Astronomie, Mathematik, Kartenkunde, Physik und Chemie

XVI. Kapitel Die mathematischen und physikalischen Abhandlungen von
JOHANNES GESSNER (1709-1790)
64
XVII. Kapitel Naturwissenschaftliche Forschung im Rahmen der Physikalischen
Gesellschaft
79
XVIII. Kapitel Die Schüler GESSNER'S: CASPAR HIRZEL (1725-1803), SALOMON SCHINZ
(1734-1784), DAVID BREITINGER (1737-1817), JOH. HEINR. WASER (1742
bis 1780) und JoH. HEINR. RAHN (1749-1812)
84
XIX. Kapitel Übergang zum 19. Jahrhundert. (Aus der Tätigkeit der physikalischnaturforschenden Gesellschaft bis zur Gründung der Universität)
Anhang: Anmerkungen
90
93
Verzeichnis der Abbildungen
110
Tabelle
111
Literaturverzeichnis
111
Namenverzeichnis
112
1. Kapitel Einleitung *)
Ob wissenschaftliches Leben in einer bestimmten Stadt während einer
gegebenen Zeitepoche sich in dieser oder jener Richtung entfalten konnte,
hängt neben den persönlichen Faktoren auch von der sozialen Struktur der
betreffenden Gemeinschaft ab. In der alten Eidgenossenschaft konzentrierte
sich geistiges und damit auch wissenschaftliches Leben bis zur Französischen
Revolution auf die sozial herrschenden Schichten der Stadtkantone, in der
Hauptsache auf Basel, Zürich, Bern und Genf (1) . Dabei ist eine charakteristische Differenzierung in der Entwicklung des geistigen Lebens dieser vier
Städte unverkennbar. Basel genoss als alte Universitätsstadt einen merklichen
Vorsprung vor Bern und Zürich. Genf nahm als geistiges Zentrum des Calvinismus eine Sonderstellung ein (2) .
Im folgenden beschränken wir uns auf eine Schilderung der Verhältnisse
im alten Zürich, weil bloss eine konkrete soziologische und sozialpsychologische Erfassung der lokalen Verhältnisse geeignet sein dürfte, die Basis für
einen späteren systematischen Vergleich der Bedingungen der wissenschaftlichen Forschung im Rahmen der alten Eidgenossenschaft zu bilden. Zudem
ist das historische und archivalische Material über das alte Zürich, vor allem
auch in soziologischer Hinsicht, besonders reichhaltig und aufschlussreich.
Zu einer überraschenden Stabilität des gesellschaftlichen Aufbaues während
Jahrhunderten, praktisch von der Reformation bis zur Französischen Revolution, gesellt sich die Möglichkeit an Hand der Akten des Staatsarchives des
Kantons Zürich sowie der Volkszählungen durch die Physikalische Gesellschaft (der späteren Naturforschenden Gesellschaft) im 18. Jahrhundert ein
abgerundetes Bild der Verhältnisse zu zeichnen.
*) Die Drucklegung dieser Habilitationsschrift wurde ermöglicht durch Beiträge der
Stiftung für wissenschaftliche Forschung an der Universität Zürich und des Stadtrates von
Zürich, wofür beiden Instanzen aufrichtig und herzlich gedankt sei.
2
II. Kapitel Die Entwicklung von Wirtschaft und Bevölkerung im alten Zürich
Das Gebiet des Kantons Zürich umfasst heute 1729 Quadratkilometer. Auf
dieser Fläche leben gegenwärtig 780 000 Menschen, also rund 450 pro
Quadratkilometer. Als im 14. und 15. Jahrhundert die Stadt Zürich ihr
Hoheitsgebiet durch zielbewusste Territorialpolitik ausdehnte, war die Bevölkerungsdichte viel geringer. Sie betrug im Jahre 1467 nach WERNER
SCHNYDER 19 bis 21 Seelen auf den Quadratkilometer (17 bis 18,4 auf der
Landschaft; davon 1,8 bis 7,7 in Dörfern mit Wald- und Weidewirtschaft,
12 bis 20 in Dörfern, in denen vorwiegend Ackerbau betrieben wurde und 29
bis 77 in Gemeinden mit Rebbau) .
Seit dem Jahre 1218 galt Zürich als freie Reichsstadt. Wahrscheinlich wurde
der Rat von Zürich im Jahre 1247 dank dem Recht der freien Ratswahl zur
unabhängigen, obersten politischen Behörde der Stadt. Zürich, das wie andere
Städte durch königliches Markt- und Burgrecht privilegiert war, umschloss
in seinen Mauern neben dem Ritter- und Bauernstand einen immer zahlreicher werdenden Bürgerstand. Die günstige Lage der Stadt am Ausflusse
der Limmat aus dem Zürichsee begünstigte den Fernhandel von Oberitalien
über die Bündnerpässe oder den Gotthard nach Süddeutschland. Ebenso war
Zürich natürliche Durchgangsstation für den Handel durch das schweizerische Mittelland nach Burgund und .Zentralfrankreich oder der Ostschweiz.
Neben adeligen Rittern, Geistlichen und Kaufleuten liessen sich in der
Stadt auch zahlreiche Handwerker nieder. Durch die BRuNsche Revolution
des Jahres 1336 wurden die Handwerkerverbände, die Zünfte, in politische
Organisationen umgewandelt. Jeder Einwohner der Stadt musste einer der
13 Zünfte oder der Constaffel angehören. Der Rat setzte sich zur Hälfte aus
Rittern und wohlhabenden Bürgern, zur anderen Hälfte aus Vertretern der
Zünfte zusammen. In der Constaffel wurden die besitzenden Kreise, die Ritter,
Edelleute und Gutsbesitzer, die Grosskaufleute, Tuchhändler, Wechsler, Goldschmiede und Salzhändler vereinigt, d. h. alle diejenigen, die von Berufes
wegen Pferde halten mussten. Die 13 Zünfte wurden zahlenmässig ungefähr
gleich stark gemacht und enthielten deshalb oft manche technisch kaum zusammengehörige Berufsleute. Sie umfassten Bürger und Nichtbürger. Im
Jahre 1351 erhielten alle Einwohner der durch die Pest arg heimgesuchten
Stadt das Bürgerrecht, unabhängig davon, ob sie ein Haus besassen oder nicht.
Die erste brauchbare Zählung der Bevölkerung der Landschaft durch
Dr. WALTER SCHNYDER stützt sich auf die Steuerrödel des Jahres 1467. Mit
Winterthur erhalten wir als Bevölkerungsziffer der Landschaft für dieses
Jahr 28 200 bis 31 000 Einwohner, für das ganze Staatsgebiet 33 000 bis 35 000,
davon 4325 bis 4700 in der Stadt Zürich und 1000 bis 1500 in der Stadt Winterthur. In Zürich dürften etwa 1200 Männer und 800 bis 850 Zunfthandwerker gelebt haben. Auf der Landschaft wohnten etwa 7000 bis 7800 Männer
und 1000 bis 1500 Landhandwerker (3). Schon vor der Reformation gliederte
sich die Bevölkerung der Landschaft in Grossbauern mit einem ganzen Gespann, in Mittelbauern und in Kleinbauern, sowie in Landlose. Kleinbauern
3
und «Tauner» waren als Taglöhner beschäftigt, zum Teil stellten sie auch die
Handwerker.
Mit der Vermehrung der Bevölkerung nahm die Ausdehnung des frühkapitalistischen Verlagswesens zu: Städtische Kaufleute vermittelten den
Familien der Klein- und Mittelbauern Heimarbeit besonders im Winter. Nach
und nach wurde die Bedeutung dieser «Fabrikindustrie», wie sie genannt
wurde, immer grösser. Glaubensflüchtlinge verstanden es, in Zürich immer
neue Zweige des Textilgewerbes einzuführen. Das Buchdruckergewerbe, das
im Gegensatz zu Basel erst nach dem Siege der Reformation aufkam, ging im
Laufe des 17. Jahrhunderts zurück, weil der Dreissigjährige Krieg und die
Erfolge der europäischen Gegenreformation den Absatz der zürcherischen
Buchdruckereien stark beschränkten. Dagegen nahm das Textilgewerbe, besonders die Seidenindustrie, einen grossen Aufschwung, da vor allem die Handelsbeziehungen mit Frankreich immer stärker ausgebaut werden konnten.
Im 17. und 18. Jahrhundert änderte sich an der soziologischen Struktur des
zürcherischen Stadtstaates verhältnismässig wenig. Zwar verschoben sich die
quantitativen Verhältnisse der verschiedenen Schichten der Gesellschaft. Die
Landbevölkerung wuchs weit stärker als die Bevölkerung der Stadt. Im Laufe
des 17. Jahrhunderts schlossen sich die städtischen Burger durch Einburgerungsverbote hermetisch gegen die Landschaft ab. Die kapitalistisch tätigen
Verleger und Kaufleute wohnten meistens in der Stadt. Dort ging die absolute und relative Bedeutung des Handwerks immer mehr zurück, nahm die
Zahl der Diensten, der Knechte und Mägde immer stärker zu, wurden die
Zünfte mehr und mehr durch den Gegensatz der «Herren» und «Burger»
gespalten, wobei sich die Herren aus den reichen Kaufmanns- und Fabrikantengeschlechtern die gut bezahlten Stellen der Staatsverwaltung vorbehielten und die Burger sich mit den unteren Stellen begnügen mussten.
Auf der Landschaft vermehrte sich mit dem Wachstum der «Industrie» die
Zahl der Heimarbeiter, wuchs auch die Zahl der Landhandwerker nicht unwesentlich an. Trotz den Schwierigkeiten, welche ihnen die Städter bereiteten,
vermochten manche Handwerker-, Krämer- und Grossbauernfamilien ansehnlichen Reichtum zu erwerben, sei es als «Fabrikanten» oder Trager, Verleger
oder Müller.
Wie Tabellen über die Bevölkerungszahlen von Stadt und Landschaft im
alten Zürich (3) zeigen, nahm von 1467 bis 1780 die Bevölkerung von rund
35 000 auf gegen 156 000 Seelen zu. Die Zahl der Handwerker stieg in der
Stadt 1637 auf etwa 1200 an; um 1780 betrug sie nur noch 879. Dagegen
vermehrten sich die Dienste von etwa 300 Köpfen auf 1734 Mägde, 223 Knechte
und 860 Schreiber und Gesellen Ende des 18. Jahrhunderts. Die Landhandwerker dürften im Jahre 1780 mindestens 7000, wenn nicht gar 9000 Mann
gezählt haben (4) . Viel grösser war das Heer der Heimarbeiter. Betrug dieses
1637 etwa 10 000 Seelen, so umfasste es 1780 schon mehr als 37 000 Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen.
Am 5. Februar 1798 fielen die rechtlichen Privilegien der Stadt, d. h. die
alleinige Regimentsfähigkeit der Burger, das Monopol der Städter auf alle
4
geistlichen Ämter und das Studium, das Recht auf alle höheren Offiziersstellen vom Hauptmann aufwärts und alle Offiziersstellen in den ausländischen Söldnerregimentern, das Monopol des Einkaufes der Rohstoffe und des
Exportes der fertigen Produkte der Textilindustrie, die Vorrechte des zünftigen Stadthandwerkes gegenüber den Landhandwerkern. Am 5. Februar 1798
starb das alte Zürich. Eine neue Zeit, die Zeit des Liberalismus und der rechtlichen Gleichstellung der Landschaft mit der Stadt begann.
III. Kapitel Die gesellschaftliche Gliederung des alten Zürich
Wenn wir im alten Zürich nach der Stabilisierung der Reformation — im
grossen gesehen -- eine stetige und relativ ausgeglichene Entwicklung von
Bevölkerung und Wirtschaft feststellen können, so blieb doch trotz dieser
Tatsache die freie Entfaltung der Persönlichkeit weitgehend eingeschränkt.
Die zürcherische Zunftverfassung schloss schon bald nach der Reformation
die grosse Masse der Landbevölkerung vom kulturellen Leben aus. Die soziale
Schichtung, welche während der Reformation gegolten hatte, blieb bis zur
französischen Revolution in den Grundzügen erhalten. Doch die Gegensätze
zwischen der herrschenden Klasse der reichen städtischen Kaufleute und
Rentiers und der grossen Masse der arbeitenden Bauern- und Heimarbeiterbevölkerung wurden immer grösser. In den Händen des städtischen Patriziates, der 1639 als regimentsfähig erklärten Geschlechter, sammelten sich
im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte immer grössere Vermögen, während die Masse der städtischen und ländlichen Bevölkerung zum Teil notleidend war oder im besten Falle sich eines mässigen, bescheidenen Wohlstandes erfreuen konnte. Schon aus politischen Gründen beschränkte sich
die Bildungsschicht im alten Zürich auf die Klasse der Zürich beherrschenden
«Oberen Zehntausend», um einen Ausdruck von Prof. NABHOLZ zu gebrauchen.
Auf der Landschaft waren im 17. und 18. Jahrhundert die Ste llen der Landund Obervögte, wie auch die Pfarrpfründen stets Stadtbürgern vorbehalten.
Die Gemeindebeamten, wie die Untervögte, Seckelmeister, Geschworenen,
Waibel, Ehegaumer und Schulmeister wurden meistens der Dorfbevölkerung
entnommen. Es handelte sich dabei sozusagen ohne Ausnahme um «angesehene», d. h. begüterte Dorfgenossen, meistens um Grossbauern. Daneben finden
wir in den Dörfern Kleinbauern, Tauner, Taglöhner, Heimarbeiter und Landhandwerker. In einigen Bezirken vermochten sich Verleger und Trager zu
ausgesprochenen Fabrikanten heraufzuarbeiten. Dies traf besonders auf die
obere Seegegend, die immer wieder rebellierenden Gebiete um Stäfa und
Wädenswil, zu.
In der Stadt selbst lebten erstens «Herren», zweitens Burger und Hintersassen, d. h. Ratsherren, Beamte, Vögte, Geistliche, Professoren, Mediziner,
Offiziere, Kaufleute einerseits, Krämer, Handwerker, Gesellen, Schreiber,
Knechte, Fabrikarbeiter, Lehrlinge, Schüler und Mägde andererseits. Kinder
der Landschaft konnten nur die unzureichenden Landschulen besuchen. Die
5
höheren Schulen wurden schon im 17. Jahrhundert praktisch den Kindern
der Stadtbürger vorbehalten. Wenn während der Reformation durch ZWINGLI
und BULLINGER an die von ZWINGLI gegründete Theologenschule am Grossmünster meistens intelligente Lehrkräfte von der Landschaft als Professoren
berufen wurden — CONRAD PELLIKAN ist in Rufach im Elsass geboren, LEO
JUDÄ erwarb erst 1538 das Bürgerrecht in Zürich, JAKOB CEPORIN war der
Sohn eines durch das Zieglerhandwerk reichgewordenen Bauern, RUD. COLLINUS stammte als Bauernsohn aus dem luzernischen Gundolingen, PETER
MARTYR VERMILIO war gar ein florentinischer Augustinermönch, die Heimatgemeinde von THEODOR BIBLIANDER ist Bischofszell, JOSIAS SIMMLER ist in Kappel geboren, ZWINGLI selbst stammte aus Wildhaus, HEINRICH BULLINGER aus
Bremgarten — wurden nach dem Ende des 16. Jahrhunderts die Professuren
an der Theologenschule zum Monopol der Stadtbürger: MARKUS BÄUMLER
(1555-1611), der 1601 als Professor des Griechischen gewählt wurde, war
der letzte Vertreter der Landschaft im Lehrkörper des Carolinums:
Damit waren die Möglichkeiten für die grosse Mehrheit der zürcherischen
Bevölkerung, sich mit wissenschaftlichen Fragen zu beschäftigen und mit
den Leistungen der zeitgenössischen Forschung in Berührung zu kommen,
auf ein Minimum reduziert. Wollte ein junger Zürcher — selbstverständlich
kamen sowieso nur Stadtbürger in Frage — aus wenig vermöglicher Familie
an ausländischen Universitäten studieren, so war er auf Stipendien der gnädigen Herren angewiesen. Der materiellen Abhängigkeit entsprach die geistige.
Selbständige Regungen wurden nicht geduldet und mit unerbittlicher Härte
verfolgt, wie im Jahre 1660 der Prozess gegen den Pfarrer MICHAEL ZINGG
und im 18. Jahrhundert die Verurteilung des hervorragenden zürcherischen
Gelehrten und Pfarrers J. H. WASER und seine Hinrichtung am 27. Mai 1780
genügsam belegen. In anderen Verhältnissen wäre Pfarrer J. H. WASER wohl
ein bedeutender Mann geworden. Aber weder seine naturwissenschaftlichen
Interessen, noch seine selbständigen Ansichten auf politischem und nationalökonomischem Gebiet konnte er fruchtbar betätigen. Selbst die Übersiedlung
nach Bern wurde ihm von der Obrigkeit verwehrt. J. H. WASER wurde vor
allem deshalb hingerichtet, weil er dem Grundsatz der Geheimhaltung der
Staatsgeschäfte bewusst zuwiderhandelte und die Finanzwirtschaft der gnädigen Herren in einer ausländischen Zeitschrift kritisierte (5) .
MARIA WASER hat in ihrer Geschichte der ANNA WASER diese engen kleinbürgerlichen Verhältnisse mit dem Schimmer der Poesie verklärt, ohne sie
jedoch als Ausfluss der Herrschaft einer kleinen Herrenschicht über das zürcherische Volk zu deuten. Aber selbst in dieser poetischen Schilderung greift
uns die Dichterin ans Herz:
«Marias Bräutigam (6) war gestorben, plötzlich und furchtbar (er hatte
sich das Leben genommen) . Anna wusste nicht wie, aber sie fühlte, dass
etwas Grauenvolles hinter diesem Tode stand ... JAKOB CRAMER tot, ausgelöscht, und nie mehr würde sie diesen merkwürdigen Mann mit den warmen,
gütigen Augen und dem bitteren Lächeln wiedersehen ... Im Frühjahr noch
hatte er sie hier besucht mit Rudolf zusammen. Wie sie alles wieder vor sich
6
sah ... da lachte er plötzlich, bitter und hart, dass es ihr heute noch in den
Ohren klang. ,Das begreift ihr ja wohl nicht, ihr beiden; ... und waret doch noch
zwei dumme Kindlein, da ich schon, ein fertiger Mann, tatenhungrig und mit
der Braut an der Hand dem Leben entgegenzog! Und nun kann ich mich
immer noch mit des Herrn Landvogts von Baden Schlingeln herumschlagen,
ein Präceptorlein ohne Stand und Geld, und kann zusehen, wie meine Maria
einsam vergeht, gleich einer müden Rose ...' Und all das Elend warum? Weil
ich dem hochlöblichen Herrn ANTONY KLINGLER (7) einstmalen eine Wahrheit gesagt über seine dunkle und schwächliche Lehr, darinnen der Teufel
und schwarzer Aberglauben mehr Macht haben denn Christus und sein helles
Licht. Dafür müssen wir nun büssen, Maria und ich, vielleicht unser Leben
lang.»
IV. Kapitel Geistliche, Mediziner und Ingenieure
Im alten Zürich beschränkten sich die offiziell anerkannten Berufe, die
ein akademisches Studium erforderten, auf den Beruf des Pfarrers, des Arztes
und des Vermessungs- und Befestigungsingenieurs. Zur Karriere in der Staatsverwaltung wurden keine Juristen geschult. Die Söhne der Herrengeschlechter erwarben ihre für den Staatsdienst notwendigen Kenntnisse in der praktischen Verwaltungsarbeit vom Schreiber über das Mitglied des Grossen und
Kleinen Rats bis zum Landvogt, Statthalter und Bürgermeister (8) . Von den
drei offiziell anerkannten akademischen Berufen trat der Ingenieurberuf
gegenüber den Berufen der Geistlichen und der Ärzte stark zurück. Praktisch
hatten die Söhne der regimentsfähigen Geschlechter bloss die Wahl, falls sie
überhaupt studieren und nicht in der Staatsverwaltung ihr Auskommen finden
wollten oder die kaufmännische oder verlegerische Tätigkeit ablehnten, entweder Geistlicher oder Mediziner zu werden. So führte in seiner «Denkrede
auf JOHANN HEINRICH RAHN, der Arzneikunde Doctor, Chorherr und Professor
der Naturlehre und Mathematik am Zürcherischen Gymnasium», am 14. Oktober 1812 der grosse Zürcher Staatsmann Dr. PAUL USTERI aus:
«Von drei Söhnen, welche im väterlichen Hause die erste Erziehung erhielten und durch Beispiel und Unterricht zur Tugend angeführt wurden, war
Johann Heinrich der mittlere. Seine, mehrere Jahre vor ihm verstorbenen
Brüder, widmeten sich dem geistlichen Stande, und sie sind beide, durch Lehre
und That, vorzügliche Zierden desselben gewesen. Dass Johann Heinrich sich
ebenfalls den Studien widmen würde, darüber hat niemals Zweifel gewaltet;
aber ob er sich, gleich dem Vater und den Brüdern, die Theologie, oder hingegen die Arzneiwissenschaft wählen sollte, hierüber schwankte der Knabe
eine geraume Zeit. Man erzählt, es sei ein Traum gewesen, der seinen Entschluss bestimmte ... gegen den Stand zu entscheiden, welchen der ältere
Bruder bereits sich erwählt hatte.» (9)
Noch im Jahre 1812 schien es somit PAUL USTERI ganz selbstverständlich
zu sein, dass für das Studium eines zürcherischen jungen Mannes aus gutem
Hause nur die Entscheidung zwischen Theologie und Medizin möglich sei.
7
Und zwar war die Wahl des theologischen Studiums die Regel, die Wahl des
medizinischen Studiums die Ausnahme. Dabei ist gegen Ende des 18. Jahrhunderts, kurz vor dem politischen Umsturz, eine Überproduktion von Geistlichen unverkennbar. Man betrachte nur die «Generaltabelle der zunftgenössigen Burgerschaft der Stadt Zürich aus den Zunfttafeln gezogen», die wir
im Anhang (Tabelle) bringen. 1780 wurden insgesamt 403 Geistliche und
18 Med. Doctores gezählt. Bis zum Jahre 1790 ging die Zahl der Geistlichen
auf 328 zurück, während die Zahl der Ärzte unverändert blieb. Dem Regierungsetat des Jahres 1779 kann entnommen werden, dass mehr als 400 Geistliche vorhanden waren, von denen 115 zur Klasse der Junioren, d. h. noch
nicht mit einer Pfründe versehenen gehörten (9a). Damals verfügte der Kanton Zürich über 175 Pfarreien auf der Landschaft. 1779 waren 13 zürcherische Geistliche in der Stadt, 13 in den Filialen im Gebiet um die Stadt, 160 in
den 9 Kapiteln der Zürcher Landschaft, 60 in den drei Thurgauer und dem
einen Rheintaler Kapitel und 15 in anderen schweizerischen Kantonen eingesetzt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Lehrkräfte der öffentlichen Schulen, des Collegium Publicum, des Collegium Humanitatis, der Schola Renovata, der Schola Abbatina und der Schola Nova Artium stammte aus dem
Stande der Geistlichen (/0).
Im Jahre 1810 hatten sich die Verhältnisse trotz der Trennung der staatlichen Verwaltung in die kantonale und die städtische noch nicht grundlegend
geändert. Das Überangebot an Geistlichen war allerdings stark zurückgegangen. Je 12 Geistliche wurden in der Stadt und in den Filialen um die Stadt
gezählt, in den 144 Pfründen der 9 Kapitel der Landschaft sassen 149 Geistliche, in den 49 Pfründen anderer Kantone 51, im Auslande weilten 9 Zürcher Pfarrer; resigniert waren 21 und 30 zählten zur Klasse der Expectanten,
von denen 7 als Vikare und 6 als Catechisten angeführt wurden und einer als
Lehrer an der Töchterschule amtete. Die Zahl der Lehrstellen hatte sich auf
40 vermehrt (13 Professoren am Gymnasium, 4 Professoren am Collegium Humanitatis, 7 Lehrer an der Gelehrtenschule, 4 Professoren und 2 Lehrer an
der Kunstschule, 7 Lehrer an der Bürgerschule, 2 Lehrer an der deutschen
Schule und 1 Pfarrer und 7 Jungfern an der Töchterschule).
Erwähnen wir noch, dass im Jahre 1780 unter den 879 zünftigen Handwerkern 9 Apotheker, 2 Schrepfer, 35 Chirurgen und Barbiere, 21 Buchbinder
und 5 Buchdrucker erwähnt werden und dass ein Ingenieur durch den Rat
beschäftigt wurde, so haben wir damit wohl den Kreis der mehr oder weniger
gelehrten Berufstätigen umrissen.
Auffallend klein ist die Zahl der Ingenieure. Im 17. Jahrhundert ist lediglich der Bündner JOHANNES ARDüSER (1584-1665), auf den wir noch zurückkommen werden, während dem Ausbau der Befestigungsanlagen der Stadt ausdrücklich als städtischer Ingenieur eingestellt worden (//). Im 18. Jahrhundert wirkten als obrigkeitliche Ingenieure JOH. HEINRICH VOGEL (1671-1753)
seit 1699, HEINRICH ALBERTIN (1713-1790), HANS CONRAD RÖMER (1724-1779)
und JOHANNES MÜLLER (1733-1816). Während JOHANNES MÜLLER ZU hohem
Ansehen gelangte, erreichte HEINRICH ALBERTIN nie eine feste Anstellung.
8
Sein Schicksal ist geradezu charakteristisch für die beschränkten Möglichkeiten, welche dem Ingenieurberuf im alten Zürich offenstanden. HEINRICH
ALBERTIN starb 1790 in Thalwil als bürgerlich Toter, nachdem er im Jahre
1765 wegen förmlichem Konkurse «Vagabundus» geworden und bis kurz vor
seinem Tode Heimat und Familie meiden musste (12).
Wie gering die Stellung eines Ingenieurs geachtet wurde, kann auch dem
«Weltliches Pfrundenbuchli der Stadt und Landschafft Zürich» entnommen
werden. Die Doctores Medicinae erhielten danach gegen Ende des 18. Jahrhunderts 8 Mütt Kernen, 8 Saum Wein und 160 Geldpfund Bargeld, der
Ingenieur 4 Mütt Kernen, 4 Saum Wein und 30 Geldpfund. Der Ingenieur
stellte sich etwas besser als eine Hebamme, der 4 Mütt Kernen, 4 Saum Wein
und 10 Geldpfund zukamen, aber daneben noch Anspruch hatte auf 3 Klafter
Holz. Allerdings wurde der Stadtingenieur zur damaligen Zeit auch noch als
Kalendermacher entschädigt mit 4 Mütt Kernen, 4 Saum Wein, 2 Klafter
Holz und 20 Geldpfund. Nur dann, wenn für aussergewöhnliche Leistungen,
wie z. B. für GYGER'S Karte des Kantons Zürich oder die Neuvermessung der
Stadt Zürich durch Ing. JoH. MÜLLER, von 1788 bis 1793, die regierenden Herren zusätzliche Honorare bezahlten (Ing. MÜLLER erhielt so z. B. 400 fl. Kostenersatz und 1000 fl. Honorar), wurde ein zürcherischer Ingenieur wenigstens
standesgemäss, aber noch nicht übermässig gut entlöhnt.
Der Zürcher Stadtstaat des alten Zürich war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ein Staat der Kaufleute und Geistlichen. Seine innere Stabilität verdankte er weitgehend der Tatsache, dass der Pfarrer auf der Landschaft der
Vertreter der Obrigkeit war und im Verein mit den Ehegaumern am sonntäglichen Stillstand die Verinnerlichung der sozialen Herrschaftsverhältnisse
als göttliches Gebot gewährleistete. Alles, was dem primären Selbstbehauptungswillen der herrschenden Kreise und der Überlieferung widersprach,
vermochte sich — wenn überhaupt, wie z. B. die Reformen des höheren Schulwesens im 18. Jahrhundert — nur langsam und zögernd durchzusetzen.
