bücher - Christ in der Gegenwart

BÜCHER DER GEGENWART
HERBST 2015
Von Christian Heidrich
V
or gut 20 Jahren veröffentlichte der
Salzburger Theologe Gottfried Bachl
ein Büchlein mit dem auffälligen Titel „Der schwierige Jesus“. Pointiert waren
auch die Gliederungspunkte, die nicht nur
den „schwierigen“, sondern auch den „winzigen“, den „nackten“, gar den „hässlichen“
Jesus vorzustellen suchten. Nein, das Werk
zielte keinesfalls auf einen Skandal, es war
vielmehr eine zupackende Meditation über
die Radikalität des Mannes aus Nazaret,
über seinen so schnellen wie „abgebrochenen“ Lebensweg, schließlich auch über
seinen furchtbaren, „abstoßenden“ Tod.
Nichts, was der Autor darlegte, war unbekannt – und doch wirkte die Lektüre befreiend, erschloss eine unpathetische, lebensnahe Perspektive auf Jesus, über den schon
seit langem alles gesagt schien.
Jetzt kann man wieder von neuem staunen, manche naive Vorstellung zurechtrücken, sich produktiv empören. Ein kleines
oder auch schon ein großes Lektürewunder!
Navid Kermanis „Ungläubiges Staunen“
lädt ein zur Auseinandersetzung. Das Werk
des 1967 in Siegen geborenen Orientalisten und Schriftstellers mit deutschem und
iranischem Pass möchte den Leser, fromm
oder unfromm, keinesfalls bestätigen und
beruhigen. Es ist der Blick eines gelehrten
Moslem, der sich anhand von Gemälden,
Bildern und liturgischen Gegenständen
dem christlichen Glauben und seinen Traditionen nähert, der bejaht und verneint. Es
ist die Sicht eines „Andersgläubigen“ und
eines „Ungläubigen“, wie Kermani häufig,
ermüdend häufig, betont.
Renis „Kreuzigung“
Dabei präsentiert sich der Autor als ein homo
religiosus, als ein Mensch, der Gebet und Ritus, der heilige Orte und Schriften wie die
Luft zum Atmen braucht. Wie oft nimmt
er lange Wege und Umwege auf sich, um
ein bestimmtes Gemälde in Augenschein
nehmen zu können. Wie viele Male lesen
wir von seinem geduldigen Warten auf den
Beginn eines – christlichen – Gottesdienstes,
von seiner Hartnäckigkeit, wenn es darum
geht, seine Anschauung eines berühmten
Kunstwerks zu verteidigen, auch wenn die
althergebrachte Meinung und der museale
Audioguide eine ganz andere Sicht vorschlagen! Das ist großartig und selten genug in einer Zeit, in der die intellektuellen Leitwölfe
„Religion“ zumeist von außen betrachten, sie
auf „Wertevermittlung“ und „Kontingenzbewältigung“ reduzieren. Kermani hingegen ist
ein Insider und ein Liebhaber der Religion,
er nimmt die Glaubensaussagen wahr und
ernst, prüft sie, bejaht sie oder lehnt sie entschieden ab. Das ist nicht immer leicht zu
ertragen und muss nicht immer gut gehen.
2009 verursachte Kermanis Deutung von
Guido Renis „Kreuzigung“ einen mittelgroßen Skandal. In einer „Bildansicht“, die
in der „Neuen Zürcher Zeitung“ veröffentlicht wurde, stellte er seine „Absage“ an das
zentrale christliche Symbol, an das Kreuz,
in mehr als deutlichen Worten dar, sprach
knallhart von „Gotteslästerung und Idolatrie“: „Gerade weil ich ernst nehme, was es
darstellt, lehne ich das Kreuz rundherum
Muslimisches Staunen
Navid Kermanis Werk über das Christentum lädt ein
zu einem anderen Blick – und zur Auseinandersetzung.
ab. Nebenbei finde ich die Hypostasierung
des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich,
ein Undank gegenüber der Schöpfung, über
die wir uns freuen, die wir genießen sollen,
auf dass wir den Schöpfer erkennen.“ Diese
Sätze schienen Kermani eine Zeit lang vom
Hessischen Kulturpreis auszuschließen, den
er mit Kardinal Karl Lehmann, dem ehemaligen Kirchenpräsidenten von Hessen-Nassau
Peter Steinacker und dem Vizepräsidenten
des Zentralrats der Juden, Salomon Korn,
entgegennehmen sollte. Der Konflikt wurde
in aller Stille beigelegt, wenngleich die mediale Orchestrierung eine äußerst lebhafte war.
Warum hast du uns verlassen?
Erst später wurde der andere Pol in Kermanis
Text wahrgenommen. Bei aller entschiedenen Ablehnung des Kreuzes wusste der Autor zu berichten: „Und nun saß ich vor dem
Altarbild Guido Renis in der Kirche San
Lorenzo in Lucina und fand den Anblick so
berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals
dachte ich: Ich – nicht nur man –, ich könnte
an ein Kreuz glauben.“ Reni sei das seltene
Kunststück gelungen, so führte Kermani aus,
das körperliche Leiden ins Metaphysische
zu übersetzen. „Jesus leidet nicht, wie es die
christliche Ideologie will, um Gott zu entlasten, Jesus klagt an: Nicht, warum hast du
mich, nein, warum hast du uns verlassen?“
Auf solche überraschenden, weiterführenden oder schockierenden Wendungen
muss sich der Leser auch bei der Lektüre
von „Ungläubiges Staunen“ einstellen. Es sind
vierzig Betrachtungen zu Bildern und Motiven der christlichen Tradition, die Kermani
in drei Abteilungen sammelt. Der Lebensweg
Jesu wird in „Mutter und Sohn“ verhandelt.
In „Zeugnis“ blickt der Autor auf Gestalten
aus dem Alten und dem Neuen Testament,
auf bekannte und unbekannte Heilige, auf
Paolo Dall’Oglio auch, den Jesuitenpater, der
in der syrischen Wüste das Mar-Musa-Kloster wiederbelebte, sich mit Leib und Seele
dem christlich-islamischen Gespräch widmete und im Juli 2013 in Raqqa von Islamisten entführt wurde. In „Anrufung“ schließlich geht es um „Berufung“ und „Gebet“, um
„Wissen“, „Lust“ oder „Freundschaft“, um
Motive also, die die großen Worte des Glaubens in lebbare Einheiten übersetzen.
Allen Betrachtungen ist gemeinsam, dass
sie sich auf – mindestens – ein Kunstwerk,
auf ein Foto oder auch einmal auf einen
Screenshot berufen. Wer nach Kermanis
Deutung der „Kreuzigung“ von Guido Reni
sucht, wird sie finden, freilich in einer merklich veränderten Form. Die „Sätze“, um die
es damals ging, sind jetzt in die Betrachtung
der Kreuzskulptur von Karl Schlamminger
(geb. 1935) eingegangen. Auch hier ist der
Ton entschieden und kompromisslos, auch
hier überrascht gleichzeitig ein fast schon
lyrisches Bekenntnis zu einem christlichen
Kunstwerk, das Kermani „dezidiert christlich
und zugleich mehr als nur christlich, in seiner
EDITORIAL
An den Grenzen
V
iele Grenzen sind menschengemacht, darunter die völkischen,
politischen, nationalen. An ihnen spielen
sich seit Menschengedenken wiederkehrend Dramen ab, nicht zuletzt die
grenzüberschreitenden Kriege, Völkerwanderungen und Flüchtlingsnot. Aber
es gibt auch die friedlichen, gewollten
Grenzüberschreitungen, heutzutage als
Globalisierung von Waren und Dienstleistungen, dazu der Menschenaustausch
des Wissens für wirtschaftliche, wissenschaftliche, kulturelle Zwecke.
Am stärksten fordern den Menschen
jedoch die natürlichen Grenzen heraus,
die nicht von ihm gemacht und nicht zu
überschreiten sind – die Grenzen des
Todes, des Denkens und Fühlens, die
Grenzen des Verstehens, der Logik, des
Absurden, Paradoxen. Die leidvollste
und am stärksten hoffnungsbeladene
Grenze ist die, die uns trennt vom Jen-
seitigen, von „Gott“. Niemand hat Gott
je gesehen. Dennoch ist der Traum von
Gott als „Offenbarung“ irgendwann
einmal vor aller Zeit und in aller Zeit in
die Evolution zum modernen Menschen
hin eingepflanzt worden. Wie war diese
Grenzüberschreitung möglich, woher
kam dieser lichte Moment der Intuition?
Von jenseits der Grenze?
Seitdem mühen sich das religiöse
Forschen und Beten, das Glauben, Theologisieren und Philosophieren mitsamt
der Literatur, der Kunst, um mit immer
neuen Spekulationen vom Immanenten
ins Transzendente hineinzulauschen.
Gibt es doch etwas, was von jenseits der
Grenze zu uns herübertritt, uns eine
Ahnung ermöglicht von dem, was sein
könnte, wenn nichts mehr ist? Gerade
das Religiöse hat Grenzen – und bleibt
dennoch grenzenlos neugierig, weiterhin
auch in den Bücherwelten.
rö.
Ästhetik frühchristlich, damit orientalisch
und zugleich von heute“ erscheint. An dieser
Stelle zeigt sich auch, in welche Richtung der
Autor das christliche Bekenntnis umdeuten
möchte. Das Kreuz „steht nicht für die Inkarnation in nur einem Menschen, es steht für
die Inkarnation als ein Prinzip“. Eine schnelle
Lektüre könnte über diesen Satz leichtfüßig
hinwegschreiten. Aber Kermani verwirft hier
die entscheidend christliche Aussage über die
Menschwerdung Gottes „in“ Jesus Christus,
verwandelt den ewigen Skandal der christlichen Konkretheit (vgl., 1 Kor 1,22–24) in eine
alles und nichts sagende, wenngleich freundschaftliche Formel. Man könnte geneigt sein,
dieses „Freundschaftsangebot“ anzunehmen.
Mehr wert als die sonst anzutreffende Haltung von Beliebigkeit und Gleichgültigkeit ist
es allemal. Nur verwässert es eben das, was
die Tiefe des Christentums ausmacht, löst es
im Vorbeigehen auf. Kermani staunt, ist von
christlicher Kunst und manchem christlichen
Lebensweg, von dem Prinzip der niemanden
ausgrenzenden Liebe fasziniert – und bleibt
doch seiner eigenen, der islamischen Tradition treu. Vom „Christentum“ ist im Untertitel des Werks die Rede. Es ist Kermanis
Christentum, eine leuchtende Auswahl, eine
Häresie im ursprünglichen Wortsinn
In Assisi wie in Mar Musa
Wer sich mit dem diesjährigen Träger des
Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
auf eine Reise durch christliche Traditionsstücke wie durch die christliche Gegenwart
begibt, der wird selbst zum Staunenden, der
wird dankbar sein und sich nicht selten aufregen. Staunen wird er über den Willen und
die Energie Kermanis, an „unmöglichsten“
Orten nach Zeugen und Zeugnissen der
christlichen Kultur und Identität zu fahnden.
