BÜCHER DER GEGENWART HERBST 2015 Von Christian Heidrich V or gut 20 Jahren veröffentlichte der Salzburger Theologe Gottfried Bachl ein Büchlein mit dem auffälligen Titel „Der schwierige Jesus“. Pointiert waren auch die Gliederungspunkte, die nicht nur den „schwierigen“, sondern auch den „winzigen“, den „nackten“, gar den „hässlichen“ Jesus vorzustellen suchten. Nein, das Werk zielte keinesfalls auf einen Skandal, es war vielmehr eine zupackende Meditation über die Radikalität des Mannes aus Nazaret, über seinen so schnellen wie „abgebrochenen“ Lebensweg, schließlich auch über seinen furchtbaren, „abstoßenden“ Tod. Nichts, was der Autor darlegte, war unbekannt – und doch wirkte die Lektüre befreiend, erschloss eine unpathetische, lebensnahe Perspektive auf Jesus, über den schon seit langem alles gesagt schien. Jetzt kann man wieder von neuem staunen, manche naive Vorstellung zurechtrücken, sich produktiv empören. Ein kleines oder auch schon ein großes Lektürewunder! Navid Kermanis „Ungläubiges Staunen“ lädt ein zur Auseinandersetzung. Das Werk des 1967 in Siegen geborenen Orientalisten und Schriftstellers mit deutschem und iranischem Pass möchte den Leser, fromm oder unfromm, keinesfalls bestätigen und beruhigen. Es ist der Blick eines gelehrten Moslem, der sich anhand von Gemälden, Bildern und liturgischen Gegenständen dem christlichen Glauben und seinen Traditionen nähert, der bejaht und verneint. Es ist die Sicht eines „Andersgläubigen“ und eines „Ungläubigen“, wie Kermani häufig, ermüdend häufig, betont. Renis „Kreuzigung“ Dabei präsentiert sich der Autor als ein homo religiosus, als ein Mensch, der Gebet und Ritus, der heilige Orte und Schriften wie die Luft zum Atmen braucht. Wie oft nimmt er lange Wege und Umwege auf sich, um ein bestimmtes Gemälde in Augenschein nehmen zu können. Wie viele Male lesen wir von seinem geduldigen Warten auf den Beginn eines – christlichen – Gottesdienstes, von seiner Hartnäckigkeit, wenn es darum geht, seine Anschauung eines berühmten Kunstwerks zu verteidigen, auch wenn die althergebrachte Meinung und der museale Audioguide eine ganz andere Sicht vorschlagen! Das ist großartig und selten genug in einer Zeit, in der die intellektuellen Leitwölfe „Religion“ zumeist von außen betrachten, sie auf „Wertevermittlung“ und „Kontingenzbewältigung“ reduzieren. Kermani hingegen ist ein Insider und ein Liebhaber der Religion, er nimmt die Glaubensaussagen wahr und ernst, prüft sie, bejaht sie oder lehnt sie entschieden ab. Das ist nicht immer leicht zu ertragen und muss nicht immer gut gehen. 2009 verursachte Kermanis Deutung von Guido Renis „Kreuzigung“ einen mittelgroßen Skandal. In einer „Bildansicht“, die in der „Neuen Zürcher Zeitung“ veröffentlicht wurde, stellte er seine „Absage“ an das zentrale christliche Symbol, an das Kreuz, in mehr als deutlichen Worten dar, sprach knallhart von „Gotteslästerung und Idolatrie“: „Gerade weil ich ernst nehme, was es darstellt, lehne ich das Kreuz rundherum Muslimisches Staunen Navid Kermanis Werk über das Christentum lädt ein zu einem anderen Blick – und zur Auseinandersetzung. ab. Nebenbei finde ich die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir genießen sollen, auf dass wir den Schöpfer erkennen.“ Diese Sätze schienen Kermani eine Zeit lang vom Hessischen Kulturpreis auszuschließen, den er mit Kardinal Karl Lehmann, dem ehemaligen Kirchenpräsidenten von Hessen-Nassau Peter Steinacker und dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, entgegennehmen sollte. Der Konflikt wurde in aller Stille beigelegt, wenngleich die mediale Orchestrierung eine äußerst lebhafte war. Warum hast du uns verlassen? Erst später wurde der andere Pol in Kermanis Text wahrgenommen. Bei aller entschiedenen Ablehnung des Kreuzes wusste der Autor zu berichten: „Und nun saß ich vor dem Altarbild Guido Renis in der Kirche San Lorenzo in Lucina und fand den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich – nicht nur man –, ich könnte an ein Kreuz glauben.“ Reni sei das seltene Kunststück gelungen, so führte Kermani aus, das körperliche Leiden ins Metaphysische zu übersetzen. „Jesus leidet nicht, wie es die christliche Ideologie will, um Gott zu entlasten, Jesus klagt an: Nicht, warum hast du mich, nein, warum hast du uns verlassen?“ Auf solche überraschenden, weiterführenden oder schockierenden Wendungen muss sich der Leser auch bei der Lektüre von „Ungläubiges Staunen“ einstellen. Es sind vierzig Betrachtungen zu Bildern und Motiven der christlichen Tradition, die Kermani in drei Abteilungen sammelt. Der Lebensweg Jesu wird in „Mutter und Sohn“ verhandelt. In „Zeugnis“ blickt der Autor auf Gestalten aus dem Alten und dem Neuen Testament, auf bekannte und unbekannte Heilige, auf Paolo Dall’Oglio auch, den Jesuitenpater, der in der syrischen Wüste das Mar-Musa-Kloster wiederbelebte, sich mit Leib und Seele dem christlich-islamischen Gespräch widmete und im Juli 2013 in Raqqa von Islamisten entführt wurde. In „Anrufung“ schließlich geht es um „Berufung“ und „Gebet“, um „Wissen“, „Lust“ oder „Freundschaft“, um Motive also, die die großen Worte des Glaubens in lebbare Einheiten übersetzen. Allen Betrachtungen ist gemeinsam, dass sie sich auf – mindestens – ein Kunstwerk, auf ein Foto oder auch einmal auf einen Screenshot berufen. Wer nach Kermanis Deutung der „Kreuzigung“ von Guido Reni sucht, wird sie finden, freilich in einer merklich veränderten Form. Die „Sätze“, um die es damals ging, sind jetzt in die Betrachtung der Kreuzskulptur von Karl Schlamminger (geb. 1935) eingegangen. Auch hier ist der Ton entschieden und kompromisslos, auch hier überrascht gleichzeitig ein fast schon lyrisches Bekenntnis zu einem christlichen Kunstwerk, das Kermani „dezidiert christlich und zugleich mehr als nur christlich, in seiner EDITORIAL An den Grenzen V iele Grenzen sind menschengemacht, darunter die völkischen, politischen, nationalen. An ihnen spielen sich seit Menschengedenken wiederkehrend Dramen ab, nicht zuletzt die grenzüberschreitenden Kriege, Völkerwanderungen und Flüchtlingsnot. Aber es gibt auch die friedlichen, gewollten Grenzüberschreitungen, heutzutage als Globalisierung von Waren und Dienstleistungen, dazu der Menschenaustausch des Wissens für wirtschaftliche, wissenschaftliche, kulturelle Zwecke. Am stärksten fordern den Menschen jedoch die natürlichen Grenzen heraus, die nicht von ihm gemacht und nicht zu überschreiten sind – die Grenzen des Todes, des Denkens und Fühlens, die Grenzen des Verstehens, der Logik, des Absurden, Paradoxen. Die leidvollste und am stärksten hoffnungsbeladene Grenze ist die, die uns trennt vom Jen- seitigen, von „Gott“. Niemand hat Gott je gesehen. Dennoch ist der Traum von Gott als „Offenbarung“ irgendwann einmal vor aller Zeit und in aller Zeit in die Evolution zum modernen Menschen hin eingepflanzt worden. Wie war diese Grenzüberschreitung möglich, woher kam dieser lichte Moment der Intuition? Von jenseits der Grenze? Seitdem mühen sich das religiöse Forschen und Beten, das Glauben, Theologisieren und Philosophieren mitsamt der Literatur, der Kunst, um mit immer neuen Spekulationen vom Immanenten ins Transzendente hineinzulauschen. Gibt es doch etwas, was von jenseits der Grenze zu uns herübertritt, uns eine Ahnung ermöglicht von dem, was sein könnte, wenn nichts mehr ist? Gerade das Religiöse hat Grenzen – und bleibt dennoch grenzenlos neugierig, weiterhin auch in den Bücherwelten. rö. Ästhetik frühchristlich, damit orientalisch und zugleich von heute“ erscheint. An dieser Stelle zeigt sich auch, in welche Richtung der Autor das christliche Bekenntnis umdeuten möchte. Das Kreuz „steht nicht für die Inkarnation in nur einem Menschen, es steht für die Inkarnation als ein Prinzip“. Eine schnelle Lektüre könnte über diesen Satz leichtfüßig hinwegschreiten. Aber Kermani verwirft hier die entscheidend christliche Aussage über die Menschwerdung Gottes „in“ Jesus Christus, verwandelt den ewigen Skandal der christlichen Konkretheit (vgl., 1 Kor 1,22–24) in eine alles und nichts sagende, wenngleich freundschaftliche Formel. Man könnte geneigt sein, dieses „Freundschaftsangebot“ anzunehmen. Mehr wert als die sonst anzutreffende Haltung von Beliebigkeit und Gleichgültigkeit ist es allemal. Nur verwässert es eben das, was die Tiefe des Christentums ausmacht, löst es im Vorbeigehen auf. Kermani staunt, ist von christlicher Kunst und manchem christlichen Lebensweg, von dem Prinzip der niemanden ausgrenzenden Liebe fasziniert – und bleibt doch seiner eigenen, der islamischen Tradition treu. Vom „Christentum“ ist im Untertitel des Werks die Rede. Es ist Kermanis Christentum, eine leuchtende Auswahl, eine Häresie im ursprünglichen Wortsinn In Assisi wie in Mar Musa Wer sich mit dem diesjährigen Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels auf eine Reise durch christliche Traditionsstücke wie durch die christliche Gegenwart begibt, der wird selbst zum Staunenden, der wird dankbar sein und sich nicht selten aufregen. Staunen