk“ und „Tätervölker“.
Zum Verhältnis zwischen Antisemitismus und
überzogenen Antisemitismus-Vorwürfen
am Beispiel der Hohmann-Affäre
Egbert Jahn
30. November 2015
Adresse des Autors:
Prof. em. Dr. Egbert Jahn
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Fachbereich 03 Gesellschaftswissenschaften
Institut für Politikwissenschaft
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Zusammenfassung
Die Hohmann-Affäre beherrschte im November 2003 zwei Wochen lang die politische Debatte und die Schlagzeilen der Medien und unterwarf die CDU/CSU für kurze Zeit einer Zerreißprobe. Sie steht in einer langen Reihe politischer Skandale in der Bundesrepublik Deutschland, in denen Prominente der deutschen Politik wie Philipp Jenninger oder Jürgen W. Möllemann sowie des kulturellen Lebens wie Rainer Werner Fassbinder, Ernst Nolte oder Martin
Walser plötzlich und unerwartet durch einige Äußerungen in den Mittelpunkt von massiven,
mehr oder weniger berechtigten und umstrittenen Antisemitismusvorwürfen gerieten und anschließend mehr oder weniger an den Rand der vorherrschenden öffentlichen Meinung gedrängt wurden, wo sie unter empfindlichen gesellschaftlichen Sanktionen zu leiden hatten.
Bei vielen der Affären fällt auf, daß die offizielle Politik und die Mehrheitsgesellschaft die
später als antisemitisch gewerteten Äußerungen zunächst gar nicht als solche wahrnahm und
es meist der Empörung jüdischer Deutscher bedurfte, um die Sensibilität der Politik und der
Gesellschaft für die später umstrittenen und sanktionierten Äußerungen zu wecken.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann gehörte zwar zu den weniger prominenten Personen in der Reihe der Schlüsselfiguren von herausragenden verbalen AntisemitismusSkandalen, spaltete aber dennoch die deutsche Gesellschaft zeitweise in zwei etwa gleich
starke Teile. Auffallend war die Argumentationsarmut der Kritiker Martin Hohmanns, die
sich meist mit einer, zudem oft sachlich falschen Zitierung des Bundestagsabgeordneten begnügten, welche suggerierte, er habe die Juden als „Tätervolk“ denunziert.
Aufklärung statt öffentliche Ächtung ist ein besseres Mittel, um politisch-intellektuellen Fehlleistungen wie denen Hohmanns zu begegnen, zumal wenn diese auf breite Resonanz in der
Bevölkerung stoßen. Die vorliegende Analyse will den breiten Grenzbereich zwischen eindeutigem, menschenverachtendem Antisemitismus und überzogenen Antisemitismusvorwürfen ausleuchten. Sie zeigt auf, daß die Rede Martin Hohmanns zum Tag der deutschen Einheit
vom 3. Oktober 2003 keine antisemitischen Äußerungen enthält, jedoch solche, die geeignet
sind, antisemitischen Vorurteilen Vorschub zu leisten. Hohmann sah den immer noch direkt
oder indirekt erhobenen Vorwurf der Kollektivschuld der Deutschen am Judenmord als Ursache heutigen mißbräuchlichen Umgangs mit dem Sozial- und Rechtsstaat und wollte der These vom deutschen Tätervolk mittels einer Negation der These vom jüdischen Tätervolk widersprechen, konstruierte aber in völlig abwegiger Weise ein atheistisches Tätervolk, das sowohl
für die nationalsozialistischen als auch kommunistischen Massenmorde verantwortlich sei.
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Die Spaltung der öffentlichen Meinung durch tatsächlichen oder vermeintlichen
Antisemitismus in der Rede eines politischen Außenseiters
Wie in den Fällen Philipp Jenninger (CDU), der 1988 als Bundestagspräsident zum Gedenken
an die Pogromnacht 1938 vor dem Deutschen Bundestag gesprochen hatte,1 und des Schriftstellers Martin Walser, der als Empfänger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im
Oktober 1998 eine Dankesrede hielt, ist der Anlaß der Hohmann-Affäre eine öffentliche Rede
zu einer feierlichen Veranstaltung, in diesem Fall zum Jahrestag der deutschen Einheit am 3.
Oktober 2003.2 In allen drei Fällen, die auf ihre wichtigen Unterschiede hin hier nicht verglichen werden können, wie auch bei vielen anderen Ereignissen, geht es um die Geschichte der
nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und Europa und um das angemessene Gedenken an die Opfer dieser Herrschaft, aber auch um das Verstehen, weshalb so viele Deutsche und Europäer dieses Herrschaftssystem aktiv getragen, willentlich und unwillentlich unterstützt, gebilligt und geduldet haben und es zum Teil auch noch heute rechtfertigen.
Zu denken ist auch an mehrere andere Vorgänge: den gemeinsamen Besuch des Bundeskanzlers Helmut Kohl und des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan am 5. Mai 1985 auf
dem Soldatenfriedhof Kolmeshöhe in Bitburg, die geplante Uraufführung des Schauspiels
„Die Stadt, der Müll und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder im Stadttheater Frankfurt,
ebenfalls im Jahre 1985, den endlosen Streit um das Berliner Mahnmal für die ermordeten
Juden in Europa, den durch einen Artikel Ernst Noltes in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6. Juni 1986 ausgelösten Historikerstreit, die wiederholten Äußerungen des FDPPolitikers und zeitweiligen Bundesministers Jürgen W. Möllemann zum jüdisch-arabischen
Verhältnis, die Rücknahme des Buches von Ted Honderich „Nach dem Terror. Ein Traktat“
aus dem Programm des Suhrkamp-Verlages,3 die Bemerkungen Thilo Sarrazins über die jüdischen Gene4. In all diesen Fällen wurde von prominenten jüdischen Deutschen und vom Zentralrat der Juden in Deutschland, danach auch von führenden nichtjüdischen Politikern und
Intellektuellen der Vorwurf des Antisemitismus erhoben. Er hatte oft erhebliche Sanktionen
und die gesellschaftliche Ächtung in einem Teil der deutschen Öffentlichkeit zur Folge.
Die erwähnten Ereignisse verbindet miteinander, daß sie die Öffentlichkeit entlang wechselnder Bruchlinien quer durch die Gesellschaft und die Parteien hindurch in der Frage spalteten,
ob die umstrittene Rede oder sonstige Äußerung eines mehr oder weniger prominenten Politikers oder eines Kulturschaffenden antisemitisch sei. In allen Fällen handelte es sich um ältere,
reifere, beruflich erfolgreiche Persönlichkeiten, denen man keine jugendliche Unbedachtsamkeit zurechnen konnte. Die skandalerregenden Personen hatten zuvor nicht als Antisemiten
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gegolten, in vielen Fällen hätten auch engere Bekannte ihnen keine antisemitische Äußerung
zugetraut. In allen Fällen wurde aber auch deutlich, daß es keinen gesellschaftlichen Konsens
darüber gibt, was innerhalb einer bestimmten Grauzone des Verhaltens noch als Antisemitismus gelten soll, was nicht.
