Plenardebatte zum Abschlussbericht des NSU

Plenardebatte zum Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses am
18.02.2016;
Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Verbrechen des, sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds, haben uns alle erschüttert. [In Gedanken sind wir heute bei allen Opfern und ihren Angehörigen.] Über mehr als zehn
Jahre konnten drei Rechtsterroristen unerkannt und unentdeckt im Untergrund leben und von
dort aus eine ungeheuerliche Verbrechensserie begehen:
 insgesamt neun Morde an Menschen mit Migrationshintergrund,
 den Mord an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter und den versuchten Mord an dem
Polizeibeamten Martin Arnold, der den Anschlag nur mit großem Glück überlebt hat;
 mindestens zwei Bombenanschläge,
 dazu mindestens 15 Raubüberfälle

Dass diese Verbrechensserie viele Jahre hinweg nicht als rechtsterroristische Verbrechensserie erkannt wurde,

dass drei Rechtsterroristen über eine so lange Zeit hinweg unbehelligt im Untergrund leben
und morden konnten,

dazu haarsträubende Fehler bei der Suche nach dem Trio in Sachsen und Thüringen,

fragwürdiges Verhalten von Verfassungsschützern und V-Leuten

und nicht zuletzt allerlei Verschwörungstheorien
haben dazu geführt, dass das Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden erschüttert wurde. Diese
Verbrechensserie war nicht nur gegen die einzelnen Opfer gerichtet, es handelt sich um einen
Anschlag auf unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat!
Dies muss uns alle bestürzen und alarmieren. Das gilt umso mehr in der aktuellen Situation, in
der Flüchtlingsheime angegriffen werden und in der aus den Reihen rechtsradikalen Partei die
Nutzung von Schusswaffen gegen wehrlose Flüchtlinge gefordert wird.
-2In unserem Untersuchungsausschuss haben wir die uns gestellte Aufgabe mit großer und ungekannter Einigkeit angegangen. Das ist einmalig in der Geschichte der Untersuchungsausschüsse
in Baden-Württemberg und das ist ein deutliches Zeichen dieses Hauses: Demokraten stehen
zusammen, wenn es darauf ankommt! Im Ausschuss wurde zwar immer wieder kontrovers diskutiert, aber immer sachbezogen. Dies ist aus meiner Sicht alles andere als selbstverständlich, zumal wenn wir die Vorgeschichte des Ausschusses betrachten. Aber ich möchte hier nicht noch
einmal die Gutachtenaffäre aufwärmen, durch die die Grünen die Enquetekommission zum
Scheitern gebracht haben.
Was wir in den vergangenen 15 Monaten geschafft haben, ist alleine vom Umfang her schon
beachtlich. Der Vorsitzende hat die Zahlen vorhin schon genannt, ich will sie nicht alle wiederholen (39 Sitzungen, 140 Beweisbeschlüsse, 136 Zeugen, 18 Sachverständige, geschätzt:
500.000 Aktenseiten).
Hierfür möchte ich den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss aus allen Fraktionen Dank sagen
– mein besonderer Dank gilt dem Ausschussvorsitzenden, der den Ausschuss mit großem persönlichem Einsatz und fast immer mit der gebotenen Gelassenheit geleitet hat!
Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen und des Ausschusssekretariats
möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen – sie haben in den letzten Wochen bis an
die Grenze der Belastbarkeit und darüber hinaus gearbeitet, daher gilt ihnen mein besonderer
Dank!
Hat sich der Untersuchungsausschuss gelohnt? Das hängt ab von der Erwartungshaltung. Wer
die unrealistische Erwartung hatte, frei nach dem Motto: „Jetzt klärt der Untersuchungsausschuss
endlich den Mordfall Kiesewetter auf…!“, der ist heute vermutlich enttäuscht.
Mit einer realistischen Erwartung aber – die Überprüfung, ob und wenn ja wo badenwürttembergische Behörden Fehler gemacht haben – meine ich, dass wir eine sehr gute Arbeit
geleistet haben und ein wirklich vorzeigbares Ergebnis haben. Der Ausschuss hat mehr geschafft, als ihm mancher zugetraut hat.
Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, die Arbeit des Untersuchungsausschusses über 15 Monate in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Lassen Sie mich daher einige Aspekte herausgreifen, die mir besonders wichtig erscheinen:
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Wir haben uns intensiv mit dem Todesfall des Neonazi-Aussteigers Florian H. auseinandergesetzt, der sich im September 2013 auf dem Cannstatter Wasen in seinem Fahrzeug verbrannt
hat. Florian H. hatte schon vor dem Auffliegen des NSU behauptet, er wisse, wer Michèle Kiesewetter ermordet habe. Wir mussten leider erhebliche Unzulänglichkeiten in den polizeilichen
Ermittlungen aufdecken Im Ergebnis deutet jedoch nichts darauf hin, dass hier Fremdverschulden im Spiel gewesen sein könnte – und erst recht nicht, dass dieser Todesfall irgendetwas mit
dem Mord an Michèle Kiesewetter auf der Theresienwiese zu tun haben könnte.
Dass die in diesem Fall unzureichende Ermittlungsarbeit nicht typisch für die Polizei in BadenWürttemberg ist, haben wir – dies sei der Vollständigkeit halber auch erwähnt – an den Ermittlungen im Fall Arthur Christ gesehen, der im Jahr 2009 unter ungeklärten Umständen ebenfalls
in seinem Fahrzeug verbrannte – die Arbeit der baden-württembergischen Polizei in diesem Fall
war geradezu vorbildlich! Und das war übrigens vor der Polizeireform…!
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit war die Aufarbeitung der Mitgliedschaft von zwei baden-württembergischen Polizeibeamten im Ku-Klux-Klan. Der Ausschuss musste feststellen,
dass die disziplinarische Aufarbeitung dieser Vorgänge zu lange gedauert und zu vollkommen
unbefriedigenden Ergebnissen geführt hat.
Um den Mordanschlag auf der Theresienwiese auf die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter und
ihren Streifenpartner Martin Arnold ranken sich sehr viele Spekulationen, Mutmaßungen und
Verschwörungstheorien. Dadurch hat sich bei vielen das Gefühl breitgemacht: „Da muss doch bei
den Ermittlungen einiges schief gelaufen sein…!“
Und tatsächlich haben wir einige Ermittlungsfehler festgestellt – ich will nur die unterlassene
Auswertung des E-Mail-Kontos oder die „Wattestäbchen-Spur“ nennen. Zur Wahrheit gehört
aber auch: Die Soko Parkplatz hat insgesamt über 5.000 Spuren abgearbeitet. Wenn man sich die
Relation der Fehler zu den bearbeiteten Spuren anschaut, bin ich der Meinung, dass unsere Justiz- und Sicherheitsbehörden in diesem Fall insgesamt gute Arbeit geleistet haben. Keine einzige
der 5.000 Spuren hat zu den tatsächlichen Tätern, nämlich dem NSU-Trio, geführt. Es ist eine
etwas bittere Erkenntnis, aber: Ich fürchte, wenn die NSU-Terroristen nicht im November 2011 –
letztlich zufällig – aufgeflogen wären, wäre der Mordanschlag auf der Theresienwiese vermutlich
auch heute noch nicht aufgeklärt.
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Im Ergebnis hatten wir im Ausschuss nicht den geringsten Zweifel daran, dass die NSUTerroristen tatsächlich die Täter waren. Was wir nicht abschließend klären konnten war, ob es
weitere Unterstützer aus Baden-Württemberg gab.
Eine Erkenntnis unserer Ausschussarbeit möchte ich besonders hervorheben: Sie wissen, dass
Michèle Kiesewetter ebenso wie die NSU-Terroristen aus Thüringen stammt. Immer wieder wird
spekuliert und unterstellt, Michèle Kiesewetter müsse daher selbst Bezüge zur rechtsextremistischen Szene gehabt haben. In gleicher Weise hat man den Opfern der Ceska-Mordserie, die alle
einen Migrationshintergrund hatten, über Jahre bei den Ermittlungen unterstellt, sie müssten
Bezüge zur Organisierten Kriminalität haben. Keines der Opfer des NSU kann sich gegen solche
Vorwürfe mehr wehren, und die Familien der Opfer werden durch derartige Unterstellungen
noch einmal zum Opfer gemacht.
