Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 14. November 2015 / 11:05 – 12:00 Uhr Lizenz zum Abhören Spionage im Dienste ihrer Majestät - und ihres großen Verbündeten Mit Reportagen von Benjamin Dierks Am Mikrofon: Gerwald Herter Musikauswahl und Regie: Simonetta Dibbern Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar – 2 START: Trailer MUSIK-1 (Opening, Bond-Trailer) O-Ton 1 „Der CIA war eine riesige Organisation – mit vielen Abteilungen, massenweise Offizieren, Technologie und so weiter. Der britische Dienst war im Vergleich zur CIA nur ein kleines Kind, ein sehr begabtes Kind allerdings!“ MODERATION: Zumindest begabt genug, um diesen Mann, den KGB-Überläufer Oleg Gordievsky im Kofferraum eines Wagens aus der UdSSR nach Finnland zu schmuggeln. Im Kalten Krieg war das zweifellos einer der großen Erfolge des MI6, also des britischen Auslandsgeheimdienstes. Doch nicht immer läuft alles so gut. Deshalb dürfte der Brite Harry Ferguson den Dienst beim MI6 quittiert haben. Er verzichtet darauf, in dieser Angelegenheit Details zu nennen. Der frühere Spion warnt aber davor, Spielfilm-Fiktion und Wirklichkeit zu verwechseln: O-Ton 2 (aus Reportage 4) „Teil des Problems in diesem Land ist, dass das Bild vom Geheimdienst von James Bond geprägt wird. Das ist die einzige PR, die der Geheimdienst hat. Jeder weiß, dass es nicht ganz so wie bei Bond läuft, aber tief im Herzen hofft man, dass es doch ein wenig so ist.“ MUSIK Moderation: „Lizenz zum Abhören. Spionage im Dienste ihrer Majestät - und ihres großen Verbündeten“, darum geht es an diesem Samstag in den Gesichtern Europas. Benjamin Dierks war für uns im Vereinigten Königreich, im Studio ist Gerwald Herter. MUSIK MODERATION: Machen wir uns also auf ins Labyrinth der britischen Geheimdienste und lassen wir uns dabei nicht in die Irre führen: dass sich hinter dem Begriff „Governement Communication Headquarters“ der wohl mächtigste Geheimdienst ihrer Majestät verbirgt, war erstaunlich lange nur Fachleuten bekannt. Zumindest die Abkürzung dafür, GCHQ, ist seit den Enthüllungen des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden in Großbritannien und darüber hinaus zum Inbegriff für das massenhafte Sammeln von Daten geworden. Diese britische „Regierungskommunikationszentrale“ wird weltweit von Kämpfern für die Freiheit des Internets und Datenschützern in einem Atemzug mit dem amerikanischen Supergeheimdienst NSA genannt. Ob E-Mails oder Telefongespräche - wenn Snowden die Wahrheit sagt, hat sich das GCHQ den Zugriff auf einen Großteil der deutschen 3 Überseekommunikation mit den USA und anderen Staaten des amerikanischen Kontinents gesichert. Bei einem G20-Treffen in London soll der Dienst 2009 alle Gäste der britischen Regierung abgehört haben, also auch Staats- und Regierungschefs. Es gibt Briten, die das für keine Sensation halten und gar nicht erst auf die Idee kommen von Entschuldigungen zu sprechen oder das mit Pannen zu erklären. David Omand gehört dazu. Er war GCHQ-Chef und ist nun der einzige, der darüber spricht. Womöglich ist der Dienst zu dem Ergebnis gekommen, dass das für seine Arbeit nicht von Nachteil ist: Atmo Reportage 1 David Omand, ehemaliger GCHQ-Chef A1 ATMO King‘s College, unter Text lassen „Welcome to King’s“ Das Foyer des Londoner King’s College. Studenten huschen durch eine Drehtür hinein und hinaus, begrüßen, verabschieden sich, verschwinden in den Fluren. Sir David Omand schlängelt sich durch die Menge junger Menschen zum Fahrstuhl. Vor einem Lesesaal bildet sich eine Schlange. Am Eingang kontrolliert eine junge Frau den Zugang. Die Studenten halten die Bildschirme ihrer Smartphones hoch und sie scannt den darauf befindlichen Code. O-Ton 2 „They’re just about to start their 5 o’clock till 7 o’clock lecture session.“ Die Nachmittagsvorlesungen beginnen. Omand mustert die Studenten. O-Ton 3 „In den alten Zeiten gab es gelegentlich noch den Universitätsprofessor, der jemandem auf die Schulter klopfte und fragte: Warum sprichst du nicht mal mit dem oder dem? Bei der Rekrutierung kam es darauf an, wen man kannte“ Die alten Zeiten waren noch jung, als Omand beim GCHQ anheuerte, beim Government Communications Headquarters, dem 4 technischen der britischen Geheimdienste. Das Pendant zur NSA. Damals, 1969, waren die Sowjets noch der Gegner. Omand spionierte deren Flugabwehr aus, wechselte aber bald ins Verteidigungsministerium und ging später zur Nato nach Brüssel. Als er nach 30 Jahre zum GCHQ zurückkehrte, roch es in der alten Zentrale immer noch nach Kaltem Krieg. Er war angetreten, die Leitung des GCHQ zu übernehmen und den Dienst auf die Zukunft vorzubereiten O-Ton 4 „Das Internet war da und es war klar, dass das zu einer großen Sache würde. Der Dienst musste umgebaut, seine Systeme neu arrangiert werden, um digitale Geheimdienstarbeit betreiben zu können. Also begann in meiner Zeit und von anderen fortgesetzt eine enorme Anstrengung, die Behörde zu modernisieren – um die Herrschaft über die digitale Information zu erlangen.“ Omand sagt das ohne zu zucken. Er blickt durch seine starken Brillengläser mit Metallrand. Er trägt ein hellgraues Hemd, die Ärmel hochgekrempelt. Omand ist der Initiator dessen, was das GCHQ heute ausmacht. Die Agenten des Abhördienstes verstehen sich als Augen und Ohren des britischen Königreichs. Viele ihrer Operationen wurden erst durch den amerikanischen Whistleblower Edward Snowden bekannt. Das Programm Tempora etwa, mit dem die Spione weltweit Datenverbindungen anzapfen. O-Ton 5 „Manche erheben Privatsphäre zum Fetisch und ich begreife wirklich nicht, warum sie ihre persönliche Privatsphäre über die Sicherheit ihrer Mitmenschen stellen.