wird er über den Willen und die Energie Kermanis, an „unmöglichsten“ Orten nach Zeugen und Zeugnissen der christlichen Kultur und Identität zu fahnden. Rom, Paris, Assisi oder Köln – geschenkt; aber Kosovo oder Mar Musa in Syrien? Das spricht von einer Passion und von einer Liebe. Dankbar ist der Leser, weil er bei fast jeder Betrachtung einen originellen Gedanken, einen inspirierenden Blick auffangen darf. Nur in der „Zeugnis“-Sammlung, dort, wo es um Hiob, Hieronymus oder Ursula geht, wirkt Kermani etwas schwächer, endet allzu vieles im Anekdotischen. Und ja, auch für den Ärger, man mag ihn einen produktiven nennen, bleibt Platz genug. Manch „offener“ Ton überschreitet die Grenze zum Geschmacklosen, manches Selbstbekenntnis wirkt selbstgefällig anmaßend, manche „erotische“ Deutung ist so vorhersehbar wie ermüdend. Kermanis Entfaltung „seines“ Christentums bleibt dennoch ein so lesenswerter wie erstaunlicher Wurf. Es ist aber kein Zufall, wenn der Rezensent jetzt wieder Gottfried Bachls „Der schwierige Jesus“ auf seinem Schreibtisch liegen hat. „Denn Jesus ist das Abenteuerlichste, Aufrechteste, Brennendste und Liebenswürdigste, das im Christentum zu finden ist“, schreibt der Salzburger Theologe in seiner Schlusswendung. Der Orientalist Kermani würde wohl nicht widersprechen. Man lese beide Werke und bedenke die Zwischentöne. Navid Kermani Ungläubiges Staunen Über das Christentum (C. H. Beck, München 2015, 303 S. mit 49 farbigen Abb., 24,95 €) 462 Glaubensgeschichte Nr. 42 / 2015 BÜCHER CIG Küngs Päpste ie Wahrheit ist subjektiv, meinte der dänische Philosoph Sören Kierkegaard. Das meint durchaus auch Hans Küng und sagt über sein neues Buch, dass es sich „um eine persönliche Wertung der sehr unterschiedlichen Pontifikate“ der Päpste handelt, die er erlebt und mit deren Kirchenverständnis wie Kirchenpolitik er sich stets öffentlich auseinandergesetzt hat. Besonders reizvoll ist der Band, der auf Küngs „Erinnerungen“ zurückgreift, für die „Nachgeborenen“, die die katholischen Milieus von einst nicht kennengelernt haben. Interessant ist die Zusammenschau allerdings auch für jene, die das spezielle römische Milieu und seinen kurialen, höfischen Klerikalismus allenfalls vom Hörensagen her wahrnehmen. Küng hat sich den Binnenwelten ausgesetzt, als junger Student in Rom, als Konzilsberater, als theologischer – wie man neudeutsch sagen würde – Networker, der an den Dreh- und Angelpunkten der kirchlichen wie theologischen Entwicklungen an einem neuen Paradigma arbeitete und erfolgreich neue Sichtweisen im breiten Volk Gottes anregte. Viele Namen des vatikanischen Milieus tauchen in dem Buch auf. Sie belegen, wie selbst Päpste eingespannt sind in institutionelle Struktur- und Überlieferungszusammenhänge, deren Beharrlichkeit für eine sich selber reproduzierende, reformfeindliche „Stabilität“ sorgt. Küngs Blick richtet sich bevorzugt darauf, was Päpste gegen die blockierende kuriale Gewalt hätten unternehmen können, aber nicht getan, vielleicht auch nicht gewagt haben. So offenbart das Buch einen Zwiespalt zwischen Küngs heftiger Kritik an päpstlichem Alleinherrschaftsanspruch, Jurisdiktionsprimat und Unfehlbarkeit und der Forderung, dass die Päpste genau diese beklagte Macht hätten anwenden müssen, um die Kurie in die Schranken zu weisen. Um diesen roten Faden rankt sich die päpstliche Ereignisgeschichte des Buches. Das Hauptaugenmerk liegt auf Versäumnissen, selbst bei wohlwollenden Einschätzungen etwa von Johannes XXIII. oder der ersten Amtsphase von Paul VI. Gnadenlos rechnet Küng mit Johannes Paul II. ab, der ihm – vielleicht aufgrund einer vorangegangenen sehr kritischen öffentlichen Beurteilung des ersten Amtsjahres – die Lehrerlaubnis entzogen und als Einziger dem Konzilstheologen jegliche Korrespondenz, jeglichen persönlichen Kontakt verweigert hat. Von daher ist es verständlich, dass die Verletzungen Küngs hier die Feder führten. Allerdings hätte durchaus großzügig gewürdigt werden können, was Johannes Paul II. für das von Küng selber stark angemahnte bessere Verhältnis zum Judentum geleistet hat, für den interreligiösen Dialog, für die nicht nur in der Kurie abgelehnten religionsübergreifenden Friedensgebetstreffen in Assisi. Nicht zu vergessen die schon einmalige Vergebungsbitte für Schuld im Lauf der Kirchengeschichte. Keineswegs zu unterschätzen ist die – wenn auch noch nicht endgültig geklärte – Rolle des polnischen Papstes in der Wende Osteuropas. Demgegenüber geht Küng erstaunlich mild mit seinem Kollegen Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. um. Große Hoffnungen richten sich auf Franziskus I., der mit Küng „brüderlich“ korrespondiert hat. Wüstenmütter Leider ist das Werk nicht frei von unnötigen Selbststilisierungen des – mit Rahner – zweifellos wirkmächtigsten und bedeutendsten Theologen der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, mit Inspirationen weit darüber hinaus. Hingegen hinterlässt das Buch den etwas seltsamen Eindruck, als ob sich in den letzten sechzig Jahren kirchlich, religiös, theologisch nicht viel getan hätte. Dabei haben wir es doch – spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, vorbereitet durch wichtige Reformarbeiten – mit einem geistig-religiösen Paradigmenwechsel gewaltigen Ausmaßes zu tun, gerade auch dank Küng. Obwohl das Buch vorwiegend die Schattenseiten kennzeichnet, zeigt es indirekt, wie weit wir uns von dem entfernt haben, was der Student Küng 1948 bei seiner ersten Begegnung mit Pius XII. erlebte. Nicht einmal eine alles überwachende, anmaßende Kurie kann den Glaubenssinn des Volkes Gottes und die anregende Kraft der Theologie bremsen. So ist Küngs Buch, so sind Küngs Päpste in paradoxer Weise geradezu ein Beleg dafür, wie wenig bedeutsam Päpste sind und wie unbedeutend die Kurienbehörden, wenn es ums Eigentliche geht: um den Glauben an Gott, an Jesus Christus und die Reform-Entwicklung im Glaubensverständnis selber. Wie tröstlich! Johannes Röser D ie Frage eines Lebens nach dem Tod beschäftigt Menschen seit Anbeginn der Zeiten. Ebenso lange gibt es Berichte von Jenseitsreisen. Eine Betrachtung mit vielen Beispielen aus allen Kulturen und Epochen bietet der Ethnologe Hans-Peter Duerr. Seelenreisen sind etwas Persönliches, gesteht der Autor, da er bereits selber außerkörperliche Erfahrungen gemacht hat. Er erläutert Jenseitserfahrungen, etwa die Wahrnehmung eines Tunnels oder den Austritt aus dem Körper. Ausführlich geht Duerr auf Hexentänze, Gesänge von Schamanen, Entführungen durch Außerirdische sowie Marienerscheinungen ein und überlegt, ob es sich dabei um Halluzinationen, Träume oder Rauschzustände handelt. Dank der kritischen Auseinandersetzung mit Erkenntnissen der Wissenschaft gleitet das Buch an keiner Stelle in die bloße Erzählung ab. Eine große Vielfalt ergibt sich durch die Erlebnisberichte, doch gelingt es dem Autor in der Regel, eine weitestgehend natürliche Erklärung des vermeintlich Übernatürlichen anzubieten, ohne eine letzte Gültigkeit zu beanspruchen. Zu einer abschließenden Deutung kommt Duerr nicht. So bleibt es bei einer bunten Sammlung verschiedener Phänomene, die von einem über 200 Seiten starken Quellenverzeichnis und vielen Abbildungen ergänzt wird. Amelie Tautor E Hans Küng Sieben Päpste Wie ich sie erlebt habe (Piper Verlag, München 2015, 380 S., 24 €) Hans Peter Duerr Die dunkle Nacht der Seele Nahtod-Erfahrungen und Jenseitsreisen (Insel Verlag, Berlin 2015, 387 S., 29,95 €) Gabriele Ziegler Die Wüstenmütter Weise Frauen des frühen Christentums (Camino, im Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2015, 160 S., 18 €) Sakramente – immer gratis, nie umsonst Ottmar Fuchs zeigt auf: Weil Gottes Liebe bedingungslos ist, dürfen auch die Sakramente, darf auch ihr Empfang nicht an Bedingungen geknüpft werden, da dies ihrem Wesen widerspricht. Ottmar Fuchs Sakramente — immer gratis, nie umsonst 208 Seiten · Broschur ISBN 978-3-429-03878-6 14,90 Euro [D] D Seelenreisen s ist keine Überraschung, aber immer noch wenig dokumentiert: Christliche Weisheit und Lebenskunst sind nicht an das männliche Geschlecht gebunden. Über die Wüstenmütter schreibt Gabriele Ziegler detailreich und mit großer Fachkenntnis, ohne feministischen Zorn, aber mit Engagement. In dem flüssig zu lesenden Band geht es um Leben und Wirken dieser mutigen und ungewöhnlichen Frauen der frühchristlichen Jahrhunderte, um den zeitgeschichtlichen Hintergrund, den Bruch mit Familie und Tradition, aber auch um die männlichen Versuche, alles Weibliche aus der Geschichte zu tilgen. Vor allem aber geht es um die drängende Suche nach Gott, bei der die Wüstenmütter zu Fachfrauen der Seele wurden. Was auch die moderne Psychologie lehrt, war ihnen vertraut: Das seelische Leiden beginnt mit den zerstreuten Gedanken, Heilung entsteht in der Sammlung. Das Leben von Wüstenmüttern wie Theodora, Olympia oder Synkletika zu erhellen, ist ein Ziel. Das andere: nach vorne schauen und entdecken, dass Frauen durch die dauerhafte Herabsetzung unter Selbstzweifeln leiden und gerade deshalb einen Aufbruch in ein ganz anderes Leben ersehnen. Die weisen Frauen der Wüste machen vor, wie es gelingen kann. Barbara Münzer Die Reformation aus katholischer Sicht Der katholische Reformationshistoriker Rolf Decot behandelt ausführlich die von Luther ausgehende Bewegung, von der andere Reformatoren oder die Täufer ihre Anregungen empfingen. Auch die katholische Antwort auf die Reformation im Konzil von Trient sowie die Entstehung der Konfessionen werden in diesem spannenden Blick auf die stürmischen Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts beleuchtet. 