V. Kapitel Die exakten Wissenschaften im alten Zürich
Im alten Zürich war der Kreis jener Stadtbürger, die von Berufes wegen
oder auch nur als Liebhaberei sich mit der Pflege der exakten Wissenschaften
beschäftigten, ausserordentlich klein. An den höheren Schulen bestand zwar
schon zu Zeiten CONRAD GESSNER's die Lehrstelle eines «Professors Physicae»,
aber diese Lehrstelle wurde meistens mit Medizinern besetzt (13). Dass im
allgemeinen die Interessen der Mediziner aber stärker nach der Richtung der
Naturgeschichte hin orientiert blieben, ist verständlich. Es sind denn auch
bloss verhältnismässig wenige Ärzte des alten Zürich gewesen, welche der
Mathematik, der Physik oder der Chemie grösseres Interesse entgegengebracht haben. Am stärksten war dieses Interesse ausgebildet bei JOHANNES
GESSNER, dem Gründer der Zürcher Physikalischen Gesellschaft. JOHANN
JAKOB SCHEUCHZER beschäftigte sich mit physikalischen und chemischen Pro-
blemen in der Hauptsache bloss im Zusammenhange mit seinen Schweizer
Reisen, einesteils um Angaben über die Meereshöhe der Berge und Pässe
und über die klimatischen Verhältnisse und andernteils eine gewisse Charakterisierung der verschiedenen Thermal- und Mineralquellen zu erreichen.
Lediglich für die Feldmesser, Büchsenmeister und Ingenieure lag ein sachlicher Zwang vor, sich mit Mathematik, Geometrie und Astronomie abzugeben,
denn die Errichtung von Befestigungen, das «in den Grund legen» der Städte,
Dörfer, Wege, Berge und Landschaften, wie auch die Kalendermacherei konnten ohne entsprechende mathematische, geometrische und astronomische
Kenntnisse nicht bewältigt werden. Sobald aber nicht ein besonderer Berufsmann, sondern ein Pfarrer, wie z. B. MICHAEL ZINGG sich aus Liebhaberei mit
Astronomie beschäftigte, weckte er das Misstrauen seiner Standesgenossen,
hatte er sich mit der konservativen Denkweise der Zürcher Geistlichen auseinanderzusetzen. Beschäftigung mit anderen als theologischen und seelsorgerischen Problemen geriet gar leicht in den Geruch böswilliger Eigenbrödelei oder ketzerischer Haltung. Und da gegen das Ende des 16. Jahrhunderts
mit dem Erstarken der Gegenreformation die zürcherische Staatskirche nicht
mehr erwarten konnte, ihr Einflussgebiet auszudehnen, wurde der Konkurrenzkampf der an den Zürcher Schulen ausgebildeten Geistlichen um die nur
in beschränkter Zahl zur Verfügung stehenden Pfarrpfründen immer heftiger.
Unter ZWINGLI und auch noch unter BULLINGER hatte die zürcherische Reformationsbewegung reichen Gewinn aus der liberalen Einbürgerungspraxis
gezogen: bedeutende Gelehrte des reformierten Zürich, z. B. JOHANNES
STUMPF, JOSIAS SIMMLER, JOH. FABRICIUS MONTANUS, waren keine geborenen
Zürcher, sondern, wie auch der grosse Buchdrucker FROSCHAUER, Neubürger.
Es kann kein Zufall sein, dass parallel der Sättigung des Büchermarktes mit
Werken der Reformation und der Stabilisierung der Machtverhältnisse zwischen den katholischen und reformierten Gebieten auch der reformierte
Dogmatismus und die theologische Intoleranz zunahmen. Mit dem Rückgang
des Absatzes des Zürcher Buchdruckergewerbes, über dessen Ausmass leider
keine genauen zahlenmässigen Angaben vorliegen (14) , verminderte sich ebenso
die literarische Produktion Zürichs. CONRAD GESSNER konnte seinen kleinen
Gehalt als Stadtarzt durch literarische Arbeiten aufbessern. Mit dem Schwinden des Absatzes der reformierten Bücher in der Schweiz und in Deutschland
ging auch diese nie sehr grosse, aber immerhin doch für die Anregung der
geistigen Produktion nicht unwesentliche Einnahmequelle verloren. Im ganzen 17. Jahrhundert konnte das schweizerische Buchdruckergewerbe im Gegensatz zu der Periode der Reformation während dem 16. Jahrhundert bloss mit
dem beschränkten schweizerischen Absatzgebiete rechnen. Der Dreissigjährige
Krieg hatte dem Büchermarkt im gleichsprachigen deutschen Reiche einen
tödlichen Schlag versetzt, von dem er sich erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts wieder zu erholen begann, worauf denn auch das schweizerische Buchdruckergewerbe neuerdings einen schönen Aufschwung nahm.
Im 18. Jahrhundert drang mit dem zunehmenden Reichtum einer kleinen
Schicht von weitgereisten Kaufleuten, Bankiers und Fabrikanten der freiere
10
Geist der Aufklärung immer tiefer in die städtische Bürgerschaft ein und
vermochte nach und nach die traditionelle konservative Haltung der Geistlichkeit aufzulockern und zurückzudrängen. Die Früchte dieser neuen geistigen Haltung kamen einerseits u. a. in der Gründung der physikalischen Gesellschaft, andererseits in den seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts einsetzenden Bestrebungen zur Reform des zürcherischen Schulwesens und im
Aufblühen des literarischen Lebens der Stadt zum Ausdruck. Dabei darf
allerdings nicht übersehen werden, dass auch im 18. Jahrhundert die Zensur
das geistige Leben Zürichs in behördlich vorgeschriebene Bahnen lenkte. Sogar ein JOHANN JAKOB BODMER (1698-1783) wurde 1746 des Auftrages enthoben, RAHN'S eidgenössische Chronik fortzusetzen, weil er «auf vorgeschriebenem Fusse zu schreiben schlechte Lust bezeugt» (15). Dadurch wurde
BODMER'S Interesse vom Gebiet der Historie auf das Gebiet des «guten Geschmackes» resp. der Literatur abgelenkt.
Nach diesen allgemeinen Betrachtungen wollen wir nun dazu übergehen,
die Pflege der exakten Wissenschaften im alten Zürich, soweit sie durch entsprechende Quellen erfassbar ist, chronologisch abzuhandeln.
VI. Kapitel 16. Jahrhundert
Ob im 16. Jahrhundert in der Stadt Zürich irgendeine Gelegenheit vorhanden war, mathematischen Privatunterricht zu nehmen, kann nicht festgestellt werden. Einfaches Rechnen dürfte natürlich an der Elementarschule
gelehrt worden sein, aber von einem systematischen Unterricht in Arithmetik
oder Geometrie an den höheren Stadtschulen sind keine Zeugnisse ausfindig
zu machen. CONRAD GESSNER (1516-1565), der die erste Professur Physicae
am Carolinum innehatte, scheint sich nicht mit mathematischen Problemen
abgegeben zu haben.
Aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind nur wenige Zürcher Kartographen
bekannt geworden. Der erste dürfte der 1489 zum Stadtarzt ernannte KONRAD
DURST (geboren zwischen 1450 und 1460, gestorben um 1503 in der Moldau)
gewesen sein, der sich mit Astrologie beschäftigte und dem eine «Descriptio
helveticae cum adjuncta tabula typographica» zugeschrieben wird. JOHANNES
STUMPF'S (1500-1576) bei CHR. FROSCHAUER 1548 erschienene berühmte
Schweizer Chronik enthält neben einer Übersichtskarte der Schweiz noch
acht Spezialkarten, die nach R. WOLF (16) als »erste Spezialkarten der Schweiz»
historischen Wert haben. Der Glasmaler und Holzschneider JOST MURER
(1530-16. 10. 1580) muss nach R. WOLF (17) Instrumente zur Aufnahme der
1566 herausgegebenen Karte des Zürichgebietes benutzt haben. 1576 kam
von ihm ein Plan der Stadt Zürich in Vogelperspektive heraus. Auch JoH.
HEINR. WXGMANN (geboren 1536, gestorben nach 1617 in Luzern) war Maler
und schuf nach seinem Übertritt zum Katholizismus im Jahre 1570 «die erste
etwas detaillierte Karte» des Kantons Luzern. Gewisse Ansätze zur Beschäftigung mit geometrischen und mathematischen Fragen waren demnach
11
Abb. 1 «Adler» aus C.
GESSNER'S Tierbuch.
im Zürich des 16. Jahrhunderts zweifellos schon vorhanden, so dass die Verbesserung der modernen Vermessungstechnik, welche zu Beginn des 17. Jahrhunderts das Verdienst des Zürcher Bürgers LEONHARD ZUBLER war, verständlicher wird.
VII. Kapitel Leonhard Zubler (1563-1609)
Die Bedeutung LEONHARD ZUBLER's scheint RUDOLF WOLF entgangen zu sein.
Er erwähnt ihn in seiner «Geschichte der Feldmesskunst» (19) lediglich in
einer Fussnote: «LEONHARD ZUBLER von Zürich (1563-1609) soll ursprünglich
Goldschmied gewesen sein. Sein Hauptverdienst ist, unabhängig v o n , und
mutmasslich v o r Prätorius den Messtisch construirt und portiert zu haben.»
12
Es ist daher besonders anerkennenswert, dass Prof. LEO WEISZ, in seiner Studie:
«Unbekannte Verdienste Zürichs um die moderne Vermessungstechnik» (20)
die Leistungen LEONHARD ZUBLER's und des Steinmetzmeisters PHILIPP EBERHARDT (1563-1627) ausführlich erörtert hat. Um nicht bereits Gesagtes zu
wiederholen, beschränken wir uns auf einige wenige ergänzende Angaben.
LEONHARD ZUBLER wurde 1592 Zwölfer zur Meisenzunft. Er entwickelte sich
vom Goldschmied zum international bekannten Feinmechaniker und Instrumentenmacher, nahm doch der Absatz seiner Messinstrumente so zu, dass er
im Jahre 1608 in Frankfurt am Main eine besondere Verkaufsablage errichten
konnte. Es scheint, dass ZUBLER die Anregungen zur Konstruktion seiner
trigonometrischen Messinstrumente, wie auch des Zeichentisches seinem
Freunde PHILIPP EBERHARDT verdankte, der 7 Jahre nach ZUBLER'S Tod ein
vereinfachtes «Kunststück» zum Richten der Geschütze anlässlich einer
Kriegsübung der Zürcher Truppen unter BEAT WERDMÜLLER einführte, das
in der Folge auch im Auslande Beachtung fand. Meister EBERHARDT dürfte
demnach der Praktiker, LEONHARD ZUBLER der zugriffige Unternehmer gewesen sein, der in zahlreichen immer wieder neu aufgelegten Büchern für
seine Instrumente warb (21) . Nach dem Tode ZUBLER's übernahm JOST BÜRGI
'^tano:
05¢orntcilf6i -I1tlrt7( omtift04 ti
4).16 qtt
ritiliti^id)^r
erknt / Wie triat^
144 tia lttuc_+0Stot«nri1 _3rt(trnritrsi,
,
ijeo8alr uclyriJiafiuitsai€^Et^^4 gahicMr
r,;,̀0(oN;}; 2tru ` + iu ^:i^ aG^-iu,id?ttn: (r^t?tr
{u titli:7 a;tiJ ^ t^^d§inl d,l;t znnJ,wU;
11t Snen i'1iw(ut1) 5tti Siupfl'rtitudm
jr,^Str tt; ?) ,iGir
ttiot. u. tilit nttn/
;iiu,S'aanL RSÜr;,.ß;tmti^l<.
ran« saaM 41Ctnggtg rlJ
cottQnrb ?äbt cr , Znrgc r
;u3tirittt.
Wirt 4idm..it,r(. ry)tnr, (roteiv nI4
dad, imr11Itio.
M_ DC. Yt114
Abb. 2 Titelblatt «Nova Geometrica Pyrobolia» oder «Neuwe Geometrische Büchsen meisterey» von LEONHARD ZUBLER, 1614.
13
Abb. 3 Messinstrumente (S. 1 von «Neuwe Geometrische Büchsenmeisterey»).
mit gleichzeitiger technischer Verbesserung der ZuaLERschen Instrumente
deren Vertrieb und Propagierung. Letzterer sicherte den Instrumenten ein
kaiserliches Privileg und hob ihre grosse Bedeutung für die Triangulation
hervor.
Einige der Schriften ZUBLER'S verdienten es, neu aufgelegt und so einem
weiteren Kreise bekannt gemacht zu werden. Eine starke geistige Abhängigkeit von der deutschen Übersetzung des VITRUV und der Schriften TARTAGLIAS
durch WALTER RYFF: «Geometrische Büchsenmeisterei» ist zweifellos vorhanden. Wahrscheinlich fand die zweite Auflage des RYFFschen Werkes, die 1575
in Basel als Nachdruck der ersten Nürnberger Auflage herauskam, in den
Kreisen der schweizerischen Bau- und Büchsenmeister weite Verbreitung.
LEONHARD ZUBLER erwähnt WALTHERUS Rlvius immer wieder im Vorwort seiner
Werke. So heisst es in «Fabrica et Usus Instrumenti Chorographici» : «Es schreibt
WALTHERUS Rivius, dass der Circkel und Lineal oder Richtschyt die fürnehmbste Instrument und Werkzeug zu der Geometry seye ...» Auch die
Übernahme des Titels «Neue Geometrische Büchsenmeisterey» (Nova Geometrica Pyrobolia, Zürich 1608) belegt den Einfluss RYFF'S sehr deutlich.
Theoretisch bildet die Arbeit von ZUBLER gegenüber der Lehre TARTAGLIAS'
einen Rückschritt. ZUBLER beschäftigt sich bloss mit rein praktischen Aufgaben, wie eine Kanone zu richten sei, wie die Kaliber der Kanonenrohre, der
Durchmesser und das Gewicht der Kugeln bestimmt werden können, wie
14
utaü ot(:,;tartbtid)fmtme $ inbcrnhbeortwrn5k;
hiii iii > itir dcßattn01 ton toot 93oDattrtrfnntntt
t^I40t^a toQwtailitinQ3AfirftnattfujKttbrikItgtt t,
tfXt 4Ott
Abb. 4 Visiervorrichtung an einer Stückbüchse (S. 12 «Neuwe Geom. Büchsenmeisterey»).
festgestellt werden kann, ob der Kern einer gegossenen Stückbüchse gerade
sei, wie man im Bergwerk Stollen projektieren könne und wie militärische
Feldlager aufzureissen und zu «verjüngen» seien. Für das Problem der Flugbahn der Geschützkugeln interessiert sich ZUBLER dagegen überhaupt nicht.
Die Messmethode, welche EBERHARDT und ZUBLER anwenden, beruht auf der
Ähnlichkeit der Dreiecke: «In allen Geometrischen messungen die Weite und
die Höhe zu erfahren lassen sich allzeit zwei Tryangel sehen, ein grosser im
Feld, und ein kleiner, so den grossen representiert und abbildet, und in der
Proportion gleich ist, auff dem Instrument oder . .. Brett» (22) . Ist ein Dreieck ABC gegeben, so genügt es, die Grundstrecke BC zu messen und dann
kann nach Einzeichnung der Winkel die Länge von AB und AC nach der
Zeichnung auf dem Zeichenbrett abgelesen werden.
Recht interessant sind die Angaben der Polhöhen von mehreren hundert
Orten in der 1609 veröffentlichten Schrift über ein astronomisches Hilfsinstrument zur Konstruktion von Sonnenuhren usw. («Novum Instrumentum
Sciotericum»). Diese Angaben sind reichlich ungenau. Für Basel, Biel und
Konstanz sollen eine Polhöhe von 47 Grad 30 Minuten gelten, die Polhöhe von
Zürich wird mit 47 Grad 10 Minuten angeführt, Schaffhausen liege mit
St. Gallen auf der Breite von 47 Grad 40 Minuten, Chur auf 46 Grad 10 Minuten,
15
otrehomeaififrn' 344f m uf fiarv.
3fer atuaufleincttMatfrieW
•
slip*
taiva/ tab st t•it;J
(;i» fvL:
^:rft Stt eta gii ntn €P+
n(g,# e ng^t oaf rtni^s+ [ll^^+=[ I
tztr(fert/fe tfiuf un ai fa l abtYtt^ltdrrsu n •}iut, /
t 20;1
nark ftkrotrtb ^dtu t Oarrtatb nembin
tj KI
i
Abb. 5 Abschuss glühender Eisenkugeln aus einem Mörser (S. 61 «Neuwe Geometrische
Büchsenmeisterey»).
tad¢ttiC:(t .ns ftkrun6 fit till/bap fit uitktfijdititktadgt'
t' uis# i<trllflt.
(bittwt rt i )l!n itti bit alt r tirr crrriubgtgttt btr-rto,.
t0t¢4ubßth 'tiirti y-.11. {n SiUltttlnR ■;f # / fpmitbYU'a3utt+
eaten
A rtY'Arifh n l^ #/3U bti t'ttVÜitneinnitn/glsba
QcySq ,e.
rurFtt>tr;lic t# AF.,} (tit + bem ortivdtruon Olt tit wait brbe
refi;tit, tkit,t+ nbit»i ∎:» otsaffesOinäebaaNuitti'tinobtr2tb$
ft¢tn fetniebemibittlillädetiH,rer3eitknttrnwf ¢inuu¢gegtn
Otto F.
sto.multi
e a.}rn
^; ,;y,,,;
Abb. 6 Messung mit dem neuen geometrischen Instrument (S. 12 «Nov. Instr. Geom.»).
(Durch Bestimmung der Grundlinie und Anvisieren der zwei anliegenden Winkel zum nicht
direkt erreichbaren Punkte wird dessen Entfernung bestimmt.)
Z3 nberiid}t
nvnben' ts(irunstifteft
¶as t nber gapttei,
1311'0er110twlc man bifi3n(irnfa9t tei firtai)tri
wiD;ut, rrtitenrott vtnbtirtpurebrt{ni sihnuditi t zt.
ott rifsaiItt
irHnrtitn`bsrittnalls o
korl trlar f? tWmitan8 rtpltöi*tl01a/vUbttia n
^ ^f DarauiongtfttrDrr)oDctrut 4b0 txtirrdtt
arn krotoior6 citucilu tiin',dnylfnr(ilr,pttg
<rt rta;;,vls tanOtr$ar fattut Daß t,.2irttt gantio uttb u>an te •
both
Abb. 7 Messbrett aus « Fabrica et usu Instr. Chorographic.» von LEONHARD ZuBLEe, S. 4.
bunt grutlbregea..
It
ZoIS Sün ffte Stapttel.
133fetnan mftbifein 3nfirumentanbttuii) orttj
i11 Dietnaee mtfmfowaudt wk wit fn
+.N344144.3 ta
xt*Icbirtnatu(iaomiapbnbegbttbmmi bit imodea
tfierfetteumagftronbtegbi t itetttnagrttiteroicbit Yan ti /
``ynnbrnttDaetincal;u beintnt anbtren (ta n D/vnbttucü
ein Finpb4erOnoZtetttinau fr ont ntritit tnt fit mk Dtm A.
c tj
irk
Abb. 8 Darstellung des «Grundlegens» mit dem Messbrett (S. 11 «Fabr. et usu Instr. Chor.»).
2
17
30 «Nov. Instr. Sciot.»).
i
€'ttt t l`tI `pofti Iii?(ot' c bo ,
'icglalt,orautj e,n7itt(r@ tautsminn ut04
53,30;1'4 to Da,,61.13.0,(0t65,9, cnub
..f}at iurt 5 4 t,ntne
diacf5
IuS I?üD.
c t^.4 Wttfanb
90cotfirain
eua. 1 .4 ftI.Mi
47
1 Lo
;yabtir<6
t4 k Ii6oUo
47
47
44
0
30
irut?ani;
,;n,18. nI+,iUf(S.
46 45
44 5 3
47 30
47 '5
47 Z7
ei in
Dl nft4bm
4,7
0
4? 40
;i r t9butt3
433 0
(ott;tmr
xu..
47
0.010
■
eo
k
tatt
48
0
tt
(
47
0.7thjt9
t7SSi67e;3
47
30
45 4#
50
ijo- bur4
44
do :o
ti t4tr
t i t :',o
47
h r e■d8e
49 3i
8 47
40 933unsbs
4-s 45
.Ops+: ^0iti3 5 u 0
4 70
(''a -r a
4.6
3taattflut
F0 30
47
50
8.t4
3mi r, ),'I'.,243 46
30
90
9,:r1;1:r-;.A
48
3o
0t3u< ami3 S0
0
4+r .:c,!,(tW-3
47
0 "t'(,`'3 50 30
∎
47 30 %au
9 0 " 30
48 0
a3
CEO'
St 0
rJ tüi
C3"..
46 5o
Abb. 10 Tabelle von Polhöhen (S. 31 «Nov. Instr. Sciot.»).
18
Sitten im Wallis dagegen auf 47 Grad; von anderen Angaben seien noch erwähnt Mühlhausen 48 Grad 30 Minuten, Köln 51 Grad (23).
Ob wir dank diesen Leistungen ZUBLER'S und EBERHARDT'S von einer eigentlichen zürcherischen mathematischen Schule, wie dies Prof. LEO WEISZ vorschlägt, sprechen dürfen, möchten wir doch bezweifeln. Wenn auch der
Myconiusschüler GEORG RHETICUS auf die Entdeckungen des Kopernikus einen
grossen Einfluss ausübte und aus der Familie der GYGER der Rechenlehrer
PHILIPP GYGER mehrere arithmetische Bücher und auch ein kaufmännisches
Rechenbuch (23a) verfasste, so dürften derartige Leistungen doch kaum als
wirklich ortsgebunden zu betrachten sein. Mit der Entwicklung des Fernhandels waren die Kaufleute auf eine gewisse Schulung im kaufmännischen Rechnen angewiesen. Privater Rechenunterricht in kaufmännischem Rechnen dürfte
daher nicht nur in Zürich, sondern sozusagen in allen anderen Städten mit einem
mehr oder weniger stark entwickelten Kaufmannstande erteilt worden sein.
Mit Recht darf dagegen Zürich stolz sein auf seine Leistungen auf dem Gebiete der Kartographie, worüber die schöne Studie von Prof. LEO WEISZ «Die
Schweiz auf alten Karten» erschöpfende Auskunft gibt: die Landkarten, die
KONRAD GYGER zwischen 1620 und 1667 schuf, lassen «an Genauigkeit und
Plastizität alle zu jener Zeit entstandenen Karten der Welt weit hinter
sich» (24). Ein grosses Verdienst an dieser Tatsache kommt wahrscheinlich
dem ersten Stadtingenieur von Zürich, dem Davoser JOHANN ARDÜSER, zu.
VIII. Kapitel Johann Ardüser (1584-1665)
Mit dem Ausbruche des Dreissigjährigen Krieges begannen die Zürcher
Räte die militärpolitische Lage des Stadtstaates zu überprüfen. Ingenieur
Jon. HALLER (gestorben 1621) erstattete ein entsprechendes Gutachten. Von
1619 bis 1624 wurden die Wehrverhältnisse der Stadt reorganisiert. Für das
«Ampt der Feldmesseren» und das «Ampt eines Ingenieurs» wurden besondere Pflichtordnungen erlassen (25) . Jene für die Feldmesser ist von dem
Feldmesseren-Ampt-Meister PHILIPP EBERHARDT unterzeichnet; unter der
Pflichtordnung der Ingenieure steht die Unterschrift des Ingen. Ampt. H.
HANNS HALLER. Auf Grund dieser Pflichtordnung: «Örter und Pass ufzuryssen,
Landstrassen, Stäg, Wäg, Flüss ... verzeichnen und notwendigsten Ortt gar in
Grundt zelegen, wehrhaft zu machen mit Batterien, Schantzen, Brustwehren .. .
Veldtlegger ufzuzeichnen ... Wachtschantzen anzuordnen ... Gegen Festung
vorgehen, Untergraben, Minieren, Sprengen zusetzen ...» wurde am 1. September 1620 JOHANNES ARDÜSER als Ingenieur der Stadt und Landschaft Zürich
zu sehr günstigen finanziellen Bedingungen eingestellt (26) und ihm am
20. Dezember des gleichen Jahres das Bürgerrecht geschenkt.
Doch es sollten noch fast zwanzig Jahre vergehen bis mit dem Bau der Stadtbefestigung wirklich begonnen wurde. Immer wieder wurden auswärtige Experten zur Beratung herangezogen, wurden Gutachten der «Glehrten und
Kilchendiener» eingeholt. 1624 wurde das Geschäft der grossen Kosten wegen
19
Abb. 11 Aus Titelblatt zum Manuskriptband (Zentralbibliothek Zürich Ms. B 82)
«Baukunst», Bildnis ARDÜSER's vom Jahre 1654.
aufgeschoben. Aber die Vorarbeiten und zahlreichen Expertisen durch fremde
Fachleute wie Herr DE LA FossE aus Genf, Ingenieur DE SERRES, Obrist PEPLITZ
u. a. gingen weiter. Wahrscheinlich im Jahre 1633 wurde ARDÜSER zum Hauptmann ernannt. Sein Wartgeld als Ingenieur betrug 1638 laut Rechnung des
Seckelamtes (Staatsarchiv F III 32) immer noch 360 Gulden, dagegen erhielt
er schon 1635 laut Ratsmanual (B II. 413) vom 28. 10. 1635 gemeinsam mit
Hauptmann LAVATER besondere Zulagen. Dank dem initiativen Eingreifen
von HANS GEORG WERDMÜLLER (1616-1678) wurde mit dem Bau der Arbeiten
am 30. April 1642 begonnen unter der Annahme, dass die Kosten 175 bis
200 000 Gulden betragen würden. Bis zum Jahre 1677 waren schon 1,8 Mill.
Pfund Kosten aufgelaufen. Und bis zum Jahre 1798 werden die Gesamtkosten
der Zürcher Stadtbefestigung auf 3,6 Mill. Pfund (entsprechend einem Geldwert von etwa 50 Mill. Franken der Vorkriegszeit) geschätzt. Es lagen daher
recht beachtliche wirtschaftliche Gründe vor, welche die Zürcher Regierung
veranlassen mussten, der Bestellung des Amtes eines Stadtingenieurs grösste
Aufmerksamkeit zu schenken.
ARDÜSER hat zwei grössere Werke in Druck gegeben. 1627 erschien seine
«Geometriae theoricae et practicae» bei JOHANN BODMER in 12 Büchern als
eines der ersten deutschen Handbücher der Geometrie (27) .
Auf 558 Seiten, mit 3 Tafeln und gegen 430 kleineren und grösseren Abbildungen bespricht ARDÜSER in diesem Handbuch nach einer Darlegung der
20
Fundamente der euklidischen Geometrie aus dessen sechs ersten Büchern
und der Erklärung der einfachen Rechenoperationen mit Dezimalzahlen im
«anderen» Buch die Herstellung von geometrischen Instrumenten und Maßstäben, die Methoden der geometrischen Konstruktion mit Lineal und Zirkel,
die geometrische Verwandlung von ebenen Figuren, die Berechnung von
Dreiecken und Kreisen aus Winkelfunktionen, die Methoden zur Messung
von zugänglichen und unzugänglichen Strecken oder Höhen mit Maßstäben,
Quadranten und Messtisch, die verschiedenen Verfahren, eine Landschaft
«in Grund zu legen». Die geometrischen und arithmetischen Lehrsätze werden
durch zahlreiche Beispiele erläutert. Eine gewisse Schwerfälligkeit des Ausdruckes, wie auch die oft spürbare mangelhafte begriffliche Präzisierung
mögen dazu beigetragen haben, dass das Werk ARDÜSER's keine aussergewöhnliche Beachtung fand.
ARDÜSER ist kein schöpferischer Mathematiker. Er trug lediglich die wichtigsten Lehrsätze mitsamt den zugehörigen Beispielen und Aufgaben der bedeutendsten geometrischen Autoren von ARCHIMEDES über EUKLID bis zu
STEVIN, Rivius und ZUBLER zusammen. Unter den geometrischen Instrumenten
beschreibt ARDÜSER in erster Linie das von ZUBLER erfundene, von JOST BÜRGI
verbesserte Instrument mit Quadranten- und Sinusteilung auf der Vorderseite und Galileischer Proportionalteilung auf der Rückseite, das sogenannte
«Instrumentum partium» oder die «Circkelleiter» (ein Zirkelinstrument, das
auf einem in den Boden zu steckenden Stab befestigt und mit verschiebbaren
Visierschlitzen versehen ward) . Ein doppeltes Gelenk sicherte die Beweglichkeit in verschiedenen Richtungen. Durch ein Senkblei konnte die Neigung
der gegeneinander verschiebbaren Zirkelschenkel gegen den Horizont bestimmt werden (siehe Abb. 12).
