78, 45, 33 – vom sanften Ton zum starken Sound

78, 45, 33 – vom sanften Ton
zum starken Sound
Die Schallplatte begeistert die Welt
Was ist Musik? Musik ist eine Sprache in Tönen. Mehrere Töne
erschaffen Klänge, so wie Buchstaben Worte formen. Musik
berührt fast alle Menschen. Sie weckt Emotionen. Musik gilt
auch als eine Sprache des Herzens. Der einzelne Mensch kann
sich in ihr beglückt ver­lieren, gleichzeitig kann die Musik aber
auch für das Lebensgefühl einer ganzen Generation stehen.
James Last (1929–2015)
und Bata Illic (*1939) im
Aufnahmestudio der
Deutschen Grammophon,
1970er Jahre
Lange schien es ein unerfüllbarer Wunsch der Menschheit zu
sein, Töne zu konservieren. Davon zeugen viele philosophische Betrachtungen, Geschichten und Märchen. Thomas Alva
Edison gelang es 1877, den Ton zu bannen und ihn über den
Phonographen wieder abzuspielen. Der gebürtige Hannoveraner Emile Berliner (1851–1929) entwickelte aus diesen Erfahrungen 1887 das Grammophon. Seine Idee war es, mit Hilfe
der Schallplatte die Musik einem großen Publikum zugänglich zu machen. Zusammen mit seinen Brüdern Joseph und
Jacob gründete er 1898 die Deutsche Grammophon Gesellschaft in Hannover. Die klingende Scheibe eroberte von hier
aus die Welt.
Fast ein Jahrhundert prägte die Schallplatte das Hörerlebnis
und erreichte ein hohes technisches Niveau. Den Klängen aus
der Rille – vom sanften Ton bis zum starken Sound – ist diese
Ausstellung gewidmet.
2
Der Phonograph
An der Entwicklung eines Apparates, der Töne
aufzeichnen kann, hatten bereits mehrere Erfinder
gearbeitet. Einer ihrer namhaftesten Vertreter war
der Franzose Charles Cros (1842-1888). Er hatte vor
Thomas A. Edison (1847–1931) eine Idee, wie sich
Töne wiedergeben lassen. Allerdings blieb dies
eine Theorie. Im Jahr 1877 gelang es schließlich
Edison, ein Gerät zu ent­wickeln, mit dem man
Töne aufnehmen und wieder abspielen konnte:
den Phonographen.
Auf öffentlichen Plätzen bestaunten die Menschen
den Phonographen als sensationelle Erfindung.
Zunächst erprobte man ihn als Diktiergerät in Büros.
Schließlich setzte sich der Phono­graph bestückt
mit Musikwalzen als Unterhaltungsmedium durch.
Musiker, die in späteren Jahren im Schallplattengewerbe berühmt werden sollten, begannen damit,
Walzen zu besingen.
Edison selbst entwickelte zwischenzeitlich die
Glühlampe. Nachdem andere Erfinder an der Verbesserung des Phonographen gearbeitet hatten,
packte ihn noch einmal der Ehrgeiz und so konnte
er gut ein Jahrzehnt nach Bekanntgabe seiner
Erfindung eine verbesserte Version präsentieren.
Auch an der Qualität der Walzen arbeitete er kontinuierlich weiter. Ab 1912 widmete sich auch Edison
der Schallplatte. Sie hatte die Walze abgelöst.
Edison Gold Moulded Records (Goldguss-Walzen),
Hartwachs, ab 1901
Die Walzen ließen sich durch eine weiterentwickelte
Technik gut vervielfältigen. Die Abspielgeschwindigkeit
wurde von 90 bis 120 auf 160 Umdrehungen pro Minute
standardisiert. Die Spieldauer betrug ca. zwei Minuten. 1905 waren bereits 30-cm-Schallplatten mit einer Spieldauer von vier
Minuten auf dem Markt. Edison entwickelte die Walzen weiter und kam
auf reichlich vier Minuten Spieldauer. 1912 brachte er die Edison Blue
Amberol aus Zelluloid auf den Markt. Die Walzen wurden unzerbrechlich
und konnten ca. 3.000-mal gespielt werden. Die Qualität übertraf alle
Walzen und auch alle Platten der Konkurrenzfirmen.
Phonograph, verm. Columbia Records, 1901
Schalldose nachgebaut. Das Gerät wird nicht mit einer
Kurbel, sondern mit einem Schlüssel aufgezogen.