“ Der frühere Geheimdienstchef steht auf, geht durch das Büro. In einer Ecke liegen sowjetische Offiziersmützen. Überbleibsel des Kalten Krieges, sagt er. Darüber ein Bild von Sean Connery als James Bond. Omand weist auf die Bücherregale, die die Wände säumen. 5 O-Ton 6 „All diese Bücher handeln vom Geheimdienst. Schade, dass die Journalisten sie nicht gelesen hatten, bevor sie die SnowdenEnthüllungen veröffentlicht haben. Dann wäre vieles von dem keine Überraschung mehr für sie gewesen.“ David Omand schreibt selbst Bücher über Geheimdienste Plädoyers für die Notwendigkeit von Spionage und Gegenspionage. O-Ton 7 engl. zu Snowden Die Snowden-Enhüllungen haben nur dazu geführt, davon gibt er sich überzeugt, dass Kriminelle und Terroristen nun wissen, wie der Geheimdienst arbeitet. Das mache den Diensten die Arbeit schwerer. Und es werde dazu führen, dass sich ihre Arbeit verändert. O-Ton 8 VO „Angetrieben durch Snowden breiten sich Verschlüsselungstechniken aus. Das wird die Geheimdienste wahrscheinlich dazu zwingen, näher an ihre Ziele zu kommen, näher an ihre Computer. Es wird mehr Versuche geben, zu hacken, Computernetzwerke auszunutzen.“ Omand argumentiert geschickt, verurteilt nicht zu sehr, sondern weist auf angeblich unaufhaltsame aber bisher wenig beachtete Konsequenzen hin. Und in gewissem Maß zeigt er auch Verständnis: Dass einem angesichts der modernen Spionagetechnik Angst und Bange werden kann, will Omand nicht bestreiten. A2 ATMO Fahrstuhl/Uni-Flur Bei Omands Studenten haben die verschiedenen Enthüllungen dem Ruf des Geheimdienstes nicht geschadet. Im Gespräch lässt er ganz beiläufig einfließen, dass trotzdem oder auch deswegen viele von ihnen für die Regierung arbeiten wollten: 6 O-Ton 10 engl. „When they ask me, and a lot of them are very keen to work for the government, I say to them: there’s a website, you have to apply along with everyone else.“ Wenn sie ihn fragen, wie man denn zum Geheimdienst komme, antwortet Omand, sie sollten sich bewerben, so wie jeder andere auch. Volle Transparenz und offener Wettbewerb statt vertraulicher Hinweise auf Kontaktleute. Wenn man Omand glaubt, haben sich die britischen Geheimdienste gründlich verändert. Endet mit Atmo!! Literatur-Musik-Thema MODERATION/Literatur: David Omand war britischer Agent - wie auch der weltbekannte Autor John le Carré und wie Eric Leamas, die Hauptfigur in le Carrés Bestseller „Der Spion, der aus der Kälte kam“. In den 60er Jahren durfte John Le Carré dieses Buch nur veröffentlichen, nachdem es seine Vorgesetzten beim MI6 freigegeben hatten. Angeblich ein rein fiktiver Stoff, aber gespickt mit Passagen, die Warnungen gleichkommen. Hat le Carré ein paar Kassiber an der Zensur vorbeigeschmuggelt? Kurz vor dem tragischen Ende, auf der Flucht irgendwo in der DDR gesteht Eric Leamas seiner Geliebten, was er wirklich von Seinesgleichen, von Spionen und Spionage hält: Literatur-1: „In diesem Spiel gibt es nur eine Regel (…) die Zweckdienlichkeit zeitlich begrenzter Bündnisse. Was glaubst du denn, was Spione sind – Priester, Heilige und Märtyrer? Nein, sie sind ein verkommener Haufen von eitlen Idioten und Verrätern: Schlappschwänze, Sadisten, Säufer - Leute, die Räuber und Gendarm spielen, um ihrem armseligen Dasein ein bisschen Glanz zu verleihen. Denkst du, in London sitzen sie da wie die Mönche und wägen Recht und Unrecht ab? Ich hätte Mundt umgebracht, wenn ich gekonnt hätte, ich hasse ihn wie die Pest - aber das ist nicht mehr das Ziel. Sie brauchen ihn nun mal. Und zwar brauchen sie ihn, damit die große, schwachsinnige Masse, die euch so heilig ist, nachts ruhig in ihren Kissen schlafen kann. Sie brauchen ihn, damit poplige kleine Normalbürger wie du und ich ein sicheres Leben haben“(…) „Das hier ist ein Krieg(….). Es ist unappetitlich, natürlich, weil er im kleinen Maßstab und aus nächster Nähe geführt wird und, ja, weil er auch unschuldige Leben fordert“. 7 MUSIK-2 MODERATION: Britische Agenten, die im Kalten Krieg auffliegen und dann, beim verzweifelten Versuch über die Berliner Mauer zu kommen, im kalten Licht der Scheinwerfer erschossen werden. Und jetzt, Jahrzehnte später, das massenhafte Einsammeln der größtmöglichen Menge von MetaDaten, ohne dass man Absender und Empfänger je gesehen hätte. Haben sich die britischen Dienste tatsächlich so sehr verändert, dass niemand mehr von den Schilderungen, etwa eines John le Carré auf die Gegenwart schließen dürfte? „Semper Occultus“, also „stets geheim“ - seit mehr als hundert Jahren gilt das als Leitbild des MI 6. In seiner Arbeit, wie in der des GCHQ und des ebenfalls britischen Security Service/MI5 lassen sich noch andere Prinzipien erkennen, die alle Veränderungen überdauert haben: Dazu zählt die enge Zusammenarbeit mit den amerikanischen Freunden. Im Rückblick zeigt sich, dass Briten Amerikanern einst großzügig Entwicklungshilfe gewährten und es zeigt sich auch, dass sich in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs noch andere erstaunliche Entwicklungen anbahnten: Atmo ca. 57 Reportage 2 Bletchley Park ATMO 1 Enigma/Typex O-Ton 1 engl. „If I press the letter L, it gives me T, I press it again, it gives me Q, I press it again, it gives me H, I press it again, it gives me G.