„Das Tempo hat sich enorm beschleunigt“

SCHWERPUNKT SYNCHRONSTUDIOS
Sandra Schwittau über ihre Arbeit als Sychronsprecherin
„Das Tempo hat sich
enorm beschleunigt“
München – Sandra Schwittau begann bereits als Sechsjährige Rollen zu synchronisieren. Heute spricht sie
Hollywood-Stars wie Hilary Swank, Eva Mendes oder Noomi Rapace. Am bekanntesten ist sie jedoch als deutsche
Stimme von Bart Simpson. Im BF-Interview spricht sie über den Wandel in der Branche.
Von Ihren Anfängen bis heute: Was sind
die gravierendsten Veränderungen in der
Synchronsprecher-Branche?
Als ich angefangen habe, haben wir mit Projektoren und Schleifen gearbeitet, wir hatten
viel Zeit für die Arbeit. Das Tempo hat sich
enorm beschleunigt, jetzt läuft die Zeit des
Startbands schneller, der Take kommt schneller. Die Sprecher sind auch nicht mehr gemeinsam im Studio. Früher waren wir oft zu
fünft bei einer Aufnahme, was zwar länger gedauert, jedoch auch oft mehr Spaß gemacht
hat. Heute wird in der Regel jeder für sich aufgenommen. Wir haben keinen Anspielpartner mehr. Das hat aber nicht nur Nachteile.
Man kann hochkonzentriert an seiner Rolle
arbeiten. Ich spiele einfach mit meinem Originalpartner, was bedeutet, dass ich mir das
Original anhöre und darauf einsteige. Ich
denke, dass es vor allem für den Dialogregisseur anstrengend ist, weil er keine Anschlüsse hören kann. Die Einzelaufnahmen bringen
auch mit sich, dass sich eine Synchronisation
nicht mehr auf eine Stadt konzentrieren
muss. Man kann sehr flexibel mit Synchronsprechern aus den drei großen Synchronstädten Berlin , München und Hamburg arbeiten – das vergrößert natürlich den Sprecherpool.
Wie ist die Zusammenarbeit zwischen
Synchronproduzenten, Dialogbuchautor
und Sprecher?
Es gibt wie beim Drehen auch beim Synchronisieren Regisseure, die sich ganz streng ans
Buch halten , andere hingegen sind offen für
eine Idee des Sprechers auf der Suche nach
dem richtigen Wort. Synchron ist natürlich
auch immer ein kleiner Kompromiss. Einerseits muss man genau den richtigen Ton tref18
fen, andererseits muss natürlich jeder Labial
und Mundverschluss im Bild sitzen.
Wie erleben Sie das immer enger werdende Zeitfenster beim Synchronisieren?
Das ist natürlich Wahnsinn, die Qualität leidet
dementsprechend. Bei großen Kinofilmen
kommt erschwerend hinzu, dass wir oft nicht
mit dem Final arbeiten und gar kein richtiges
Bild haben bzw. nur stark gepixelte oder
durchgestrichene, auf denen kaum etwas zu
erkennen ist. Die Angst vor Raubkopien ist
immens.
Wie gestaltet sich der Job bei Kinofilmen?
Nach welchen Kriterien werden die deutschen Stimmen ausgesucht?
Es gibt Regisseure wie Steven Spielberg oder
Ridley Scott, die ganz großen Wert auf die
Stimmen in den Synchronfassungen legen
und mitbestimmen. Und es gibt sogar Schauspieler, die in ihre Verträge ein Mitsprache-
„Der Trend geht zu immer
mehr Castings“
recht bezüglich der ausländischen Synchronstimmen aufnehmen lassen. Aber eigentlich
ist es meist der Verleih, der die Entscheidung
über die Synchronsprecher trifft. Der Trend
geht zu immer mehr Castings – selbst im Fernsehbereich, wo die Redakteure mittlerweile
viel mehr Einfluss auf die Synchronproduktion nehmen und auch die kleinsten Rollen
absegnen wollen.
Welches sind die prominentesten Schauspieler, denen Sie Ihre Stimme in den deutschen Fassungen leihen?
Meine vier sogenannten Feststimmen sind
Eva Mendes, Hilary Swank, Noomi Rapace
und Viola Davis. Aber es kann durchaus vorkommen, dass ich, wenn ein neuer Film mit
Hilary Swank ansteht, trotzdem zum Casting
muss – obwohl ich sie in fast allen ihrer Filme synchronisiert habe. Keanu Reeves oder
Isabelle Huppert haben zum Beispiel drei
bis fünf verschiedenen deutsche Stimmen.
Interessant wird es immer dann, wenn etwa
zwei Schauspielerinnen im selben Film sind,
die in der Regel dieselbe deutsche Stimme
haben.
Wie viel Zeit steht Ihnen für die Synchronisation eines Kinofilms zur Verfügung?
Das ist unterschiedlich. Für eine Hauptrolle in
einem Kinofilm werden zwischen zwei und
fünf Tage anberaumt, je nachdem, wie dialoglastig der jeweilige Film ist.
