ideenbörse Geschichte Aus der Goslarschen Zeitung vom 22. Juli 2013 Das dunkle Kapitel aufschlagen Aufarbeitung Wie vollzog sich die Machtergreifung der Nationalsozialisten in der Region? Eine Serie beleuchtet das Thema von verschiedenen Seiten. Drehbuch Zeitung Goslarsche Zeitung Auflage 24.700 Kontakt Frank Heine Telefon 05321 – 33 32 28 E-Mail [email protected] Idee Im Jahr 1933 ergriffen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht. Acht Jahrzehnte später entschied die Redaktion der Goslarschen Zeitung, das Thema unter lokalen Aspekten zu betrachten. Wie lief der Prozess in der Stadt und im Umland ab? Welche Institutionen waren betroffen? Diese Fragen sollten in einer Serie beantwortet werden. Das Konzept entwickelte die Redaktion unter Federführung von Redakteur Frank Heine in Zusammenarbeit mit dem Historiker Peter Schyga. Planung Zunächst verständigten sich die Autoren über die Themen, die behandelt werden sollten. Das waren unter anderem der Umgang mit Juden, Sozialdemokraten und den Zeugen Jehovas, die Unterwanderung von Institutionen wie Polizei und 26 Kirche, aber auch die Rolle, die die Zeitung in dieser Zeit spielte. Heine schrieb einen Großteil der Texte, Schyga steuerte vier Artikel bei. Zudem war ein Geschichtslehrer, der zu dem Thema forschte, als Autor beteiligt. Recherche „Wir hatten eine gute Quellengrundlage“, sagt Heine. Er selbst hatte eine Examensarbeit geschrieben, die sich mit dem Geschehen in Goslar vor der Machtergreifung befasste. Der Historiker Schyga hatte ein Buch zur Stadtgeschichte vorgelegt. Daneben nutzten die beiden Autoren das Stadtarchiv, staatliche Archive und das Zeitungsarchiv für ihre Recherchen. Umsetzung Den Auftakt der Serie bildete ein Interview, das Heine mit Schyga führte. Daraufhin veröffentlichte die Zeitung zwölf weitere Folgen, die sich jeweils einem Aspekt des Themas widmeten. Überdies wurden die Leser aufgerufen, ihre persönlichen Erinnerungen mitzuteilen. Die zahlreichen Rückmeldungen wurden ebenfalls in Artikeln aufgegriffen. Zum Abschluss organisierte die Redaktion einen Diskussionsabend mit dem Historiker Schyga. Reaktionen „Die Resonanz war deutlich höher als erwartet“, sagt Heine. Auch die Informationsveranstaltung sei sehr gut besucht gewesen. Frank Heine ist Redakteur der Goslarschen Zeitung. drehscheibetipp Wie veränderte sich das Stadtbild nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten? Eine Fotoklickstrecke mit historischen Aufnahmen vor und nach 1933. Dazu: Was änderte sich nach 1945? Wie wurde mit den Nationalsozialisten in den verschiedenen Institutionen umgegangen? Ein Historiker klärt auf. drehscheibe 18 GOSLAR Montag, 22. Juli 2013 1933: Als sich die Nazis die Macht sicherten In einer mehrteiligen Serie bis Mitte August beschreibt die GZ, wie die braunen Methoden in Goslar und Umgebung auf fruchtbaren Boden fielen Von Frank Heine D ie Goslarer mussten nicht lange warten, bis die neuen Machthaber auch ihnen bildhaft vor Augen führten, zu welchen Untaten sie willens und fähig waren: Gut drei Monate, nachdem der greise Reichspräsident und ehemalige Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, erniedrigten die Goslarer Nationalsozialisten am 5. Mai den langjährigen SPD-Senator und Unternehmer Wilhelm Söffge sowie den jüdischen Kaufmann Selmar Hochberg, indem sie beide – nach einem mit massiven Drohungen gespickten Verhör im Kaisersaal – mit umgehängten Schmähschildern auf einem Viehwagen durch die Stadt fuhren. Das Gefährt hatten die braunen Schergen beim Schlachtermeister Herlemann besorgt, der seinerseits seit März für die Hakenkreuz-Partei in der Stadtvertretung saß. Vornweg zog die mit Karabinern bewaffnete SA, die Kampf- und Schlägertruppe der NSDAP – in Marschkolonne übrigens, denn Ordnung war den braunen Tätern auch beim Terror wichtig und kam bei der Bevölkerung stets gut an. Söffges Sohn hatte mehrfach vergeblich bei der Polizei um Hilfe nachgesucht. Ohne Erfolg: Vom Wagen herab gab sein Vater ihm Zeichen, keinen Versuch zur Rettung zu unternehmen, damit nicht auch er vom Nazi-Mob drangsaliert wurde. Schluss mit Lebenslüge Nein, die braune Diktatur kam auch in Goslar nicht heimlich und über Nacht. Hitler und seine Getreuen hatten seit Jahren laut an die Tür geklopft und denen, die