288 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag € 29,99 / SFr 39.90 / € [A] 30,80 ISBN 978-3-451-31190-1 Neu in allen Buchhandlungen oder unter www.herder.de www.echter-verlag.de CIG BÜCHER Nr. 42 / 2015 Geschichte 463 Baecks Leben in Leo Baeck (1873–1956) fehlt heute vielleicht den jüdischen Gemeinden, bestimmt aber den christlichen Kirchen. Diesen engagierten, treuen Seelsorger, hochgelehrten Rabbiner, Hochschullehrer und Autor führte sein Weg aus der schlesischen Provinz über Düsseldorf nach Berlin. Als Schüler des Philosophen Hermann Cohen selber moderat liberal und immer verbindlich besaß er auch die Wertschätzung der orthodoxen Kollegen, sonst wäre er nicht 1922 zum Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Rabbinerverbandes gewählt worden. Nach Hitlers Machtübernahme wurde Baeck Präsident der Reichsvertretung der Deutschen Juden. Obwohl er die Chance hatte, im Ausland zu leben, blieb er in Deutschland. Hier, so seine beeindruckende Stellungnahme, sei sein Ort, solange auch nur ein Minjan, also die Mindestzahl von zehn Männern beziehungsweise Menschen für einen jüdischen Gottesdienst, da sei. Infolge solcher Solidarität kam auch Baeck für über zwei Jahre ins Konzent- rationslager Theresienstadt. Drei seiner Schwestern fanden hier den Tod. Gegen nicht geringe Widerstände betrat er nach 1945 den verbliebenen Juden zuliebe wieder deutschen Boden. Für die Verständigung von Juden und Christen ist er, der unter anderem ein von Sympathie für Jesus und die Christen getragenes Buch – „Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte“ – geschrieben hatte, ein großer Anbahner. Maurice-Ruben Hayoun erzählt Baecks Geschichte chronologisch. Ausführlich blendet er Hintergründe und Kontexte von Baecks Denken und Handeln ein, so dass das Werk – trotz einiger langatmiger Passagen und kleinerer Ungenauigkeiten – höchst lehrreich ist. Paul Petzel Maurice-Ruben Hayoun Leo Baeck Repräsentant des liberalen Judentums (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2015, 400 S., 49,95 €) Tausendjähriges Christusreich Manfred Scheuer Wider den kirchlichen Narzissmus Ein spirituell-politisches Plädoyer Manfred Scheuer mahnt als österreichischer CaritasBischof und Bischof von Innsbruck eine Spiritualität ein, die offenbleibt für die aktuellen Nöte der Menschen. Sie zeigt sich z. B. durch einen solidarischen Umgang mit Flüchtlingen und Migranten. 5 Hans-Jürgen Goertz Thomas Müntzer Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biographie (Verlag C. H. Beck, München 2015, 352 S. mit 25 Abb. und 1 Karte, 24,95 €) Für eine Kirche, die mit den Menschen geht www.tyrolia-verlag.at »Die Sache mit Gott« – Anstiftungen zum Glauben keln. Deshalb lief er geradewegs ins Lager der Fürsten über. Seine Streitschrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ verpflichtete die Mächtigen darauf, sich dem Aufruhr mit aller Gewalt entgegenzustellen. Später fühlte sich Luther mitschuldig am großen Blutvergießen. „Dran, dran, dyeweyl das feuer hayß ist“, spornte der zum „Schwert Gideons“ mutierte Müntzer sein Heer – kleine Handwerker, Bergknappen und Bauern – unter der Regenbogenfahne zur entscheidenden militärischen Aktion an. In einem „Endkampf “ setzte der eifernde Gotteskrieger alles auf eine Karte und das Leben seiner enthusiastischen Anhänger aufs Spiel: Fünftausend bezahlten dafür bei Frankenhausen mit ihrem Leben, und Müntzer wurde hingerichtet. Sind die Ereignisse des Jahres 1525 ein ferner Spiegel, in dem wir unsere eigene Gegenwart erkennen können? Thomas Brose -3470-6, 208 Seiten,€ 19.9 ls Adam grub und Eva spann / wo war denn da der Edelmann?“ Diese Losung markiert eine religiös-politische Wendezeit mit dem rasant wachsenden Wunsch der „einfachen Leute“, stärker am gesellschaftlichen Reichtum beteiligt zu werden. Wie der Hamburger Theologe und Sozialhistoriker Hans-Jürgen Goertz in einer fesselnden Biografie zeigt, war es Thomas Müntzer (1488/89–1525), der diesen Impuls aufnahm, kanalisierte und der so zum Streiter für ein göttliches Reich schon auf Erden wurde. Wollte Martin Luther mit seiner ZweiReiche-Lehre Theologie und Politik radikal voneinander trennen, fühlte sich der mystisch-apokalyptische Vorkämpfer in einer endzeitlichen Deutung der Welt dazu berufen, am Tausendjährigen Christusreich (Joachim von Fiore) tatkräftig mitzubauen. „Luther kannte kein Widerstandsrecht – anders Müntzer. Er meinte, dass sich die Obrigkeit selbst um ihre Existenz bringe, wenn sie die Frommen nicht schütze und die Gottlosen nicht strafe“. In Müntzers Predigten sah der Wittenberger Reformator dagegen einen Anschlag des Antichristen, um das wiederentdeckte „reine Wort Gottes“ zu verdun- geb. m. SU, ISBN 978-3-7022 A Franz Alt WAS JESUS WIRKLICH GESAGT HAT Eine Auferweckung 352 Seiten / gebunden mit Schutzumschlag € 22,99 (D) / € 23,70 (A) / CHF* 30,90 ISBN 978-3-579-08522-7 *empf. Verkaufspreis E Die Botschaft Jesu: Feuer statt Asche! Das neue Buch von Franz Alt ist ein Appell an alle, die Botschaft Jesu lebendig werden zu lassen. Wer den echten aramäischen Jesus kennenlernt, wird Jesus neu entdecken. Dieses Lesebuch will ein Leitfaden sein durch die wichtigsten Überlegungen von Heinz Zahrnt zur Gegenwart und Zukunft des Christentums zwischen Atheismus und Neuer Religiosität. Mit einer Einleitung von Margot Käßmann. GOTT KANN NICHT STERBEN Das Heinz-Zahrnt-Lesebuch Hrsg. von Margot Käßmann 304 Seiten / geb. mit Schutzumschlag € 19,99 (D) / € 20,60 (A) / CHF* 26,90 ISBN 978-3-579-08520-3 Majella Lenzen macht eine Bestandsaufnahme und betrachtet ihr »neues« Leben ohne äußere Verpflichtungen, aber mit Eigenverantwortung und vor allem einer ungebrochenen tiefen Liebe zu Gott. Gleichzeitig schickt sie eine mahnende Botschaft an die Kirche, vielen schönen Worten endlich auch Taten folgen zu lassen. Majella Lenzen VON FESSELN BEFREIT Wie mir mein Glaube innere Freiheit schenkt 192 Seiten / geb. mit Schutzumschlag € 17,99 (D) / € 18,50 (A) / CHF* 25,90 ISBN 978-3-579-08525-8 GÜTERSLOHER VERLAGSHAUS www.gtvh.de Alle Bücher auch als E-Book erhältlich 464 Kultur Nr. 42 / 2015 BÜCHER CIG Der Fremde – Gast Sexualität, christlich I m Mittelalter hatten Eheleute Sex oft nicht im Intimen, sondern wie selbstverständlich im Beisein anderer. Wie sonst hätte eine Mechthild von Magdeburg, ledig als Begine lebend, in praller Erotik ihre Liebesverbindung mit Christus besingen können? Das ist nur eine Momentaufnahme, um die „Geschichtlichkeit der Sexualität“ bewusster zu machen. Dafür stellt Arnold Angenendt, Altmeister sozialhistorischer und theologischer Kirchengeschichte, immenses Material zusammen, mit vielen Anmerkungen und Literatur. Deutlich wird zum Beispiel, wie der noch behutsame Impuls altgriechischer Philosophie – von Aristoteles und besonders der Stoa – im zwölften Jahrhundert zu dem revolutionären Durchbruch führte, dass die Ehe auf dem freien Willen zweier Gleichberechtigter beruhe. Faktisch kommt damit das Konzept der romantischen Liebe in die Welt. Dass christlich nicht mehr die Blutabstammung gilt, sondern die Wiedergeburt aus dem Geist, bringt revolutionäre Veränderungen: „Nicht mehr Stammesfamilie, nicht mehr Vergöttlichung der Ahnen“. Auch die „Beseitigung der Unehrenhaftigkeit der Sünder“ und ein neuer Begriff von Reinheit – von innen, nicht durch äußere Befleckung – durch die „Jesus-Zäsur“ verändern die Lage. Zwar bleiben uralte hygienisch-religiöse Auffassungen auch in der Kirche noch wirkmächtig, etwa die Vorstellung von der Verschwendung des männlichen Samens, in dem man ja schon den ganzen Menschen enthalten sah, außerhalb des Zeugungsaktes, mit Konsequenzen auch für das Verständnis von Homosexualität. Doch der emanzipative Schub durch die Jesus-Verkündigung und ihre Wirkungsgeschichte wird desto deutlicher, je mehr man sich mit dem vorliegenden Werk die repressive und patriarchale Struktur der angeblich so sinnenfreudigen Antike bewusst macht. So gehört die Zivilisierung der Lust, zumal der männlichen, wesentlich zu den christlichen Impulsen. Ein epochal neuer Akzent kommt seit Paulus mit der „Ehelosigkeit um des Him- melreiches willen“ ins Spiel – von großer Bedeutung für die Emanzipation der Frauen. Der höchst material- und aufschlussreiche Durchblick zeigt aber auch hier, wie sich mühsam die emanzipatorischen Aspekte in der Geschichte durchsetzten. Ein Hieronymus (gestorben 419/20) konnte gnadenlos formulieren, was jeder gesunden Schöpfungstheologie widerspricht: „Wir halten jeden Koitus für schweinisch.