5. Freitag

Schmerzensfreitag 2016
Schönenberg, 11. März 2016, Eph 6, 10 – 17; Mt. 10, 17 – 25a
Die Forderung Jesu im heutigen Evangelium klingt sehr provokant. Wer zu Christus
steht, der hat kein einfaches Leben zu erwarten. Er ist aufgerufen, Zeugnis von
seinem Glauben abzulegen. Und das hat Konsequenzen. Er wird mit Ablehnung,
Verfolgung und sogar mit dem Tod rechnen müssen, denn – so betont Jesus –
„Der Jünger muss sich damit begnügen, dass es ihm so geht, wie seinem Meister.“
Heute wollen wir uns mit der Tugend der Tapferkeit beschäftigen. Sie hat etwas mit
Mut zu tun. Sie beinhaltet das feste Stehen zu einer Überzeugung und zum eigenen
Gewissen, wenn es um Treue zum Glauben, zur Kirche, oder zu den Geboten Gottes
geht. Das möchte ich an einem Beispiel aus dem 16. Jahrhundert verdeutlichen.
Der englische König Heinrich VIII. wollte seine Ehe für ungültig erklären lassen, um
eine andere Frau heiraten zu können. Für den damaligen Papst Paul III. und die
englische Kirche war dafür keine Möglichkeit gegeben. Deshalb ließ sich der König
im Jahr 1534 mit der so genannten Suprematsakte durch das Parlament zum
höchsten irdischen Haupt der Kirche von England erklären.
Das bedeutete den Bruch mit dem Papst in Rom. Durch ein weiteres Gesetz, das der
König durchdrückte, konnte jeder, der diesen Titel des Königs nicht anerkannte, des
Hochverrats angeklagt werden. Der ganze englische Episkopat knickte daraufhin ein
und unterwarf sich dem Gesetz des Königs.
Nur der damalige Kardinal John Fisher und der frühere Lordkanzler Thomas Morus
verweigerten den Eid an den König. Sie wurden daraufhin wegen Hochverrats
angeklagt und enthauptet. Sie fühlten sich ihrem Gewissen und ihrem Glauben
verpflichtet, und blieben ihrer Überzeugung treu. Tapfer nahmen sie lieber den Tod in
Kauf, als ihren Glauben zu verraten.
Ähnliche Beispiele gibt es auch aus dem zweiten Weltkrieg. Hier wandten sich immer
wieder Menschen gegen die diktatorische, unmenschliche Herrschaft des Dritten
Reiches, und leisteten Widerstand gegen eine ungerechte Diktatur. Die
Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ mit Sophie und Hans Scholl, setzten mutig ihr
Leben dafür ein, um dem Recht zum Sieg zu verhelfen. Ihre christliche Überzeugung
und ihre Tapferkeit haben ihnen die Hinrichtung durch die Nazi-Schergen gebracht.
Das Wort Tapferkeit gebraucht man gerne im Zusammenhang mit Kriegern und
Soldaten. Mutig ziehen sie in den Krieg und stehen tapfer ihren Mann, wenn es gilt,
Vaterland und Familie zu verteidigen. Für besondere Heldentaten in der Schlacht gibt
es die Tapferkeitsmedaille.
Doch Tapferkeit ist eine Haltung, die jeder Mensch braucht, um sein Leben
authentisch leben zu können. Tapferkeit meint nicht nur Unerschrockenheit
gegenüber Gefahren und nicht nur Durchsetzungskraft. Sie meint vor allem auch den
Mut, das, was man als richtig erkannt hat, dann auch konsequent zu befolgen - wie
es z. B. Hans und Sophie Scholl getan haben.
Der Tapfere lässt sich nicht von Konflikten und Schwierigkeiten sofort umstimmen.
Er passt sich nicht dem Trend an, damit er bei allen beliebt ist. Er steht zu sich
selbst, auch wenn andere gegen ihn aufstehen und ihn anfeinden. Wer an seinem
Arbeitsplatz seinen Glauben bewusst lebt und gegen Angriffe der anderen verteidigt,
der eckt oft an und wird verspottet oder beschimpft. Der Tapfere ist jedoch kein
Draufgänger; aber er ist mutig und kühn.