3
„In der Musik können wir Ewigkeit
in ein paar Sekunden erleben.“
Daniel Barenboim (*1942), Pianist und Dirigent
Jede Kultur hat ihre Musik. Bereits vor tausenden
von Jahren musizierten die Menschen. In der biblischen Geschichte gilt Jubal als Erfinder des ersten
Musikinstruments. Auf religiöse Lieder folgten in
späteren Jahrhunderten Musikstücke ver­schiedener
Gattungen, wie klassische Musik, Volkslieder, Unterhaltungsmusik, Arbeiterlieder und Militärmusik.
Musik begleitet den Menschen durch sein Leben.
Musikalische Klänge lösen Gefühle aus. Ob der
Hörer Orgelklängen in der Kirche, Ouvertüren in
der Oper oder rockigen Sounds in Arenen lauscht –
Musik geht unter die Haut. Ihr Klang kann Enthusiasmus, aber auch stille Empfindungen hervorrufen.
In bestimmten Musikstücken drückt sich der Zeitgeist einer Generation aus. Diese Lieder stehen für
gesellschaftliche Visionen oder politische Proteste.
Oft wirkt Musik instrumentalisierend und soll, wie
zum Beispiel in Kriegen und Diktaturen, von der
Realität ablenken.
Für den Komponisten und Musiker ist die Musik eine
Form des künstlerischen Ausdrucks. Im Wechselspiel von sanften Tönen und starken Akkorden liegt
der unvergleichliche Zauber von Musik begründet.
Die Möglichkeit der Tonkonservierung eröffnete
Künstlern völlig neue Betätigungsfelder. Viele Interpreten wurden dadurch bekannt, andere weltberühmt.
Seit Erfindung der Tonkonservierung kann jedes
Musikstück auch außerhalb des Konzertsaals,
in privater Atmosphäre, genossen werden. Im
20. Jahrhundert begann das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Musik. Die Schallplatte galt über einen Zeitraum von 100 Jahren
als erfolgreichste Tonkonserve und findet bis in
die Gegenwart immer wieder neue Liebhaber.
Ob im Konzertsaal oder Wohnzimmer, der Hörer
erlebt Musik als Ewigkeit im Augenblick …
4
„Schallplatten, ihr runden,
verschönt uns die Stunden …“
„… Laut oder leise,
Tief oder hell,
Wie wir euch bestellt.
Dreht euch im Kreise …“
Joachim Ringelnatz (1883–1934),
Schriftsteller, Kabarettist und Maler
Das Jahr 1887 stellt einen Meilenstein in der
Entwicklung der seit Jahrhunderten erwarteten
Tonkonservierung dar. Emile Berliner meldete in
diesem Jahr das Grammophon als Patent an. Im
Unterschied zu Edison sah Berliner in seiner Erfindung von Anfang an ein Gerät für die Wiedergabe
von Musik und keine „Sprechmaschine“ für Diktate.
Berliner entwickelte für seine Platten die Seitenschrift. Diese läuft in der Plattenrille seitlich hin
und her und nicht auf und ab wie bei der Tiefenschrift Edisons.
Die frühe Schallplatte hatte mit 12 Zentimetern
exakt die Größe der späteren Compact Disk (CD).
Sie war nur einseitig abspielbar bei einer Spiel­
dauer von zwei, später maximal fünf Minuten. An
den Grammophonen befand sich eine Kurbel, die
es während der gesamten Spieldauer der Platte
gleichmäßig zu drehen galt.
Edison hielt auch bei seinen
Schallplatten an der Tiefenschrift fest.
Emile Berliner arbeitet
am Grammophon.
Eldridge R. Johnson (1867–
1945), Geschäftspartner
von Emile Berliner, ent­
wickelte 1896 ein Federlaufwerk für Grammo­
phone.
Eine genormte Einheitsgeschwindigkeit von 78 Um­­
­drehungen pro Minute (UpM) konnte sich ab 1912
durchsetzen. Ein Federlaufwerk ersparte mittlerweile das ständige Drehen.
Für Bürger mit durchschnittlichem Einkommen
waren die ersten Grammophone und Schallplatten
unerschwinglich. Durch verbesserte Produktionsverfahren konnten die Preise laufend gesenkt werden. Zudem ließen gezielte Werbekampagnen den
Absatz sprunghaft ansteigen. Ab Mitte der Zwan­
ziger etablierte sich das Grammophon in vielen
Privathaushalten. Der gut sortierte Fachhandel verkaufte Schallplatten und Grammophone.