“ Nicht zuletzt „die augustinische Verdammung der Sexuallust“ blieb sehr lange wirkmächtig, weit über Reformation und Renaissance hinaus, „mit urlanger biologischer, rechtlicher, religiöser Minderposition der Frau“. Auch in der weiteren Geschichte zeigt sich diese Spannung zwischen emanzipativen Impulsen aus dem Geist des Evangeliums und Rückfällen unter dessen Niveau. Gerade weil Angenendt viele Stimmen unterschiedlichster Fachleute zu Wort kommen lässt, große Linien detailreich auszieht und ebenso klar wie behutsam urteilt, wird das Besondere des Christentums in seiner Größe und Grenze deutlich, ansatzweise auch im Religionsvergleich und nicht zuletzt im Hinblick auf aktuell drängende kirchliche Reformthemen. Was bedeutet es heute, dass es in den Anfängen „jahrhundertelang … verheiratete Bischöfe und Priester gegeben“ hat? Massive Anfragen stellen sich auch an Lehramt und Kirchenrecht. Das lesenswerte Buch atmet ökumenische Weite, mit einem besonderen Abschnitt zu Martin Luther und zu evangelischen Traditionen sowie Bezügen zur Orthodoxie. Es ist ein beachtliches Dokument katholischer Selbstaufklärung und gefährlicher Erinnerung der historischen Vielfalt, nicht zuletzt ein würdigendes Eingedenken der Opfer. Gotthard Fuchs Arnold Angenendt Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum Von den Anfängen bis heute (Aschendorff Verlag, Münster 2015, 324 S., 19,90 €) ARNOLD ANGENENDT & EHE, LIEBE SEXUALITÄT IM CHRISTENTUM VON DEN ANFÄNGEN BIS HEUTE F ür den Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Erhard Oeser ist die Angst vor Fremden ein „Phänomen, das die Geschichte der Menschheit von allem Anfang an bis heute begleitet“. Der Autor illustriert beispielhafte historische Episoden von Xenophobie. Diese beschreibt er anschaulich und ausführlich, gleichzeitig aber in einer angenehm nüchternen Sprache, die der zuweilen sehr emotionalen Debatte guttut. Der Verfasser geht zurück bis zu den ersten schriftlichen Zeugnissen über den Umgang mit Fremden im alten Ägypten und bei den Babyloniern. Oeser sieht die Antike als „Vorspiel der gesamten europäischen oder besser gesagt eurozentrischen Xenophobie“, daher lassen sich viele Aspekte, die heute noch wirksam sind, schon hier beobachten. Das Verhältnis zu den Fremden ist oft ambivalent: Einerseits werden Fremde schon bei den alten Ägyptern als Feinde, Frevler und Tempelschänder gekennzeichnet, andererseits zeigen sie sich im Alltag auch als geschätzte Handwerker, Soldaten- und Polizeitruppen, Beamte usw. Diese Doppeldeutigkeit findet sich auch im griechischen Wort xenos, das ursprünglich nicht nur den Fremden, sondern auch den Gastfreund meinte. Aber schon Platon und Aristoteles sahen Fremde vor allem als unerwünschte Eindringlinge, die von der einheimischen Bevölkerung ferngehalten werden sollen. Als weitere Beispiele für die Angst vor den Fremden thematisiert Oeser das schwierige Verhältnis zwischen „Abendland“ und „Morgenland“, zwischen Christen und Muslimen. Er zeigt die lange und oft schwierige gemeinsame Geschichte auf, beschreibt die Fremdenfeindlichkeit und die Völkermorde während der „Entdeckung“ der beiden Amerikas, die durch die großen Forschungsreisen seit dem 16. Jahrhundert ausgelösten Aggressionen, die Auseinandersetzung mit den Kulturen des Fernen Osten und mit Afrika. Den Kolonialismus und Imperialismus greift Oeser in einem eigenen Kapitel noch einmal auf, ebenso erläutert er Nationalismus und Rassismus. Den Gang durch die Geschichte und die Reise um die Welt schließt der Autor mit der aktuellen Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen, dem dschihadistischen Terror seit 2001 ab. Als Beispiel für eine islamophobe Stimmung zieht Oeser Thilo Sarrazin heran. Dessen Haltung kritisiert er, zeigt aber keine Gegenposition auf. Die ausgewählten Beispiele für Fremdenhass illustrieren die schrecklichen Auswüchse, die diese „angeborene Konstante“ annehmen kann. Leider zu kurz kommen dabei die alltäglichen Ausprägungen von Xenophobie und Rassismus, gerade jetzt, da die Fremden nicht mehr weit weg, sondern mitten in und am Rande unserer Gesellschaft leben. Auch behandelt das Buch die Ausbrüche aggressiver Fremdenfeindlichkeit und die Bedeutung und Funktion der Fremdenangst für die Gesellschaft nur am Rande. Erhard Oeser nutzt viele zeitgenössische Quellen und Texte, um einen anschaulichen Einblick in die jeweilige Ausprägung der Fremdenfeindlichkeit zu geben. Die Sprache und die Bezeichnungen der jeweiligen Zeit sind manchmal irritierend, da sie oft unkommentiert bleiben. Insgesamt wäre eine stärkere Einordnung der ausgewählten Beispiele wünschenswert gewesen. Wer Erklärungen und Lösungsansätze erhofft, die über ein Plädoyer für die Stärkung des wissenschaftlichen Austauschs und der allgemeinen Menschenrechte hinausgehen, wird von diesem Buch eher enttäuscht. Oeser bietet mit seinem Text aber einen interessanten historischen Überblick und verdeutlicht so auch die weltweiten Verstrickungen und Verantwortlichkeiten der (west)europäischen Nationen. Clara Epping Erhard Oeser Die Angst vor dem Fremden Die Wurzeln der Xenophobie (Theiss Verlag, Darmstadt 2015, 504 S., 29,95 €) Das Buch stellt alle kontroversen Aspekte um Ehe, Liebe und Sexualität aus historischer Perspektive dar – mit teilweise verblüffenden Einblicken: Die heute zum Weltexportartikel gewordene romantische Liebe ist ohne Christentum nicht denkbar. Arnold Angenendt Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum Von den Anfängen bis heute Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag 324 Seiten, Ladenpreis: 19,90 EUR ISBN 978-3-402-13146-6 Auch als E-Book erhältlich www.aschendorff-buchverlag.de CIG BÜCHER Nr. 42 / 2015 Leben 465 Moral ohne Gott E inander helfen oder wenigstens niemandem wehtun. Das sind laut Frans de Waal, Primatenforscher und Professor für Psychobiologie, die Grundpfeiler von Moral. Doch woher kommen diese Forderungen? Sind sie von einer höheren Macht auferlegt worden? Sind es Prinzipien, die man allein mit der Vernunft erkennen kann? De Waal sieht den Ursprung woanders: in den Emotionen. Die Empathie, das Einfühlungsvermögen, ist die Triebkraft für moralisches Handeln, die Gründe dafür werden erst im Nachhinein konstruiert. Das Mitfühlen mit anderen ist zudem nicht nur auf den Menschen beschränkt. De Waal bringt Beispiele von anderen Säugetieren, besonders Menschenaffen. Er beobachtete, wie Schimpansen einer älteren Artgenossin Trinken brachten oder es einem sterbenden „Mitaffen“, der unter Schmerzen litt, bequem machten. Seine Schlussfolgerung: Moral ist kein ausschließlich menschliches Phänomen, und sie existierte schon vor den (heutigen) Religionen. Aber der Autor kann dennoch einen Zusammenhang zwischen Ethik und Religion nicht ausschließen. Denn es ist unmöglich zu sagen, wie sich in Kulturen die Moral ohne Glauben entwickelt hätte, gibt es doch keine, die nicht religiös ist oder zumindest noch nie war. Auch verteidigt de Waal Religion und Spiritualität gegen einen Atheismus, der die Nicht-Existenz Gottes proklamiert, jedoch keine Alternative bietet, die aufgerissene Lücke zu füllen. Auch die (Natur-)Wissenschaft kann kein Ersatz sein, denn ihre Aufgabe ist es, das Leben und ihre Phänomene zu beschreiben, nicht den Sinn in unserer Existenz zu ergründen oder Anweisungen für ein moralisch gutes Handeln zu geben. Frans de Waal interessiert allerdings bloß die Funktion der Glaubensgemeinschaften für die Menschen, nicht ob darin tiefere Wahrheiten ausgedrückt werden. Nicht Gott steht im Mittelpunkt seiner Betrachtungen des Christentums, sondern der Mensch, der aufgrund seiner Bedürfnisse Religion konstruiert. Das Buch richtet sich an eine breite Leserschaft. Biologische Grundkenntnisse zu besitzen, ist jedoch hilfreich. Dorothea Röser Frans de Waal Der Mensch, der Bonobo und die Zehn Gebote Moral ist älter als Religion (Klett-Cotta, Stuttgart 2015, 365 S., 24,95 €) Scham und Diskretion: im Glauben A m Ende seines Buches über die Scham im Horizont christlicher Religiosität fasst Kristian Fechtner seine Wahrnehmung in einem Bild zusammen, das zugleich das Titelbild ist: ein Schlüsselbund mit Haus-, Wohnungs- und Briefkastenschlüssel – und einer etwas abstrakten Engelsfigur als Anhänger. Drei Züge der Religiosität in der Spätmoderne seien darin erkennbar: Der Engel ist unspektakulär, es haftet ihm etwas Traditionelles an; er ist mit den Schlüsseln in der Hosentasche, wo er ertastet werden kann, aber nicht gezeigt werden muss; er hängt an den Schlüsseln, die die Räume des Persönlichen öffnen, aber auch schützen. Ausgehend von drei Beispielen aus der zeitgenössischen Literatur (Bernhard Schlink, Italo Calvino und Philip Roth) und im Hinblick auf die Schamlosigkeit in den Medien wird die Komplexität des Schambegriffs entfaltet. Auch die Scham und die notwendige Diskretion im Glauben. Seine Stärke hat das Buch in der Einbettung der Scham in fünf biblische Kontexte: die