Geheimdienste in Großbritannien

Deutschlandfunk
GESICHTER EUROPAS
Samstag, 14. November 2015 / 11:05 – 12:00 Uhr
Lizenz zum Abhören
Spionage im Dienste ihrer Majestät
- und ihres großen Verbündeten
Mit Reportagen von Benjamin Dierks
Am Mikrofon: Gerwald Herter
Musikauswahl und Regie: Simonetta Dibbern
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©
- unkorrigiertes Exemplar –
2
START:
Trailer
MUSIK-1 (Opening, Bond-Trailer)
O-Ton 1
„Der CIA war eine riesige Organisation – mit vielen Abteilungen, massenweise Offizieren,
Technologie und so weiter. Der britische Dienst war im Vergleich zur CIA nur ein kleines
Kind, ein sehr begabtes Kind allerdings!“
MODERATION:
Zumindest begabt genug, um diesen Mann, den KGB-Überläufer Oleg Gordievsky im
Kofferraum eines Wagens aus der UdSSR nach Finnland zu schmuggeln. Im Kalten Krieg
war das zweifellos einer der großen Erfolge des MI6, also des britischen
Auslandsgeheimdienstes. Doch nicht immer läuft alles so gut. Deshalb dürfte der Brite Harry
Ferguson den Dienst beim MI6 quittiert haben. Er verzichtet darauf, in dieser Angelegenheit
Details zu nennen. Der frühere Spion warnt aber davor, Spielfilm-Fiktion und Wirklichkeit zu
verwechseln:
O-Ton 2 (aus Reportage 4)
„Teil des Problems in diesem Land ist, dass das Bild vom Geheimdienst von James Bond
geprägt wird. Das ist die einzige PR, die der Geheimdienst hat. Jeder weiß, dass es nicht ganz
so wie bei Bond läuft, aber tief im Herzen hofft man, dass es doch ein wenig so ist.“
MUSIK
Moderation:
„Lizenz zum Abhören. Spionage im Dienste ihrer Majestät
- und ihres großen Verbündeten“, darum geht es an diesem Samstag in den Gesichtern
Europas. Benjamin Dierks war für uns im Vereinigten Königreich, im Studio ist Gerwald
Herter.
MUSIK
MODERATION:
Machen wir uns also auf ins Labyrinth der britischen Geheimdienste und lassen wir uns dabei
nicht in die Irre führen: dass sich hinter dem Begriff „Governement Communication
Headquarters“ der wohl mächtigste Geheimdienst ihrer Majestät verbirgt, war erstaunlich
lange nur Fachleuten bekannt. Zumindest die Abkürzung dafür, GCHQ, ist seit den
Enthüllungen des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden in Großbritannien und
darüber hinaus zum Inbegriff für das massenhafte Sammeln von Daten geworden. Diese
britische „Regierungskommunikationszentrale“ wird weltweit von Kämpfern für die Freiheit
des Internets und Datenschützern in einem Atemzug mit dem amerikanischen
Supergeheimdienst NSA genannt. Ob E-Mails oder Telefongespräche - wenn Snowden die
Wahrheit sagt, hat sich das GCHQ den Zugriff auf einen Großteil der deutschen
3
Überseekommunikation mit den USA und anderen Staaten des amerikanischen Kontinents
gesichert. Bei einem G20-Treffen in London soll der Dienst 2009 alle Gäste der britischen
Regierung abgehört haben, also auch Staats- und Regierungschefs. Es gibt Briten, die das für
keine Sensation halten und gar nicht erst auf die Idee kommen von Entschuldigungen zu
sprechen oder das mit Pannen zu erklären. David Omand gehört dazu. Er war GCHQ-Chef
und ist nun der einzige, der darüber spricht. Womöglich ist der Dienst zu dem Ergebnis
gekommen, dass das für seine Arbeit nicht von Nachteil ist:
Atmo
Reportage 1 David Omand, ehemaliger GCHQ-Chef
A1 ATMO King‘s College, unter Text lassen
„Welcome to King’s“
Das Foyer des Londoner King’s College. Studenten huschen durch
eine Drehtür hinein und hinaus, begrüßen, verabschieden sich,
verschwinden in den Fluren. Sir David Omand schlängelt sich
durch die Menge junger Menschen zum Fahrstuhl. Vor einem
Lesesaal bildet sich eine Schlange. Am Eingang kontrolliert
eine junge Frau den Zugang. Die Studenten halten die
Bildschirme ihrer Smartphones hoch und sie scannt den darauf
befindlichen Code.
O-Ton 2
„They’re just about to start their 5 o’clock till 7 o’clock
lecture session.“
Die Nachmittagsvorlesungen beginnen. Omand mustert die
Studenten.
O-Ton 3
„In den alten Zeiten gab es gelegentlich noch den
Universitätsprofessor, der jemandem auf die Schulter klopfte
und fragte: Warum sprichst du nicht mal mit dem oder dem? Bei
der Rekrutierung kam es darauf an, wen man kannte“
Die alten
Zeiten waren noch jung, als Omand beim GCHQ
anheuerte, beim Government Communications Headquarters, dem
4
technischen der britischen Geheimdienste. Das Pendant zur NSA.
Damals, 1969, waren die Sowjets noch der Gegner. Omand
spionierte deren Flugabwehr aus,
wechselte aber bald ins
Verteidigungsministerium und ging später zur Nato nach
Brüssel. Als er nach 30 Jahre zum GCHQ zurückkehrte, roch es
in der alten Zentrale immer noch nach Kaltem Krieg. Er war
angetreten, die Leitung des GCHQ zu übernehmen und den Dienst
auf die Zukunft vorzubereiten
O-Ton 4
„Das Internet war da und es war klar, dass das zu einer großen
Sache würde. Der Dienst musste umgebaut, seine Systeme neu
arrangiert werden, um digitale Geheimdienstarbeit betreiben zu
können. Also begann in meiner Zeit und von anderen fortgesetzt
eine enorme Anstrengung, die Behörde zu modernisieren – um die
Herrschaft über die
digitale Information zu erlangen.“
Omand sagt das ohne zu zucken. Er blickt durch seine starken
Brillengläser mit Metallrand. Er trägt ein hellgraues Hemd,
die Ärmel hochgekrempelt. Omand ist der Initiator dessen, was
das GCHQ heute ausmacht. Die Agenten des Abhördienstes
verstehen sich als Augen und Ohren des britischen Königreichs.
Viele ihrer Operationen wurden erst durch den amerikanischen
Whistleblower Edward Snowden bekannt. Das Programm Tempora
etwa, mit dem die Spione weltweit Datenverbindungen anzapfen.
O-Ton 5
„Manche erheben Privatsphäre zum Fetisch und ich begreife
wirklich nicht, warum sie ihre persönliche Privatsphäre über
die Sicherheit ihrer Mitmenschen stellen.“
Der frühere Geheimdienstchef steht auf, geht durch das Büro.