Rom, Paris, Assisi oder Köln – geschenkt;
aber Kosovo oder Mar Musa in Syrien? Das
spricht von einer Passion und von einer
Liebe. Dankbar ist der Leser, weil er bei fast
jeder Betrachtung einen originellen Gedanken, einen inspirierenden Blick auffangen
darf. Nur in der „Zeugnis“-Sammlung, dort,
wo es um Hiob, Hieronymus oder Ursula
geht, wirkt Kermani etwas schwächer, endet
allzu vieles im Anekdotischen.
Und ja, auch für den Ärger, man mag
ihn einen produktiven nennen, bleibt Platz
genug. Manch „offener“ Ton überschreitet
die Grenze zum Geschmacklosen, manches
Selbstbekenntnis wirkt selbstgefällig anmaßend, manche „erotische“ Deutung ist so vorhersehbar wie ermüdend. Kermanis Entfaltung „seines“ Christentums bleibt dennoch
ein so lesenswerter wie erstaunlicher Wurf.
Es ist aber kein Zufall, wenn der Rezensent
jetzt wieder Gottfried Bachls „Der schwierige Jesus“ auf seinem Schreibtisch liegen
hat. „Denn Jesus ist das Abenteuerlichste,
Aufrechteste, Brennendste und Liebenswürdigste, das im Christentum zu finden ist“,
schreibt der Salzburger Theologe in seiner
Schlusswendung. Der Orientalist Kermani
würde wohl nicht widersprechen. Man lese
beide Werke und bedenke die Zwischentöne.
Navid Kermani
Ungläubiges Staunen
Über das Christentum (C. H. Beck, München
2015, 303 S. mit 49 farbigen Abb., 24,95 €)
462 Glaubensgeschichte
Nr. 42 / 2015 BÜCHER CIG
Küngs Päpste
ie Wahrheit ist subjektiv, meinte der
dänische Philosoph Sören Kierkegaard. Das meint durchaus auch Hans Küng
und sagt über sein neues Buch, dass es sich
„um eine persönliche Wertung der sehr
unterschiedlichen Pontifikate“ der Päpste
handelt, die er erlebt und mit deren Kirchenverständnis wie Kirchenpolitik er sich
stets öffentlich auseinandergesetzt hat.
Besonders reizvoll ist der Band, der auf
Küngs „Erinnerungen“ zurückgreift, für die
„Nachgeborenen“, die die katholischen Milieus von einst nicht kennengelernt haben.
Interessant ist die Zusammenschau allerdings auch für jene, die das spezielle römische Milieu und seinen kurialen, höfischen
Klerikalismus allenfalls vom Hörensagen her
wahrnehmen. Küng hat sich den Binnenwelten ausgesetzt, als junger Student in Rom, als
Konzilsberater, als theologischer – wie man
neudeutsch sagen würde – Networker, der
an den Dreh- und Angelpunkten der kirchlichen wie theologischen Entwicklungen an
einem neuen Paradigma arbeitete und erfolgreich neue Sichtweisen im breiten Volk
Gottes anregte. Viele Namen des vatikanischen Milieus tauchen in dem Buch auf. Sie
belegen, wie selbst Päpste eingespannt sind
in institutionelle Struktur- und Überlieferungszusammenhänge, deren Beharrlichkeit
für eine sich selber reproduzierende, reformfeindliche „Stabilität“ sorgt.
Küngs Blick richtet sich bevorzugt darauf, was Päpste gegen die blockierende
kuriale Gewalt hätten unternehmen können, aber nicht getan, vielleicht auch nicht
gewagt haben. So offenbart das Buch einen
Zwiespalt zwischen Küngs heftiger Kritik
an päpstlichem Alleinherrschaftsanspruch,
Jurisdiktionsprimat und Unfehlbarkeit und
der Forderung, dass die Päpste genau diese
beklagte Macht hätten anwenden müssen,
um die Kurie in die Schranken zu weisen.
Um diesen roten Faden rankt sich die
päpstliche Ereignisgeschichte des Buches.
Das Hauptaugenmerk liegt auf Versäumnissen, selbst bei wohlwollenden Einschätzungen etwa von Johannes XXIII. oder der
ersten Amtsphase von Paul VI. Gnadenlos
rechnet Küng mit Johannes Paul II. ab, der
ihm – vielleicht aufgrund einer vorangegangenen sehr kritischen öffentlichen Beurteilung des ersten Amtsjahres – die Lehrerlaubnis entzogen und als Einziger dem
Konzilstheologen jegliche Korrespondenz,
jeglichen persönlichen Kontakt verweigert
hat. Von daher ist es verständlich, dass die
Verletzungen Küngs hier die Feder führten.
Allerdings hätte durchaus großzügig gewürdigt werden können, was Johannes Paul II.
für das von Küng selber stark angemahnte
bessere Verhältnis zum Judentum geleistet
hat, für den interreligiösen Dialog, für die
nicht nur in der Kurie abgelehnten religionsübergreifenden Friedensgebetstreffen
in Assisi. Nicht zu vergessen die schon einmalige Vergebungsbitte für Schuld im Lauf
der Kirchengeschichte. Keineswegs zu unterschätzen ist die – wenn auch noch nicht
endgültig geklärte – Rolle des polnischen
Papstes in der Wende Osteuropas.
Demgegenüber geht Küng erstaunlich
mild mit seinem Kollegen Joseph Ratzinger
als Papst Benedikt XVI. um. Große Hoffnungen richten sich auf Franziskus I., der mit
Küng „brüderlich“ korrespondiert hat.
Wüstenmütter
Leider ist das Werk nicht frei von unnötigen Selbststilisierungen des – mit Rahner – zweifellos wirkmächtigsten und bedeutendsten Theologen der zweiten Hälfte
des zwanzigsten Jahrhunderts, mit Inspirationen weit darüber hinaus. Hingegen
hinterlässt das Buch den etwas seltsamen
Eindruck, als ob sich in den letzten sechzig
Jahren kirchlich, religiös, theologisch nicht
viel getan hätte. Dabei haben wir es doch –
spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen
Konzil, vorbereitet durch wichtige Reformarbeiten – mit einem geistig-religiösen Paradigmenwechsel gewaltigen Ausmaßes zu
tun, gerade auch dank Küng.
Obwohl das Buch vorwiegend die Schattenseiten kennzeichnet, zeigt es indirekt, wie
weit wir uns von dem entfernt haben, was
der Student Küng 1948 bei seiner ersten Begegnung mit Pius XII. erlebte. Nicht einmal
eine alles überwachende, anmaßende Kurie
kann den Glaubenssinn des Volkes Gottes und die anregende Kraft der Theologie
bremsen. So ist Küngs Buch, so sind Küngs
Päpste in paradoxer Weise geradezu ein Beleg dafür, wie wenig bedeutsam Päpste sind
und wie unbedeutend die Kurienbehörden,
wenn es ums Eigentliche geht: um den Glauben an Gott, an Jesus Christus und die Reform-Entwicklung im Glaubensverständnis
selber. Wie tröstlich!
Johannes Röser
D
ie Frage eines Lebens nach dem Tod
beschäftigt Menschen seit Anbeginn
der Zeiten. Ebenso lange gibt es Berichte
von Jenseitsreisen. Eine Betrachtung mit
vielen Beispielen aus allen Kulturen und
Epochen bietet der Ethnologe Hans-Peter
Duerr. Seelenreisen sind etwas Persönliches, gesteht der Autor, da er bereits selber
außerkörperliche Erfahrungen gemacht hat.
Er erläutert Jenseitserfahrungen, etwa
die Wahrnehmung eines Tunnels oder den
Austritt aus dem Körper. Ausführlich geht
Duerr auf Hexentänze, Gesänge von Schamanen, Entführungen durch Außerirdische
sowie Marienerscheinungen ein und überlegt, ob es sich dabei um Halluzinationen,
Träume oder Rauschzustände handelt.
Dank der kritischen Auseinandersetzung
mit Erkenntnissen der Wissenschaft gleitet
das Buch an keiner Stelle in die bloße Erzählung ab. Eine große Vielfalt ergibt sich durch
die Erlebnisberichte, doch gelingt es dem Autor in der Regel, eine weitestgehend natürliche Erklärung des vermeintlich Übernatürlichen anzubieten, ohne eine letzte Gültigkeit
zu beanspruchen. Zu einer abschließenden
Deutung kommt Duerr nicht. So bleibt es
bei einer bunten Sammlung verschiedener
Phänomene, die von einem über 200 Seiten
starken Quellenverzeichnis und vielen Abbildungen ergänzt wird.
Amelie Tautor
E
Hans Küng
Sieben Päpste
Wie ich sie erlebt habe (Piper Verlag, München 2015, 380 S., 24 €)
Hans Peter Duerr
Die dunkle Nacht der Seele
Nahtod-Erfahrungen und Jenseitsreisen
(Insel Verlag, Berlin 2015, 387 S., 29,95 €)
Gabriele Ziegler
Die Wüstenmütter
Weise Frauen des frühen Christentums
(Camino, im Verlag Katholisches Bibelwerk,
Stuttgart 2015, 160 S., 18 €)
Sakramente –
immer gratis,
nie umsonst
Ottmar Fuchs zeigt auf:
Weil Gottes Liebe bedingungslos
ist, dürfen auch die Sakramente,
darf auch ihr Empfang nicht an
Bedingungen geknüpft werden,
da dies ihrem Wesen widerspricht.
Ottmar Fuchs
Sakramente — immer gratis, nie umsonst
208 Seiten · Broschur
ISBN 978-3-429-03878-6
14,90 Euro [D]
D
Seelenreisen
s ist keine Überraschung, aber immer
noch wenig dokumentiert: Christliche
Weisheit und Lebenskunst sind nicht an das
männliche Geschlecht gebunden. Über die
Wüstenmütter schreibt Gabriele Ziegler detailreich und mit großer Fachkenntnis, ohne
feministischen Zorn, aber mit Engagement.
In dem flüssig zu lesenden Band geht es um
Leben und Wirken dieser mutigen und ungewöhnlichen Frauen der frühchristlichen
Jahrhunderte, um den zeitgeschichtlichen
Hintergrund, den Bruch mit Familie und
Tradition, aber auch um die männlichen
Versuche, alles Weibliche aus der Geschichte zu tilgen. Vor allem aber geht es
um die drängende Suche nach Gott, bei der
die Wüstenmütter zu Fachfrauen der Seele
wurden. Was auch die moderne Psychologie
lehrt, war ihnen vertraut: Das seelische Leiden beginnt mit den zerstreuten Gedanken,
Heilung entsteht in der Sammlung.