Das Grammophon blieb bis Ende der 1920er Jahre
ein mechanisches Wieder­gabegerät. Einzig sein
Plattenteller wurde in diesen Jahren elektrisch
gedreht. Die Musik kam ohne Verstärkung direkt
aus der Rille.
5
Erste Aufnahmen
Anfang des 20. Jahrhunderts gelang es
Vertretern der Schallplattenindustrie,
Künstler zu ersten Aufnahmen vor dem
Grammophontrichter zu überreden. Weltstars
wie Enrico Caruso (1873–1921), aber auch weniger
berühmte Sänger, erkannten den Wert und die Vorteile der Tonkonservierung.
Das neue Medium beeindruckte und erfüllte alle
an den Tonaufnahmen Beteiligten mit Stolz. Für
die Sänger bedeutete die Tonaufnahme auf engstem Raum eine Umstellung. Sie hatten streng
den Anweisungen der Aufnahme­leiter zu folgen
und aus tontechnischen Gründen mit sehr lauter
und kräftiger Stimme in die Trichter zu singen.
Die Intensität der Aufnahme war einzig von der
Schallquelle abhängig. Sogar die klassische
Orchester­besetzung wurde geändert,
um den besonderen Anforderungen
einer Plattenaufnahme zu genügen.
Tischgrammophon, ca. 1905
Grammophon für Schellackplatten
mit 17 cm Durchmesser. Die Schalldose
ist direkt am Trichter befestigt, die Nadel wird von der Rille geführt,
der Trichter bewegt sich mit. Auf dem Tonarm liegt ein Gewicht
von bis zu fast 200 Gramm, ein Hundertfaches im Vergleich zu den
Tonarmen der späteren elektrischen Plattenspieler.
Nun konnte der Künstler seine Stimme selbst
hören und beurteilen. Komponisten wurden mit
der Schallplatte vertrauter und komponierten
für sie. Trotzdem hat jede Musikwiedergabe ihre
Grenzen. Denn wie die Musik früherer Kompo­
nisten geklungen haben mag wissen wir – trotz
vorhandener Partituren – nicht genau.
Selma Kurz (1874–1933) mit Orchesterbegleitung im Aufnahmestudio
6
Die J. Berliner Telephongesellschaft produziert
erste Platten
Emile Berliner wurde 1851 geboren. Er gehörte
einer kinder­reichen Familie assimilierter Juden an,
die seit vier Generationen in Hannover lebte. Bis
zum heutigen Tage steht sein Name in Verbindung
mit der Erfindung der Schallplatte und der Deutschen Grammophon Gesellschaft. Weniger bekannt
ist, dass er bereits 1881 mit seinem Bruder Joseph
Berliner die erste Fabrik für Telefone in Europa
aufbaute.
Emile Berliner (1851–1929)
erhielt 1881 die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Er war ein vielseitig talentierter Mensch, arbeitete
neben dem Telefon und
der Schallplatte an einer
Hymne, einem Drink, einem
Hubschraubermotor u. a.
In Hannover folgte 1898 die Gründung der Deutschen Grammophon Gesellschaft. Joseph Berliner
hatte in seiner Fabrik in der Kniestraße schon erste
Versuche mit der Plattenproduktion unternommen.
Zur Unternehmerfamilie gehörte auch Jacob
Berliner, der Mitbegründer der Hackethal-Draht
Gesellschaft in Hannover war, und in seinem
Unternehmen den Leitungsdraht für das Tele­
grafen- und Fernsprechwesen herstellte.
Joseph Berliner
(1858–1938)
Jacob Berliner
(1849–1918)
Auch aufgrund dieser geschickten Verzahnung einzelner Produk­tionszweige expandierte das Unternehmen schnell. Die Brüder Berliner ließen ihre
Arbeiter und Angestellten am Erfolg teilhaben.
Ihre sozialen und finanziellen Leistungen waren
vorbildlich für die damalige Zeit.
Deutsche Grammophon Gesellschaft – die Anfänge
Zeit hatte das Unternehmen bereits über 5.000 Titel
im Programm. Neben Musik befanden sich auch Lehrund Sprechplatten im Angebot. Es entstanden Zweig­
­stellen in der ganzen Welt. 1902 zog das Unternehmen von der Kniestraße in die Podbielski­straße um.