Zweitens erwähnt ARDi7SER einen auf eine Horizontalscheibe gesetzten
Quadranten, einen «Azimutalquadranten», der von ihm selbst konstruiert sein
dürfte. Nach LEO WEISZ (28) soll das erste Azimutalinstrument von BRAMER,
dem Schwager JOST BüRGI's, schon 1616 in der Anleitung: «Beschreibung und
Underricht eines neuwen leicht und sehr bequemen Instruments zum Grundlegen» bekannt gemacht worden sein. ARDÜSER versuchte mit seinem Instrument speziell bei Höhenmessungen die Winkelmessung in eine vertikale und
eine horizontale Komponente zu zerlegen (siehe Abb. 13 von S. 60). ARDÜSER
teilt seinen Quadranten in 90 Grad und jeden Grad in 60 Minuten. An weiteren Messinstrumenten führt er noch die «Mässketten» (29), das Winkelkreuz (30), den Kompass («Magnetzüngli») und einen Quadranten mit Winkeleinteilung aus Horn oder Papier an. Jakobstab, astronomische Quadranten
u. a. analoge Instrumente werden als bekannt vorausgesetzt.
Recht umfangreich ist das dritte Buch der «Geometriae theoricae et practicae». Es handelt vom Rechnen mit rationalen und irrationalen Zahlen oder
wie ARDÜSER sich auch ausdrückt, von den «mässlichen und unmässlichen
grössinen»: «diss ist ein Vermischung der Arithmetica, und der Geometria,
auss welchem die dreyzehn Irrational Linien oder zahlen des zehenden Buchs
Elementorum Euclidis zu werck gezogen werden.» Die folgenden Bücher be21
Ito
me
P4 +}Y Oft
<Jebe $
(Klischee N. Z.Z.)
Abb. 12 Aus «Geometri ge theoricae et practicae» von J.
Partium (S. 54/55).
ARDÜSER. Das
Instrumentum
bl; utaitCit6;10(o nrn ha eNs ftifftin fop /ennbaa
fhb AIN fciranff<Ie foam erleben toff,
i:rnyh! f (nt'xrtl!4oe leesu+e oesonifowel Me <Ord4^
ray-M+ jih7Mt(+i;7 (hunt biabloio Cnbalo bniul tht Ong
ifa5(6rinft rntnattdtr bSeH w fd:m<ii1 eI 6n7(id)glrar
°.• ,+ ^r 111re a z R [ «, frtng(ri i can brbnb
fin
• t f t - G`de! aufft,ut 0,1tt
0,1t
4y J57.`i(t7 e4 ell1 fS{+ralf,
<+nrsie;n 6n€iei:
ES
L
Abb. 13 Azimutalquadrant (S. 60 «Geom. theor. et pract.»).
22
handeln die «geraden Linien» und entsprechende geometrische Konstruktionen
(4. Buch); die «Circkellinien und Figuren» (5. Buch); die «rechtlinischen
Figuren», ihre Teilung und Verwandlung (6. Buch); die Konstruktion von
ein- und umschriebenen Kreisen um «rechtlinische Figuren» (7. Buch). Das
achte Buch handelt «Von den tabulis sinuum, Tangetium und secantium, was
dieselbigen seyen, ein kurtze erklerung, und wie sie zu finden und zebrauchen
seyn, in messung der rechtlinischen Trianglen, welche in der Artihmetischer
Regel proportionis besteht, da drey bekandte das vierdte zeigen. Dann ein
jeder Triangel hat sechs ding, als drey seiten, und drey winckel, wann nur
von disen ein seiten und zween winkel, oder zwo seiten und ein winckel,
oder all drey seiten bekandt gegeben, so werden die übrigen seiten und
winckel auch funden, wie in disem und dem volgenden Buch, durch Exempel
soll erklert werden.» Aber das achte Buch bietet noch mehr als nur eine
Berechnung des Sinus oder Tangens von einzelnen Winkeln, es lehrt auch,
wie die horizontalischen und perpendikularischen Winkel zu finden sind,
das heisst, wie die Horizontal- und die Vertikalprojektion durch das Zirkelinstrument oder den Quadranten oder ohne Instrument bestimmt werden
können, wofür ARDiiSER detaillierte Vorschriften gibt. Auf die Angabe einer
Tabelle mit Winkelfunktionen kann er verzichten, weil sein «Instrumentum
(Zak CD
winQdi cBD,Sn CB Row Ot{IMtddtft
Oft&ft
707 104g
1
. Äfo oo;Oftitgtplinintlu cD,.
40(e^1.-
cD9'.
afofllti
ritittr.
:'4io`rignget nn G fc<i Wail,' UQfd<nrc 4 ;» (4 o 4, nttiQ
C 4ny(;o..4nD t,.:rwiluectNCnGogr.Üßnn Ur tutdtd ACfY
taro gr.aareon (ibnabia a u roi „iy Uct tto gr rt Nut ar
Wintid AC u 6o gr.roft obtnr97mt clop inn 1roe tttdnttl f<u<uJ nn
n
tii
atm
Abb. 14 Messung einer Lange, zu der man mit Messtisch oder Winkelinstrument nicht
gehen kann (S. 219 «Geom. theor. et pract.»). (Man vergleiche diese Zeichnung mit Abb. 8.
Es handelt sich offenbar um den ZuBLrRschen Messtisch.)
23
(Klischee N. Z. Z.)
Abb. 15 Triangulationsnetz (S. 240 «Geom. theor. et pract.»).
c
Abb. 16 Zeichnung eines Triangulationsnetzes aus einem Manuskriptband über
«Geometriae» (Zentralbibliothek Zürich Ms. B 84, Rücks. der Doppels. 134).
24
partium» für jeden gegebenen Winkel die direkte Ablesung des Sinus, seines
Complementes, des Tangens und der übrigen Winkelfunktionen erlaubt.
Mit dem neunten Buche gelangt der Verfasser zur Behandlung der eigentlichen Probleme der Feldmesskunst. Er demonstriert, durch eine grosse Zahl
von eindrücklichen Holzschnitten unterstützt, wie von einer gegebenen Standlinie aus die «weite» respektive Entfernung zu direkt nicht zugänglichen Punkten gemessen werden kann, z. B. die Entfernung eines Schiffes auf dem Meer,
die Entfernungen vom einen Ufer zum anderen, die Höhe eines Turmes oder
Berges. In diesem Buche wird das erstemal der Messtisch erwähnt, mit dem
«eine lenge zu messen, zu welchem man nit gehen kann» ohne Rechnung sei:
«Dises kan gar leicht geschehen mit einem ebnen brätt, ... doch so muss man
ein linial haben, welches anstatt der gesichtregl muss gebraucht werden.»
(Siehe Abb. 14.)
In den drei letzten Büchern beschäftigt sich ARDÜSER zunächst mit dem
Grundlegen (10. Buch), dem eigentlichen Feldmessen (11. Buch) und dem
Teilen der Felder in gleiche und ungleiche Teile (12. Buch). «Das Grundlegen
ist ein Kunst, durch welche der grund, oder boden Riss einer Landtschafft,
Statt, Festung, Kirchen, Felds, Walds, Weyers und dergleichen in kleiner mass
und form, dem grossen ganz gleichförmig auff das papyr geschriben wird.»
Für das Grundlegen bedient sich ARDUSER hauptsächlich des Messtisches. Mit
Hilfe eines ganzseitigen Holzschnittes erläutert er die Art und Weise, wie
ein grösseres Gebiet mit Städten, Schlössern, Dörfern und Bergen durch Aufteilung in Triangulationsdreiecke kartographisch aufgenommen werden kann.
Das 11. und das 12. Buch beschäftigen sich mit den Aufgaben des Feldmessens im engeren Sinne, mit -der Bestimmung der Grösse der Feldfluren
nach Jucharten usw., Aufgaben, wie sie durch den Grundstückhandel, die
Erbteilung oder die Errichtung von Befestigungsanlagen immer wieder dem
Feldmesser gestellt wurden.
ARDUSER'S Werk wurde «allen Baw- und Kriegsverstendigen, Feldmessern
und anderen Kunstliebenden zu nutz und wolgefallen in Druck gegeben».
ARDiISER beabsichtigte zunächst, dem ersten Bande eine Stereometrie folgen
zu lassen und einen weiteren Band über die Baukunst herauszugeben. Aber
seine grosszügigen Pläne gediehen nicht bis zur Verlagsreife. In der zweiten
Auflage seiner «Geometriae, Theoricae et Practicae» vom Jahre 1646 sind
immerhin zwei neue Bücher angefügt worden (31) , nämlich das dreizehnte
Buch «Von den Cörpern» (32) mit zwei Tafeln und das vierzehnte «Von der
Visier-Ruten» mit 4 Tafeln. Wie sehr praktische Bedürfnisse ARDüsER's Denken
bestimmten, belegt u. a. die Tatsache, dass er sich ausführlich mit der Frage
auseinandersetzt, wie die Fläche eines Ackers auf einem stark geneigten Hügel
auszumessen sei.
Das letzte Werk, das ARIASER im Druck veröffentlichte, ist der erste Band
seiner «Architectura», der die «Vestungen» behandelt (33). In der «Dedication» an Bürgermeister und Rat betont der Verfasser, «Vestungen» seien notwendig geworden wegen der vergrösserten Wirkung der Geschütze. Er erwähnt
auch den Lehrauftrag in Mathematik, der MICHAEL ZINGG erteilt worden sei.
25
JOH. WILE. SIMLER und HANS HEINRICH RAHN steuerten zu diesem Werke zwei
Lobgedichte bei. Die 30 Kapitel wurden durch 26 Kupferstichblätter illustriert.
Volkswirtschaftlich bedeutsam ist die Diskussion eines Planes, die Gebäude
der Stadt gegen Kriegsschäden zu versichern.
Leider war es ARDÜSER nicht vergönnt, seine heute auf der Zentralbibliothek
Zürich deponierten Manuskriptbände gedruckt zu sehen. Es handelt sich einmal
um zwei Bände der Baukunst mit sehr wertvollen, handkolorierten Zeichnungen von Bauwerken verschiedenster Art und Grundrissen von Festungsbauten und Städten (34) . In einem geometrischen Manuskriptband (35) mit
141 Doppelseiten finden wir auf Seite 3 Angaben über das spezifische Gewicht, von denen wir einige wiedergeben:
nach
Gold
Quecksilber
Silber
Blei
Kupfer
Zinn
Marmelstein
Kristall
Glas
Salz
Branntwein
Spezifisches Gewicht
(Chemikerkalender 1938)
ARVÜSER
196 260 ...
156 000 ...
116 125; 112 084;
128 000 ...
177 777
133 900
102 692
107 451
95 479
75 000
29 384
26 505
25 760
23 453; 14 325
8 394
Bergkristall
Natriumchlorid
Äthylalkohol
19,25
13,546
10,5
11,34
8,93
7,28
2,5-2,8
2,65
2,5-2,7
1,5
0,789
Wie der Vergleich der Angaben ARDilSER'S über das spezifische Gewicht
des «Cristalls» mit dem heute geltenden Wert für Quarz erkennen lässt, sind
die Angaben ARDUSER'S recht genau. Die grossen Schwankungen der Werte
Abb. 17 Blatt 1 aus «Baukunst» (antike Säulenordnungen).
26
Abb. 18 Blatt 17 aus «Baukunst».
27
Abb. 19 Blatt 52 aus «Baukunst».
Abb. 20 Blatt 6 aus «Festungsbau» von
28
ARDÜSER
(Zentralbibliothek Zürich Ms. B 81).
Abb. 21 Plan 5 (Venedig) aus «Festungsbau».
bei den anderen Stoffen dürften durch die geringe chemische Reinheit der
betreffenden Stoffe zu erklären sein.
Auch eine Studie über die Kriegskunst ist von ARDÜSER geschrieben worden (36) .
Die Persönlichkeit ARDÜSER's würde sehr wohl eine gründliche biographische Bearbeitung verdienen. Sein grosses unveröffentlicht gebliebenes Werk
über die Baukunst enthält manche bisher noch nicht ausgewertete kunsthistorische Angabe. Es bildet ein schönes Zeugnis für das lebendige künstlerische Empfinden dieses bedeutendsten Stadtingenieurs des alten Zürich.
ARDÜSER scheint auch in den Kämpfen zwischen den verschiedenen Gruppen
des Zürcher Rates eine wichtige Rolle gespielt zu haben, sonst wäre es nicht
verständlich, dass er beim Bau der Stadtbefestigung immer wieder gegen
seinen Vorgesetzten HANS GEORG WERD MÜLLER auftreten konnte, ohne vom
Rate ernsthaft desavouiert zu werden und dass er, trotzdem er ein Neubürger
war, im Jahre 1657 als Zwölfer zur Kämbelzunft Mitglied des Grossen Rates
wurde (37). ARDÜSER muss einflussreiche Freunde gehabt haben, welche immer
wieder die schützende Hand über ihn hielten. Als er Stadtingenieur von Zürich
wurde, stand er bereits im 36. Lebensjahre und dürfte sich in ausländischen
Kriegsdiensten ausgezeichnet und als Mathematiker, Architekt und Ingenieur
schon grosses Ansehen erworben haben. Aber man kennt nicht einmal seine
Eltern, wo er seine Jugend verlebte, wie er seine für die damalige Zeit ungewöhnlich umfassende Bildung erwarb. Auch über die persönlichen Lebensverhältnisse nach seiner Ernennung zum Stadtingenieur sind wir nur spärlich unterrichtet.
29
IX.
Kapitel Die «Teutsche Algebra oder Algebraische Rechenkunst»
von Landvogt Johann Heinrich Rahn (1622-1676)
1659 erschien bei JoH. JAC. BODMER zu Zürich die «Teutsche Algebra» des
Landvogtes der Grafschaft Kyburg, JOH. HEINRICH RAHN, bestehend «1. In
Auflösung verworner Mathematischer Aufgaben. 2. In Verhandlung allerhand
Algebraischer Äquationen. 3. In Erfindung unterschidlicher nuzlicher Theorematum.» Der Verfasser dieses Werkes, nach JOHANN ARDÜSER der bedeutendste Zürcher Mathematiker des 17. Jahrhunderts, darf wohl als einer der
ersten Vorläufer der Aufklärung im alten Zürich bezeichnet werden: die Algebra ist eine «rechte Logik», eine «tiefsinnige wissenschaft», die Astrologie
steht dagegen «auf fabelwerk» (38) .
JoH. HEINRICH RAHN (10. 3. 1622 bis 27. 5. 1676) (39) ist allerdings ebenfalls
kein selbständiger Forscher. Er ist mehr ein Liebhaber der mathematischen
Wissenschaft, dem das Verdienst zukommt, die erste Algebra in deutscher
Sprache veröffentlicht zu haben (40) . Wir finden bei RAHN unscharfe oder
auch unkorrekte Definitionen. So hat er auf Seite 2, vielleicht infolge eines
Versehens, den Unterschied des Dividierens und «Evolvierens» (damit ist
das Extrahieren einer Wurzel gemeint), nicht klar herausgearbeitet (41).
Auch die Durchrechnung der einzelnen Beispiele ist oft recht schwerfällig.
RAHN rechnet meistens so, als ob es sich um einen allgemein gültigen Fall
handle. Die allgemeine Rechenmethode wird in die Form einer spezialisierten
Aufgabe gekleidet. Wir wählen als Beispiel einen verhältnismässig einfachen
Fall, die Berechnung einer Quadratwurzel. Seite 133/134 stellt sich der Verfasser der «Deutschen Algebra» die Aufgabe aus der Gleichung
aa = 18 + 1/68 sei a zu berechnen.
Wenn es sich bloss darum handelte, die Aufgabe zahlenmässig auf dem kürzesten Wege zu lösen, würde man folgendermassen vorgehen können:
a2=18+1768=18+1/4.17=18+2. 1/17 =17+2.1/17+1=
= (1/17 + 1) 2. Demnach ist a =1/17 + 1.
RAHN schlägt einen anderen, allgemeineren Weg ein. Er setzt zunächst
2br + rr. Daraus folgt 18 + 1i 68
a = b + r. Dann ist aa = bb
= bb + 2br + rr.
«Es sey nun» 18 = bb + rr und 1/68 = 2br.
Das ergibt 324 = bbbb -I- 2bbrr + rrrr und 68 = 4bbrr. Demnach ist
324-68 = 256 = bbbb -- 2bbrr + rrrr. Das ist das Quadrat von 16 = bb — rr.
Aus 18 = bb + rr und 16 = bb — rr folgt 34 = 2bb, respektive 17 = bb. Setzt
man 1/17 = B und 2 = 2rr, so ist 1 = rr. Und 1 = R. Schliesslich ist
A = B + R =1/17 + 1.
Leider hat J. H. RAHN seinem Werke kein Inhaltsverzeichnis beigegeben.
Der von ihm behandelte Stoff lässt sich folgendermassen zusammenfassen. In
einem ersten, als Algebraische Rechenkunst bezeichneten Teile behandelt er
30
auf 60 Seiten die sechs Rechenoperationen (Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren, Involvieren und Evolvieren) (42), die Vorzeichen und
Zeichen der einzelnen Operationen, das Ausziehen von Quadrat- und Kubikwurzeln, die gebrochenen Quantitäten (resp. Brüche), ihre Verkleinerung,
Addition, Subtraktion, Multiplikation usw., die von ihm (wie LEONARDO DE
PISA erstmals 1228 im «Liber abaci») als Surdische Quantitäten bezeichneten
irrationalen Zahlen und die entsprechenden Rechenarten. In «handlicher, moderner Anordnung» (43) bringt RAHN auf den Seiten 37 bis 48 eine Divisorentafel von 1-24 000.
Im zweiten Teile von 128 Seiten, «Gebrauch dieser Rechenkunst» überschrieben, schildert der Verfasser die Grundbegriffe der «Äquationen» und
die entsprechenden Rechenregeln, werden «unterschidliche Arithmetische und
Geometrische Aufgaben» aufgelöst, «Binomische und Residuische Äquationen»
zur «Evolution» gebracht. Die beiden letzten Abschnitte beschreiben die «Delineation», d. h. die graphische Behandlung der quadratischen, biquadratischen
und kubischen Gleichungen gleichzeitig mit der rein rechnerischen Lösung (44), sowie einige Aufgaben aus dem Problemkreis der Winkelschnitte,
wie die Halbierung («Bisektion») von Winkeln und die «Quadratur des Zirkels».
Nach dem Vorbericht sind die «Problemata oder Aufgaben theils auss Vieta,
Cartesio, Schootenio, Diophanto, Clavio etc. genommen, theils aber ist sonst
beygefügt, was zu erklärung der unterschidlichen Fählen nohtwendig und
nuzlich erachtet worden». Nahezu 8 Seiten «Truckfehler» belegen die grossen
drucktechnischen Schwierigkeiten, welche die Veröffentlichung dieses Werkes
durch eine zürcherische Offizin, die im Druck von mathematischen Werken
nur geringe Erfahrung besass, mit sich brachte. Von JOHN PELL übernahm
RAHN den dreifachen Rand zur «staffelweisen» Ordnung der Schlüsse und
einige besondere Zeichen, wie das Zeichen für die Division und die Multiplikation, die sich nicht durchsetzten. Für das Zeichen der Gleichheit verwendete er als einer der ersten das heute noch gebräuchliche aus zwei horizontalen Strichen (=) bestehende Zeichen. Hervorzuheben ist die klare Einsicht in die Zahl der Wurzeln einer Gleichung:
«So gross das mass des vermögens ist, so vil wurzeln mag die Aequation
befassen, sie seyen dann affirmat oder negat, oder ganz absurd oder unmöglich (gemeint sind imaginäre oder komplexe Werte) : Die negatwurzeln heisset
Cartesius radices falsas; weilen sie aber allein darum negat sind, dass sie in
der delineation sich in das gegenspil der affirmatwurzeln kehren, so bedunken
sie mich nicht weniger waarhaft seyn alss die affirmaten: Darum so enthalte
ich mich sie falsch zu heissen, und bleibe bey dem negat-wort, nach eigenschaft des zeichens — so solchen wurzeln angehenkt ist ... So vil eine Aequation Dimensiones oder vermögen hat, so vil mal mag sie dividiert werden
durch ein binomium oder residuum, bestehende auss der unbekannten quantitet und der wurzel (45).»
In der Zentralbibliothek Zürich befinden sich noch zwei schöne Manuskriptbände, welche J. H. RAHN im Jahre 1667 der Bürgerbibliothek vermachte.
31
Der erste Band ist überschrieben «Algebra Speciosa seu Introduction in Geometriam Universalem». Er setzt sich aus drei, in lateinischer Sprache verfassten Teilen zusammen. Der erste Teil: «Arithmetica Algebraica seu Introductio ad Geometriae Methodum» behandelt in 18 Kapiteln neben einer begrifflichen Bestimmung der algebraischen Grundbegriffe die verschiedenen Rechenoperationen von der Addition bis zur Evolution und schliesslich das Bruchrechnen. Aus der deutschen Algebra übernimmt RAHN die «Algebraische
Rechenkunst» überschriebene Faktorentabelle. Im zweiten Teil «De Aequationibus» bespricht der Verfasser die algebraischen Gleichungen im allgemeinen, gibt 21 Regeln über die Reduktion von algebraischen Gleichungen,
und beschreibt einlässlich die Bestimmung resp. Auflösung von Gleichungen.
Der dritte Teil «Resolutio Problematum miscellaneorum» enthält Lösungen
der Probleme der Multiplikation von Winkeln, der Winkelteilung und vor
allem einen sehr hübschen Abschnitt mit exakt mit dem Bleistift gezeichneten
Figuren über die Kegelschnitte (Parabel, Hyperbel, Ellipse) . Vermutlich
würde es sich lohnen, einige dieser Untersuchungen über die Kegelschnitte
im Druck zu veröffentlichen. Mit der «Praxis delineatoria» schliesst das
Manuskript.
Der zweite Manuskriptband, «Solution Problematum Diophanti Alexandrini» überschrieben enthält eine Einleitung von drei Büchern und einen
Hauptteil von 6 Büchern. RAHN scheint die 6 Bücher des Werkes von Diophant aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. mit den algebraisch bestimmten und
unbestimmten Gleichungen ganz durchgerechnet zu haben. Wie schon in der
deutschen Algebra gibt RAHN im Sinne und in Übereinstimmung mit DIOPHANT
von Aufgabe zu Aufgabe verschiedene Lösungen.
Während J. H. RAHN zu den höchsten Staatsstellen aufstieg, ist MICHAEL
ZINGG, der vielleicht ebenso Bedeutendes geleistet hat, das Schicksal weniger
gnädig gewesen.
X. Kapitel Der Märtyrer der Aufklärung: Michael Zingg (1599-1676)
Dass sich in den Verhandlungen der weltlichen Räte und der ihnen untergeordneten geistlichen Synode, den beiden Trägern der politischen Gewalt
im alten Zürich, im Verlaufe des 17. Jahrhunderts immer mehr ein wissenschaftlicher Dogmatismus durchzusetzen vermochte, zeigt das Schicksal des
glarnerischen Pfarrers MICHAEL ZINGG, der im Jahre 1661 angeblich wegen
Ketzerei, begangen durch einige seiner Predigten in der Kirche zu St. Jakob
verbannt und des Bürgerrechtes der Stadt verlustig erklärt wurde. Der Druck
der Geistlichkeit war so stark, dass MICHAEL ZINGG auf Grund blosser Denunziation hin verhaftet und zu der schwersten Strafe verurteilt worden wäre,
wenn er nicht im letzten Augenblicke, durch gute Freunde aus dem Rate
selbst gewarnt, hätte fliehen können. Praktisch wurde mit der Verurteilung und
Verbannung ZINGG's vor allem die Lehre des Kopernikus bekämpft und der
durch MICHAEL ZINGG in Verbindung mit ARDüsER und vielleicht auch H. J.
32
RAHN
eingeführte Mathematikunterricht auf Jahrzehnte hinaus getroffen:
«Es ist möglich, dass die verhältnismässig geringe Pflege der Mathematik und
vor allem deren geringe schöpferische Kraft in Zürich auf den Einfluss der
Orthodoxie zurückgeht, denn seit der Verbannung von MICHAEL ZINGG stand
die Beschäftigung mit dieser Wissenschaft im Geruche der Ketzerei» (46) .
Eine wichtige Ursache der gegen Ende des 17. Jahrhunderts wachsenden
Unduldsamkeit der zürcherischen Geistlichkeit dürfte die zunehmende Überfüllung des Berufes der Geistlichen gebildet haben. Kurz nach dem Siege
der Reformation und der Gründung der Theologenschule am Grossmünster
fehlte es an tüchtigen und geschulten reformierten Pfarrern. Jeder Sieg der
Reformation bedeutete zugleich eine Vermehrung der reformierten Pfarrpfründen. Mit dem Übergang zum politischen Gleichgewicht zwischen den
reformierten und katholischen Ständen wurde es trotz wachsender Bevölkerungszahl immer schwieriger, die an der Zürcher Grossmünsterschule ausgebildeten Geistlichen unterzubringen: Zwar wurde nach und nach die Zahl
der Pfarrpfründen vermehrt, aber noch stärker wuchs die Zahl der auf eine
feste Anstellung harrenden «Expectanten» (47) .
Für das Jahr 1653 zählt der Visitationsbericht des Inspektors CASPAR WOLF
25 Candidaten auf; im folgenden Jahre sank die Zahl der Expectanten allerdings auf 19, aber von diesen wartete einer bereits 10 Jahre, zwei warteten
9 Jahre, einer 5 Jahre, 3 seit 4 Jahren auf eine Pfarrpfründe. Im Jahre 1688
werden 68 Expectanten (4 unbrauchbare, 58 brauchbare), 1689 sogar 71 Expectanten namentlich aufgeführt. 1699 gab es zur Zeit der May Synode 61
und im folgenden Jahre 63 Expectanten (48) . Etwa 50 Jahre später, im
Jahre 1746 (49) ist die Zahl der Expectanten auf 45 zurückgegangen, um
dann — wie schon früher erwähnt wurde — gegen Ende des 18. Jahrhunderts wieder stark anzuschwellen. Jedes Jahr bildete das Collegium Carolinum
in der Mitte des 18. Jahrhunderts etwa 6 bis 9 Geistliche aus.
Immer wieder gelangten die Expectanten mit besonderen Eingaben an die
Behörden (50), um ihre ökonomische Lage zu verbessern. Lediglich die ersten
20 Candidaten der Liste der Expectanten wurden bei der Bestellung einer
Pfarrpfründe berücksichtigt. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts (was im
Jahre 1697 bestätigt wurde) erhielten 15 der «fürschlagsfähigen» Expectanten
ein jährliches Stipendium von 40 Gulden, soferne sie nicht als Vikare oder
Feldprediger tätig waren. Im «Memoriale der Class der Expectanten» vom
27. Oktober 1713 wird unter anderem darüber Klage geführt, wie eine Reihe
von Expectanten ihre Eltern bis in das Alter von 30 oder 40 Jahren belastet
oder ihr Vermögen aufgezehrt hätten. Ist es da unverständlich, dass es gerade
ein Disput mit Studenten des Carolinums und Expectanten war, der im Jahre
1660 zur offiziellen Denunziation MICHAEL ZINGG's führte? Schon J. BOTT
machte 1877 in seinem Kommentar zur Chronik des HANS ARD SER auf die auffällige Tatsache aufmerksam, dass zwar der Gelehrte JOSIAS SIMMLER im
«reformierten Pündten» des 16. Jahrhunderts hoch geehrt wurde, aber zur
gleichen Zeit wegen Ketzerei innert kurzer Frist zwei Geistliche, nämlich
HANS GANTNER aus der reformierten Synode ausgestossen und Pfarrer Nöns
3
33
sogar verbannt wurde (51) . Die Tendenz, einen missliebigen Gegner auf dem
Umwege über die Anklage der Ketzerei als Konkurrenten auszuschalten, ist
sozialpsychologisch verständlich. Sie stimmt überein mit der im 17. Jahrhundert immer stärker ausgeprägten Neigung der zürcherischen Behörden, keine
neuen Einbürgerungen mehr zuzulassen und den Besuch der städtischen
Schulen bloss noch Söhnen von städtischen Bürgern zu gestatten.