In einer Ecke liegen sowjetische Offiziersmützen. Überbleibsel
des Kalten Krieges, sagt er. Darüber ein Bild von Sean Connery
als James Bond. Omand weist auf die Bücherregale, die die
Wände säumen.
5
O-Ton 6
„All diese Bücher handeln vom Geheimdienst. Schade, dass die
Journalisten sie nicht gelesen hatten, bevor sie die SnowdenEnthüllungen veröffentlicht haben. Dann wäre vieles von dem
keine Überraschung mehr für sie gewesen.“
David Omand schreibt selbst Bücher über Geheimdienste Plädoyers für die Notwendigkeit von Spionage und
Gegenspionage.
O-Ton 7 engl. zu Snowden
Die Snowden-Enhüllungen haben nur dazu geführt, davon gibt er
sich überzeugt, dass Kriminelle und Terroristen nun wissen,
wie der Geheimdienst arbeitet. Das mache den Diensten
die
Arbeit schwerer. Und es werde dazu führen, dass sich ihre
Arbeit verändert.
O-Ton 8 VO
„Angetrieben durch Snowden breiten sich
Verschlüsselungstechniken aus. Das wird die Geheimdienste
wahrscheinlich dazu zwingen, näher an ihre Ziele zu kommen,
näher an ihre Computer. Es wird mehr Versuche geben, zu
hacken, Computernetzwerke auszunutzen.“
Omand argumentiert geschickt, verurteilt nicht zu sehr,
sondern weist auf angeblich unaufhaltsame aber bisher wenig
beachtete Konsequenzen hin. Und in gewissem Maß zeigt er auch
Verständnis: Dass einem
angesichts der modernen
Spionagetechnik Angst und Bange werden kann, will Omand nicht
bestreiten.
A2
ATMO Fahrstuhl/Uni-Flur
Bei Omands Studenten haben die verschiedenen Enthüllungen dem
Ruf des Geheimdienstes nicht geschadet. Im Gespräch lässt er
ganz beiläufig einfließen, dass trotzdem oder auch deswegen
viele von ihnen für die Regierung arbeiten wollten:
6
O-Ton 10 engl.
„When they ask me, and a lot of them are very keen to work for
the government, I say to them: there’s a website, you have to
apply along with everyone else.“
Wenn sie ihn fragen, wie man denn zum Geheimdienst komme,
antwortet Omand, sie sollten sich bewerben, so wie jeder
andere auch.
Volle Transparenz und offener Wettbewerb statt vertraulicher
Hinweise auf Kontaktleute. Wenn man Omand glaubt, haben sich
die britischen Geheimdienste gründlich verändert.
Endet mit Atmo!!
Literatur-Musik-Thema
MODERATION/Literatur:
David Omand war britischer Agent - wie auch der weltbekannte Autor John le Carré und wie
Eric Leamas, die Hauptfigur in le Carrés Bestseller „Der Spion, der aus der Kälte kam“. In
den 60er Jahren durfte John Le Carré dieses Buch nur veröffentlichen, nachdem es seine
Vorgesetzten beim MI6 freigegeben hatten. Angeblich ein rein fiktiver Stoff, aber gespickt
mit Passagen, die Warnungen gleichkommen. Hat le Carré ein paar Kassiber an der Zensur
vorbeigeschmuggelt? Kurz vor dem tragischen Ende, auf der Flucht irgendwo in der DDR
gesteht Eric Leamas seiner Geliebten, was er wirklich von Seinesgleichen, von Spionen und
Spionage hält:
Literatur-1:
„In diesem Spiel gibt es nur eine Regel (…) die Zweckdienlichkeit
zeitlich begrenzter Bündnisse. Was glaubst du denn, was Spione sind –
Priester, Heilige und Märtyrer? Nein, sie sind ein verkommener Haufen
von eitlen Idioten und Verrätern: Schlappschwänze, Sadisten,
Säufer - Leute, die Räuber und Gendarm spielen, um
ihrem armseligen Dasein ein bisschen Glanz zu verleihen.
Denkst du, in London sitzen sie da wie die Mönche und wägen
Recht und Unrecht ab? Ich hätte Mundt umgebracht,
wenn ich gekonnt hätte, ich hasse ihn wie die Pest - aber das
ist nicht mehr das Ziel. Sie brauchen ihn nun mal. Und zwar
brauchen sie ihn, damit die große, schwachsinnige Masse, die
euch so heilig ist, nachts ruhig in ihren Kissen schlafen kann.
Sie brauchen ihn, damit poplige kleine Normalbürger wie du
und ich ein sicheres Leben haben“(…)
„Das hier ist ein Krieg(….). Es ist unappetitlich,
natürlich, weil er im kleinen Maßstab und aus nächster Nähe
geführt wird und, ja, weil er auch unschuldige Leben fordert“.
7
MUSIK-2
MODERATION:
Britische Agenten, die im Kalten Krieg auffliegen und dann, beim verzweifelten Versuch über
die Berliner Mauer zu kommen, im kalten Licht der Scheinwerfer erschossen werden. Und
jetzt, Jahrzehnte später, das massenhafte Einsammeln der größtmöglichen Menge von MetaDaten, ohne dass man Absender und Empfänger je gesehen hätte.
Haben sich die britischen Dienste tatsächlich so sehr verändert, dass niemand mehr von den
Schilderungen, etwa eines John le Carré auf die Gegenwart schließen dürfte? „Semper
Occultus“, also „stets geheim“ - seit mehr als hundert Jahren gilt das als Leitbild des MI 6. In
seiner Arbeit, wie in der des GCHQ und des ebenfalls britischen Security Service/MI5 lassen
sich noch andere Prinzipien erkennen, die alle Veränderungen überdauert haben: Dazu zählt
die enge Zusammenarbeit mit den amerikanischen Freunden. Im Rückblick zeigt sich, dass
Briten Amerikanern einst großzügig Entwicklungshilfe gewährten und es zeigt sich auch, dass
sich in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs noch andere erstaunliche Entwicklungen
anbahnten:
Atmo ca. 57
Reportage 2 Bletchley Park
ATMO 1 Enigma/Typex
O-Ton 1 engl.
„If I press the letter L, it gives me T, I press it again, it
gives me Q, I press it again, it gives me H, I press it again,
it gives me G.“
John Harper steht vor einem hölzernen Koffer mit einem
Trageriemen aus Leder, der eine Art altmodische
Schreibmaschine aus schwarzem Metall umschließt. Darauf sind
in drei Reihen schwere Tasten mit den Buchstaben des Alphabets
angeordnet. Über den Tasten drei weitere Reihen mit Buchstaben
auf runden, in das Metall eingelassenen Glasflächen. Harper
drückt das L hinunter. Seine Hand zittert ein wenig. Die Taste
klingt dumpf. In den Reihen über den Tasten leuchtet das T
auf. Harper drückt wieder das L, nun aber blinkt das Q, danach
das H, dann das G. Jedes Mal, wenn Harper einen Buchstaben
drückt, wird ein anderer dafür angezeigt. Was Harper hier
8
vorführt, ist die legendäre Enigma-Maschine. Mit ihr
verschlüsselte die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ihre
Kommunikation und machte sie so für den Feind unlesbar – oder
jedenfalls dachte sie das.