“ John Harper steht vor einem hölzernen Koffer mit einem Trageriemen aus Leder, der eine Art altmodische Schreibmaschine aus schwarzem Metall umschließt. Darauf sind in drei Reihen schwere Tasten mit den Buchstaben des Alphabets angeordnet. Über den Tasten drei weitere Reihen mit Buchstaben auf runden, in das Metall eingelassenen Glasflächen. Harper drückt das L hinunter. Seine Hand zittert ein wenig. Die Taste klingt dumpf. In den Reihen über den Tasten leuchtet das T auf. Harper drückt wieder das L, nun aber blinkt das Q, danach das H, dann das G. Jedes Mal, wenn Harper einen Buchstaben drückt, wird ein anderer dafür angezeigt. Was Harper hier 8 vorführt, ist die legendäre Enigma-Maschine. Mit ihr verschlüsselte die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ihre Kommunikation und machte sie so für den Feind unlesbar – oder jedenfalls dachte sie das. O-Ton 2 VO. „Wäre diese Maschine richtig benutzt worden, hätte sie niemand knacken können. Das ist eine sehr mächtige Maschine. Leider haben die deutschen Chiffrierstellen aber einige Fehler begangen und Geheimnisse preisgegeben. Das hat die Aufgabe in Bletchley Park ein wenig leichter gemacht.“ „Leider“, sagt der Brite John Harper. Der frühere Computertechniker kümmert sich im Auftrag einer Stiftung um die historischen rechnet er bedauert, dass der einstige Kriegsgegner Deutschland seine nahezu perfekte Verschlüsselung nicht geheim halten konnte. Das zeugt von fachmännischem Respekt. 1940 gelang den britischen CodeKnackern um die Mathematiker Alan Turing und Gordon Welchman, was lange für unmöglich gehalten wurde: Hier in der kleinen Stadt Bletchley nordwestlich von London entschlüsselten sie den deutschen Enigma-Code. Sie konnten nun deutsche Funksprüche mitlesen und erfuhren, was das gegnerische Heer, die Luftwaffe und die Marine vorhatten. ATMO 2 /O-Ton Rede Chemberlain, nach Zitat unter Text weiter „Well, if we take a survey, I think we shall find that the result is not unsatisfactory. The oceans of the world have been swept clear of German shipping.“ Applaus Im Herrenhaus der Anlage von Bletchley Park tönt eine Rede des britischen Premierministers Neville Chamberlain aus einem alten Radio und erinnert an die ersten Kriegsmonate. In diesem viktorianischen Rotklinkerbau richtete die britische 9 Government Code and Cypher School 1939 ihr strenggeheimes Hauptquartier ein. Sie war der für die Datenanalyse und das Entschlüsseln zuständige Teil des britischen Geheimdienstes. Aus ihr ging später das heutige Government Communications Headquarters oder kurz GCHQ hervor, das durch die Enthüllungen von Edward Snowden für seine Datensammelleidenschaft bekannt geworden ist. O-Ton 3 Greenberg Skunk Works „Man kann sagen, dass hier das Informationszeitalter begonnen hat. Hier wurden erstmals Methoden angewendet, die heute allgemein gebräuchlich sind. Heute nennen wir so etwas „Skunk Works“ oder „Internet-Startup“. In Bletchley Park brachten sie die schlausten Leute Großbritanniens zusammen, irgendwann noch ein paar Kanadier und Amerikaner, gaben ihnen Geld und sagten: Hier ist das Problem, uns ist egal, was ihr anstellt, solange ihr Resultate liefert.“ ATMO 3 außen unter Text Der Mathematiker Joel Greenberg erforscht seit Jahren die Geschichte der Codebrecher von Bletchley Park. Über einen Sandweg hinweg geht er an Bäumen und einem Teich entlang zu der ersten von vielen Baracken, die hier während des Kriegs entstanden. Von anfangs 200 wuchs die Zahl der Mitarbeiter auf über 10.000. ATMO 4 Tür O-Ton 4 engl. „This is the first room, the start of the process that Welchman envisioned. As the messages were intercepted they were sent to Bletchley Park and if they were army or airforce, arrived in this room. Tiny little room, very primitive.“ 10 Greenberg geht in den ersten düsteren Raum der Holzbaracke. Darin steht ein einfacher Tisch, die Dielen knarren, es zieht. Hier kamen die abgefangenen Nachrichten an, die nach Bletchley Park weitergeleitet wurden. Viele Frauen tüftelten an der Entschlüsselung, während die Männer an der Front waren. Sie sollten mit Zahlen umgehen können. Manche wurden diskret angeworbennachdem sie an einem in der Zeitung platzierten Kreuzworträtselwettbewerb teilgenommen hatten und sich so unwissentlich qualifiziert hatten Frauen der britischen Kriegsmarine bedienten auch die Maschine, die Turing und Welchman entwickelt hatten, die „Turing-Welchman-Bombe“, eine gewaltige Rechenmaschine aus über hundert Walzen und Spulen, in neun Reihen untereinander angeordnet ATMO 5 Bombe (anlaufen, unter Text, dann ausklingen) Die Maschine ist rund zwei Meter hoch und breit. Sie konnte genug Varianten durchrechnen, um über ein Ausschlussverfahren auf den Code zu kommen, mit dem die Deutschen ihre Enigma gerade eingestellt hatten. Über 200 dieser Bombes wurden im Krieg in Bletchley Park betrieben. Heute steht dort ein Replikat. ATMO 7 Hut C/Besucher Großbritannien ist stolz auf seine Codebrecher. Harper und Greenberg sind es auch. Anders als heute stellte im Zweiten Weltkrieg kaum jemand in Frage, dass dieser Aufwand notwendig war. Schließlich ging es darum Hitler zu besiegen. Hunderttausende Touristen besuchen heute diesen einst geheimen Ort. Dabei sei die Entzifferung des Enigma-Codes gar nicht das allein Entscheidende gewesen, sagt Joel Greenberg. 11 O-Ton 5 Metadata „Die Kryptografie war nur ein Teil der Operation und wohl der unwichtigste. Dennoch richtet sich die gesamte Aufmerksamkeit darauf. Wahrscheinlich, weil es sexy ist, geheime Nachrichten zu lesen. Wichtiger war die Analyse des Datenverkehrs. Schon ohne die abgefangenen Nachrichten zu entschlüsseln, gaben sie Aufschluss, von wem und von wo sie gesendet wurden, und über die Bewegungen des deutschen Militärs. So konnte man zum Beispiel den Weg einer Panzerdivision verfolgen. Diese Daten nennen wir inzwischen Metadaten. Um die geht es auch heute, wenn der Geheimdienst Telefonverbindungen speichert. Das hat in Bletchley Park angefangen.