MICHAEL ZINGG (52) erhielt als Sohn eines glarnerischen Schneiders und
Tuchkrämers ein Stipendium, um in Zürich studieren zu können. Er wurde
mit 24 Jahren ordiniert und drei Jahre später, im Jahre 1626, als Pfarrer der
Gemeinde Sax im Rheintal gewählt. Schon als kleines Kind habe er seinen
Wissensdurst in die Frage gekleidet «Warum so?». Er beschäftigte sich neben
den theologischen Studien intensiv mit Mathematik und Astronomie. Mit 31 Jahren war er Prediger und Rechenlehrer in St. Gallen, trat aber 1631 aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amte zurück und verdiente sich den Lebensunterhalt durch die Herstellung von Sonnenuhren und als Lehrer des Feldmessens. Im Jahre 1634 wurde er wegen Ketzerei ein erstes Mal verhaftet und
des sanktgallischen Bürgerrechtes beraubt.
1638 taucht er als Diacon zu Bülach, 1640 als Pfarrer zu Fischental wieder
auf, wo er die Verbindung mit dem Pfarrer und Mathematiker MATHIAS HIRTZGARTNER pflegte. Im Jahre 1648 schenkte er der Stadt Zürich eine astronomische Uhr. Sie zeigte das Sonnensystem im Sinne des Aristarch und Copernicus. In einem handschriftlichen Büchlein «Neuwe Astronomische künstliche
Uhre» (Zentralbibliothek Msc. B 128) von 52 Seiten Umfang beschreibt ZINGG
in einem ersten Teil ausführlich den Aufbau und die Konstruktion der Sonnenuhr aus 6 Planetenrädern, einer Firmamentscheibe und einem beweglichen
Horizont. Im zweiten Teil wird in 4 Tractaten die Verwendung der Sonnenuhr für den Kalender und das Astrolabio, der Lauf der Planeten und das Einstellen der Sonnenuhr behandelt. Mit Tafeln über den Lauf des Mondes, der
Sonne und der Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn schliesst
das kleine Werk, das von einem grossen Eifer und der Fähigkeit zu durchsichtiger Darstellung zeugt. Vorsorglicherweise hat ZINGG in der Zueignung
an die «Hochgeehrten, Ehrwürdigen, Hoch-Wohlgelehrten, Edlen, Frommen,
Vesten, Ehrwerten, Fürsichtigen, Ehrsamen Herren» die Anwendung des
Kopernikanischen Systems bei der Konstruktion seiner Sonnenuhr ausdrücklich als «Hypothesi Astronomica» bezeichnet.
Noch im gleichen Jahre wurde ZINGG in das Bürgerrecht der Stadt Zürich
aufgenommen. Der Rat beschloss ausserdem, ihm den mathematischen Unterricht der jungen Bürger zu übertragen und sprach ihm dafür eine halbe
Chorherrenpfrund zu. Besonders letzterer Beschluss scheint den Neid der
Leiter des Chorherrenstiftes erregt zu haben. Der Beschluss wurde sabotiert
und ZINGG an die Pfarrei in Altstetten versetzt, «von wo er wöchentlich zwei
mal in die Stadt zu gehen und Lectionen zu geben hatte» (53).
ZINGG war ein beliebter Prediger. In den Visitationsberichten (54) heisst
es u. a.: «MICHAEL ZINGG in Altstetten wird geliebt, geehrt und gelobt ... fleissiges, ernstliches Predigens und stillen wandels, gutes Lob bei der Gemeinde.»
34
Im Jahre 1653 wurde er an die Pfarre zu St. Jakob an der Sihlbruck versetzt (55). ZINGG hatte seinen Unterricht in der Bürgerbibliothek zu erteilen,
und zwar jeden Dienstag und Mittwoch von 9 bis 11 Uhr. Aufschlussreich ist
das Unterrichtsprogramm, das schon R. WOLF nach einem Manuskript der
Zürcher Stadtbibliothek [jetzt Mscr. A.67 (22), Zentralbibliothek] in extenso
als kulturgeschichtlich «bedeutsames» Aktenstück reproduzierte.
ZINGG hatte als «Einleitung der Mathematischen Wissenschaften» nachfolgende «Stucken» zu unterrichten: Die 4 Zahlenoperationen der Arithmetik,
Quadrat- und Kubikwurzeln auszuziehen, an Stelle der Brüche die «zehentheilige Rechnung» zu setzen und auf dieser Grundlage «die erleuterungen
und Demonstrationes in der Geometria zu fassen, alle gegebne Exempla des
Feldmessens, der Fortifikationslinien, ja gantzer Trigonometria auffzulössen
und folgends Astronomische Tafelen auffzusetzen». Danach seien in Geometrie und Trigonometrie die «Acht problemata usitata, inbegriffen Usus
Tabularum Sinuum, Tangentium, und Secantium» zu erklären. In der praktischen Geometrie sei zu behandeln «Alle Dimensiones oder Abmessung nach
grader lini, höchen, längen, Tiefen etc., die Acker- und Feldmessung, das
Visieren der Weinfassen, die Ausrechnung der linien und winkel der Pollwerken u. s. f.» Es seien kurze Begriffe über die Lehre der Himmelssphären
zu geben. Die Theorie der Planeten solle «bis zu künfftiger Zeit ... verbleiben», also aufgeschoben werden. Der Himmelsglobus solle zur Übung der
Trigonometrie bei der Bestimmung der Deklination der Sonne, des Mondes
und anderer Sterne, dem Auf- und Niedergang der Sonne, der Sonnenhöhe
und der Tageslängen verwendet werden. Auch in die Lehre von den Sonnenuhren, «der Gnomonica» solle eingeführt werden, «wie die Sonnen Uhren zu
ryssen», Quadranten und Zylinder, und «die Aufryss eines Astrolabij» seien
zu berechnen. Ein reich befrachtetes Unterrichtsprogramm, das sich einerseits
aus dem Lehrstoff, wie er in der zweiten Auflage der 1646 erschienenen «Geometriae Theoricae et practicae» von ARDüsER enthalten war, und andererseits
aus dem besonderen astronomischen Interessenkreis ZINGG's zusammensetzte.
ZINGG führte auch bescheidene astronomische Beobachtungen, wahrscheinlich mit Hilfe eines Gnonoms durch, reiste hie und da ins Ausland, so 1652
in die «churfürstliche Pfalz» nach Heidelberg, galt als «mäsig, bscheiden, liebrich». Aber seine «sonderbare mathematische wüssenschaft» und der freie
Ton seiner Predigten reizten den Kreis der Unduldsamen und Rechtgläubigen
um Antistes JOHANN JAKOB ULRICH derart auf, dass er vor allem wegen einer
Predigt über die Willensfreiheit und die allen Menschen zugedachte Gnade
Gottes vom 27. November 1659 (56) und einer heftigen Diskussion mit Prof.
WOLF und Sekretär JAKOB HOLZHALB am 6. Juli 1660 erstmals verhört, vom
23. August bis zum 10. September verhaftet, zu Hausarrest begnadigt und angewiesen wurde, «sich vorläufig des Predigens zu enthalten». Eine auf Druck
der Geistlichkeit angeordnete Hausdurchsuchung führte zur Entdeckung von
kopernikanischer Literatur, z. B. den Schriften von GALILEI, die aber später
verschwunden sind (57). Nach einer zweiten Hausdurchsuchung und einer
willkürlichen Auslegung von Notizen und Äusserungen des Verhassten wur35
Abb. 22 Zeichnung eines Kometen durch M. ZINGG.
den im Rat am 11. November 1661 Anträge auf Hinrichtung, lebenslängliche
Verwahrung und Entzug des Bürgerrechtes gestellt. In letzter Minute gelang
ZINGG, trotzdem er krank war, die Flucht mit Hilfe seiner zweiten Frau. Sein
Arbeitswille war aber gebrochen. Er fand Zuflucht im Badischen und starb
später im Juli 1676 in Möriken bei Wildegg, nachdem er mehrfach vergeblich,
zuletzt im Jahre 1675, Bittgesuche an die Räte von Zürich um Aufhebung der
Verbannung gerichtet hatte. Der Rat wagte nicht, entgegen dem unerbittlichen Willen der Geistlichkeit, ZINGG's Wunsch auf Begnadigung stattzugeben.
So starb ZINGG als ein Märtyrer der Aufklärung in der «Frömde» und mit
seinem Prozess erlitt auch die Pflege der exakten Wissenschaften im alten
Zürich schweren Schaden. Der Unterricht in Mathematik wurde vernachlässigt. Nach R. STEIGER (58) beschloss zwar im Jahre 1683 der Rat die Errichtung einer besonderen mathematischen Professur am Carolinum. Wiederum wurde sie einem Pfarrer an der Kirche zu St. Jakob, JOHANNES HERRLIBERGER (1630-1711) übertragen. Er sollte wöchentlich drei Stunden am Collegium Humanitatis und zwei Stunden am Collegium Carolinum unterrichten,
und zwar Rechnen, Geometrie, und praktische Anwendung der Geometrie
in der Feldmesskunst und Gnonomik. Das Interesse an diesen Vorlesungen
war so gering, dass die Lehrstelle selbst wegen mangelnder «Lust und Anmuthung» der Studenten wieder aufgehoben wurde. Gegen eine mässige behördliche Entschädigung verpflichtete sich HERRLIBERGER als Prof. Mathematicae oder Lector Matheseos, Schüler, die dies begehren sollten, bei sich zu
Hause privat in der Mathematik zu unterrichten. Im Jahre 1710 wurde J. J.
SCHEUCHZER an Stelle HERRLIBERGER'S mit dieser Aufgabe betraut.
36
XI. Kapitel Kalendermacherei, Vermessungskunde und Kartographie
im 17. Jahrhundert
Die Beschäftigung mit mathematischen und astronomischen Studien ging
im alten Zürich, wie unsere bisherigen Darlegungen deutlich gemacht haben
dürften, auf ausgesprochen praktische Bedürfnisse zurück, auf das Bedürfnis,
Stadt und Land vor allem aus militärischen Gründen in «Grund zelegen» und
das Bedürfnis, über die mit der Zeitrechnung in Verbindung stehenden astronomischen Ereignisse orientiert zu werden. Da von RUDOLF WOLF und LEO
WEISZ bereits zwei ausgezeichnete Studien über die Geschichte der schweizerischen Vermessungskunst und Kartographie (59) veröffentlicht worden sind,
können wir uns — was die Beschreibung der Kartographie anbetrifft — kürzer
fassen. Wir stellen aus diesen beiden Monographien lediglich jene Tatsachen
zusammen, welche die Verhältnisse im alten Zürich des 17. Jahrhunderts
beleuchten, soweit wir nicht schon in den Kapiteln über LEONHARD ZUBLER
und JOHANN ARDüSER darauf eintreten konnten. Doch wollen wir uns zunächst mit der Astronomie und der auf astronomischen Berechnungen aufbauenden Kalendermacherei beschäftigen. Neben MICHAEL ZINGG war MATHIAS
HIRTZGARTNER (1574-1653) der bedeutendste Liebhaberastronom des alten
Zürich im 17. Jahrhundert. Er veröffentlichte auch einige Kalender, gehört
also zur Reihe jener Kalendermacher, die sich damit im alten Zürich einen
bescheidenen Nebenerwerb zu sichern versuchten. 1574 in Maschwanden geboren, studierte er von 1585 bis 1594 in Zürich Theologie und reiste in den
Jahren 1594 bis 1598 über Marburg, Leipzig und Heidelberg nach England
und Dänemark. Er legte 1599 seine Examina ab, wirkte zunächst als Schulmeister und dann als Pfarrer in Volketschwil, Hinwil und seit 1612 in Stadtnähe, in Zollikon. Er wurde 1633 «pensioniert», das heisst in seiner geistlichen
Funktion eingestellt, ohne doch seiner Pfrund verlustig zu gehen und konnte
sich so von diesem Zeitpunkte an seinen naturwissenschaftlichen Liebhabereien, der Arzneiwissenschaft und vorab der Astronomie mit verstärktem
Eifer widmen.
HIRTZGARTNER gab neben einigen Kalendern 1634 eine kleine Schrift über
die zwei Mondfinsternisse des Jahres 1635 heraus, veröffentlichte 1639 eine
etwas umfangreichere Schrift über das Sonnensystem im kopernikanischen
Sinne mit einer Übersicht der Sternbilder und einer Aufzählung von 1620
Fixsternen und 13 Planeten und Monden. Seine letzte Schrift ist eine Beschreibung der Planeten, welche er im Jahre 1643 drucken liess. Sie ist dem
Widersacher JOHANN ARDUSER'S, dem nachmaligen Feldzeugmeister JOHANN
GEORG WERDMÜLLER (1616-1678) gewidmet: «Detectio Dioptrica, Corporum
Planetarum Verorum. Das ist von der wundersamen, doch wesentlichen, wahren und natürlichen Bildnuss, der Cörperlichen Form, und Gstalt der sieben
Planetensternen, und etlichen Fixsternen ...» (Frankfurt am Main 1643) .
Das Titelkupferbild zeigt das Sonnensystem nach KOPERNIKUS mit Erde
und Mond (mit fehlerhaft gezeichneter Lichtgestalt) und den übrigen Planeten. Im Text der 39 Seiten zählenden Schrift sind noch weitere fünf Kupfer37
stiche mitgedruckt. Das Mondbild zeigt graue Meeresflächen, ein Strahlensystem und zahlreiche, allerdings nicht als Krater erkennbare Berge oder
Ringe. Der Saturn wird mit zwei grossen Henkeln dargestellt; der Mars als
dreieckiger, «brünnender Berg»; das Jupiterbild weist mehr symbolhaften
Charakter auf. Dagegen ist der letzte Kupferstich eine ausgezeichnete zeichnerische Erläuterung der Lichtgestalten von Merkur und Venus, indem gleichzeitig auch noch die Erde mit den vier Lichtgestalten des Mondes im unteren
Teile des Blattes mitgezeichnet wurde. Der Verfasser macht auf die Möglichkeit aufmerksam, dass die Fixsterne sehr grosse und dennoch verschiedene Entfernungen haben könnten, dass im Sternbild der Andromeda ein
«klein Wülckli» zu sehen sei, das entweder ein «Monstrosischer Stern oder
eine Zusammengesellung vieler kleiner Sternen seyn» müsse. Und die Bewegung der Sonnenflecken wird als Beweis für die Drehung des «gantze Corpus
der Sonnen, in Axe suo» aufgefasst: «Und kehrt sich also die Sonn herumb,
ehe, als in einem Monat, gegen den Theil der Welt, dahin sich die anderen
Planeten, auch bewegend und kehrend.»
HIRTZGARTNER war ein bewusster Vertreter der kopernikanischen Lehre
und mit ARDÜSER, RAHN, ZINGG und wohl noch anderen einer der ersten Vertreter der Aufklärung im alten Zürich. Er starb am 9. Februar 1653 an den
Folgen der Explosion des Pulvermagazins im Geissturm vom 10. Juni 1652.
Er wurde zu Boden geworfen. «Sinthar musste er meistens zu Beth ligen,
biss des jahrs hernach ... sein Hinschied erfolget.»
Wenn auch HIRTZGARTNER einige Kalender zusammenstellte, so wurde doch
schon frühzeitig das Amt des Kalendermachers mit dem Amte des Stadtarztes
verknüpft. Der «Alt und New Schreybkalender» des Jahres 1623 wurde vom
Stadtarzt «Dr. CHRISTOFF GEYGERN» (gestorben 1626) herausgegeben. Der noch
ältere «Schreybkalender mitsampt der Practick-Mässen und Jarmärckten
auff das Jahr MDXCIIII (1594), gestellet auff den Meridianum der uralten,
lobl. Statt Zurych» hat der Arzneyen Doctor CASPAR WOLFFEN zum Autor.
In diesen Kalendern werden konventionelle Zeichen für die einzelnen Planeten, ihre Konjunktion («Zusammenkommung») oder Opposition («Gegenstand»), die 4 Mondphasen, die Tierkreisbilder, die Finsternisse, das Wetter
(«Warm, Tonder, Wind, Rägen, Kalt, Schnee»), medizinische Indikationen
(«Aderlassen, Arzneyen, ... Haare abschneiden ... Nägel abschneiden ... »)
verwendet, die bis in die Zeit des Stadtarztes JOHANN JAKOB SCHEUCHZER
beibehalten wurden. Der Schreybkalender des Jahres 1627 verzeichnet den
Arzney Doctor HEINRICH VON SCHENNIS als Verfasser, vom Jahre 1639 bis
zum Jahre 1662 ist es JoH. RUD. GEIGER (1603-12. 9. 1662), der — nach den
Beständen der Zentralbibliothek zu schliessen — die Kalender betreute (60).
Auch der von Doctor und Stadtarzt JOH. JAKOB SCHEUCHZER in Druck gegebene «Alter und Neuer Schreibkalender» des Jahres 1689 bringt neben
Angaben über den Mondschein, das Wetter, «Erwehlungen» im Sinne der bereits erwähnten medizinischen Indikationen für bestimmte Heilverfahren.
Interessant ist die Angabe in diesem Kalender, dass ein Fixstern 1. Grösse
68mal so gross als der Erdboden sei, ein Fixstern 2. Grösse nur noch 28mal, ein
38
Fixstern 3. Grösse 11mal, ein Fixstern 4. Grösse 3mal und ein Fixstern 5. Grösse
1mal. Das Verhältnis der Helligkeiten der Fixsterne wird danach als direktes
Mass der Grösse der Sterne betrachtet und offenbar stillschweigend angenommen, dass alle Fixsterne die gleiche Entfernung von der Erde hätten.
Schon im Jahre 1643 ist von JOH. RuD. GEIGER das «Prognosticum Astrologicum oder Teutsche Practick», «darin kurtz angezeigt wird, was die Himmlischen Einfluss alss Causae Secundae in verenderung des Luffts und Gewitters in dieser underen Welt verursachen möchten» eingeführt worden, als
eine Art muthmassliche Beschreibung der Witterung durch die 4 Jahreszeiten, die den Schreybkalendern beigegeben wurde. Nach und nach wurden
die Kalender auch durch die Schilderung wichtiger politischer Ereignisse oder
Tafeln mit Städtebildern oder Ständewappen der wichtigsten Stände der alten
Eidgenossenschaft für den Käufer anziehender gestaltet.
Besonders der Zuckerbäcker HANS JACOB FÄSI, der von 1704 bis 1711 und
1713 und später in der Bodmerschen Truckerey den «Hauss- und Schreibkalender und 1710 eine in zwei Teilen zerfallende «Gründliche Anleitung. Wie
man auss dem Zürcherischen Kalender den Ort und Zustand der Planeten ..
finden solle» herausgab, war bestrebt, die Wetterprognose auszubauen, durch
Haus- und Bauernregeln zu ergänzen, eine Weltchronik zu verfassen und dem
Kalender auch eine Postordnung beizugeben.
HANS JACOB FÄSI (1664-1722) hatte als Jüngling keine Lust, Theologie zu
studieren und widmete sich der Astronomie, der Mathematik und dem Instrumentenbau als Liebhaberei, da er nicht nur von Seite des Vaters her ziemlich
vermögend war, sondern auch durch die 1689 mit ELISABETH ULRICH eingegangene Ehe nach R. WOLF noch «ein schönes Vermögen» zugebracht erhielt (61). Immerhin scheint er als Kalendermacher das obrigkeitliche Honorarium von 10 Gulden, 4 Mütt Kernen, 4 Eimer Wein und 2 Klafter Buchenholz
seit dem Jahre 1704 bis zu seinem Tode bezogen zu haben, da von ihm Kalender nicht bloss aus den Jahren 1704, 1711, 1713, sondern auch aus den Jahren
1715, 1716, 1720, 1721 und 1723 bekannt sind.
FÄSI gab 1697 die «Deliciae Astronomicae oder Astronomische Ergetzlichkeit» in der Bodmerschen Druckerei auf eigene Kosten heraus (62). Zur Beschreibung der Sonnenuhren, ihrer Konstruktion und Anwendung verwendet
FÄSI über 132 Seiten, für die Armillarsphäre, eine Art Himmelsglobus mit
einem Horizont, Meridian, Äquator, Tierkreis, den Polarkreisen und einem
Stundenkreis, etwa 40 Seiten. Das Stroscopium ist eine Sternkarte mit einem
Visierstab zur Einstellung einzelner Sterne. Das Planetolabium «dienlich aller
Planeten Lauff .. , zu wüssen», hat FÄST, wie er selbst erklärt, der lateinischen
Schrift von LOTHARIUS ZUMBACH (Leyden 1691) entnommen. Im Jahre 1713
gab er in der Bodmerschen Truckerey das Planetolabium von ZUMBACH, «genannt Koerfeld», in deutscher Übersetzung heraus, ergänzt mit Tafeln und
einem ausführlichen julianischen Kalender und einem Calendarium perpetuum (63).
Ob FÄsi wirklich die erste Messung der Polhöhe in Zürich durchgeführt
hat, wie R. WOLF in seiner Biographie FAsi's ausführt — das mit handschrift39
lichen Zusätzen versehene Exemplar von FÄsi's «Deliciae» enthalte nämlich
einen Zusatz mit «der Beschreibung der frühesten mir bekannten wirklichen
Messung der Polhöhe von Zürich» (64) — darf bezweifelt werden. FÄsi hat
vorgängig dieser Messung aus dem Jahre 1715, welche den Wert 47° 13' ergab,
im Jahre 1697 eine Polhöhe von 47° 14' angenommen. Und MATHIAS HIRTZGARTNER gab die Polhöhe von Zürich mit 47° 15' an. Ähnlich genau ist die
Angabe der Polhöhe von Zürich durch J. H. RAHN anlässlich der «figürlichen Darstellung des erschrockenlichen Cometen» vom Dezember 1664 mit
47° 30', da die wirkliche Polhöhe 47° 22' beträgt. Es ist aber anzunehmen, dass
schon LEONHARD ZUBLER die Polhöhe von Zürich gemessen hat, wenn auch
weniger genau als seine Nachfolger, da schon ZUBLER eine ausführliche Anleitung zum Aufreissen von Sonnenuhren veröffentlichte und, wie wir ja gezeigt haben, auch für die wichtigeren europäischen Städte Polhöhenangaben
machte.
Misi musste ebenso wie seinerzeit ZINGG sich in. der Vorrede vom kopernikanischen System distanzieren. Er betonte auf Seite 5 und 6 seiner Schrift ausdrücklich, nachdem er die drei astronomischen Systeme des Ptolemäus, von
TYCHO und von KOPERNIKUS aufgezählt hatte, man täte jenen unrecht, «welche
die Hypothesis des Copernici brauchen, wenn man sie dafür ansehen wollte,
als glaubten sie sicherlich, die Sonne stehe still und lauffe die Erd-Kugel um
selbige herum». Die Hypothese des KOPERNIKUS sei lediglich einfacher.
Neben den von uns bereits erwähnten Kalendermachern und Astronomen
dürfte es noch manchen Zürcher Bürger gegeben haben, der sich im 16. und
17. Jahrhundert mit Astronomie oder Mathematik beschäftigte. Aber sie sind
aus diesem oder jenem Grunde in Vergessenheit geraten (65). In den Handschriften der Zürcher Zentralbibliothek sind wir bisher lediglich noch auf
nachfolgende beachtenswerte Manuskripte oder Drucke gestossen:
1. Eine lateinisch verfasste Handschrift aus dem Jahre 1554 mit einer Tabelle,
enthaltend die Sternörter von 50 Fixsternen, Angaben über die Tierkreisbilder
und die Dauer der Dämmerung. Von 29 Sternen werden Länge, Deklination
und die Sterngrösse angegeben; der Sirius wird unter die Sterne 1. Grösse,
der Polarstern unter die Sterne 3. Grösse gezählt. Das Manuskript ist «HR W
Dez. 1554» gezeichnet (66).
2. Von CONRAD MEYER eine Sternkarte mit eingezeichneten Kometen: «Planisphaerium Coelesti», erste Ausgabe 1665, eine weitere Ausgabe vom Jahre
1691 (67) . In der Mitte der sorgfältig ausgeführten Sternkarte befindet sich
der Polarstern. Die Ausgabe des Jahres 1665 zeigt elf zum Teil mit leichter
roter Farbe kolorierte Kometenbilder, u. a. die Stellungen und Grösse der
Kometen der Jahre 1577, 1585, 1596, 1607, 1618, 1664 und 1665. Bei den Kometen des Jahres 1618 ist zwischen einem ersten (primus) kleineren und einem
zweiten (secundus) grossen Kometen unterschieden worden. Die Ausgabe
des Jahres 1691 ist nicht koloriert. Auf ihr finden sich bloss 9 Kometen eingezeichnet, und zwar ein Komet des Jahres 1585, die Kometen der Jahre
1618, 1664 (7. Dezember bis 25. Dezember), 1665, 1677 und des Jahres 1680
(Oktober, 30. Dezember 1680 bis 5. Januar 1681) . Bei den meisten Kometen
40
ist ihre am Himmel sichtbare Bahn durch die verschiedenen Sternbilder zum
Teil mit genauen Datenangaben eingetragen.
3. Eine kleine handschriftliche Arithmetik: «Der ganzen Arithmetic allg.
inhalt». 210 Seiten. «Diss Buch so der Author PHILIP GEIGER selbst geschrieben 11. Okt. 1634.» In dem kleinen Abriss wird lediglich das Rechnen mit
ganzen Zahlen und mit Brüchen von der Addition bis zur Division durchgenommen unter vielseitiger Verwendung von praktischen Beispielen aus dem
Gebiete der «Pfennigrächnung» oder dem Rechnen mit «Kernen» usw. (68) .
Es ist verständlich, dass das Bedürfnis nach einem gewissen Rechenunterricht und Vertiefung der mathematischen Kenntnisse auf kleine Kreise
beschränkt blieb. Rechnen können musste der Krämer. Stieg der Krämer zum
Kaufmann auf, so waren bessere Rechenmethoden erwünscht, vor allem um
die zürcherischen Masse, Gewichte und Geldsorten in fremde Masse, Gewichte
und Geldsorten umrechnen zu können. Noch höhere Anforderungen an die
Rechenkunst stellte die Tätigkeit der Kalendermacher, Feldmesser und Kartographen.
R. WOLF erwähnt in seiner «Geschichte der Vermessungen» neben EBERHARDT,
ZUBLER, ARDÜSER und den Murern (69) VDT allem HANS CONRAD GYGER (22. VII.
1599 bis 25. IX. 1674) als bedeutenden Kartographen. H. C. GYGER entstammte
einer Maler- und Gelehrtenfamilie. Wir haben einzelne GYGER oder GEIGER
schon als Ärzte, Stadtärzte, Professores Physicae und Mathematiker kennengelernt. HANS CONRAD GYGER widmete sich der Emailfarbenmalerei, womit
er sich den Lebensunterhalt verdiente, wenn er keine kartographischen Aufträge auszuführen hatte. Er arbeitete als junger Feldmesser mit Ingenieur
JOHANNES HALLER (1573-1621) zusammen, jenem Ingenieur, der der Vorläufer im Amte des Stadtingenieurs von JOHANN ARDÜSER war und schrieb
mit ihm gemeinsam die Marchenbeschreibung der Hallerschen Kantonskarte.