Bei einer Meinungsumfrage sagten 42 Prozent der Bevölkerung, von denen sicher nur weit
weniger als die Hälfte als Antisemiten gelten können, man könne so etwas sagen, was Hohmann gesagt habe. 47 Prozent waren dagegen. Da blieb wie so oft offen, was denn mit dem
„so etwas“ gemeint war. Diese Spaltung der öffentlichen Meinung teilt die Gesellschaft an
einer ganz eigenartigen Bruchlinie, nämlich der zwischen einer offiziellen, vorherrschenden
öffentlichen Meinung, die fast unisono nach kurzem Bedenken die Rede als antisemitisch
verurteilt hat, und einer sozusagen niederen öffentlichen Meinung, die lediglich in der provinziellen Presse und in Leserbriefen vertreten ist, die ansonsten nur an vielen Stammtischen und
in den Meinungsumfragen zum Ausdruck kommt und die die Rede für nicht antisemitisch und
für vertretbar hielt. Diese merkwürdige Spaltung der in der Bevölkerung vertretenen Meinungen in zwei Schichten von Öffentlichkeit, eine offizielle und eine in den Hintergrund gedrängte, ist offenbar eine dauerhafte strukturelle Erscheinung in Deutschland, die immer wieder
einmal aufbricht und im Falle Hohmann deutlicher als sonst geworden ist. Sie ist neben der
Analyse der Hohmann-Rede Gegenstand dieser Vorlesung.
Trotz aller Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die genannten Vorfälle im einzelnen ganz
erheblich. Der Fall Hohmann ist sicherlich nicht der wichtigste, weil der CDU-Abgeordnete
Martin Hohmann zweifellos nicht zu den führenden Politikern in Deutschland gehörte und
weil seine Rede in vieler Hinsicht weitaus fragwürdiger ist als etwa die Rede Philipp Jenningers. Dennoch hat die Hohmann-Affäre zwei Wochen lang die deutsche Politik und die
Schlagzeilen der Medien beherrscht und die CDU/CSU für kurze Zeit einer ernsten Zerreißprobe unterworfen. Insofern hatte die Hohmann-Affäre zwar nicht den intellektuellen und
politischen Reiz Affären um Jenninger, Walser, Sarrazin oder auch Nolte, aber sie war und ist
auch noch heute keineswegs von geringerer politischer und gesellschaftlicher Relevanz.
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Ausnutzung, Zustimmung, Duldung, Verharmlosung und scharfe Kritik als erste
Antworten auf die Rede
In der Hohmann-Affäre spielt der Vergleich bzw. die Gleichsetzung von nationalsozialistischer und kommunistischer Massenvernichtungspolitik aus Anlaß der Vereinigung zwischen
dem ehemals kommunistischen und dem seit den späten 1940er Jahren liberal-demokratischen
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Deutschland eine wichtige Rolle, wenn auch in mancher Hinsicht auf recht verquere Weise.
Seit dem 1. Mai 2004 befindet sich ein Teil des ehemals kommunistischen, tief vom Nationalsozialismus und Stalinismus gezeichneten Europas in der Europäischen Union. Wie das kurze
Aufflackern eines Streits um eine Äußerung von Sandra Kalniete, der ehemaligen lettischen
Außenministerin und jetzigen EU-Kommissarin, die bei der Eröffnung der Leipziger Buchmesse im März 2004 das nationalsozialistische und das kommunistische Regime für „gleichermaßen verbrecherisch“ bezeichnete, andeutete, wird der Vergleich der kommunistischen
und nationalsozialistischen Greueltaten, wie er im Nolte-Historikerstreit wie auch in der
Hohmann-Affäre unmittelbar thematisiert wurde, in Zukunft eine viel größere Rolle spielen
als vor 1989. In Leipzig protestierte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden Salomon
Korn heftig gegen diese Gleichsetzung, da die Sowjetunion keinen mit dem nationalsozialistischen Deutschland vergleichbaren rassistischen Ausrottungswillen besessen habe.5
Die Kritik an den sowjetischen Greueltaten wurde in der Vergangenheit stets durch politische
Rücksichtsnahmen gemäßigt. Zunächst erforderte das die Kooperation zwischen den Westmächten und der Sowjetunion in der Antihitler-Koalition. Bei der nachträglichen primär auch
moralischen und nicht nur interessenpolitischen Legitimation dieser Koalition konnte man
kaum den Partner gegen das nationalsozialistische Verbrecherregime selbst als im Prinzip
gleichartiges kommunistisches Verbrecherregime begreifen, ganz unabhängig vom tatsächlichen Charakter der Verbrechen beider Regime. Außerdem war es selbst im Kalten Krieg mit
seiner Neigung zur Verteufelung des Systemfeindes nicht so einfach, ein mächtiges, real existierendes Regime mit Millionen kämpferischen Parteigängern in gleicher Weise moralisch,
intellektuell und politisch zu attackieren, wie ein besiegtes, allgemein moralisch diskreditiertes und intellektuell nur noch von wenigen verteidigtes nationalsozialistisches Regime.
Seit 1991 hat sich die internationale Lage völlig verändert. Der Kommunismus ist politisch
und moralisch fast genauso am Boden wie der Nationalsozialismus. Zudem sind im östlichen
Europa die am eigenen Leib und an der eigenen Seele erlebten Leiden unter kommunistischer
Herrschaft bei vielen Menschen viel lebendiger als die unter nationalsozialistischer Herrschaft
ein halbes Jahrhundert zuvor. Emotional und politisch wird also in der zukünftigen Erinnerungs- und Gedenkkultur der Vergleich zwischen Nationalsozialismus (bzw. Faschismus allgemein) und Kommunismus eine weitaus größere Rolle spielen als in den Jahren 1945-1991.
Es geht bei der Hohmann-Affäre nicht um offenen, unzweifelhaften Antisemitismus und judenfeindliches Verhalten in Tat und Wort mit seinen zahlreichen wichtigen Abstufungen, von
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Beschimpfungen und üblen Witzen über Juden, über verächtliches Meiden im gesellschaftlichen Verkehr, antisemitische Rüpeleien, Friedhofsschändungen, vereinzelte, politisch motivierte Mordtaten, mehrtägige Pogrome bis zum staatlich organisierten, systematischen Völkermord mit der Absicht der vollständigen Ausrottung aller Juden (antisemitischer Exterminismus). Es geht auch weder um die Rechtfertigung oder verharmlosende Darstellung der
nationalsozialistischen Judenvernichtung, noch um die Leugnung derselben. Gegenstand des
Streits um die Hohmann-Rede ist die Grauzone zwischen unzweideutigem und beabsichtigtem Antisemitismus und einem vermuteten Antisemitismus, in der die Bezichtigten sich
glaubwürdig weigern, sich selbst als Antisemiten wahrzunehmen, obwohl sie ein überzogener
Anti-Antisemitismus als solche zu erkennen meint.
Antisemitismus ist das schlimmste politische Vergehen in der Bundesrepublik Deutschland,
das oft härter durch gesellschaftliche und politische Ächtung bestraft wird als andere politische Verfehlungen in Wort und Tat. Aus diesem Grunde ist es geboten, mit dem Antisemitismus-Vorwurf sorgsam umzugehen, also nicht nach der Devise: im Zweifel gegen den Angeklagten und für jede vorbeugend strafende Maßnahme in guter anti-antisemitischer Absicht.