O-Ton 2 VO.
„Wäre diese Maschine richtig benutzt worden, hätte sie niemand
knacken können. Das ist eine sehr mächtige Maschine. Leider
haben die deutschen Chiffrierstellen aber einige Fehler
begangen und Geheimnisse preisgegeben. Das hat die Aufgabe in
Bletchley Park ein wenig leichter gemacht.“
„Leider“, sagt der Brite John Harper. Der frühere
Computertechniker kümmert sich im Auftrag einer
Stiftung um
die historischen rechnet er bedauert,
dass der einstige Kriegsgegner Deutschland seine nahezu
perfekte Verschlüsselung nicht geheim halten konnte. Das zeugt
von fachmännischem Respekt. 1940 gelang den britischen CodeKnackern um die Mathematiker Alan Turing und Gordon Welchman,
was lange für unmöglich gehalten wurde: Hier in der kleinen
Stadt Bletchley nordwestlich von London entschlüsselten sie
den deutschen Enigma-Code. Sie konnten nun deutsche
Funksprüche mitlesen und erfuhren, was das gegnerische Heer,
die Luftwaffe und die Marine vorhatten.
ATMO 2 /O-Ton Rede Chemberlain, nach Zitat unter Text weiter
„Well, if we take a survey, I think we shall find that the
result is not unsatisfactory. The oceans of the world have
been swept clear of German shipping.“ Applaus
Im Herrenhaus der Anlage von Bletchley Park tönt eine Rede des
britischen Premierministers Neville Chamberlain aus einem
alten Radio und erinnert an die ersten Kriegsmonate. In diesem
viktorianischen Rotklinkerbau richtete die britische
9
Government Code and Cypher School 1939 ihr strenggeheimes
Hauptquartier ein. Sie war der für die Datenanalyse und das
Entschlüsseln
zuständige Teil des britischen Geheimdienstes.
Aus ihr ging später das heutige Government Communications
Headquarters oder kurz GCHQ hervor, das durch die Enthüllungen
von Edward Snowden für seine Datensammelleidenschaft bekannt
geworden ist.
O-Ton 3 Greenberg Skunk Works
„Man kann sagen, dass hier das Informationszeitalter begonnen
hat. Hier wurden erstmals Methoden angewendet, die heute
allgemein gebräuchlich sind. Heute nennen wir so etwas „Skunk
Works“ oder „Internet-Startup“. In Bletchley Park brachten sie
die schlausten Leute Großbritanniens zusammen, irgendwann noch
ein paar Kanadier und Amerikaner, gaben ihnen Geld und sagten:
Hier ist das Problem, uns ist egal, was ihr anstellt, solange
ihr Resultate liefert.“
ATMO 3 außen unter Text
Der Mathematiker Joel Greenberg erforscht seit Jahren die
Geschichte der Codebrecher von Bletchley Park. Über einen
Sandweg hinweg geht er an Bäumen und einem Teich entlang zu
der ersten von vielen Baracken, die hier während des Kriegs
entstanden. Von anfangs 200 wuchs die Zahl der Mitarbeiter auf
über 10.000.
ATMO 4 Tür
O-Ton 4 engl.
„This is the first room, the start of the process that
Welchman envisioned. As the messages were intercepted they
were sent to Bletchley Park and if they were army or airforce,
arrived in this room. Tiny little room, very primitive.“
10
Greenberg geht in den ersten düsteren Raum der Holzbaracke.
Darin steht ein einfacher Tisch, die Dielen knarren, es zieht.
Hier kamen die abgefangenen Nachrichten an, die nach Bletchley
Park weitergeleitet wurden. Viele Frauen tüftelten an der
Entschlüsselung, während die Männer an der Front waren. Sie
sollten mit Zahlen umgehen können. Manche wurden diskret
angeworbennachdem sie an einem in der Zeitung platzierten
Kreuzworträtselwettbewerb teilgenommen hatten und sich so
unwissentlich qualifiziert hatten
Frauen der britischen Kriegsmarine bedienten auch die
Maschine, die Turing und Welchman entwickelt hatten, die
„Turing-Welchman-Bombe“, eine gewaltige Rechenmaschine aus
über hundert Walzen und Spulen, in neun Reihen untereinander
angeordnet
ATMO 5 Bombe (anlaufen, unter Text, dann ausklingen)
Die Maschine ist rund zwei Meter hoch und breit. Sie konnte
genug Varianten durchrechnen, um über ein Ausschlussverfahren
auf den Code zu kommen, mit dem die Deutschen ihre Enigma
gerade eingestellt hatten. Über 200 dieser Bombes wurden im
Krieg in Bletchley Park betrieben. Heute steht dort ein
Replikat.
ATMO 7 Hut C/Besucher
Großbritannien ist stolz auf seine Codebrecher. Harper und
Greenberg sind es auch. Anders als heute stellte im Zweiten
Weltkrieg kaum jemand in Frage, dass dieser Aufwand notwendig
war. Schließlich ging es darum Hitler zu besiegen.
Hunderttausende Touristen besuchen heute diesen einst geheimen
Ort. Dabei sei die Entzifferung des Enigma-Codes gar nicht das
allein Entscheidende gewesen, sagt Joel Greenberg.
11
O-Ton 5 Metadata
„Die Kryptografie war nur ein Teil der Operation und wohl der
unwichtigste. Dennoch richtet sich die gesamte Aufmerksamkeit
darauf. Wahrscheinlich, weil es sexy ist, geheime Nachrichten
zu lesen. Wichtiger war die Analyse des Datenverkehrs. Schon
ohne die abgefangenen Nachrichten zu entschlüsseln, gaben sie
Aufschluss, von wem und von wo sie gesendet wurden, und über
die Bewegungen des deutschen Militärs. So konnte man zum
Beispiel den Weg einer Panzerdivision verfolgen. Diese Daten
nennen wir inzwischen Metadaten. Um die geht es auch heute,
wenn der Geheimdienst Telefonverbindungen speichert. Das hat
in Bletchley Park angefangen.“
ATMO 8 Herrenhaus
Und noch etwas begann in Bletchley Park. Zurück im Herrenhaus
geht Joel Greenberg in den vorderen Raum. Die Fenster in einem
halbrunden Erker angelegt, auf dem Boden dunkelgrüner
Teppichboden, dazu schwere Holzschreibtische. Das Büro des
ersten Chefs der Government Code and Cypher School, Commander
Alexander Denniston.
O-Ton 6 engl.