Die wichtigsten kartographischen Arbeiten GYGER's sind die folgenden: 1622
Karte des Prättigaus, 1635 Schweizerkarte, 1637 kleine Schweizerkarte, 1657
grosse Schweizerkarte, 1644-1659 10 Militärkarten des Kantons Zürich, welche mit 200 Gulden entschädigt wurden, 1664 eine Marchenbeschreibung des
Kantons Zürich von 400 Seiten, 1630-1668 zwei grosse Kantonskarten 240 X
210 cm. GYGER wurde 1647 ,Ambtmann zum Kappelerhof'. Und als er im Jahre
1668 mit einem ausführlichen Schreiben seine grosse Kantonskarte den beiden
Räten überreichte, wurde ihm und seinen Nachkommen als erbliche Belohnung das Amt des Ambtmanns im Kappelerhof zugesichert. Trotzdem
folgte ihm im Jahre 1674 laut dem Bevölkerungsverzeichnis des Kantons
Zürich vom Jahre 1700 unter den Amptsleuten im Kappelerhof HANS VOLLENBUTZ und 1680 WILHELM SIMLER (70).
HANS CONRAD GYGER'S Karte des Jahres 1668 stellt nach dem einstimmigen
Zeugnis der Fachleute eine Spitzenleistung der Kartographie der damaligen
Zeit dar, die von keinem anderen Kartographen erreicht oder übertroffen
wurde. Diese Spitzenleistung wurde von den Behörden wohl kaum in ihrer
Bedeutung erkannt und gewürdigt. Sie wurde zuerst auf dem Rathause aufgehängt und schon im Jahre 1677 der Kunstkammer zur Aufbewahrung über41
geben. Glücklicherweise konnte auf ihre militärische Auswertung bis zum
Zusammenbruch des alten Zürich verzichtet werden, was wohl dazu beigetragen haben dürfte, die Karte selbst und die Kartographie im allgemeinen im
Laufe des 18. Jahrhunderts zu vernachlässigen.
Eine Kantonskarte, wie sie von GYGER geschaffen wurde, setzte die Zusammenarbeit von Ingenieuren, Feldmessern und ihren Gehilfen mit dem
Kupferstecher und künstlerisch begabten Maler voraus. Schon R. WOLF stellte
fest, dass die Karte, welche im Maßstabe 1: 32 000 aufgenommen wurde, überraschend genau ist. Der mittlere Fehler ist etwa 10mal kleiner als bei der
Schweizer Karte TsCHuDi's; die Terrainzeichnung ist reich und zuverlässig,
so dass die Karte mit Recht als «eigentliches Meisterstück» bezeichnet worden
ist. Wir können nicht beweisen, wohl aber vermuten, dass JOHANN ARDÜSER
einen grossen Einfluss auf die Ausbildung und Schulung der zürcherischen
Feldmesser gehabt hat. Und dass HANS CONRAD GYGER mitsamt seinem Sohne
JOH. GEORG GYGER (dem späteren Amtmann zu Küsnacht und Herausgeber
seiner um 1/3 reduzierten Kantonskarte vom Jahre 1684) , mit ARDÜSER anlässlich der Ausführung der Befestigung der Stadt zusammengearbeitet hat, ist
mehrfach aus den Fortifikationsakten ersichtlich.
Ein Ingenieur sollte nach der Meinung der Zeitgenossen ein ungemein vielseitiger Mann sein. In den Manuskripten der Zentralbibliothek findet sich
eine «Ausführliche Verzeichnung was einem Ingenieur zu wüssen vonnöten
seyn», und zwar gleich in zwei Manuskriptbänden, einmal im Ms. Band B 315
hinter einem Akt aus dem Jahre 1619 und dann in wörtlicher Abschrift im
Manuskriptband J. 318, wo diese Vorschrift dem General HANS GEORG WERDMÜLLER als Verfasser zugeschrieben wird. Vielleicht bildete diese «Verzeichnung» die Grundlage für die im Zürcherischen Taschenbuch des Jahres 1938
von Prof. LARGZADER veröffentlichten Amptsordnungen der Feldmesseren und
eines Ingenieuren durch Ingenieur JOHANN HALLER vom Jahre 1620. Die Entscheidung der Frage, wann die betreffende «Verzeichnung» aufgestellt wurde
und wer als ihr Verfasser zu gelten hat, Ingenieur JOHANN HALLER oder General H. G. WERDMÜLLER um 1640 oder ein Dritter, muss einem Fachhistoriker
überlassen werden. Wir haben das betreffende, volle 6 Seiten umfassende
Aktenstück im Auszuge im Zürcher Taschenbuch 1950 veröffentlicht.
XII. Kapitel Theologische Naturphilosophie
Fruchtbare Einblicke in die Art der naturwissenschaftlichen Interessen der
gebildeten Kreise des alten Zürich vermittelt das Verzeichnis der sogenannten
Dissertationen «ex Philosophia Naturali», das sich unter den Manuskripten
der Zürcher Zentralbibliothek befindet (71). Aus dem 17. Jahrhundert werden
16 Dissertationen erwähnt. Mit der Jahrhundertwende nimmt die Anzahl entsprechender Arbeiten sprunghaft zu: bis zum Jahre 1750 führt unser Verzeichnis 53 Dissertationen an, wovon 18 unter der Leitung von J. J. SCHEUCHZER, 5 von JOHANN SCHEUCHZER und 13 von JOHANNES GESSNER entstanden.
42
An den Disputationen nahmen meistens mehrere Kandidaten, in einzelnen
Fällen bis zu 14 teil. Im 17. Jahrhundert verteilen sich die entsprechenden
«Dissertationen» sehr ungleichmässig über das Jahrhundert. Erst gegen dessen
Ende beginnen sie häufiger zu werden (72). Die bedeutendste dieser Arbeiten
ist «Die Kristallologia» von JOHANN HEINRICH HOTTINGER aus dem Jahre 1698,
die wir in einem besonderen Kapitel besprechen müssen.
Die Beschäftigung mit naturphilosophischen Problemen wurde gegen Ende
des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts vor allem durch die vier aufeinanderfolgenden Professoren der Naturlehre am Carolinum gefördert: SALOMON
HOTTINGER (1649-1713), JOH. JAKOB SCHEUCHZER (seit 1700-1733) als Mathematik- und Privatlehrer, seinen Bruder JOHANN SCHEUCHZER und endlich
JOHANN GESSNER, während JOHANNES VON MURALT sein Interesse fast ausschliesslich auf medizinische Fragen beschränkte.
Die Probleme, welche unter der Leitung von SALOMON HOTTINGER behandelt
wurden, berechtigten zu der Feststellung, dass es sich dabei im wesentlichen
um eine Art theologische Naturphilosophie gehandelt hat. Der Einfluss der
Orthodoxie war noch stark genug, eine wissenschaftliche Haltung zu verhindern, die unabhängig von den theologischen Lehrsätzen und Lehrmeinungen
vorgegangen wäre. Die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Problemen stand
noch durchaus im Banne des Zwanges, die Schöpfung Gottes zu verherrlichen.
Das bereits erwähnte Werk JOH. HEINRICH HOTTINGER'S über die Bergkristalle
fällt ziemlich stark aus dem Rahmen der übrigen Arbeiten heraus. So beschäftigten sich einzelne Thesen mit der Milch und ihrer Verarbeitung, nicht
weniger als drei Thesen mit dem Weine, zwei Thesen mit dem B litz, drei weitere Thesen mit dem Hunde, eine These mit der Notwendigkeit und der Nützlichkeit der Logik («De necessitate et utiliate Logicae») , eine These mit dem
Leben, seiner Natur und seinen Zeitaltern sowie den Beschwerden des Alterns.
Schliesslich wurden in drei weiteren Thesen naturphilosophische Probleme
auf Grund der heiligen Schriften betrachtet. So in «Liber Naturae ex Psalm
XIX», in der «Physica generalis et specialis mixta Historiam Creationis» und
«Deco Positionum physico-philos. ex Psalm XIV extracte». Bei all diesen
Thesen handelt es sich lediglich um kulturhistorisch interessante Dokumente,
um Zeugnisse des grossen Interesses, das den nächstliegenden Fragestellungen
zugewendet wurde. Der gleichen, sozusagen erd- und lokalhistorisch gebundenen geistigen Haltung werden wir später auch bei der Auswahl der Themen,
die in den Vorträgen der Physikalischen Gesellschaft behandelt wurden, begegnen. Das geistige Leben des alten Zürich war weitgehend vom Geiste der
theologischen Naturphilosophie beeinflusst und blieb diesem Denken sogar
bis in das 19. Jahrhundert hinein verpflichtet.
43
XIII. Kapitel Die «Kristallologia» von Johann Heinrich Hottinger
(1680-1756)
JOHANN HEINRICH HOTTINGER wurde am 4. April 1680 geboren. Er widmete
sich medizinischen und naturwissenschaftlichen Studien unter der Anleitung
von seinem Onkel SALOMON HOTTINGER, JOHANNES VON MURALT und JOHANN
JAKOB SCHEUCHZER. Seine «Kristallologia, seu Dissertatio de Cristallis, Harum
Naturam. Zürich 1698» ist eine wertvolle Studie über die Bergkristalle. Auf
einer Reise ins Berner Oberland, nach Grindelwald, über die Furka und den
Rhonegletscher sammelte er Kenntnisse über den Bergkristall und verarbeitete sie unter gewissenhafter Berücksichtigung der ihm zugänglichen Werke
von über 120 Autoren zu einer geradezu klassischen Arbeit, die aber leider
ausserhalb seiner Heimat nur wenig Beachtung fand. Immerhin wurde JOH.
HEINRICH HOTTINGER, nachdem er noch im Jahre 1698 an der Universität Basel
den Doktorgrad erworben, sich mit Erfolg in seiner Heimatstadt der ärztlichen
Praxis zu widmen begonnen und im Jahre 1700 als Leibarzt den schweizerischen Gesandten JOH. LUDWIG WERDMiiLLER an den Hof des Kaisers LEOPOLD I.
in Wien begleitet hatte, im Jahre 1702 zum Mitglied der Kaiserlichen Academiae Naturae curiosorum ernannt.
Von HOTTINGER sind nur noch einige medizinische Arbeiten, sowie eine Beschreibung der schweizerischen Gletscher («Montium Glacialium Helveticorum descripto») in den Veröffentlichungen Kaiserlich-Leopoldinischen Akademie des Jahres 1706 erschienen. Nach seiner Heirat im Jahre 1706, und als
er nach dem 1714 erfolgten Tode seiner ersten Gattin sich ein zweites Mal im
Jahre 1717 mit einer Witwe für das Leben verbunden hatte, scheint er sich
mehr den öffentlichen Angelegenheiten gewidmet zu haben. Er wurde im
Jahre 1723 Zwölfer der Zunft zur Schiffleuten und damit Mitglied des Grossen Rates. Im Jahre 1740 wurde er als Rat von der freyen Wahl gewählt, und
1743 zum Obervogt von Wiedikon ernannt. Im Jahre 1754 stieg er sogar als
geheimer Rat zum Mitglied des Kleinen Rates auf, starb aber bereits am
3. Januar 1756 «durch einen Schlagfluss».
Die Kristallologia von JOHANN HEINRICH HOTTINGER ist vor kurzem als
XIV. Band der Veröffentlichungen der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften von Prof. P. NIGGLI nach
einer Übersetzung von H. NIGGLI unter Mitwirkung von J. SCHROETER und
W. RÜEGG herausgegeben und kurz erläutert worden (73). Wir können uns
deshalb an dieser Stelle auf eine kurze Inhaltsangabe und die Wiedergabe
des Urteils von P. NIGGLI über die Arbeit beschränken.
«Im Schatten von JOHANN JACOB SCHEUCHZER und von MORITZ ANTON
CAPELLER, zweier anderer Schweizer, die neben CONRAD GESSNER in jeder
geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Mineralogie mit Ehrfurcht
genannt werden, hat HOTTINGER'S Untersuchung nicht die gebührende Beachtung erfahren. Manche Historiographen zitieren sie falsch oder schreiben
ausdrücklich, dass sie ihnen nicht zugänglich war. Und doch ist die Monographie, wenn wir von den Fundortsangaben absehen, eine der besten Zu44
sammenstellungen der dazumaligen Kenntnisse über die Eigenschaften des
Bergkristalles und der Ansichten über seine Bildung. Sie enthält manche
neue Beobachtungen an Schweizer Bergkristallen, und ist besonders reizvoll,
weil der Verfasser sich nicht scheut mit alten Überlieferungen zu brechen und
den aufkommenden Ideen die Reverenz zu erweisen.» Soweit der Fachmann
P. NIGGLI (74).
Die Abhandlung selbst enthält 8 Kapitel, von denen einige recht kurz sind.
Im ersten Kapitel wird die Nomenklatur des Kristalls behandelt. «Das Wort
Kristall ist vieldeutig und wird verschieden gebraucht. Entweder für Eis
selber ... Oder dann für Glas . .. Oder für alle durchsichtigen und weicheren
Edelsteine, die keine auffälligen Farben haben ... Oder für alle durchsichtigen Steine, die ein kristallines Aussehen haben ... oder für künstlichen
Kristall ...» Das dritte Kapitel «Erscheinungen beim Kristall» beschreibt die
Art des Vorkommens der Bergkristalle, ihre Gestalt und Variation der Teile,
Durchsichtigkeit, Farbe, Oberfläche, Grösse, Härte u.a. Eigenschaften. Auf
einer Tafel werden nach dem Vorbilde Stenos die Kristallgestalten zeichnerisch festgehalten. Im 4. Kapitel gelangen die Hypothesen der Alten und der
Neueren und im 5. Kapitel die Erklärung der im 3. Kapitel erwähnten Erscheinungen ausführlich zur Darstellung. Recht kurz sind das 6. Kapitel:
«Der medizinische Gebrauch des Kristalls» und das 7. Kapitel «Der mechanische und magische Gebrauch des Kristalls», worin vor allem die kristallinen
Becher und Pokale erwähnt werden, die im Laufe der Jahrtausende aus
grossen Bergkristallen geschnitten wurden. Das Schlusskapitel gibt eine summarische Übersicht über «Die Entstehungsorte des Kristalls» respektive seine
Fundstellen, mit wertvollen Angaben über schweizerische Funde.
Besonders interessant sind die Ausführungen des Verfassers über die Meinung, wonach die Bergkristalle aus Eis oder gefrorenem Wasser entstanden
wären: «Diese scheinen am weitesten von der Wahrheit entfernt zu sein und
sich auf die falsche Hypothese der Ähnlichkeit zu stützen ... Um aber die
Gründe, die die Falschheit dieser Meinung zeigen, in einer bestimmten Reihenfolge anzuführen, sage ich: I. Nach der Annahme jener Leute könnten Kristalle nur dort gefunden werden, wo die Gipfel der Berge mit ewigem Schnee
bedeckt sind oder wo dieser wenigstens auf Jahre hinaus, ohne zu schmelzen
erhalten bleibt, während es doch sicher ist ... dass in den wärmsten Gebieten
Kristalle gefunden werden ... und dass Kristalle auch in den tiefsten Metallbergwerken gefunden werden, wo doch eher Hitze als Kälte herrscht ...
II. Dass auch in den Bergen, welche die Schweizer zweifellos wegen dem
ewigen Eis, das sich dort befindet, Eisgebirge oder Gletscher nennen, Kristalle
gefunden werden, darf nicht sogleich zu dem Schluss führen, dass sie aus
solchem Eis entstehen ... Ich selber, als ich aus Neugierde diese Eisgebirge
anschauen ging, lernte durch Versuche, dass das Eis, welches sehr alt ist
und vielleicht während mehreren Jahrhunderten gehärtet worden war, wohl
sehr hart und schwierig abzuschlagen ist, dass es aber sofort flüssig wird .. .
III.... während Eis, das während tausend Jahren ... gehärtet worden war,
dennoch durch das kleinste Feuer flüssig wird, kann Kristall hingegen sozu45
sagen durch keine Gewalt des Feuers aufgelöst werden und unterliegt eher
dem Zerspringen als dem Flüssigwerden ... IV. Als weiterer, das Eis vom
Kristall unterscheidender Umstand kommt hinzu, dass jenes auf dem Wasser
schwimmt, dieser, wie alle anderen Steine ... sinkt ... Genauer und hydrostatisch prüfte es ROBERT BOYLE und ... erfährt er, dass sein Gewicht dasselbe
Verhältnis zum Gewicht einer gleichen Menge Wasser habe wie ungefähr
2 und 2/3 zu 1 ... V. Wenn auch die bei den Edelsteinen und Kristallen in die
Augen fallende Regelmässigkeit der Gestalt diese Meinung über den Ursprung aus Eis nicht ganz zerstört, so schwächt sie sie doch nicht wenig, da
zur Erzeugung einer so regelmässigen und geometrischen Gestalt entweder
die Anpassung an ein Mass oder eine Disposition der Materie selbst zu dieser
Gestalt verlangt werden muss ... VI. Endlich dient noch das Aussenden von
Funken, das beim Anschlagen von Kristallen beobachtet wird, dazu, um diese
Meinung zu zerzausen, etwas das beim gehärteten Eis oder gefrorenen Wasser
kaum angenommen werden kann ... (75) .»
Die bündige Schlussweise unseres jungen Autors nötigt uns heute noch
bewundernde Anerkennung ab. Im 5. Kapitel schliesst er sich der Meinung
jener Autoren an, die die Bildung der Kristalle aus Flüssigem annimmt, «sei
es, dass eine genügende Verdampfung der. Flüssigkeit eintritt oder ein Zusammenziehen der Poren durch Kälte oder eine Ablagerung während einer
gewissen Zeit oder irgend etwas anderes». Und die Hypothese über die Formung des Kristalles entnimmt er Manuskripten des «hervorragenden und
berühmten Dr. SCHEUCHZER » , indem er mit den Vertretern der Descartschen
Philosophie eine Bewegung der Wasserteilchen in jeder beliebigen Richtung
und ein Sammeln und Zusammenscharen der Teilchen des Kristalles in bestimmten Winkeln postuliert. Die Materie werde nach Steno den äusseren Flächen des bereits begrenzten Kristalls angefügt, und zwar meistens den Flächen
der Spitze oder den Endflächen. Unebenheiten und Verschiedenheiten der
Kristalle werden äusseren Gründen, «entweder einem mineralischen und
metallischen Saft, der zum schon gebildeten Kristall hinzukommt, oder sandigen und anderen erdigen Teilchen ...» als Ursache zugeschrieben. Einschlüsse wie Halme, Spreu, Gräser, Wasser, Luft usw. bildeten den sicheren
Beweis, dass sogar die härtesten Edelsteine am Anfang flüssig waren. Es entständen grössere oder kleinere Kristalle, je nachdem ob die Höhle grösser
oder kleiner war, wie «dass die Kristalle um so grösser werden, je grösser
und weiter das Gefäss ist, in dem die Kristallisation vor sich geht» (76) . Und
die Härte bestehe in einem «guten Zusammenschluss der festen Teile».
XIV. Kapitel Die «Physica Sacra» des Joh. Jak. Scheuchzer (1676-1733)
Das Leben und Wirken des neben CONRAD GESSNER grössten Naturforschers
des alten Zürich, JOHANN JAKOB SCHEUCHZER's, ist schon von vielen Autoren
in umfassender Weise beschrieben worden, so dass wir in dieser Studie auf
eine Wiederholung von bereits bekannten Daten und Tatsachen verzichten
46
lei
.imnaw„I^.n•^
(lAN N . SiAcOBII
litt IJI-eI y 't J1 !I luns
;(;11
JO
Abb. 23
Porträt
.1
I('IIZIRflS
til )( It( g:t,rnaliiAc d Nat.
von
J. J.
SCHEUCHZER.
können (77) . Wir beschränken uns daher in diesem Kapitel auf den Versuch,
die Leistungen Jon. JAKOB SCHEUCHZER'S auf dem Gebiet der exakten Naturwissenschaften abrissartig zu behandeln.
Wenn man lediglich auf die Titel seiner wichtigsten wissenschaftlichen
Werke abstellen wollte (78), so könnte man veranlasst werden zu glauben,
J. J. SCHEUCHZER habe sich ganz besonders intensiv mit der Physik beschäftigt.
Dies ist aber keineswegs der Fall. J. J. SCHEUCHZER interessierte sich, wie so
viele andere Mediziner, viel mehr für die beschreibenden als für die exakten
Naturwissenschaften. Er ist denn auch durchaus mit Recht als Universalgelehrter bezeichnet worden. Seine Interessen reichten vom Gebiet der exakten
Naturwissenschaften über die Naturgeschichte und Medizin bis in den Bereich der Geschichte und Staatswissenschaften.
47
Zudem wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter Physik (lat. Physica)
etwas anderes verstanden als in der Gegenwart. Während heute der Begriff
der Physik auf eine ganz bestimmte Naturwissenschaft, «die Lehre von der
Erforschung der Gesetzmässigkeiten, die die unbelebte Natur beherrschen,
soferne sie nicht stoffliche Veränderungen betreffen» (79) beschränkt wird,
bezeichnete man im 18. Jahrhundert mit Physik eigentlich das gleiche, was
wir heute Naturwissenschaft nennen. Daher wurde denn auch im Jahre 1746
die von JOHANN GESSNER gegründete spätere Naturforschende Gesellschaft
Physikalische Gesellschaft getauft, womit man eigentlich Naturwissenschaftliche oder Naturforschende Gesellschaft meinte. Der Begriff der Physik hat,
wie so viele andere Bezeichnungen, im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel erfahren.
Überblickt man das wissenschaftliche Lebenswerk SCHEUCHZER'S so fällt auf,
dass sich SCHEUCHZER, trotzdem er Medizin studierte, verhältnismässig wenig
mit medizinischen Problemen im engeren Sinne des Wortes abgegeben hat.
Sein geistiges Interesse wandte sich Fragen zu, die sonst den beiden anderen
gelehrten Berufen des alten Zürich, den Theologen einerseits und den Staatsmännern andererseits als legitime Lebensaufgabe galten: Vom tiefenpsychologischen Standpunkte aus erweckt SCHEUCHZER'S Beschäftigung mit der naturwissenschaftlichen Ausdeutung der Bibel fast den Eindruck, als ob sein innerstes Anliegen eine Art naturwissenschaftliches Predigertum wäre. Wie R. WOLF
in seiner Biographie SCHEUCHZER'S darlegt, hat dieser nach der Übernahme
der Professur für Mathematik in «publicis lectionibus» statt Mathematik oder
Algebra den Text der Heiligen Schrift nach den Grundsätzen der neueren
Philosophie und Naturwissenschaften erklärt (80) . «In Mathematicis hat Er
wenig gethan ...» Aus diesen Lehrstunden, die von «Standes- und anderen
Personen besuchet» wurden («die Studenten waren die wenigste, so dass man
dieselbe wohl mit den Fingern abzehlen konnte ...») , entstand die «Jobi Physica
Sacra» und später das eigentliche grosse Lebenswerk SCHEUCHZER'S, die
«Kupferbibel».
Es fragt sich, ob nicht durch eine mit tiefenpsychologischen Methoden durchgeführte Untersuchung der Werke, Briefe und Manuskripte SCHEUCHZER'S sich
der Nachweis erbringen liesse, SCHEUCHzER's rastlose wissenschaftliche Tätigkeit sei zu einem gewissen Teile wenigstens als sublimierte Kompensation der
Tatsache zu begreifen, dass er als Sohn der Stadtarztes J. J. SCHFUCxzER
(1645-1688) und als Stipendiat nach Brauch und Sitte von den eigentlichen
regierenden Kreisen des alten Zürich, den ratsfähigen Geschlechtern einerseits und der höheren Geistlichkeit andererseits nicht als vollwertig und gleichberechtigt anerkannt und deshalb immer wieder — unter dem Vorwand, ein
gefährlicher Freigeist zu sein — sozial und wirtschaftlich hintangestellt
wurde (82).
Recht bedeutsam und aufschlussreich darf wohl in diesem Zusammenhange
die Überwertigkeit seiner Sündfluthypothese betrachtet werden. Als Schüler
von JOHANNES VON MURALT und JOH. JAK. WAGNER hatte er zunächst die Meinung vertreten, Fossilien seien Figurensteine («lapides figuratae») oder Natur48
spiele («lusus naturae») , die chemisch oder physikalisch zu erklären seien.
Nach H. FISCHER (81) darf angenommen werden, dass J. J. SCHEUCHZER (wohl
schon vor 1697) durch das Studium der Schriften JOHN WOODWARD'S und
durch eigenes Nachdenken zu seiner Sintfluttheorie gelangte. Sie nahm in
der Folge in seinem Weltbild eine zentrale Stellung ein. Er legte ein eigenes
«Museum diluvianum» an. Besonderes Aufsehen erregte die Deutung eines
fossilen Skelettes eines Riesensalamanders als die «unzweifelhaften Überreste
eines in der Sündflut ertrunkenen Menschen («Homo diluvii testis» 1726) .
In der Kupferbibel bezeichnete er das auf Tafel XLIX abgebildete, im
Jahre 1725 in öhningen gefundene Skelett als das Beingerüst eines Menschen. Er glaubte die einzelnen Schädelknochen erkennen, den Rest einer
ersten Rippe feststellen zu können und zählte 16 Rückenwirbel ab. Gerade
diese Art der Beweisführung belegt die Tendenz SCHEUCHZER'S, sich mit Analogien und vagen Ähnlichkeiten zu begnügen. In seine Naturgeschichte des
Schweizerlandes hat er eine ganze Reihe von Sagen- und Drachengeschichten
als verbürgte Erzählung übernommen. Aber vielleicht am deutlichsten werden
die Schranken des SCHEuCxzERschen Denkens in der Kupferbibel sichtbar.
Die «Kupferbibel» («In welcher Die Physica Sacra oder Geheiligte NaturWissenschaft Derer in Heil. Schrifft vorkommenden Natürlichen Sachen Deutlich erklärt und bewährt von JOH. JAKOB SCHEUCHZER») (83), SCHEUCHZER'S
«Testament» und «grösstes vollendetes Werk», bildet den «Höhepunkt seines
Schaffens und zeigt gleichzeitig seine Grenzen ... War diese Physica sacra
nicht das bizarre Werk eines grossen Naturforschers und religiösen Phantasten — LAVATER nicht ganz unähnlich —, dessen absonderliche Art man
nicht recht verstand, weil die Zeit in ihren erleuchtetsten Geistern, vorab
demjenigen Newtons und seiner Nachfolger, darüber hinweggeschritten war?
Abb. 24 Skelett des «Homo diluvii testis». Tab. XLIX aus «Phys. Sacr.».
4
49
War SCHEUCHZER nicht der letzte grosse Apologet jener stattlichen Reihe bedeutender Naturforscher, welche ihre Wissenschaft in sichtbarster Weise dem
christlichen Schöpfergott zum Opfer brachten? Doch selbst CuvIER anerkannte
den naturwissenschaftlichen Wert der «Physica sacra», die er wegen der zahlreichen neuen Tier- und Fossiliendarstellungen für den Zoologen als unentbehrlich bezeichnete» (84).
Speziell die physikalischen und astronomischen Kenntnisse des Verfassers
stehen durchaus nicht auf der Höhe seiner Zeit. Man erkennt in dieser Tatsache sehr deutlich jenen hemmenden Einfluss auf das geistige Leben der
Stadtbevölkerung und die Assimilation des zeitgenössischen europäischen wissenschaftlichen Denkens im alten Zürich, den die dogmatische Haltung der
Geistlichkeit seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ausübte. Wo hätte der Mediziner SCHEUCHZER die notwendigen mathematischen Kenntnisse erwerben
können, um die Principia mathematica von NEWTON oder auch nur die KEPLERschen Gesetze zu verstehen? Zwar hat SCHEUCHZER u. a. auch eine mathematische Bibliographie angelegt und R. WOLF berichtet von einem Folioband
aus der Hand SCHEUCHZER's mit einer «Menge mathematischer Notizen», einer
«recht netten Sammlung geometrischer Konstruktionen, einer Beschreibung
und Theorie des Storchschnabels, einer Anzahl geometrischer Lehrsätze mit
ihren Beweisen etc.» (85) . Ein kurzer Leitfaden für den mathematischen Unterricht belegt die Kenntnisse SCHEUCHZER's auf dem Gebiete der elementaren
Mathematik (86), aber dabei ist unverkennbar, dass er das vor drei Menschenaltern durch JOH. ARDüsER und JOH. HEINRICH RAHN erreichte Niveau der
mathematischen Bildung nicht mehr erreicht hat.