“ ATMO 8 Herrenhaus Und noch etwas begann in Bletchley Park. Zurück im Herrenhaus geht Joel Greenberg in den vorderen Raum. Die Fenster in einem halbrunden Erker angelegt, auf dem Boden dunkelgrüner Teppichboden, dazu schwere Holzschreibtische. Das Büro des ersten Chefs der Government Code and Cypher School, Commander Alexander Denniston. O-Ton 6 engl. „This is the room where the four american cryptoanalists arrived.“ Denniston lud 1941 vier Kryptografen der US-Army nach Bletchley Park ein. Auch die amerikanischen Dienste bauten zu dieser Zeit Abteilungen für Datenanalyse auf, waren aber weder soweit fortgeschritten noch so gut organisiert wie die Briten. US-Außenminister Henry L. Stimson hatte einer KryptografieEinheit kurz zuvor noch die Finanzierung entzogen. Seine Begründung: Ein Gentleman lese nicht eines anderen Post. Die 12 Briten aber wollten die Amerikaner dazu bringen sich am Zweiten Weltkrieg zu beteiligen. Denniston begrüßte die vier Herren mit einem Sherry und wies seine Sekretärin an, das Treffen geheim zu halten. O-Ton 7 „Diese Leute waren einige Wochen in Bletchley Park , erhielten Zugang zu vielen Geheimnissen und viele Informationen wurden ausgetauscht.“ Der Besuch mündete in eine enge Zusammenarbeit. Die Amerikaner beteiligten sich schließlich an der Dechiffrierung, bauten eigene Turing-Welchman-Bombes. Und sie gaben den Briten, woran es ihnen am meisten mangelte: Geld. O-Ton 8 „Wenn man nach einem Ereignis sucht, das den Beginn der speziellen Beziehung von Großbritannien und den USA markiert, war es das. Wir stehen genau in dem Raum, wo es sich abspielte.“ MUSIK-3 Codebreaker Literatur-Musikthema: Auf einem Buffet standen Whisky und Soda bereit. Peters ging hin und mixte ihnen beiden einen Drink „Hören Sie“, sagte Leamas abrupt, „ab jetzt können wir auf das Gesäusel verzichten, in Ordnung? Wir wissen beide, worum es geht, wir sind beide Profis. Sie haben einen Überläufer angeworben - viel Glück. Aber tun Sie verdammt noch mal nicht so, als ob Sie in mich verliebt wären“. Er klang angespannt, seiner selbst nicht ganz sicher. (…) Leamas schwitzte. Peters beobachtete ihn kühl über den Tisch hinweg, taxierte ihn wie ein Berufsspieler. Wie viel war Leamas wert? Was brachte ihn zum Einknicken, was weckte Begehrlichkeiten bei ihm, was machte ihm Angst? Was hasste er, und vor allen Dingen, was wusste er? Würde er seinen Haupttrumpf bis zum Schluss aufsparen und dann den Preis hochtreiben? Eher nicht, dachte Peters - Leamas war zu sehr 13 aus dem Lot, um Sperenzien zu machen. Leamas war innerlich zerrissen: ein Mann, für den es nur ein Leben, nur ein Bekenntnis gab, und dem brach er nun die Treue. Peters sah das nicht zum ersten Mal. Er hatte es sogar bei Männern erlebt, die eine vollständige ideologische Kehrtwendung vollzogen hatten, die in einsamen Nachtstunden zu einem neuen Credo gefunden hatten und, getrieben von nichts anderem als der inneren Macht ihrer Überzeugungen, zu Verrätern an ihrem Beruf, ihrer Familie, ihrem Land geworden waren. MODERATION: Dass Vertrauen zwischen Geheimdiensten keine harte Währung sein kann, das ergibt sich aus ihrem Geschäft, denn da geht es oft genug um Verrat. Vertrauen entsteht nicht einfach so, blindes Vertrauen könnte wichtigen Quellen schließlich lebensgefährlich werden. Natürlich gibt es immer wieder Zweckbündnisse, auch das gehört dazu. Geheimdienst-Residenten – oft halboffiziell in Botschaften untergebracht - tauschen Erkenntnisse trotz unterschiedlicher Interessen selbst mit zweifelhaften Partnern aus. Auch wenn man sich eigentlich nicht freundlich gesonnen ist, so gibt es doch Geschäfte, von denen beide Seiten profitieren. Das Verhältnis zwischen CIA und NSA auf der einen, MI6 und GCHQ auf der anderen Seite, ist ein Sonderfall. Ihr Geheimdienstverbund, zu dem auch die Partner aus Australien, Neuseeland und Kanada gehören, hat sogar einen eigenen Namen: „Five Eyes“ wird er genannt. Das erste Abkommen soll zunächst zwischen amerikanischen und britischen Diensten 1947 unterzeichnet worden sein. Einen Gegner hatte man gemeinsam besiegt, Hitlerdeutschland und die Zusammenarbeit sollte sich im Kampf gegen einen anderen bewähren: die Sowjetunion und ihre Satelliten. Zwischenzeitlich arbeitete der KGB allerdings derart erfolgreich, dass der transatlantische Spionageverbund vielleicht sogar auf dem Spiel stand: Atmo ca. 1‘06 Reportage 3 Oleg Gordievsky, Der KGB-Überläufer ATMO 1 Vorlauf: Straße, Schotterweg, Klingel, Tür ATMO 2 Wohnzimmer O-Ton 1 engl. „Would you like a drink, Oleg?“ „Strong tea.“ Oleg Gordievsky setzt sich an seinen dunkelbraunen Esszimmertisch und seine Assistentin Jill verschwindet in der Küche. 14 O-Ton 2 engl. „The British people, they offer and make tea all the time. But it’s anything else…“ Sie nennten es Tee, aber eigentlich ertränkten sie nur alles in Milch und Zucker, schimpft Gordievsky. Er blickt durch die Durchreiche in die Küche zu Jill und schüttelt den Kopf. Der sogenannte Tee das sei das einzige, wofür er den Respekt vor den Briten verlieren könnte. Und das heißt etwas, denn den Briten hat Gordievsky sein Leben zu verdanken. Genauer gesagt den Männern und Frauen vom MI6. Sie haben ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um sein Leben zu schützen, um ihn, Oleg Gordievsky, den KGB-Überläufer, aus Moskau zu befreien – in der wohl spektakulärsten Aktion des britischen Auslandsgeheimdienstes, die je bekannt geworden ist. Sie dürfte den Lauf der Geschichte beeinflusst haben. ATMO 2.1 Jill kehrt mit dem Tee zurück und gibt Gordievsky seine Tasse. Sie hat einige Fotos auf dem Tisch ausgebreitet. Gordievsky mit der Queen, mit Ronald Reagan. 