Fachwissen - Schüchternheit und Scham im Kindesalter

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Armin Krenz | Irmgard M. Burtscher (Hrsg.)
Handbuch für ErzieherInnen
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– in Krippe, Kindergarten, Kita und Hort –
Ausgabe: 82
Thema: Umgang mit Kindern: Psycho-soziale und soziologische Probleme
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Titel: Schüchternheit und Scham im Kindesalter (20 S.)
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Teil 4
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Scham und Schüchternheit
Schüchternheit und Scham im Kindesalter
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Wenn Kinder schüchtern sind oder sich schämen, wird dies von Erwachsenen oft
ü­bersehen. Es fehlt uns eine klare Abgrenzung zwischen den beiden Begriffen,
nicht nur im Alltag, sondern auch in der Diskussion der Fachleute.
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Im ersten Teil dieses Artikels geht es um die beiden Begriffe und Verhaltensweisen.
Der zweite Teil handelt von verschiedenen „Gesichtern“ der Schüchternheit und
der Scham. Im dritten Teil geht es darum, wie Kinder an ihrer Schüchternheit oder
Scham leiden und wie sie manchmal in einen Teufelskreis geraten. Am Schluss folgen
­Beispiele, wie wir Erwachsenen Kindern helfen können, sich kompetent zu erleben.
Inhaltsverzeichnis
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Gertraud Finger
1 Schüchterne Kinder sind oft bedrückt oder unglücklich
2 Ein Vergleich von Schüchternheit und Scham
2.1 Zwei einfache Definitionen
2.2 Die Entwicklung von Schüchternheit und Scham
2.3 Zusammenfassende Tabelle
3 Verschiedene „Gesichter“ der Scham
3.1 Natürliche Scham
3.2Beschämung
3.3 Zwischen Stolz und Scham
3.4 Das sogenannte Fremdschämen
3.5Familienscham
4 Wie reagieren Kinder auf das Gefühl der Scham?
4.1 Der Wunsch, nicht gesehen zu werden
4.2 Scham beeinträchtigt die Selbstachtung
4.3 Scham verstärkt die Selbstaufmerksamkeit
4.4 Scham verdrängt die guten Seiten eines Erlebnisses
4.5 „Tausche Scham gegen Wut“
4.6 Im Teufelskreis der Scham
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Teil 4
Scham und Schüchternheit
5 Hilfen für Kinder
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Kindliches Verhalten nicht dramatisieren
Eigene Probleme nicht auf die Kinder übertragen
Hilfen bei der Kontaktaufnahme
Beschämung und Bloßstellen vermeiden
Das kindliche Selbstbild verändern
Im Rollenspiel anderes Verhalten üben
In Geschichten sich selbst wiederfinden
Gewöhnung im Alltag herbeiführen
Den Kindern etwas zutrauen
VO
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
5.6
5.7
5.8
5.9
6 Zusammenfassung – Fazit
7Literatur
1 Schüchterne Kinder sind oft bedrückt oder unglücklich
Wenn Eltern und Erzieher/-innen über Kinder klagen, dann meist über aggressive Kinder,
die das Leben der Erwachsenen durcheinander bringen. Sie halten sich nicht an Regeln,
sie lassen sich nichts sagen, sie provozieren oder streiten sich mit anderen Kindern. In
Beratungsstellen werden hauptsächlich aggressive Kinder vorgestellt. Schüchterne Kinder dagegen stören die Erwachsenen selten. Sie sind zurückhaltend und passen sich an,
um nicht aufzufallen. Dass sie auch bedrückt oder unglücklich sein können, wird l­eicht
übersehen. Solche Kinder rütteln nicht an der Welt der Erwachsenen. Sie verhalten sich,
wie ihre Umgebung es wünscht; sie sind „pflegeleicht“.
Schüchterne Kinder bereiten Erwachsenen kaum Probleme,
aber sie haben oft Probleme.
Das trifft auch auf den Schulanfänger Alexander zu (Finger 2004, S. 198/199). Alle Erwachsenen mögen ihn. Er sieht nett aus, ist ruhig, kann sich allein beschäftigen und tut,
was die Erwachsenen ihm sagen. Seine Lehrerin mag ihn. Die harmlosen Geschichten,
die er ihr manchmal in der Pause erzählt, weil er nicht wagt, vor der Klasse zu sprechen,
rühren sie. Ein Junge, den alle Erwachsenen gern haben, müsste eigentlich zufrieden
sein. Doch Alexander geht es nicht gut. Er hat Angst vor der Schule, beteiligt sich nicht
am Unterricht, wird rot und weint, wenn er aufgerufen wird. In der Hofpause ist er meist
allein, weil die anderen Kinder kein Interesse an ihm haben und weil er nicht weiß, wie er
auf die anderen zugehen kann.
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Scham und Schüchternheit
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In der psychologischen Untersuchung wird er gefragt, was ein Zauberer tun könnte, damit
er selbst lieber zur Schule geht. Alexander wünscht sich, „dass ich nicht so schüchtern
bin“. Dabei stehen ihm Tränen in den Augen. Er erzählt vom Sportunterricht „mit den
schweren Übungen“ und von seinem Herzklopfen, „wenn ich drangenommen werde“. Er
wünscht sich weiter von dem Zauberer, „dass ich so bin wie der Klaus“. Klaus ist selbstsicher, beteiligt sich am Unterricht und hat viele Freunde. Doch Klaus und die anderen
beachten ihn nicht.
