Predigt über Markus 2, 18-22

Predigt über Markus 2, 18-22
Sonntag, 08. November 2015, 11 Uhr
Schlosskirche Bonn
Von Pfr. Michael Pues, ESG Bonn
Liebe Gemeinde,
mit drei Stichworten will ich Sie mit hineinnehmen in mein Nachdenken über diese Geschichte aus
Markus 2, die wir gerade gehört haben. Aufgefallen – Das Neue – Und jetzt?
Aufgefallen
Wann bin ich das letzte Mal aufgefallen? Wann sind Sie anderen das letzte Mal aufgefallen? Nicht –
weil wir uns irgendwie auffällig gekleidet hätten. Aufgefallen durch das, was wir gesagt haben. Was
wir getan haben.
Fällt das anderen überhaupt auf, dass ich glaube, Christ bin, zur Kirche gehöre? Wie werden
Menschen darauf aufmerksam? Werde ich darauf angesprochen? Wer wundert sich über mich? Bei
wem löse ich Fragen aus?
Wir können diese Fragestellung auch auf die Kirche insgesamt ausweiten.
Wie wird Kirche in der Gesellschaft sichtbar? In welchen Fragen erhebt die Kirche ihre Stimme? Wie
erreichen wir überhaupt noch Aufmerksamkeit?
Diese Fragen werden dringender in einer Zeit, in der die Rolle der Kirchen, der christlichen Tradition
in unserem Land und in vielen anderen westlichen Ländern einem dramatischen Wandel
unterworfen ist.
Aufgefallen. Die Jünger von Jesus fallen auf. Es geht nicht um plumpe Provokation. Es geht um ein
neues Verständnis der Tradition und ein verändertes Selbstverständnis. Durch ihr Verhalten setzen
sie sich von anderen ab. Sie fasten nicht. Eine Geschichte später fallen sie wieder auf. Durchbrechen
die Sabbatruhe und pflücken Ähren am Sabbat. Nicht Fasten, die Sabbatruhe durchbrechen - das
allerdings provoziert und fordert heraus.
Eine nicht näher definierte Gruppe von Menschen kommt zu Jesus mit ernsten Nachfragen: Mit
welchem Recht meinen deine Jünger eigentlich, dass sie nicht fasten müssen? Ist dir und deinen
Anhängern denn gar nichts heilig? Du bist ein Jude wie wir – was bedeutet dir die Tradition? Was ist
mit unseren heiligen Schriften?
Und Jesus? Ich komme zum zweiten Stichwort:
Das Neue
Jesus versucht zu erklären, versucht die Leute mitzunehmen.
Und er tut das – wie so häufig – mit Bildern. Zwei Bilder aus dem häuslichen Alltag der Menschen.
Niemand flickt einen Lappen von einem neuen Tuch auf ein altes Kleid. Die Qualität der Stoffe ist so
unterschiedlich. Am Ende reißt das alte Kleid noch viel stärker ein.
Und: Niemand füllt neuen Wein in alte Schläuche. Wein wird damals in Schläuchen aus Tierhaut
aufbewahrt. Wer einen neuen, gärenden Wein in einen alten, rissigen Schlauch füllt, der wird den
Schlauch zum Platzen bringen und der Wein ergießt sich auf dem Boden.
Jesus wird allenthalben Kopfnicken geerntet haben. Ja, das ist sofort einsichtig. Kein klar denkender
Mensch würde das tun. Bei einem porös gewordenen Stoff oder Weinschlauch – da hilft keine
Flickschusterei. Es braucht etwas Neues.
Aber dann wird das Kopfnicken schnell zu Ende gehen. Als die Menschen merken, wohin die Reise
gedanklich geht. Jesus verteidigt das Verhalten seiner Jünger. Er redet über Tradition und
Neuaufbruch. Er redete von etwas Neuem, das zum Alten nicht mehr passt.
Und die Fragen gehen von vorne los: Wie meinst du das Jesus mit alt und neu? Was ist mit unseren
bewährten Regeln und Ritualen? Hat das Alte, hat die Tradition keinen Wert für dich?
Ein weiteres Bild: Gäste bei einer Hochzeit. Der Bräutigam ist natürlich mitten im Festtrubel.
Niemand von den Gästen würde auf die Idee kommen, jetzt zu Fasten. Während des Festes gelten
andere Regeln. Es gibt gute Traditionen. Aber es gibt auch die Zeit für Spontaneität. Jetzt ist Festzeit,
Zeit für Neues.
Wohlgemerkt: Jesus wischt nicht einfach die Tradition vom Tisch, z.B. beim Thema Fasten. Bei
Matthäus wird berichtet, dass Jesus selber in der Wüste 40 Tage und Nächte gefastet habe. Die
Bergpredigt gibt Anweisungen über das rechte Fasten. Jesus als Jude, hat die hebräische Bibel, das
Gesetz als Orientierungspunkt. Er bewegt sich im Rahmen der Tradition – aber er nimmt für sich in
Anspruch, die Tradition aufzubrechen, weiterzuentwickeln, neu zu verstehen, neu zuzuspitzen.