Sündenfallerzählung, in der ausdrücklich vom Sich-Schämen die Rede ist; die Begegnung Jesu mit Zachäus und sein Umgang mit der zur Steinigung herbeigebrachten Sünderin; eu“ gehört nicht zu den Adjektiven, die gemeinhin der Theologie zugeschrieben werden. Wenn aber – so Matthias Sellmann – die „Ausrichtung auf das Neue und der Grundverdacht gegen das Überkommene“ zu den Kennzeichen der Gegenwart gehören, müssen Theologie, Glaube, Kirche als bedeutungslos erscheinen. Das Zueinander von Theologie und „dem Neuen“ ist Thema des von der theologischen Fakultät der Universität Bochum erarbeiteten Bandes. Aus Sicht der neutestamentlichen Exegese beschäftigt sich zum Beispiel Thomas Söding mit Jesus als Reformer, während Markus Knapp als Fundamentaltheologe nach dem Innovationspotenzial der Tradition fragt. Der Band macht nicht nur deutlich, dass aus der für Glaube und Theologie kennzeichnenden Bezogenheit auf einen Ursprung eine Kraft zur Veränderung und Erneuerung erwächst, sondern diese Kraft zugleich auch Neues schafft. Matthias Mühl Wilhelm Damberg, Matthias Sellmann (Hg.) Die Theologie und „das Neue“ Perspektiven zum kreativen Zusammenhang von Innovation und Tradition (Verlag Herder, Freiburg 2015, 349 S., 42 €) Kristian Fechtner Diskretes Christentum Religion und Scham (Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, 192 S., 17,99 €) 100 klare Worte: die Kernaussagen aus »Laudato si’« Das Neue der Theologie NE U Papst Franziskus DER SCHREI DER ERDE Ein Beitrag zur Rezeption von »Laudato si’«. Eine Einladung zum Gespräch. Hundert Impulse zum Nachdenken und Handeln. Hg. von Matthias Kopp, Sprecher der Dt. Bischofskonferenz. ISBN 978-3-7346-1070-7 112 Seiten, gebunden, EUR 12,95 VERLAG NEUE STADT Münchener Str. 2, D-85667 Oberpframmern, Tel. 08093 2091 E-Mail: [email protected] www.neuestadt.com Gesellschaft braucht Religion Kirche und moderne Gesellschaft scheinen nicht vereinbar. Dabei existiert die Kirche mitten in der modernen Gesellschaft. Zwischen Anpassung und Widerstand muss sie in kritischer Solidarität ihr Zeugnis in eine freiheitliche Kultur eintragen. Nicht von oben her bekehren, sondern durch Beispiel und Argument überzeugen: darum geht es. Und so in Gemeinschaft mit vielen anderen den Herausforderungen einer immer komplexer werdenden, pluralen Zivilisation begegnen. »Um den Weg in die Zukunft zu gehen, brauchen wir beides: Beten und Denken!« 128 Seiten | € 12,00 | ISBN 978-3-466-37152-5 Auch als E-Book erhältlich N die Rede des Paulus vom Schandmal des Kreuzes und die schöne Deutung des aaronitischen Segens (Num 6,24ff ). Man merkt, dass der Verfasser als Pastoraltheologe auch ein ausgewiesener Fachmann der – biblischen – Predigt ist. Seine Kommentare zu den angeführten Schriftstellen sind erhellend und bringen manches Überraschende. Scham und Diskretion sollten auch seelsorgerisch beachtet werden: beim Gottesdienst, beim Gebet, bei der Predigt, bei der Sakramentenspendung, im Gespräch, im Religionsunterricht. Erfahrungen aus dem Seelsorgsalltag werden den Überlegungen vorangestellt. Deshalb werden vor allem Seelsorger dieses Buch mit Gewinn lesen. Es klagt nicht über die rückläufige Kirchlichkeit, sondern nimmt die Diskretion wahr, mit der viele Menschen ihren Glauben schützen. Im Vorwort wird zustimmend Theodor W. Adorno zitiert: „Woran einer glaubt, könnte einer, der die Naivität verlor, kaum ohne Scham … sagen.“ Jakob Paula Kardinal Reinhard Marx www.koesel.de 466 Kirche Nr. 42/ 2015 BÜCHER CIG er Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer hat eine inspirierende Sammlung von Aufsätzen, Predigten, Vorträgen vorgelegt, die aus der Perspektive des Christusglaubens auf die Wunden der Welt blicken. Er zitiert den Künstler Joseph Beuys und dessen berühmte Installation „Zeige deine Wunde“. Denn darum geht es: offenlegen, offen zeigen, woran Menschen leiden. Diese Wirklichkeit der Armen, Kranken, Verfolgten, Behinderten, Obdachlosen, Trauernden, Flüchtenden, Verletzten ist in den Wärmestrom des Christusimpulses zu versetzen, damit, so Beuys, „die Todesstarre überwunden werden kann“. Der Verfasser berührt in fünf Kapiteln zentrale biblisch-spirituelle Fragestellungen unserer Zeit: Fluchtbewegungen, Armut, Macht und Religion, religiöse Bildung. Vor allem: Was heißt Christusnachfolge? Entstanden ist eine Art politisch-geistiges Notizbuch, das ohne kirchliche Nabelschau auskommt, sich kurzweilig liest und das Augenmaß für die Lebensrealitäten behält. Immer wieder zitiert der Autor anregende spirituelle Quellen aus dem französischsprachigen Raum. So auch den Philosophen Maurice Blondel, womit der Kern des Buches gut getroffen ist: „Das Fenster der Verwundbarkeit ist ein Fenster zum Himmel.“ Und: „Christus ist die Wunde Gottes in der Welt.“ Jürgen Springer Manfred Scheuer Wider den kirchlichen Narzissmus Ein spirituell-politisches Plädoyer (Tyrolia Verlag, Innsbruck 2015, 208 S., 19,95 €) I n unserer nachchristlichen, kirchendistanzierten Gesellschaft bleibt das kulturelle Leben weiterhin vom christlichen Erbe geprägt, wozu auch die gottesdienstliche Feier gehört. Die vielfältigen Bezüge von Kultur und Liturgie in einem geschichtlichen Durchgang zu erklären, ist das Anliegen dieses Buchs des katholischen Eichstätter Liturgiewissenschaftlers Jürgen Bärsch. Gegenüber der eher auswählenden Darstellung „Liturgie in der Geschichte des Christentums“ von Herman A. J. Wegman (Regensburg 1994) liegt hier eine umfassendere deutschsprachige Gesamtdarstellung vor. Dabei mutet das Wort „klein“ im Titel bescheiden an. Schon die sechs Seiten Inhaltsverzeichnis kündigen viele Details an. Die nötige Beschränkung betrifft allerdings den Begriff „christlich“: Denn der breitere Raum der Darstellung gilt der katholischen Entwicklung und darin vorzugsweise dem deutschen Sprachgebiet. Das Buch wendet sich an religiös offene Leser ohne akademische Vorkenntnisse. Der gut lesbare Stil wird unterstützt durch ein Glossar mit 124 kurz erklärten Fachbegriffen. Außer den 47 Titeln im Literaturnachweis wird am Ende eines jeden der elf Kapitel auch über weiterführende Literatur informiert. Eckhard Jaschinski Jürgen Bärsch Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes (Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2015, 204 S. mit 6 Abb., 19,95 €) Selbstbestimmt sterben? Gibt es überhaupt authentische, selbstbestimmte Wünsche zum assistierten Suizid und wie sind diese zu verstehen? Welcher Stellenwert kommt der Gewissensentscheidung der Betroffenen zu? Dieser Band bietet fundierte Informationen zur intensiv geführten ethischen Debatte. Mit Beiträgen u.a. von Konrad Hilpert, Veronika Hoffmann, Adrian Holderegger, Jochen Sautermeister, Knut Wenzel, Markus Zimmermann. D em christlichen Glauben ist der Bezug auf die Geschichte eingeschrieben. Dies ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass sich das Bekenntnis auf Jesus Christus, also auf eine geschichtliche Person, richtet, sondern auch aus dem Rang der frühen literarischen Zeugnisse: Als „Neues Testament“ zur Heiligen Schrift geworden, begründen sie die Aufgabe, sich der Ursprungsgeschichte des Christentums zu stellen. Der Hallenser Neutestamentler Udo Schnelle grenzt in seinem neuesten Buch die Phase des „frühen Christentums“ auf hundert Jahre ein, da ab dem zweiten Drittel des zweiten Jahrhunderts neue Fragestellungen, neue literarische Gattungen und neue theologische Strömungen aufkamen. Gestützt auf ein chronologisches Gerüst, verbindet seine Darstellung Ereignisgeschichte mit ideen- und sozialgeschichtlichen Aspekten der untersuchten Epoche. Die Einbettung der frühchristlichen Geschichte in den kulturellen Kontext des Hellenismus und in die jüdischen Traditionen wird sowohl grundsätzlich als auch in seiner konkreten geschichtlichen Auswirkung berücksichtigt. So wird zum einen der größere geschichtliche Rahmen beschrieben, zum andern aber auch gezeigt, wie dieser Rahmen auf die frühchristliche Geschichte Einfluss genommen hat: in günstigen Bedingungen für die Mission, in theologischen Prägungen und Anknüpfungsmöglichkeiten, in inneren und äußeren Konflikten. Überzeugend zeigt Schnelle auf, dass das christliche Bekenntnis von Anfang an durch Pluralität gekennzeichnet ist. Er unterscheidet drei große Strömungen: die Jerusalemer Gemeinde, die galiläische Jesus-Bewegung und die Gemeinde von Antiochia mit Paulus. Zu diesen kommt später das johanneische Christentum als vierter Zweig hinzu. Die weitere Entwicklung erscheint nicht als Verfallsgeschichte, sondern als kreative Reaktion auf die Herausforderungen einer geschichtlichen Situation, die sich grundlegend gewandelt hat: im epochalen Einschnitt der Zeit um das Jahr 70 mit dem Aussterben der ersten christlichen Generation und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels; im Ausbleiben der Wiederkunft Christi; in sozialen Dissonanzen innerhalb der Gemeinden; in theologischen Konflikten. Es zeichnet die Darstellung aus, dass die neutestamentlichen Schriften mit ihren jeweiligen Profilen in diese geschichtliche Entwicklung eingeordnet werden. Das Buch bietet eine solide und zuverlässige Einführung in die Geschichte des frühen Christentums in Auseinandersetzung mit der älteren und jüngsten Forschung. Gerd Häfner Udo Schnelle Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion (UTB, Stuttgart, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, 589 S. mit 12 Abb., 29,99 €) Gott und die Quantenphysik Physik und Religion – sind diese beiden Wissen0 %ƞ"+*&1"&++!"