Document

Blog 127: Indian Flow – Von Bernd
Schmid 29.10.2015
Indien - das bedeutet für uns auch viele Stunden Autofahrt
auf dem Rücksitz. Und natürlich kann man aus dieser
Perspektive kaum etwas über ein so riesiges und
vielfältiges Land sagen. Aber vom Verkehr und vom
Zusammenspiel der Menschen auf den z.T. abenteuerlichen
Straßen möchte ich doch erzählen.
Ja Zusammenspiel, nach Regeln, die sich uns nicht richtig
erschließen, als eine Art kulturelle Schwarmintelligenz
könnte man das beschreiben. Uns bekannte Regeln
funktionieren nicht. Ampeln werden bestenfalls als
Hinweise wahrgenommen. Rote Fahnen bei Überlänge von
Ladung unbekannt. Da werden auch schon mal
Bambusstangen quer auf dem Moped und das Bett auf dem
Fahrrad transportiert. Geisterfahrer der Normalfall, auch
auf der Autobahn oder im Kreisel. Niemand regt sich auf.
Auffällig anders als bei uns der Fluss am Kreisel. Die
Verkehrsströme fließen nahtlos ineinander, Schwärme von
Motorrädern, Tuktuks, Autos, Fahrrädern, Traktoren,
Ochsenkarren und Fußgängern. Kein Problem, dennoch die
Fahrbahn zu wechseln. Irgendwie wird dafür Platz
gemacht, ohne dass wir große Gesten erkennen.
Beeindruckend, wie stressarm und flexibel sich die
Menschen hier auch bei widrigsten Verkehrsverhältnissen
bewegen.
Da sind nicht nur Rinder, die plötzlich auf der Fahrbahn
stehen. Da sind auch Fußgänger, die zu dritt nebeneinander
schlendernd vor uns von einer Fahrrad-Rikscha überholt
werden, obwohl gleich dahinter ein Wasserbüffel mit
Karren geparkt ist. Eigentlich scheint die Fahrbahn
blockiert und unsereins würde entsetzt vollbremsen.
Anders unser Fahrer. Er weicht noch mehr auf die
Gegenfahrbahn aus trotz des entgegenkommenden
Lastwagens. Der Crash scheint unvermeidlich. Doch dann in
letzter Sekunde löst sich alles irgendwie auf. Die Rikscha
schlüpft noch zwischen die Fußgänger und den
Wasserbüffel. Der Lastwagen verlangsamt seine Fahrt
etwas. Und unser Fahrer setzt ohne erkennbare
Gemütsregung seine Fahrt fort. Traffic as usual. Alles fließt
ineinander. Faszinierend. Doch unsereins wäre hoffnungslos
verloren. Ohne Fahrer - No Way! Denn irgendwer ist immer
im Weg, verfolgt seine ganz eigene Spur, ist immer
schneller und schlägt überraschend Haken. Wie sie es
schaffen, sich einerseits durchzusetzen, andererseits aber
immer kooperativ und den anderen ihren Weg
ermöglichend unterwegs zu sein, beeindruckt mich.
Ständiges Hupen gehört dazu, nicht um Vorrechte zu
beanspruchen, sondern den anderen Anwesenheit und
Position mitzuteilen. Kein „wütendes“ oder
„rechthaberisches“ Hupen. Man arrangiert sich in
freundlicher Gelassenheit. Und der Verkehr macht in einer
Weise gleich. Die Staatskarosse muss sich genauso
durchschlängeln wie auch der Krankenwagen. Privilegien
nützen nichts. Rücksichtslosigkeit geht gar nicht.