Besonders erschreckend an der Hohmann-Affäre ist der verblüffende Mangel an Argumenten
bei anscheinend fast allen Politikern und Prominenten sowie in den meisten Medien im Umgang mit der Hohmann-Rede.6 In den ersten Wochen herrschte die stereotype Falschbehauptung vor, Martin Hohmann habe die „Juden als Tätervolk“ denunziert. Später wurde die
Sprachregelung etwas abgeschwächt: Hohmann habe die Juden mit dem Wort Tätervolk in
Verbindung gebracht. Tätervolk ist der verschämte deutsche Ausdruck in Orwellscher Manier
für Massenmördervolk. Die ständige stereotype Verurteilung der Rede Hohmanns als antisemitisch oder gar Hohmanns selbst als Antisemiten, ohne den geringsten Versuch, den Antisemitismus-Vorwurf auch zu begründen und mit Aussagen in seiner Rede zu belegen, hat
etwas Gespenstisches an sich, bis zum heutigen Tage.
Wäre die Rede schlicht und einfach antisemitisch gewesen, so hätte es nicht den langen Streit
um sie gegeben; wäre sie schlicht und einfach nicht antisemitisch gewesen, so hätte es ebenfalls keine lange Debatte um sie gegeben. Da die Rede Hohmanns tatsächlich häufig in Sinn
und Wortlaut als antisemitisch aufgefaßt wurde, Hohmann und viele andere aber sie nicht als
antisemitisch wahrzunehmen im Stande waren, stellt sich die Frage, ob es einen Antisemitismus gibt, der nicht begreifen kann, daß er antisemitisch ist, und der auch nicht antisemitisch
sein will. Denn im Falle Hohmann deutete nichts darauf hin, daß er nur aus fadenscheinigen,
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taktischen, subversiven Gründen vorgab, kein Antisemit zu sein, obwohl er in seinem Inneren
wußte, daß er ein Antisemit war.
Fünf Standpunkte lassen sich zu dem Streitgegenstand Hohmann-Rede ausfindig machen. Sie
wurden von fünf Parteiungen vertreten. 1. Antisemitische Verwerter der Rede interpretierten
sie gegen Hohmanns eigene Absichten und Interessen als Unterstützung für ihre offen erklärten antisemitischen Ansichten. Auf diese Gruppe der Pseudofreunde Hohmanns wird hier
nicht weiter eingegangen. 2. Anhänger Hohmanns erklärten, daß er ihnen aus dem Herzen
gesprochen habe; sie identifizierten sich entweder mit einzelnen, häufig zitierten Sätzen oder
aber mit der ganzen Rede - falls sie sie gelesen hatten. 3. Dulder und Verharmloser Hohmanns
hielten die Rede insgesamt oder einzelne Aussagen für unglücklich, meinten aber, so etwas
müsse man sagen dürfen. 4. Gemäßigte Kritiker Hohmanns hielten vieles an der Rede für
mißverständlich und unter Umständen auch dem Antisemitismus dienlich bzw. für das Ansehen Deutschlands schädlich, waren aber gegen den Ausschluß Hohmanns aus Fraktion und
Partei. 5. Scharfe Kritiker hielten die Rede für antisemitisch und ihren Autor überhaupt für
einen Antisemiten. Am stärksten waren wohl die schwer auseinander zu haltenden Standpunkte zwei und drei einerseits und fünf andererseits. Die vierte Gruppe derjenigen, die ihn
kritisierten, aber gegen einen Parteiausschluß waren, schien nicht besonders stark.
3
Elemente des christlich-nationalkonservativen, nicht nationalsozialistischen
Antisemitismus in der Rede Martin Hohmanns
Antisemitismus7 ist, was manchem kurios erscheinen wird, selbst ein aus antisemitischen Motiven geprägtes Wort. Es wird immer wieder angemerkt, daß das Wort Antisemitismus unpassend für das Gemeinte ist. Es geht nicht um eine Gegner- und Feindschaft gegen Semiten
schlechthin, zu denen auch die Araber zählen. Gemeint ist ausschließlich die Gegner- und
Feindschaft gegen Juden und gegen alles Jüdische (Verhaltensweisen, geistige Leistungen und
Äußerungen usw.). Auch wenn das Wort in der Sache nicht treffend und selbst antisemitischen Ursprungs ist, so hat es doch heute im Kern eine eindeutige Bedeutung als Judenfeindschaft jeglicher Art. Es sind demnach irreführende Wortspielereien, viele Juden selbst wegen
ihres weit verbreiteten Antiarabismus als Antisemiten zu bezeichnen und die Existenz eines
Antisemitismus unter den Arabern zu leugnen, weil diese ja selbst Semiten seien.
Das Wort Antisemitismus entstand erst im Jahre 1879, also zu einer Zeit, als in Deutschland,
Ungarn, Frankreich und einigen anderen Ländern erstmals eine politische Bewegung entstand,
die versuchte, die 1789 in Europa in Gang gesetzte Judenemanzipation zum Halt zu bringen
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und rückgängig zu machen. Damals entstanden explizit antijüdische, antisemitische Parteien,
Zeitungen und Zeitschriften.
Der hier erörterte anstößige Autor stammt nicht aus einem spezifisch antisemitischen oder gar
einem ex- und neonationalsozialistischen Milieu, im Gegenteil. Martin Hohmann, geb. 1948
in Fulda, stammt aus einem antinationalsozialistischen, streng katholischen Umfeld. Er studierte Rechtswissenschaften und war im Bundeskriminalamt tätig. Als Soldat auf Zeit wurde
er schließlich Major der Reserve. 1980 trat Hohmann der CDU bei und wurde Bürgermeister
von Neuhof in der Nähe von Fulda. 1998 wurde er Bundestagsabgeordneter und errang 2002
das drittbeste Resultat bei den Direktstimmen für die CDU, und zwar in dem Wahlkreis Fulda-Osthessen, in dem früher Alfred Dregger, der langjährige nationalkonservative Vorsitzende der CDU Hessen, Wahlerfolge gefeiert hatte. Dies streng katholische Gebiet, in dem auch
ein Johannes Dyba Bischof war, lobt sich selbst gern spöttisch als fuldamentalistische Region
in Hessen und Deutschland. Am 3. Oktober 2003 hielt der Abgeordnete Hohmann in seinem
Ortsverein Neuhof eine Rede zum Tag der deutschen Einheit vor etwa 120 Personen, darunter
auch Vertretern der oppositionellen SPD. Niemand der Zuhörer nahm Anstoß an der Rede.
Zum Skandal wurde die Rede erst vier Wochen später durch einen Zufall, als, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, eine in Amerika lebende Jüdin auf der Suche nach den
näheren Einzelheiten über einen „Arisierungs“-Vorgang in Fulda zufällig im Internet auf die
Rede Hohmanns stieß, die auf der Website der CDU Neuhof abrufbar war, ein Indiz dafür,
daß die regionale Partei damals die Rede Hohmanns als völlig normal und lesenswert angesehen hat. Wahrscheinlich haben auch Hunderte von Internetbenutzern im Monat Oktober den
Text der Rede aufgerufen und als nicht anstößig empfunden. Auch der sozialdemokratische
Vertreter in Neuhof meinte später, das sie dort die Ansichten Hohmanns gewohnt seien; weshalb hätte man da protestieren sollen?
Erst als die jüdische US-Amerikanerin einige Kernsätze der Hohmann-Rede im Hessischen
Rundfunk einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte, brach innerhalb weniger Stunden ein
Sturm der Entrüstung in der Bundesrepublik aus. Warum ist das erwähnenswert? Es wiederholte sich hier ein Verhaltensmuster, das in ähnlicher Weise auch bei anderen Vorgängen zu
finden ist. Die meisten nehmen den später strittigen Vorgang selbst nicht als skandalös wahr.