30 Jahre ist es her, dass der Russe dem KGB wahrscheinlich in letzter Minute entkommen konnte. Im Sommer haben sie eine große Party geschmissen deswegen, eine Party für ihn, im Haus einer ehemaligen MI6Kollegin. Gordievsky scheint noch ganz beeindruckt von so viel Aufmerksamkeit, obwohl seit der Sache doch so viel Zeit vergangen ist. O-Ton 3 VO „Da waren mehrere Lords, ehemalige Minister, frühere MI6Chefs, Abteilungsleiter – und alle Menschen, die an meiner Flucht mitgewirkt haben. Das sind alles Helden.“ Und dann wird seine Stimme ein wenig brüchig, er sich daran erinnert, was das für ein Gefühl war 15 Seine Retter wiederzusehen: O-Ton 4 engl. „Oh, … I felt Begeisterung...“ Weil ihm kein passendes englisches Wort einfällt, um seine Gefühle zu beschreiben wählt er ein deutsches aus seinem alten Agentenwortschatz: Begeisterung. Oleg Gordievsky trägt eine große Brille mit Metallrand und breite rote Hosenträger. Seinen weißen Bart hat er ein paar Tage stehen lassen. Er sitzt etwas gebeugt am Tisch und geht am Stock. Als er vor dreißig Jahren flieht, ist er Mitte Vierzig. Er hat schon gute zehn Jahre als KGB-Doppelagent für die Briten spioniert, zuletzt sogar als KGB-Bürochef in London. Dann wird er nach Moskau zurückgerufen. Er merkt, dass sie ihm auf die Schliche gekommen sind und alarmiert über ein verabredetes Zeichen seine MI6-Kollegen. Die geben ihn nicht auf, lassen nichts unversucht, um den treuen Spion zu retten. Bald darauf fährt Gordievsky mit dem Zug in die Nähe der finnische Grenze und trifft seine MI6-Kontakte aus Moskau, die ihn mit einem Auto erwarten. O-Ton 5 VO „Auch die Ehefrauen der Agenten waren dabei. Es ist Tradition im MI6, dass auch die Frauen an den Operationen beteiligt sind. Sie wussten, wer ich war. Eine von Ihnen hatte sogar ihr Baby dabei.“ (39:00) Oleg Gordievsky zwängt sich in den Kofferraum. An fünf sowjetischen Kontrollen müssen sie vorbei. An der vierten hört Gordievsky aus dem Kofferraum plötzlich Hunde und glaubt sich dem Ende nah. Doch die Tiere interessieren sich eher für die Vordersitze, wo die Frauen sie beiläufig mit Kartoffelchips füttern. Als sich die Kontrolle immer länger hinzieht, hat eine der Frauen einen Geistesblitz. Sie steigt aus und wickelt 16 ihr Baby auf der Kühlerhaube. Die volle Windel lässt sie vor den Hunden auf die Straße fallen. Deren Geruchssinn ist nun endgültig durcheinander. O-Ton 6 VO „Als sie dann anhielten irgendwo im finnischen Wald, und ich aus dem Kofferraum klettern konnte, habe ich diesen beiden Frauen vor Dankbarkeit die Hände geküsst.“ Das ist ein gewaltiger Coup der Briten. Gordievsky ist der ranghöchste KGB-Mann, der je in den Westen übergelaufen ist. Die Befreiung des Doppelagenten ist auch eine Befreiung für den MI6. Lange mussten sie sich mit Misserfolgen herumärgern. Die Unterwanderung durch sowjetische Top-Spione hatte dem Dienst immer wieder zugesetzt. KGB-Gegner waren in London auf offener Straße liquidiert worden. Und nun dieser riskante geglückte Gegenschlag! Allein 25 KGB-Spitzel in Großbritannien konnte Gordievsky enttarnen. Und der MI6 konnte in der ungleichen Partnerschaft mit der amerikanischen CIA endlich einen lange ersehnten Erfolg vorweisen. O-Ton 7 VO (51:30) „Die CIA war eine riesige Organisation, mit vielen Abteilungen, massenweise Offiziere, Technologie und so weiter. Der britische Dienst war im Vergleich zur CIA ein kleines Kind, ein sehr begabtes Kind allerdings.“ Gordievsky weiß, was er dem MI6 schuldig ist. Er drückt sich an seiner Stuhllehne ab, steht auf und geht zur Verandatür. Er blickt in den Garten. Sein Haus liegt in der Grafschaft Surrey in einer beschaulichen Gegend, wo die Häuser nicht numeriert sind, sondern eigene Namen tragen. Er hat es bald nach seiner Rettung gekauft. Es war die Zeit, als der MI6 ihn durch die halbe westliche Welt schickte, damit er allen erzählte, wie der KGB tickt. 17 O-Ton 8 VO (49:30) „Man kann wohl sagen, dass ich zum Ende des Kalten Krieges beigetragen habe. Aber es war nicht so einfach. Ich habe meinem Verbindungsoffizier von der hysterischen Angst in Moskau vor den amerikanischen Atombomben berichtet. Und er sandte diese Warnung umgehend an Thatcher und ans britische Militär. Die gaben sie sofort an die Amerikaner weiter, mit der Aufforderung: Stoppt eure Kalte-Krieg-Rhetorik, nehmt euch bei der Wortwahl etwas in Acht.“ Durch Gordievsky erfuhr US-Präsident Reagan, dass Michail Gorbatschow zu Zugeständnissen bereit sein könnte, dass er ihn womöglich nicht so sehr unter Druck setzen musste, wie man in Washington glaubte. Eine schöne Geschichte, die Gordievsky gerne zu besten gibt, aber es gibt auch hässliche. Gordievsky kann sich aufregen, wenn dem MI6 nicht die Dankbarkeit entgegengebracht wird, die er seiner Meinung nach verdient. O-Ton 9 VO „Es gibt ein russisches Wort dafür: Mischanska. Das ist falsch. Die CIA war ein wunderbarer Schutzschild für uns alle. Ohne die CIA würden wir nicht existieren. Sie schützte Deutschland genauso wie Großbritannien.“ Und wenn er über die Deutschen spricht, die sich ärgern, weil das Handy ihrer Kanzlerin abgehört wird, fällt ihm nur ein Wort ein: Dummheit. 