Mit dem Bild des Hochzeitsfestes könnten wir es uns leicht machen, denn es kommt noch ein
Nachsatz. „Es wird aber die Zeit kommen, dass der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann
werden sie fasten, an jenem Tage.“
Wenn wir das Bild eins zu eins übertragen, dann ist der Bräutigam Jesus, die Hochzeitsgesellschaft
seine Jünger. Die ganze Diskussion betrifft uns also nicht mehr. Jesus ist nicht mehr unter uns, es
gelten also wieder die alten Regeln. Das Alte ist wieder eingesetzt.
Sie merken schon, wie absurd das für uns heute wäre. Dann müssten wir die Fastenregeln und alle
weiteren Vorschriften des mosaischen Gesetzes wieder befolgen. Es ist zudem darüber nachgedacht
worden, dass spätere Kreise diese Einschränkung eingefügt haben. Um eine wieder aufgenommene
Fastenpraxis zu rechtfertigen. Auffällig ist in jedem Fall, dass sonst Jesus seinen neuen Ansatz, seinen
Anspruch auf die Menschen nicht zeitlich einschränkt. In der Geschichte vom Ährenraufen direkt im
Anschluss wird ganz umfassend von Jesus gesagt: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht
umgekehrt.“
Wie auch immer: Eine direkte Übertragung – Bräutigam gleich Jesus - wird der Dynamik der
Bildworte insgesamt nicht gerecht. Jesus geht es um etwas Grundsätzlicheres als um die Einzelfragen
von Fasten oder Sabbatruhe. Er greift weiter. Jesus nimmt für sich in Anspruch, dass wirklich etwas
Neues mit ihm begonnen hat. Dass Gott in ganz neuer Weise den Menschen nahe kommt. Dass das
Alte in einem neuen Licht erscheint.
Ich komme zu meinem dritten Stichwort:
Und jetzt?
Es bleibt ja bei der Anfrage vom Anfang: Die Jünger fallen auf durch ihr Auftreten, durch ihr
Verhalten. Durch das, was sie tun. Und wir?
Wir befinden uns in der Tradition dieser Jünger. In der Nachfolge Jesu. Vielleicht werden wir sogar
ein wenig neidisch. Denn wir fallen im Normalfall nicht auf. Sind eher Bestandteil der Gesellschaft
geworden und das mit einem zunehmend geringer werdenden Einfluss. So gerade noch akzeptiert.
Manchmal gehören wir vielleicht eher zu den alten Schläuchen, zum alten Kleid. Menschen – gerade
junge Menschen - nehmen Kirche so war. Als etwas Altes, Traditionelles, Verstaubtes.
Jesus geht seine eigenen, neuen Wege. Aber nicht, weil er auffallen will, weil er modern wirken will.
Er fragt: Was dient dem Leben der Menschen? Wie wird für andere sichtbar, dass Gott die Menschen
liebt, ihnen nahe kommen will. Mit Jesus hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Und das hat
Konsequenzen. Altes neu denken, Tradition aufbrechen und weiterentwickeln. In dieser Dynamik
wird unser Glaube lebendig, wird unsere Kirche lebendig. Einige Beispiele.
An manche Dinge müssen wir vielleicht einfach mal erinnert werden:
- Eine Frau im Pfarramt? Auch in unserer Kirche lange Zeit undenkbar. Heute unbestrittener Alltag.
Wir feiern in diesen Tagen, dass Pfarrerinnen seit 40 Jahren in der Ev. Kirche im Rheinland auch
rechtlich gleichberechtigt sind.
- Ein weiterer Aufbruch in der Vergangenheit war das neue theologische Nachdenken über das
Verhältnis von Christen und Juden. Das hat in der Ev. Kirche im Rheinland 1980 zu einem viel
beachteten Synodalbeschluss geführt.
- Wir können auch an die Bewegung des Kirchentages denken: Ein Experimentierfeld, wo neue
Formen ausprobiert werden, manches auch wieder verworfen wird.
Und zum Glück blitzt auch im Alltag in unseren Gemeinden immer wieder etwas von einem neuen
Geist auf. Da, wo Menschen offen sind für Neues. Für das Neue, das schon da ist. Die Zeichen der Zeit
erkennen, nicht in alten Formen erstarren.
Ich habe eingangs gefragt: Wo fallen wir anderen auf, wo werden andere auf mich aufmerksam?
Den Jüngern ging es nicht um ein Auffallen-Wollen um jeden Preis. Sie sind aufgefallen durch das,
was sie neu gedacht und dann getan haben. Ich möchte mich auch von Jesus anstecken lassen mit
seinem neuen Denken und Handeln. Von Jesus, für den religiöse oder soziale Grenzen nicht die
entscheidende Rolle gespielt haben. Der an einem Tisch sitzt mit den Zöllnern und Sündern. Der uns
Mut machen will: Denkt bei geflüchteten Menschen oder bei Menschen, die in unserer Stadt auf der
Straße leben, nicht zuerst an das, was Euch sichtbar trennt. Sondern begegnet ihnen als die, die sie
sind: gern gesehene Gäste bei Gott. Lebt das Leben als ein Fest. Nicht immer ein ausgelassenes und
rauschendes Fest. Manchmal auch nachdenklich und traurig. Aber bleibt lebendig, freut euch an der
Zeit und den Möglichkeiten, die euch geschenkt ist.