Der Wormser Aufstand (1073)

Der Wormser Aufstand (1073)
Die Bürger der Stadt Worms am Rhein sind selten so erregt gewesen wie gerade im Herbst
des Jahres 1073. Nachbarn stecken die Köpfe zu-sammen, flüstern und tuscheln.
Auch in der Wohnung des Kaufmanns Simon sitzen einige Kaufleute und Handwerker
zusammen. Sie reden über Bischof Adalbert, den Stadtherrn von Worms. Viele zornige
Worte fallen.
„Der Bischof melkt uns, als ob wir
seine Kühe wären“, ruft Kaufmann
Simon hitzig. „Erst hat er den Zoll
erhöht. Wir haben dazu geschwiegen
und gezahlt. Dann forderte er höhere
Gebühren für die Verkaufsstände auf
dem Markt. Wir zahlten abermals,
wenn auch widerwillig. Doch was
kommt nun? Der Bischof greift mit
seinen geldgierigen Fingern erneut in
unsere Beutel!“
Kaufmann Simons Gäste nicken
bekümmert. Es ist wirklich unerhört!
Der Bischof wagt es, vom Vermögen
eines jeden verstorbenen Bürgers
eine Abgabe zu fordern, als ob die
Bürger seine Leibeigenen wären.
Der Schneider Arnold sagt finster: „Ihr kennt die jüngste Schandtat des Bischofs noch nicht,
Nachbarn! Hört zu!
Einer von des Bischofs Dienstleuten, Hartwig heißt er, hatte sich von mir ein Prachtgewand
nähen lassen. Ich bring es ihm und verlange mein Geld. Der Dienstmann nimmt das
Gewand, doch statt zu zahlen, belohnt er mich mit Hohn und Faustschlägen. Ich wende mich
an den Bischof, bitte ihn als Stadtherrn um Beistand. Und was geschieht? Er lacht mich aus
und verweigert mir Gerechtigkeit. Dieser Hartwig werde schon noch zahlen, sagt er. Bis
dahin solle ich gefälligst abwarten und das Maul halten.“
„Frechheit, Unverschämtheit!“ rufen die Zuhörer empört. Und Simon fragt: „Wie lange
wollen wir uns solche Dieberei noch bieten lassen?“
Nur einer der Kaufleute mahnt zur Ruhe. „Bedenkt“, sagt er, „der Bischof ist unser
Stadtherr! Er hat das Recht, Zoll auf unsere Handelswaren zu legen sowie Steuern und
Abgaben von uns zu erheben. Dafür schützt er mit seinen Dienstleuten die Stadt und uns
Bürger.“
„Ein schöner Schutz ist das, Nachbar Meinhart!“ Simon lacht bitter. „Wer hat denn die
Stadtbefestigungen gebaut? Wir selbst! Und wer steht auf den Wällen, wenn Gefahr droht?
Wir Bürger etwa nicht? Mit seinem Kriegsgefolge allein könnte der Bischof unser Worms
nicht eine Stunde lang verteidigen!“ Schneider Arnold schlägt zornig mit der Faust auf den
Tisch. „Ich sage, Schluss mit den unrechtmäßigen Abgaben, den Steuererhöhungen und der
Willkür des Bischofs!“
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Alle, bis auf den Kaufmann Meinhart, stimmen ihm zu. Der vorsichtige Meinhart fragt: „Was
wollt ihr denn tun? Der Bischof hat doch als Stadt-herr die Macht über uns!“
„Ich wüsste schon, was zu tun ist“, antwortet Simon. „Stehen wir Kauf-leute nicht unter
Königsschutz? Wir müssten den König um Schutz vor dem Bischof bitten!“ - - Wochen vergehen. Der Dezemberwind faucht durch die Gassen von Worms und wirbelt die
ersten Schneeflocken durch die Luft. Merkwürdig, wie viele Bürger heute Geschäfte mit
Kaufmann Simon besprechen wollen! Vielleicht deshalb, weil Simon einige Zeit verreist war.
Erst heute morgen ist er zurückgekehrt. Und nun sitzt er müde und erschöpft mit den
Be-suchern in der Stube.
„Erzählt, Simon! Wie war es beim König? Was habt ihr erreicht?“ So drängen die Bürger
den Kaufmann.
„Ich traf den König am Neckar“, beginnt Simon ernst. „Er ist in großer Not. In Sachsen
haben die Grafen und Herren eine Verschwörung gegen ihn angezettelt und die Bauern
aufgestachelt. Mit Mühe und Not ist der König aus Sachsen entkommen. Doch nun lassen
ihn auch außerhalb Sach-sens viele Feudalherren im Stich.“
„Ich habe Nachricht aus dem Bischofspalast“, wirft einer der Besucher ein: „Bischof
Adalbert rüstet zu einer Reise nach Mainz.. Dort wollen die Herzöge, Grafen und Bischöfe,
die dem König feind sind, Heinrich IV. absetzen! Der Bischof hat sich gebrüstet, bald würden
wieder die Fürsten allein bestimmen, was im Lande geschieht!“
„Das sieht ihm ähnlich“, sagt Simon verächtlich, „hat er sich doch auch geweigert, unserm
König die Tore der Stadt zu öffnen!“
„Will denn König Heinrich nach Worms kommen?“
Kaufmann Simon nickt. „König Heinrich hoffte, in Worms Schutz und Hilfe in seiner Not zu
finden! Der Bischof aber hat ihm gedroht, seine Dienstmannen würden den König verjagen,
falls er nach Worms käme!“
„Ein Schuft ist der Bischof! Ein elender Verräter!“ Alle sind entrüstet. „Wir haben den König
um Hilfe gebeten“, sagt einer der Kaufleute nachdenklich. „Aber nun ist der König selber in
Not. Jetzt müssen wir ihm beistehen!“
Alle sehen erwartungsvoll Kaufmann Simon an: Da poltert ein neuer Besucher in Simons
Stube. Es ist Meinhart, der vorsichtige Kaufmann. Die Nachbarn empfangen ihn mit eisigem
Schweigen. „Was führt dich zu uns?“ fragt Simon gedehnt.