„This is the room where the four american cryptoanalists
arrived.“
Denniston lud 1941 vier Kryptografen der US-Army nach
Bletchley Park ein. Auch die amerikanischen Dienste
bauten zu
dieser Zeit Abteilungen für Datenanalyse auf, waren aber weder
soweit fortgeschritten noch so gut organisiert wie die Briten.
US-Außenminister Henry L. Stimson hatte einer KryptografieEinheit kurz zuvor noch die Finanzierung entzogen. Seine
Begründung: Ein Gentleman lese nicht eines anderen Post. Die
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Briten aber wollten die Amerikaner dazu bringen sich am
Zweiten Weltkrieg zu beteiligen. Denniston begrüßte die vier
Herren mit einem Sherry und wies seine Sekretärin an, das
Treffen geheim zu halten.
O-Ton 7
„Diese Leute waren einige Wochen in Bletchley Park , erhielten
Zugang zu vielen Geheimnissen und viele Informationen wurden
ausgetauscht.“
Der Besuch mündete in eine enge Zusammenarbeit. Die Amerikaner
beteiligten sich schließlich an der Dechiffrierung, bauten
eigene Turing-Welchman-Bombes. Und sie gaben den Briten, woran
es ihnen am meisten mangelte: Geld.
O-Ton 8
„Wenn man nach einem Ereignis sucht, das den Beginn der
speziellen Beziehung von Großbritannien und den USA markiert,
war es das. Wir stehen genau in dem Raum, wo es sich
abspielte.“
MUSIK-3 Codebreaker
Literatur-Musikthema:
Auf einem Buffet standen Whisky und Soda bereit. Peters
ging hin und mixte ihnen beiden einen Drink
„Hören Sie“, sagte Leamas abrupt, „ab jetzt können wir
auf das Gesäusel verzichten, in Ordnung? Wir wissen beide,
worum es geht, wir sind beide Profis. Sie haben einen Überläufer
angeworben - viel Glück. Aber tun Sie verdammt noch
mal nicht so, als ob Sie in mich verliebt wären“. Er klang angespannt,
seiner selbst nicht ganz sicher. (…)
Leamas schwitzte. Peters beobachtete ihn kühl über den
Tisch hinweg, taxierte ihn wie ein Berufsspieler. Wie viel war
Leamas wert? Was brachte ihn zum Einknicken, was weckte
Begehrlichkeiten bei ihm, was machte ihm Angst? Was hasste
er, und vor allen Dingen, was wusste er? Würde er seinen
Haupttrumpf bis zum Schluss aufsparen und dann den Preis
hochtreiben? Eher nicht, dachte Peters - Leamas war zu sehr
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aus dem Lot, um Sperenzien zu machen. Leamas war innerlich
zerrissen: ein Mann, für den es nur ein Leben, nur ein
Bekenntnis gab, und dem brach er nun die Treue. Peters sah
das nicht zum ersten Mal. Er hatte es sogar bei Männern erlebt,
die eine vollständige ideologische Kehrtwendung vollzogen
hatten, die in einsamen Nachtstunden zu einem neuen
Credo gefunden hatten und, getrieben von nichts anderem
als der inneren Macht ihrer Überzeugungen, zu Verrätern an
ihrem Beruf, ihrer Familie, ihrem Land geworden waren.
MODERATION:
Dass Vertrauen zwischen Geheimdiensten keine harte Währung sein kann, das ergibt sich aus
ihrem Geschäft, denn da geht es oft genug um Verrat. Vertrauen entsteht nicht einfach so,
blindes Vertrauen könnte wichtigen Quellen schließlich lebensgefährlich werden. Natürlich
gibt es immer wieder Zweckbündnisse, auch das gehört dazu. Geheimdienst-Residenten – oft
halboffiziell in Botschaften untergebracht - tauschen Erkenntnisse trotz unterschiedlicher
Interessen selbst mit zweifelhaften Partnern aus. Auch wenn man sich eigentlich nicht
freundlich gesonnen ist, so gibt es doch Geschäfte, von denen beide Seiten profitieren.
Das Verhältnis zwischen CIA und NSA auf der einen, MI6 und GCHQ auf der anderen Seite,
ist ein Sonderfall. Ihr Geheimdienstverbund, zu dem auch die Partner aus Australien,
Neuseeland und Kanada gehören, hat sogar einen eigenen Namen: „Five Eyes“ wird er
genannt. Das erste Abkommen soll zunächst zwischen amerikanischen und britischen
Diensten 1947 unterzeichnet worden sein. Einen Gegner hatte man gemeinsam besiegt,
Hitlerdeutschland und die Zusammenarbeit sollte sich im Kampf gegen einen anderen
bewähren: die Sowjetunion und ihre Satelliten. Zwischenzeitlich arbeitete der KGB allerdings
derart erfolgreich, dass der transatlantische Spionageverbund vielleicht sogar auf dem Spiel
stand:
Atmo ca. 1‘06
Reportage 3 Oleg Gordievsky, Der KGB-Überläufer
ATMO 1 Vorlauf: Straße, Schotterweg, Klingel, Tür
ATMO 2 Wohnzimmer
O-Ton 1 engl.
„Would you like a drink, Oleg?“
„Strong tea.“
Oleg Gordievsky setzt sich an seinen dunkelbraunen
Esszimmertisch und seine Assistentin Jill verschwindet in der
Küche.
14
O-Ton 2 engl.
„The British people, they offer and make tea all the time. But
it’s anything else…“
Sie nennten es Tee, aber eigentlich ertränkten sie nur alles
in Milch und Zucker, schimpft Gordievsky. Er blickt durch die
Durchreiche in die Küche zu Jill und schüttelt den Kopf. Der
sogenannte Tee das sei das einzige, wofür er den Respekt vor
den Briten verlieren könnte. Und das heißt etwas, denn den
Briten hat Gordievsky sein Leben zu verdanken. Genauer gesagt
den Männern und Frauen vom MI6. Sie haben ihr eigenes Leben
aufs Spiel gesetzt, um sein Leben zu schützen, um ihn, Oleg
Gordievsky, den KGB-Überläufer, aus Moskau zu befreien – in
der wohl spektakulärsten Aktion des britischen
Auslandsgeheimdienstes, die je bekannt geworden ist. Sie
dürfte den Lauf der Geschichte beeinflusst haben.
ATMO 2.1
Jill kehrt mit dem Tee zurück und gibt Gordievsky seine Tasse.
Sie hat einige Fotos auf dem Tisch ausgebreitet. Gordievsky
mit der Queen, mit Ronald Reagan. 30 Jahre ist es her, dass
der Russe dem KGB wahrscheinlich in letzter Minute entkommen
konnte. Im Sommer haben sie eine große Party geschmissen
deswegen, eine Party für ihn, im Haus einer ehemaligen MI6Kollegin. Gordievsky scheint noch ganz beeindruckt von so viel
Aufmerksamkeit, obwohl seit der Sache doch so viel Zeit
vergangen ist.