Dies gelangt auch im Inhalte der in der Kupferbibel und in den entsprechenden früheren Schriften, speziell der «Physica oder Naturwissenschaft»
wiedergegebenen physikalischen und astronomischen Kenntnisse zum Ausdruck. Die Kupferbibel mit ihren 2098 Seiten und 750 Kupfertafeln vermittelt
hauptsächlich botanische, zoologische und kulturgeschichtliche Kenntnisse.
Im Zusammenhang mit der biblischen Erzählung von der Arche Noah und
der Sündflut bringt SCHEUCHZER zum Teil sehr schöne Zeichnungen von Versteinerungen. Am spärlichsten ist die Ausbeute an physikalischen Angaben
im engeren Sinne.
Im Zusammenhang mit einer zeichnerischen Darstellung des Berechnungsgesetzes des Lichtes behandelt er auf Tafel V die Lehre des Mathematikers
und Architekten CHR. LEONH. STURM (1669-1719) von den «oberen Wassern»,
welche angeblich vor der Sündflut die Lufthülle der Erde umgaben. Auf Tafel X
(siehe Abb. 25) wird die Erscheinung der Mitternachtssonne nicht durch die
schräge Stellung der Erdachse, sondern durch eine physikalisch unmögliche
Lichtbrechung der Sonnenstrahlen beim Eintritt in die Lufthülle der Erde
und eine nachfolgende Totalreflexion der betreffenden Strahlen an der gleichen Lufthülle zu erklären versucht. Noch bedenklicher ist die Tatsache, dass
SCHEUCHZER die Sichtbarkeit der Sonne an jeder beliebigen Stelle der Erde
durch die Annahme zu erklären sucht, als ob die Lufthülle die Sonnenstrahlen
in einen Kegel mit der Spitze im Auge des Beobachters breche, also gleichsam
50
GEN ):../ s Cop) 1. V.14. IN.
Opns (III nrtre 1)iei.
Abb. 25 Tab. X aus SCHEUCHZES's «Physique Sacree».
als Linse wirke. Danach kann SCHEUCHZER die Gesetze der Lichtbrechung nicht
richtig erfasst haben. Und wenn er auf Tafel LXVI (siehe Abb. 26) auf einem
handkolorierten Blatt die DESCARTESSChe Theorie des Hauptregenbogens und
des Nebenregenbogens anführt, so dürfte diese bereits in der ersten Auflage
der «Physica» wiedergegebene Erklärung trotz der Angabe der richtigen
Radiuswinkel von 50° 42' für den Nebenregenbogen und von 42° 17' für den
Hauptregenbogen kaum auf einer wirklich begriffenen Interpretation der
Farbenzerstreuung beruhen. SCHEUCHZER beschreibt lediglich anschaulich und
etwas weitschweifig Auftreten, Form, Farben und Zahl der Regenbogen:
51
Abb. 26 Tab. LXVI aus «Phys. Sacr.» Entstehung der Regenbogen.
«Wann nun die gantze Luft vor unsern Augen voll kleiner Wassertröpflein
ist, so fallen in dise Tröpflein ein die Sonnenstralen, und werden in jedem
derselben einmahl zurückgeprellt und zweymahl gebrochen, welches zu verstehen ist von dem ersten und vornehmsten Regenbogen, dann in dem Zweyten,
so über jenem steht, geschehen zwey Zurückstrahlungen ... welche ohne
vorstellung nöthiger Figuren nit wol können klärlich verstanden werden .. .
Die eigentliche Ursach», dass «nur ein runder Circelbogen gesehen werden ...»
ist, «nit alle gebrochene und reflectierte Strahlen können zurück in unsere
Augen, sondern nur diejenigen, welche von der Gesichts-Ax, oder von der
Sonnen durch unsere Augen gehende Lini ringsweis gleich weit abstehen, und
zwahren in dem ersten Regenbogen zwischen 42° 46' und 41° 14', in dem
Zweyten aber zwischen 52° 16' und 51° 46', welches gar schön zeiget CARTESIUS ...» Des weiteren beschreibt SCHEÜCHZER, wie die Höhe des Regenbogens abhängt vom Stand der Sonne, die Grösse von der Entfernung der
52
Wolke, und «daher scheinet sich der Regenbogen zu bewegen mit deme der
ihn sihet, und fortschreitet». Im Regenbogen seien 3, 4, 5 oder 7 Farben zu
sehen: im ersten Regenbogen Rot oder Rotgelb, dann Gelb, Grün und zu
innerst Blau oder Purpurblau; im oberen Bogen ständen die Farben in umgekehrter Reihenfolge (87).
An weiteren physikalischen Tafeln haben wir gefunden Tafel DXXX, betitelt «Schneeschätze», mit Zeichnungen von Eisblumen und vielen zum Teil
etwas schematisierten Schneekristallen, Tafel DXXXVIII «Schmeltz und
Läuterung des Silbers» mit einer instruktiven Tabelle von neun spezifischen
Gewichten, die wir nebst den heute gültigen Werten wiedergeben:
Tabelle nach Scheuchzer
Worn'
Gold
Quecksilber
Blei
Silber
Kupfer
Eisen
Zinn
Wasser
Luft
«Aurum
16 636»
«Argentum vivum 14 019»
«Plumbum
11 345»
«Argentum
10 535»
«Aes
8 843»
«Ferrum
7 852»
«Stannum
7 321»
«Aqua
1 000»
«Aer
13/17 (= 1,176)»
19,3
13,546
11,34
10,5
8,93
7,86
7,28
1,0
0,001293
Die Schöpfungssage der Bibel gibt SCHEUCHZER die willkommene Gelegenheit, in der ersten Tafel (siehe Abb. 27) unter dem Vorwande der «Erschaffung der ganzen Welt» das kopernikanische Weltsystem darzustellen. In den
Nebenfiguren wird das System des Ptolemäus, das Tychonische und das SemiTychonische System und das Verhältnis der Grösse der Sonne zu den einzelnen Planeten gezeichnet. Der Mond sei 47mal kleiner als die Erde und
seine Entfernung betrage 30 Erddurchmesser, zwei Angaben, die recht exakt
sind. Auch die Daten über die Umlaufszeiten der sieben Planeten sind genau.
Weniger genau sind die Angaben über die Grössenverhältnisse der einzelnen
Planeten untereinander. Zwar sei die Sonne etwa 1,36 Millionen mal grösser
als die Erde, aber der Venus wird ein fast dreimal so grosses Volumen wie
der Erde zugeschrieben.
Auf Tafel XI (siehe Abb. 28) werden die Mondphasen, die Sonnen- und Mondfinsternisse zeichnerisch erläutert, ist auch eine Sonnenscheibe mit Sonnenflecken und eine Mondkugel mit einigen Gebirgen, Strahlensystemen und dunkeln Flächen zu sehen. Und die Tafel DLXIII schildert die Relativbewegung
des Mondes zur Erde unter der Annahme, die Erde bewege sich auf einer
Kreisbahn und der Mond in einer Schlangenlinie um die Erde. Abgesehen von
der Zeichnung einiger Sternbilder (so Tafel DXXXI) und der astronomischen
Instrumente (Tafel DXL) wäre einzig noch der Weltuntergang auf Tafel
DCCXLIV («Letzte Verbrennung der Erden») zu erwähnen. Damit haben
wir alle physikalisch oder astronomisch bedeutsamen Stellen der Kupferbibel
erwähnt, in der eine ganze Reihe von phantasievollen Bildern (88) enthalten
sind.
53
Abb. 27 Tab. I aus «Phys.
Sacr.» Das Weltsystem.
Die beste Übersicht über das physikalische und chemische Wissen SCHEUCHbietet die Inhaltsangabe der «Physica oder Naturwissenschaft», die nach
dem Verfasser das erste « Systema physicum ist, so in Teutscher Sprach ans
Licht kommen». Dieses Werk enthält, «nach dem Muster eines ähnlichen
Handbuches seines Lehrers STURM, alles was dem Gebiete der Physik, der
Astronomie, der physischen Geographie, der Meteorologie und Naturgeschichte, der Physiologie und Psychologie zufällt, und ist im Vergleich zur
Zeit seines Entstehens ein ganz nettes populäres Schriftchen. Ferner zeigt
sich, wenn man z. B. die erste Auflage mit der dritten vergleicht, dass
SCHEUCHZER auch in der Physik mit seiner Zeit fortschreitet; während,
um nur ein Beispiel aufzuführen, in der ersten Auflage die Lehre vom
Lichte vorzugsweise nach Cartesischen Grundsätzen behandelt wird, huldigt die dritte der NEwToNschen Optik — auch ist die dritte Auflage
EER's
54
Abb. 28 Tab. XI aus SCHEUCHZER'S «Physique Sacree».
mit ziemlich vielen Figurentafeln versehen —, die erste mit keiner einzigen.
Endlich darf nicht vergessen werden anzuführen, dass SCHEUCHZER in dieser
Schrift auf ganz nette Weise dem damaligen Vorurteile, es seien die Naturwissenschaften mit dem religiösen Bewusstsein unverträglich, entgegentrat.
Er benutzte jede Gelegenheit, das Gegenteil zu zeigen...» (89).
Die Darstellung ist im wesentlichen eine historische. Die Ansichten des
ARISTOTELES und anderer antiker Autoren werden den Ansichten KEPLER'S,
TYCHO'S, GASSENDI'S und anderer, aber vor allem der Meinung des DESCARTES
gegenübergestellt. Scharfe begriffliche Definitionen fehlen; die Beschreibung
der Naturerscheinungen verbleibt meistens im Rahmen des Phänomenologischen und stösst selten bis zur Idee einer kausalen Erklärung vor. Das ist
begreiflich. SCHEUCHZER als Vertreter der sogenannten natürlichen Theologie,
dem daran gelegen war, die Natur und Naturvorgänge als Schöpfung Gattes
darzustellen, lag verständlicherweise die kausale, deterministische oder gar
«materialistische» Fragestellung fern.
Schon in seinem in lateinischer und deutscher Sprache abgefassten Fragebogen des Jahres 1697 mit 186 Fragen (90) fällt die unsystematische stoffliche
Gliederung auf. Die Fragen beschlagen — in SCHEUCHZER'S Reihenfolge angeführt — folgende Probleme: Länge und Polhöhe des Ortes, Temperatur,
Schwere der Luft, wie hell, dick oder dünn die Luft seye und wie sich dies
55
alles ändere mit Tages- und Jahreszeiten, Irrlichter, fallende Sterne, Feuerkugeln, Donner, Blitz, Wetterleuchten, Wind, Wetterregeln, Windwirbel,
Schwefelregen, Hagel und Hagelschaden, Sichtbarkeit der Wolken in den
höchsten Bergen, Erdbeben, Meltau, Schneeblindheit, Verwesung unter dem
Schnee, Lawinen, Nebenmonde, Nebensonnen, Regenbögen am Himmel und
bei Wasserfällen, Windzeichen, ob altes Gletschereis längere Zeit zum Schmelzen brauche als neues, Nutzen der Gletscher, Krankheiten in den Bergen,
Erfrieren, Flüsse, Seen, Wasserfälle, Brunnen, Thermen, Mineralwasser, Berghöhen, Tagesdauer, Grösse der «aufgehenden oder nidergehenden» Sonne,
Echos, Wind- und Luftlöcher zum Frischhalten der Milch, Bodenbeschaffenheit, Abweichung der Magnetnadel, Alter der Einwohner etc., Flora, Dicke
der Baumstämme, Wein, besondere Pflanzen, Tiere, Missgeburten, Rindvieh
und Milchproduktion, Vögel, Fische, Insekten, Krebse etc., Edelgesteine, Feuerstein, Gesteine usf., Steinhöhlen, Metalle, Reliquien von der Sündflut, Milchverarbeitung. Die wenigen auf diese Fragen eingegangenen Antworten und
die Beobachtungen auf seinen Alpenreisen hat SCHEUCHZER in den bekannten
Reiseberichten (91) verarbeitet.
Das grösste Verdienst SCHEUCHZER'S auf dem Gebiete der exakten Naturwissenschaften ist wohl die Tatsache, dass er als erster Forscher physikalische
Messinstrumente in den Alpen angewendet hat. Mit Barometer und Winkelmessquadranten versuchte SCHEUCHZER die Höhe wichtiger Berge und ihre
Entfernungen festzulegen, mit Hilfe des Thermometers bestimmte er die Abnahme der Temperaturen mit zunehmender Höhe über dem Meeresspiegel.
Man verdankt somit SCHEUCHZER die ersten barometrischen Höhenmessungen
und die ersten systematischen meteorologischen Beobachtungen in der Schweiz.
Letztere veröffentlichte er in einer Reihe von wissenschaftlichen Periodica (92) .
SCHEUCHZER veranlasste die Mönche des Gotthardhospizes, regelmässige Beobachtungen des Barometerstandes vorzunehmen. Dadurch erhielt SCHEUCHZER
die Möglichkeit durch längere Beobachtungsreihen die vorübergehenden Witterungseinflüsse auf den Barometerstand auszuschalten und durch die Bildung
von Mittelwerten eine allerdings nicht sehr genaue Höhenbestimmung von
Zürich einerseits und dem Gotthard andererseits zu erreichen. In den «Barometertafeln gehörig zur Wetterbeschreibung A. 1731» hat SCHEUCHZER die
Differenzen der Beobachtungen des Barometerstandes von Zürich und dem
St. Gotthard in einer Streuungstabelle zusammengestellt. Die Streuung reichte
in der Zeitperiode vom August 1728 bis zum September 1731 von 4" 2' bis
5" 7 1/2 ' (" = Zoll, ' = Linien) . Die meisten Beobachtungen gruppieren sich um
die mittleren Werte:
4"
4"
4"
4"
4"
4"
5"
5"
5"
56
9'
9½ '
10'
101/2'
11'
11 1/2'
0'
1/a'
1'
= 143
= 111
= 154
= 116
= 154
= 148
= 129
= 99
= 116
Vor- und nachher nimmt die Anzahl der beobachteten Werte rasch ab. Wir
haben diese Reihe nur deshalb wiedergegeben, weil sie deutlich einen systematischen Gang zufolge bestimmter Beobachtungsfehler erkennen lässt: Die
ganzzahligen Ablesungen sind häufiger als die Zahlenwerte mit halben Linien.
Es darf wohl angenommen werden, dass die Beobachter unbewusst der Tendenz erlagen, eher bei einer Linie, als zwischen zwei Linien der Meßskala
abzulesen. Auf der Rückseite dieser Barometertafel hat SCHEUCHZER noch die
Mittelwerte des Luftdruckes einer Reihe von schweizerischen und ausländischen Beobachtungsstationen zusammengestellt. Für die Station Baden liegen
wenigstens Beobachtungen für einen Zeitraum von 11 Monaten vor. In Zürich
und auf dem St. Gotthard wurde während der ganzen Beobachtungsphase vom
Sommer 1728 bis zum Dezember 1731 der Barometerstand abgelesen. Die
Beobachtungen der Stationen in Basel und in Sargans erstreckten sich nur
über 10 respektive 3 Monate. Wir geben die SCHEuCxzERschen Messungen umgerechnet nach den Formeln von MARIOTTE, CASSINI und seinem Bruder
JOHANNES SCHEUCHZER auf Höhe über Meer wieder und zwar in «Hexapodas
(respetiv Toisen ') und pedes Parisinos (") » nebst den Angaben in Metern
über Meer. Es ist offenbar SCHEUCHZER entsprechend den unzulänglichen
mathematischen Ansätzen zu barometrischen Höhenformeln nicht gelungen,
wirklich zuverlässige Höhenbestimmungen auf die Messung des Barometerstandes zu gründen. Die Werte für den Gotthard sind entweder zu niedrig oder
zu hoch, die Werte für Zürich durchwegs zu niedrig, jene für Basel wiederum
zu hoch:
Orte
Padua
Paris
Basel
Zürich H.B.
St. Gotthard
Wirkliche
Meereshöhe
(in Metern)
nach
Mariotte
(9,9 m)
5'
10 m
5' ½"
(51 m)
25'
27-127 m 26' 2"
(284 m)
151'
242-277 m 144' 8"
201'
408 m 188' 8 ½ " (369 m)
2094 m 912' 8 ½ " (1777 m) 1258'
nach Cassini
berechnet
nach
Joh. Scheuchzer
(10,4 m)
(9,9 m)
5' 2"
(50 m)
26' 8 ½ " (53 m)
2"
(295 m)
148' 2 ½ " (289 m)
8"
(395 m)
193' 3 ½ " (377 m)
938' 2" (1818 m)
9 ½ " (2455 m)
½"
7½ "
Es liegen auch einige astronomische Beobachtungen SCHEUCHZER'S vor.
R. WOLF berichtet von der Beschreibung der totalen Sonnenfinsternis vom
12. Mai 1706 in den «Philosophical Transactions for 1706», der Bestimmung der
geographischen Breite von Zürich zu 47° 22', einem erstaunlich exakten Wert,
und der Zusammenstellung von älteren und neueren Beobachtungen über
Feuerkugeln und Sternschnuppen (z. B. der Beobachtung der Perseiden am
8. August 1709 nachts zwischen 11 und 11 Uhr 30) (93).
JOHANN JAKOB SCHEUCHZER war als Forscher eine eigenartige Persönlichkeit. Er hat verhältnismässig wenig selbständige oder wirklich originelle Arbeiten geschrieben, sich nicht selten geirrt, aber mit einem ungeheuren Fleiss
sehr viel Material vornehmlich über die Naturgeschichte und die politische
Geschichte seines Heimatlandes zusammengetragen und in literarisch ziemlich anregender Form und offenbar seine Zeitgenossen auch ansprechender Art
57
verarbeitet. Sein Leben und Wirken ist in grossen Zügen ein getreues Spiegelbild der sozialen und kulturellen Verhältnisse des alten Zürich, dieses relativ
reichen Stadtstaates mit einer ausgeglichenen Doppelherrschaft von dogmatischen Geistlichen (94) und begüterten Räten und Kaufleuten.
XV. Kapitel Gelehrte Gesellschaften im alten Zürich bis zur Gründung
der Physikalischen Gesellschaft
Da die höheren Schulen des alten Zürich schon im 17. Jahrhundert dem
Verlangen nach allgemeinerem Wissen in den sozial führenden Kreisen der
Stadt nicht entsprachen, wurden immer wieder Versuche unternommen, die
schmerzlich empfundene Lücke durch Schaffung besonderer Gelegenheiten
zur Weiterbildung auszufüllen. Es wurden Privatkollegien eingerichtet und
kleine gelehrte Gesellschaften gegründet. Am 13. Mai 1679 eröffnete HEINRICH
VON SCHÖNAU die Reihe der Gesellschaftssitzungen des «Collegium Insulanum» (95) mit einem Vortrag über Geschichte, Politik und Philosophie als den
Gegenständen, welche in diesem ersten gelehrten Verein des alten Zürich
behandelt werden sollten. Das Collegium Insulanum hielt sich bis zum Jahre
1724 unter verschiedenen Bezeichnungen. Seine Blütezeit erlebte es als «Kollegium der Wohlgesinnten» in den Jahren 1693 bis 1710, um von diesem Jahre
ab ganz unter den Einfluss der überragenden Persönlichkeit J. J. SCHEUCHZER'S
als «Verein für Geschichte, Politik und Naturkunde» zu geraten (96) . Im Jahre
1724 wurde das Collegium Insulanum aufgelöst.
An seine Stelle trat 1727 die Helvetische Gesellschaft, welche sich bis zum
Jahre 1746 halten konnte und nach einem Unterbruch von etwas mehr als zehn
Jahren im Jahre 1761 wieder neu gegründet wurde. Andere Gesellschaften
und auch Lesegesellschaften kamen auf (97) . Die wichtigste Gründung war
aber die Gründung der Physikalischen Gesellschaft im Jahre
1746. Sie wurde die erste ausgesprochen naturwissenschaftliche Gesellschaft
der Schweiz. Ihre Gründung ist das persönliche Verdienst JOHANN GESSNER's,
wäre aber ohne die geistige Vorarbeit, welche vor allem durch J. J. SCHEUCHZER
und dessen Bruder JOHANN SCHEUCHZER geleistet worden ist, nicht möglich
gewesen.
Schon in verhältnismässig jungen Jahren wurde J. J. SCHEUCHZER, der «geborene Vulgarisator», um einen Ausdruck von R. STEIGER zu gebrauchen, zum
Beitritt ins Kollegium der Wohlgesinnten aufgefordert (98). Die ersten Vorträge SCHEUCHZER'S vom Jahre 1693/94 befassten sich mit der Versteinerungskunde. Nach einem weiteren Studienaufenthalt in Nürnberg und Altorf zur
Vertiefung der astronomischen und mathematischen Kenntnisse verbreitete
sich SCHEUCHZER im Herbst 1695 vor allem über das Thema «Nutzen und Geschichte der Mathematik». J. J. SCHEUCHZER war der Lieblingsschüler des
Waisenhausarztes JOH. JAK. WAGNER (1641-1695), des «ersten Verfechters
der modernen, von BACON eingeführten induktiven Methode der Naturwissenschaften in Zürich» und der langjährige «Führer des Kollegiums an der Wasserkirche». «Er hatte den Mut, der scholastischen Behandlung der Naturkunde,
58
wie sie am Carolinum betrieben wurde, energisch entgegenzutreten und zu
fordern, dass ,die Beobachtung und das Experiment an die Stelle der allgemeinen Sätze über die Natur und der spitzfindigen Begriffe und Unterbegriffe der Alten' gesetzt werde. In diesem Sinne suchte er auch der Schweizergeschichte durch Beobachtungen Dienste zu leisten; den jungen JOHANN
JAKOB SCHEUCHZER erzog er zu einem der grossen Natur- und Geschichtsforscher des angehenden 18. Jahrhunderts (99)».
Die rastlose Tätigkeit J. J. SCHEUCHZER's legte in den ersten Jahrzehnten
des 18. Jahrhunderts die Grundlage für ein stets wachsendes Verständnis für
naturwissenschaftliche Probleme im alten Zürich. Aber der Ehrgeiz SCHEUCHZER'S ging nicht in der Richtung einer Förderung der exakten Wissenschaften.
Sein Vorbild blieb Zeit seines Lebens sein Lehrer und Vorgänger auf dem
Posten des Waisenarztes J. J. WAGNER. Er versuchte durch seine Tätigkeit
im Kollegium der Wohlgesinnten die städtischen Räte zu veranlassen, für ihn
eine besondere Professur der Mathematik zu schaffen, damit er im Sinne
seines Altorfer Lehrers STURM Mathematik und Naturwissenschaften lehren
könne. Als sich dieser Plan zerschlug und, wie wir heute sagen können, zerschlagen musste, weil SCHEUCHZER doch zu wenig Mathematiker war, um seine
Mitbürger vom wirklichen Nutzen der Mathematik überzeugen zu können,
wurde SCHEUCHZER gezwungen, seinen Lebensunterhalt durch die Vorbereitung von Medizinstudenten auf die Universität und durch literarische Arbeiten
zu verdienen (100).
Im Grunde war J. J. SCHEUCHZER kein Mathematiker. Seine 1086 Seiten
umfassende, Manuskript gebliebene «Bibliotheca Mathematica» (101) ist nichts
anderes als eine alphabetische Zusammenstellung der wichtigsten mathematischen Autoren. Wenigstens dem Namen nach scheinen SCHEUCHZER die Werke
von ZUBLER, ARDÜSER und RAHN bekannt gewesen zu sein. Ob er sie wirklich durchgearbeitet hat, ist zweifelhaft, kaum zu entscheiden. Die Grundlage des mathematischen Denkens, das Zahlenrechnen wird von SCHEUCHZER
kaum geübt. Seine «mathematischen» Vorträge im Kollegium der Wohlgesinnten sind nur dem Namen nach wirklich mathematische Studien. Am 24. Mai
und 28. Juni 1696 trug er über das Thema «De usu Matheseos in Theologia»
recht breit und ausführlich vor (102). Während die übliche Schullogik den
Weg zur Wahrheit verbaue, sei die Logicam naturalem nichts anderes als
«unsere logica mathematica». An der Spitze der für die Theologie nützlichen
mathematischen Wissenschaften stehe die Chronologie. Die Astronomie als
weitere mathematische Wissenschaft erlaube Sonnenuhren zu konstruieren
und den gottlosen Atheisten Spinoza zu widerlegen. Auch die Geographie wird
als eine Teildisziplin der Mathematik aufgefasst. Und die Arithmetik erlaube
die Zahl der Menschen zur Zeit der Sintflut zu berechnen, ganz abgesehen
davon, dass sie auch dienlich sei zur Führung eines Haushaltungsbuches.
Mit Hilfe der Geometrie könne der Tempel Salomonis rekonstruiert werden.
Schiffsbaukunst und Befestigungskunst erlaubten genaue Vorstellungen über
die Arche Noah und das Lager der Israeliten. In ähnlichem Sinne war der
Vortrag vom 18. November 1696 «De usu Matheseos in Politici» gehalten.
59
Anschliessend an diese Vorträge entwarf nun SCHEUCHZER den Plan einer
Geschichte der Mathematik. Sie sollte für die Periode der Antike nach dem
Alter der Kulturen geordnet werden, für die Periode des Mittelalters und der
Neuzeit die Leistungen der Mathematiker der einzelnen Länder in einer bestimmten geographischen Reihenfolge beschreiben. Er begann mit seinen Vorträgen über die Geschichte der Mathematik bei einigen antiken Völkern im
Jahre 1697. Über die «Geschichte der Mathematik der Skythen» hielt er im
folgenden Jahre 6 Vorträge. Aber nach wenigen Angaben über das Rechnen
der Skythen verlor sich SCHEUCHZER im Sinne rein erzählender Geschichtsbeschreibung in einer kulturhistorischen Schilderung der Religion, Philosophie
und Tugendhaftigkeit der Skythen, wobei nicht weniger als 15 Lebensbeschreibungen angeblicher oder wirklicher skythischer Gelehrter die Vorträge
belebten. «Es hätte wenig Zweck, hier auf die in einem Meer von Irrtümern
schwimmenden Ausführungen SCHEUCHZER'S näher einzugehen» schreibt sein
Biograph STEIGER (103). Auch die verschollene Vortragsserie über die Geschichte der Mathematik in Spanien, welche in den Jahren 1699 bis 1704 vorgetragen wurde und etwa 40 Biographien von spanischen Mathematikern enthielt, dürfte wohl kaum auf höherem wissenschaftlichem Niveau gestanden
haben.
Selbst das Collegium Physicum, welches SCHEUCHZER im Sinne seines
Lehrers STURM durchführte, muss recht einfach gewesen sein, stellte aber
doch einen «ersten Versuch» dar, «der Experimentalphysik in Zürich Eingang
zu verschaffen» (104) . SCHEUCHZER soll dabei u. a. einen Versuch mit einer
kleinen Taucherglocke gemacht und gezeigt haben, dass eine Holzfigur unter
der Taucherglocke trocken bleibt. J. J. SCHEUCHZER's Lebensaufgabe war und
blieb die Naturgeschichte des Schweizerlandes zu ergründen. Im Gegensatz
zu JOHANNES GESSNER vermochte er sich auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften kaum zur Höhe des Wissens seiner Zeit zu erheben. Die aristotelische Denkweise und das aristotelische Schulwissen suchte er mit dem Systeme
des DESCARTES zu einem inadäquaten, unsystematisch aufgebauten Lehrgebäude zu verbinden.
Sein Bruder und Nachfolger Johannes Scheuchzer (1684-8.3.1738) scheint
eine stärkere Neigung zur Beschäftigung mit mathematischen Problemen
besessen zu haben. Wohl dürften ihn aber äussere Lebensumstände verhindert
haben, diese Neigungen stärker zu entwickeln. JOHANNES SCHEUCHZER promovierte im Jahre 1706 an der Universität Basel zum Med. Doct., wird aber
sechs Jahre später als Ingenieur, der die Belagerung von Wil leitete, erwähnt.
Er beteiligte sich auch an der Reformbewegung vom Jahre 1713, ging
dann für längere Zeit ins Ausland, wurde von 1723 bis 1734 Landschreiber
zu Baden und nach 1733 Chorherr, Prof. Physicae und Stadtarzt als Nachfolger seines berühmten Bruders bis zu dem schon 1738 erfolgten Tode.
