Liebe Mitglieder des Presbyteriums der Kirchengemeinde Gersweiler-Klarenthal, nochmals vielen lieben Dank für die sehr großzügige Spende, die mir meine bisher aufregendste Zeit in meinem Leben ermöglicht hat. Ich bin nun schon knapp 2 Monate in Indien im Land der Gegensätze und ich werde mich hier nie so zuhause fühlen, wie mir das in Europa möglich ist, aber „Mother India“ hat mich in ihren Bann gezogen. Der Hauptgrund dafür sind eindeutig die Menschen hier. Diese Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft können einen nur bezaubern und alle wirken irgendwie zufrieden, keine Ahnung woran das liegen mag, aber ich werde diese dauerhafte gute Laune sicherlich vermissen wenn ich nach Deutschland zurückkehre. Coimbatore, die Stadt in der ich wohne, wird von vielen für das „Indien für Anfänger“ bezeichnet. Das Klima ist wirklich angenehm (solange man sich zwischen 10 und 14 Uhr nicht in der prallen Sonne aufhält), der Verkehr ist für indische Verhältnisse fast lachhaft (für Deutsche aber absolut gar nicht. Meine erste Auseinandersetzung mit dem wilden Gehupe der indischen Straßen werde ich wohl nie vergessen), die Stadt ist eine reiche Industriestadt mit „nur“ 1 Millionen Einwohner und es gibt ziemlich wenige und kleine Slums, aber trotzdem werde ich mich an diesen Anblick wohl nie gewöhnen. Mindestens genauso schlimm wie die Armut ist der Anblick des Mülls. Indien versinkt im Müll und weit und breit ist alles voll damit. Ständig sieht man Rauchschwaden in den Himmel steigen und weiß, dass hier Plastik am Straßenrand verbrannt wird. Das schlimme ist nicht nur, wie sehr Inder Plastik zu lieben scheinen, sondern vor allem, dass dort auch unser Müll, unser Plastik liegt. So oft wird unser Müll statt recycled zu werden einfach nach Indien transportiert und hier gibt es wirklich kein Entkommen vom Müll. Eine positive Sache hat der Müll dann aber doch: Man kann ihm nicht entgehen. Ich werde hier tagtäglich daran erinnert was die Folgen einer Verschwendergesellschaft sind und es wird mir nicht möglich sein genauso verschwenderisch nach Deutschland zurückzukehren. So bitte ich auch alle die diesen Bericht lesen: Überdenkt euer Kaufverhalten. Braucht ihr wirklich alles was ihr kauft? Und gibt es das vielleicht auch ohne Plastik? Die Schule an der ich arbeite, die „Yellow Train School“ liegt etwas außerhalb auf einem riesigen Farmgelände. Mein Mitfreiwilliger und ich leben im Farmhaus, welches nur 1min vom Schulgebäude entfernt ist. Das Herz der Schule bildet die Gemeinschaft der Lehrerinnen. Noch nie in meinem Leben habe ich eine so harmonische und glückliche Gemeinschaft erlebt, noch habe ich je geglaubt, dass so etwas wirklich existiert. Die 9 Lehrerinnen starten jeden Schultag mit einer „Sangha“ (=Gemeinschaft). Wir sitzen in einem Kreis mit Blumen und einer Kerze in der Mitte und wir singen zusammen das Lied „Breathing in - Breathing out“ von Thich Nhat Hanh, einem buddhistischen Mönch. Danach wird ein Kapitel eines Buches vorgelesen, das vorzugsweise die ganzheitliche Bildung von Kindern zum Thema hat. Abschließend fassen wir uns alle an den Händen und verbeugen uns voreinander. Nachdem um 15 Uhr die Schüler die Schule verlassen haben, kommen die Lehrerinnen erneut zusammen und arbeiten eine Stunde lang gemeinsam daran den Schulalltag noch besser zu gestalten. In der Lehrergemeinschaft herrscht völliger Respekt vor den anderen Lehrerinnen und auch den Schülern. Worte werden mit Bedacht gewählt und Kritik wird als Anregung wiedergegeben. Lehrerinnen sind hier nicht einfach nur Kollegen sondern Familie und mein Mitfreiwilliger Malte und ich wurden direkt in diese Familie aufgenommen. Wir werden umsorgt so gut es nur geht und es ist immer jemand für uns da wenn wir Hilfe brauchen. Unsere Handlungen werden wertgeschätzt und das fühlt sich einfach nur gut an und macht uns beide unfassbar glücklich und stark und diese positive Energie ist so stark, dass wir sie den Kindern einfach weitergeben können. Lehrer werden an der „Yellow Train School“ nicht mit dem Nachnamen angesprochen sondern mit „Akka“ (=große