O-Ton 3 VO
„Da waren mehrere Lords, ehemalige Minister, frühere MI6Chefs, Abteilungsleiter – und alle Menschen, die an meiner
Flucht mitgewirkt haben. Das sind alles Helden.“
Und dann wird seine Stimme ein wenig brüchig, er sich daran
erinnert, was das für ein Gefühl war
15
Seine Retter wiederzusehen:
O-Ton 4 engl.
„Oh, … I felt Begeisterung...“
Weil ihm kein passendes englisches Wort einfällt, um seine
Gefühle zu beschreiben wählt er ein deutsches aus seinem alten
Agentenwortschatz: Begeisterung.
Oleg Gordievsky trägt eine große Brille mit Metallrand und
breite rote Hosenträger. Seinen weißen Bart hat er ein paar
Tage stehen lassen. Er sitzt etwas gebeugt am Tisch und geht
am Stock. Als er vor dreißig Jahren flieht, ist er Mitte
Vierzig. Er hat schon gute zehn Jahre als KGB-Doppelagent für
die Briten spioniert, zuletzt sogar als KGB-Bürochef in
London. Dann wird
er nach Moskau zurückgerufen. Er merkt,
dass sie ihm auf die Schliche gekommen sind und alarmiert über
ein verabredetes Zeichen seine MI6-Kollegen. Die geben ihn
nicht auf, lassen nichts unversucht, um den treuen Spion zu
retten. Bald darauf fährt Gordievsky mit dem Zug in die Nähe
der finnische Grenze und trifft seine MI6-Kontakte aus Moskau,
die ihn mit einem Auto erwarten.
O-Ton 5 VO
„Auch die Ehefrauen der Agenten waren dabei. Es ist Tradition
im MI6, dass auch die Frauen an den Operationen beteiligt
sind. Sie wussten, wer ich war. Eine von Ihnen hatte sogar ihr
Baby dabei.“ (39:00)
Oleg Gordievsky zwängt sich in den Kofferraum. An fünf
sowjetischen Kontrollen müssen sie vorbei. An der vierten hört
Gordievsky aus dem Kofferraum plötzlich Hunde und glaubt sich
dem Ende nah. Doch die Tiere interessieren sich eher für die
Vordersitze, wo die Frauen sie beiläufig mit Kartoffelchips
füttern. Als sich die Kontrolle immer länger hinzieht, hat
eine der Frauen einen Geistesblitz. Sie steigt aus und wickelt
16
ihr Baby auf der Kühlerhaube. Die volle Windel lässt sie vor
den Hunden auf die Straße fallen. Deren Geruchssinn ist nun
endgültig durcheinander.
O-Ton 6 VO
„Als sie dann anhielten irgendwo im finnischen Wald, und ich
aus dem Kofferraum klettern konnte, habe ich diesen beiden
Frauen vor Dankbarkeit die Hände geküsst.“
Das ist ein gewaltiger Coup der Briten. Gordievsky ist der
ranghöchste KGB-Mann, der je in den Westen übergelaufen ist.
Die Befreiung des Doppelagenten ist auch eine Befreiung für
den MI6. Lange mussten sie sich mit Misserfolgen herumärgern.
Die Unterwanderung durch sowjetische Top-Spione hatte dem
Dienst immer wieder zugesetzt. KGB-Gegner waren in London auf
offener Straße liquidiert worden. Und nun dieser riskante
geglückte Gegenschlag! Allein 25 KGB-Spitzel in Großbritannien
konnte Gordievsky enttarnen. Und der MI6 konnte in der
ungleichen Partnerschaft mit der amerikanischen CIA endlich
einen lange ersehnten Erfolg vorweisen.
O-Ton 7 VO (51:30)
„Die CIA war eine riesige Organisation, mit vielen
Abteilungen, massenweise Offiziere, Technologie und so weiter.
Der britische Dienst war im Vergleich zur CIA ein kleines
Kind, ein sehr begabtes Kind allerdings.“
Gordievsky weiß, was er dem MI6 schuldig ist. Er drückt sich
an seiner Stuhllehne ab, steht auf und geht zur Verandatür. Er
blickt in den Garten. Sein Haus liegt in der Grafschaft Surrey
in einer beschaulichen Gegend, wo die Häuser nicht numeriert
sind, sondern eigene Namen tragen. Er hat es bald nach seiner
Rettung
gekauft. Es war die Zeit, als der MI6 ihn durch die
halbe westliche Welt schickte, damit er allen erzählte, wie
der KGB tickt.
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O-Ton 8 VO (49:30)
„Man kann wohl sagen, dass ich zum Ende des Kalten Krieges
beigetragen
habe. Aber es war nicht so einfach. Ich habe
meinem Verbindungsoffizier von der hysterischen Angst in
Moskau vor den amerikanischen Atombomben berichtet. Und er
sandte diese Warnung umgehend an Thatcher und ans britische
Militär. Die gaben sie sofort an die Amerikaner weiter, mit
der Aufforderung: Stoppt eure Kalte-Krieg-Rhetorik, nehmt euch
bei der Wortwahl etwas in Acht.“
Durch Gordievsky erfuhr US-Präsident Reagan, dass Michail
Gorbatschow zu Zugeständnissen bereit sein könnte, dass er ihn
womöglich nicht so sehr unter Druck setzen musste, wie man in
Washington glaubte.
Eine schöne Geschichte, die Gordievsky gerne zu besten gibt,
aber es gibt auch hässliche. Gordievsky kann sich aufregen,
wenn dem MI6 nicht die Dankbarkeit entgegengebracht wird, die
er seiner Meinung nach verdient.
O-Ton 9 VO
„Es gibt ein russisches Wort dafür: Mischanska. Das ist
falsch. Die CIA war ein wunderbarer Schutzschild für uns alle.
Ohne die CIA würden wir nicht existieren. Sie schützte
Deutschland genauso wie Großbritannien.“
Und wenn er über die Deutschen spricht, die sich ärgern, weil
das Handy ihrer Kanzlerin abgehört wird, fällt ihm nur ein
Wort ein: Dummheit.
18
O-Ton 10
engl.
„Stupidity, stupidity! …“
So arbeite nun mal ein Geheimdienst. Das Leben der Spionage
hat Gordievsky nicht losgelassen, auch nicht, als der MI6 ihm
schließlich sagte, dass seine aktive Zeit nun vorbei sei, und
monatlich Pensionszahlungen auf seinem Konto eingingen.
Natürlich hat er Bücher geschrieben. Er hat auf Podien
gesprochen, aber es ist nicht dasselbe.
O-Ton 11 engl. zu Putin/KGB kurz hoch, dann im Hintergrund
Am liebsten würde er nach wie vor berichten, wie der Russe
tickt. Denn das, glaubt Gordievsky, weiß er immer noch am
besten. Wladimir Putin rekrutiere immer neue Agenten, um den
Westen auszuspionieren, sagte er. Auch in Deutschland. Man
solle doch nach Russland schauen, von dort komme die Gefahr.