Haben Synchronsprecher Agenten?
In unserer Branche spielen Agenturen längst
keine so große Rolle wie bei Schauspielern,
die vor der Kamera stehen. Anfragen laufen
direkt über die Sprecher oder ihre Disponenten. Die Produktionsfirmen, Verleiher und Regisseure kennen ja die Stimmen und wissen,
wer passen könnte. Es gibt zwar Agenturen,
die vermitteln aber hauptsächlich für den
Werbebereich.
Wie sieht es mit dem Gehaltsgefüge aus?
Mein Gehalt hat sich seit 30 Jahren kaum
verändert. Wenn man betrachtet, wie der
Topf bei einer Filmproduktion verteilt wird,
landet bei uns Sprechern dann doch sehr wenig. Und ob es gerecht ist, dass ich für eine Rolle in einer eher unwichtigen Serie für einen
kleinen Sender genauso viel bekomme wie
Blickpunkt:Film 50/14
SYNCHRONSTUDIOS SCHWERPUNKT
Sandra Schwittau
wurde als Sechsjährige auf dem Spielplatz entdeckt. Da sie sich bereits als Kind
durch eine recht dunkle Stimme auszeichnete, hat sie die ersten zehn Jahre
ihrer Karriere nur Jungs gesprochen. Sie
nahm privaten Stimmbildungsunterricht,
schnupperte Theaterluft und war hin und
wieder auch vor der Kamera aktiv. Neben
ihrer Arbeit als Synchronsprecherin führt
sie einen erfolgreichen Conceptstore in
München.
film kommt und aus Marketinggründen ein
bekannter Name gebucht wird und wahnsinnig viel Geld dafür bezahlt. Synchronsprecher werden für das, was sie leisten, nicht
überbezahlt, die Produktionen müssen um
jeden Euro für die Synchronisation kämpfen.
Da ist es etwas bizarr, wenn viel Geld für ein
nicht wirklich bombastisches Ergebnis verpulvert wird.
Wie sieht die Situation von Kollegen im
europäischen Ausland aus?
Ich kann sagen, dass wir in Deutschland
höchste Qualität liefern. Ich weiß aber auch,
dass die Budgets für Synchronproduktionen
in vielen anderen europäischen Ländern über
dem liegen, was die Firmen hier aufrufen können. Meiner Meinung nach haben sich die
Synchronfirmen hierzulande die Preise kaputt gemacht. Wir synchronisieren für kleines
Geld sehr professionell und erstellen tolle
Synchronisationen.
für eine Rolle in einem Blockbuster, sei dahingestellt. Bei neuen Feldern wie Audibles
heißt es, ihr bekommt nur die Hälfte, weil es
nur ein File zum Runterladen ist. Soll ich dann
auch nur halb so gut lesen oder sprechen?
Das finde ich problematisch. Ich bin froh, dass
wir über unseren Verband IVS Themen wie
Sozialversicherungsstatus, Arbeitslosenversicherung, GVL oder Wiederholungshonorare angehen.
Welchen Stellenwert nehmen Hörbücher
und Hörspiele in Ihrer Arbeit ein?
Für mich nimmt dieser Bereich einen sehr
großen Raum ein, es gibt aber auch Kollegen,
die das gar nicht machen. Ich genieße Hörbuchaufnahmen, weil ich dabei so frei bin.
Blickpunkt:Film 50/14
Das Korsett, das man beim Synchronisieren
hat, gibt es dort nicht. Ich kann mein eigenes
Tempo bestimmen und die Figuren für mich
selbst entwickeln.
Sie sind eher hinter der Kamera aktiv. Wie
sieht die Situation aus zwischen reinen
Synchronsprechern und bekannten
Schauspielern, die nur hin und wieder als
Synchronsprecher tätig sind? Nimmt man
sich als Konkurrenz wahr?
Man muss differenzieren. Ein Elmar Wepper
ist sehr lange schon die deutsche Stimme von
Mel Gibson und macht das hervorragend.
Es spielen ja auch viele Synchronsprecher
Theater oder drehen. Manchmal ist man aber
doch irritiert, wenn ein großer Animations-
Am bekanntesten sind Sie als deutsche
Stimme von Bart Simpson, den Sie seit
dem ersten Tag sprechen. Ist die Figur so
etwas wie Ihr Baby?
Ich spreche Bart seit 1989. Da ich die „Simpsons“ selbst cool finde und einen Sohn und eine Tochter habe, die große „Simpsons“-Fans
sind, hänge ich natürlich an der Figur und
freue mich, dass das Engagement damals zustande gekommen ist. Für mich ist es eine
Ehre, weil es eine tolle Serie ist. Als kleines
Mädchen habe ich Peppermint Petty von den
„Peanuts“ gesprochen, die mochte ich zu der
Zeit auch sehr gern. Und auch an meine erste
Rolle, Buckwheat aus „Die kleinen Strolche“,
denke ich mit Freude zurück. bas
19