Martin Walser hatte bei seiner Rede rauschenden Beifall bekommen. Erst als deutlich wurde,
daß Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, und seine Frau nicht Beifall geklatscht hatten, und nachdem Bubis später gegen einige Äußerungen in der Rede Protest einlegte, erst dann begannen viele die Walser-Rede als antisemitisch zu interpretieren.
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Erschreckend ist, daß es oft einiger jüdischer Deutscher bedarf, um überhaupt das Skandalöse
von antisemitischen oder vermeintlich antisemitischen Äußerungen prominenter Politiker und
Publizisten wahrzunehmen. Die meisten nichtjüdischen Deutschen haben offenbar kein Sensorium für solche Äußerungen. Erst nach der raschen Skandalisierung durch den Hessischen
Rundfunk eskalierte der Konflikt. Martin Hohmann zeigte im Fernsehen einen Brief der Solidarisierung mit ihm.8 Dazu behauptete Hohmann später glaubhaft, daß mit dem Reporter vereinbart war, daß der Brief nur ohne Erkennbarkeit des Absenders, des Brigadegenerals Reinhard Günzel, gezeigt werden sollte. Der Reporter habe aber dann sein Versprechen gebrochen.
Die Folge davon war, daß der Brigadegeneral fristlos und vorzeitig in den Ruhestand versetzt
wurde, ungefähr ein oder zwei Jahre vor seinem regulären Ausscheiden aus dem Dienst. Günzel konnte somit unmittelbar seine lange geplante Ruhestandsreise antreten, die ihn nach Israel zu seinen israelischen Offizierskameraden führte. In Deutschland wurde er gleichzeitig
heftig des Antisemitismus geziehen.
Die nächste Stufe der Zuspitzung der Affäre war eine vorsichtige Verurteilung der Rede durch
den CDU-Bundesvorstand mit der Aufforderung an Hohmann, er solle sich entschuldigen. Er
zog jedoch seine Rede nicht zurück, sondern bedauerte lediglich, daß sie auf Missverständnisse gestoßen sei. Das genügte dem CDU-Vorstand zunächst. Erst als der SPD-Verteidigungsminister Peter Struck den Brigadegeneral Günzel entlassen hatte, erhöhte sich der politische
Druck auf die CDU, härtere Konsequenzen gegen Hohmann zu ergreifen, vor allem nachdem
sich der Zentralrat der Juden in Deutschland stärker in der Sache engagiert hatte. Daraufhin
schloß die CDU/CSU Martin Hohmann aus ihrer Bundestagsfraktion aus, obwohl sich dieser
geschickt und außerordentlich diszipliniert an die Auflagen der Parteiführung gehalten hatte.
Er hat keine vergleichbaren Reden mehr gehalten, er hat nur immer wieder gesagt, er könne
nicht zurückziehen, was historisches Faktum sei.
Der Ausschluß erfolgte am 14. November 2003 in geheimer Abstimmung mit 195 von 248
Stimmen; die übrigen waren 28 Gegenstimmen, 16 Enthaltungen, 4 ungültige Stimmen ,
5 Abgeordnete waren abwesend. Wäre es eine öffentliche Abstimmung gewesen, dann hätte
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Hohmann wahrscheinlich fast einstimmig ausgeschlossen.
Nur einer der 57 Abweichler hat im „Spiegel“ gewagt, seine Stimmenabgabe öffentlich zu
vertreten. Gleichzeitig brach ein Sturm der Entrüstung los. Es hieß, 95 Prozent der vielen Anrufer und E-mails würden Hohmann verteidigen.9 Man sprach in diesen Tagen von einer Zerreißprobe für die Partei und einer Schwächung der Glaubwürdigkeit der Parteiführung von
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Angela Merkel. Die einen warfen ihr vor, daß die radikale Sanktion zu spät erfolgt sei, die
anderen, daß sie das erste, gemäßigte Urteil über Hohmann nicht durchgehalten habe.
Auch die CDU Hessen hatte ein riesiges Problem mit dieser Angelegenheit. Sie konnte froh
sein, daß Hohmann Abgeordneter des Bundestages und nicht des Landtages war, denn die
CDU hätte durch den Ausschluß eines einzigen Landtagsabgeordneten die Regierungsmehrheit in Hessen verloren. Wohl aus diesem Grund mußte Roland Koch sehr vorsichtig mit der
Affäre Hohmann umgehen und sich hinter dem Rücken von Angela Merkel verstecken, um
keine Solidarisierung in seiner Fraktion mit Hohmann zu riskieren. Die Affäre war somit eine
hochpolitische Angelegenheit, in der es nicht nur um eine Person ging, sondern um die Politik
in Hessen und in Deutschland.
Das nach dem Ausschluß aus der Bundestagsfraktion angestrengte Parteiausschlußverfahren
und die anschließenden Prozesse zogen sich noch über Jahre hin.10 Wäre Hohmann nicht aus
der Partei ausgeschlossen worden, dann hätte es wohl eine Neuauflage des Streits gegeben,
zumindest, wenn die Entscheidung in den Wahlkampf gefallen wäre, denn dann hätten SPD
und Grüne ein Interesse daran gehabt, die Affäre nochmals hochzuspielen. In anderer Hinsicht
war die Hohmann-Affäre rasch abgeschlossen. Es gab kein Ermittlungsverfahren, da die
Staatsanwaltschaft kein strafwürdiges Verhalten von Herrn Hohmann feststellte.
Erschreckend an der Hohmann-Affäre war der Mangel an Argumentation und die Verwendung von wenigen, noch dazu oft eindeutig falschen, Hohmann nur unterstellten Äußerungen
sowie von bloßen diskreditierenden Schlagworten. Wie so häufig genügte ein einziger Satz,
hier: die Juden seien ein Tätervolk, um Hohmann als Antisemiten auszuweisen. Wenn man
sich später meist etwas vorsichtiger ausdrückte und sagte, Hohmann habe die Juden mit dem
Wort Tätervolk in Verbindung gebracht, wurde nicht gesagt, wie er das getan hat.
Tätervolk oder Volk der Täter ist ein Wort in euphemistischer Orwellscher Sprache, das im
Grunde genommen Massenmördervolk meint und dem Wort Opfervolk oder Volk der Opfer
gegenübergestellt wird. Es spielt in Hohmanns Rede eine zentrale Rolle. Der Text ist formal
nicht deutlich gegliedert. Aber Hohmann hatte ihn sorgfältig schriftlich vorbereitet und offenbar abgelesen. Manche meinen, sie sei auch rhetorisch geschickt aufgebaut. Da gab es keine
peinlichen Versprecher, was übrigens auch ein Grund gewesen sein dürfte, weshalb er nicht
bereit war, seine Aussagen zurückzunehmen. Sicherlich spielte zudem eine Rolle, daß er als
Offizier eine solche Ehrenrettung auf Kosten dessen, was er eigentlich sagt und denkt, nicht
mitmachen wollte.