Nicht von ein paar Telefonaten und E-Mails, die die Amerikaner
und Briten mitschneiden.
MUSIK-4/Bond
MODERATION:
Gemeinsame Feinde und natürlich gemeinsame Erfolge bei der Rettung der Welt: Der CIAMann Felix Leitner war schon immer James Bonds bester Freund. Ian Flemmings erster
Bond-Roman erschien 1953. Nüchtern betrachtet hatte der Abstieg Großbritanniens schon
längst begonnen. London blieb gar keine andere Wahl mehr, als sich an Washington zu
halten. Eng an der Seite der USA war man ihnen ausgeliefert - aber wenigstens mit der
Möglichkeit die amerikanische Politik zu beeinflussen. Genau das spiegelt sich in vielen
Bond-Filmen wider: Russen und Amerikaner verfügen zwar über unerschöpfliche Mittel,
ihnen fehlt aber der britische Blick für das Wesentliche, sie sind zu langsam oder einfach zu
dumm. Hätte Agent 007 nicht immer wieder entschlossen, todesmutig und auf eigene Faust
gehandelt, so wäre die Welt längst im Atomkrieg versunken oder sie würde von finsteren
Schurken beherrscht. Mit diesen schönen Geschichten scheint Ian Flemming eine tiefe
Sehnsucht vieler Briten immer noch zu erfüllen – trotz allem understatement, der Wunsch
nach wahrer Größe. Der frühere MI6-Mitarbeiter Harry Ferguson weiß, was die britischen
Dienste dem Autoren Flemming und seiner Romanfigur Bond verdanken:
19
Reportage 4 Harry Ferguson, Ex-MI6
ATMO 1 Straße Royal Horseguards Hotel
O-Ton 1 engl.
„That’s the first building where MI6 had its own headquarters
and in fact it was on the roof of the Horseguards Hotel…“
Sprecher
Alles begann mit einem Labyrinth. So erzählt Harry Fergusons
die Geschichte des britischen Geheimdienstes. Whitehall Court,
das heutige Royal Horseguards Hotel, ein gewaltiger weißer
Prachtbau in Londons Regierungsviertel am Ufer der Themse.
Harry Ferguson blickt an der Fassade hinauf zum Dach des
Gebäudes. Mansfield Cumming, der erste MI6-Chef, errichtete
dort oben 1914 das erste Hauptquartier für den legendären
britischen Auslandsgeheimdienst, den Secret Intelligence
Service.
O-Ton 2 engl.
„Until there were dozens of huts, built on top of each other ,
a higgeldy-piggeldy on all different levels, and that area of
the Horseguards Hotel became known as the Labyrinth…“
Cumming ließ auf dem Dach nach und nach kleine hüttenartige
Aufbauten errichten, in denen seine Offiziere arbeiteten.
Verbunden wurden sie mit Treppen und Gängen und bald entstand
dort ein Irrgarten aus Räumen und Zugängen, in dem sich kein
Außenstehender mehr zurechtfand. Ein Bild, das den MI6 bis
heute verfolge wie ein böses Omen, sagt Ferguson. Denn ein
undurchdringliches Dickicht, das sei der Dienst auch 100 Jahre
später noch.
ATMO 2 Lobby St. Ermin’s Hotel
20
O-Ton 3 VO
„Jede große öffentliche Organisation leidet an Korruption, an
Vetternwirtschaft, an allen möglichen Problemen. Das einzige
Mittel dagegen ist genaue Kontrolle. Aber in einer großen
Regierungsorganisation, die man sich niemals genauer ansehen
kann, vervielfältigen sich die Probleme Jahr für Jahr.“
Sprecher
Ferguson trägt – ganz britisch – ein braunes Tweed-Jackett,
blauen Pulli, Krawatte, Cordhose. Er war einst selbst
Stabsoffizier des MI6, hat Agenten dirigiert und im Ausland
Quellen angeworben.
O-Ton 4 VO
„Es ist erschütternd, wie schlecht der Dienst gearbeitet hat,
er ist im Grunde von einem Desaster ins nächste geschlittert.
Aber wenn man jemanden auf der Straße fragt, was er vom
britischen Geheimdienst hält, wird er dir sagen, was er auch
über das Militär sagen würde: Unser Geheimdienst ist der beste
der Welt.“
Sprecher
Nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst ist Ferguson zu einer
Art Geheimdiensthistoriker geworden, hat Bücher über den MI6
geschrieben. Für die BBC hat er eine Talentshow gedreht, in
der die Kandidaten sich unter mehr oder weniger realistischen
Bedingungen als Spione beweisen mussten.
O-Ton 5 VO
„Teil des Problems in diesem Land ist, dass das Bild vom
Geheimdienst von James Bond geprägt wird. Das ist die einzige
PR, die der Geheimdienst hat. Jeder weiß, dass es nicht ganz
so wie bei Bond läuft, aber tief im Herzen hofft man, dass es
doch ein wenig so ist.“
21
Sprecher
Ein kurzer Fußweg vorbei an Ministerien, am Parlament und am
Hauptquartier von Scotland Yard führt zu einer kleinen
Sackgasse, die eingefasst ist von einer alten viktorianischen
Wohnanlage aus rotem Backstein. Hier residiert seit mehr als
125 Jahren das St. Ermin’s
Hotel. In
der Lobby führt eine in
zwei runden Aufgängen verlaufende Freitreppe auf die von einem
weißen Holzgeländer eingefasste Galerie. Harry Ferguson hat an
einem Tisch in einer Nische Platz genommen.
O-Ton 6 VO
„Wir sind hier mitten im Spionage-Gebiet. Von hier aus sind
wir nur ein paar Hundert Meter entfernt von alten
Hauptquartieren. Im Zweiten Weltkrieg bekam das Hotel seine
eigene Bedeutung. Churchills Einsatzzentrale lag nicht weit
entfernt. Und die geheime Spezialeinheit SOE plante hier ihre
Einsätze im Feindesland. Agenten wurden rekrutiert. St.
Ermin’s hatte immer starke Verbindungen zum Geheimdienst. Noch
heute sehe ich manchmal ein bekanntes Gesicht.“
Sprecher
MI6 hat sein Hauptquartier heute auf der anderen Seite der
Themse, ein Monstrum aus gelbem Beton und verspiegeltem Glas.
Undurchsichtig wie der Dienst selbst.
O-Ton 7 VO
„Die Wahrheit ist: In der guten alten Zeit konnte der
Geheimdienst machen, was er wollte. Und jetzt in der modernen
Zeit mit Parlamentsausschüssen, die ein Auge auf den Dienst
haben, und den anderen Kontrollgremien – kann der Dienst immer
noch machen, was er will.“
Sprecher
Trotz aller Versuche, die Geheimdienste unter bessere
öffentliche Aufsicht zu stellen, haben Außenstehende kaum eine
22
Chance zu verstehen, was innerhalb des MI6 vor sich geht, sagt
Ferguson.