JOHANNES SCHEUCHZER hat eine besondere Methode zur Berechnung der Höhe
aus dem Barometerstande abgeleitet, die von seinem Bruder neben jene von
MARIOTTE und CAssINI gestellt wurde. Vor seiner Anstellung als Professor
Physicae veröffentlichte JOHANNES SCHEUCHZER in den Jahren 1708 bis 1719
60
Itatit
a
pp yy
9g
ggg p
^
'
itut6
Abb. 29
ß'
j
aq}^
(
¢fj,'bo
volt
Gründungsurkunde
der
Physikalischen Gesellschaft.
drei botanische Arbeiten über Ackerbaupflanzen. Erst nach 1735 behandeln
seine Dissertationen naturwissenschaftliche oder physikalische Themen, ohne
doch den Rahmen der in Zürich üblichen Art zu sprengen (105). Diese Tatsache sollte sich, wie wir noch sehen werden, erst ändern unter JOHANNES
GESSNER (1709-1790), der 1738 Nachfolger von JOHANNES SCHEUCHZER als
Chorherr und Prof. Physicae wurde, nachdem er ihn schon nach 1733 öfters
in seiner Lehrtätigkeit vertreten hatte.
Je mehr wir uns der Gegenwart nähern, um so schwieriger wird für uns
die Beantwortung der Frage, welche besonderen Einzelheiten wir in der vorliegenden Studie zweckmässigerweise beschreiben können, ohne bloss eine
Wiederholung dessen zu geben, was von anderer Seite bereits publiziert
wurde. Die Gründung der «Physikalischen Gesellschaft» in den Jahren 1746/47
61
'
iTo'c ^,flttc
301 Ur Cfnf »QCjnüril.
--F-
.2.ic3 S. J.
J. J. —I
J J. —1
J..12. J.1
4
•I
2.
1,
3 .1 —
I
-.
—I
-
—I -J"
J.
^. & J. J.1J.1 = _ IJF.1
l.
J. `^ IJ..1 -1
J.I
JS!
Ia.
J. — 2.
J.1
9.1 A. s -1
J
=1^=^I^'=
J _ J:I_
T,^
I
I A.
s ki A
` ;`^® -
J- I g.
I
Ij
^.
Abb. 30 Ausschnitt aus einem Zählbogen. (Die Physikalische Gesellschaft führte in den
Jahren nach 1760 umfassende Zählungen über Bevölkerung und Wirtschaft der meisten
zürcherischen Landgemeinden durch. Diese Zählbogen sind wertvolles Quellenmaterial für
die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Landschaft des alten Zürich im 18. Jahrhundert.)
durch einen kleinen Kreis von jüngeren Bürgern der oberen Schichten der
Stadt Zürich ist von kompetenter Seite in zwei Festschriften einlässlich geschildert worden, so dass wir uns auf einige ergänzende Bemerkungen
beschränken und auch für die Periode des 19. Jahrhunderts bis zur Gründung
der Universität bloss weniger bekannte Akten zur Charakterisierung der
Tätigkeit der Gesellschaft heranziehen wollen (106).
Uns interessiert im Rahmen unserer Arbeit vor allem die Beachtung und
Förderung der exakten Wissenschaften. Unter den im Durchschnitt etwa
35 Jahre alten Gründungsmitgliedern der Physikalischen Gesellschaft hatten
sich 9 Mitglieder bereit erklärt, über Themen vorzutragen, die als den exakten
Naturwissenschaften zugehörig bezeichnet werden können, nämlich Chorherr
GESSNER über Mathematik und Physik, Pfarrer GESSNER über Meteorologie,
62
Prof. Dr. GESSNER über Physik, Dr. RAHN über Chemie, Dr. MEYER über
Physik und Chemie, HANS JAKOB OTT über Mathematik, Obmann WIRZ und
Uhrmacher STEINER über Mechanik und Maler CORRODI über Optik. Im Vordergrund des Interesses der Tätigkeit der Physikalischen Gesellschaft standen
durchaus medizinische und naturgeschichtliche und seit der Gründung der
ökonomischen Kommission im Jahre 1759 auch volkswirtschaftliche, speziell
landwirtschaftliche Themen, trotzdem vorgängig der Gründung der Gesellschaft Chorherr GESSNER einen etwa 100 Vortragsabende umfassenden Einführungskurs in die «Experimentalphysik» durchgeführt hatte.
Wir haben seinerzeit die Vortragsthemen der Physikalischen Gesellschaft
Zürich der Jahre 1747 bis 1762 nach Fächern gegliedert zusammengestellt
und dabei ein deutliches Überwiegen der medizinischen und naturgeschichtlichen Themata feststellen können (107) . JOHANNES GESSNER verstand in seinem Vortrag vom 18. Oktober 1746, betitelt «Entwurf von den Beschäftigungen
der physikalischen Gesellschaft, oder von den Wissenschaften, welche sich
dieselbe zu behandeln vornimmt» unter «Physikalischen Wissenschaften»
nachstehende Hauptgruppen: I. Naturlehre (allgemeine Physik, Mechanik,
Hydraulik, Hydrostatik, Aerometrie, Pyrometrie und Optik. II. Naturgeschichte
(Astronomie, Geographie, Meteorologie, Hydrographie, Lithologie, Botanik
und Zoologie). III. Mathematik (Arithmetik, Geometrie, Analysis oder Messkunst von den Grössen überhaupt). IV. Arzneikunst (Anatomie, Physiologie,
Pathologie, Semiotik oder Symptomatologie, Diätik, Therapeutik und Spezialpraxis) . V. Technik (Ökonomie, Manufaktur, Architektur, Instrumentaltechnik usw.). Dementsprechend gruppieren wir die Vortragsthemen in nachstehende Untergruppen:
a) Mathematik,
b) exakte Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Meteorologie, Astronomie) ,
c) Naturgeschichte (Botanik, Zoologie, Geologie, Mineralogie, Natur- und
Heimatkunde) ,
d) Medizin,
e) Technik, Landwirtschaft und Gewerbe,
f) Allgemeines und Philosophie, um schliesslich
Gruppe a) und b) als exakte Wissenschaften zusammenzufassen.
Tabelle der Vortragsthemen 1747-1762 (108)
Jahre
1747-1754
1756-1762
Exakte Wissenschaften
Mathematik
Ex. Naturwiss. Naturgeschichte Medizin Technik usw.
6
13
34
111
(= 40)
(= 124)
37
197
33
82
22
109
Allgemeines
2 (= 94)
11 (= 399)
Auffällig ist das geringe Interesse für mathematische, technische und philosophische Fragen. In den Jahren 1747 bis 1754 stehen den 40 Vortragsthemen
aus dem Gebiete der exakten Wissenschaften 94 Themen aus den übrigen
Gebieten gegenüber. In den Jahren 1756 bis 1762 verschiebt sich das Ver63
hältnis noch mehr zu Ungunsten der exakten Wissenschaften: Die 124 Vorträge aus den Gebieten der exakten Wissenschaften machen nur noch 23,7
aller Vorträge aus gegen immerhin 30 % in der vorangehenden Zeitperiode.
Sobald man auch die Meteorologie und teilweise auch die Astronomie zu der
beschreibenden Naturgeschichte, wie sich dies im Sinne der Art der Behandlung dieser Wissenschaften durchaus rechtfertigen würde, rechnet, müsste
das Verhältnis der exakten Wissenschaften zu den übrigen Naturwissenschaften noch ungünstiger ausfallen.
Natürlich wären neben diesen rein quantitativen Betrachtungen auch
qualitative Überlegungen anzustellen, aber die Aufgliederung der Vortragsthemen nach Gebieten gibt doch einen guten Querschnitt durch den Umkreis
der geistigen Interessen jener europäischen Kleinstadt des 18. Jahrhunderts,
deren Behörden einen JOHANN JAKOB BODMER (1698-1783) ausgerechnet im
Jahre der Gründung der Physikalischen Gesellschaft des 1627 erteilten Auftrages enthoben, RAHN'S Eidgenössische Chronik fortzusetzen (109). BODMER
wandte sich ausserhalb der Schule von seinen historischen Studien ab der
Literatur zu und schuf gemeinsam mit JOHANN JAKOB BREITINGER und SALOMON GESSNER jene kurze Blüte des zürcherischen Geisteslebens, die zur Zeit
des Höhepunktes der europäischen Aufklärung Zürich eine führende Stelle,
wenn nicht auf den Gebieten der Forschung und der sozialen Kritik, so doch
wenigstens auf dem Gebiete des guten Geschmackes sicherte.
Auch das Schicksal des unglücklichen Pfarrers JOH. HEINRICH WASER
(1742-1780) ist nur als Ausdruck der besonderen soziologischen und politischen Struktur des zürcherischen Stadtstaates zu verstehen. JOH. HEINRICH
WASER wagte den Schritt von der wissenschaftlichen Aufklärung zur sozialen
und politischen Kritik und musste diese Tat mit seinem Leben büssen (110) . Doch
kehren wir nach dieser allgemeinen Übersicht über die Entwicklung des wissenschaftlichen Lebens im alten Zürich bis zur Gründung der Physikalischen
Gesellschaft zurück zu den Leistungen des unserer Meinung nach JoH. JAKOB
SCHEUCHZER in wissenschaftlicher Hinsicht und auch in der Dauerwirkung
eher noch übertreffenden Mannes, zurück zu JOHANNES GESSNER, dem Gründer der ersten Naturforschenden Gesellschaft in der Schweiz, einer Gesellschaft, die einen viel demokratischeren Charakter als die im 17. und 18. Jahrhundert im Auslande gegründeten wissenschaftlichen Gesellschaften besass
und auch darin der besonderen soziologischen Struktur Zürichs entsprach.
XVI. Kapitel Die mathematischen und physikalischen Abhandlungen
von Johannes Gessner (1709-1790)
JOHANNES GESSNER (111) , ein Nachfahre des Oheims von CONRAD GESSNER
besass schon als elfjähriger Knabe eine besondere Liebe zu den Naturwissenschaften und begleitete den Medizinstudenten JOH. GEORG WEGELIN auf botanischen Exkursionen. Bereits als zwölfjähriger Schüler des Collegium humanitatis besuchte er den Privatunterricht J. J. SCHEUCHZER's und als 14jähriger
64
Abb. 31
Bildnis
JOHANN GESSNER'S.
unternahm er seine zwei ersten Schweizer Reisen, davon die eine auf die Rigi.
1726 nahm er mit seinem älteren Bruder CHRISTOPH (1707-1787) nach einem
kurzen Aufenthalt in Basel die Studien in Leyden auf, wo er Freundschaft
auf Lebenszeit mit ALBRECHT VON HALLER schloss. Während der Studien in
Basel von 1728 bis 1729, welche in letzterem Jahre mit der medizinischen Promotion abschloss, hörte er gemeinsam mit HALLER neben medizinischen Vorlesungen auch bei JOHANNES BERNOULLI (1710 -1790) ein Privatkolleg in
«Geometria, Analysi finitorium et infinitorum». 1730 begann JOHANN GESSNER in Zürich eine medizinische Praxis auszuüben und wie J. J. SCHEUCHZER
angehende Medizinstudenten in Mathematik und Medizin auf die Hochschule
vorzubereiten. Wegen seiner schwächlichen Gesundheit, die ihn Zeit seines
Lebens stark hemmen sollte, lehnte er eine Berufung nach Petersburg als
Professor für Botanik ab. Dies konnte er um so unbedenklicher tun, als er
schon im Jahre 1733 nach SCHEUCHZER'S Tod zu dessen Nachfolger als Professor der Mathematik gewählt und im Jahre 1738 als 29jähriger zum Chorherrn und Professor Physicae ernannt wurde. «Nun war er unabhängig, konnte
die ihm lästige medizinische Praxis beseitigen, durfte sich ganz seinen Lieblingsstudien widmen, und besass die Mittel, seine verschiedenen Sammlungen
weiterzuführen (112) .» Und da seine Ehe kinderlos blieb, wurde er auch
finanziell nicht zusätzlich durch Familiensorgen belastet. Um so seltsamer —
oder andererseits doch wieder nicht ganz unverständlich — ist es, dass
65
JOHANNES GESSNER zeit seines Lebens nur schwer zum Publizieren kam. Ein
Teil seiner schönen botanischen Arbeiten wurde während seiner Lebenszeit,
zum grösseren Teil erst nach seinem Tode veröffentlicht und waren dann
ähnlich, wie dies schon mit dem botanischen Werke CONRAD GESSNER'S geschehen war, überholt und veraltet.
Um so weniger ist es verständlich, dass die mathematischen, astronomischen
und physikalischen Arbeiten GESSNER'S so geringe Beachtung fanden.
Auch das eher abschätzige Urteil seines Biographen RUDOLF WOLF scheint
uns nicht gerechtfertigt zu sein. Die physikalischen Arbeiten können nicht
einfach «mit wenigen Worten abgetan werden» (113). Sie würden neben den
mathematischen Dissertationen im Gegenteil, ebensogut wie die von R. STEIGER
wohl zu Unrecht in der Hauptsache SCHEUCHZER zugeschriebene Arbeit (114)
von J. H. HOTTINGER «De Cristallis», eine nachträgliche Übersetzung und
kommentierte Veröffentlichung zur Beleuchtung der wesentlichen Wandlungen des wissenschaftlichen Denkens im alten Zürich verdienen. Denn durch
die Dissertationen GESSNER'S sind die Zürcher erstmals systematisch mit den
Grundlagen der Arbeiten von GALILEI und NEWTON bekannt gemacht worden,
wurde die Behandlung physikalischer, respektive naturwissenschaftlicher
Probleme bewusst vom naturphilosophischen und mehr oder weniger scholastisch-theologischen Boden auf den Boden induktiv-empirischer Betrachtungsweise verschoben. In diesem Sinne versuchen wir in den nachfolgenden Abschnitten eine kurze Inhaltsangabe der wichtigsten mathematischen, astronomischen und physikalischen Dissertationen GESSNER'S (115) zu geben.
JOHANNES GESSNER gibt ausführliche Angaben über die Werke, welche er
für seine naturwissenschaftlichen und mathematischen Disputierschriften verwendete. Immer wieder verweist er auf die Principia mathematica von NEWTON, zitiert hie und da GALILEI und KEPLER, DESCARTES, HUYGENS, LEIBNIZ,
die BERNOULLI'S, EULER, LAMBERT, D'ALEMBERT, vor allem aber den deutschen
Philosophen CHRISTIAN WOLF (1679-4754), seltener dessen Schüler BILFINGER
(1693-1750) . JOHANNES GESSNER steht auf dem durch WOLF vertretenen
Standpunkt der deutschen Aufklärungsphilosophie, welche sowohl das Freidenkertum der Engländer, wie den Deismus, Materialismus und Skeptizismus
der Franzosen ablehnte und sich zu einer «natürlichen», weltzugewandten, dem
starren Dogmatismus abholden Theologie bekannte und logische Sauberkeit
und methodisches Denken forderte. Wenn den inhaltlich viel präziseren und
logisch, wie methodisch recht systematisch aufgebauten Schriften GESSNER'S
der breitere Publikumserfolg im Gegensatz zu den Schriften SCHEUCHZER'S
versagt blieb, dürfte dies wohl auf zwei Gründe zurückzuführen sein. GESSNER
war wirtschaftlich dank seiner Stellung als Chorherr im Gegensatz zu
SCHEUCHZER nicht auf literarischen Nebenerwerb angewiesen. Er schrieb alle
seine Arbeiten lateinisch, vielleicht um sie auf diese Art besser der böswilligen öffentlichen Kritik entziehen zu können. Und praktisch verlegte er
seine wissenschaftliche Tätigkeit in die Physikalische Gesellschaft, deren prachtvolle Leistungen auf naturwissenschaftlichem und ökonomischem Gebiete
ohne seine stille, geduldige und zielbewusste Leitung kaum möglich gewesen
66
wären. Wenn Zürich den Ruhm beanspruchen darf, die erste Naturforschende
Gesellschaft der Schweiz geschaffen und gleichzeitig die erste nationalökonomische Studienkommission beherbergt zu haben, so ist dies zweifellos das
persönliche Verdienst JOHANN GESSNER'S. Erst GESSNER hat in Zürich im
Gegensatz zum leicht gläubigen und unbedenklich Irrtümer verfechtenden
J. J. SCHEUCHZER das Verständnis für methodisches wissenschaftliches Arbeiten gelehrt. Ohne diese Schulung wären unseres Erachtens die geradezu
vorbildlichen Untersuchungen über die Bevölkerung und Wirtschaft der
Landgemeinden, auf die wir an anderer Stelle schon mehrfach hinweisen
konnten (116), nicht möglich gewesen. Und dass gerade JOHANNES GESSNER
auch für diese Art Studien grosses Verständnis besass, belegt seine im Jahre
1748 veröffentlichte Dissertation «De Termino Vitae», welche sich mit dem
Problem der Absterbeordnung der Bevölkerung beschäftigte und die von
HUYGEN'S, NiC. und JoH. BERNOULLI u. a. entwickelten Gedanken der Wahrscheinlichkeitsrechnung verwertete.
Seit dem Jahre 1740 liess JoH. GESSNER fast jedes Jahr eine naturwissenschaftliche oder mathematische Dissertation drucken, und zwar vom Jahre
1741 stets in der Gessnerschen Druckerei (117). Die Seitenzahl schwankte
zwischen 7 (1771) und 56 (1760) Seiten. Es handelt sich demnach um kleinere Schriften. Die «Phytographiae Sacrae» wuchs sich zu einem stattlichen
Gesamtwerke aus, weil GESSNER diesem botanischen Werke seit 1759 in den
Jahren 1760, 1762, 1763, 1764, 1765, 1766, 1767, 1768, 1769 und 1773 weitere
praktische und spezielle Teile nachfolgen liess. Die botanischen Frühschriften
der Jahre 1740 und 1741 «De Vegetabilibus» wurden 1743 in Leyden und
SCALA
Annl
098133.
0
.
3
4
5
6
7
8
9
la
83
24
23
26
17
18
19
20
22
00
53
24
05
86
97
08
29
30
33
3.
33
34
35
PERIOD!
HUMAN/E VITA.,
Exhlbens numerum Viventium & Morentium cum Ex.
fue&atione Vita, in fingulis atatibus.
D. D2r.020I9U4.
D. ME 82 223,021.
D. 91o3. .
RaIi0Viv. IN- Num., Nun.. Exfppetlr.
or..
Num.
Nunn
Mom 2.1 300• no.5llor. V.ocal. Nor. 1,o Vit,
Romero, Vivent.
An Alfa.
ntnm. An 11u.
Viven
54. 6
1410
r5.4..9
279
9858 1
02•3
4, 9
8040
3315
50
4.. 8
33.8
835
45
107,
10 0
41. 6
47. 8
1030
27.1
731
37
1
48. I
970
760
44. 9
.9
34.2
993
i8
48. 3
51.7
44. 5
949
964
17
71.
48. 0
750
57
I3
44. 3
970
55.7
947
13
090
48. 0
44. 0
915
55.3
910
97
900
,01.4
933
I
4], 8
680
43. 9
9
890
45.
3
670
00.4
V. 4.
904
11
46.I0
41• 8 880
665
199.5
9
899
87.
41. 3
8
110.7
4, 2
486
613
200
41.
646
100.7
7
878
8
45. 8
104.0
40.11
060
640
04.22
470
7
1.3..
40. 3
834
863
44. 2
614
7
623
110.
7
848
19. 7
556
43. 4
647
38.22
47.20
841
947
7
616
■42
40. 0
38. 3
353
310
41. 1
828
`192.7
37. 7
839
9
004
36.1,
821
806
3
92,7
40.10
8.4
40. 3
971 ".
,7
90.7
76• 3
9
808
806
. 39. 7
59.
35. 7 i
581
200
798
35. 0
39. 0
9
388.0
379
790
25. 5
790
34. 5
73,2
33.20
II
573
781
70
37. 9
01,0
59
567
770
83. 5
774
77. 2
530
760
764
56. 6
11
31. 8
48.4
42.2
32. 8
35.12
02
735
553
747
51. 6
69.2
12
739
546
735
35. 4
723
40.9
53. 0
742
539
34. 8
781
70. 6
51
34. I
754
532
54..
-----"
,7. S
710
30. 1
699
11
383
58.3
187
718
40.80
32
29. 8
913
37.8
730
70
3.. 2
173
49. 5
507
67.5
701
66f
28.30
66. 5
to
33. 6
499
65.5
30.33
to
.8. 4
490
655
694
Abb. 32 Absterbetafeln aus der Diss. «Termino Vitae» von Jon.
GESSNER, 1748.
67
1753 in Halle nachgedruckt und den Schriften LINNES beigelegt. GESSNER war
einer der ersten und aktivsten Verteidiger des LINNEschen Pflanzensystems,
ganz im Gegensatze zu seinem Freunde ALBRECHT VON HALLER.
Einer Reihe von Dissertationen sind auch physikalische oder naturphilosophische Thesen beigefügt (117) . Diese lassen den naturphilosophischen Standpunkt GESSNER'S deutlicher erkennen, als die ausführlicheren Dissertationen
selbst. Wir werden sie deshalb ebenfalls zur Charakterisierung der Lehrmeinungen GESSNER's auswerten. Zu den ausgesprochen mathematischen Arbeiten
gehören die bereits erwähnte Studie «De termino vitae» (118) und der Vortrag «Von der Lage und Grösse der Stadt Zürich», den GESSNER am 9. Januar
1747 in der Physikalischen Gesellschaft hielt und 1761 im ersten Bande der
Abhandlungen der Physikalischen Gesellschaft veröffentlichen liess. Von diesem Vortrage ging, wie R. WOLF ausführlich zu belegen weiss, die Anregung
zur Beschäftigung mit geographischen Ortsbestimmungen und letzten Endes
zur Gründung der Zürcher Sternwarte aus (119) .
Zwei Dissertationen, nämlich diejenige des Jahres 1757 und jene vom folgenden Jahre, sind rein mathematische, respektive trigonometrische Arbeiten,
während mathematische Gedankengänge in mehreren physikalischen Dissertationen enthalten sind. Die Dissertation des Jahres 1757 behandelt die Auflösung von Aufgaben über das ebene Dreieck: «De Triangulorum Resolutione,
Primario Math.eseos ad Physicam applicatae Fundamento», denn die trigonometrische Analyse sei der Schlüssel zur Lösung physikalisch-mathematischer
Probleme. Das Dreieck ist jene Figur, welche durch drei Seiten begrenzt wird.
Ein Dreieck besteht aus 6 Teilen, drei Winkeln und drei Seiten. Die Geometrie
lehre die Konstruktion von Dreiecken aus drei Teilen, die Trigonometrie die
Berechnung der restlichen Teile eines Dreiecks aus drei bekannten Teilen.
Hierauf werden die Grundprinzipien der Trigonometrie, die Begriffe des Winkels, des Bogens, des Sinus und der Sinussatz, wonach in allen Dreiecken die
Sinusse der Winkel sich wie die gegenüberliegenden Seiten verhalten, entwickelt. Der Cosinus wird als der Sinus des Komplementärwinkels bestimmt
und die übrigen Winkelfunktionen Tangens, Cotangens, Secans und Cosecans
werden nebst ihren wichtigsten mathematischen Beziehungen, wie z. B.
Sin. 2a + Cos. 2 a = 1, oder die Berechnung des Sinus einer Winkelsumme aus
den Sinussen der einzelnen Winkel usw. an Hand geometrischer Zeichnungen
abgeleitet. GESSNER zitiert einlässlich Werke von JOH. BERNOULLI, EULER,
BOUGAINVILLE, NEPER, WOLF u. a., ein Beleg dafür, dass er über eine umfangreiche mathematische Bibliothek verfügt haben muss. Nach einer kurzen Übersicht über die Geschichte des Sinus und des Begriffes des Logarithmus
bespricht GESSNER im abschliessenden Teil einige Aufgaben. Auf Grund der
Kombinationsrechnung ergeben sich 20 Fälle zur Berechnung von Dreiecken
aus drei gegebenen Daten respektive Winkeln oder Seiten, die sich auf drei
Grundprobleme reduzieren lassen: Zwei Winkel und eine Seite, ein Winkel
und zwei Seiten, drei Seiten. Als Anwendung in der Mechanik erwähnt
GESSNER ausserdem das Bewegungsparallelogramm, um in den Schlußsätzen
auf die sphärische Trigonometrie hinzuweisen.
68
Abb. 33 Kupferstichtafel aus der Diss. «De Triang. Resolutione» von J.
GESSNER, 1757.
ii
t. s
„„.
Ill
XIV?
y vi
),-
n
4.1.10
-41/41mponro
'W
.
f-
i,
...
1111.
14
mu
*......177._
g ■ t
'I
-3. -
' .
g
...„4.A
Alm.41,4,, g
,
""
a.;
-5/
..1!,.4 A
-:
7-1. ,
,
fart :xi,
I
B
Yi i
X
_
v ,..T
I
owe.
/
ad ,
rs,
a
-
V
'14
7.4
.
.1.
' l'd ra •
4.
IN
HIM
i,c41/...., Tro tot,
4
Col no
it ..
N
r
'i
.. 8,
414._
th it4r.':',.:&
a:_p
x
•
?
r f
A t
tn.,
,1 j
......... ..-
,
"
('',1-''??'/ q, fa
'
'''
"/"
'»''
4-t-si
1
Abb. 34 Kupferstichtafel aus der Diss. «De Triang. Resolutione» von J.
GESSNER, 1758.
69
Die Dissertation über die sphärische Trigonometrie: «De Triangulorum
Resolutione. Pars Altera De Triangulis Sphaericis» ist ähnlich wie die Abhandlung über die ebene Trigonometrie eine Wiedergabe der wichtigsten
Definitionen, Lehrsätze und Anwendungen, wobei GESSNER immer wieder
auf die Prinzipien der ebenen Trigonometrie zurückgreift. Als allgemeinste
Regel führt er den Satz von NEPER in der nachstehenden Formulierung auf
Logarithmen (120) bezogen ein: «Cosinus mediae aequatur Summae Sinuum
partium sejunctarum vel cotangentium conjunctarum» («Der Log. des Cosinus
des mittleren Stückes ist gleich der Summe der Logarithmen der getrennten oder gleich der Summe der Cotangens der anliegenden Stücke eines
sphärischen Dreieckes») . Die Anwendung der sphärischen Trigonometrie
könne in der mathematischen Geographie, der Nautik und der Astronomie
erfolgen. R. WOLF hat nicht mit Unrecht betont, diese beiden trigonometrischen Abhandlungen GESSNER'S hätten für «die Geschichte der Wissenschaft
ein ganz besonderes Interesse» (121) . Ihre Übersetzung und kritische Beleuchtung vom Standpunkte des zeitgenössischen Standes der wissenschaftlichen Forschung aus dürfte nicht unangebracht sein.
Im hohen Alter von 65 Jahren schrieb GESSNER naturwissenschaftlichmathematische Aphorismen («Aphorismi physico-mathematici») mit einer
«nicht uninteressanten Übersicht der notwendigsten, mathematischen Begriffe
und Lehrsätze, Differentialrechnung, Integralrechnung und Mechanik miteinbegriffen» (122). Dass GESSNER in diesem hohen Alter mit seiner geschwächten Gesundheit zu ringen hatte, erhellt sich aus der Feststellung, dass
er im Jahre 1770 auf die Niederschrift einer Dissertation überhaupt verzichtete und für die Jahre 1771 und 1772 sich mit ganz kurzen Abhandlungen
von 7 oder 8 Seiten begnügte. Die eben erwähnten Aphorismen sind die vorletzte Arbeit, welche GESSNER in Druck gab. Sie vermittelt einen schönen
Überblick über die naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Auffassungen GESSNER'S, weshalb wir ausführlicher auf ihren Inhalt eintreten.
