Die Trilogie der Frühjahrs-Klassiker Es ist Ostersamstag und ich sitze im Bus ganz vorn, die hektischen Bewegungen der riesigen Scheibenwischer zeigen, dass es wieder erwarten doch heftig regnet. Der Bus stoppt in einem Außenbezirk von Brugge und ich will nicht wirklich aussteigen. Warum? Neben dem Regen sind es noch abschreckende 5°C Außentemperatur und die 245km der Ronde van Vlaanderen die vor mir liegen. Angefangen hatte es im Winter, als ich über die Herausforderungen für 2015 sinnierte. Wo ich mit meinem lädierten Knie landen würde, war nicht so richtig klar und Radfahren war der empfohlene Reha-Sport. Ich stolperte über die Seiten der ASO und meldete mich kurzerhand für die Ronde, ParisRobaix und Lüttich-Bastogne-Lüttich an. Man könnte es als Zustand geistiger Umnachtung betrachten, denn ich wusste nicht wirklich, was ich mir da vorgenommen hatte. Auf jedem Fall hatte ich bis zum besagten Ostersamstag doch schon an die 3000km Vorbereitung in den Beinen. Davon waren fast 1000km auf der Rolle. Die logistischen Randbedingungen waren auch nicht einfach. Am Vorabend von Magdeburg bis Gent fahren und dort übernachten. Morgens dann früh um 4 Uhr aufgestanden, um pünktlich am shuttle Bus in Ourdenaarde zu stehen, der mich dann nach Brugge bringen soll. In Brugge war es dann vermeintlich einfach; im noch dunklen Morgen einfach der Meute an Radfahrern folgen, die sich aus allen möglichen Ecken kommend, zum Marktplatz bewegte. Als „Auswärtiger“ hat man natürlich abends keine Chance mehr auf einen check-in, am Marktplatz musste ich feststellen, dass besagter check-in in einem 10km entfernten Sportzentrum stattfand. Zum Glück konnte ich mich an eine Gruppe holländischer Leidensgenossen hängen, denen es ähnlich ging. Wie das Leben spielt: am Sportzentrum traf ich dann Matthias aus Wolmirstedt. Er hatte mir im Februar bei der CTF in Sohlen schon erzählt, dass er starten würde. Aber das wir uns bei 16000 Teilnehmern über den Weg laufen würden… Nachdem der check-in erledigt war, gings zurück zum Marktplatz. So hat man vor dem Start schon 20km weg und ist bereits patschnass und durchgefroren. Die ersten 100km verliefen dann erst mal unspektakulär. Es war im Prinzip der Weg zurück nach Oudenaarde, nur etwas langsamer. Die Ronde van Vlaanderen bewegt sich in ihrem interessanten Abschnitt eigentlich nur in einem schmalen Umkreis um dieses Örtchen herum. Spektakulär sind dabei mehrere gepflasterte und extrem steile Anstiege, auf gut flämisch "Hellinge". Beschissen zu fahren sind sie alle, aber die bekannteren tragen Namen wie Molenberg, Koppenberg, Taaineberg, Paternberg oder der berüchtigte Ode Kwaremont. Immer wieder gleich: man glaubt vor einer Steinmauer zu stehen, verschaltet sich vor lauter Schreck und irgendwann bei 20% Steigung verreckt man langsam, wird vom Vordermann gebremst und steigt ab. Motivierend war allerdings die unheimliche Begeisterung an der Strecke und die Toleranz der Autofahrer. Immerhin waren auf den verschieden Strecken (239km, 127km, 71km) über den ganzen Tag Heerscharen an Radlern unterwegs. Und überall riesige Flaggen mit dem Bild des Vlaamse Leeuw, dem flandrischen Löwen. Ich hatte mich mutig für den langen Weg entschieden, der mit dem Pro-Rennen identisch ist. Bis zum Ziel hat mich die Begeisterung leider nicht getragen, irgendwann war ich so nass und durchgefroren, dass ich weder Bremse noch Schaltung vernünftig bedienen konnte. Aber das ist dort das Gute, da man immer um den Zielort fährt, kann man auch einfach aussteigen. Das tat ich dann nach ca. 200km, man muss sich ja noch Ziele offen lassen. Eine Woche später fuhr ich dann, ob dieser Niederlage hoch motiviert, wieder mit dem Auto in Richtung Belgien. Sogar noch ein wenig mehr, denn Paris – Robaix findet an der belgisch französischen Grenze statt. Ich hatte mich auch hier wieder für die lange Strecke entschieden: 163km von Busigny bis Robaix. Das Pro-Rennen startet in Compiegne und ist noch 100km länger, aber ab Busigny, wo die Kopfsteinpflasterpassagen anfangen, ist es für alle gleich. Diese insgesamt 27 Kopfsteinpflasterpassagen, Paves genannt, sind es, die diese Rennen berühmt berüchtigt