18 O-Ton 10 engl. „Stupidity, stupidity! …“ So arbeite nun mal ein Geheimdienst. Das Leben der Spionage hat Gordievsky nicht losgelassen, auch nicht, als der MI6 ihm schließlich sagte, dass seine aktive Zeit nun vorbei sei, und monatlich Pensionszahlungen auf seinem Konto eingingen. Natürlich hat er Bücher geschrieben. Er hat auf Podien gesprochen, aber es ist nicht dasselbe. O-Ton 11 engl. zu Putin/KGB kurz hoch, dann im Hintergrund Am liebsten würde er nach wie vor berichten, wie der Russe tickt. Denn das, glaubt Gordievsky, weiß er immer noch am besten. Wladimir Putin rekrutiere immer neue Agenten, um den Westen auszuspionieren, sagte er. Auch in Deutschland. Man solle doch nach Russland schauen, von dort komme die Gefahr. Nicht von ein paar Telefonaten und E-Mails, die die Amerikaner und Briten mitschneiden. MUSIK-4/Bond MODERATION: Gemeinsame Feinde und natürlich gemeinsame Erfolge bei der Rettung der Welt: Der CIAMann Felix Leitner war schon immer James Bonds bester Freund. Ian Flemmings erster Bond-Roman erschien 1953. Nüchtern betrachtet hatte der Abstieg Großbritanniens schon längst begonnen. London blieb gar keine andere Wahl mehr, als sich an Washington zu halten. Eng an der Seite der USA war man ihnen ausgeliefert - aber wenigstens mit der Möglichkeit die amerikanische Politik zu beeinflussen. Genau das spiegelt sich in vielen Bond-Filmen wider: Russen und Amerikaner verfügen zwar über unerschöpfliche Mittel, ihnen fehlt aber der britische Blick für das Wesentliche, sie sind zu langsam oder einfach zu dumm. Hätte Agent 007 nicht immer wieder entschlossen, todesmutig und auf eigene Faust gehandelt, so wäre die Welt längst im Atomkrieg versunken oder sie würde von finsteren Schurken beherrscht. Mit diesen schönen Geschichten scheint Ian Flemming eine tiefe Sehnsucht vieler Briten immer noch zu erfüllen – trotz allem understatement, der Wunsch nach wahrer Größe. Der frühere MI6-Mitarbeiter Harry Ferguson weiß, was die britischen Dienste dem Autoren Flemming und seiner Romanfigur Bond verdanken: 19 Reportage 4 Harry Ferguson, Ex-MI6 ATMO 1 Straße Royal Horseguards Hotel O-Ton 1 engl. „That’s the first building where MI6 had its own headquarters and in fact it was on the roof of the Horseguards Hotel…“ Sprecher Alles begann mit einem Labyrinth. So erzählt Harry Fergusons die Geschichte des britischen Geheimdienstes. Whitehall Court, das heutige Royal Horseguards Hotel, ein gewaltiger weißer Prachtbau in Londons Regierungsviertel am Ufer der Themse. Harry Ferguson blickt an der Fassade hinauf zum Dach des Gebäudes. Mansfield Cumming, der erste MI6-Chef, errichtete dort oben 1914 das erste Hauptquartier für den legendären britischen Auslandsgeheimdienst, den Secret Intelligence Service. O-Ton 2 engl. „Until there were dozens of huts, built on top of each other , a higgeldy-piggeldy on all different levels, and that area of the Horseguards Hotel became known as the Labyrinth…“ Cumming ließ auf dem Dach nach und nach kleine hüttenartige Aufbauten errichten, in denen seine Offiziere arbeiteten. Verbunden wurden sie mit Treppen und Gängen und bald entstand dort ein Irrgarten aus Räumen und Zugängen, in dem sich kein Außenstehender mehr zurechtfand. Ein Bild, das den MI6 bis heute verfolge wie ein böses Omen, sagt Ferguson. Denn ein undurchdringliches Dickicht, das sei der Dienst auch 100 Jahre später noch. ATMO 2 Lobby St. Ermin’s Hotel 20 O-Ton 3 VO „Jede große öffentliche Organisation leidet an Korruption, an Vetternwirtschaft, an allen möglichen Problemen. Das einzige Mittel dagegen ist genaue Kontrolle. Aber in einer großen Regierungsorganisation, die man sich niemals genauer ansehen kann, vervielfältigen sich die Probleme Jahr für Jahr.“ Sprecher Ferguson trägt – ganz britisch – ein braunes Tweed-Jackett, blauen Pulli, Krawatte, Cordhose. Er war einst selbst Stabsoffizier des MI6, hat Agenten dirigiert und im Ausland Quellen angeworben. O-Ton 4 VO „Es ist erschütternd, wie schlecht der Dienst gearbeitet hat, er ist im Grunde von einem Desaster ins nächste geschlittert. Aber wenn man jemanden auf der Straße fragt, was er vom britischen Geheimdienst hält, wird er dir sagen, was er auch über das Militär sagen würde: Unser Geheimdienst ist der beste der Welt.“ Sprecher Nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst ist Ferguson zu einer Art Geheimdiensthistoriker geworden, hat Bücher über den MI6 geschrieben. Für die BBC hat er eine Talentshow gedreht, in der die Kandidaten sich unter mehr oder weniger realistischen Bedingungen als Spione beweisen mussten. O-Ton 5 VO „Teil des Problems in diesem Land ist, dass das Bild vom Geheimdienst von James Bond geprägt wird. Das ist die einzige PR, die der Geheimdienst hat. Jeder weiß, dass es nicht ganz so wie bei Bond läuft, aber tief im Herzen hofft man, dass es doch ein wenig so ist.“ 21 Sprecher Ein kurzer Fußweg vorbei an Ministerien, am Parlament und am Hauptquartier von Scotland Yard führt zu einer kleinen Sackgasse, die eingefasst ist von einer alten viktorianischen Wohnanlage aus rotem Backstein. Hier residiert seit mehr als 125 Jahren das St. Ermin’s Hotel. In der Lobby führt eine in zwei runden Aufgängen verlaufende Freitreppe auf die von einem weißen Holzgeländer eingefasste Galerie. Harry Ferguson hat an einem Tisch in einer Nische Platz genommen. O-Ton 6 VO „Wir sind hier mitten im Spionage-Gebiet. Von hier aus sind wir nur ein paar Hundert Meter entfernt von alten Hauptquartieren. Im Zweiten Weltkrieg bekam das Hotel seine eigene Bedeutung. Churchills Einsatzzentrale lag nicht weit entfernt. Und die geheime Spezialeinheit SOE plante hier ihre Einsätze im Feindesland. Agenten wurden rekrutiert. St. Ermin’s hatte immer starke Verbindungen zum Geheimdienst. Noch heute sehe ich manchmal ein bekanntes Gesicht.“ Sprecher MI6 hat sein Hauptquartier heute auf der anderen Seite der Themse, ein Monstrum aus gelbem Beton und verspiegeltem Glas. Undurchsichtig wie der Dienst selbst. O-Ton 7 VO „Die Wahrheit ist: In der guten alten Zeit konnte der Geheimdienst machen, was er wollte. Und jetzt in der modernen Zeit mit Parlamentsausschüssen, die ein Auge auf den Dienst haben, und den anderen Kontrollgremien – kann der Dienst immer noch machen, was er will.