/3"/"&+/Ȅ&")""+0 %"+ $)2"+%"21""%"/!"+12/4&00"+0 %ƞ"+ )0!"/%",),$&"ǽ"/01ê+!)& %"/()ê/1!"/ %60&("/& %") /Ų+720**"+*&10"&+"* /2!"/Ǿ!"*"+"!&(1&+"/-1"/+0")* /Ų+Ǿ 4/2*&00"+0 %ƞ2+!%",),$&"0& %+& %1 4&!"/0-/" %"+Ǿ0,+!"/+0& %"/$ê+7"+ǽ ǖǗǝǽǾ$"ǽ*&1 %2172*0 %)$ ʒǖǙǾǞǞȢǞǜǝȒǘȒǝǞǛǝǕȒǞǚǙȒǙ Denkanstöße für ein besseres Miteinander Carla Amina Baghajati Muslimin sein 224 Seiten / Paperback € 14,99 / SFr 19.90 / € [A] 15,40 ISBN 978-3-451-34287-5 25 Fragen – 25 Orientierungen Die Sicht auf den Islam wird geprägt vom Bild der Frau. Die Autorin geht von Fragen aus, die die religiöse Praxis, das Mann-/Frausein, Ehe und Familie, den Alltag und rechtliche Dimensionen betreffen. Sie hinterfragt Klischees und Vorurteile und liefert wertvolle Denkanstöße für ein besseres Zusammenleben. Neu in allen Buchhandlungen oder unter www.herder.de www.tyrolia-verlag.at Klappenbroschur, 978-3-7022 -3429-4, 224 Seiten, € 17.9 5 D Die ersten hundert Jahre Kultur Liturgie Wunde Welt CIG BÜCHER Nr. 42 / 2015 Religionen 467 Eine Weltreligion im Aufbruch Es bleibt eine spannende Frage, wie das Christentum begann und warum es sich so rasch und erfolgreich über Kulturräume hinweg ausbreitete. Z wei Fragen sind es, die beim Blick auf die ersten Jahrhunderte des Christentums unruhig werden lassen. Erstens: Was hat Menschen bewogen, sich zum christlichen Glauben zu bekehren und taufen zu lassen, um Mitglied der Kirche zu werden? Sie wurden ja nicht gezwungen, sondern haben es freiwillig getan, oft gegen erheblichen Widerstand und um einen hohen persönlichen Preis. Zweitens: Wie hat sich das Christentum auf den ersten Etappen seiner Geschichte verändert? Es ist ja nicht im Palästina geblieben, sondern in die weite Welt aufgebrochen, so groß, wie sie damals erschienen war, und hat weite Zeiträume überbrückt, nicht nur die hohen Zeiten des Wirkens Jesu oder der Gemeindegründungen, sondern auch die schlichten der Mühen in der Ebene. In der wissenschaftlichen Literatur und im allgemeinen Bewusstsein sind die Antworten auf beide Fragen umstritten. Die einen sehen ein Rätsel, die anderen ein Wunder, wieder andere eine kluge Strategie, wenn sie auf die missionarischen Erfolge blicken, die lange vor der „Konstantinischen Wende“ erzielt worden sind. Oft wird geurteilt, das Christentum habe seine Seele verkauft und sich dem hellenistischen Zeitgeist angepasst, um erfolgreich zu sein. Wieder andere meinen, das Christentum habe das Kindliche des neutestamentlichen Anfangs abgelegt und sei im Laufe der Zeit erwachsen geworden, um dann mit Konstantin das Heft des Handelns in die Hand nehmen zu können. Franz Dünzl, Professor für Alte Kirchengeschichte in Würzburg, räumt mit solchen Pauschalurteilen auf. Er gibt Antworten, die er in einer Vielzahl antiker Quellen findet, angefangen beim Neuen Testament, einbeschlossen die zahlreichen Kritiker des Christentums, konzentriert auf die „Kirchenväter“ („Kirchenmütter haben ja leider Gottes nichts schriftlich hinterlassen), auf alte Liturgien und Kirchenordnungen. Dadurch entsteht ein buntes, lebensnahes, facettenreiches Bild, jenseits einer Sieger- und einer Kriminalgeschichte des Christentums. Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert. Zuerst wird – unter einem apokalyptischen Vorzeichen – die urchristliche „Fremdheit in der Welt“ beschrieben, die teils gewollt, teils erzwungen worden sei. Dann werden die „Folgen des Erfolgs“ vom ersten bis zum vierten Jahrhundert beschrieben, die mit den Mitteln der historischen Soziologie analysiert werden. Schließlich wird in (mehr als) einem „Ausblick“ dargestellt, wie sich unter Konstantin und seinen Nachfolgern die veränderten politischen Rahmenbedingungen auf die neuen Formen kirchlicher Organisation und persönlicher Lebensführung ausgewirkt haben. Im Zuge dieser weit gespannten Darstellung werden die Leser nicht nur über viele wichtige Aspekte der Kirchengeschichte informiert, von der Entwicklung der Liturgie und des Amtes über die Etablierung des Rechts und die Bildung des Kanons der heiligen Schriften bis zu den jüdisch-christlichen Beziehungen, den innerchristlichen Kontroversen und den Veränderungen der Bildungsidee sowie den Einstellungen gegenüber dem Besitz. Es werden auch die beiden Leitfragen beantwortet. Die Erfolgsgründe werden nüchtern analysiert: die Verheißung eines sinnvollen, angstfreien Lebens voller Hoffnung; die außergewöhnlichen Phänomene von Heilungen und Exorzismen, Prophetien und Zungenrede; die christliche Caritas in Verbindung mit einer profilierten, aber nicht überfordernden Ethik; der Überlegenheitsanspruch gegenüber dem Judentum und den griechischen wie den römischen Kulten; nicht zuletzt der große Eindruck, den christliche Martyrien gemacht haben. Selbstverständlich gehören auch die güns- Der Segen tigen geschichtlichen Rahmenbedingungen dazu, die das Römische Reich mit seiner Infrastruktur und seiner plural entwickelten Kultur geschaffen hatte. Die Veränderungen, die das Christentum in dieser Zeit durchlaufen hat, werden nicht kleingeredet, aber auch nicht moralisiert. Dünzl spricht von einem Mentalitätswechsel. Habe in den ersten Jahrzehnten durch Jesus, durch Paulus, durch Petrus, durch Jakobus und die Evangelisten die Naherwartung eine Weltdistanz begründet, die zu einer Art isolierter Selbstgenügsamkeit der „Auserwählten“ geführt habe, wie sie zum Beispiel der Erste Petrusbrief schon in seine Adresse als Programm einträgt, sei es später notwendig geworden und auch richtig gewesen, sich auf die Länge der Zeit und die Weite des Raumes einzulassen. Das habe neue Formen der Glaubensidentität und der Weltverantwortung notwendig gemacht. Gerade die Spannungen zeichneten den Charme des Christentums aus. Vielleicht kann man in dieser Richtung noch weiter gehen. Denn das Urchristentum kennt nicht nur die Apokalyptik, sondern auch die Weisheit. Gegen diejenigen, die Gottes Nähe mit dem Kalender messen wollen, hat es sich mit den besten seiner Köpfe gewandt. Es hat klein angefangen. Aber die Bilder der Bergpredigt sind: „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ (Mt 5,13–16). Umgekehrt lebt das Mehrheitschristentum zu einem guten Teil von den Impulsen kleiner Minderheiten, deren Bedeutung meist erst im Nachhinein erkannt worden ist. Das Programm ist paulinisch: „Passt euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch durch neues Denken, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist“ (Röm 12,2). Diese Forderung ist aktueller denn je. Thomas Söding Franz Dünzl Fremd in dieser Welt? Das frühe Christentum zwischen Weltdistanz und Weltverantwortung (Verlag Herder, Freiburg 2015, 542 S., 39,99 €) D er Segen als religiöse Handlung ist im allgemeinen Sprachgebrauch verankert. Auch in einer säkularen Lebenswelt wird noch vom Segen gesprochen, ohne Anstoß zu erregen. „Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen, Gesundheit und Frohsinn sei auch mit dabei“ ist vom „Happy Birthday“ noch nicht gänzlich verdrängt. Der Segen kann in enger Verbindung mit einem personalen Gott verstanden werden. Diese Vorstellung prägt das jüdische, christliche und islamische Verständnis des Segens. Segen kann aber auch als eine unpersönlich wirkende Energie, als eine lebensförderliche Kraft, gedacht werden. Zwischen beiden Vorstellungen gibt es fließende Übergänge. Der Herausgeber des vorliegenden Buches bezeichnet eine das Leben dynamisch tragende, sichernde und steigernde Energie als den Kern dessen, was man unter „Segen“ versteht. Hinzu kommt, dass der Segen auf das Gelingen des diesseitigen Lebens hin ausgerichtet ist. Segen ist somit ein Thema, nicht nur mit verschiedenen Religionen, sondern auch mit religiösen und weniger religiösen Menschen, mit Theisten, Kosmotheisten und Atheisten ins Gespräch zu kommen. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der jüdischen und christlichen Tradition. Ein eigenes Kapitel befasst sich mit dem Segen in der Geschichte anderer Religionen, insbesondere dem Konfuzianismus und dem Islam. Es kommen auch zwei Gegenentwürfe zum Segen in den Blick: die indische Vorstellung vom Karma und das buddhistische Konzept vom Werden und Vergehen. Das Buch gibt einen sehr schönen Überblick. Es zeigt: Der Segen reicht bis in die Frühgeschichte der Menschheit zurück und erfreut sich in unserer späten Moderne einer überraschenden Beliebtheit. Ludger Schwienhorst-Schönberger Martin Leuenberger (Hg.) Segen Reihe: Themen der Theologie, Bd. 10 (Mohr Siebeck, Tübingen 2015, 239 S., 18,99 €) Das Standardwerk – jetzt noch zum Einführungspreis erhältlich! Handbuch des katholischen Kirchenrechts IS 2 31 . 