Das Leben von Wüstenmüttern wie Theodora, Olympia oder Synkletika zu erhellen,
ist ein Ziel. Das andere: nach vorne schauen
und entdecken, dass Frauen durch die dauerhafte Herabsetzung unter Selbstzweifeln
leiden und gerade deshalb einen Aufbruch
in ein ganz anderes Leben ersehnen. Die
weisen Frauen der Wüste machen vor, wie es
gelingen kann.
Barbara Münzer
Die Reformation
aus katholischer Sicht
Der katholische Reformationshistoriker Rolf Decot behandelt
ausführlich die von Luther ausgehende Bewegung, von der andere
Reformatoren oder die Täufer ihre
Anregungen empfingen. Auch
die katholische Antwort auf die
Reformation im Konzil von Trient
sowie die Entstehung der Konfessionen werden in diesem spannenden Blick auf die stürmischen
Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts
beleuchtet.
288 Seiten | Gebunden mit
Schutzumschlag
€ 29,99 / SFr 39.90 / € [A] 30,80
ISBN 978-3-451-31190-1
Neu in allen Buchhandlungen
oder unter www.herder.de
www.echter-verlag.de
CIG BÜCHER Nr. 42 / 2015
Geschichte 463
Baecks Leben
in Leo Baeck (1873–1956) fehlt heute
vielleicht den jüdischen Gemeinden,
bestimmt aber den christlichen Kirchen.
Diesen engagierten, treuen Seelsorger, hochgelehrten Rabbiner, Hochschullehrer und
Autor führte sein Weg aus der schlesischen
Provinz über Düsseldorf nach Berlin. Als
Schüler des Philosophen Hermann Cohen
selber moderat liberal und immer verbindlich besaß er auch die Wertschätzung der orthodoxen Kollegen, sonst wäre er nicht 1922
zum Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Rabbinerverbandes gewählt worden.
Nach Hitlers Machtübernahme wurde Baeck
Präsident der Reichsvertretung der Deutschen Juden. Obwohl er die Chance hatte,
im Ausland zu leben, blieb er in Deutschland. Hier, so seine beeindruckende Stellungnahme, sei sein Ort, solange auch nur
ein Minjan, also die Mindestzahl von zehn
Männern beziehungsweise Menschen für
einen jüdischen Gottesdienst, da sei.
Infolge solcher Solidarität kam auch
Baeck für über zwei Jahre ins Konzent-
rationslager Theresienstadt. Drei seiner
Schwestern fanden hier den Tod. Gegen
nicht geringe Widerstände betrat er nach
1945 den verbliebenen Juden zuliebe wieder
deutschen Boden. Für die Verständigung
von Juden und Christen ist er, der unter anderem ein von Sympathie für Jesus und die
Christen getragenes Buch – „Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte“ – geschrieben hatte, ein großer
Anbahner.
Maurice-Ruben Hayoun erzählt Baecks
Geschichte chronologisch. Ausführlich
blendet er Hintergründe und Kontexte von
Baecks Denken und Handeln ein, so dass
das Werk – trotz einiger langatmiger Passagen und kleinerer Ungenauigkeiten – höchst
lehrreich ist.
Paul Petzel
Maurice-Ruben Hayoun
Leo Baeck
Repräsentant des liberalen Judentums (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
2015, 400 S., 49,95 €)
Tausendjähriges Christusreich
Manfred Scheuer
Wider den kirchlichen Narzissmus
Ein spirituell-politisches Plädoyer
Manfred Scheuer mahnt als österreichischer CaritasBischof und Bischof von Innsbruck eine Spiritualität ein,
die offenbleibt für die aktuellen Nöte der Menschen. Sie
zeigt sich z. B. durch einen solidarischen Umgang mit
Flüchtlingen und Migranten.
5
Hans-Jürgen Goertz
Thomas Müntzer
Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biographie (Verlag C. H. Beck, München 2015,
352 S. mit 25 Abb. und 1 Karte, 24,95 €)
Für eine Kirche,
die mit den Menschen geht
www.tyrolia-verlag.at
»Die Sache mit Gott« –
Anstiftungen zum Glauben
keln. Deshalb lief er geradewegs ins Lager
der Fürsten über. Seine Streitschrift „Wider
die räuberischen und mörderischen Rotten
der Bauern“ verpflichtete die Mächtigen
darauf, sich dem Aufruhr mit aller Gewalt
entgegenzustellen. Später fühlte sich Luther
mitschuldig am großen Blutvergießen.
„Dran, dran, dyeweyl das feuer hayß ist“,
spornte der zum „Schwert Gideons“ mutierte
Müntzer sein Heer – kleine Handwerker,
Bergknappen und Bauern – unter der Regenbogenfahne zur entscheidenden militärischen Aktion an. In einem „Endkampf “
setzte der eifernde Gotteskrieger alles auf
eine Karte und das Leben seiner enthusiastischen Anhänger aufs Spiel: Fünftausend
bezahlten dafür bei Frankenhausen mit ihrem Leben, und Müntzer wurde hingerichtet.
Sind die Ereignisse des Jahres 1525 ein ferner
Spiegel, in dem wir unsere eigene Gegenwart
erkennen können?
Thomas Brose
-3470-6, 208 Seiten,€ 19.9
ls Adam grub und Eva spann / wo war
denn da der Edelmann?“ Diese Losung
markiert eine religiös-politische Wendezeit
mit dem rasant wachsenden Wunsch der
„einfachen Leute“, stärker am gesellschaftlichen Reichtum beteiligt zu werden. Wie
der Hamburger Theologe und Sozialhistoriker Hans-Jürgen Goertz in einer fesselnden Biografie zeigt, war es Thomas Müntzer
(1488/89–1525), der diesen Impuls aufnahm,
kanalisierte und der so zum Streiter für ein
göttliches Reich schon auf Erden wurde.
Wollte Martin Luther mit seiner ZweiReiche-Lehre Theologie und Politik radikal
voneinander trennen, fühlte sich der mystisch-apokalyptische Vorkämpfer in einer
endzeitlichen Deutung der Welt dazu berufen, am Tausendjährigen Christusreich (Joachim von Fiore) tatkräftig mitzubauen. „Luther kannte kein Widerstandsrecht – anders
Müntzer. Er meinte, dass sich die Obrigkeit
selbst um ihre Existenz bringe, wenn sie die
Frommen nicht schütze und die Gottlosen
nicht strafe“. In Müntzers Predigten sah der
Wittenberger Reformator dagegen einen
Anschlag des Antichristen, um das wiederentdeckte „reine Wort Gottes“ zu verdun-
geb. m. SU, ISBN 978-3-7022
A
Franz Alt
WAS JESUS WIRKLICH
GESAGT HAT
Eine Auferweckung
352 Seiten / gebunden
mit Schutzumschlag
€ 22,99 (D) / € 23,70 (A) / CHF* 30,90
ISBN 978-3-579-08522-7
*empf. Verkaufspreis
E
Die Botschaft Jesu: Feuer
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von Franz Alt ist ein Appell
an alle, die Botschaft Jesu
lebendig werden zu lassen.
Wer den echten aramäischen
Jesus kennenlernt, wird
Jesus neu entdecken.
Dieses Lesebuch will ein Leitfaden sein durch die wichtigsten
Überlegungen von Heinz Zahrnt
zur Gegenwart und Zukunft des
Christentums zwischen Atheismus
und Neuer Religiosität. Mit einer
Einleitung von Margot Käßmann.
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Das Heinz-Zahrnt-Lesebuch
Hrsg. von Margot Käßmann
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Majella Lenzen macht eine Bestandsaufnahme und betrachtet ihr »neues«
Leben ohne äußere Verpflichtungen,
aber mit Eigenverantwortung und
vor allem einer ungebrochenen tiefen
Liebe zu Gott. Gleichzeitig schickt
sie eine mahnende Botschaft an die
Kirche, vielen schönen Worten endlich
auch Taten folgen zu lassen.
Majella Lenzen
VON FESSELN BEFREIT
Wie mir mein Glaube innere
Freiheit schenkt
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ISBN 978-3-579-08525-8
GÜTERSLOHER
VERLAGSHAUS
www.gtvh.de
Alle Bücher auch als
E-Book erhältlich
464 Kultur
Nr. 42 / 2015 BÜCHER CIG
Der Fremde – Gast
Sexualität, christlich
I
m Mittelalter hatten Eheleute Sex oft nicht
im Intimen, sondern wie selbstverständlich im Beisein anderer. Wie sonst hätte
eine Mechthild von Magdeburg, ledig als
Begine lebend, in praller Erotik ihre Liebesverbindung mit Christus besingen können?
Das ist nur eine Momentaufnahme, um die
„Geschichtlichkeit der Sexualität“ bewusster
zu machen. Dafür stellt Arnold Angenendt,
Altmeister sozialhistorischer und theologischer Kirchengeschichte, immenses Material
zusammen, mit vielen Anmerkungen und
Literatur. Deutlich wird zum Beispiel, wie
der noch behutsame Impuls altgriechischer
Philosophie – von Aristoteles und besonders
der Stoa – im zwölften Jahrhundert zu dem
revolutionären Durchbruch führte, dass die
Ehe auf dem freien Willen zweier Gleichberechtigter beruhe. Faktisch kommt damit das
Konzept der romantischen Liebe in die Welt.
Dass christlich nicht mehr die Blutabstammung gilt, sondern die Wiedergeburt aus
dem Geist, bringt revolutionäre Veränderungen: „Nicht mehr Stammesfamilie, nicht
mehr Vergöttlichung der Ahnen“.
Auch die „Beseitigung der Unehrenhaftigkeit der Sünder“ und ein neuer Begriff von
Reinheit – von innen, nicht durch äußere Befleckung – durch die „Jesus-Zäsur“ verändern
die Lage. Zwar bleiben uralte hygienisch-religiöse Auffassungen auch in der Kirche noch
wirkmächtig, etwa die Vorstellung von der
Verschwendung des männlichen Samens,
in dem man ja schon den ganzen Menschen
enthalten sah, außerhalb des Zeugungsaktes,
mit Konsequenzen auch für das Verständnis
von Homosexualität. Doch der emanzipative
Schub durch die Jesus-Verkündigung und
ihre Wirkungsgeschichte wird desto deutlicher, je mehr man sich mit dem vorliegenden
Werk die repressive und patriarchale Struktur der angeblich so sinnenfreudigen Antike
bewusst macht. So gehört die Zivilisierung
der Lust, zumal der männlichen, wesentlich
zu den christlichen Impulsen.