„Zu Hilf, ihr Nachbarn!“ keucht Kaufmann Meinhart. „Was ist geschehen?“
„Ich schickte heute meinen Sohn mit einigen Lastenträgern zum Rheinufer, mein Schiff zu
beladen; denn ich will noch rheinabwärts fahren, bevor der Strom zufriert. Schon war die
Fracht an Bord. Da kamen einige Dienstmannen des Bischofs zum Schiff. Das Schiff ist
beschlagnahmt, erklärte ihr Anführer meinem Sohn. Schaff die Ladung von Bord, der Bischof
braucht das Schiff!“
„Seht ihr, er will damit nach Mainz!“ ruft Arnold der Schneider erregt dazwischen. „Und was
weiter, Nachbar Meinhart?“
„Mein Sohn widersprach den Dienstmannen. Schiff und Fracht seien unser Eigentum und
stünden als Kaufmannsgut unter Königsschutz. Der Dienstmann lachte höhnisch und
beschimpfte den König wie meinen Sohn. Mit blankem Schwert wollte er sich den Zugang
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zum Schiff erzwingen. Da zückte auch mein Sohn die Waffe und warf sich dem Dienstmann
entgegen.“ Kaufmann Meinhart schweigt und wischt sich schmerzlich Stirn und Augen. Dann
murmelt er tonlos: „Der Kampf war ungleich. Mein Sohn wurde niedergeschlagen, die
Lastenträger verjagt, die Fracht vom Schiff geworfen. Vieles fiel ins Wasser und ging
verloren. Meinen verwundeten Sohn aber schleppten die Dienstmannen in den Kerker!“
Tiefe Stille herrscht in der Stube. „Helft mir, helft meinem Sohn!“ bittet Meinhart leise. Die
Bürger ballen grimmig die Fäuste, und Kaufmann Simon sagt: „Das Maß ist voll!“ - - Langsam dämmert der Dezembermorgen. Aus Kaufmann Simons Haustür huschen einige
Gestalten. Sie eilen zur Kirche, dringen in den Glockenturm ein. Und gleich darauf schallt
heftiges Sturmgeläut der Kirchenglocken über das stille Worms.
Im Handumdrehen wird die Stadt lebendig. Die Türen der Bürgerhäuser fliegen auf.
Handwerker und Kaufleute stürmen mit Schwertern und Spießen heraus. In jeder Gasse
bilden sie eine Abteilung. Jede Abteilung hat ihren Anführer, und jeder Anführer weiß genau,
welche Aufgabe seine Abteilung lösen muss.
Die einen stürmen zu den Stadttoren. Sie überwältigen die Krieger des Bischofs, die an den
Toren Wache halten . Andere Abteilungen dringen in die Häuser ein, in denen adlige
Freunde und Dienst-leute des Bischofs wohnen. Kaum einer wagt Widerstand. So
überraschend kommt ihnen der Aufstand der Bürger.
Am heftigsten tobt der Kampf am Tor des Bischofspalastes. Hier kämpfen die Schmiede,
Weber, Gerber und Schneider. Doch die Dienstleute des Bischofs wehren sich verbissen,
und von den Bürgern liegen schon einige kampfunfähig am Boden.
„So geht das nicht“, sagt Meister Arnold in einer Kampfpause zu seinen Gefährten. „Wir
brauchen Steine!“
Sofort machen sich einige Handwerker auf, um Steine heranzuschaffen. Beim nächsten
Angriff wirbeln Steine durch die Luft. Einige der bischöflichen Dienstleute taumeln getroffen,
die anderen ducken sich verwirrt. Da sind auch schon die Handwerker heran. „Es lebe der
König! Nieder mit dem Stadtherrn!“
Wer von den Dienstmannen des Bischofs Widerstand leistet, wird niedergehauen. Den
meisten aber sinkt der Mut. Sie ergeben sich. Und mit lautem Jubel dringen die Handwerker
in den Palast ein.
„Fangt den Bischof! Ergreift den Verräter am König!“
Vom Keller bis zum Boden durchsuchen sie den Palast. Vom Bischof ist keine Spur zu
finden. „Vielleicht im Garten!“ ruft Arnold, der Schneider. „Mir nach!“
Die Handwerker hasten in den großen Garten, der sich hinterm Palast bis zum Wall
hinzieht. Sie finden Hufspuren, entdecken hinter Büschen eine kleine Pforte. Sie ist offen.
Der Bischof ist entwischt.
„Wenn schon“, meint Meister Arnold zu den anderen, „Hauptsache, wir sind den verfluchten
Stadtherrn los!“
Kaufmann Simon kommt in den Garten gelaufen. „Meister Arnold! Ich suche dich schon
geraume Zeit!“
„Was gibt es?“
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„Du sollst mit mir zum König reiten. Wir Bürger von Worms bieten ihm Hilfe an: Geld und
Waffen. Und wir bitten ihn zu Gast in unsere Stadt!“
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AUSWERTUNGSMÖGLICHKEITEN
1. Warum sind die Bürger mit ihrem Stadtherrn, dem Bischof, unzufrieden?
2. Wie denkt ihr über das Verhalten des Bischofs und der Bürger zu König Heinrich IV.?
Begründet eure Meinung!
3. Mit welchem Ergebnis endete der Kampf zwischen den Wormser Bürgern und ihrem
Stadtherrn? Nennt die Ursachen des Sieges der aufständischen Bürger!
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