Die Tapferkeit verlangt, die Situation richtig einzuschätzen, und dann weise und
entschlossen das zu tun, was man als richtig erkannt hat. Das kann auch einmal
bedeuten, ein Vorhaben aufzugeben, wenn man spürt, dass es nicht zum Ziel führt.
Viele Kriege und Konflikte, und auch persönliche Streitigkeiten blieben uns erspart,
wenn wir unser Tun von einer solchen Weisheit leiten ließen, und nicht unüberlegt
drauflos gingen.
Jesus nennt uns dafür ein lehrreiches Beispiel: „Wenn ein König gegen einen
anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er
sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegen stellen kann, der mit
zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine
Gesandtschaft, solange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden.“
(Lk 14, 31 + 32).
Tapferkeit setzt also auch Klugheit und eine gesunde Selbsteinschätzung voraus,
wenn sie zum Ziel führen soll. Wenn ich mich dann von einem Vorhaben
zurückziehe, ist das nicht Feigheit, sondern es wird mir von der Klugheit geboten.
Jede Tugend braucht also immer auch das Korrektiv von anderen Tugenden und
Haltungen, damit sie nicht einseitig wird.
Die Tapferkeit ist keine angeborene Tugend. Man muss sie sich erwerben.
Tapferkeit zeigt sich aber nicht nur im aktiven Handeln, sondern auch im passiven
Erleiden und Ertragen, z. B. im Erdulden von Schmerzen oder im Durchstehen von
Schicksalsschlägen. Aber auch das braucht unsere aktive Entscheidung.
Jeder von uns kennt auch die Feigheit. In uns allen steckt die Tendenz, der Angst
nachzugeben, oder vor der Gefahr zurückzuweichen. Wir lassen uns von unseren
Bedenken bestimmen und ziehen uns von einer Aufgabe zurück. Hier hilft uns die
Tapferkeit, unsere natürliche Neigung zu überwinden und dort standzuhalten, wo wir
gerade gefordert werden.
Wenn ein Kranker oder ein Behinderter seine Schmerzen und seine Leiden bewusst
annimmt und nicht darüber klagt, dann nennen wir ihn tapfer. Er überwindet die
Angst vor dem Schmerz, und versucht, ihn so gut wie möglich zu bestehen.
Auch Jesus hatte Angst vor dem Tod und vor all den Schmerzen, die auf ihn zukamen. Aber im Vertrauen auf den Vater, und im innigen Gebet zu ihm, überwindet
er seine Todesangst und betet zu Gott: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern, wie du willst.“ (Mt 26, 19).
Jesus stellt sich ganz in die Liebe und in die Gemeinschaft mit dem Vater hinein. Und
von ihm bekommt er die Kraft, tapfer auch sein schweres Kreuzesleiden und den Tod
auf sich zu nehmen.
Tapfer ist also einer, der sich nicht gehen lässt, wenn ihn ein Unglück trifft. Er bleibt
stehen. Er steht die Situation durch, auch wenn sie ihm wehtut. Er weicht vor dem
Schmerz nicht aus, sondern geht durch ihn hindurch.
Ein Beispiel dafür ist uns Maria, die Mutter Jesu. Als fast alle Jünger bei der
Gefangennahme Jesu geflohen waren, war sie es, die ihm bis unter das Kreuz
gefolgt ist. Sie steht unter dem Kreuz. Sie bricht nicht zusammen. Maria trägt tapfer
mit ihrem Sohn alle seine Leiden mit ihm durch.
