Predigt vom 31. Januar 2016

Predigt Stiftskirche Stuttgart
Sonntag Sexagesimäe
Predigt über Lukas 24, 36ff.
Zur Bachkantate BWV 158
1. Der Abend des Ostertages
Plötzlich steht er im Raum, an jenem Abend in Jerusalem.
Ostersonntag-Abend: Jesus am Tag seiner Auferstehung von den
Toten. Die Jünger sind beieinander, andere sind dabei, etwa die beiden
Männer von Emmaus, mit denen Jesus an diesem Tag schon eine
Wanderung gemacht hatte.
Und jetzt, plötzlich steht er in diesem Raum, tritt unter die verängstigte
und verwirrte Jüngerschar, die sich am Gründonnerstag alle aus dem
Staub gemacht hatten, als es ernst wurde.
Wie hätte er reagieren können? Eine Generalabrechnung vielleicht: „Ihr
seid alle weggelaufen, alle ohne Ausnahme. Als es drauf ankam, war
keiner von euch da. Große Taten habt ihr angekündigt, aber kein
einziger hat sie gehalten.“
Eine Generalabrechnung, so hätte er beginnen können.
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Wie reagiert er?
Text lesen
Jesu Erscheinung vor den Jüngern
36Als sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus, mitten unter sie und
sprach zu ihnen: Friede sei mit euch!
37Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen
Geist.
38Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum
kommen solche Gedanken in euer Herz?
39Seht meine Hände und meine Füße, ich bin's selber. Fasst mich an und
seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich
sie habe.
40Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und Füße.
41Als sie aber noch nicht glaubten vor Freude und sich verwunderten,
sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen?
42Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor.
43Und er nahm's und aß vor ihnen.
44Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt
habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir
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geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den
Psalmen.
45Da öffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden,
46und sprach zu ihnen: So steht's geschrieben, dass Christus leiden
wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage;
47und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung
der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem
48und seid dafür Zeugen.
49Und siehe, ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheißen
hat. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit
Kraft aus der Höhe.
So also reagiert Jesus: Er spricht ihnen den Frieden zu: Schalom alechem.
Er spricht den aufgewühlten Jüngern, die nach diesem Wochenende nicht
mehr wußten, wo vorne und hinten ist, den Frieden zu. Und er nimmt ihre
Reaktionen ernst: Sie dachten, das sei ein Geist. Er zeigt sich, seine
Hände und Füße, die Wunden vom Kreuz. Und er isst mit ihnen: ein Stück
gebratenen Fisch, das mochte er ganz offensichtlich. Ist ja auch etwas
sehr leckeres. Und er erklärt ihnen anhand der Bibel, dass es genau so
kommen mußte.
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Der Friede sei mir dir…. So beginnt die Kantate, die wir gerade gehört
haben.
2. Der Friedenszuspruch in der Kantate
Die Zuordnung der Kantate ist nicht einfach, aber es werden zwei
zentrale Bibeltexte angesprochen: der Bogen von Simeon im Tempel
(Mariä Lichtmeß) zum Ostertag (Kantate zum dritten Ostertag)
Entstehung: Wahrscheinlich Satz 2 und 3 zu Mariä Reinigung (2.
Februar) und dann zusammen mit Satz 1 und dem Osterchoral als
Kantate zum dritten Ostertag.
Der Text der Kantate spannt den Bogen von dem, der das kleine
Jesuskind in seinen Armen hält und dann sagt: Herr, nun lässt du
deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben kein Heil
gesehen
Und dem der diesen Frieden am Abend des Ostertages seinen
Jüngern zuspricht.
Der eine kann gehen, in diesem Frieden und der andere gibt Leben
durch diesen Frieden.
3. Und der Friede für uns:
Die Frage heute morgen, liebe Gemeinde: „Wann spüren wir Frieden in
unserem Leben?“
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Wann ist Frieden? Überlegen sie einmal einige Augenblicke für sich selbst
(Pause…)
Wenn einem etwas ein Lächeln ins Gesicht zaubert, wenn eine Wunde
verheilt ist, wenn ein Streit geschlichtet ist?