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Die verquere Logik in der Rede Martin Hohmanns
Thema der Rede Hohmanns zum Tag der deutschen Einheit war der soziale und der politische, nationale Bewußtseinszustand der Deutschen. Er selbst kündigte als Thema an: „Gerechtigkeit für Deutschland“, wobei er über „unser Volk und seine etwas schwierige Beziehung zu sich selbst“ einige Gedanken vortragen wollte. Die Rede läßt sich in sechs Abschnitte
gliedern. Im ersten befaßt sie sich mit vier aktuellen, in der Boulevard-Presse breit geschilderten Erscheinungen, die Hohmann als Beispiele für in das in seiner Wahrnehmung überbordende individuelle Anspruchsdenken anführt, das zum Ausnutzen und Mißbrauch des sozialen
Rechtsstaates und zum Verlust von „Wir-Denken“ und „Gemeinschaftsbezogenheit“ verleite.
Im nächsten Abschnitt greift er das Thema der vermeintlich ungerechten Behandlung der
Deutschen näher auf. Dies diskutiert Hohmann anhand von drei seiner Anfragen an die Bundesregierung, weshalb angesichts der allgemeinen Kürzung der Staatsausgaben die Beiträge
an die Europäische Union und die Zahlungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz an jüdische und andere Ausländer nicht gekürzt würden, während die Deutschen erhebliche soziale
Einbußen hinnehmen müßten. Gleichzeitig würden ehemalige deutsche Zwangsarbeiter in
nichtdeutscher Haft nichts erhalten, während deutsche Politiker dafür Sorge getragen hätten,
daß ausländischen und jüdischen Zwangsarbeitern 10 Mrd. DM zur Verfügung gestellt wurden, wobei er verschweigt, daß das erst sehr spät geschah und beschämend wenig in Hinblick
auf das erduldete Leiden war. Das ist Hohmanns nationale Wendung von sozialer Unzufriedenheit. Im dritten Abschnitt will Hohmann den Mißbrauch aus der deutschen Geschichte und
aus dem schlechten Gewissen der Deutschen wegen der nationalsozialistischen Verbrechen
erklären. Er will dabei keinerlei Zweifel aufkommen lassen, daß er diese Verbrechen verurteilt. Er nennt sie “Verbrechen der industrialisierten Vernichtung von Menschen, besonders
der europäischen Juden” und er redet von “Hitlerschem Ungeist”, der bis heute nachwirke.
Die Neonazis bezeichnet er mit ihrer „abstoßenden Aggressivität“ als “Dumpfbacken” und
„braune Horden“, „braunen Abhub“, denen das deutsche Wahlvolk eine klare Abfuhr erteile,
die aber nicht zu verharmlosen seien. Hohmanns Rede kann somit eindeutig nicht im rechtsradikalen Milieu gepriesen werden. Deutlich abgehoben vom verbrechensapologetischen,
rechtsextremen Geschichtsbild versucht Hohmann ein wertkonservatives, wie er es selbst
nennt, im Grunde jedoch ein christliches, nationalkonservatives Geschichtsbild zu vermitteln,
sozusagen ein schwarzes im deutlichen Kontrast zum braunen. Wenn man nach antisemitischen Traditionen bei Hohmann und in seinem Umfeld suchen will, dann muß man nach Traditionen des christlich-katholischen Antisemitismus fragen, nicht des nationalsozialistischen.
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Was Hohmann schwere Sorgen macht, ist „eine allgegenwärtige Mutzerstörung im nationalen
Selbstbewußtsein“, die er nicht so sehr Ausländern vorwirft, sondern der „zur Zeit in Deutschland dominierenden politischen Klasse und Wissenschaft“. „Mit geradezu neurotischem Eifer“ würden „immer neue Generationen deutscher Wissenschaftler“, so Hohmanns Worte,
„auch noch die winzigsten Verästelungen der NS-Zeit“ durchforschen. Dadurch werde ständig
das Geschichtsbild von den Deutschen als Tätervolk vertieft, während sich der Rest der Welt
„in der Rolle der Unschuldslämmer – jedenfalls der relativen Unschuldslämmer“, bestens
eingerichtet habe. Trotz allseitiger Beteuerungen, „daß es Kollektivschuld nicht gebe, trotz
nuancierter Wortneuschöpfungen wie ‚Kollektivverantwortung’ und ‚Kollektivscham’ bleibe
im Kern der „Vorwurf: die Deutschen sind das ‚Tätervolk’.“ So habe jüngst der (Harvard-)
Professor Daniel Jonah Goldhagen mit großer Resonanz in Deutschland das deutsche Volk als
„Mörder von Geburt an“ bezeichnet. Hohmann muß man zubilligen, daß in der deutschen
Öffentlichkeit tatsächlich immer noch hier und da von den Deutschen als Tätervolk die Rede
ist. So benutzte dieser Tage selbst ein Iring Fetscher ohne Hemmungen diese Wortformel.
Hohmanns zentrales Thema sind im Grunde genommen weniger die Juden in Deutschland
und der ganzen Welt, auch nicht Israel, sondern die deutsche Erinnerungs-, Gedächtnis- und
Gedenkkultur, die das Bild von den Deutschen als Mördervolk pflege und indirekt die soziale
Krise im gegenwärtigen Deutschland in einer Phase der wirtschaftlichen Stagnation fördere.
Jede andere Nation neige eher dazu, die dunklen Seiten ihrer Geschichte in günstigeres Licht
zu rücken, während die Deutschen ein Übermaß an Wahrheiten über die verbrecherische und
verhängnisvolle NS-Diktatur aufdecken wollten. Das werde ökonomisch gegen deutsche Interessen instrumentalisiert und hege die Gefahr einer inneren Abwehrhaltung bei den Deutschen, da die jüngeren Menschen nicht mehr für Verfehlungen von Großvätern und Urgroßvätern in Anspruch genommen werden wollen. Hohmann greift also das Walser-Thema auf.
Das Hauptanliegen Hohmanns ist somit die Zurückweisung des auch in Deutschland selbst
vermeintlich weithin gepflegten Geschichtsbildes von den Deutschen als Tätervolk, d. h. als
Massenmördervolk. Dazu versteigt sich Hohmann in den folgenden Sätzen zu einem abenteuerlichen Vergleich, der merkwürdigerweise überhaupt keinen Anstoß erregt hat. Als Paradebeispiel für die Darstellung der nationalen Geschichte in einem günstigerem Licht sieht er die
Darstellung der Französischen Revolution mit ihrem Terror und ihren Massakern, insbesondere in der Vendée, an, die als emanzipatorischer Akt beschrieben werde, außerdem die Präsentation der Herrschaft Napoleons, der als milder, aufgeklärter Vater des modernen Europa geschildert werde, dessen Eroberungskriege aber „millionenfachen Tod über Europa“ gebracht
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hätten. Niemand fragte nach: Möchte Hohmann die deutsche nationalsozialistische Geschichte genauso gnädig neu betrachten und umdeuten wie die angebliche „Mehrheit französischer
und außerfranzösischer Stimmen“ es mit der französischen Geschichte tue?
Im vierten Abschnitt macht Hohmann dann deutlich, daß die Wahrheit über historische Verbrechen nicht verschwiegen und beschönigt werden dürfe. Zudem hebt er die geistigen und
materiellen Anstrengungen zur Wiedergutmachung und die Bitten um Vergebung seit der
Adenauer-Ära hervor, wobei er nicht verkenne, daß „Leid und Tod in unermeßlichem Maß
nicht ungeschehen gemacht werden kann“.