Der Erste Weltkrieg trennte die Tochtergesellschaft
von ihrer Mutter in England. Die Polyphon Musikwerke – die in früheren Zeiten sehr erfolgreich
Spieluhren produziert hatten – übernahmen die
Deutsche Grammophon AG.
Die Anfänge in der Kniestraße, 2. v. r.: Joseph
Berliner, Leiter der
Deutschen Grammophon
Bei Gründung des Unternehmens 1898 war es
möglich, 10 Platten pro Stunde an einer Maschine
zu pressen. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts waren
es bereits 20 Platten pro Stunde. Im Jahr 1904
konnten täglich bis zu 25.000 Platten produziert
werden. Die Grammophon Gesellschaft bekam
1900 die Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Kurz
darauf übernahm die englische Muttergesellschaft,
die Gramophone Company Ltd., alle Anteile.
Mit großem Engagement und technischem Know-how
begann die hannoversche Tochtergesellschaft mit
der Produktion von Schallplatten. Zu dieser frühen
Die Belegschaft feiert das
25-jährige Bestehen der Deutschen
Grammophon Gesellschaft, 1923
7
Deutsche Grammophon Gesellschaft
PolyGram
Ab 1925 wurde das akustisch-mechanische Aufnahme- und Wiedergabeverfahren weltweit durch das
elektro-akustische ersetzt. Diese Neuerung machte
Neuaufnahmen des gesamten Repertoires notwendig. Die bessere Hörqualität überzeugte die Hörer,
das Geschäft mit der Platte boomte.
Werk I nach seinem
Umbau 1954
Die Weltwirtschaftskrise
1929 zerstörte das florierende Platten­geschäft.
Mit der Machtübernahme durch die National­
sozialisten begann
die Entrechtung und
Verfolgung der jüdischen Bevölkerung.
Dies hatte auch starke
Auswirkungen bis in
die Führungsebene der
Deutschen Grammophon. 1937 wurde die Aktiengesellschaft auf­gelöst. Die Anteile der jüdischen
Mehrheitsaktionäre übernahmen die Deutsche
Werk I zwischen 1927 und 1954. 1927 entstand der
heute noch existierende Klinkerbau, links im Bild.
1954 musste das Häuschen, das bereits vor dem
Bezug der Grammophon Gesellschaft dort gestanden hatte, dem Neubau weichen.
Bank und Telefunken. Die daraus entstandene Gesell­
schaft nannte sich Deutsche Grammophon GmbH.
Die Produktion lief ab 1939 nur noch schleppend,
weil unter anderem viele Männer aus der Belegschaft zum Kriegsdienst einberufen worden waren.
1941 wurde Siemens Alleininhaber der Deutschen
Grammophon Gesellschaft. 1962 legten Siemens
und Philips ihre Tochterfirmen unter Beibehaltung
rechtlicher Unabhängigkeit wirtschaftlich zusammen. 1971 entstand daraus die PolyGram.
Die Produktion von Schellackplatten wurde Ende
der 1950er Jahre eingestellt. Die Stereo-Langspielplatte aus Vinyl brachte ab 1958 einen noch nie da­gewesenen Hörgenuss – so, als wäre man live dabei.
PolyGram
Universal
Deutsche Grammophon Gesellschaft
Teilansicht des 1958
errichteten Werkes II in
Hannover-Langen­hagen
Ehemaliges Werk I der
Deutschen Grammophon
in der Podbielskistraße –
heute ein Büropark
Rund 90 Jahre blieb die Schall­platte konkurrenzlos.
Ende des 20. Jahrhunderts begann ihr Stern aber
langsam zu sinken. Die Nachkriegsgeneration nahm
Musik über das Tonband auf, deren Kinder über
die MusiCassette (MC). Im Jahr 1982 änderte sich
das Medium erneut: die Deutsche Grammophon,
die damals unter dem Namen PolyGram firmierte,
begann mit der Produktion der Compact Disc (CD).
Innerhalb weniger Jahre hatte das neue Medium
die Platte überholt.
Unter dem Namen „Deutsche Grammophon“ wird
bis heute klassische Musik vermarktet. Das KlassikLabel gehört mittlerweile zur Universal Music Group.