Ein epochal neuer Akzent kommt seit
Paulus mit der „Ehelosigkeit um des Him-
melreiches willen“ ins Spiel – von großer Bedeutung für die Emanzipation der Frauen.
Der höchst material- und aufschlussreiche
Durchblick zeigt aber auch hier, wie sich
mühsam die emanzipatorischen Aspekte in
der Geschichte durchsetzten. Ein Hieronymus (gestorben 419/20) konnte gnadenlos
formulieren, was jeder gesunden Schöpfungstheologie widerspricht: „Wir halten
jeden Koitus für schweinisch.“ Nicht zuletzt „die augustinische Verdammung der
Sexuallust“ blieb sehr lange wirkmächtig,
weit über Reformation und Renaissance
hinaus, „mit urlanger biologischer, rechtlicher, religiöser Minderposition der Frau“.
Auch in der weiteren Geschichte zeigt sich
diese Spannung zwischen emanzipativen
Impulsen aus dem Geist des Evangeliums
und Rückfällen unter dessen Niveau.
Gerade weil Angenendt viele Stimmen
unterschiedlichster Fachleute zu Wort kommen lässt, große Linien detailreich auszieht
und ebenso klar wie behutsam urteilt, wird
das Besondere des Christentums in seiner
Größe und Grenze deutlich, ansatzweise
auch im Religionsvergleich und nicht zuletzt im Hinblick auf aktuell drängende
kirchliche Reformthemen. Was bedeutet es
heute, dass es in den Anfängen „jahrhundertelang … verheiratete Bischöfe und Priester
gegeben“ hat? Massive Anfragen stellen sich
auch an Lehramt und Kirchenrecht.
Das lesenswerte Buch atmet ökumenische Weite, mit einem besonderen Abschnitt zu Martin Luther und zu evangelischen Traditionen sowie Bezügen zur
Orthodoxie. Es ist ein beachtliches Dokument katholischer Selbstaufklärung und
gefährlicher Erinnerung der historischen
Vielfalt, nicht zuletzt ein würdigendes Eingedenken der Opfer.
Gotthard Fuchs
Arnold Angenendt
Ehe, Liebe und Sexualität im
Christentum
Von den Anfängen bis heute (Aschendorff
Verlag, Münster 2015, 324 S., 19,90 €)
ARNOLD ANGENENDT
&
EHE, LIEBE
SEXUALITÄT
IM CHRISTENTUM
VON DEN ANFÄNGEN
BIS HEUTE
F
ür den Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Erhard Oeser ist die Angst
vor Fremden ein „Phänomen, das die Geschichte der Menschheit von allem Anfang
an bis heute begleitet“. Der Autor illustriert
beispielhafte historische Episoden von Xenophobie. Diese beschreibt er anschaulich
und ausführlich, gleichzeitig aber in einer
angenehm nüchternen Sprache, die der zuweilen sehr emotionalen Debatte guttut.
Der Verfasser geht zurück bis zu den ersten schriftlichen Zeugnissen über den Umgang mit Fremden im alten Ägypten und bei
den Babyloniern. Oeser sieht die Antike als
„Vorspiel der gesamten europäischen oder
besser gesagt eurozentrischen Xenophobie“,
daher lassen sich viele Aspekte, die heute
noch wirksam sind, schon hier beobachten.
Das Verhältnis zu den Fremden ist oft
ambivalent: Einerseits werden Fremde
schon bei den alten Ägyptern als Feinde,
Frevler und Tempelschänder gekennzeichnet, andererseits zeigen sie sich im
Alltag auch als geschätzte Handwerker,
Soldaten- und Polizeitruppen, Beamte usw.
Diese Doppeldeutigkeit findet sich auch im
griechischen Wort xenos, das ursprünglich
nicht nur den Fremden, sondern auch den
Gastfreund meinte. Aber schon Platon und
Aristoteles sahen Fremde vor allem als
unerwünschte Eindringlinge, die von der
einheimischen Bevölkerung ferngehalten
werden sollen.
Als weitere Beispiele für die Angst
vor den Fremden thematisiert Oeser das
schwierige Verhältnis zwischen „Abendland“ und „Morgenland“, zwischen Christen und Muslimen. Er zeigt die lange und
oft schwierige gemeinsame Geschichte auf,
beschreibt die Fremdenfeindlichkeit und die
Völkermorde während der „Entdeckung“
der beiden Amerikas, die durch die großen
Forschungsreisen seit dem 16. Jahrhundert
ausgelösten Aggressionen, die Auseinandersetzung mit den Kulturen des Fernen
Osten und mit Afrika. Den Kolonialismus
und Imperialismus greift Oeser in einem
eigenen Kapitel noch einmal auf, ebenso
erläutert er Nationalismus und Rassismus.
Den Gang durch die Geschichte und die
Reise um die Welt schließt der Autor mit
der aktuellen Auseinandersetzung zwischen
Muslimen und Christen, dem dschihadistischen Terror seit 2001 ab. Als Beispiel für
eine islamophobe Stimmung zieht Oeser
Thilo Sarrazin heran. Dessen Haltung kritisiert er, zeigt aber keine Gegenposition auf.
Die ausgewählten Beispiele für Fremdenhass illustrieren die schrecklichen Auswüchse, die diese „angeborene Konstante“
annehmen kann. Leider zu kurz kommen
dabei die alltäglichen Ausprägungen von
Xenophobie und Rassismus, gerade jetzt,
da die Fremden nicht mehr weit weg, sondern mitten in und am Rande unserer Gesellschaft leben. Auch behandelt das Buch
die Ausbrüche aggressiver Fremdenfeindlichkeit und die Bedeutung und Funktion
der Fremdenangst für die Gesellschaft nur
am Rande.
Erhard Oeser nutzt viele zeitgenössische
Quellen und Texte, um einen anschaulichen
Einblick in die jeweilige Ausprägung der
Fremdenfeindlichkeit zu geben. Die Sprache und die Bezeichnungen der jeweiligen
Zeit sind manchmal irritierend, da sie oft
unkommentiert bleiben. Insgesamt wäre
eine stärkere Einordnung der ausgewählten
Beispiele wünschenswert gewesen.
Wer Erklärungen und Lösungsansätze
erhofft, die über ein Plädoyer für die Stärkung des wissenschaftlichen Austauschs
und der allgemeinen Menschenrechte hinausgehen, wird von diesem Buch eher enttäuscht. Oeser bietet mit seinem Text aber
einen interessanten historischen Überblick
und verdeutlicht so auch die weltweiten Verstrickungen und Verantwortlichkeiten der
(west)europäischen Nationen. Clara Epping
Erhard Oeser
Die Angst vor dem Fremden
Die Wurzeln der Xenophobie (Theiss Verlag,
Darmstadt 2015, 504 S., 29,95 €)
Das Buch stellt alle kontroversen Aspekte um Ehe,
Liebe und Sexualität aus historischer Perspektive
dar – mit teilweise verblüffenden Einblicken:
Die heute zum Weltexportartikel gewordene
romantische Liebe ist ohne Christentum
nicht denkbar.
Arnold Angenendt
Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum
Von den Anfängen bis heute
Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag
324 Seiten, Ladenpreis: 19,90 EUR
ISBN 978-3-402-13146-6
Auch als E-Book erhältlich
www.aschendorff-buchverlag.de
CIG BÜCHER Nr. 42 / 2015
Leben 465
Moral ohne Gott
E
inander helfen oder wenigstens niemandem wehtun. Das sind laut Frans
de Waal, Primatenforscher und Professor
für Psychobiologie, die Grundpfeiler von
Moral. Doch woher kommen diese Forderungen? Sind sie von einer höheren Macht
auferlegt worden? Sind es Prinzipien, die
man allein mit der Vernunft erkennen
kann? De Waal sieht den Ursprung woanders: in den Emotionen. Die Empathie, das
Einfühlungsvermögen, ist die Triebkraft
für moralisches Handeln, die Gründe dafür
werden erst im Nachhinein konstruiert. Das
Mitfühlen mit anderen ist zudem nicht nur
auf den Menschen beschränkt.
De Waal bringt Beispiele von anderen
Säugetieren, besonders Menschenaffen. Er
beobachtete, wie Schimpansen einer älteren
Artgenossin Trinken brachten oder es einem
sterbenden „Mitaffen“, der unter Schmerzen
litt, bequem machten. Seine Schlussfolgerung: Moral ist kein ausschließlich menschliches Phänomen, und sie existierte schon vor
den (heutigen) Religionen. Aber der Autor
kann dennoch einen Zusammenhang zwischen Ethik und Religion nicht ausschließen.
Denn es ist unmöglich zu sagen, wie sich in
Kulturen die Moral ohne Glauben entwickelt
hätte, gibt es doch keine, die nicht religiös ist
oder zumindest noch nie war.
Auch verteidigt de Waal Religion und
Spiritualität gegen einen Atheismus, der die
Nicht-Existenz Gottes proklamiert, jedoch
keine Alternative bietet, die aufgerissene Lücke zu füllen. Auch die (Natur-)Wissenschaft
kann kein Ersatz sein, denn ihre Aufgabe ist
es, das Leben und ihre Phänomene zu beschreiben, nicht den Sinn in unserer Existenz
zu ergründen oder Anweisungen für ein moralisch gutes Handeln zu geben.
Frans de Waal interessiert allerdings bloß
die Funktion der Glaubensgemeinschaften
für die Menschen, nicht ob darin tiefere
Wahrheiten ausgedrückt werden. Nicht Gott
steht im Mittelpunkt seiner Betrachtungen
des Christentums, sondern der Mensch, der
aufgrund seiner Bedürfnisse Religion konstruiert. Das Buch richtet sich an eine breite
Leserschaft. Biologische Grundkenntnisse zu
besitzen, ist jedoch hilfreich. Dorothea Röser
Frans de Waal
Der Mensch, der Bonobo und die
Zehn Gebote
Moral ist älter als Religion (Klett-Cotta,
Stuttgart 2015, 365 S., 24,95 €)
Scham und Diskretion: im Glauben
A
m Ende seines Buches über die Scham
im Horizont christlicher Religiosität
fasst Kristian Fechtner seine Wahrnehmung
in einem Bild zusammen, das zugleich das
Titelbild ist: ein Schlüsselbund mit Haus-,
Wohnungs- und Briefkastenschlüssel – und
einer etwas abstrakten Engelsfigur als Anhänger. Drei Züge der Religiosität in der
Spätmoderne seien darin erkennbar: Der
Engel ist unspektakulär, es haftet ihm etwas
Traditionelles an; er ist mit den Schlüsseln in
der Hosentasche, wo er ertastet werden kann,
aber nicht gezeigt werden muss; er hängt an
den Schlüsseln, die die Räume des Persönlichen öffnen, aber auch schützen.
