TAGUNGEN Diabetes-Schutzschuhe in der Diskussion Auf dem 9. Treffen des Interdisziplinären Qualitätszirkels Diabetischer Fuß von Dr. Michael Gabel und Dr. Wolfgang Hanel waren am 15. Oktober 2015 Ärzte, Orthopädieschuhmacher und Podologen zu Gast bei OSM Hartmut Schühle in Stuttgart. Diskutiert wurde: Wie gut klappt die Versorgung mit Schutzschuhen, welche Herausforderungen stellen sich in der Praxis? VON ANNETTE SWITALA weimal jährlich trifft sich der Qualitätszirkel der Region Stuttgart/Ludwigsburg/Waiblingen, um in interdisziplinärer Runde aktuelle Themen und Fallbeispiele der Diabetischen Fußversorgung zu diskutieren. Geleitet wird er von Dr. Michael Gabel, Leiter des Fußzentrums im Agaplesion Bethesda Krankenhaus, Stuttgart, und Dr. Wolfgang Hanel, Leitender Oberarzt am Klinikum Stuttgart, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie, Bad Cannstatt. Eine Vielzahl solcher Qualitätszirkel kooperieren derzeit mit der Innung für Orthopädieschuhtechnik Baden-Württemberg. Im Qualitätszirkel von Dr. Gabel und Dr. Hanel vertritt OSM Udo Kleinknecht, Waiblingen, die Innung. Während die bisherigen Treffen rotierend an den Kliniken von Dr. Gabel und Dr. Hanel stattgefunden hatten, kamen die Ärzte, Orthopädieschuhmacher und Podologen diesmal in den Verkaufsräumen von Schuh Oesterle in der Paulinenstraße in Stuttgart zusammen „Es hat sich beim Thema Schutzschuhe geradezu angeboten, unseren Qualitätszirkel bei einem Orthopädieschuhmachermeister stattfinden zu lassen, der Diabetesschutzschuhe aller relevanten Anbieter Z Freuten sich über regen Zuspruch und engagierte Diskussionen der QualitätszirkelTeilnehmer (v. l.): OSM Udo Kleinknecht, Dr. Michael Gabel und OSM Hartmut Schühle. im Sortiment hat und sehr erfahren in der praktischen Versorgung von Diabetespatienten ist“, sagte Dr. Michael Gabel. So hatten Hartmut und Tabea Schühle dafür gesorgt, dass während der Diskussionen eine Vielzahl an Diabetesschutzschuhen für die Teilnehmer zur Hand waren. Konfektionierte Schuhe haben ihre Grenzen Mittlerweile gibt es ein großes Angebot an Diabetesschutzschuhen verschiedener Hersteller, konnte Hartmut Schühle anhand seines Sortiments zeigen. Mit versteiften Sohlen, weichen, abwaschbaren Schaftmaterialien, dem Verzicht auf Nähte im Schaftbereich und ausreichend Raum im Zehenbereich sowie Platz für die Aufnahme einer diabetesadaptierten Fußbettung erfüllten sie viele Kriterien, die für Diabetespatienten wünschenswert seien. Die Veranstaltung gab den Teilnehmern jedoch die Möglichkeit, Was macht einen Schuh zum Diabetes-Schutzschuh? Was macht einen auch Schwierigkeiten in der passenden Schuh aus? Welche Probleme können bei Schutzschuhen Versorgung zur Sprache zu auftauchen? Diese Fragen stellte OSM Hartmut Schühle zur Diskussion. bringen. 22 ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK 11 | 1 5 Welche Herausforderung es darstellt, Füße mit konfektionierten Schuhen passend zu beschuhen, stellte Hartmut Schühle in einem Impulsreferat dar. „Wer von Ihnen hat sich im letzten halben Jahr die Füße vermessen lassen? In den letzten zwei, in den letzten fünf Jahren?“, fragte der Orthopädieschuhmachermeister und wusste dabei schon, dass kaum jemand die Hand heben würde. „Die Möglichkeit besteht, doch viel zu wenige nutzen sie beim Schuhkauf“. Doch selbst wenn die Füße vermessen werden, sei es schwierig, die passenden Schuhe zu finden: Schuhgrößen seien nicht einheitlich gekennzeichnet, der Fuß verhalte sich in der Dynamik anders als in der Statik, der 2D-Fußabdruck sage nichts über das dreidimensionale Volumen des Fußes aus. Während die Industrie technische Maße als Bezugsgrößen für die Form des Leistens brauche, seien am Fuß selbst keine eindeutig definierten Referenzpunkte vorhanden, verdeutlichte Schühle. Das technische