Weltweit genießen die Aufnahmen dieses Labels
nach wie vor hohes Ansehen. Das Unternehmen
hat sich früh dem digitalen Zeitalter geöffnet und
darin eine Vorreiterrolle eingenommen: So bietet
die DG-Concerts-Serie seit 2006 Live-Aufnahmen als
Downloads an, seit 2014 wird die weltweit erste
Streaming-App für klassische Musik angeboten.
Werk II, 1960er Jahre. Eine Maschine produzierte alle zehn Sekunden eine Platte
Im ehemaligen Werk II in Langenhagen, Emil-BerlinerStraße, produziert die Entertainment Distribution
Company (EDC) unter anderem noch immer CDs.
Die ehemalige Produktionsstätte in der Podbielskistraße, Werk I, ist heute ein Büropark.
Mitarbeiter des früheren Tonstudios der Deutschen
Grammophon arbeiten heute in einem unabhängigen Produktionsstudio, den Emil Berliner Studios, in
Berlin.
8
„Sendet 50.000 Engel!“
Telegramm eines Verkäufers mit dringender Bitte an die Deutsche Grammophon
um Nachlieferung eines Verkaufsschlagers
Beim Aufnahmeverfahren werden die Schallwellen der Inter­
preten mit Hilfe eines Stichels in eine Aufnahmevorlage ein­
graviert. Nach einer Reihe von Versuchen verwendete Berliner
ab 1902 Wachs­für das Aufnehmen von Platten. Seit Ende
der 1940er Jahre wurden Lackfolien als Vorlagen ein­gesetzt.
In galvanischen Bädern fertigen die Mitarbeiter in den
Schallplattenfirmen von diesen Aufnahmevor­lagen Kopien
an. Seit 1922 verfährt man dabei nach dem Vater-MutterSohn-Prinzip. Der Vater ist eine negative Kopie von der
Aufnahmevorlage, die Mutter eine positive Kopie und das
wiederum von der Mutter kopierte Sohn-Negativ wird zur
Pressvorlage, der Matrize, für die Plattenproduktion. Das
Herstellung der Matrizen
seit den 1980er Jahren ebenfalls angewandte Direct-MetalMastering-Verfahren (DMM) überspringt zwei Arbeitsschritte
in der Galvanik.
Das Material der Platten bestand ab 1897 aus einer Mischung
aus Schellack, Gesteinsmehl, Baumwollflock und Ruß. Ab der
zweiten Hälfte der 1950er Jahre setzte sich Polyvinylchlorid
(PVC) – kurz Vinyl genannt – als Plattenrohstoff durch. Das vorbereitete Material kommt in die Presse, in der mit Hilfe zweier
Matrizen die Pressung erfolgt. Danach werden die Platten stichprobenartig überprüft, verpackt und versandt.
Im Folgenden werden die Arbeitsschritte aus unterschiedlichen
Zeiten gezeigt. Diese Verfahren der Plattenproduktion sind
grundsätzlich beibehalten worden. Alle Aufnahmen stammen
aus den Werken der Deutschen Grammophon Gesellschaft.
1 Musik wird auf­
genommen. Blick vom
Regieraum in das Aufnahmestudio, 1950er
Jahre.
2 Ab Ende der 1940er
Jahre ersetzte die
Tonband-Technik das
Schreiben in Wachs.
Die Aufnahmen werden
in einem weiteren Ar­­
beitsschritt auf Lackfolie
überspielt.
1
2
3
3 Die bespielte Lackfolie gelangt in die Galvanik, wo sie vervielfältigt werden soll. Der erste
Schritt hierfür ist die Versilberung der Folie,
um sie elektrisch leitend zu machen, um 1960.
4 Galvanik, 1920er Jahre.
5
5 Galvanik, 1950er Jahre. Von der versilberten Folie wird ein „Vater“ (Negativ) abgezogen,
davon die „Mutter“, davon der „Sohn“, der als
Pressmatrize dient. Bei dem Direct-MetalMastering-Verfahren (DMM) werden heutzu­
tage zwei Arbeitsschritte in der Galvanik
eingespart. Hierbei wird der „Sohn“ direkt
von der Vorlage gezogen.
6
4
6 Hierfür brauchte man Finger­spitzengefühl:
Trennung zweier Galvanos, 1967.
7 Die Pressmatrizen werden in der
Matrizen­schleiferei bearbeitet …, 1957
8 … und dann sorg­fältig geputzt, um 1950.