Wenn man zueinander sagen kann. Du, es ist wieder gut?
Wann spüren wir Frieden, und wie sieht das dann aus?
Inneren Frieden, äußeren Frieden…
Mehr als 70 Jahre haben wir keinen Krieg mehr in unserem Land… ein
seltenes Ereignis…dürfen wir Gott jeden Tag dafür danken.
Und eine zweite Frage: Wann wird in der Bibel vom Frieden gesprochen?
Im Äußeren: Wenn man im Alten Israel in Ruhe in seinem Weinberg unter
dem Feigenbaum sitzen konnte. Im Schatten, beim Viertele, ohne Angst,
dass von irgendwoher Gefahr droht, Friede, Schalom
Wo kommt er denn her? Er ist die irdische Entsprechung zum himmlischen
Lob Gottes: Engel: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden (Lukas
2). Das gehört zusammen, Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf
Erden…. Deshalb ist Chorarbeit, die gerade die Werke Johann Sebastian
Bachs aufführt Friedensarbeit… Wer das soli deo gloria singt, verkündet
der Welt Frieden und lebt das auch selbst, oder er hat weder den Text der
Bibel noch die Musik Johann Sebastian Bachs recht verstanden.
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Im Judentum zählt der Friede zusammen mit Leben, Freude und Segen zu
den Merkmalen erfüllten Lebens.
Mit dem, was Jesus am Kreuz tat, an jenem Wochenende, an dessen
letzten Abend dieser Predigttext steht, wurde der Friede neu in Kraft
gesetzt: Die Schuldscheine sind ans Kreuz genagelt und zerrissen. Das
ängstliche Gewissen darf Frieden erfahren: Dein Mittler stehet hier, der
hat dein Schuldenbuch und des Gesetzes Fluch verglichen und zerrissen.
Aber wie ist das dann in unserer Welt zu leben, liebe Gemeinde?
Wenn wir ehrlich sind, oder wenn ich zumindest von mir rede: Manchmal
ist das zum Davonlaufen.
„Welt ade, ich bin dein müde, ich will nach dem Himmel zu.
Welt bei dir ist Krieg und Streit, nichts denn lauter Eitelkeit.“
Das war 1730 so, und 2016 ist es nicht besser geworden.
Dumpfe Haßparolen statt Friedensbereitschaft,
grausame Massaker statt Völkerverständigung.. wo wir hinblicken: Es ist
so wenig vom Frieden zu spüren.
Und auch die Dinge des Alltags: Ist nicht manches zum Davonlaufen?
Welt ade, ich bin dein müde.
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Ist das nicht einfach manchmal zum Davonlaufen? Oder zum Ignorieren?
Kopfhörer auch und nichts mehr hören.
Von den schlimmen Nachrichten, die uns tagtäglich erreichen.
Von den vielen tiefen Spaltungen in unserer Gesellschaft.
Von der heillos zerstrittenen frommen Welt.
Das sind Dinge, die einem nahe gehen; mir zumindest, viele Gedanken,
manche schlaflose Stunden.
Das hat auch Johann Sebastian Bach in seinem Leben erfahren, wie er in
einem Brief von 1730 geschrieben hat: Da hat er geschafft Tag und Nacht,
großartige Werke verfasst, wurde aber schlecht bezahlt und war vom
Landesfürsten oft wenig angesehen.
Leipzig ade, ich bin dein müde, das hat er mehr als einmal gedacht und
auch geschrieben.
In solche Situationen der Unruhe hinein, des Zweifelns hinein, des
Streitens hinein, da kann man sich nicht selbst irgendwas einreden. Da
hilft nur, das Wort von außen (verbum externum), das ich mir nicht selbst
sagen lassen kann, aber das ich mir zusprechen oder zusingen lassen
kann: Friede sei mit dir.