Ausgehend von drei Beispielen aus
der zeitgenössischen Literatur (Bernhard
Schlink, Italo Calvino und Philip Roth) und
im Hinblick auf die Schamlosigkeit in den
Medien wird die Komplexität des Schambegriffs entfaltet. Auch die Scham und die
notwendige Diskretion im Glauben. Seine
Stärke hat das Buch in der Einbettung der
Scham in fünf biblische Kontexte: die Sündenfallerzählung, in der ausdrücklich vom
Sich-Schämen die Rede ist; die Begegnung
Jesu mit Zachäus und sein Umgang mit der
zur Steinigung herbeigebrachten Sünderin;
eu“ gehört nicht zu den Adjektiven,
die gemeinhin der Theologie zugeschrieben werden. Wenn aber – so Matthias
Sellmann – die „Ausrichtung auf das Neue
und der Grundverdacht gegen das Überkommene“ zu den Kennzeichen der Gegenwart
gehören, müssen Theologie, Glaube, Kirche
als bedeutungslos erscheinen. Das Zueinander von Theologie und „dem Neuen“ ist
Thema des von der theologischen Fakultät
der Universität Bochum erarbeiteten Bandes.
Aus Sicht der neutestamentlichen Exegese
beschäftigt sich zum Beispiel Thomas Söding
mit Jesus als Reformer, während Markus
Knapp als Fundamentaltheologe nach dem
Innovationspotenzial der Tradition fragt.
Der Band macht nicht nur deutlich,
dass aus der für Glaube und Theologie
kennzeichnenden Bezogenheit auf einen
Ursprung eine Kraft zur Veränderung und
Erneuerung erwächst, sondern diese Kraft
zugleich auch Neues schafft. Matthias Mühl
Wilhelm Damberg, Matthias Sellmann (Hg.)
Die Theologie und „das Neue“
Perspektiven zum kreativen Zusammenhang
von Innovation und Tradition (Verlag Herder,
Freiburg 2015, 349 S., 42 €)
Kristian Fechtner
Diskretes Christentum
Religion und Scham (Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, 192 S., 17,99 €)
100 klare Worte: die Kernaussagen aus »Laudato si’«
Das Neue der Theologie
NE
U
Papst Franziskus
DER SCHREI DER ERDE
Ein Beitrag zur Rezeption von »Laudato si’«.
Eine Einladung zum Gespräch.
Hundert Impulse zum Nachdenken und Handeln.
Hg. von Matthias Kopp, Sprecher der Dt. Bischofskonferenz.
ISBN 978-3-7346-1070-7
112 Seiten, gebunden, EUR 12,95
VERLAG NEUE STADT
Münchener Str. 2, D-85667 Oberpframmern, Tel. 08093 2091
E-Mail: [email protected]
www.neuestadt.com
Gesellschaft braucht Religion
Kirche und moderne Gesellschaft scheinen nicht vereinbar. Dabei existiert
die Kirche mitten in der modernen Gesellschaft.
Zwischen Anpassung und Widerstand muss sie in kritischer Solidarität ihr
Zeugnis in eine freiheitliche Kultur eintragen. Nicht von oben her bekehren,
sondern durch Beispiel und Argument überzeugen: darum geht es. Und so
in Gemeinschaft mit vielen anderen den Herausforderungen einer immer
komplexer werdenden, pluralen Zivilisation begegnen.
»Um den Weg in die Zukunft zu gehen,
brauchen wir beides: Beten und Denken!«
128 Seiten | € 12,00 | ISBN 978-3-466-37152-5
Auch als E-Book erhältlich
N
die Rede des Paulus vom Schandmal des
Kreuzes und die schöne Deutung des aaronitischen Segens (Num 6,24ff ). Man merkt,
dass der Verfasser als Pastoraltheologe auch
ein ausgewiesener Fachmann der – biblischen – Predigt ist. Seine Kommentare zu
den angeführten Schriftstellen sind erhellend und bringen manches Überraschende.
Scham und Diskretion sollten auch seelsorgerisch beachtet werden: beim Gottesdienst, beim Gebet, bei der Predigt, bei der
Sakramentenspendung, im Gespräch, im
Religionsunterricht. Erfahrungen aus dem
Seelsorgsalltag werden den Überlegungen
vorangestellt. Deshalb werden vor allem
Seelsorger dieses Buch mit Gewinn lesen.
Es klagt nicht über die rückläufige Kirchlichkeit, sondern nimmt die Diskretion
wahr, mit der viele Menschen ihren Glauben
schützen. Im Vorwort wird zustimmend
Theodor W. Adorno zitiert: „Woran einer
glaubt, könnte einer, der die Naivität verlor,
kaum ohne Scham … sagen.“ Jakob Paula
Kardinal Reinhard Marx
www.koesel.de
466 Kirche
Nr. 42/ 2015 BÜCHER CIG
er Innsbrucker Bischof Manfred
Scheuer hat eine inspirierende Sammlung von Aufsätzen, Predigten, Vorträgen vorgelegt, die aus der Perspektive des
Christusglaubens auf die Wunden der Welt
blicken. Er zitiert den Künstler Joseph Beuys
und dessen berühmte Installation „Zeige
deine Wunde“. Denn darum geht es: offenlegen, offen zeigen, woran Menschen leiden.
Diese Wirklichkeit der Armen, Kranken,
Verfolgten, Behinderten, Obdachlosen,
Trauernden, Flüchtenden, Verletzten ist in
den Wärmestrom des Christusimpulses zu
versetzen, damit, so Beuys, „die Todesstarre
überwunden werden kann“.
Der Verfasser berührt in fünf Kapiteln
zentrale biblisch-spirituelle Fragestellungen
unserer Zeit: Fluchtbewegungen, Armut,
Macht und Religion, religiöse Bildung. Vor
allem: Was heißt Christusnachfolge? Entstanden ist eine Art politisch-geistiges Notizbuch,
das ohne kirchliche Nabelschau auskommt,
sich kurzweilig liest und das Augenmaß für
die Lebensrealitäten behält. Immer wieder
zitiert der Autor anregende spirituelle Quellen aus dem französischsprachigen Raum.
So auch den Philosophen Maurice Blondel,
womit der Kern des Buches gut getroffen
ist: „Das Fenster der Verwundbarkeit ist ein
Fenster zum Himmel.“ Und: „Christus ist die
Wunde Gottes in der Welt.“ Jürgen Springer
Manfred Scheuer
Wider den kirchlichen Narzissmus
Ein spirituell-politisches Plädoyer (Tyrolia
Verlag, Innsbruck 2015, 208 S., 19,95 €)
I
n unserer nachchristlichen, kirchendistanzierten Gesellschaft bleibt das kulturelle Leben weiterhin vom christlichen Erbe
geprägt, wozu auch die gottesdienstliche
Feier gehört. Die vielfältigen Bezüge von
Kultur und Liturgie in einem geschichtlichen Durchgang zu erklären, ist das Anliegen dieses Buchs des katholischen Eichstätter Liturgiewissenschaftlers Jürgen Bärsch.
Gegenüber der eher auswählenden Darstellung „Liturgie in der Geschichte des Christentums“ von Herman A. J. Wegman (Regensburg 1994) liegt hier eine umfassendere
deutschsprachige Gesamtdarstellung vor.
Dabei mutet das Wort „klein“ im Titel
bescheiden an. Schon die sechs Seiten Inhaltsverzeichnis kündigen viele Details an.
Die nötige Beschränkung betrifft allerdings
den Begriff „christlich“: Denn der breitere
Raum der Darstellung gilt der katholischen
Entwicklung und darin vorzugsweise dem
deutschen Sprachgebiet.
Das Buch wendet sich an religiös offene
Leser ohne akademische Vorkenntnisse.
Der gut lesbare Stil wird unterstützt durch
ein Glossar mit 124 kurz erklärten Fachbegriffen. Außer den 47 Titeln im Literaturnachweis wird am Ende eines jeden der elf
Kapitel auch über weiterführende Literatur
informiert.
Eckhard Jaschinski
Jürgen Bärsch
Kleine Geschichte des christlichen
Gottesdienstes
(Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2015,
204 S. mit 6 Abb., 19,95 €)
Selbstbestimmt sterben?
Gibt es überhaupt authentische, selbstbestimmte Wünsche
zum assistierten Suizid und
wie sind diese zu verstehen?
Welcher Stellenwert kommt der
Gewissensentscheidung der
Betroffenen zu? Dieser Band
bietet fundierte Informationen
zur intensiv geführten ethischen Debatte.
Mit Beiträgen u.a. von Konrad
Hilpert, Veronika Hoffmann,
Adrian Holderegger, Jochen
Sautermeister, Knut Wenzel,
Markus Zimmermann.
D
em christlichen Glauben ist der Bezug
auf die Geschichte eingeschrieben.
Dies ergibt sich nicht nur aus der Tatsache,
dass sich das Bekenntnis auf Jesus Christus, also auf eine geschichtliche Person,
richtet, sondern auch aus dem Rang der
frühen literarischen Zeugnisse: Als „Neues
Testament“ zur Heiligen Schrift geworden, begründen sie die Aufgabe, sich der
Ursprungsgeschichte des Christentums zu
stellen.
Der Hallenser Neutestamentler Udo
Schnelle grenzt in seinem neuesten Buch die
Phase des „frühen Christentums“ auf hundert Jahre ein, da ab dem zweiten Drittel des
zweiten Jahrhunderts neue Fragestellungen,
neue literarische Gattungen und neue theologische Strömungen aufkamen.
Gestützt auf ein chronologisches Gerüst, verbindet seine Darstellung Ereignisgeschichte mit ideen- und sozialgeschichtlichen Aspekten der untersuchten
Epoche. Die Einbettung der frühchristlichen Geschichte in den kulturellen Kontext des Hellenismus und in die jüdischen
Traditionen wird sowohl grundsätzlich als
auch in seiner konkreten geschichtlichen
Auswirkung berücksichtigt. So wird zum
einen der größere geschichtliche Rahmen
beschrieben, zum andern aber auch gezeigt,
wie dieser Rahmen auf die frühchristliche
Geschichte Einfluss genommen hat: in
günstigen Bedingungen für die Mission,
in theologischen Prägungen und Anknüpfungsmöglichkeiten, in inneren und äußeren Konflikten.
Überzeugend zeigt Schnelle auf, dass das
christliche Bekenntnis von Anfang an durch
Pluralität gekennzeichnet ist. Er unterscheidet drei große Strömungen: die Jerusalemer
Gemeinde, die galiläische Jesus-Bewegung
und die Gemeinde von Antiochia mit Paulus. Zu diesen kommt später das johanneische Christentum als vierter Zweig hinzu.