7
8
9
Herstellung des
Plattenmaterials
9 Mischapparat, hier wurden
die Bestandteile der Schellack­
mischung vorbereitet, 1938.
10 Die Schellackmasse wurde
erwärmt, ausgewalzt und in
Form von Tafeln (Rohlingen)
portioniert, 1938.
9
10
11 Die Schellacktafeln wurden
nochmals erwärmt …, 1938
12 … und landeten als
Schellackhaufen in der Presse.
Die Etiketten werden – ebenso
wie bei dem Platten­material
Vinyl und dem Vinyl-Kloß – gleich
mit eingepresst, 1950er Jahre.
13 Platte mit Pressrand,
1950er Jahre.
11
12
14
15
16
14 Die Schallplatten werden
optisch überprüft, 1938.
15 Stichprobenartig erfolgt
die akustische Revision,
um 1965.
16 So sah es 1967 bei der
Verpackung der Platten aus.
17 Um 1909 erfolgte der
Versand noch mit wenigen,
aber echten Pferdestärken.
17
13
10
„Music is a world within itself,
with a language we all understand.”
Musik ist eine Welt für sich, mit einer Sprache, die wir alle verstehen.
Stevie Wonder (*1950), Sänger
Die ersten elektrischen Plattenspieler liefen in
Kombination mit Radiogeräten. Aufsteckbare Tonarme an den Grammophonen waren mit einem
Wandler ver­sehen, der mechanische Schwingungen in elektrische umformte. Das
erzeugte elektrische Signal wurde über
den Verstärker des Radios wiederge­
geben.
Ab der zweiten Hälfte
der 1920er Jahren kamen
elektrisch aufgenommene Platten auf den
Markt. 1928 erreichte die
Deutsche Grammophon
mit „Erzengel Gabriel
verkündet den Hirten
Christi Geburt“ erstmals
die Millionen-Auflage.
In Fachkreisen sahen einige Experten
im Rundfunk eine Konkurrenz zur
Schallplatte. Diese sollte sich am Ende
aber nicht bestätigen. Beide Medien
deckten unterschiedliche Bereiche ab und
ergänzten sich daher. Deutlich wurde diese
Entwicklung mit dem Aufkommen kombinierter
Musikmöbel. Sie kamen ab den 1950er Jahren auf
den Markt.
Bedingt durch den Rohstoffmangel gab es nur
neue Platten, wenn sie
gegen alte eingetauscht
werden konnten: Schellackbruch Ende der 1940er
Jahre.
Die Platten liefen noch immer mit 78 Umdrehungen
pro Minute (UpM), die Spielzeit lag zwischen vier
bis fünf Minuten pro Seite. Es wurde kontinuierlich
daran gearbeitet, die Spieldauer einer Schallplatte
zu verlängern, denn das häufige Plattenwechseln
störte den Musikgenuss.
Die Weltwirtschaftskrise 1929 und die folgende
NS-Diktatur hatten große Auswirkungen auf die
Schallplattenindustrie. Die Absatzzahlen sanken
stark. Zahlreiche Künstler und Produzenten emi­
grierten aus politischen Gründen aus Deutschland,
andere zogen in den Krieg.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre setzte in
der Bundesrepublik Deutschland ein beispielloses
Wirtschaftswachstum ein. Die Produkte der Unterhaltungselektronik waren nun besonders gefragt.
Das neue Plattenmaterial Vinyl und die Geschwindigkeit von 33 Umdrehungen in der Minute verlängerten die Spielzeit enorm. Mit dem Stereosystem
erreichte die Klangqualität der Schallplatten eine
neue Dimension.
Kofferplattenspieler, Dual P410V, 1966–67, ausgestattet für vier
Geschwindigkeiten und einer dafür vorgesehenen Wendenadel.