Offenbar werden hier von Kindheit an Haltungen und
Fertigkeiten trainiert, die solche entspannte Virtuosität
möglich machen. Die Braut auf dem Gepäckträger des
klapprigen Fahrrads, die Oma freischwebend auf der
Ladung des Kleinlastwagens, eine vierköpfige Familie auf
dem Motorrad gehören ins Repertoire. Da sehe ich einen
ca. 5 Jährigen hinten auf dem Motorrad und frage mich
gerade besorgt, ob der sich schon festhalten kann, als ich
die Milchkanne sehe, die er balanciert. Geht mit Links und
Handyverbot am Steuer scheint unbekannt zu sein. StressToleranz hoch drei. So bringt uns ein Fahrer z.B. in Stunden
ununterbrochener Fahrt von Haridwar am Ganges nach
Delhi. Da merke ich dann schon, dass er langsam müde
wird. Wir erfahren, dass er zuvor schon ab nachts 3 Uhr
von Delhi angereist war, um uns abzuholen. Davon allein
wären wir schon platt gewesen. Dass es dann noch von
Delhi Stadtrand zum Hotel zweieinhalb Stunden durch
wilden, aber immer fließenden Verkehr sein würden,
hatten wir nicht auf der Rechnung. Aber eine Flächen-Stadt
mit irgendwas zwischen 14 und wer weiß wie vielen
Millionen zieht sich eben. In Delhi dann die Märkte voller
bunten Lebens. Ein turbulenter und doch gemächlicher
Strom von Menschen verschiedener Volks- und
Religionszugehörigkeiten, alles im friedlichen und oft
fröhlichen Nebeneinander. In Sachen
Integrationskompetenz kann die Welt hier was lernen. Und
dennoch können Konflikte und Unterdrückung, rigoros
gehandhabt auch hier radikalisieren, wie z.B. Unruhen im
Norden zeigen.
So beeindruckend dieses Navigieren auf Sicht im Verkehr
wirkt, so wenig schien es uns für die Organisation unserer
internationalen Konferenz geeignet. Klar geplante Abläufe,
sogar ein Tagungsprogramm jenseits der
wichtigkeitsheischenden Großereignisse Fehlanzeige. Wer
nicht schon im Vorfeld wegen fehlender Verlässlichkeit
abgesprungen war, konnte leer ausgehen oder etwas völlig
anderes als erwartet antreffen. So groß das situative
Engagement einzelner - sozusagen von Mensch zu Menschdann war, konnten es doch geplante und geregelte Abläufe
und geklärte Rollen und Verantwortungen nicht ersetzen.
Obwohl ich zu den Keynote Speakern gehörte, konnte ich
nicht herausfinden, ob mir die verabredeten 50 Minuten
zur Verfügung stehen würden. Erst auf dem Podium erfuhr
ich, dass es 20 Minuten sein sollten und bei Beginn des
Vortrags dann doch 40[1]. Mein zugesagter Workshop war
offenbar nicht geplant und konnte trotz Initiative einer
Gruppe schwedischer Teilnehmer nicht improvisiert
werden. Stattdessen gab’s ein Mondscheinkolloquium mit
Interessierten im Hotelgarten. Zwischen Kopfschütteln,
Gelassenheit, einem Anflug von Apathie und Offenheit für
das Unerwartete war es mir recht. Hatte ich doch ein ganz
anderes Indien in Chennai bei der Madras Management
Association kennengelernt. Perfekte Organisation der
Vorträge und des Book-Release[2], Lifestream für
Mitglieder und Studenten und 2 Tage später alles auf der
Website[3].
So vieles in diesem Land, das wir nun noch für eine Woche
als Touristen bereisen, beeindruckt und lässt nachdenklich
sein. Gerade regnet es in Strömen. Wir sind mit unserem
Fahrer unterwegs zu einem Tempel mit erotischen
Skulpturen, die von einem Indien erzählen, bevor mit dem
Kolonialismus auch britische Prüderie Einzug hielt.
Hoffentlich scheint bis dahin wieder die Sonne.
[1]Video „Inner images and professional empowerment“
steht demnächst auf www.isb-i.eu zur Verfügung, ebenso
wie der 3-tägige workshop on Leadership, Organizational
Coaching, OD and Learningculture
[2]Anandan Geethan/Bernd Schmid: Guided journey of a
caterpillar: Transition from personal to organizational
orientation wird demnächst als ebook (English) auf
www.isb-i.eu kostenlos zur Verfügung stehen.
[3]video recording of the talk on ”Build Culture that will
Build your business” is available for your viewing pleasure
through the link given below. www.liveibc.com/mma
• Wenn Sie diesen Blog kommentieren möchten schreiben
Sie an [email protected]
• Wenn Sie frühere Blogs oder Anderes von Bernd Schmid
lesen wollen: www.bernd-schmid.com.
• Wenn Sie das ISB-Wiesloch kennenlernen bzw. News aus
dem ISB einsehen oder abonnieren wollen: www.isb-w.eu.
• Wenn Sie das forum humanum kennenlernen oder News
des forum humanum abonnieren wollen:
http://www.forum-humanum.eu