1 . 2 0 1 5 B Kirchenrecht & Aktuelles 98,– JÜRGEN JÜR Ü GEN BÄRSC BÄRSCH ÄRSCH H RUPERT RUP UPERT ERT M. M SCHEULE SCHEU SC HEULE LE (HG (HG.) KLAUS HEDWIG Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes Ethik des Lebensbeginns Circa Particularia Ein interkonfessioneller Diskurs Studien zu Thomas von Aquin Herausgegeben von Manfred Gerwing Spannende Kultur- und Kirchengeschichte! 208 S., 6 s/w Abb., kart. ISBN 978-3-7917-2721-9 € (D) 19,95 / auch als eBook Mit Beiträgen von Christoph Raedel, Eberhard Schockenhoff, Militadis Vantsos, Friedemann Voigt und Markus Lersch. 176 S., kart., ISBN 978-3-7917-2666-3 €(D) 26,95 / auch als eBook Zum 75. Geburtstag des Philosophen Klaus Hedwig – 17 Schlaglichter auf die Philosophie des Aquinaten. 360 S., Hardcover, ISBN 978-3-7917-2728-8 € (D) 39,95 / auch als eBook D AN ,– € (D) Drrittee, voollsttändigg neu beaarbeeiteete Aufl flagge Herrau usgeegebbenn von Stepphaan Haerringg, Wilhhellm Reees unnd Herribeert Schm mittz A C H € 12 8 »Das Hanndbbuchh solltee im Reggal jedess/jjedeer mitt kirrcheenreechtlichenn Fragenn Beefasssteen sttehhen.« ZEITS TSCHR RIFT FÜR KATHO OLISC CHE THEO OLOG GIE ZUR 2.. AUFLAG GE 2240 0 S.., Haardccoveer, ISSBN N 9788-33-79177 27723--3 / auch als eBook Bis 31.12.2015: € (D) 98,– / daanacch: € (D) 1288,– www.verlag-pustet.de Telefon 0941 / 92022-0 Telefax 0941 / 92022-330 [email protected] 468 Spiritualität /Erinnerungen Nr. 42 / 2015 BÜCHER CIG Selbstvergötzung? Am Abend Auf nach Afrika Hinter der Mauer L J eder Tag hält eine Besonderheit bereit. Das rufen die 147 Impulse des in Indien lebenden Publizisten Martin Kämpchen in Erinnerung. Ob ein gehörtes Wort, eine Charaktereigenschaft, der Trubel der Städte, die Tatsache, dass es in Indien Häuser ohne Spiegel gibt, oder einfach die Schönheit der Natur – es findet Beachtung in den am Abend notierten sehr persönlichen und bisweilen intimen Notizen. Der Autor bringt sein Indien, seine Menschen, sein Treiben, seine Natur uns näher – immer liebevoll, manchmal kritisch, mitunter skeptisch oder mit einer Portion Unverständnis. Bisweilen bringen die Aufzeichnungen auch Enttäuschungen zum Ausdruck, wenn der Freude auf ein Treffen die Erfahrung folgt, abwertend behandelt zu werden. Am meisten scheinen den Autor die Menschen zu erfreuen: mit ihrem Mut, ihrem Vertrauen, ihrer Hartnäckigkeit, Bescheidenheit, Energie sowie der Fähigkeit, sich den Herausforderungen des Alltags zu stellen. Kämpchen entdeckt den einen oder anderen Heiligen, das Wunder, aus nichts etwas entstehen lassen zu können und bedeutsame Talente hervorzubringen. Die einzelnen Tages-Zusammenfassungen motivieren auch dazu, den eigenen Tag zum Abschluss und vor Gott zu bringen. Martina Ahmann D er Journalist Tillmann Prüfer, Redakteur beim Zeit-Magazin, beschreibt sich als ziemlich säkularen Zeitgenossen. „Ich nehme an, wäre Gott bei Facebook, wären wir befreundet. Allerdings haben wir praktisch keinen Kontakt.“ Das ändert sich, als sich Prüfer auf die Spuren seines Urgroßvaters, eines evangelischen Missionars, begibt. Zusammen mit seiner Herkunftsfamilie macht er sich nach Afrika auf. In Tansania, das früher ein Teil von Deutsch-Ostafrika war, will Prüfer die Wirkungsstätten seines Vorfahren besuchen. Der Missionar Bruno Gutmann zeichnete sich dadurch aus, dass er den Dschagga, einem Bantu-Stamm, mit dem Evangelium zwar durchaus etwas Neues bringen wollte – sich aber sonst sehr für den Erhalt ihrer Kultur einsetzte und ihre mündlichen Traditionen erstmals schriftlich festhielt. Zeitgenossen nannten ihn verächtlich einen „Negerfreund“. Das Buch ist, flott geschrieben, eine Reportage über ziemlich alle Aspekte der Reise. Manchmal zieht sich das, wenn selbst die Auswahl des passenden Hutes für Afrika beschrieben wird. Dazwischen blitzen aber tiefe Gedanken auf, etwa über den eigenen Zugang zum Glauben auf dem Schwarzen Kontinent und die Gottvergessenheit in weiten Teilen Europas. Stephan Langer um 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung legt Joachim Jauer, Begründer des ZDF-Magazins „Kennzeichen D“ und langjähriger Korrespondent in der DDR, später für ganz Ost-Europa, ein weiteres persönliches Buch vor. Wie im Vorgänger „Urbi et Gorbi“ erzählt der Journalist aus seinem reichen Erfahrungsschatz, von Menschen, Ereignissen und Prozessen, die schließlich zum Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs beitrugen. Da sind zum Beispiel seine Begegnungen mit Erich Honecker, Wojciech Jaruzelski und Papst Johannes Paul II., unzählige Gespräche mit der einfachen Bevölkerung in beinahe allen Ostblock-Staaten und immer wieder mit engagierten Christen. Nicht zuletzt gewährt Jauer Blicke hinter die Kulissen der Weltpolitik. Seine Berichte ergänzt Joachim Jauer durch lesenswerte Zitate – etwa aus dem DDR-Jugendweihebuch, aus Briefen von Johannes Paul II. an Leonid Breschnew oder aus den Schriften christlicher Märtyrer. Anders als in seinem ersten Buch schreibt der Autor weniger strukturiert, insgesamt aber ist das Buch ein kenntnisreiches Zeugnis einer in Ost wie West untergegangenen Welt und ihrer heute fast vergessenen Denkweisen. Elena Griepentrog Peter Zimmerling Evangelische Mystik (Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, 283 S. mit 11 Abb., 29,99 €) Martin Kämpchen Am Abend notiert 147 Einladungen zum Innehalten (VierTürme-Verlag, Münsterschwarzach 2015, 147 S., 17,99 €) Tillmann Prüfer Der heilige Bruno Die unglaubliche Geschichte meines Urgroßvaters am Kilimandscharo (Rowohlt Verlag, Reinbek 2015, 318 S., 9,99 €) Joachim Jauer Kennzeichen D Friedliche Umwege zur deutschen Einheit (Camino, im Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2015, 288 S., 22 €) uther, Nicolai, Gerhardt, Bach, Tersteegen, Zinzendorf, Hammarskjöld, Bonhoeffer, Sölle – diese Namen stehen Peter Zimmerling zufolge dafür, dass es eine evangelische Mystik immer schon gegeben hat. Neben erhellenden Kapiteln zur mehr oder weniger offensichtlichen Mystik dieser Personen wird die Problemgeschichte im Verhältnis von Protestantismus und Mystik beleuchtet. Diese galt lange als ein Phänomen menschlicher Selbstvergötzung. Das von Gott geoffenbarte Wort in Christus wurde ihr als schroffe Alternative gegenübergestellt. Erst nach 1945 bahnte sich in der protestantischen Theologie so etwas wie eine Wiederkehr der Mystik an. Hierfür mag Jörg Zink stehen, der leider nur an einer Stelle ausführlicher erwähnt wird. Die Studie schließt mit einer kleinen „Theologie evangelischer Mystik“. Das Thema anzupacken – dazu braucht es immer noch Mut. Dennoch befremdet die konfessionelle Engführung. Zum einen beginnt die evangelische Kirche nicht, wie hier nahegelegt, mit Luther, zum anderen steht Mystik für einen Weg des Christwerdens, der konfessionelle Einseitigkeiten zu überwinden vermag. Bedauerlich ist, dass die von philosophischem Subjektdenken und der Phänomenologie geprägten Auseinandersetzungen mit Mystik keine Berücksichtigung finden. Irene Leicht Etappen auf dem Weg zur Weltreligion Der Band zeichnet die Entwicklung von ihren Anfängen bis ins 4. Jahrhundert hinein nach, beschreibt ihre Dynamik plausibel und benennt Gründe, dass das Christentum von Beginn an im Spannungsfeld von Weltdistanz und Weltverantwortung steht und keinen dieser beiden Pole aufgeben kann. Z i Mit zahlreichen Abbildungen, Karten und Zeittafel Franz Dünzl | Fremd in dieser Welt Das frühere Christentum zwischen Weltdistanz und Weltverantwortung 544 Seiten | Gebunden mit Schutzumschlag € 39,99 / SFr 48.50 / € [A] 41,10 ISBN 978-3-451-31232-8 Neu in allen Buchhandlungen oder unter www.herder.de 470 Gesellschaft / Theologie Nr. 42 / 2015 Bücher CIG Der Krieg als Lebensform Dschihadist, Held, Märtyrer D er Band beleuchtet das Gewaltpotenzial des Islam aus den Perspektiven von christlicher und islamischer Theologie, Kulturwissenschaft, Philosophie, Soziologie, Politik und Geschichte. Die Darstellung wird eröffnet mit einer betont sachlich gehaltenen Kontroverse darüber, ob dem Islam ein Muster gemäß der kriegerischen Expansion Mohammeds innewohnt, ob die theologische Tradition Ansatzpunkte bietet, dieses Muster zu verurteilen, und ob nicht nur die Gotteskrieger, sondern womöglich auch ihre Kritiker fundamentalistisch verblendet sind. Der zweite Teil analysiert das Phänomen „Selbstmordattentat“: seine historischen Wurzeln, die nicht im Islam selbst liegen; die Typologie von Held, Märtyrer und Terrorist, die hier zu einer neuen Gestalt zusammenfinden; die Gewalttheologie des IS und die Motive für die Rechtfertigung der Vernichtung der „Ungläubigen“. Aus christlicher Perspektive wird Selbstmordattentätern der Ehrentitel „Märtyrer“ entschieden abgesprochen und den Opfern zugesprochen, die für ihren Glauben sterben. Uneinheitlich verläuft im dritten Teil die Beurteilung eines möglichen Zusammenhangs zwischen dem „Sterben für Gott“ und dem „Töten für Gott“ anhand der alttestamentlichen Makkabäer-Bücher, die zum Teil als nicht verbindlich für