Die weitere Entwicklung erscheint nicht
als Verfallsgeschichte, sondern als kreative
Reaktion auf die Herausforderungen einer
geschichtlichen Situation, die sich grundlegend gewandelt hat: im epochalen Einschnitt der Zeit um das Jahr 70 mit dem
Aussterben der ersten christlichen Generation und der Zerstörung des Jerusalemer
Tempels; im Ausbleiben der Wiederkunft
Christi; in sozialen Dissonanzen innerhalb
der Gemeinden; in theologischen Konflikten.
Es zeichnet die Darstellung aus, dass
die neutestamentlichen Schriften mit ihren
jeweiligen Profilen in diese geschichtliche
Entwicklung eingeordnet werden. Das Buch
bietet eine solide und zuverlässige Einführung in die Geschichte des frühen Christentums in Auseinandersetzung mit der älteren
und jüngsten Forschung.
Gerd Häfner
Udo Schnelle
Die ersten 100 Jahre des
Christentums 30–130 n. Chr.
Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion (UTB, Stuttgart, Vandenhoeck &
Ruprecht, Göttingen 2015, 589 S. mit
12 Abb., 29,99 €)
Gott und die Quantenphysik
Physik und Religion – sind diese beiden Wissen0 %ƞ"+*&1"&++!"/3"/"&+/Ȅ&")""+0 %"+
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Denkanstöße für ein
besseres Miteinander
Carla Amina Baghajati
Muslimin sein
224 Seiten / Paperback
€ 14,99 / SFr 19.90 / € [A] 15,40
ISBN 978-3-451-34287-5
25 Fragen – 25 Orientierungen
Die Sicht auf den Islam wird geprägt vom Bild der
Frau. Die Autorin geht von Fragen aus, die die religiöse
Praxis, das Mann-/Frausein, Ehe und Familie, den Alltag
und rechtliche Dimensionen betreffen. Sie hinterfragt
Klischees und Vorurteile und liefert wertvolle Denkanstöße für ein besseres Zusammenleben.
Neu in allen Buchhandlungen
oder unter www.herder.de
www.tyrolia-verlag.at
Klappenbroschur, 978-3-7022
-3429-4, 224 Seiten, € 17.9
5
D
Die ersten hundert Jahre
Kultur Liturgie
Wunde Welt
CIG BÜCHER Nr. 42 / 2015
Religionen 467
Eine Weltreligion im Aufbruch
Es bleibt eine spannende Frage,
wie das Christentum begann
und warum es sich so rasch und
erfolgreich über Kulturräume
hinweg ausbreitete.
Z
wei Fragen sind es, die beim Blick auf die
ersten Jahrhunderte des Christentums
unruhig werden lassen. Erstens: Was hat
Menschen bewogen, sich zum christlichen
Glauben zu bekehren und taufen zu lassen,
um Mitglied der Kirche zu werden? Sie wurden ja nicht gezwungen, sondern haben es
freiwillig getan, oft gegen erheblichen Widerstand und um einen hohen persönlichen
Preis. Zweitens: Wie hat sich das Christentum
auf den ersten Etappen seiner Geschichte
verändert? Es ist ja nicht im Palästina geblieben, sondern in die weite Welt aufgebrochen,
so groß, wie sie damals erschienen war, und
hat weite Zeiträume überbrückt, nicht nur
die hohen Zeiten des Wirkens Jesu oder der
Gemeindegründungen, sondern auch die
schlichten der Mühen in der Ebene.
In der wissenschaftlichen Literatur und
im allgemeinen Bewusstsein sind die Antworten auf beide Fragen umstritten. Die einen sehen ein Rätsel, die anderen ein Wunder, wieder andere eine kluge Strategie, wenn
sie auf die missionarischen Erfolge blicken,
die lange vor der „Konstantinischen Wende“
erzielt worden sind. Oft wird geurteilt, das
Christentum habe seine Seele verkauft und
sich dem hellenistischen Zeitgeist angepasst,
um erfolgreich zu sein. Wieder andere meinen, das Christentum habe das Kindliche
des neutestamentlichen Anfangs abgelegt
und sei im Laufe der Zeit erwachsen geworden, um dann mit Konstantin das Heft des
Handelns in die Hand nehmen zu können.
Franz Dünzl, Professor für Alte Kirchengeschichte in Würzburg, räumt mit solchen
Pauschalurteilen auf. Er gibt Antworten, die
er in einer Vielzahl antiker Quellen findet,
angefangen beim Neuen Testament, einbeschlossen die zahlreichen Kritiker des
Christentums, konzentriert auf die „Kirchenväter“ („Kirchenmütter haben ja leider
Gottes nichts schriftlich hinterlassen), auf
alte Liturgien und Kirchenordnungen. Dadurch entsteht ein buntes, lebensnahes, facettenreiches Bild, jenseits einer Sieger- und
einer Kriminalgeschichte des Christentums.
Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert.
Zuerst wird – unter einem apokalyptischen
Vorzeichen – die urchristliche „Fremdheit
in der Welt“ beschrieben, die teils gewollt,
teils erzwungen worden sei. Dann werden
die „Folgen des Erfolgs“ vom ersten bis
zum vierten Jahrhundert beschrieben, die
mit den Mitteln der historischen Soziologie
analysiert werden. Schließlich wird in (mehr
als) einem „Ausblick“ dargestellt, wie sich
unter Konstantin und seinen Nachfolgern
die veränderten politischen Rahmenbedingungen auf die neuen Formen kirchlicher
Organisation und persönlicher Lebensführung ausgewirkt haben.
Im Zuge dieser weit gespannten Darstellung werden die Leser nicht nur über viele
wichtige Aspekte der Kirchengeschichte
informiert, von der Entwicklung der Liturgie und des Amtes über die Etablierung
des Rechts und die Bildung des Kanons der
heiligen Schriften bis zu den jüdisch-christlichen Beziehungen, den innerchristlichen
Kontroversen und den Veränderungen
der Bildungsidee sowie den Einstellungen
gegenüber dem Besitz. Es werden auch die
beiden Leitfragen beantwortet.
Die Erfolgsgründe werden nüchtern
analysiert: die Verheißung eines sinnvollen, angstfreien Lebens voller Hoffnung;
die außergewöhnlichen Phänomene von
Heilungen und Exorzismen, Prophetien
und Zungenrede; die christliche Caritas
in Verbindung mit einer profilierten, aber
nicht überfordernden Ethik; der Überlegenheitsanspruch gegenüber dem Judentum
und den griechischen wie den römischen
Kulten; nicht zuletzt der große Eindruck,
den christliche Martyrien gemacht haben.
Selbstverständlich gehören auch die güns-
Der Segen
tigen geschichtlichen Rahmenbedingungen
dazu, die das Römische Reich mit seiner Infrastruktur und seiner plural entwickelten
Kultur geschaffen hatte.
Die Veränderungen, die das Christentum in dieser Zeit durchlaufen hat, werden
nicht kleingeredet, aber auch nicht moralisiert. Dünzl spricht von einem Mentalitätswechsel. Habe in den ersten Jahrzehnten
durch Jesus, durch Paulus, durch Petrus,
durch Jakobus und die Evangelisten die
Naherwartung eine Weltdistanz begründet,
die zu einer Art isolierter Selbstgenügsamkeit der „Auserwählten“ geführt habe, wie
sie zum Beispiel der Erste Petrusbrief schon
in seine Adresse als Programm einträgt, sei
es später notwendig geworden und auch
richtig gewesen, sich auf die Länge der Zeit
und die Weite des Raumes einzulassen. Das
habe neue Formen der Glaubensidentität
und der Weltverantwortung notwendig gemacht. Gerade die Spannungen zeichneten
den Charme des Christentums aus.
Vielleicht kann man in dieser Richtung
noch weiter gehen. Denn das Urchristentum
kennt nicht nur die Apokalyptik, sondern
auch die Weisheit. Gegen diejenigen, die
Gottes Nähe mit dem Kalender messen wollen, hat es sich mit den besten seiner Köpfe
gewandt. Es hat klein angefangen. Aber
die Bilder der Bergpredigt sind: „Salz der
Erde“ und „Licht der Welt“ (Mt 5,13–16).
Umgekehrt lebt das Mehrheitschristentum
zu einem guten Teil von den Impulsen kleiner Minderheiten, deren Bedeutung meist
erst im Nachhinein erkannt worden ist. Das
Programm ist paulinisch: „Passt euch nicht
dieser Welt an, sondern wandelt euch durch
neues Denken, damit ihr prüfen könnt, was
Gottes Wille ist“ (Röm 12,2). Diese Forderung ist aktueller denn je. Thomas Söding
Franz Dünzl
Fremd in dieser Welt?
Das frühe Christentum zwischen Weltdistanz und Weltverantwortung (Verlag Herder,
Freiburg 2015, 542 S., 39,99 €)
D
er Segen als religiöse Handlung ist im
allgemeinen Sprachgebrauch verankert. Auch in einer säkularen Lebenswelt
wird noch vom Segen gesprochen, ohne Anstoß zu erregen. „Viel Glück und viel Segen
auf all deinen Wegen, Gesundheit und Frohsinn sei auch mit dabei“ ist vom „Happy Birthday“ noch nicht gänzlich verdrängt. Der
Segen kann in enger Verbindung mit einem
personalen Gott verstanden werden. Diese
Vorstellung prägt das jüdische, christliche
und islamische Verständnis des Segens. Segen kann aber auch als eine unpersönlich
wirkende Energie, als eine lebensförderliche
Kraft, gedacht werden. Zwischen beiden
Vorstellungen gibt es fließende Übergänge.
Der Herausgeber des vorliegenden Buches bezeichnet eine das Leben dynamisch
tragende, sichernde und steigernde Energie
als den Kern dessen, was man unter „Segen“
versteht. Hinzu kommt, dass der Segen auf
das Gelingen des diesseitigen Lebens hin ausgerichtet ist. Segen ist somit ein Thema, nicht
nur mit verschiedenen Religionen, sondern
auch mit religiösen und weniger religiösen
Menschen, mit Theisten, Kosmotheisten und
Atheisten ins Gespräch zu kommen.
Der Schwerpunkt des Buches liegt auf
der jüdischen und christlichen Tradition.
Ein eigenes Kapitel befasst sich mit dem
Segen in der Geschichte anderer Religionen, insbesondere dem Konfuzianismus
und dem Islam. Es kommen auch zwei Gegenentwürfe zum Segen in den Blick: die
indische Vorstellung vom Karma und das
buddhistische Konzept vom Werden und
Vergehen. Das Buch gibt einen sehr schönen Überblick. Es zeigt: Der Segen reicht
bis in die Frühgeschichte der Menschheit
zurück und erfreut sich in unserer späten
Moderne einer überraschenden Beliebtheit.
Ludger Schwienhorst-Schönberger
Martin Leuenberger (Hg.)