Ballenmaß etwa, das in Maßtabellen als Maß für die Weite angegeben wird, entspricht nicht dem anatomischen Ballenmaß des Fußes. „Insofern fordern konfektionierte Schuhe, dass sich der Fuß dem Schuh anpasst“, so Schühle. TAGUNGEN „Selbst wenn zwei Personen den gleichen Rist- und den gleichen Ballenumfang haben, kann ihre Fußform ganz unterschiedlich sein“, erklärte Hartmut Schühle mit Bezug auf eine Studie von Dr. Monika Richter, PFI Germany. Sie definierte anhand der Analyse von 3D-Fußdaten neue Fußtypen, die sich durch das Verhältnis von Rückfuß, Mittelfuß und Vorfuß zueinander unterscheiden. „Ein Teil der Fußformen, die Dr. Richter gefunden hat, lässt sich gut mit Diabetesschutzschuhen versorgen“, meinte Schühle. „Große Probleme aber machen uns in der Schuhversorgung Füße, die im Rück-, Mittel- und Vorfuß durchgehend schlank sind, sowie Füße, die in der Ferse und im Mittelfuß schlank und im Vorfuß breit sind“, berichtete er. „Während es bei Komfortschuhen Marken gibt, die schlanke Modelle anbieten, gibt es bei Diabetesschutzschuhen keine Modelle, die schlanken Füßen passen“, bestätigte Tabea Schühle, die den Schuhverkauf bei Schuh Oesterle leitet. Diabetesschutzschuhe sind an der Ferse oft zu weit Nicht nur zu eng gewählte Schutzschuhe bergen Risiken für Diabetespatienten, machte Hartmut Schühle klar. Wenn Füße mit der Ferse aus dem Schuh schlappen oder im Schuh nach vorne rutschen, weil sie an Ferse und Spann nicht genug Halt im Schuh finden, könne dies ebenfalls Druckstellen und Fußverletzungen nach sich ziehen. In den Diskussionen in Kleingruppen, die auf Hartmut Schühles Impulsreferat folgten, wurde deutlich, dass Prophylaxe-Schuhe, einigen Kunden oft besser passen. „Als Orthopädieschuhmacher stehe ich hier aber vor der Frage: Darf ich einen ProphylaxeSchuh überhaupt an einen Patienten abgeben, dem ein Diabetesschutzschuh verschrieben wurde? Kann ich ihn dann mit der Krankenkasse abrechnen? Nein, auch wenn es in vielen Fällen besser für den Patienten wäre“, erklärte Hartmut Schühle das Dilemma, vor dem Orthopädieschuhmacher dann stehen. In Einzel- Hartmut und Tabea Schühle hatten eine große Auswahl an Diabetesschutzschuhen für die Teilnehmer bereitgestellt. fällen gelinge es jedoch nach Rücksprache mit Arzt und Krankenkasse. Wie einige Orthopädieschuhmacher erklärten, versuchten viele Hersteller zwar, im Schaftbereich unterschiedlichen Volumina gerecht zu werden, fertigten aber mehrere Weiten über die FÄNGT BLICKE. STEIGERTT UMSÄTZE. UMSÄTZE. Content-Partner: www.odWeb.tv 0201 . 890 744 11 TAGUNGEN Die Interdisziplinarität macht den besonderen Reiz des Qualitätszirkels aus. In Kleingruppen kann manche Schwierigkeit der Diabetesversorgung angesprochen werden, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. gleiche Brandsohle. Dies habe zur Folge, dass kräftige Füße mitunter seitlich über die Sohle hinausragen, was Druckstellen und gegebenenfalls Wunden verursachen könne. Risiken unpassender Schuhe Mehr Sorgfalt in der Abgabe und Kontrolle von Diabetesschutzschuhen seitens der Orthopädieschuhtechnik mahnte Dr. Wolfgang Hanel an. „Leider kommen immer wieder Patienten in meine Sprechstunde, deren Schutzschuhe ganz offensichtlich nicht richtig passen, Druckstellen und leider auch Wunden verursachen!“, berichtete er. Es könne und dürfe nicht sein, dass ein Schuh, der doch vor Ulcera schützen solle, zur Gefahr für den Patienten werde. „Ich appelliere an die Orthopädieschuhtechnik: Wenn ein Schutzschuh nicht richtig passt, dann geben Sie ihn nicht ab! Geben Sie lieber gar nichts ab, als einen unpassenden Schuh.“ Zumal nicht geklärt sei, wer für eine unzureichende Versorgung haftbar gemacht werden könne. Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass man nicht in die Versuchung kommen dürfe, die diabetesadaptierte Fußbettung zu stark an den Schutzschuh anzupassen, damit Fuß und Einlage doch noch irgendwie hineinpassen. In der darauf folgenden Diskussion wurde deutlich, dass die Orthopädieschuhtechnik die Schwierigkeit hat, bei der Verordnung eines Diabetesschutzschuhs eben nur einen solchen abgeben und mit den Krankenkassen abrechnen zu können. „Da bleibt Ihnen nur eins übrig: Nehmen Sie in solchen Fällen Rücksprache mit dem Arzt und sagen Sie ihm deutlich, dass der Fuß mit einem Diabetesschutzschuh nicht zu versorgen ist!“, riet Dr. Hanel. 24 ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK 11 | 1 5 Von Seiten der Orthopädieschuhmacher wurde angemerkt, dass es nicht immer auf einen unpassenden Schuh zurückzuführen sei, wenn ein Patient trotz Diabetesschutzschuh ein Ulcus entwickele. Allzu häufig liege der Grund darin, dass die Patienten ihre Schutzschuhe nicht trügen. „Schauen Sie nach einem halben Jahr darauf, ob Ihr Patient die Sohle an der Ferse etwas abgelaufen hat“, lautete der Rat an die Ärzte. Mangelnde Compliance der Patienten sei in einigen Fällen darauf zurückzuführen, dass viele Patienten eher optische Wünsche in Bezug auf ihre Schuhversorgung haben, während für Arzt und Orthopädieschuhmacher die schützende Wirkung und die Abrechenbarkeit des Schuhs im Vordergrund stünden. Wichtig sei es für viele Patienten auch, zu Hause einen anderen Schuh als auf der Straße tragen zu können. Grenzen der Versorgbarkeit berücksichtigen Einig war man sich, dass es gerade in Grenzfällen nicht immer leicht zu entscheiden ist, wann ein Schutzschuh ausreichend ist und wann bereits ein orthopädischer Maßschuh gewählt werden muss. Angesichts dessen, dass es häufig schwierig sei, Krankenkassen von der Notwendigkeit orthopädischer Maßschuhe zu überzeugen, falle die Entscheidung dann nicht selten eher für den Schutzschuh aus. „Eins ist klar: Sie müssen die Verordnung eines orthopädischen Maßschuhs in solchen Grenzfällen sorgfältig vor der Krankenkasse begründen“, meinte Dr. Michael Gabel. Eine neu entstandene Schwiele oder Druckstelle sowie aussagekräftige Fotos des Fußes könnten hier überzeugend angeführt werden. Der Fußchirurg machte darauf aufmerksam, dass es in Fällen, bei denen Diabetesschutzschuhe an ihre Grenzen kommen, umso wichtiger sei, detailliert zu dokumentieren und Fußdaten und -bilder für die Argumentation vor der Krankenkasse zu sammeln. Auch für Hersteller könnte es interessant sein, wenn 3D-Fußdaten überall dort erfasst würden, wo Diabetesschutzschuhe in größerem Rahmen abgegeben werden, so Dr. Gabel. Produktart im Hilfsmittelverzeichnis fehlt immer noch Als nach wie vor großes Problem wurde gesehen, dass immer noch nicht offiziell definiert ist, welche Kriterien Diabetesschutzschuhe erfüllen müssen. Auch für die Aufnahme von Diabetesschutzschuhen ins Hilfsmittelverzeichnis sind derzeit noch keine klaren Anforderungen formuliert. Zwar haben es einzelne Diabetesschutzschuhe ins Hilfsmittelverzeichnis geschafft, doch die Produktart ist trotz wiederholter Ankündigungen des GKV-Spitzenverbandes, sich damit zu befassen, noch nicht im Hilfsmittelverzeichnis definiert. Insbesondere in Bezug auf das Design der Studien, die bei der Antragstellung für die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis gefordert werden, werden Hersteller auf Nachfrage häufig im Dunkeln gelassen. Angesichts dessen, dass sich die Versorgung mit Diabetesschutzschuhen immer weiter etabliert habe, bestehe hier dringender Handlungsbedarf seitens des GKV-Spitzenverbandes. Zum Abschluss regte Hartmut Schühle an, die Erkenntnisse des Abends mit Herstellern und Fußbehandlern weiter zu diskutieren. „Wo immer Sie sich für gute Passform einsetzen können – tun Sie es!“ ❚
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