O-Ton 8 VO
„Man hat ja einen Geheimdienst, damit er Dinge machen kann,
die man in der Öffentlichkeit nicht zugeben muss. Wenn also
ein Geheimdienst sagt: Ihr könnt uns ja ständig kontrollieren,
darf man das nicht für bare Münze nehmen. Denn das kann man
nicht.“
Sprecher
Das heiße aus seiner Sicht nicht, dass der MI6 nur schrecklich
Dinge tut. Und natürlich ändere sich ein Geheimdienst auch,
wenn die Zeiten sich ändern.
O-Ton 9 VO
„Als ich im Kalten Krieg rekrutiert wurde, wurde noch viel aus
dem diplomatischen Schutz der Botschaften heraus agiert. Sie
brauchten weiße Angehörige der Mittelschicht wie mich.“
Sprecher
Spione kamen aus gutem Hause, waren an Privatschulen
ausgebildet worden, in Oxford und Cambridge. Aber selbst das
Klassenbewusstsein und das blinde Vertrauen in die
vermeintlich „eigenen“ Leute führte zu katastrophalen Pannen.
Der legendäre sowjetische Spionagering um Kim Philby, die
Cambridge Five, fand so seinen Weg in den MI6. Guy Burgess,
einer von ihnen, gab hier im St. Ermin’s Hotel geheime
Informationen an seinen russischen Führungsoffizier weiter.
O-Ton 10 VO
„Im
Krieg gegen den Terror brauchst du jetzt eine viel
größere ethnische Mischung - mit speziellen Sprach- und
Ortskenntnissen. Allerdings: Wenn du in die Führung aufsteigen
willst, hilft immer noch der richtige Hintergrund.“
23
Sprecher
Harry Ferguson steigt die gewundene Treppe hinab in die Lobby.
Es heißt, darunter gebe es einen Tunnel direkt in die
Regierungegebäude von White Hall. Noch so ein Gerücht, das den
Geheimdienst umgebe, meint er. Wie es auch ein Gerücht sei,
dass Einsätze so heikel werden, wie in einem Bond-Film.
O-Ton 11 VO.
„Die Leute sehen sich James Bond an und denken, der Job ist
gefährlich. Für einen MI6-Offizier ist er das aber nicht.
Gefährlich ist er für die lokalen Agenten und die Quellen, die
wir anwerben. Wenn eine Operation schief läuft, sind sie es,
die leiden müssen, die gefoltert und getötet werden.“
Sprecher
Harry Ferguson darf nicht viel preisgeben über seine eigene
Arbeit beim Geheimdienst. Aber er deutet an, was ihm den
Dienst in der Schattenwelt vergällt haben könnte.
O-Ton 12 VO
„Wenn jemand anders leiden muss, weil du einen Fehler gemacht
hast, ist das eine schreckliche Last, die dich den Rest deines
Lebens verfolgt. Das hat wahrscheinlich mehr Geheimdienstleben
zerstört als eine Schusswaffe. Schlechte Entscheidungen - du
kannst nicht mehr tun, als sie irgendwo im Kopf zu
verschließen. Das ist zumindest meine Erfahrung. Denn
wiedergutmachen lässt es sich nicht.“
MUSIK-5
24
Literatur-Musik-Thema
Ein Mann, der nicht nur vor anderen, sondern auch vor
sich selbst eine Rolle spielt, ist psychisch in eklatanter Weise
gefährdet. Wobei ihn nicht das Lügen als solches zermürbt;
das ist eine Frage der Übung, der Professionalität - fast jeder
kann es lernen. Aber während der Hochstapler, der Schauspieler
oder Glücksspieler nach seiner Darbietung in die Reihen seiner
Bewunderer zurückkehren darf, ist das für den
Geheimagenten nicht möglich. Bei ihm dient der Täuschungsakt
in erster Linie der Selbstverteidigung. Er muss sich nicht
nur äußerlich panzern, sondern auch innerlich, und zwar
noch gegen die natürlichsten Impulse, auch wenn er ein Vermögen
verdient, erlaubt es ihm seine Rolle vielleicht nicht,
sich einen Rasierapparat zu kaufen, trotz aller Bildung kann
es ihm auferlegt sein, nichts als Banalitäten zu nuscheln, und
selbst als noch so liebevoller Ehemann und Vater muss er sich
möglicherweise gegen die abschotten, die doch eigentlich
seine engsten Vertrauten sein sollten.
MODERATION:
David Omand, Oleg Gordievsky oder Harry Ferguson müssen es kennen – dieses Lügen, ja
sogar dieses „Sich-Selbst-Täuschen“ damit bloß nichts passiert. Eine Sicherheitsmaßnahme,
die dem eigenen Überleben dient. Die britischen Geheimdienste sind riesige Behörden.
Überlebensstrategien haben auch sie entwickelt: das fast permanente Versprechen der
Veränderung, das Entdecken neu aufkommender Bedrohungen, das Entwickeln besserer
Methoden. Dass längst private Konkurrenten aufgetaucht sind, die ihre Dienste nicht
Regierungen, sondern Unternehmen und Privatleuten anbieten, dürfte die Stellung von MI6,
MI5 oder GCHQ sogar stärken. Denn wer sonst könnte es mit ihnen aufnehmen?
Reportage 5 Private Sicherheitsdienste
ATMO 1 London Bridge Station
Am Bahnhof London Bridge herrscht an diesem Morgen reger
Betrieb. In immer neuen Regionalzügen fahren Pendler aus dem
Umland in die Station ein, strömen aus dem Bahnhof und
verschwinden in den umliegenden Bürogebäuden. Eine geschäftige
Gegend also, sie liegt südlich der Themse, gleich unterhalb
der City, des Londoner Bankenviertels.
25
ATMO 2 Fahrstuhl/Büro
Auch Andrew Farquhar hat ein ganz normales Büro mit einem ganz
normalen Konferenzraum. Und Farquhar gibt sich dann auch alle
Mühe, seinen Job so normal wirken zu lassen wie irgend
möglich.
O-Ton 1 engl.
„There’s nothing mysterious about what we do and we’re a
highly regulated part of business.“
Geheimnisvoll sei sein Geschäft gar nicht, sagt Farquhar, und
staatlich überprüft werde es obendrein. Andrew Farquhar leitet
die britische Sparte von GardaWorld, eines großen kanadischen
Sicherheitsunternehmens. Ganz alltäglich sind die
Dienstleistungen allerdings nicht, die diese Firmen anbieten.
Sie wehren Cyberangriffe ab, forschen potenzielle
Geschäftspartner aus, bieten bewaffneten Schutz bei
Auslandsreisen oder stellen auch ganze Bataillone
ausgebildeter Kämpfer. Besonders im Irak-Krieg sorgte das
Fehlverhalten von privaten Söldnern im Dienst von Firmen oder
Regierungen für Aufsehen. Blackwater ist in schlechter
Erinnerung, andere Unternehmen sind weniger bekannt geworden.