Segen
Reihe: Themen der Theologie, Bd. 10 (Mohr
Siebeck, Tübingen 2015, 239 S., 18,99 €)
Das Standardwerk – jetzt noch zum
Einführungspreis erhältlich!
Handbuch des
katholischen
Kirchenrechts
IS
2
31 . 1 . 2 0 1
5
B
Kirchenrecht & Aktuelles
98,–
JÜRGEN
JÜR
Ü GEN BÄRSC
BÄRSCH
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ERT M.
M SCHEULE
SCHEU
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HEULE
LE (HG
(HG.)
KLAUS HEDWIG
Kleine Geschichte
des christlichen
Gottesdienstes
Ethik des Lebensbeginns
Circa Particularia
Ein interkonfessioneller Diskurs
Studien zu Thomas von Aquin
Herausgegeben von Manfred Gerwing
Spannende Kultur- und
Kirchengeschichte!
208 S., 6 s/w Abb., kart.
ISBN 978-3-7917-2721-9
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Mit Beiträgen von Christoph Raedel,
Eberhard Schockenhoff, Militadis
Vantsos, Friedemann Voigt und
Markus Lersch.
176 S., kart., ISBN 978-3-7917-2666-3
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Zum 75. Geburtstag des Philosophen
Klaus Hedwig – 17 Schlaglichter auf
die Philosophie des Aquinaten.
360 S., Hardcover, ISBN 978-3-7917-2728-8
€ (D) 39,95 / auch als eBook
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Stepphaan Haerringg,
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0 S.., Haardccoveer, ISSBN
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468 Spiritualität /Erinnerungen
Nr. 42 / 2015 BÜCHER CIG
Selbstvergötzung?
Am Abend
Auf nach Afrika Hinter der Mauer
L
J
eder Tag hält eine Besonderheit bereit.
Das rufen die 147 Impulse des in Indien
lebenden Publizisten Martin Kämpchen
in Erinnerung. Ob ein gehörtes Wort, eine
Charaktereigenschaft, der Trubel der Städte,
die Tatsache, dass es in Indien Häuser ohne
Spiegel gibt, oder einfach die Schönheit
der Natur – es findet Beachtung in den am
Abend notierten sehr persönlichen und bisweilen intimen Notizen. Der Autor bringt
sein Indien, seine Menschen, sein Treiben,
seine Natur uns näher – immer liebevoll,
manchmal kritisch, mitunter skeptisch oder
mit einer Portion Unverständnis.
Bisweilen bringen die Aufzeichnungen
auch Enttäuschungen zum Ausdruck, wenn
der Freude auf ein Treffen die Erfahrung
folgt, abwertend behandelt zu werden. Am
meisten scheinen den Autor die Menschen
zu erfreuen: mit ihrem Mut, ihrem Vertrauen, ihrer Hartnäckigkeit, Bescheidenheit, Energie sowie der Fähigkeit, sich den
Herausforderungen des Alltags zu stellen.
Kämpchen entdeckt den einen oder anderen
Heiligen, das Wunder, aus nichts etwas entstehen lassen zu können und bedeutsame
Talente hervorzubringen. Die einzelnen Tages-Zusammenfassungen motivieren auch
dazu, den eigenen Tag zum Abschluss und
vor Gott zu bringen.
Martina Ahmann
D
er Journalist Tillmann Prüfer, Redakteur beim Zeit-Magazin, beschreibt
sich als ziemlich säkularen Zeitgenossen.
„Ich nehme an, wäre Gott bei Facebook,
wären wir befreundet. Allerdings haben wir
praktisch keinen Kontakt.“ Das ändert sich,
als sich Prüfer auf die Spuren seines Urgroßvaters, eines evangelischen Missionars, begibt. Zusammen mit seiner Herkunftsfamilie
macht er sich nach Afrika auf. In Tansania,
das früher ein Teil von Deutsch-Ostafrika
war, will Prüfer die Wirkungsstätten seines
Vorfahren besuchen. Der Missionar Bruno
Gutmann zeichnete sich dadurch aus, dass
er den Dschagga, einem Bantu-Stamm,
mit dem Evangelium zwar durchaus etwas Neues bringen wollte – sich aber sonst
sehr für den Erhalt ihrer Kultur einsetzte
und ihre mündlichen Traditionen erstmals
schriftlich festhielt. Zeitgenossen nannten
ihn verächtlich einen „Negerfreund“.
Das Buch ist, flott geschrieben, eine
Reportage über ziemlich alle Aspekte der
Reise. Manchmal zieht sich das, wenn selbst
die Auswahl des passenden Hutes für Afrika
beschrieben wird. Dazwischen blitzen aber
tiefe Gedanken auf, etwa über den eigenen
Zugang zum Glauben auf dem Schwarzen
Kontinent und die Gottvergessenheit in weiten Teilen Europas.
Stephan Langer
um 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung legt Joachim Jauer,
Begründer des ZDF-Magazins „Kennzeichen D“ und langjähriger Korrespondent
in der DDR, später für ganz Ost-Europa,
ein weiteres persönliches Buch vor. Wie im
Vorgänger „Urbi et Gorbi“ erzählt der Journalist aus seinem reichen Erfahrungsschatz,
von Menschen, Ereignissen und Prozessen,
die schließlich zum Fall der Mauer und
des Eisernen Vorhangs beitrugen. Da sind
zum Beispiel seine Begegnungen mit Erich
Honecker, Wojciech Jaruzelski und Papst
Johannes Paul II., unzählige Gespräche
mit der einfachen Bevölkerung in beinahe
allen Ostblock-Staaten und immer wieder
mit engagierten Christen. Nicht zuletzt gewährt Jauer Blicke hinter die Kulissen der
Weltpolitik.
Seine Berichte ergänzt Joachim Jauer
durch lesenswerte Zitate – etwa aus dem
DDR-Jugendweihebuch, aus Briefen von Johannes Paul II. an Leonid Breschnew oder
aus den Schriften christlicher Märtyrer. Anders als in seinem ersten Buch schreibt der
Autor weniger strukturiert, insgesamt aber
ist das Buch ein kenntnisreiches Zeugnis einer in Ost wie West untergegangenen Welt
und ihrer heute fast vergessenen Denkweisen.
Elena Griepentrog
Peter Zimmerling
Evangelische Mystik
(Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015,
283 S. mit 11 Abb., 29,99 €) Martin Kämpchen
Am Abend notiert
147 Einladungen zum Innehalten (VierTürme-Verlag, Münsterschwarzach 2015,
147 S., 17,99 €)
Tillmann Prüfer
Der heilige Bruno
Die unglaubliche Geschichte meines
Urgroßvaters am Kilimandscharo (Rowohlt
Verlag, Reinbek 2015, 318 S., 9,99 €)
Joachim Jauer
Kennzeichen D
Friedliche Umwege zur deutschen Einheit
(Camino, im Verlag Katholisches Bibelwerk,
Stuttgart 2015, 288 S., 22 €)
uther, Nicolai, Gerhardt, Bach, Tersteegen, Zinzendorf, Hammarskjöld,
Bonhoeffer, Sölle – diese Namen stehen Peter Zimmerling zufolge dafür, dass es eine
evangelische Mystik immer schon gegeben
hat. Neben erhellenden Kapiteln zur mehr
oder weniger offensichtlichen Mystik dieser Personen wird die Problemgeschichte
im Verhältnis von Protestantismus und
Mystik beleuchtet. Diese galt lange als ein
Phänomen menschlicher Selbstvergötzung.
Das von Gott geoffenbarte Wort in Christus wurde ihr als schroffe Alternative gegenübergestellt. Erst nach 1945 bahnte sich
in der protestantischen Theologie so etwas
wie eine Wiederkehr der Mystik an. Hierfür
mag Jörg Zink stehen, der leider nur an einer Stelle ausführlicher erwähnt wird.
Die Studie schließt mit einer kleinen
„Theologie evangelischer Mystik“. Das Thema
anzupacken – dazu braucht es immer noch
Mut. Dennoch befremdet die konfessionelle
Engführung. Zum einen beginnt die evangelische Kirche nicht, wie hier nahegelegt, mit
Luther, zum anderen steht Mystik für einen
Weg des Christwerdens, der konfessionelle
Einseitigkeiten zu überwinden vermag. Bedauerlich ist, dass die von philosophischem
Subjektdenken und der Phänomenologie
geprägten Auseinandersetzungen mit Mystik
keine Berücksichtigung finden. Irene Leicht
Etappen auf dem Weg
zur
Weltreligion
Der Band zeichnet die Entwicklung von ihren Anfängen bis ins 4. Jahrhundert hinein nach, beschreibt
ihre Dynamik plausibel und benennt Gründe, dass das
Christentum von Beginn an im Spannungsfeld von
Weltdistanz und Weltverantwortung steht und keinen
dieser beiden Pole aufgeben kann.
Z
i Mit zahlreichen
Abbildungen, Karten
und Zeittafel
Franz Dünzl | Fremd in dieser Welt
Das frühere Christentum zwischen
Weltdistanz und Weltverantwortung
544 Seiten | Gebunden mit
Schutzumschlag
€ 39,99 / SFr 48.50 / € [A] 41,10
ISBN 978-3-451-31232-8
Neu in allen Buchhandlungen
oder unter www.herder.de
470 Gesellschaft / Theologie
Nr. 42 / 2015 Bücher CIG
Der Krieg als Lebensform
Dschihadist, Held, Märtyrer
D
er Band beleuchtet das Gewaltpotenzial des Islam aus den Perspektiven
von christlicher und islamischer Theologie,
Kulturwissenschaft, Philosophie, Soziologie,
Politik und Geschichte. Die Darstellung wird
eröffnet mit einer betont sachlich gehaltenen Kontroverse darüber, ob dem Islam ein
Muster gemäß der kriegerischen Expansion
Mohammeds innewohnt, ob die theologische Tradition Ansatzpunkte bietet, dieses
Muster zu verurteilen, und ob nicht nur die
Gotteskrieger, sondern womöglich auch ihre
Kritiker fundamentalistisch verblendet sind.
Der zweite Teil analysiert das Phänomen
„Selbstmordattentat“: seine historischen
Wurzeln, die nicht im Islam selbst liegen;
die Typologie von Held, Märtyrer und Terrorist, die hier zu einer neuen Gestalt zusammenfinden; die Gewalttheologie des IS
und die Motive für die Rechtfertigung der
Vernichtung der „Ungläubigen“. Aus christlicher Perspektive wird Selbstmordattentätern der Ehrentitel „Märtyrer“ entschieden
abgesprochen und den Opfern zugesprochen, die für ihren Glauben sterben.