Sie leidet alle seine Schmerzen und Demütigungen in ihrer Seele mit. Aber sie hält
stand. So erfüllt sich an ihr das Wort des greisen Simeon im Tempel von Jerusalem:
„Dir aber wird ein Schwert durch die Seele dringen.“
Viele Menschen, die ein schweres Leid durchzustehen haben, schauen in ihrem
Schmerz auf zu Maria, und bitten sie um ihre Hilfe und Kraft in ihrem Leiden. Davon
geben auch die vielen Gebete und Opferkerzen an den Wallfahrtsorten ein beredtes
Zeugnis. Wir nennen Maria gerne „Trösterin im Leiden.“ Wie jede Mutter steht Maria
tapfer ihren geliebten Kindern in ihren Leiden bei und lässt sie nicht im Stich.
Der Mensch, der sich in seinem Leiden auf Jesus und auf Maria verlässt, zerbricht
nicht am Schmerz und an der Trauer. Aber er macht sich auch nicht unempfindlich.
Er sieht den Verlust eines lieben Menschen. Er erkennt klar, dass seine Krankheit
zum Tode führt. Aber er bleibt dennoch stehen und bricht nicht zusammen. Er hält
dem stand, was Gott ihm da zumutet. Und in dieser Tapferkeit wächst der Mensch.
Er wird weise und stark.
Wir müssen uns unsere Tapferkeit nicht beweisen. Wir müssen auch nicht in jeder
Situation tapfer sein. Es gibt Menschen, die strotzen vor Selbstbewusstsein, die aber
dann doch in der Gefahr den Kopf verlieren und sich als Schwächlinge erweisen.
Andere sind von Haus aus ängstlich. Aber sie halten aus, sobald die
Herausforderung sie trifft. Sie werden tapfer mit der Situation, in die sie sich von Gott
gestellt wissen. Sie vertrauen darauf, dass gerade dann, wenn sie es brauchen, Gott
sie stärkt und ihnen beisteht.
Hier denke ich auch an die Vielen, die in den vergangenen Jahren im Zeichen der
blutigen Christenverfolgungen in einigen Ländern, ihr Leben als Märtyrer hingegeben
haben. Die Kraft dazu hat ihnen ihr unerschütterlicher Glaube an Gott gegeben, der
sie auch in den schwersten Verfolgungen standhalten ließ.
Die Tugend der Tapferkeit will uns also helfen, dass wir unser Leben gut bestehen
können; dass wir nicht ausweichen, wenn uns der Wind um die Ohren bläst; dass wir
uns nicht fürchten, wenn uns ein Unglück trifft.
Wir brauchen die Tapferkeit auch im Umgang mit den alltäglichen Konflikten, dass
wir frei davon sind, uns überall beliebt machen zu müssen. Manchmal kann man
einem Konflikt nicht ausweichen. Da gilt es, entschieden zu seiner Meinung zu
stehen, und gleichzeitig nach Möglichkeiten zur Lösung des Konfliktes zu suchen.
Wir brauchen die Tugend der Tapferkeit, wenn wir in der Gefahr sind, vor der
Meinung der anderen umzufallen, und wenn wir am liebsten den Kampf aufgeben
möchten – um des lieben Friedens willen. Dann werden Lösungen möglich, die am
Ende für alle gut sind. Der Tapfere meidet jeden faulen Kompromiss. Er tritt für die
Geradlinigkeit ein.
Doch wir brauchen nicht nur Tapferkeit vor dem Feind, sondern auch vor dem
Freund. Das heißt z. B., dass wir uns nicht um eines Vorteils willen auf seine Seite
schlagen, obwohl wir anderer Überzeugung sind. Die Tugend der Tapferkeit möge
uns davor bewahren, uns bestechen zu lassen, oder uns anzupassen, um den
Freund nicht zu verlieren. Wenn wir auch in der Freundschaft eine klare Linie haben,
dann festigt das die Freundschaft, statt sie zu zerstören.
Tapferkeit im Reden und im Handeln dürfen wir aber nicht nur als unsere eigene
Leistung und Anstrengung sehen. Sie ist im letzten immer auch ein Geschenk von
Gott. Er gibt uns die Kraft, dass wir vertrauensvoll und mutig unser Leben bestehen
können. Und darum dürfen wir Gott auch immer wieder bitten. Amen.