O-Ton 2 VO
„Es gibt keinen Zweifel daran, dass private
Sicherheitsunternehmen einen schlechten Ruf hatten. Aber heute
gehen sie einem ganz normalen Geschäft nach und ermöglichen
Handel in schwachen Regionen. Unsere Kunden machen sich Sorgen
um ihren Ruf und wir machen uns Sorgen um unseren Ruf, und
deswegen verhalten wir uns besser.“
Eine per
Sicherheitscode geschützte Tür führt in weitere
Räume. Im Flur steht – vielleicht das Ungewöhnlichste an
26
diesem Büro – die Statue eines Mannes in voller Kampfmontur,
das automatische Gewehr im Anschlag. Sie sei den Gefallenen
aus dem Irak und Afghanistan gewidmet, steht auf einer
Plakette. An der Wand hängt noch das Firmenschild der Aegis
Defence Services. Das britische Unternehmen hatte im IrakKrieg einen der größten Verträge mit der US-Armee über
Hunderte Millionen Dollar geschlossen und rund 20.000
Privatsoldaten im Einsatz. Vor kurzem hat GardaWorld Aegis
gekauft. Nun ist Farquhar dabei, das Unternehmen zu
integrieren. Der 62-Jahrige ist ehemaliger Offizier der
britischen Armee. Ehemalige Militärs und
Geheimdienstmitarbeiter sind bei privaten
Sicherheitsunternehmen gerne gesehen.
O-Ton 3 engl.
„Yes, the military experience is useful, there’s no doubt
about it. But it’s not the only experience to assist you to
perhaps become a security expert.“
Die militärische Erfahrung sei schon sinnvoll, sagt Farquhar.
Aber auch andere Erfahrungen seien für den Job hilfreich. Vor
allem Kenntnisse ferner Ländern zählten, um die Kultur dort zu
verstehen. GardaWorld helfe vor allem Unternehmen, die
Geschäfte in Schwellenländern machen wollen, wo Polizei und
Militär westlichen Erwartungen nicht genügten.
O-Ton 4 VO
„Wenn ein Unternehmen ein neues Geschäft aufzieht, braucht es
einen Markt, einen Kunden und – in diesen unruhigeren
Umgebungen auch angemessene Sicherheit. Die wird normalerweise
von einem privaten Sicherheitsunternehmen gewährleistet.“
Das Geschäft mit der privaten Sicherheit boomt. In London
sitzen mehrere solcher Dienstleister. Viele Firmen wurden von
ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern oder Militärs
gegründet.
Und in vielen sitzen ehemalige ranghohe Offiziere oder
27
Regierungsangehörige in der Führung oder im Beirat. Sie sollen
Vertrauen schaffen.
ATMO 3 Fahrstuhl
Zum Beispiel Control Risks:
vier ehemalige Angehörige der
britischen Streitkräfte haben die Firma gegründet.
O-Ton 5 VO
„Das ist der Ursprung unseres Geschäfts, das ist die Herkunft
von Control Risks, wir haben einen ganz klaren genetischen
Code, der immer noch in unserem Unternehmen steckt. … Und ich
glaube, manche unserer Kunden finden das beruhigend.“
Richard Fenning leitet Control Risks seit zehn Jahren. Das
Londoner Hauptquartier der selbsternannten Risikoberater liegt
nur ein paar Straßenecken von GardaWorld entfernt in einem der
vielen Bürokomplexe aus Glas und Metall. Control Risks wurde
1975 als Subunternehmen eines Versicherungsmaklers gegründet
und hatte sich auf Hilfe bei Entführungen und
Lösegeldzahlungen spezialisiert. Später wurde das Unternehmen
selbständig und weitete das Geschäft aus.
O-Ton 6 VO
„Wir haben Buchhalter und Juristen, die hier mit Leuten
zusammenarbeiten, die vorher im Militär oder beim Geheimdienst
Karriere gemacht haben, aber auch mit Politikwissenschaftlern
oder dem ehemaligen Leiter eines Flüchtlingslagers.“
Control Risks berät Unternehmen ebenso wie Regierungen. Die
politische Bewertung unsicherer Staaten gehört dazu. Afrika
und Asien stehen hoch im Kurs, sagt Fenning. Im Irak schützt
Control Risks Öl- und Gasunternehmen. Fennings Leute ermitteln
längst aber auch in Europa, etwa in Unternehmen, die Betrug im
eigenen Laden vermuten, aber das nicht öffentlich machen
wollen. Eine Privatfirma zu beauftragen, ist aus ihrer Sicht
28
besser, als Anzeige zu erstatten. Unternehmen wie Control
Risks und GardaWorld präsentieren sich als anständige
Dienstleister. Kritiker fürchten jedoch, dass ein privater
Schnüffelsektor entsteht, der trotz selbst auferlegter
Spielregeln und staatlicher Aufsicht kaum zu kontrollieren
ist.
O-Ton 7 engl.
„We have a full range of investigative and forensic skills.“
Eine ganze Palette von Ermittlungsmethoden und
kriminaltechnischer Fähigkeiten stünden ihm und seinen Leuten
zur Verfügung, sagt Fenning. Er vermeidet tunlichst das Wort
„Intelligence“. Das bedeutet auf Englisch Intelligenz,
Information aber auch Spionage. Allerdings: wenn er die
Möglichkeiten preist, die die Auswertung elektronischer Daten
mit sich bringt, dann klingt das ungefähr so, als spreche ein
Chef der Datengeheimdienste GCHQ oder NSA:
O-Ton 8 VO
„Durch die elektronischen Daten verschwindet nichts mehr.
Irgendwo darin steckt eine Geschichte. Und wir helfen, diese
Datenmengen durchzupflügen, bis die Geschichte ans Tageslicht
kommt.“
Ans Tageslicht kommen die Geschichten freilich nur für den
zahlenden Kunden. Das unterscheidet diese Unternehmen von
Diensten, die für die britische Regierung arbeiten. Eines ist
beiden gemeinsam: auch im Geschäft der privaten Beschützer und
Ermittler schätzt man Diskretion über alles.
Schlussmusik-6 Kraftwerk Computerworld
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MODERATION Absage :
„Lizenz zum Abhören. Spionage im Dienste Ihrer Majestät – und ihres großen Verbündeten“:
das waren die Gesichter Europas. Sie hörten Reportagen von Benjamin Dierks. Die Literatur
stammt von John le Carré aus seinem Roman: „Der Spion, der aus der Kälte kam“, erschienen
im Ullstein-Verlag. Volker Risch hat die Auszüge vorgetragen. Simonetta Dibbern wählte die
Musik aus und führte Regie. Die Endproduktion übernahmen Angelika Brochhaus,
Caroline Thon und Daniel Dietmann. Am Mikrofon war Gerwald Herter.
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