4. Friedensboten sein
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Damals an jenem Abend an Ostern, da hat Jesus seinen Jüngern gesagt:
Da kommt noch was… wenn der Geist kommt und euch ausrüstet, das
wird kommen. Da kommt noch ein Auftrag, Friedensboten in dieser Welt
zu sein; zu sagen, dass alle Schuld ans Kreuz getragen ist, das Frieden
möglich ist, im Kleinen wie im Großen… Jesus kann einen Frieden geben,
wie wir ihn in dieser Welt nicht finden.
Die Jünger wußten: Das, was wir vorfinden, ist noch nicht alles, da kommt
noch etwas. Wir gehen auf eine große Friedensvision im Reich des
Messias: Der Prophet Jesaja mit seiner Vision von Wolf und Lamm („Da
werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den
Böcken liegen.“)
Auf dieses Friedensbild gehen wir zu, und das darf uns schon jetzt
motivieren:
Johann Sebastian Bach bleibt nicht beim: „Welt ade ich bin dein müde
stehen“, liebe Gemeinde. Es geht im Text weiter: „Nun Herr regiere
meinen Sinn, damit ich auf der Welt ein Kind des Friedens bin.“
Das ist Gottes Regierungsprogramm für uns: Damit ich auf der Welt ein
Kind des Friedens bin. Das ist ein Programm für jede Kirche: Jede Kirche
soll eine Friedenskirche sein, wo Menschen das erfahren können; dass es
einen Gott des Friedens gibt, wo Dinge wieder heil werden können
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Diesen Friedensgruß können wir uns nicht selbst zusprechen, aber wir
können ihn uns von andern zusprechen lassen. Dazu lade ich sie jetzt ein:
Sprechen wir uns jetzt diesen Gruß zu, denen neben vor und hinter uns:
Friede sei mir Dir.
(eine Minute warten, dann: )
Abschluß: Und der Friede Gottes, welcher höher als unsere Vernunft,
der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm
Herrn.
Text der Kantate:
BWV 158
Der Friede sei mit dir
1. Recitativo B
Der Friede sei mit dir,
Du ängstliches Gewissen!
Dein Mittler stehet hier,
Der hat dein Schuldenbuch
Und des Gesetzes Fluch
Verglichen und zerrissen.
Der Friede sei mit dir,
Der Fürste dieser Welt,
Der deiner Seele nachgestellt,
Ist durch des Lammes Blut bezwungen und gefällt.
Mein Herz, was bist du so betrübt,
Da dich doch Gott durch Christum liebt!
Er selber spricht zu mir:
Der Friede sei mit dir!
Continuo
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2. Aria B e
Choral S
Violino solo, Oboe col
Soprano, Continuo
3. Recitativo e
Arioso B
Continuo
Welt, ade, ich bin dein müde,
Welt, ade, ich bin dein müde,
Salems Hütten stehn mir an,
Ich will nach dem Himmel zu,
Wo ich Gott in Ruh und Friede
Da wird sein der rechte Friede
Ewig selig schauen kann.
Und die ewig stolze Ruh.
Da bleib ich, da hab ich Vergnügen zu wohnen,
Welt, bei dir ist Krieg und Streit,
Nichts denn lauter Eitelkeit;
Da prang ich gezieret mit himmlischen Kronen.
In dem Himmel allezeit
Friede, Freud und Seligkeit.
Nun, Herr, regiere meinen Sinn,
Damit ich auf der Welt,
So lang es dir, mich hier zu lassen, noch gefällt,
Ein Kind des Friedens bin,
Und lass mich zu dir aus meinen Leiden
Wie Simeon in Frieden scheiden!
Da bleib ich, da hab ich Vergnügen zu wohnen,
Da prang ich gezieret mit himmlischen Kronen.
4. Choral
Instrumentierung nicht
überliefert
Hier ist das rechte Osterlamm,
Davon Gott hat geboten;
Das ist hoch an des Kreuzes Stamm
In heißer Lieb gebraten.
Des Blut zeichnet unsre Tür,
Das hält der Glaub dem Tode für;
Der Würger kann uns nicht rühren.
Alleluja!
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