sehen wollten, auch deutlich genug das wahre Gesicht der als nationale Bewegung gepriesenen Partei gezeigt. Vom „Führer“ verführt? Die Deutschen als Hitlers erste Opfer? Die Lebenslüge der Ära Adenauer verfängt längst nicht mehr. Acht Jahrzehnte nach dem lange als Machtergreifung empfundenen, inzwischen eher als Machtübertragung beschriebenen Akt Hindenburgs greift die GZ die Geschehnisse des deutschen Schicksalsjahres 1933 bis Mitte August in einer mehrteiligen Serie auf – und zwar mit strengem Blick auf Goslar und seine Umgebung. Was passierte vor Ort? Wie brachten die Nazis die Stadt auf Kurs? Mussten die Menschen überhaupt auf Kurs gebracht werden? Wer hatte zu leiden? Wo gab es Widerstand? Mit starker Unterstützung des Hannoveraner Historikers Dr. Peter Schyga, der zwei Jahre lang zur Stadthistorie zwischen 1918 und 1945 geforscht und seine Ergebnisse 1999 in der Reihe „Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar“ publi- Der „Führer“ besucht Goslar: 1934 nimmt Adolf Hitler vor der Kaiserpfalz die Parade-Aufstellung von SA, SS und Wehrmacht ab. Foto: unbekannt, Archiv Geyer; Repro: Kusian-Müller ziert hat, sowie des Bad Harzburger Geschichtslehrers Markus Weber hat die GZ-Redaktion den Fokus auf das Jahr 1933 gerichtet. Sie beleuchtet Aspekte wie den Umgang mit den Juden in Goslar, so genannte Überholaktionen in Harlingerode gegen Sozialdemokraten, die Qualen eines Bad Harzburger Schülers, der den Hitler-Gruß aus religiösen Gründen verweigerte, ein Goslarer Lehrer-Tagebuch aus jener Zeit und noch vieles mehr. Mit dem Goslarer Schulfall von 1929 und der Harzburger Front von 1931 spielen auch zwei spektakuläre Aktionen vor 1933 eine Rolle. Viel zu viele ließen sich damals von Dynamik und Negativ-Stil jener Partei blenden, die Wahlforscher Jürgen Falter dereinst als „Volkspartei des Protestes“ bezeichnete – und die selbst noch aus Was vor Ort heutiger Sicht geschah einen überaus cleveren und effektiven, weil konstanten, verführerischen, auf lokale Besonderheiten Rücksicht nehmenden und mit Parteigrößen gespickten Wahlkampf an allen Orten führte. In Goslar, das später als Reichsbauernstadt zweifelhafte Bekanntschaft erlangen sollte, fiel dieser Mix auf fruchtbaren Boden. Hochberg wird erschlagen Der Vollständigkeit halber: Wilhelm Söffge überlebte den Krieg. Die Nachkommen des Lokalpatrioten sind bis heute erfolgreich als Unternehmer in der Stadt tätig. Selmar Hochberg hatte weniger Glück. Der jüdische Kaufmann wurde in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 Opfer einer massiven Nazi-Prügelattacke, als er schon schwer krank im Bett lag. Ein Eindringling brachte ihm mit einem eisernen Gegenstand eine blutende Kopfwunde bei. Zwei Tage später wurde Hochberg ins damalige Krankenhaus an der Spitalstraße eingeliefert, wo er kurz danach starb. Eine vom Gesund- heitsamt vorgenommene Obduktion stellte als Todesursache „Schlaganfall“ fest – ein Zynismus, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Zum Start der Serie lesen Sie: In einem umfangreichen GZ-Inter- view stimmt der Historiker Dr. Peter Schyga am morgigen Dienstag auf die neue Serie ein und erklärt auf einer Doppelseite Ausgangsstellungen und Hintergründe des deutschen Schicksalsjahres. Außerdem informiert eine Zeittafel über die wesentlichen Goslarer Ereignisse im Jahr 1933. Gegen das Vergessen Eine mehrteilige Serie über das Jahr 1933, in dem der Terror des NaziRegimes seinen Anfang nahm? Ist das nicht viel zu schwere Kost für die GZ-Leser in diesem Sommer? Geschichten über Tod, und Verfolgung unschuldiger Bürger, Nachweise, wie Terror und Judenverfolgung auch in Goslar und näherer Umgebung ihren Lauf nahmen? Die Antwort ist ein klares Nein. Vor 80 Jahren, am 30. Januar 1933, übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland und bereits drei Monate später geschehen in Goslar erste Übergriffe auf Sozialdemokraten und Mitbürger jüdischer Herkunft, die in aller Öffentlichkeit stattfinden. Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, wie schnell die Menschen sich von einem Regime vereinnahmen ließen, dessen Brutalität und Menschenverachtung doch so offenkundig war. Es ist eine Serie gegen die Geschichtsvergessenheit. Erst 80 Jahre liegt diese Schreckenszeit zurück, nicht mehr als ein Menschenalter liegt zwischen Terror und einer Demokratie, die heute vielen von uns als so selbstverständlich gilt. Die Geschichtsvergessenheit vieler Politiker ist der Quell ihrer Fehler. Und der schlimmste Fehler ist doch, aus früheren Fehlern nichts gelernt zu haben. Die Serie zeigt, auf welch schmalem Grad wir wandeln, wenn wir glauben, wir hätten die Demokratie sicher. Wir lernen, wie verführbar der Mensch Andreas Rietschel ist, weil der Wunsch des Menschen, bei den Herrschenden zu sein, unbezähmbar sei, so zitiert der Historiker Dr. Peter Schyga im GZ-Interview den Schriftsteller Stephan Hermlin. Die Serie lässt auch nicht die Verantwortung der Goslarsche Zeitung bei der Unterstützung Hitlers und der NSDAP aus. Kollege Frank Heine, der bereits in einem Buch („Der nationale Kandidat heißt Adolf Hitler“) die Goslarsche Zeitung in den Jahren 1928 bis 1933 beschrieben hat, hat diesem Thema ein Kapitel gewidmet. Denn glaubwürdig wäre diese Serie nicht, würden wir vor den Türen der Redaktion Halt machen. Es war Arbeit, diese Serie auf die Beine zu stellen. Mein Dank gilt der Redaktion, insbesondere Frank Heine und den beiden Historikern Dr. Peter Schyga und Markus We- ber, die wichtige Kapitel der Goslarer NS-Geschichte des Jahres 1933 beitragen. Mein Dank gilt aber auch den Verlegern Krause, welche die Redaktion ermuntert haben, sich mit Wahrhaftigkeit und ohne Ausklammerung von schmerzhaften Tatsachen der eigenen historischen Verantwortung zu stellen. Ihnen, den Leserinnen und Lesern, wünsche ich die Kraft und die Ausdauer, sich mit einem düsteren Kapitel heimatlicher Geschichte derart auseinanderzusetzen, dass Sie die Serie in ihren Familien, unter Freunden und Kollegen zum Anlass nehmen, sich über die Geschichte und den hohen Wert von freiem Denken, Humanität und Freiheit austauschen. Dies in einem Land, in dem nicht alles glänzt, das aber die angesprochenen Werte schützt. Chefredakteur Jugendherbergen bieten wieder kostenlose Aufenthalte an Angebot für sozial benachteiligte Familien – Jugendherbergen in Goslar und Hahnenklee machen mit – Schirmherrin Cornelia Rundt Goslar. Sommerzeit ist Ferienzeit. Damit sozial benachteiligte Familien Urlaub machen können, stellt auch in diesem Jahr wieder jede der 24 Jugendherbergen des Deutschen Jugendherbergswerkes (DJH) Landesverband Hannover im Rahmen des Sonderfonds „Dabeisein“ je einer Familie einen einwöchigen kostenlosen Ferienaufenthalt zur Verfügung. In den Jugendherbergen Goslar und Hahnenklee ist das vom 27. Juli bis 3. August der Fall. Der Aufenthalt beinhaltet Unterkunft und Vollpension für die ganze Familie. Museen, Goslar Marketing und das Schwimmbad Aquantic unterstützen die Aktion, indem sie freien Eintritt gewähren. Während ihres Urlaubs wohnen die Familien gemeinsam im eigenen Zimmer mit Dusche/WC oder in einem Eltern- und einem Kinderzimmer. Tipps und Informationsmaterial für touristische Attraktionen erhalten die Familien von den Her- bergseltern Heidrun und Stefan Dyckhoff (Goslar) und dem Herbergsvater Lars Lehmann (Hahnenklee). Die Deutsche Bahn (DB) stellt Niedersachsen-Tickets für die Hin- und Rückreise zur Verfügung. Die Familienferienaktion steht unter der Schirmherrschaft der Niedersächsischen Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, Cornelia Rundt. „Wir wollen auch sozial benachteiligten Familien die Möglichkeit geben, einen anderen Teil Niedersachsens kennenzulernen und ganz neu zu entdecken. Dies wird bei der Verteilung der Plätze in den Jugendherbergen berücksichtigt“, erläutert Helmut Maier, 2. Vorsitzender des DJH-Landesverbands Hannover das Prinzip der Aktion. Die Stiftung „Familien in Not“ des Landes Niedersachsen unterstützt den DJH-Landesverband bei der Auswahl der Familien. Die Kriterien sind festgelegt und richten sich nach der Höhe der Sozialleistungen oder den Einkünften der Familien. „Sozial schwache Familien sollen sich nicht am Rand der Gesellschaft wieder finden, sondern durch unsere Aktion zusammen mit anderen Familien in unseren Jugendherbergen „Gemeinschaft erleben“, so die Herbergseltern Dyckhoff. Lokale Freizeiteinrichtungen, die die Aktion unterstützen möchten, können sich an die Jugendherberge Goslar und Hahnenklee.
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