Gegenwart und Zukunft der ärztlichen Grundversorgung im Kanton Aargau Aarau, 11. November 2015 Hans-Ulrich Iselin Stichworte zu Baby Boomers und die Generationen X und Y • Baby Boomer (Jahrgänge 1945-1960) - Ungehemmtes Wirtschaftswachstum - „Ärzteschwemme“ - Nachfrage nach Spezialisten steigt - Spital nur für Kader attraktiv - Problemlose Rekrutierung von hausärztlichem Nachwuchs • Generation X (1961-1980) - Grenzen des Wachstums, Ökologie, Team-Arbeit - Numerus clausus - High Tech, Spezialisierung als sicherer Wert - Schleichende Abwertung der selbständigen Grundversorgungspraxis („Kostenneutralität“) - Zunehmende Attraktivität der Tätigkeit im Spital • Generation Y (1981 ff.) Stichworte: Digital Natives, Feminisierung, Work Life Balance Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 2 Ärztedichte im Kanton Aargau im Jahr 2013 : Rang 14 Ärzte mit Praxistätigkeit pro 10‘000 Einwohner nach Kantonen Ganze Schweiz 216 Basel-Stadt (1) 425 Genf (2) 374 Zürich (3) 257 Waadt (4) 239 Bern (6) 218 Tessin (7) 209 St. Gallen (11) 185 Aargau (14) 162 Luzern (16) 160 Freiburg (22) 130 Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 3 Mitgliederentwicklung Aargauischer Ärzteverband Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 4 Mitgliederentwicklung II Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 5 Mitgliederentwicklung III Altersstruktur praktizierende ÄrztInnen >59 30% 30-39 4% 40-49 22% 50-59 44% Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 6 Versorgungsumfrage 2015 Seit dem ersten Praxisstopp von 2002 hat der der Aargauische Ärzteverband periodisch Befragungen seiner Mitglieder zur ambulanten ärztlichen Versorgung im Kanton durchgeführt. Methode Subjektive gegenseitige Wahrnehmung unter den praktizierenden Ärztinnen und Ärzten der Versorgungslage nach Fachdisziplinen und nach Regionen. Anwendung Bisher einziges verfügbare Messinstrument dieser Art. Wird in verschiedenen Kantonen verwendet. Der AAV führt die Befragung trotz Aufhebung des Praxisstopps weiter, um langfristige Trends erkennen zu können. Rücklauf 2015 39.2 % der Mitglieder. Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 7 Wozu eine Versorgungsumfrage? • Die kantonalen Behörden verfügen lediglich über die Daten der erteilten Berufsausübungsbewilligungen BAB, nicht jedoch über den effektiven Grad der beruflichen Aktivität oder über Veränderungen derselben. Die Umfrageergebnisse dienen dem Verband als Orientierungshilfe. • Die Daten sollen nicht nur von Einzelmitgliedern, sondern sollen auch von Bezirksverbänden, Fachgruppen und Ärztenetzwerken für Planungszwecke und zur Marktorientierung genutzt werden können. • Die Geschäftsleitung des AAV setzt die Resultate zur gezielten Orientierung der politischen Behörden (und der Öffentlichkeit) über den Strukturwandel in der ärztlichen Versorgung ein. • Die nächste Durchführung der Versorgungsumfrage ist im Jahr 2017 geplant (entsprechend einem Zweijahres-Rhythmus). Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 8 Versorgungsumfrage 2015 – Resultate I Unterversorgung Kanton Regionale Unterversorgung Allgemeine Innere Medizin, Kinder- und Jugendmedizin, Psychiatrie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie, 40 % bis 60 % (unverändert gegenüber 2013) Dermatologie, Neurologie, Endokrinologie/Diabetologie und Onkologie Überversorgung Orthopädie Arbeitspensen der praktizierenden ÄrztInnen (1 Tag = 20 %) 45 % mit vollem Pensum (5 und mehr Tage/Woche) 40 % mit teilreduzierten Pensen (50 bis 90 Prozent) 15 % mit stark reduzierten Pensen (bis 2 Tage/Woche) Anzahl ÄrztInnen pro Praxis 40 % Einzelpraxis, 30 % Doppelpraxis, 10 % Dreierpraxis, 20 % 4 und mehr Ärzte Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 9 Versorgungsumfrage 2015 – Resultate II Veränderungen Praxisstruktur / Standort 30 % der Praxen planen Veränderungen 16 % Verlagerung des Praxisstandorts davon 2/3 innerhalb und knapp 1/3 ausserhalb des Kantons Aargau! (Standort-Qualität?) Praxisübergabe 2013 planten 45 % Übergabe 2015-2017, 2015 sind es noch 14 % . Dieser Übergang ist offenbar bereits erfolgt. Nun planen 30 % eine Übergabe bis 2019, 45 % eine solche bis 2029. Praxisaufgabe Auch hier ist der Zeithorizont neu: 35 % planen die Aufgabe bis 2019, 50 % bis 2029 letzteres entspricht einer Verdoppelung gegenüber der Umfrage von 2013. Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 10 Gründe für den Strukturwandel beim Abgang der Baby Boomer Unsichere Rahmenbedingungen und die Generationen X und Y • Ambulante Arzttarife seit 25 Jahren ohne Teuerungsausgleich. • TARMED-Fehler I: Fehlende Abbildung der Praxis-Kosten-Entwicklung – insbesondere Personalaufwand. • TARMED Fehler II: Differenzen zwischen Grundversorgern (Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendheilkunde) und Spezialisten hinsichtlich der Gewichtung verschiedener Tätigkeiten. • Negative Effekte dieser Differenzen auf die Praxisstrukturen bei Übergaben und Neugründungen (kaum gemeinsame Projekte von Grundversorgern und nicht operativen Spezialisten, im Aargau besonders ausgeprägt). Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 11 Gründe für den Strukturwandel beim Abgang der Baby Boomer Unsichere Rahmenbedingungen und die Generationen X und Y • Seit 4 Jahren ungelöstes Festsetzungsverfahren des ambulanten Taxpunktwerts seit der Kündigung durch den AAV, aktuell beim Bundesverwaltungsgericht hängig. • Massiver Rückgang der Investitionstätigkeit in Einzelpraxen, was Nachfolgeregelung zusätzlich erschwert. Einzelpraxen werden oft von älteren, nicht immer optimal qualifizierten Ärzten aus dem Ausland übernommen oder von Investoren unsicherer Reputation aufgekauft. • Neue Prioritäten des ärztlichen Nachwuchses (Feminisierung, Trend zu Work-Life Balance, Teilzeitpensen, abnehmendes Interesse an unternehmerischer Verantwortung treiben diesen in die unselbständige Tätigkeit. Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 12 Neue Akteure beschleunigen den Wandel An ärztlicher Grundversorgung interessierte Investoren a) Ärztlich geführten Unternehmungen 1. Ärztenetzwerke (argomed, medix) 2. Ärztekasse 3. Ärztliche Unternehmungs-Gründungen: - Dr. Dieter Kissling (Institut für Arbeitsmedizin ifa, Baden) - Dr. Lukas Villiger (Ärztezentrum Täfern, Dättwil) 4. Vereinzelt auch Neugründungen von Einzelpraxen b) Nicht ärztlich geführte Unternehmungen 1. Krankenversicherer (indirekt über Stiftungen) 2. Regionalspitäler (z.B. Leuggern, Rheinfelden, Muri) 3. Grossverteiler (Migros) Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 13 Von der Einzelfirma zur KMU und darüber hinaus Grössere Unternehmungen im Gesundheitswesen: Höherer Kapitalbedarf Höherer Overhead Cost Höhere Ansprüche an das Management Höhere Ansprüche an die strategische Führung Die unzweckmässige Struktur der Grundversorgungsleistungen im ambulanten Arzttarif TARMED favorisiert vermehrte Infrastruktur-Investitionen in die technische Ausrüstung, in das Angebot an Diagnostik in Labor-Analytik und Bildgebung und die Beschäftigung von (operativ tätigen) Spezialisten Treiber vermehrter Nutzung dieser Ressourcen ( Anstieg der Fallkosten) Die Spitäler, allen voran die Grundversorgungsspitäler, sind derzeit dank der dualen Finanzierung der stationären Behandlung in der Lage, Investitionen in Praxis-Infrastrukturen zu tätigen, was Investoren, die nur im ambulanten Sektor tätig sind, benachteiligt und den Wettbewerb verzerrt. Die betroffenen Investoren behelfen sich mit Quersubventionen (Beispiele: ifa, Gesundheitszentren der Krankenversicherer mittels nicht TARMED-pflichtigen Leistungen). Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 14 Was Not tut • Wir brauchen Praxen, welche solide Grundversorgung anbieten (also Allgemeine Medizin, Allgemeine Innere Medizin und Kinder- und Jugendheilkunde). • Hauptvoraussetzung für solide Grundversorgung ist eine stabile Personalstruktur, d.h. geringe Fluktuation des ärztlichen Personals. Anders ist eine nachhaltige Hausarztmedizin nicht möglich. • Neben den Grundversorgungs-Disziplinen sind zur Ergänzung des Leistungsangebots vor Ort auch nichtoperative Spezialisten für die Mitwirkung vor Ort zu gewinnen (z.B. Psychiatrie, Neurologie, Endokrinologie, Diabetologie etc.). • Bei Neuansiedlungen von Praxen sind vermehrt verkehrstechnische und infrastrukturelle Kriterien zu berücksichtigen, ferner die Erreichbarkeit von und die Kooperation mit anderen Leistungserbringern des Gesundheitswesens: Apotheke, Spitex, Physiotherapie etc. Aargauischer Ärzteverband Aarau, 11. November 2015 15 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. AAV-Geschäftsstelle: Im Grund 12 5405 Baden-Dättwil Telefon 056 484 70 90 Fax 056 484 70 91 Internet www.aargauer-aerzte.ch E-Mail [email protected]
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