Dann folgt der fünfte Abschnitt der Rede, der für das riesige Aufsehen der Hohmann-Rede
verantwortlich ist. Er beginnt ihn mit der, wie sich der Autor bewußt ist, provozierenden Frage: „Gibt es auch beim jüdischen Volk, das wir ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen,
eine dunkle Seite in der neueren Geschichte oder waren Juden ausschließlich die Opfer, die
Leidtragenden?“ Die Antwort auf diese Frage macht ein Drittel der Rede aus. Dazu bringt er
ausführlich Daten, die er im wesentlichen dem Buch des renommierten Historikers Johannes
Rogalla von Bieberstein ‚“’Jüdischer Bolschewismus’. Mythos und Realität“11 entnommen
hat, die er aber ganz eindeutig wider den Tenor des Buches selbst verwendet. Der Autor selbst
hat sich auch scharf von der Verwertung seiner Zitate durch Hohmann distanziert. Bieberstein
wird in der öffentlichen Diskussion nicht des Antisemitismus bezichtigt, während die andere
von Hohmann zitierte Schrift „Der internationale Jude. Ein Weltproblem“ von Henry Ford12,
dem Schöpfer des großen Autokonzerns, aus den 1920er Jahren, das Hohmann zitiert, selbst
erklärtermaßen ein antisemitischer Traktat ist, auch wenn die Nationalsozialisten ihn nicht als
ganz ausreichend antisemitisch angesehen haben. Henry Ford versucht nachzuweisen, daß die
Protokolle der Weisen von Zion13 sich in der US-amerikanischen Gesellschaft verwirklicht
haben, da es viele empirische Belege für die jüdische Machtergreifung in den USA gäbe.
Auf diese beiden Bücher beruft sich Hohmann bei seiner ausführlichen Darstellung der frühbolschewistischen Zeit nicht nur in Sowjetrußland und in der Sowjetunion, sondern auch während der Rätediktaturen 1919 in Bayern und in Ungarn. Sein Ziel ist dabei, den überdurchschnittlichen Anteil von Juden sowohl am Führungspersonal der kommunistischen Parteien in
diesen drei Revolutionen als auch an der Tscheka, also der massenmörderischen sowjetischen
Staatspolizei, im einzelnen zu belegen. Mögen einzelne Zahlen in der seriösen wissenschaftlichen Literatur umstritten sein, an dem grundsätzlichen Faktum der weit überdurchschnittlichen Repräsentanz von Juden in den kommunistischen Partei- und Staatsorganen wird überhaupt nicht gezweifelt.14 Unter Juden sind hier, wie in Osteuropa üblich, ethnische Juden ge© 2015 Egbert Jahn – Zitieren bitte nur unter Angabe der Quelle
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meint, die im übrigen häufig auch eine eigene Sprache benutzten, das Jiddische, und die meist
keine Glaubensjuden mehr waren, sondern bekennende Atheisten.
Strittig ist nicht die Erwähnung der Fakten, sondern ihre Auswertung durch Hohmann. Nachdem er noch Woodrow Wilson als Kronzeugen dafür angeführt hat, daß die bolschewistische
Bewegung „jüdisch geführt“ gewesen sei, kommt er zu dem in der Öffentlichkeit meist nur
verfälschend zitierten Schluß im sechsten Abschnitt seiner Rede: „Daher könnte man Juden
mit einiger Berechtigung als ‚Tätervolk’ bezeichnen.“ Dies will Hohmann ausdrücklich jedoch nicht tun, weil er ja auch die Bezeichnung der Deutschen als Tätervolk zurückweisen
möchte. Die lange Rede über die Verbrechen von Juden dient ihm lediglich dazu, um plausibel zu machen, daß auch die Verbrechen von Deutschen, wie auch von Franzosen und vielen
anderen, die zu „millionenfachem Tod“ geführt haben, nicht zur Rede von einem „deutschen
(oder anderen nationalen) Tätervolk“ berechtigen. Für die großen Unterschiede zwischen dem
politisch verursachten, millionenfachen Tod in der Ära der französischen Revolution und Napoleons, der russischen Revolution und Lenins und Stalins sowie in der Hitlers durch Eroberungskrieg, dezimatorischen und exterministischen Massenmord ist Hohmann blind.
In überraschender und merkwürdigerweise meist gar nicht beachteter Weise endet Hohmanns
Rede und macht klar, daß es ihm gar nicht um die durchaus sinnvolle Zurückweisung der
Formel „Tätervolk“ überhaupt geht. Daß die Rede vom deutschen und vom jüdischen Volk
eine völlig andere Bedeutung von Volk enthält, entgeht Hohmann völlig. Mit dem deutschen
Volk ist in Verbindung mit den nationalsozialistischen Verbrechen das Staatsvolk des Deutschen Reiches gemeint, das in einem komplexen Wirkungsgefüge von freien, später auch unfreien Wahlen, einer unglücklich sich auswirkenden Verfassungsgesetzgebung über die Kompetenzen des Reichspräsidenten, von Elitenversagen usw. die politische Verantwortung für
die Handlungen seiner Regierung trägt. Ein jüdisches (Staats-)Volk in diesem Sinne hat es in
der Neuzeit nie gegeben und gibt es auch heute nicht. Vom jüdischen Volk wird gemeinhin,
auch von den meisten Juden, im ethno-religiösen Sinn gesprochen, unabhängig von jeglicher
Staatsangehörigkeit, so wie man auch von anderen Völkern im ethnisch-kulturellen Sinne
spricht. Heute gibt es lediglich ein israelisches Volk als jüdisch-arabisches Staatsvolk.
Die politische Verantwortung für die bolschewistischen Verbrechen trugen das sowjetische,
das bayerische und das ungarische Volk, unabhängig von dem Anteil ethnischer Juden in den
Schaltstellen der jeweiligen Staatsmacht, da diese drei Staatsvölker zeitweise eine kommunistische Regierung ermöglichten oder erduldeten. Die jüdischen Massenmörder waren keine
vom jüdischen Volk mit Regierungsmacht versehenen Staatsmörder. Zwar wird die Nichtbe© 2015 Egbert Jahn – Zitieren bitte nur unter Angabe der Quelle
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handlung des Themas jüdische politische Massenmörder in gängigen Geschichten des jüdischen Volkes und des Judentums hin und wieder mit dem wenig stichhaltigen Argument gerechtfertigt, daß die massenmordenden atheistischen, kommunistischen Juden keine Juden
mehr waren. Doch gleichzeitig werden ermordete atheistische Juden, ob sie Kommunisten
waren oder nicht, als Juden anerkannt und in der Geschichte des jüdischen Leidens aufgeführt, so daß ein schräges Geschichtsbild entsteht: Ermordete kommunistisch-atheistische
Juden waren Juden, mordende hingegen nicht. Doch dies hat mit dem unaufhörlichen und
kaum lösbaren Streit unter Juden zu tun, wer als Jude angesehen werden solle, wer nicht. Außerdem hängt dieser Widerspruch von der praktischen Definitionsmacht von Antisemiten ab,
die selbst bestimmen, wen sie als Juden verfolgen oder ermorden wollen, wen nicht.