Uneinheitlich verläuft im dritten Teil
die Beurteilung eines möglichen Zusammenhangs zwischen dem „Sterben für
Gott“ und dem „Töten für Gott“ anhand
der alttestamentlichen Makkabäer-Bücher,
die zum Teil als nicht verbindlich für den
Kanon der Heiligen Schriften erachtet werden. Einerseits verbindet sich bei den Makkabäern die Erfahrung von Unterdrückung
und Religionskrieg mit der Bereitschaft zu
Mord und Martyrium, andererseits lassen
die verschiedenen Traditionsstränge der
Bücher keine einheitliche Auslegung zu.
Vor allem spielt in der Geschichte von Judentum und Christentum der genannte
Zusammenhang nie eine Rolle.
Der letzte Teil untersucht das Märtyrerverständnis der christlichen Tradition – seine hagiographische und liturgische Ausgestaltung, die Existenz auch
von gewaltbereiten Märtyrern, die Bedeutungsverschiebungen im Märtyrerbegriff
bis hin zur gegenwärtigen Politisierung
und den friedfertigen Märtyrermönchen
von Tibhirine. Der Band macht so auf
Differenzen zwischen islamischen und jüdisch-christlichen Märtyrer-Traditionen
aufmerksam.
Sabine Pemsel-Maier
ber die Anfänge des Christusverständnisses, der Deutungen Jesu, seines Lebens und Sterbens und der Auferstehung, hat
Stefan Schreiber ein solides und spannendes
Lehrbuch vorgelegt. Solide, weil es sich
um eine kenntnisreich kommentierte Zusammenschau der frühen christologischen
Entwürfe handelt; spannend, weil es nicht
nur informiert, sondern auch vermeintliche
oder tatsächliche Fehlentwicklungen in der
frühkirchlichen christologischen Reflexion
aufzeigt und zum Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik beiträgt.
Der Autor wählt eine betont historische
Perspektive, aus der er das anfängliche Ringen um das Verstehen der Gestalt Jesu
nachzeichnet. Ausgangspunkt sind die religiösen Denkstrukturen und Sprachmuster
der antiken Welt. Von hier aus sollen Im-
pulse zur überfälligen Erweiterung der die
Christologie bestimmenden philosophischen Beschreibungssprache gewonnen
werden. Innovativ und faszinierend zugleich wirkt Schreibers Theorie, nach der
die in der römischen Welt verbreitete Kaiserverehrung (wenigstens indirekt) als wesentlicher Einflussfaktor auf die frühe
Christusdeutung zu begreifen und folglich
eine Horizontverschmelzung von frühjüdischer Messiaserwartung und römischer
Kaiserideologie anzunehmen sei. Fragt sich
nur noch, ob’s stimmt …
Robert Vorholt
Stefan Schreiber
Die Anfänge der Christologie
Deutungen Jesu im Neuen Testament
(Neukirchener Verlagsgesellschaft,
Neukirchen-Vluyn 2015, 262 S., 30 €)
Und das Wort ist Schrift geworden
D
ie 5200 Jahre Kulturtechnik „Schrift“
bringt uns Martin Kuckenburg nahe.
Wir verfolgen die ägyptische Hieroglyphenentwicklung, deren Spuren noch die koptische Schrift aufweist. Die Keilschrift setzt
etwa gleichzeitig in Mesopotamien ein und
lebt zur Zeit des Paulus in Kleinasien fort.
Auch in Mittel- und Südamerika beginnt
es mit Bildlichkeit, lange bevor Lautzeichen
entstehen. Seit 3500 Jahren kommen die Chinesen ohne Buchstaben aus. Unsere Schriftvorläufer haben von den Phöniziern das
Konsonantensystem übernommen, das von
den Griechen um die Vokale erweitert wurde.
Rom wirkt nach in der lateinischen Schrift,
die noch immer weltbeherrschend ist.
Die Bedeutung der Schrift und ihrer
Geschichte für die Religionswissenschaft
er Historiker Armin Eich legt mit seiner Geschichte des Krieges eine kenntnisreiche Darstellung nicht nur der Waffentechnik und Kampfstrategien vor, sondern
auch der Kultur- und Wirtschaftsgeschichte
der Frühzeit. Detailliert zeichnet der Autor
nach, wie seit etwa 5000 v. Chr. mit der
Staatenbildung und technischem Fortschritt
auch die Militarisierung der alten Welt zunahm und der Krieg mit ungeheurem ökonomischem und personellem Aufwand zu
einer nicht mehr hinterfragten Realität, zur
„Lebensform“ wurde. Dass dies nicht immer so war und auch kein naturgemäßes
Schicksal ist, zeigen Völker, die ohne Krieg
auskommen, und archäologische Funde, die
planmäßige kriegerische Auseinandersetzung in frühester Zeit nicht belegen.
Die exakten Schilderungen der Waffenherstellung, der Spielarten ihres Gebrauchs
und der Gewinnung der dafür notwendigen
Rohstoffe sind interessant. Doch die Brisanz bekommt der Überblick dort, wo Eich
das Wesen des Militärischen und dessen
Jan-Heiner Tück (Hg.)
Sterben für Gott – Töten für Gott?
Religion, Martyrium und Gewalt (Verlag
Herder, Freiburg 2015, 269 S., 19,99 €)
Der Messias wie der Kaiser?
Ü
D
(arabische Schrift/Islam) und die Theologie
(Bibelübersetzungen) ist unübersehbar. Fast
vergessen: Die deutsche Sprache kannte
mit Fraktur und Sütterlin eigene Druckund Schreibschriften. Das in hebräischen
Zeichen geschriebene Jiddisch (JudenDeutsch) ist von rechts nach links zu lesen!
Am vorläufigen Ende der Geschichte
der Schrift erlauben Internet und Computer den Zugang zu allen jemals verwendeten Schreibweisen. Sprachlich und didaktisch vorbildlich beweist der Autor den
bleibenden Rang des Buchs. Gerhard Adler
Martin Kuckenburg
Eine Welt aus Zeichen
Die Geschichte der Schrift (Theiss, Darmstadt 2015, 208 S., 130 farb. Abb., 39,95 €)
unheilvolle Folgen zur Sprache bringt: die
planmäßige Abrichtung des Menschen für
den Krieg und die Traumatisierung durch
das Schlachterleben. Dass dies nicht erst ein
Problem traumatisierter US-Veteranen ist,
sondern schon die homerischen „Helden“
betrifft, kann der Autor glaubwürdig belegen. Die Frage, was es im Licht heutiger
Hirnforschung bedeutet, dass Menschen
seit Jahrtausenden durch Gewalterleben
traumatisiert wurden, stellt Eich nicht.
Wenn der Krieg nicht unabänderliches
Schicksal bleiben soll, bedarf es „langer
und mühevoller Anstrengungen“, zu denen auch die kritische Aneignung seiner
Geschichte gehört. Dies gilt auch für die
Geschichte von Gewalt und Angstterror im
Christentum.
Helmut Jaschke
Armin Eich
Die Söhne des Mars
Eine Geschichte des Krieges von der Steinzeit
bis zum Ende der Antike (Verlag C. H. Beck,
München 2015, 281 S. mit 25 Abb., 24,95 €)
Fremdes Land Gewalt
W
arum tun Menschen einander Gewalt an, die doch als Abweichung, als
Krankheit, als Irrweg gilt? Aber: Ist Gewalt
nicht auch eine attraktive Handlungsmöglichkeit, zu der wir nur deshalb nicht greifen, weil wir Bestrafung fürchten?
Jörg Baberowski versucht nicht, das Rätsel der Gewalt lösen. Der historische Ansatz, nach einer mechanischen Verkettung
von Ereignissen, nach Ursache und Wirkung in der Geschichte zu suchen, scheint
ihm vergeblich. Auch aus den Rechtfertigungen der Täter und der Sinnsuche der
Opfer ließen sich kaum Schlüsse ziehen.
Die ungeheuerlichen Gewaltexzesse
wie der Holocaust, das stalinistische Terrorregime, der Völkermord in Ruanda,
der Bürgerkrieg in Liberia stehen jenseits
jeder Erklärbarkeit. An ihnen will Baberowski zeigen, dass es nicht von Absichten
und Überzeugungen, sondern von Möglichkeiten und Situationen abhängt, ob
jemand den Raum der Gewalt betritt und
sich seinen Regeln unterwirft. Der Autor
beschreibt das Erleben von Gewalt als eine
Reise in eine neue Welt, in der andere Regeln gelten und andere Menschen leben. In
ihr verschieben sich die Maßstäbe für Normalität. Was man für selbstverständlich
hielt, erscheint im Licht der Gewalt seltsam
fremd, und Außergewöhnliches wird zum
Alltäglichen.
So richtet Baberowski seine Fragen
mehr auf die Eigenlogik und die Dynamik
von Gewaltverhältnissen, darauf, was die
Gewalt mit Menschen macht und was die
Menschen mit Gewalt machen. Damit gelingt es ihm, sowohl den Zwängen, die ein
solcher Raum schafft, als auch der Verantwortung, die dennoch bleibt, Rechnung zu
tragen.
Christina Herzog
Jörg Baberowski
Räume der Gewalt
(S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015,
263 S., 19,99 €)
Neues vom Teufel
E
ine neue Biografie über den Teufel? Der
Titel lässt aufhorchen in Zeiten, in denen das Böse in der Welt präsenter denn je
erscheint und in denen auch der Papst den
Teufel öfter als seine Vorgänger nennt. Kurt
Flasch zeichnet den Ursprung und die Ausdifferenzierung der Rede vom Teufel insbesondere im Christentum breit nach. Spannend
gelingt es ihm, die durch Jahrhunderte verwobenen Denkwege darzustellen, die aus der
Frage nach dem Ursprung des Unheils den
Teufel als mehr oder weniger ebenbürtigen
Gegenpart Gottes haben werden lassen. Der
Verfasser widmet dem „Aufbau“ der Lehre
vom Teufel ebenso viel Raum wie dem „Abbau“: ihrer theologisch-philosophischen Dekonstruktion, die, grundgelegt schon in mittelalterlicher Kritik, mit der Neuzeit – wenn
auch nicht mit der Reformation – beginnt.
Nach Flasch kommt dem Teufel zwar
eine historische und insofern „wirkliche“
Existenz zu – jedoch keine reale. Er lebe in
Europa nur noch „als geschichtliche Figur
oder artistischer Einfall“. Zu warnen wäre
nach Flasch daher wohl eher vor der personalen Vorstellung des Teufels als vor dem
Teufel selbst. Das Christentum ist hier in
seiner Rede vom „personalen Bösen“ herausgefordert. Die historische Folie bietet
zahlreiche Anregungen für einen reflektierten und sensiblen Umgang mit den Anfragen nach dem Wesen und dem Ursprung
des Bösen.
Norbert Schwab
Kurt Flasch
Der Teufel und seine Engel
Die neue Biographie (Verlag C. H. Beck,
München 2015, 462 S., 26,95 €)