Der Plattenspieler war also auch noch in den späten 1960er Jahren
für Schellackplatten ausgerüstet! Die Lautsprecher befinden sich
im Deckel. Originalpreis: 225,- DM
Sammlung Museum für Energiegeschichte(n)
11
„Unter der Tonkunst schwillt das Meer
unseres Herzens auf…“
Jean Paul (1763–1825), Schriftsteller
Noch vor 150 Jahren galt die Vorstellung, in privater Atmosphäre Musik zu hören, als unerreichbarer
Luxus. Die großen Pionierleistungen von Thomas
Alva Edison und Emile Berliner auf dem Gebiet der
Tonkonservierung waren Ende des 19. Jahrhunderts
zunächst nur in Fachkreisen bekannt, bald jedoch
Gesprächsstoff breiter Bevölkerungsschichten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich die
Schallplatte von Emile Berliner gegen das Konkurrenzprodukt Tonwalze durch. Töne konnten auf ihr
in einem industriellen Ver­fahren konserviert und
in immer wieder exakt gleicher Qualität abgespielt
werden. Daher fasziniert die Schallplatte noch
heute mehr als andere Tondokumente.
Besonders hervorzuheben ist der soziale Stellenwert der Schallplatte. Durch ihre Verbreitung im
20. Jahrhundert verlor das Musikhören an Exklusivität. Denn auch noch vor 100 Jahren genossen nur
wenige privilegierte Bürger musi­kalische Klänge in
einem Saal oder auf einer Frei­licht­bühne. Erst die
Schallplatte eröffnete bei hoher Tonqualität und
er­­schwinglichem Preis jedermann die
Welt der Musik – ob Klassik,
Jazz, Rock oder Pop.
Rega RP40,
Riemengetriebener
manueller Plattenspieler,
2013, Jubiläumsmodell zum
40-jährigen Bestehen der Firma Rega,
ausgestattet für zwei Geschwindigkeiten:
33 und 45 U/min. Originalpreis: 1.000,- EUR
TAD-Audiovertrieb GmbH, Aschau
Die Schallplatte war ein knappes Jahrhundert lang
das Medium des aufgezeichneten Tons. Ab Anfang
der 1980er Jahre wurde die „Scheibe“ nach und nach
von der CD ab­gelöst. Der Musikliebhaber sammelte
statt Platten-Cover nun Booklets. Im heutigen digitalen Zeitalter hat man oft nichts mehr in den
Händen. Musikbesitz hat nur noch wenig mit dem
Besitzerstolz vergangener Zeiten gemein. Das
Internet bietet dem Nutzer jedoch andere Möglichkeiten: Tausende Titel können aus dem „Netz“
heruntergeladen und Musik­clips angesehen werden. Wenn sich auch die Medien gewandelt haben – die Musik berührt
die Menschen, in jedem Alter
und jeder Kultur.
12
Engel, Hund und Tulpen – die Markenzeichen der
Deutschen Grammophon Gesellschaft im Wandel
Bedingt durch den Besitzerwechsel der Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts,
musste die Deutsche Grammophon das Marken­
zeichen nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig
aufgeben. Für die Klassiksparte wurde das gelbe
Label mit der Tulpenkartusche eingeführt. Die
sogenannte Unterhaltungsmusik wurde unter der
Marke Polydor vertrieben. Die RCA in Amerika
und die EMI, beides Nachfolge­firmen der ersten
großen Firmen in Amerika und Europa, führten das
Markenzeichen mit dem Hund weiter.
Bis 1909 kannte man den „Schreibenden Engel“
als Markenzeichen der Deutschen Grammophon
Gesellschaft. Dann wurde es durch einen kleinen,
aber weltbekannten Hund abgelöst.
Angeblich posierte der Hund Nipper ursprünglich
auf einem Ölgemälde vor einem Phonographen.
Sein Herrchen, der Maler Francis Barraud (1856–
1924), bot es der Edison Gesellschaft an, die Phonographen herstellte. Das Unternehmen hatte
kein Interesse an dem Bild. Umso mehr aber die
Gramophone Company in England, die Mutter­
gesellschaft der Deutschen Grammophon. Dem
Gemälde wird die Geschichte zugedichtet, dass
der Terrier – vor dem Grammophon sitzend – der
Stimme seines verstorbenen Herrn lauschte. Unter
dem Namen „Die Stimme seines Herrn“ beziehungsweise „His master´s voice“ wurde Nipper zum neuen
Markenzeichen des Unternehmens.
Museum für Energiegeschichte(n) Humboldtstraße 32 30169 Hannover
T 05 11-12 31 16-3 49 41
[email protected] www.energiegeschichte.de
Bearbeitung: Gabriela Kilian, M.A.
Abbildungsnachweis: Alle nicht gekennzeichneten
Abbildungen stammen aus dem Unternehmensarchiv
der Deutschen Grammophon Gesellschaft