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Alexander meint von sich, dass er „schüchtern“ sei. Man könnte bei ihm auch von
„Scham“ sprechen, denn was Alexander fürchtet und belastet, ist das BloßgestelltWerden vor der Gruppe. Dies ist ein typisches Merkmal von Scham.
2 Ein Vergleich von Schüchternheit und Scham
Ist ein Kind, das den Finger in den Mund steckt und wegblickt, wenn es angesprochen
wird, schüchtern oder schämt es sich? Es gibt im Alltag keine genaue Abgrenzung zwischen beiden Begriffen. Auch die wissenschaftliche Diskussion führt nicht weit. „Oft ist
die Scham diffus, schwer benennbar und schwer greifbar“ (Baer/Frick-Baer 2012, S. 7) –
„Schüchternheit ist ein unscharfes Konzept (a fussy concept), je näher wir hinsehen, desto
mehr Spielarten von Schüchternheit entdecken wir“ (Zimbardo in Stöckli 2007, S. 24).
Sie reichen von natürlichem und gesundem Verhalten bis hin zu zerstörerischen Formen.
2.1 Zwei einfache Definitionen
In der internationalen Klassifikation von Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen ist Schüchternheit „die Ängstlichkeit eines Menschen beim Anknüpfen zwischen­
menschlicher Beziehungen“. Schüchterne Menschen reagieren „auf die Begegnung mit
nicht vertrauten Menschen mit Verunsicherung und Furcht“. (ICD 10 von 2012 im Internet) Schüchternheit gilt als Charaktereigenschaft, die angeboren ist, aber im Laufe des
Lebens verändert werden kann.
Scham ist ein Gefühl der Verlegenheit nach einer Verletzung der Intimsphäre oder wenn
jemand bei seinen eigenen vermeintlichen Unzulänglichkeiten entdeckt wird. „Scham
ist die Empfindung, dass man bei etwas ertappt wurde, was man geheimhalten wollte.“
(Bieri 2012, S. 71)
Schüchternheit und Scham sind soziale Ängste, denn bei beiden geht es um die Besorgnis, „von anderen auf irgendeine Weise beurteilt oder missbilligt zu werden“. (Markway/
Markway 2012, S. 13)
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Scham und Schüchternheit
2.2 Die Entwicklung von Schüchternheit und Scham
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Schüchternheit hat, wie jede menschliche Eigenschaft, verschiedene Ursachen. Sie kann
entweder angeboren sein oder im Laufe des Lebens entwickelt werden. Bei sensiblen
Säuglingen spricht man von angeborener Schüchternheit. Kinder, die in einem Familienklima der Schüchternheit aufwachsen, werden meist selbst schüchtern. Sie übernehmen
das Verhalten, das ihnen vorgelebt wird. Andere Kinder verarbeiten frühe Enttäuschungen
und Stresserlebnisse, indem sie sich zurückziehen und schüchtern werden.
sensible,
leicht irritierbare
Kinder
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angeboren
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Wie entwickelt sich Schüchternheit?
übertragen
früh erworben
Nachahmung
schüchterner
Bezugspersonen
Einschüchterung,
Stress-Erlebnisse,
Rollen-Erwartungen
Abb.1: Gründe für Schüchternheit
Angeborene Schüchternheit ist kein Schicksal. Je nach seiner Lebenserfahrung kann ein
Kind seine Schüchternheit verringern, eventuell sogar überwinden, andererseits aber auch
verstärken. Der amerikanische Forscher Kagan beobachtete schüchterne und leicht irritierbare Säuglinge über mehrere Jahre. Dabei entdeckte er, dass nicht alle auf Dauer schüchtern blieben. Kinder, die in Familien aufwuchsen, in denen sie nicht „in Watte gepackt“
wurden, sondern sich Herausforderungen stellen mussten, konnten ihre Schüchternheit
überwinden. Sie wurden gefordert und lernten dabei, dass man schwierige Situationen
bewältigen kann. Das machte sie stärker.
Übertragene Schüchternheit hängt eng mit dem Familienklima zusammen, in dem das
Kind aufwächst. Das sehen wir an Robert. Weil er als Säugling empfindlich war, haben
seine Eltern ihn von Anfang an geschont und von anderen Menschen fern gehalten. Diese Erziehungshaltung kam der Mutter gelegen, weil sie selbst schüchtern und ängstlich
ist. Die Mutter unternahm mit ihrem Kleinkind lange Waldspaziergänge. Zwischendurch
setzte sie sich auf eine Bank, der Junge saß daneben im Kinderwagen, beide blickten in
die Ferne, ohne miteinander zu sprechen. Spielplätze besuchte die Mutter nie. Sie hatte
Angst, dass Robert wegen der vielen Geräusche und Bewegungen schreien könnte und sie
blamieren würde. Noch mehr fürchtete sie, Robert würde sich an den Geräten verletzen
oder sein Ungeschick könnte auffallen. In den Kindergarten kam Robert erst mit fünf
Jahren. Nun ist er acht Jahre alt und fällt in der Schule auf, weil er kaum spricht, sich nicht
am Unterricht beteiligt, den Gleichaltrigen ausweicht und sich überhaupt nichts zutraut.
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