machen. In Summe fährt man ca. 52km Kopfsteinpflaster. Der Gipfel des Ganzen ist dann noch, dass man die Paves wie Hotels mit Sternchen kategorisiert hat. Von zwei bis fünf Sternen ist alles dabei. Für mich war es „business as usual“: früh um 4Uhr nach Robaix fahren, in den shuttle Bus steigen und bei Regen und grauen Himmel das Rad in Busigny in Empfang nehmen. Check-in war zum Glück im Startbereich, so dass ich mir die 20 Zusatzkilometer wie bei der Flandernrundfahrt sparen konnte. In der einen Woche waren zum Glück auch die Außentemperaturen um 5 Grad angestiegen, sodass der Regen zu verschmerzen war. Die erste Pave: 2,2km lang, „Troisville a Inchy“ genannt, kam dann ziemlich unvermittelt. Ich hatte keine Vorstellung, was es bedeutet und wenn ich welche gehabt hätte, sie wären weit weg von der Realität gewesen. Im Bus hatte ich über die Leute noch gelächelt, die sich Ihre Hände mit fetten Mullauflagen bandagierten, jetzt spürte ich, dass dies keine dumme Idee war. Die Paves vereinen alles Schlechte dieser Welt: Höhenunterschiede zwischen den Pflastersteinen von bis zu 5cm, tiefe Löcher, Pfützen, Schlammpassagen, geschotterte 90°-Kurven. Sie sind zu den Rändern nach rechts und links abschüssig. Man fährt sie entweder ganz am Rand oder in der Mitte. Bei Regen ist der häufig mit Erde bedeckte mittlere Verlauf jedoch eine ziemlich schleimige Angelegenheit. Das ist besonders bei den Abfahrten unangenehm. Wenn es trocken ist, wird der gesamte Kurs von einem riesigen Staubnebel eingehüllt. Also so oder so Mist. Um die Passagen vernünftig zu fahren gibt es ein einfaches Rezept: Kette rechts und treten wie ein Gaskranker. Oder wie einer der vielen teilnehmenden Engländer meinte: „You must pedal hard, so you can fly“. Wie überall gibt es natürlich auch das klein-gedruckte: Man muss erst mal genug Strom in den Beinen haben, um eine bis zu 3,7km lange Passage mit Kette rechts voll zu treten und man muss immer die Ideallinie gegen all die anderen Mitfahrer verteidigen. Die Steuerungsmöglichkeit ist eingeschränkt, da man meist den Lenker nicht richtig zu greifen bekommt, das ganze Rad verhält sich wie ein störrisches Rodeopferd. Im Sektor 20, der 1,6km langen „Maing a Monchaux“ warf mich mein Pferd dann ab. Ich fuhr am rechten Rand und blieb mit der Kurbel irgendwie im Gras hängen. Die Folge war ein schön anzusehender Abgang über den Lenker, der mich in den zum Glück weich gepolsterten Randstreifen katapultierte. Pferd und Reiter blieben heil. Irgendwann hat man sich an alles gewöhnt und meint, man hätte das Schlimmste hinter sich. Das denkt man aber nur bis man in den berüchtigten Wald von Arenberg („Trouee d`Arenberg“) einreitet, eine von drei „5-Sterne“ Paves. Ein 2,4km langes Waldstück, das immer nass ist, selten die Sonne sieht und einen extra umgepflügten Randstreifen aufweist. Bekannt aus dem Pro-Rennen für sehr spektakuläre Massenstürze. Bei youtube gibt es einige sehenswerte Videos. Ein Pulk von ca. 20 Fahrern vor mir knallte mit vollen Speed in den Wald und nach 50m sah ich ein gewaltiges Knäuel aus Räder und Fahrern am Boden, einige blieben liegen …. Irgendwann wurden dann die Wege besser und der Regen stärker. Es ging nach Robaix. Auf den letzten Kilometern zum Radstadion, dem berühmten Velodrom de Robaix, verlief die Strecke durch den typisch anarchistischen französischen Feierabendverkehr, aber wie die Belgier sind auch die Franzosen sehr Rennrad begeistert. Es ist dann schon ein supergeiles Gefühl, wenn man auf die letzte Runde der Betonbahn, übrigens eine Steilkurve einbiegt und dann die Ziellinie überquert. Fast genau 24 Stunden kam dann an gleicher Stelle der gebürtige Thüringer John Degenkolb vom Giant Alpecin Team als erster beim ProRennen über die Ziellinie. Aber das konnte ich mir dann schon am Fernseher anschauen und so auch nochmal alle Paves aus ganz entspannter Atmosphäre genießen. Und warum nun Trilogie? Eigentlich hatte ich ja noch Lüttich-Bastogne-Lüttich geplant. Da ich mir aber kurz vor dem Start eine hartnäckige Erkältung einfing, musste der Ardennenklassiker in diesem Jahr ohne mich auskommen.
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