Für mich ist es daher ganz wichtig, dass wir bei unserer intensiven Befassung mit dem Fall Kiesewetter keinen einzigen belastbaren Hinweis gefunden haben, dass sie tatsächlich irgendwelche Bezüge zur rechtsextremistischen Szene gehabt haben könnte. Ich bin mir sicher: Das ist
auch für die Familie von Michèle Kiesewetter ein ganz wichtiges Zeichen.
Zwei Punkte möchte ich noch ansprechen, die uns gleich zu Beginn der Arbeit im Untersuchungsausschuss beschäftigt haben:
Der eine ist der Vorwurf der unzureichenden Aktenzulieferung durch die Landesregierung an
den Untersuchungsausschuss des Bundestags – dieser Vorwurf, Herr Innenminister, hat sich
leider zum Teil bestätigt. Auch in unserem Ausschuss hat sich gezeigt, dass das Landesamt für
Verfassungsschutz eine ganz eigene Auslegung unserer Beweisbeschlüsse vorgenommen und
uns Akten zunächst nicht vollständig vorgelegt hat. Wir mussten daher einen eigenen Sachverständigen zum Landesamt schicken, der vor Ort alle Akten gesichtet hat, um sicherzustellen,
dass uns nichts vorenthalten wird. Im Ergebnis – und das gehört zur ganzen Wahrheit auch dazu
– hat der Bundestagsuntersuchungsausschuss und haben auch wir am Ende des Tages alle Akten
vollständig erhalten.
Der andere Punkt ist der Vorwurf, in deutschen und baden-württembergischen Sicherheitsbehörden gebe es einen „strukturellen“ oder „institutionellen Rassismus“.
-5Vermeintlicher „Kronzeuge“ ist in der öffentlichen Diskussion immer wieder ein Zitat aus den
Ermittlungsakten im Mordfall Kiesewetter. Dieses Zitat lautet: „Die Psychologen betonten, dass es
sich bei S. um einen typischen Vertreter seiner Ethnie handele, d.h. die Lüge ein wesentlicher Bestandteil seiner Sozialisation darstelle. (…)“ – Wenn man das liest, kann man schon den Eindruck rassistisch geprägter Voreingenommenheit haben. Aber dieses Zitat ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich handelt es sich hierbei um die Wiedergabe der Meinung von serbischen Psychologen,
die zu einer Vernehmung eines Verdächtigen in Serbien hinzugezogen wurden. Aus der Akte
ergibt sich auch eindeutig, dass es sich gerade nicht um die Meinung der badenwürttembergischen Ermittler handelte.
Hier wird – entweder aus Böswilligkeit oder aus Unkenntnis oder einfach, weil einer beim anderen abschreibt –ein Verdacht in den Raum gestellt, der bei genauerer Überprüfung völlig haltlos
ist. Für die CDU-Fraktion ist es daher wichtig festzustellen, dass sich in den gesamten Ermittlungsakten an keiner Stelle Hinweise auf einen strukturellen oder institutionellen Rassismus
gefunden haben. Aus meiner ganz persönlichen Sicht handelt es sich bei diesem Vorwurf vielmehr um den Ausdruck eines tief sitzenden Misstrauens gegenüber der Polizei aus bestimmten
Kreisen.
Ich will an dieser Stelle auch noch einmal an die Verantwortung der Medien appellieren, nicht
jedem Gerücht und jeder Theorie ungeprüft hinterherzulaufen und sich und ihre Berichterstattung regelmäßig zu hinterfragen.
Diese Frage ist auch in diesen Tagen wieder aktuell geworden, als wir von einem weiteren bedauerlichen Todesfall erfahren mussten – offenbar hat sich der Verlobte einer Zeugin aus dem
Komplex „Florian Heilig“ vor wenigen Tagen das Leben genommen. Das Tragische an dieser Geschichte ist, dass die Zeugin selbst wenige Wochen nach ihrer Vernehmung vor unserem Ausschuss durch eine Lungenembolie ums Leben kam.
Es besteht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass bei diesen Fällen Fremdverschulden im
Spiel gewesen sein könnte – dass es aber auch hier leicht und verlockend ist, auf den Zug der
Verschwörungstheoretiker aufzuspringen, konnten wir leider erst vorgestern wieder in der taz
lesen. Was da gerade wieder „gemosert“ und „gefunkt“ wird, ist unerträglich.