Schwester) oder im Fall von Malte „Anna“ (=großer Bruder). Diese Anrede drückt das Verhältnis, das ich mit den Schülern habe perfekt aus. Ich bin die große Schwester. Ich helfe ihnen bei ihrem persönlichen Wachstum und habe Spaß mit ihnen. Wir vertrauen uns gegenseitig und obwohl ich die Autoritätsfigur der Klasse bin, sind wir gleichgestellt. Die Schule sieht als Ziel ihres Bestrebens die ganzheitliche Entwicklung eines Individuums und ist dabei inspiriert von Rudolf Steiner, aber auch von indischen Philosophen wie Sri Aurobindo und von den Lehren des Buddhismus. Es gibt 75 Schüler in der Schule und 160 Kinder im Kindergarten, der jedoch im Zentrum der Stadt zu finden ist. Diese Schüler sind auf die Klassen 2, 3, 4, 5 und 6 aufgeteilt. Der Schultag beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück von Schülern und Lehrern um halb 9. Nach unserem Frühstück halten wir Lehrer unsere „Sangha“ ab, während die Kinder spielen, um dann anschließend um 9 Uhr auch gemeinsam mit den Kindern unserer Klasse eine „Sangha“ zu halten. Ich begrüße als Klassenlehrerin jeden Schüler der 5. Klasse persönlich. Die Kinder bringen Blumen mit, die wir als Zentrum unseres Kreises benutzen. Wir singen und ich lese eine Geschichte vor. Ich wünsche den Kindern einen wundervollen Tag und wir verbeugen uns. Bis um 10:30 findet die erste Stunde statt. Obwohl die Stunden im Vergleich zu normalen Stunden ziemlich lange sind, werden sie doch durch verschiedene Lieder, Spiele oder kreative Momente aufgelockert. Nach der ersten Stunde machen alle Kinder für 5-10min Yoga und werden dann bis um 11 Uhr in die Snack- und Spielpause entlassen. Bis um 13 Uhr ist wieder Unterricht mit einer kleinen Pause um 12 Uhr, die in kompletter Stille abgehalten wird. Um 13 Uhr wird gemeinsam das Mittagessen zu sich genommen, was mit einem Tischgebet eingeläutet wird und von 13:30 bis 14:45 findet die letzte Stunde statt. Der Schultag endet für die Kinder mit einer Abschluss- „Sangha“. Seit 2 Monaten bin ich nun an dieser Schule. Der erste Monat, den Malte und ich an diesem wundervollen Ort verbringen durften, war geprägt von zwei besonderen Ereignissen. Die ersten 2 Wochen haben wir mit der Vorbereitung für das Science Fest verbracht. Wochenlang haben die Schüler naturwissenschaftliche Experimente vorbereitet, die sie an einem öffentlichen Fest dem Publikum präsentieren durften. Die darauffolgenden 2 Wochen wurden fast vollständig der Vorbereitung der 2 Theaterstücke gewidmet. Eine amerikanische Regisseurin hat diese 2 Wochen eng mit der Schule zusammengearbeitet und es entstanden innerhalb von nur 2 Wochen die Stücke „Das Dschungelbuch“ (2. und 3. Klasse) und „William’s Window“ und beide konnten das Publikum an den 2 Aufführungen bezaubern. Seit knapp einem Monat bin ich nun Lehrerin und der Alltag ist eingekehrt an dieser Schule. Ich unterrichte Heidi als Englischlektüre in der 3. Klasse. Kunst für die 3. und 4. Klasse und mit der 4., 5. und 6. Klasse arbeite ich an einem selbstentwickelten Umweltschutzprojekt, dass ich „Go Green“ genannt habe. Ich liebe es mit diesen Kindern zu lernen. Auch wenn es manchmal anstrengend ist, wird man täglich mit einem Kinderlächeln für seine Arbeit belohnt und wenn man sieht, wie viel Mühe sie sich alle geben, treibt mir das auch gerne mal ein paar Freudentränen in die Augen. Ich habe jeden einzelnen Schüler tief in mein Herz geschlossen und mein Ziel ist es jeden einzelnen mit meinem Unterricht zu erreichen und ihnen etwas fürs Leben mitzugeben. Ich liebe diese Schule und diese Erfahrung und im Moment kann ich mir nicht vorstellen, wie ich diese Schule wieder verlassen soll. Aber eins weiß ich genau: Ich werde wieder zurückkommen und zwar so oft wie nur möglich. So unfair und grausam diese Welt und auch Indien sein können, diese Schule ist der Beweis, dass es auch anders geht. Man braucht nur Liebe. Ich danke allen, die mir diese Erfahrung ermöglicht haben und freue mich darauf in ein paar Monaten mehr berichten zu können. Liebste Grüße aus Indien, Corinna Erbel
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