Bis dahin konnte man den Eindruck haben, als wende sich Hohmann rhetorisch über den
Umweg erst der hypothetischen Begründung, dann der Verwerfung der These vom jüdischen
wie auch vom deutschen Tätervolk gegen die in der Tat unsinnige Wortkonstruktion des Täter-, also Massenmördervolkes. Im sechsten Abschnitt seiner Rede entdeckt dann aber Hohmann überraschend doch noch nach einer merkwürdigen Volte in seiner Argumentation ein
Tätervolk, indem er die jüdisch ethnische Interpretation der sowjetischen Geschichte durch
eine religiöse ersetzt. Zunächst stellt er dar, daß der Bolschewismus mit seinem militanten
Atheismus die umfassendste Christen- und Religionsverfolgung der Geschichte verübt habe,
die auch religiöse Moslems und Juden betraf. Für ihn ist also bolschewistische Herrschaft im
wesentlichen atheistische Herrschaft. Danach folgen eine totalitarismustheoretische Gleichsetzung von Bolschewismus und Nationalsozialismus als religionsfeindliche und gottlose Regime und die Sätze: „Daher sind weder ‚die Deutschen’, noch ‚die Juden’ ein Tätervolk. Mit
vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren
das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts. Diese gottlosen Ideologien gaben den „Vollstreckern des Bösen“ die Rechtfertigung, das gute Gewissen bei ihren Verbrechen“. (Die auch
unter christlichen Bannern verübten gegenrevolutionären Massenmorde im 20. Jahrhundert
erwähnt der Redner mit keinem Wort.) Die praktische Schlußfolgerung, die Hohmann aus
seiner Erkenntnis der Ursache der modernen Massenmorde zieht, ist eine Rückbesinnung auf
„unsere religiösen Wurzeln und Bindungen“. Deshalb sei es auch wichtig, „daß wir den Gottesbezug in die europäische Verfassung aufnehmen“.
Die Redeweise von einem in der ganzen Welt verstreuten „gottlosen Volk“ ist abwegig, wenn
Volk nicht nur Leute bedeuten soll, sondern eine enge kommunikative Verbundenheit ausdrücken und ihm eine kollektive Identität stiftende Bedeutung zukommen soll. Das eigentli© 2015 Egbert Jahn – Zitieren bitte nur unter Angabe der Quelle
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che Skandalon der Hohmann-Rede ist weniger die rhetorische und mißgedeutete Verwendung
der von Hohmann verworfenen Denkfigur des „jüdischen Tätervolkes“, um damit auch die
des „deutschen Tätervolkes“ vermeintlich besser verwerfen zu können, sondern die Konstruktion eines neuen, nunmehr ernsthaft behaupteten Tätervolkes, des gottlosen, atheistischen. Da
es aber keine einflußreichen atheistischen Organisationen gibt, hat sich fast niemand darüber
aufgeregt, daß alle Gottlosen schlechthin der Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts bezichtigt wurden.15 Nur einige katholische Bischöfe haben das ausdrücklich moniert.
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Vermeidung einer öffentlichen Diskussion über die Grenzen zwischen
Antisemitismus und Kritik an jüdischem politischem Verhalten
Nach der breiten Veröffentlichung des falsch wiedergegebenen Satzes vom jüdischen Tätervolk gab es einerseits zunächst sowohl starke emotionale Entrüstung und scharfe Verurteilungen Hohmanns, den Ruf nach Strafverfahren wegen Volksverhetzung und nach Sanktionen
wie den Parteiausschluß. Andererseits wurde aber auch versucht, die Aussagen der Rede und
ihre politische Relevanz herunterzuspielen, zu verharmlosen, zu rechtfertigen oder als belanglos abzutun. Eine gründliche Auseinandersetzung mit der Rede Hohmanns, eine deutliche
Benennung ihrer abwegigen und Mißverständnisse erzeugenden Passagen, die vom Autor gar
nicht beabsichtigt waren, hat jedoch nicht stattgefunden. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel kündigte in einer ersten Reaktion eine Debatte über Antisemitismus an, hat dann aber
wohlweislich die Finger davon gelassen, weil sie wohl zurecht vermutete, daß in einer solchen
Debatte manch bedenkliche Meinung aus der Partei an die Öffentlichkeit treten könnte. So
blieb es bloß bei einer inhaltlich pauschalen Ächtung Hohmanns ohne eingehende Begründung und ohne sich mit seiner Rede und seinen Verteidigungsargumenten auseinanderzusetzen. Die Analyse der Rede zeigt, wenn man sie genau liest, daß Hohmann keineswegs in der
Tradition der Apologie des Nationalsozialismus und des Antisemitismus steht, sondern in der
Tradition der christlich-katholischen, nationalkonservativen Gesellschaftskritik. Wohl deshalb
zögerten die katholischen Bischöfe zunächst, Kardinal Lehmann wie der Fuldaer Bischof Algermissen, Hohmann anzugreifen, denn dieser repräsentiert einen erheblichen Teil der kirchlichen und auch der parteipolitischen Klientel des politischen Katholizismus.
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Aufklärung über christlich-konservativen Antisemitismus statt Parteiausschluß
Welche Entscheidungsoption wäre meines Erachtens am sinnvollsten gewesen? Ich hätte
Hohmann mehrmals auf öffentliche Podien eingeladen, teils im Rahmen der Partei CDU, teils
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im allgemeinen Rahmen. Man hätte ihn einer rational scharfen Argumentation aussetzen müssen, damit er unter der Last stichhaltiger Argumente (gegen die falsche Gleichsetzung von
Volksbegriffen und von Formen des Massentötens, gegen die Übertreibung der Rolle von
Juden und die Unterschätzung von Nichtjuden bei der Erringung und Ausübung kommunistischer Herrschaft, Verkennung der Einzigartigkeit exterministischen Judenmords) seinen Redetext noch nachträglich hätte korrigieren können und müssen, da er erklärtermaßen nicht die
Absicht hatte, den Antisemitismus zu fördern. Man hätte sich auf diese Absicht einlassen sollen und ihm klar machen sollen, womit er faktisch seiner Absicht zuwiderhandelte. Wäre er
nicht einsichtsfähig gewesen, so hätte man der Öffentlichkeit erklären können, weshalb Hohmanns Rede in der vorliegenden Form unvereinbar mit einer eindeutigen Absage aller deutschen demokratischen Parteien an den Antisemitismus ist, anstatt das lediglich anhand eines
oft falsch zitierten Satzes zu behaupten. Aufklärung statt Ächtung wäre die bessere Reaktion
auf Hohmanns Rede gewesen.
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Parteiausschluß als Ersatz für eine fällige öffentliche Debatte
Wie absehbar wurde Hohmann schon sehr bald, im Juli 2004, aus der CDU ausgeschlossen,
ohne daß es eine öffentliche Debatte über die Inhalte seiner Rede gab. Damit wurde vor allem
die notwendige Arbeit vermieden, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden oder wenigstens zu mildern, nämlich die Teilung in eine eindeutige, offizielle öffentliche Meinung quer
durch alle Parteien gegen jede antisemitische Äußerung oder Verhaltensweise, insbesondere
in den eigenen demokratischen Reihen, und in eine unterschwellige öffentliche Meinung, die
von dem Eindruck bestimmt wird, daß man bestimmte Wahrheiten über Juden oder über israelische Regierungspolitik nicht sagen dürfe, und daß das Verhalten von Juden und anderen
mit zweierlei Maß gemessen werde. In der Hochzeit der Hohmann-Affäre sagten viele, es
herrsche ein politisches Klima wie in der DDR. Es gäbe eine einhellig herrschende Meinung
und gegen diese dürfe man nicht verstoßen bei Strafe der gesellschaftlichen Ächtung. So weigerten sich Bürger aus Fulda und Osthessen, überhaupt noch im Fernsehen Interviews zu geben, weil sie meinten, die Reporter würden sowieso lügen, ihre Aussagen verdrehen. Erneut
zeigte sich ein politisch gefährlicher, ungeheurer Vertrauensverlust in die öffentlich herrschende Meinung und in die Medien. Bald wird man wieder zur gewöhnlichen Tagesordnung
übergehen. Aber nach Möllemann, Hohmann kommt mit Sicherheit ein “Irgendwermann”,16
der das Thema des verqueren Verhältnisses der Deutschen zum Antisemitismus und zur eigenen Geschichte erneut in einer „skandalösen Affäre“ auf die Tagesordnung setzen wird.