-6Bitte verstehen Sie das nicht als allgemeine Medienschelte! Der ganz große Teil der Medien hat
die Arbeit unseres Ausschuss bis zuletzt interessiert, kritisch und zumeist sachkundig begleitet –
dafür herzlich Dank!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist auffällig: Die Verbrechensserie des NSU weist erstaunliche Parallelen zur dritten Generation der RAF auf, die zwischen 1984 und 1993 ebenfalls aus
dem Untergrund für eine Mordserie mit zehn Toten verantwortlich war. Diese Mordserie konnte
über Jahrzehnte und auch bis heute nicht abschließend aufgeklärt werden. Im Übrigen sollen die
untergetauchten RAF-Terroristen bis in die heutige Zeit für Überfälle auf Geldtransporte zur
Finanzierung ihres Lebens im Untergrund verantwortlich sein.
Einem Mythos möchte ich daher eine klare Absage erteilen: Es gibt nicht „gute Extremisten“ und
„schlechte Extremisten“. Es gibt in gewissen politischen Kreisen leider die Tendenz, Linksextremisten als idealistische Weltverbesserer zu verharmlosen. Dem trete ich entschieden entgegen:
Jede Art von Extremismus – von rechts, von links und aus religiöser Motivation – stellt eine Gefahr für unsere Demokratie und unser friedliches Zusammenleben dar und muss mit gleicher
Entschlossenheit bekämpft werden!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns im Untersuchungsausschuss ist wichtig: Wir müssen über
Parteigrenzen hinweg gegen die Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zusammenstehen! Ich freue mich daher, dass unser Ausschuss auch in seinen Handlungsempfehlungen deutliche Worte gefunden hat:
 Wir legen ein klares Bekenntnis für einen starken Verfassungsschutz ab.
 Wir wollen den Informationsaustausch zwischen den Behörden verbessern.
 Wir wollen die Prüfung von besseren und wirksameren Instrumenten für unsere Sicherheitsbehörden, etwa den Zugriff der Polizei und des LfV auf Vorratsdaten, die Befugnis
zur sog. „Quellen-TKÜ“, also die Überwachung verschlüsselter Telekommunikation, zu
Online-Durchsuchungen und zu präventiver Telekommunikationsüberwachung.
Hier haben sich auch die Grünen eines Besseren belehren lassen – noch vor einem Jahr wollten
sie den Verfassungsschutz ausbluten lassen und das Personal um bis zu 50 % kürzen. Es gibt ja
keinen Nachrichtendienst in Deutschland, den die Grünen noch nicht abschaffen wollten!
-7Leider ziehen die grünen Kollegen trotz unseres einstimmig beschlossenen Abschlussberichts
offenbar weiter durch die Lande und schüren Misstrauen gegen unsere Sicherheitsbehörden. So
konnte ich es jedenfalls einem Artikel in der Südwest-Presse vom 29.01.2016 entnehmen, in dem
es heißt, ich zitiere: „Ermittlungspannen, verschwundene Beweismittel, ein nicht veröffentlichtes
Phantombild, nicht befragte Zeugen und eine Blindheit auf dem rechten Auge ziehen sich nach Filius
Meinung durch die NSU-Ermittlungen.“ Diese Aussage widerspricht diametral unserem einstimmigen Untersuchungsergebnis – ich will nur die Phantombilder nennen, bei denen wir uns einig
waren, dass sie zurecht nicht veröffentlich wurden – ich muss ganz offen sagen, dass mir dafür
jedes Verständnis fehlt!
Ich kann daher an Sie alle – vor allem an die Kolleginnen und Kollegen der Grünen – nur appellieren, diesem Abschlussbericht zuzustimmen und für die gemeinsam gewonnenen Erkenntnisse
auch in der Öffentlichkeit einzutreten und zu werben.
Wir als Demokraten müssen Extremismus und Terrorismus in jeder Form die Stirn bieten!
Lassen Sie uns ein Zeichen der Geschlossenheit setzen!
Lassen Sie uns unseren Rechtsstaat stärken und die „Majestät des Rechts“ bewahren!
Vielen Dank!