den Kanon der Heiligen Schriften erachtet werden. Einerseits verbindet sich bei den Makkabäern die Erfahrung von Unterdrückung und Religionskrieg mit der Bereitschaft zu Mord und Martyrium, andererseits lassen die verschiedenen Traditionsstränge der Bücher keine einheitliche Auslegung zu. Vor allem spielt in der Geschichte von Judentum und Christentum der genannte Zusammenhang nie eine Rolle. Der letzte Teil untersucht das Märtyrerverständnis der christlichen Tradition – seine hagiographische und liturgische Ausgestaltung, die Existenz auch von gewaltbereiten Märtyrern, die Bedeutungsverschiebungen im Märtyrerbegriff bis hin zur gegenwärtigen Politisierung und den friedfertigen Märtyrermönchen von Tibhirine. Der Band macht so auf Differenzen zwischen islamischen und jüdisch-christlichen Märtyrer-Traditionen aufmerksam. Sabine Pemsel-Maier ber die Anfänge des Christusverständnisses, der Deutungen Jesu, seines Lebens und Sterbens und der Auferstehung, hat Stefan Schreiber ein solides und spannendes Lehrbuch vorgelegt. Solide, weil es sich um eine kenntnisreich kommentierte Zusammenschau der frühen christologischen Entwürfe handelt; spannend, weil es nicht nur informiert, sondern auch vermeintliche oder tatsächliche Fehlentwicklungen in der frühkirchlichen christologischen Reflexion aufzeigt und zum Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik beiträgt. Der Autor wählt eine betont historische Perspektive, aus der er das anfängliche Ringen um das Verstehen der Gestalt Jesu nachzeichnet. Ausgangspunkt sind die religiösen Denkstrukturen und Sprachmuster der antiken Welt. Von hier aus sollen Im- pulse zur überfälligen Erweiterung der die Christologie bestimmenden philosophischen Beschreibungssprache gewonnen werden. Innovativ und faszinierend zugleich wirkt Schreibers Theorie, nach der die in der römischen Welt verbreitete Kaiserverehrung (wenigstens indirekt) als wesentlicher Einflussfaktor auf die frühe Christusdeutung zu begreifen und folglich eine Horizontverschmelzung von frühjüdischer Messiaserwartung und römischer Kaiserideologie anzunehmen sei. Fragt sich nur noch, ob’s stimmt … Robert Vorholt Stefan Schreiber Die Anfänge der Christologie Deutungen Jesu im Neuen Testament (Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2015, 262 S., 30 €) Und das Wort ist Schrift geworden D ie 5200 Jahre Kulturtechnik „Schrift“ bringt uns Martin Kuckenburg nahe. Wir verfolgen die ägyptische Hieroglyphenentwicklung, deren Spuren noch die koptische Schrift aufweist. Die Keilschrift setzt etwa gleichzeitig in Mesopotamien ein und lebt zur Zeit des Paulus in Kleinasien fort. Auch in Mittel- und Südamerika beginnt es mit Bildlichkeit, lange bevor Lautzeichen entstehen. Seit 3500 Jahren kommen die Chinesen ohne Buchstaben aus. Unsere Schriftvorläufer haben von den Phöniziern das Konsonantensystem übernommen, das von den Griechen um die Vokale erweitert wurde. Rom wirkt nach in der lateinischen Schrift, die noch immer weltbeherrschend ist. Die Bedeutung der Schrift und ihrer Geschichte für die Religionswissenschaft er Historiker Armin Eich legt mit seiner Geschichte des Krieges eine kenntnisreiche Darstellung nicht nur der Waffentechnik und Kampfstrategien vor, sondern auch der Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der Frühzeit. Detailliert zeichnet der Autor nach, wie seit etwa 5000 v. Chr. mit der Staatenbildung und technischem Fortschritt auch die Militarisierung der alten Welt zunahm und der Krieg mit ungeheurem ökonomischem und personellem Aufwand zu einer nicht mehr hinterfragten Realität, zur „Lebensform“ wurde. Dass dies nicht immer so war und auch kein naturgemäßes Schicksal ist, zeigen Völker, die ohne Krieg auskommen, und archäologische Funde, die planmäßige kriegerische Auseinandersetzung in frühester Zeit nicht belegen. Die exakten Schilderungen der Waffenherstellung, der Spielarten ihres Gebrauchs und der Gewinnung der dafür notwendigen Rohstoffe sind interessant. Doch die Brisanz bekommt der Überblick dort, wo Eich das Wesen des Militärischen und dessen Jan-Heiner Tück (Hg.) Sterben für Gott – Töten für Gott? Religion, Martyrium und Gewalt (Verlag Herder, Freiburg 2015, 269 S., 19,99 €) Der Messias wie der Kaiser? Ü D (arabische Schrift/Islam) und die Theologie (Bibelübersetzungen) ist unübersehbar. Fast vergessen: Die deutsche Sprache kannte mit Fraktur und Sütterlin eigene Druckund Schreibschriften. Das in hebräischen Zeichen geschriebene Jiddisch (JudenDeutsch) ist von rechts nach links zu lesen! Am vorläufigen Ende der Geschichte der Schrift erlauben Internet und Computer den Zugang zu allen jemals verwendeten Schreibweisen. Sprachlich und didaktisch vorbildlich beweist der Autor den bleibenden Rang des Buchs. Gerhard Adler Martin Kuckenburg Eine Welt aus Zeichen Die Geschichte der Schrift (Theiss, Darmstadt 2015, 208 S., 130 farb. Abb., 39,95 €) unheilvolle Folgen zur Sprache bringt: die planmäßige Abrichtung des Menschen für den Krieg und die Traumatisierung durch das Schlachterleben. Dass dies nicht erst ein Problem traumatisierter US-Veteranen ist, sondern schon die homerischen „Helden“ betrifft, kann der Autor glaubwürdig belegen. Die Frage, was es im Licht heutiger Hirnforschung bedeutet, dass Menschen seit Jahrtausenden durch Gewalterleben traumatisiert wurden, stellt Eich nicht. Wenn der Krieg nicht unabänderliches Schicksal bleiben soll, bedarf es „langer und mühevoller Anstrengungen“, zu denen auch die kritische Aneignung seiner Geschichte gehört. Dies gilt auch für die Geschichte von Gewalt und Angstterror im Christentum. Helmut Jaschke Armin Eich Die Söhne des Mars Eine Geschichte des Krieges von der Steinzeit bis zum Ende der Antike (Verlag C. H. Beck, München 2015, 281 S. mit 25 Abb., 24,95 €) Fremdes Land Gewalt W arum tun Menschen einander Gewalt an, die doch als Abweichung, als Krankheit, als Irrweg gilt? Aber: Ist Gewalt nicht auch eine attraktive Handlungsmöglichkeit, zu der wir nur deshalb nicht greifen, weil wir Bestrafung fürchten? Jörg Baberowski versucht nicht, das Rätsel der Gewalt lösen. Der historische Ansatz, nach einer mechanischen Verkettung von Ereignissen, nach Ursache und Wirkung in der Geschichte zu suchen, scheint ihm vergeblich. Auch aus den Rechtfertigungen der Täter und der Sinnsuche der Opfer ließen sich kaum Schlüsse ziehen. Die ungeheuerlichen Gewaltexzesse wie der Holocaust, das stalinistische Terrorregime, der Völkermord in Ruanda, der Bürgerkrieg in Liberia stehen jenseits jeder Erklärbarkeit. An ihnen will Baberowski zeigen, dass es nicht von Absichten und Überzeugungen, sondern von Möglichkeiten und Situationen abhängt, ob jemand den Raum der Gewalt betritt und sich seinen Regeln unterwirft. Der Autor beschreibt das Erleben von Gewalt als eine Reise in eine neue Welt, in der andere Regeln gelten und andere Menschen leben. In ihr verschieben sich die Maßstäbe für Normalität. Was man für selbstverständlich hielt, erscheint im Licht der Gewalt seltsam fremd, und Außergewöhnliches wird zum Alltäglichen. So richtet Baberowski seine Fragen mehr auf die Eigenlogik und die Dynamik von Gewaltverhältnissen, darauf, was die Gewalt mit Menschen macht und was die Menschen mit Gewalt machen. Damit gelingt es ihm, sowohl den Zwängen, die ein solcher Raum schafft, als auch der Verantwortung, die dennoch bleibt, Rechnung zu tragen. Christina Herzog Jörg Baberowski Räume der Gewalt (S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015, 263 S., 19,99 €) Neues vom Teufel E ine neue Biografie über den Teufel? Der Titel lässt aufhorchen in Zeiten, in denen das Böse in der Welt präsenter denn je erscheint und in denen auch der Papst den Teufel öfter als seine Vorgänger nennt. Kurt Flasch zeichnet den Ursprung und die Ausdifferenzierung der Rede vom Teufel insbesondere im Christentum breit nach. Spannend gelingt es ihm, die durch Jahrhunderte verwobenen Denkwege darzustellen, die aus der Frage nach dem Ursprung des Unheils den Teufel als mehr oder weniger ebenbürtigen Gegenpart Gottes haben werden lassen. Der Verfasser widmet dem „Aufbau“ der Lehre vom Teufel ebenso viel Raum wie dem „Abbau“: ihrer theologisch-philosophischen Dekonstruktion, die, grundgelegt schon in mittelalterlicher Kritik, mit der Neuzeit – wenn auch nicht mit der Reformation – beginnt. Nach Flasch kommt dem Teufel zwar eine historische und insofern „wirkliche“ Existenz zu – jedoch keine reale. Er lebe in Europa nur noch „als geschichtliche Figur oder artistischer Einfall“. Zu warnen wäre nach Flasch daher wohl eher vor der personalen Vorstellung des Teufels als vor dem Teufel selbst. Das Christentum ist hier in seiner Rede vom „personalen Bösen“ herausgefordert. Die historische Folie bietet zahlreiche Anregungen für einen reflektierten und sensiblen Umgang mit den Anfragen nach dem Wesen und dem Ursprung des Bösen. Norbert Schwab Kurt Flasch Der Teufel und seine Engel Die neue Biographie (Verlag C. H. Beck, München 2015, 462 S., 26,95 €)
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