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1
Jenninger, Philipp 1988: Rede zum Gedenken an die Reichspogromnacht 1938 vor dem Bundestag am 10.11.,
http://www.teachsam.de/deutsch/d_rhetorik/rede/pol_rede/_brd/Jenninger_1 (abgerufen am 2.6.2004).
2
Der Wortlaut der Rede von MdB Martin Hohmann zum Nationalfeiertag,
http://www.heise.de/tp/artikel/15/15981/1.html (abgerufen am 11.11.2003 und erneut am 30.11.2015).
3
Seligmann, Rafael 2004: Der endlose Suche nach Normalität. Der Antisemitismus-Vorwurf prägt, von Walser
über Möllemann bis Honderich, die Debatte. Dient das der Aufklärung? Oder regiert hier die Logik des Skandals?, http://www.klick-nach-rechts.de/ticker/2003/08/antisemitismus.htm (abgerufen am 2.6.2004)
4
Siehe die Vorlesung: Verstöße und Verstoßung Thilo Sarrazins. Zur Begrenzung politischer Meinungsfreiheit
in Deutschland, in: Jahn, Egbert 2015: Politische Streitfragen, Band 2. Deutsche Innen- und Außenpolitik, Wiesbaden, S. 18.
5
Salomon Korn befürchtet neuen Antisemitismus – Protest auf Buchmesse,
http://portale.web.de/Kultur/?msg_id=4553149 (abgerufen am 7.6.2004).
6
Einige Beispiele hierfür: Kohler, Berthold 2003: Der Fall Hohmann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
12. November, S. 1; Bahners, Patrick 2003: Hitlers Volk. Es ist nicht seine Schuld. Die Deutschen wollen Täter
sein, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. November, S. 41; Schütz, Hans Peter 2003: Lupenreiner Goebbels, in: Stern vom 9. Dezember, http://www.stern.de/politik/deutschland/index. html?id=515496&nv=ct_mt;
Benz, Wolfgang 2003: Die Abwehr von Schuld, in: Frankfurter Rundschau vom 24. November, S. 8; Brenner,
Michael 2003: Man wird doch wohl noch ein bisschen lügen dürfen, in: Frankfurter Rundschau vom 18. November, S. 9; Berg, Nicolas 2003: Eine deutsche Sehnsucht, in: Die Zeit vom 6. November, S. 46; Haury, Thomas 2003: Das Bedürfnis nach Entlastung, in: Frankfurter Rundschau vom 27. November, S. 8; Neue Zürcher
Zeitung: 2003: Antisemitische Äußerungen eines CDU-Abgeordneten, in: NZZ vom 1. November,
http://www.nzz.ch/2003/11/01/al/page-article97890.html.
7
Einen Überblick bietet Benz, Wolfgang 2015: Antisemitismus. Präsenz und Tradition eines Ressentiments,
Schwalbach. Grundlegend und sehr ausführlich dazu Benz, Wolfgang (Hg.) 2009-2015: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, 8 Bände, Berlin: DeGruyter-Saur.
8
APA/AP 2003: Der Brief des entlassenen Generals, in: Der Standard vom 6. November,
http://derstandard.at/1471876/Der-Brief-des-entlassenen-Generals (abgerufen am 30.11.2015).
9
Feldmeyer, Karl 2003: „An der CDU-Basis ist die Hölle los“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.
November, S. 3.Dort heißt es: „Noch nie, so urteilt ein Unionspolitiker am Donnerstag kühl, war die Distanz
zwischen dem, was die politische Klasse will, und dem, was die Bevölkerung – zumindest große Teile davon –
für richtig hält, so sichtbar wie hier.“
10
Am 16. Juli 2004 wurde Martin Hohmann von der hessischen CDU ausgeschlossen, weil er schuldhaft und
erheblich gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei verstoßen habe, unter anderem durch die argumentative Verknüpfung von Judentum und Bolschewismus, ein Klischee, das auch von den Nationalsozialisten zur
Rechtfertigung des Holokausts benutzt worden sei. Die Beschwerde Hohmanns beim Bundesparteigericht wurde
zurückgewiesen und auch mehrere von ihm angestrengte zivile Gerichtsverfahren bis zum Bundesgerichtshof im
Dezember 2007 blieben erfolglos.
Bei der Bundestagswahl 2005 trat Hohmann in seinem bisherigen Wahlkreis als parteiloser Direktkandidat an
und erhielt 21,5 % der Stimmen gegenüber den 39,1 % Stimmen des neuen CDU-Kandidaten.
11
Rogalla von Bieberstein, Johannes: „Jüdischer Bolschewismus“. Mythos und Realität, Dresden: Antaios 2002.
12
Ford, Henry 1935: Der internationale Jude, 22. Aufl., Leipzig: Hammer.
13
Ben-Itto, Hadassa 1998: „Die Protokolle der Weisen von Zion“ – Anatomie einer Fälschung, Berlin: Aufbau;
Benz, Wolfgang 2007: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung,
München: Beck.
14
Lustiger, Arno 1998: Rotbuch: Stalin und die Juden. Die tragische Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und der sowjetischen Juden, Berlin: Aufbau.
15
Noch Jahre später wiederholte der Augsburger Bischof Walter Mixa die Grundthese Hohmanns: „Die Unmenschlichkeit des praktizierten Atheismus haben im vergangenen Jahrhundert die gottlosen Regime des Nationalsozialismus und des Kommunismus mit ihren Straflagern, ihrer Geheimpolizei und ihren Massenmorden in
grausamer Weise bewiesen“, http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/forumsbeitraege-zur-mixa-predigtnicht-jeder-atheist-ist-ein-potentieller-massenmoerder-a-618788.html (abgerufen am 16.4.2009); siehe auch
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/osterpredigt-bischof-mixa-sieht-massenmord-als-folge-desatheismus-a-618676.html.
16
Der Hohmann-Affäre folgten tatsächlich bald die Sarrazin- und die Grass-Affären, die wiederum anderen
Charakter hatten als die eingangs erwähnten, auf die dann separate Vorlesungen eingingen, siehe Anm. 1 und
‚Mit letzter Tinte’: ein Federstich in das Wespennetz israelischer, jüdischer und deutscher Empfindlichkeiten, in:
Jahn Egbert 2015: Politische Streitfragen. Band 4. Weltpolitische Herausforderungen, Wiesbaden, S. 210-227.
© 2015 Egbert Jahn – Zitieren bitte nur unter Angabe der Quelle