“ Sprecher Trotz aller Versuche, die Geheimdienste unter bessere öffentliche Aufsicht zu stellen, haben Außenstehende kaum eine 22 Chance zu verstehen, was innerhalb des MI6 vor sich geht, sagt Ferguson. O-Ton 8 VO „Man hat ja einen Geheimdienst, damit er Dinge machen kann, die man in der Öffentlichkeit nicht zugeben muss. Wenn also ein Geheimdienst sagt: Ihr könnt uns ja ständig kontrollieren, darf man das nicht für bare Münze nehmen. Denn das kann man nicht.“ Sprecher Das heiße aus seiner Sicht nicht, dass der MI6 nur schrecklich Dinge tut. Und natürlich ändere sich ein Geheimdienst auch, wenn die Zeiten sich ändern. O-Ton 9 VO „Als ich im Kalten Krieg rekrutiert wurde, wurde noch viel aus dem diplomatischen Schutz der Botschaften heraus agiert. Sie brauchten weiße Angehörige der Mittelschicht wie mich.“ Sprecher Spione kamen aus gutem Hause, waren an Privatschulen ausgebildet worden, in Oxford und Cambridge. Aber selbst das Klassenbewusstsein und das blinde Vertrauen in die vermeintlich „eigenen“ Leute führte zu katastrophalen Pannen. Der legendäre sowjetische Spionagering um Kim Philby, die Cambridge Five, fand so seinen Weg in den MI6. Guy Burgess, einer von ihnen, gab hier im St. Ermin’s Hotel geheime Informationen an seinen russischen Führungsoffizier weiter. O-Ton 10 VO „Im Krieg gegen den Terror brauchst du jetzt eine viel größere ethnische Mischung - mit speziellen Sprach- und Ortskenntnissen. Allerdings: Wenn du in die Führung aufsteigen willst, hilft immer noch der richtige Hintergrund.“ 23 Sprecher Harry Ferguson steigt die gewundene Treppe hinab in die Lobby. Es heißt, darunter gebe es einen Tunnel direkt in die Regierungegebäude von White Hall. Noch so ein Gerücht, das den Geheimdienst umgebe, meint er. Wie es auch ein Gerücht sei, dass Einsätze so heikel werden, wie in einem Bond-Film. O-Ton 11 VO. „Die Leute sehen sich James Bond an und denken, der Job ist gefährlich. Für einen MI6-Offizier ist er das aber nicht. Gefährlich ist er für die lokalen Agenten und die Quellen, die wir anwerben. Wenn eine Operation schief läuft, sind sie es, die leiden müssen, die gefoltert und getötet werden.“ Sprecher Harry Ferguson darf nicht viel preisgeben über seine eigene Arbeit beim Geheimdienst. Aber er deutet an, was ihm den Dienst in der Schattenwelt vergällt haben könnte. O-Ton 12 VO „Wenn jemand anders leiden muss, weil du einen Fehler gemacht hast, ist das eine schreckliche Last, die dich den Rest deines Lebens verfolgt. Das hat wahrscheinlich mehr Geheimdienstleben zerstört als eine Schusswaffe. Schlechte Entscheidungen - du kannst nicht mehr tun, als sie irgendwo im Kopf zu verschließen. Das ist zumindest meine Erfahrung. Denn wiedergutmachen lässt es sich nicht.“ MUSIK-5 24 Literatur-Musik-Thema Ein Mann, der nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich selbst eine Rolle spielt, ist psychisch in eklatanter Weise gefährdet. Wobei ihn nicht das Lügen als solches zermürbt; das ist eine Frage der Übung, der Professionalität - fast jeder kann es lernen. Aber während der Hochstapler, der Schauspieler oder Glücksspieler nach seiner Darbietung in die Reihen seiner Bewunderer zurückkehren darf, ist das für den Geheimagenten nicht möglich. Bei ihm dient der Täuschungsakt in erster Linie der Selbstverteidigung. Er muss sich nicht nur äußerlich panzern, sondern auch innerlich, und zwar noch gegen die natürlichsten Impulse, auch wenn er ein Vermögen verdient, erlaubt es ihm seine Rolle vielleicht nicht, sich einen Rasierapparat zu kaufen, trotz aller Bildung kann es ihm auferlegt sein, nichts als Banalitäten zu nuscheln, und selbst als noch so liebevoller Ehemann und Vater muss er sich möglicherweise gegen die abschotten, die doch eigentlich seine engsten Vertrauten sein sollten. MODERATION: David Omand, Oleg Gordievsky oder Harry Ferguson müssen es kennen – dieses Lügen, ja sogar dieses „Sich-Selbst-Täuschen“ damit bloß nichts passiert. Eine Sicherheitsmaßnahme, die dem eigenen Überleben dient. Die britischen Geheimdienste sind riesige Behörden. Überlebensstrategien haben auch sie entwickelt: das fast permanente Versprechen der Veränderung, das Entdecken neu aufkommender Bedrohungen, das Entwickeln besserer Methoden. Dass längst private Konkurrenten aufgetaucht sind, die ihre Dienste nicht Regierungen, sondern Unternehmen und Privatleuten anbieten, dürfte die Stellung von MI6, MI5 oder GCHQ sogar stärken. Denn wer sonst könnte es mit ihnen aufnehmen? Reportage 5 Private Sicherheitsdienste ATMO 1 London Bridge Station Am Bahnhof London Bridge herrscht an diesem Morgen reger Betrieb. In immer neuen Regionalzügen fahren Pendler aus dem Umland in die Station ein, strömen aus dem Bahnhof und verschwinden in den umliegenden Bürogebäuden. Eine geschäftige Gegend also, sie liegt südlich der Themse, gleich unterhalb der City, des Londoner Bankenviertels. 25 ATMO 2 Fahrstuhl/Büro Auch Andrew Farquhar hat ein ganz normales Büro mit einem ganz normalen Konferenzraum. Und Farquhar gibt sich dann auch alle Mühe, seinen Job so normal wirken zu lassen wie irgend möglich. O-Ton 1 engl. „There’s nothing mysterious about what we do and we’re a highly regulated part of business.“ Geheimnisvoll sei sein Geschäft gar nicht, sagt Farquhar, und staatlich überprüft werde es obendrein. Andrew Farquhar leitet die britische Sparte von GardaWorld, eines großen kanadischen Sicherheitsunternehmens. Ganz alltäglich sind die Dienstleistungen allerdings nicht, die diese Firmen anbieten. Sie wehren Cyberangriffe ab, forschen potenzielle Geschäftspartner aus, bieten bewaffneten Schutz bei Auslandsreisen oder stellen auch ganze Bataillone ausgebildeter Kämpfer. Besonders im Irak-Krieg sorgte das Fehlverhalten von privaten Söldnern im Dienst von Firmen oder Regierungen für Aufsehen. Blackwater ist in schlechter Erinnerung, andere Unternehmen sind weniger bekannt geworden. O-Ton 2 VO „Es gibt keinen Zweifel daran, dass private Sicherheitsunternehmen einen schlechten Ruf hatten. Aber heute gehen sie einem ganz normalen Geschäft nach und ermöglichen Handel in schwachen Regionen. Unsere Kunden machen sich Sorgen um ihren Ruf und wir machen uns Sorgen um unseren Ruf, und deswegen verhalten wir uns besser.“ Eine per Sicherheitscode geschützte Tür führt in weitere Räume. Im Flur steht – vielleicht das Ungewöhnlichste an 26 diesem Büro – die Statue eines Mannes in voller Kampfmontur, das automatische Gewehr im Anschlag. Sie sei den Gefallenen aus dem Irak und Afghanistan gewidmet, steht auf einer Plakette. An der Wand hängt noch das Firmenschild der Aegis Defence Services. Das britische Unternehmen hatte im IrakKrieg einen der größten Verträge mit der US-Armee über Hunderte Millionen Dollar geschlossen und rund 20.000 Privatsoldaten im Einsatz. Vor kurzem hat GardaWorld Aegis gekauft. Nun ist Farquhar dabei, das Unternehmen zu integrieren. Der 62-Jahrige ist ehemaliger Offizier der britischen Armee. Ehemalige Militärs und Geheimdienstmitarbeiter sind bei privaten Sicherheitsunternehmen gerne gesehen. O-Ton 3 engl. „Yes, the military experience is useful, there’s no doubt about it. But it’s not the only experience to assist you to perhaps become a security expert.“ Die militärische Erfahrung sei schon sinnvoll, sagt Farquhar. Aber auch andere Erfahrungen seien für den Job hilfreich. Vor allem Kenntnisse ferner Ländern zählten, um die Kultur dort zu verstehen. GardaWorld helfe vor allem Unternehmen, die Geschäfte in Schwellenländern machen wollen, wo Polizei und Militär westlichen Erwartungen nicht genügten. O-Ton 4 VO „Wenn ein Unternehmen ein neues Geschäft aufzieht, braucht es einen Markt, einen Kunden und – in diesen unruhigeren Umgebungen auch angemessene Sicherheit. Die wird normalerweise von einem privaten Sicherheitsunternehmen gewährleistet.“ Das Geschäft mit der privaten Sicherheit boomt. In London sitzen mehrere solcher Dienstleister. Viele Firmen wurden von ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern oder Militärs gegründet. Und in vielen sitzen ehemalige ranghohe Offiziere oder 27 Regierungsangehörige in der Führung oder im Beirat. Sie sollen Vertrauen schaffen. ATMO 3 Fahrstuhl Zum Beispiel Control Risks: vier ehemalige Angehörige der britischen Streitkräfte haben die Firma gegründet. O-Ton 5 VO „Das ist der Ursprung unseres Geschäfts, das ist die Herkunft von Control Risks, wir haben einen ganz klaren genetischen Code, der immer noch in unserem Unternehmen steckt. … Und ich glaube, manche unserer Kunden finden das beruhigend.“ Richard Fenning leitet Control Risks seit zehn Jahren. Das Londoner Hauptquartier der selbsternannten Risikoberater liegt nur ein paar Straßenecken von GardaWorld entfernt in einem der vielen Bürokomplexe aus Glas und Metall. Control Risks wurde 1975 als Subunternehmen eines Versicherungsmaklers gegründet und hatte sich auf Hilfe bei Entführungen und Lösegeldzahlungen spezialisiert. Später wurde das Unternehmen selbständig und weitete das Geschäft aus. O-Ton 6 VO „Wir haben Buchhalter und Juristen, die hier mit Leuten zusammenarbeiten, die vorher im Militär oder beim Geheimdienst Karriere gemacht haben, aber auch mit Politikwissenschaftlern oder dem ehemaligen Leiter eines Flüchtlingslagers.“ Control Risks berät Unternehmen ebenso wie Regierungen. Die politische Bewertung unsicherer Staaten gehört dazu. Afrika und Asien stehen hoch im Kurs, sagt Fenning. Im Irak schützt Control Risks Öl- und Gasunternehmen. Fennings Leute ermitteln längst aber auch in Europa, etwa in Unternehmen, die Betrug im eigenen Laden vermuten, aber das nicht öffentlich machen wollen. Eine Privatfirma zu beauftragen, ist aus ihrer Sicht 28 besser, als Anzeige zu erstatten. Unternehmen wie Control Risks und GardaWorld präsentieren sich als anständige Dienstleister. Kritiker fürchten jedoch, dass ein privater Schnüffelsektor entsteht, der trotz selbst auferlegter Spielregeln und staatlicher Aufsicht kaum zu kontrollieren ist. O-Ton 7 engl. „We have a full range of investigative and forensic skills.“ Eine ganze Palette von Ermittlungsmethoden und kriminaltechnischer Fähigkeiten stünden ihm und seinen Leuten zur Verfügung, sagt Fenning. Er vermeidet tunlichst das Wort „Intelligence“. Das bedeutet auf Englisch Intelligenz, Information aber auch Spionage. Allerdings: wenn er die Möglichkeiten preist, die die Auswertung elektronischer Daten mit sich bringt, dann klingt das ungefähr so, als spreche ein Chef der Datengeheimdienste GCHQ oder NSA: O-Ton 8 VO „Durch die elektronischen Daten verschwindet nichts mehr. Irgendwo darin steckt eine Geschichte. Und wir helfen, diese Datenmengen durchzupflügen, bis die Geschichte ans Tageslicht kommt.“ Ans Tageslicht kommen die Geschichten freilich nur für den zahlenden Kunden. Das unterscheidet diese Unternehmen von Diensten, die für die britische Regierung arbeiten. Eines ist beiden gemeinsam: auch im Geschäft der privaten Beschützer und Ermittler schätzt man Diskretion über alles. Schlussmusik-6 Kraftwerk Computerworld 29 MODERATION Absage : „Lizenz zum Abhören. Spionage im Dienste Ihrer Majestät – und ihres großen Verbündeten“: das waren die Gesichter Europas. Sie hörten Reportagen von Benjamin Dierks. Die Literatur stammt von John le Carré aus seinem Roman: „Der Spion, der aus der Kälte kam“, erschienen im Ullstein-Verlag. Volker Risch hat die Auszüge vorgetragen. Simonetta Dibbern wählte die Musik aus und führte Regie. Die Endproduktion übernahmen Angelika Brochhaus, Caroline Thon und Daniel Dietmann. Am Mikrofon war Gerwald Herter. -----------------------------------------------
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