Im einleitenden Abschnitt zur «Naturbetrachtung» verweist GESSNER u. a.
auf HESIOD, THALES, ANAXAGORAS, ARCHELAOS, PYTHAGORAS, DEMOKRIT und
SOKRATES. Die Naturwissenschaften werden einmal in allgemeine Naturwissenschaften und in spezielle Naturwissenschaften unterteilt. Die allgemeinen Naturwissenschaften (Physica generali) behandeln die allen Körpern
gemeinsamen Eigenschaften wie Ausdehnung, Trägheit, Kraft und Bewegung, sowie einige besondere Eigenschaften wie Kohäsion, Anziehung, Elastizität, Elektrizität, Wärme usw. Die Physik, respektive Naturwissenschaft, ist die
Wissenschaft der Körper. Zu den Naturwissenschaften gehören die Astronomie, welche Sonne, Mond, Fixsterne und Planeten, deren Grösse und Bewegung behandelt; die geographische Mathematik, welche sich mit der täglichen Drehung der Erde, der jährlichen Bewegung der Erde um die Sonne
beschäftigt; die physische Geographie, welche den Erdkörper, die Verteilung
von Meeren, Seen, Flüssen, Quellen, Gebirgen, die Flora und die Fauna usw.
beschreibt; die Meteorologie, welche sich mit den Wettererscheinungen abgibt; die Wissenschaft der Elemente, die die Elemente Luft, Feuer, Wasser
70
und Erde und ihre Mischungen schildert; die Naturgeschichte (Historia Naturalfis), welche die toten Körper des Mineralreiches und die lebenden Körper
des Pflanzen- und Tierreiches bearbeitet. Pflanzen sind Lebewesen, welche
wachsen und sich fortpflanzen; Tiere Lebewesen, welche wachsen, sich fortpflanzen, empfinden können und sich spontan zu bewegen vermögen.
Die Körper machen sich uns bemerkbar durch die Empfindungen unserer
Sinne. Mit dem Gesichtssinn nehmen wir Lichtstrahlen und Farben, mit dem
Gehörsinn Erschütterungen der Luft, mit dem Tastsinn den Widerstand der
Körper, mit dem Geruchssinn flüchtige Stoffe in der Luft und mit dem Geschmackssinn die Flüssigkeiten gelöster Stoffe wahr. Diese Empfindungen werden nach Ordnung, Quantität und Qualität untersucht. Der Forscher beschreitet dabei den Weg, der vom Einzelnen zum Allgemeinen führt, während
der Lehrer umgekehrt aus dem Allgemeinen die Einzelheiten entwickelt.
Da die Naturwissenschaften messen und zählen, ist die Mathematik vor der
Behandlung der Naturwissenschaften zu lehren.
GESSNER behandelt die Mathematik auf Grund des Compendiums der
Elementarmathematik von WOLF. Die Mathematik ist die Wissenschaft der
Grössen. Eine Grösse ist alles, was vermehrt oder vermindert werden kann.
Die Mathematik zerfällt in allgemeine Mathematik, in die Lehre der Zahlen
oder Arithmetik und die Lehre von der Ausdehnung oder Geometrie. In der
Arithmetik werden d ie Addition, die Subtraktion, die Multiplikation, die
Division, die Brüche und Wurzeln, und zwar Quadrat- und Kubikwurzeln,
wie auch Proportionen behandelt. Die Geometrie zerfällt entsprechend den
Dimensionen der Ausdehnung in die Längenmessung (Longimetrie), Flächenmessung (Planimetrie) und die Volummessung (Stereometrie) . Für alle drei
Gebiete der Geometrie führt GESSNER nicht nur die Definition der geometrischen Grundgebilde, wie Dreieck, Parallelogramm, Prisma, Pyramide, Kugel
usw. an, sondern erwähnt auch die geometrischen Lehrsätze in der Reihenfolge des WoLFschen Compendiums.
Bei jedem Körper ist einerseits die Ausdehnung, sind andererseits Kräfte
zu beachten: «Corpus itaque definimus per Extensum vi praeditum» (Wir
definieren daher einen Körper als Ausdehnung begabt mit Kraft (123). Die
zusammengesetzten Körper setzen sich aus «atomes materiales» der Elemente
Feuer, Wasser und Erde zusammen, deren Teilchen so kleine Korpuskeln sind,
dass sie auch mit bewaffnetem Auge nicht gesehen werden können. Die Elemente oder Monaden sollen einfach und nicht ausgedehnt sein. GESSNER
schliesst sich in seinen chemischen Auffassungen weitgehend den Meinungen
der Phlogistiker und der Monadenlehre von WOLF an. Die Teile der Körper
sind zwar von einer erstaunlichen Kleinheit, aber dennoch nicht unendlich
teilbar.
Hierauf geht GESSNER zur Besprechung der Differential- und Integralrechnung als der mathematischen Lehre vom Unendlich Kleinen respektive
der Infinitesimalrechnung über. Die Zeichen für Unendlich Gross, Unendlich
Klein, für das Differential und Integral werden kurz erwähnt. Die Rechenmethoden selbst sind von GESSNER in früheren, noch zu erwähnenden Disser71
tationen besprochen worden. Daher wendet er sich sofort dem physikalischen
Begriffe der Kraft zu. Weg, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Verzögerung,
gleichförmige und ungleichförmige Bewegung, die Trägheit und das Beharrungsgesetz, das Gesetz von actio und reactio werden definiert, die Dichte
der Körper erwähnt, das Verhältnis von Oberfläche und Masse der Körper
gleich dem Verhältnis von Quadrat zum Kubus bestimmt. «Vires mortuae»
besitzen gestützte schwere Körper, ruhendes Wasser, «vires vivae» bewegte
Körper, mit a. W. GESSNER unterscheidet hier, wenn auch unklar, potentielle und kinetische mechanische Energie. Bei der gleichförmigen Bewegung ist die Formel für den Weg S =CT, woraus sich ergibt C = S/T und
T =S/C und ds = C dt. Für die ungleichförmige Bewegung erhalten wir, falls
die Wege gleich sind und deshalb die Geschwindigkeiten den Zeiten proportional sind, aus ds = c dt = c • dc und durch Integration s = %cc, respektive c = Y 2 s.
Von LEIBNIZ übernimmt GESSNER den Begriff der Bewegungsgrösse zu
^n c und den Begriff der Bewegungsaktion in gegebener Zeit zu m c2, um
schliesslich seine Aphorismen mit der Behandlung des Problems der Messung
der «toten» und der «lebendigen» Kräfte abzuschliessen. Alles in allem bilden
die mathematisch-physikalischen Aphorismen GESSNER's ein interessantes und
aufschlussreiches Zeitdokument über die im alten Zürich in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts erreichte Präzisierung des wissenschaftlichen Denkens.
Jox. GESSNER hat im Laufe der Zeit manche seiner Ansichten geändert und
dem jeweiligen Stande der Forschung angepasst. Wir geben in der Folge
einige Prinzipien und wichtigeren Lehrsätze aus den, den einzelnen Dissertationen angefügten Corollaria oder Theses Physicae in chronologischer Reihenfolge wieder:
1740 unterscheidet GESSNER die passive oder Trägheitskraft (vis inertiae)
von der aktiven, eine Bewegung erzeugenden Kraft (vis activae) , verneint
die Existenz eines Vakuums, meint die Teile der Körper seien nicht ins Unendliche teilbar, die Wärme dehne die Körper aus und durchdringe sie, die
Kälte sei eine Verminderung des Grades der Wärme, die Anziehung werde
nicht durch eine «angestammte», sondern durch eine aufgedrückte Kraft
erzeugt.
Im folgenden Jahre beschäftigt sich GESSNER in den Corollaria vornehmlich mit biologischen Fragen, wobei z. B. die Urzeugung deutlich abgelehnt
wird: Weder Pflanzen noch Tiere entwickeln sich aus Schlamm, denn Pflanzen
und Tiere entstehen durch die Entwicklung und das Wachstum von befruchteten Eiern.
Erst im Jahre 1749 fügt GESSNER der betreffenden Dissertation wieder besondere physikalische Thesen an, in denen es z. B. heisst: «Es gibt im Geiste
nichts, das nicht schon früher in den Sinnen existiert hätte.» «Es gibt weder
bei den Menschen noch bei den anderen Lebewesen mehr als 5 Sinnesorgane.»
Bedeutsamer ist die Formulierung der NEwToNschen Bewegungsgesetze:
«1. Jeder Körper verharrt im Zustande der Ruhe oder im Zustande einer
gleichförmig geradlinigen Bewegung, wenn er nicht von Kräften gezwungen
72
wird, jenen Zustand zu ändern. 2. Die Änderung einer Bewegung ist proportional der bewegenden Kraft und geschieht immer gemäss der geraden Linie,
auf der jene Kraft wirkt. 3. Die Reaktion ist immer entgegengesetzt und gleich
der Aktion, d. h. es kann keine Wirkung auf einen Körper geben ohne den
gleichen Widerstand desselben und die Wirkungen zweier Körper gegeneinander sind immer gleich und nach entgegengesetzten Seiten gerichtet.»
Etwas weniger gehaltvoll sind die Theses physicae miscellanae des Jahres
1750. Die erste These befürwortet die Berücksichtigung geometrischer Überlegungen: «Diejenigen, welche die Naturphilosophie ohne Geometrie behandeln, weisen sich nicht über philosophisches Verständnis aus.» Die zweite These
tritt für die natürliche Theologie ein: «Die Naturwissenschaft unterstützt die
wahre natürliche experimentelle Theologie, welche die Menschen von der
Existenz Gottes und seinen vollendeten Eigenschaften überzeugt.» Die folgenden Thesen beschäftigen sich mit der Bedeutung der Mikroskope und Teleskope, worauf in der siebenten und der neunten These das Licht mit der Elektrizität auf den Wärmestoff zurückgeführt wird: «Der Wärmestoff oder das
elementare Feuer ist auf der ganzen Erde verbreitet und ist der Grund verschiedener Erscheinungen, nämlich der Wärme, der Kälte, des Lichtes, der
Flamme und der Elektrizität. Das Licht ist längs geraden Linien bewegter
Wärmestoff.» Nicht ganz klar ist die These, dass «das Gesetz über den Übergang von Wärme von einem wärmeren auf einen weniger warmen Körper am
besten mit den Gesetzen der Kohäsion erklärt» werden könne.
Die Theses physicae des Jahres 1754 beschäftigen sich mit der chemischen
Zusammensetzung der Naturkörper. Die «ersten Prinzipien» (gemeint sind
offenbar die Elemente) der Naturkörper sind nirgendwo rein zu finden. Als
zweite Prinzipien könnten Äther, Feuer, Luft, Wasser, Ölmaterie, Salzerde
und fixe Erde bezeichnet werden. Die Wirkung der Wärme sei Verflüchtigung, die Wirkung der Kälte Kondensation. Das Licht sei — in Übereinstimmung mit den Thesen des Jahres 1754 — Wärmestoff, der sich in geraden
Linien fortpflanze. Die elektrische Materie sei aus Feuer und öliger Materie
zusammengesetzt. Besonderes Interesse dürfen die drei letzten Thesen beanspruchen. These 10 lautet: «Versteinerungen vor und nach der Sintflut von
tierischen und pflanzlichen Körpern sind in fossile Substanz auf verschiedene
Arten umgewandelt worden, nach Überschwemmungen, durch den Rückgang
des Meeres, die Bewegung der Erde oder den Zusammensturz der Berge.»
These 11: «Die Teilchen der Flüssigkeiten sind klein, unfühlbar, sehr schlecht
zusammenhängend, daher leicht beweglich und annähernd kugelig.» These 12:
«Die Methode des Archimedes, welche bei der Bestimmung der Menge von
Silber angewendet wurde, das dem Gold in der Krone des Hieron zugemischt
war, stützte sich auf ein falsches Prinzip, wonach das Volumen des gemischten
Stoffes gleich sei der Summe der Volumina der Komponenten.»
In den Thesen des Jahres 1757 äussert GESSNER wenige neue Gedanken.
Der üblichen Begründung der Gottesverehrung durch eine vertiefte Einsicht
in die «Ökonomie der Natur» folgt eine Schilderung des Nutzens der Einteilung der Naturkörper nach Klassen, Familien und Arten. Zwei Thesen be73
schäftigen sich mit dem Magnetismus. Danach gibt es im Magneten Zwischenräume zur Leitung der «feineren Materie» in einer bestimmten Richtung und
das Eisen wird durch die magnetische Kraft so gerichtet, dass die Eisenteilchen
eine der magnetischen Leitung ähnliche Leitung bilden. Über die Tätigkeit
der Chemiker heisst es: Die Chemiker ändern die Metalle nicht, sondern sie
verbinden sie mit oder trennen sie von den metallischen Erden. Im Gegensatz
zu ungenaueren Äusserungen in älteren Thesen wird die Rolle des Mikroskopes dahin bestimmt, dass dieses an der Gestalt nichts ändere, sondern
lediglich die scheinbare Grösse vergrössere und die Objekte so klarer und
unter einem grösseren Winkel erscheinen lasse.
Besonders fortschrittlich und modern sind die meisten Thesen des Jahres
1758. So erzeuge der Schlamm keine Lebewesen oder Pflanzen, sondern begünstige lediglich das Weiterwachsen von Larven, Eiern oder Samen. Das Thermoskop gebe nicht die absolute, sondern bloss die relative Wärmemenge an.
Es gebe keine absolut leichten Körper. In der These 5 wird im Zusammenhang
mit der Schwerkraft von der Zunahme des Gewichtes von Körpern gesprochen,
die mit Hilfe des Feuers in Kalk verwandelt wurden. Das mechanische Perpetuum mobile widerspreche den Gesetzen von der Bewegung.
Nicht weniger als elf Abhandlungen GESSNER's behandeln ausgesprochen
physikalische Themen (124). Wenig bedeutsam sind die wohl aus Gesundheitsrücksichten so kurz ausgefallenen Thesen der Jahre 1771 und 1772, die
wir übergehen können. In den drei Dissertationen über die Prinzipien der
Körperlehre («De Principiis Corporum» 1743, 1744 und 1745) werden die allgemeinen Eigenschaften der Körper im Sinne der WoLrschen Philosophie
dargelegt. Die physischen Körper werden definiert «per Extensum vi praeditum», wie wir dies schon aus den Aphorismen erfahren haben. Zu den Prinzipien der Körper gehören Materie und Form, wirkende Ursache und Zweck.
Die ganze Welt ist voll von Materie, denn nach der Lehre der Philosophen
gibt es keinen leeren Raum. Es gibt eine Ordnung der Zusammensetzung:
grössere Körper sind aus kleinsten Korpuskeln abgeleitet. Als Grundstoffe
übernimmt GESSNER von ARISTOTELES das Feuer, die Luft, das Wasser und
die Erde. Hierauf beschreibt GESSNER die Lehre des Aufbaues der Materie,
wie sie Von DESCARTES, VON SWEDENBORG, RÜDIGER u. a. vertreten wurde, ohne
sich für die eine oder andere Hypothese zu entscheiden. Beim Erhitzen von
pflanzlichen Körpern in einem offenen oder geschlossenen Gefäss auf verschiedene Temperaturen werden alkoholische, wässrige und ölige Produkte
erhalten, bleiben Salze und Kohle zurück. Bei Erhitzen von Blei tritt eine
Gewichtsvermehrung auf: 100 Pfund Blei geben 110 Pfund Bleimennige. Die
Struktur der Körper ist durch Beobachtung und Berechnung zu erfahren.
Die Ursachen der Änderung der Körper zerfallen in zwei Gruppen: a) in
mechanische Prinzipien, zu denen Kräfte, Ausdehnung, Gestalt, Masse, Bewegung und Lage gehören; b) in physikalische Prinzipien, die als wirksam
angenommen werden müssen, wenn die mechanischen Prinzipien nicht genügen. Dazu rechnet GESSNER z. B. die Gravitation, die Elastizität, die magnetische Kraft, die Elektrizität, die Kohäsion, das durch Strahlen verbreitete
74
Licht, die Wirkung des Feuers als Wärme. In diesem Zusammenhang verweist
GESSNER ausführlich auf die Optik NEWTON'S und dessen Nachweis der Zerlegung des Sonnenlichtes in verschiedene Farben.
GESSNER verficht mit Nachdruck die Meinung der natürlichen Theologie:
Gott ist die erste Ursache der Materie, der Kräfte und der Bewegung und
schuf die Welt in 6 Tagen. Der Dissertation des Jahres 1744 fügte er eine «Consideratio Physico Mathematica Cometae Anni 1744» an, welche sechs Positionsangaben GESSNER's vom 6. Januar, 8., 9., 18. und 25. Februar enthält und
ausführlich die Frage erörtert, ob nicht im Sinne HALLEY'S ein periodischer
Komet vorliege. Wie wir ja schon im 14. Kapitel gesehen haben, sind derartige
Positionsbestimmungen von Kometen schon im 17. Jahrhundert in Zürich
gemacht worden. GESSNER setzte damit lediglich eine zürcherische Tradition
fort.
GESSNER schliesst ausdrücklich das Wunder nicht aus. Die Naturgesetze
können durch Gott im Wunder aufgehoben werden, ist u. a. in der dritten
Dissertation des Jahres 1745 zu lesen. In die Behandlung des Verhältnisses
von Gottes Wirksamkeit und Naturgesetzlichkeit sind eine Reihe von tatsächlichen Feststellungen eingestreut, wie z. B. die Angabe der Lichtgeschwindigkeit zu 2866 (?) germ. Meilen (??) oder des freien Falles in der ersten Sekunde
zu etwas mehr als 15 Pariser Schuhen, welche zeigen, dass GESSNER an einer
möglichst realistischen Beschreibung der Naturerscheinungen gelegen war.
Nachdem derart GESSNER die Bedenken der zürcherischen Geistlichkeit gegenüber der Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Fragen widerlegt hatte,
indem er immer wieder hervorhob, der Nutzen der Naturwissenschaft bestehe
gerade darin, Gott und seine Schöpfung richtig erkennen und verehren zu
können, arbeitete er in seiner Dissertation des Jahres 1746 «De Corporum
Motu et Viribus» eine Art kompendiöses Lehrbuch der Mechanik aus, das
erste entsprechende Werk, das in Zürich gedruckt und verlegt wurde. Es
geschah dies im gleichen Jahre, in dem GESSNER die Gründung der Physikalischen Gesellschaft vorbereitete und in dem er einen ersten physikalischen Einführungskurs hielt. Es darf daher angenommen werden, dass der Inhalt dieser
und auch späterer Abhandlungen stark beeinflusst wurde durch diesen physikalischen Einführungskurs, der für die naturwissenschaftliche Bildung der
Mitglieder der Physikalischen Gesellschaft richtunggebend war. Im Gegensatz zu J. J. SCHEUCHZER verfügte JOHANNES GESSNER über eine solide mathematische Bildung, die er sich an der Basler Universität unter JoH. BERNOULLI
erworben hatte.
Besser als einer ausführlichen Beschreibung kann der Inhalt dieser Dissertation der Wiedergabe der Tafel (siehe Abb. 36) entnommen werden: GESSNER behandelt den freien Fall, den schiefen Wurf, das Hebelgesetz, den Schwerpunkt eines festen Körpers, die feste und die lose Rolle, die schiefe Ebene,
die Schraube und den Keil. Methodisch stützt sich GESSNER auf NEWTON und
D'ALEMSERT,- wonach eine Wissenschaft durch die Einführung und Verwertung
von Kenntnissen und Ergebnissen abstrakterer Wissenschaften an Klarheit
gewinne (125).
75
2ur OW.
DISSERTATIO PHYSIC° -MATHEMATICA
DE
CORPORUM
M PTU
A tlX11.1 A NT E
DEO
PI:Aq sit) E
GESNER
0 ).-1 ANNE
Mcd. 1). PhyC & Math. Prof, Ord.
Tro confiquendo Examine Philofophico
Alternatis vicious tuendam Eurcipiunt
JACOBUS HOFMEISTFRUS GEORGIAN DENZLERUS
HENRICUS II ORD OW (US
ERA'S
HENRICUS
DENRICUS ESCHFIZIS
SCHAUFFELBERGER
CA SP.
RODOLUUS 1-10121 IA!
HFNRICUS WÄIBERUS
JOHANNES
JACOBIN BALBERUS
INGURUS
US
JOHANNES I LP'L!US
JACOBUS HEIZLIJS
Ad Dies
Februarii.
H. Q
'I' . l(JQ i? ,
EX' ()FM: TNA ( SSNERIANA,
Abb. 35 Titelblatt der Dissertation «De Corporum Motu et Viribus» von JoH.
GESSNER,
Abb. 36 Kupferstichtafel zur Diss. «De Corporum Motu et Viribus».
76
1746.
GESSNER behandelt eine sehr grosse Zahl von Begriffen. Ausgehend von
den Begriffen der Ruhe und Bewegung unterscheidet er mit GALILEI die gleichförmige und die ungleichförmige Bewegung, gibt eine kurze Geschichte der
Entdeckung der Gravitationstheorie, stellt fest, dass der Luftwiderstand verzögernd auf den freien Fall wirkt und diesen schliesslich in eine gleichförmige
Bewegung übergehen lässt, bespricht das Gesetz vom Gleichgewicht, den
Hebel als die Grundlage der Maschinen, die entweder einfach oder zusammengesetzt sind, stellt die Gesamtkräfte an einem Körper als die Resultierende
der einzelnen Kräfte dar, untersucht das Mass der Bewegung als «tote» und
«lebendige Kraft» (respektive gleich dem Produkt von Masse mal Geschwindigkeit und Masse mal Quadrat der Geschwindigkeit), definiert die Mechanik
als die Lehre von den Maschinen, bespricht den Stoss, wobei zwischen harten,
weichen und elastischen Körpern unterschieden wird, schätzt bei Maschinen
die Reibung ab, und gibt schliesslich noch eine kurze Geschichte der Entdeckung der Stossgesetze wieder.
Die Abhandlung des folgenden Jahres, des Jahres 1747 fasst die Wirkungen
zusammen, die von der Zusammensetzung der Kräfte hervorgerufen werden
(«De Effectibus, qui a Virium Compositione producuntur»). Es handelt sich um
eine Abhandlung, welche mehr ergänzenden Charakter besitzt, eine ganze
Reihe von Problemen in der gleichen Art und Weise, zum Teil mit mathematischen Überlegungen, behandelt, wie dies in der grundlegenden Abhandlung des Jahres 1746 geschah (siehe Abb. 37). Es sind Fragen der Zusammensetzung und Zerlegung der Kräfte mit Hilfe des Kräfteparallelogramms, wobei die Anwendung auf den geraden und schrägen Stoss, die Gesetze der Lichtreflexion und der Lichtbrechung, die schiefe Ebene und die
Kettenlinie besonders ausgiebig beleuchtet werden.
Abb. 37 Kupferstichtaf el zur Diss. «De Effectibus, qui a Virium Compositione
producuntur» von J. GESSNER, 1747.
77
Abb. 38 Kupferstichtafel aus der Diss. «De Motibus Variatis» von
J. GESSNER,
1749.
Eine weitgehend mathematische Abhandlung ist jene des Jahres 1749 (« De
Motibus Variatis») . Nach der Ableitung der Formeln für den Fall frei fallender
Körper wird die Bewegung auf der schiefen Ebene, die Bewegung in einer
Cycloid-Kurve, die Pendelbewegung und die Bewegung von Artilleriegeschossen beschrieben und berechnet. Der Supplementband des nächsten Jahres
(«De Motibus Variatis, Supplementum in quo Vires Centrales exponuntur»
1750) entwickelt den Begriff der Zentralkraft, definiert für die Zentralbewegung Masse, Zeit und Weg, führt die Bewegung auf einer elliptischen Bahn
auf die Bewegung einer Kreisbahn zurück, vergleicht die Zentralkraft mit der
Schwerkraft und zeigt schliesslich, dass die Astronomen auf diesem Wege
die Rotation der Erde und die Bewegung der Planeten berechnet haben.
Die letzten noch zu erwähnenden Abhandlungen besprechen hydrostatische
und hydrodynamische Probleme («De Natura et Viribus Fluidorum» 1751),
die Methoden zur Bestimmung der spezifischen Gewichte von Flüssigkeiten
durch Senkwagen («Hydroscopis Constantis Mensurae» 1754) und die Temperaturmessung («De Thermoscopio Botanico» 1755) . Die Natur der Flüssigkeiten wird erklärt durch die Kleinheit der Flüssigkeitsteilchen, die geringe
Kohäsion der Teilchen im flüssigen Zustande und ihre Beweglichkeit. In
Flüssigkeiten wirkt der hydrostatische Druck auf Seiten und Böden der betreffenden Gefässe, aber auch auf eingetauchte Körper. Nach Definition des
spezifischen Gewichtes beschreibt GEssNER einige Hydroscope, nämlich Hygrometer, Araeometer und Instrumente zur Salz-, Wein- und Bierprobe (siehe
Abbildung 39). Auch die verschiedenen Temperaturskalen, so jene von
Réaumur, Celsius und Fahrenheit erfahren eine knappe Beschreibung (Diss..
78
1755) . Damit haben wir den wesentlichen Inhalt der mathematisch-naturwissenschaftlichen Abhandlungen JOHANNES GESSNER'S wiedergegeben, Abhandlungen, die unseres Erachtens bisher zu wenig beachtet wurden und
wenigstens auszugsweise übersetzt werden sollten, um ein klareres und besseres Bild über den Stand des naturwissenschaftlichen und mathematischen
Wissens im alten Zürich des 18. Jahrhunderts zu gewinnen. Wir wagen hier in
aller Form der Meinung Ausdruck zu geben, JOHANN JAKOB SCHEUCHZER sei
bisher eher überschätzt und dafür JOHANNES GESSNER eher unterschätzt worden. Wohl war SCHEUCHZER zweifellos der fruchtbarere Schriftsteller, aber
erst JOHANNES GESSNER hat wirklich der zürcherischen Bildungsschicht des
18. Jahrhunderts den Anschluss an die international erreichte Stufe der wissenschaftlichen Leistungen vermittelt.
XVII. Kapitel Naturwissenschaftliche Forschung im Rahmen der
Physikalischen Gesellschaft
Nach der ausführlichen Behandlung der wissenschaftlichen Arbeiten
JOHANNES GESSNER'S können wir uns in diesem Kapitel kürzer fassen. Die
Beschäftigung mit den Problemen der exakten Wissenschaften beschränkte
sich — kurz zusammengefasst — im alten Zürich bis zum Sturze des Regimentes der «gnädigen Herren» im wesentlichen auf die Lehrtätigkeit an den
städtischen Schulen, die Vortragstätigkeit in der Physikalischen Gesellschaft,
Abb. 39 Kupferstichtafel aus der Diss. «De Hydroscopis Constantis Mensurae»
von J. GESSNER, 1754.
79
die Fortführung der Vermessungstätigkeit in Stadt und Landschaft durch den
obrigkeitlichen Ingenieur und gelegentliche Hilfskräfte und vereinzelte astronomische oder meteorologische Beobachtungen. In der ganzen Periode von
der Gründung der Physikalischen Gesellschaft bis zum Einmarsche der französischen Truppen in die Stadt Zürich kann lediglich von Ansätzen zu selbständiger experimenteller Forschung auf einigen Teilgebieten der exakten
Naturwissenschaften gesprochen werden. Einzig die meteorologischen Beobachtungen und Versuche zur Bestimmung von Bodentemperaturen durch
Jox. JAK. OTT (1715-1769) (126) bilden eine beachtenswerte Ausnahme.
J. J. OTT setzte sich für die Schaffung eines botanischen Gartens ein, war
Präsident der ökonomischen und später auch der meteorologischen Kommission der Physikalischen Gesellschaft (127) und beschäftigte sich vor allem
mit der praktischen Förderung des Landbaues und der Forstwirtschaft (128).
J. J. OTT führte seine Messung der Bodentemperaturen während 41/2 Jahren
vom Frühjahr 1762 bis zum August 1766 auf Anregung Jox. HEINR. LAMBERT's
durch. Der Text seines Vortrages vor der Physikalischen Gesellschaft ist leider
verloren gegangen. Er legte seine Arbeit LAMBERT (1728-1777) zur Einsicht
vor, worauf dieser der Zürcher Physikalischen Gesellschaft eine Abhandlung
«Die Verteilung der Sonnenwärme in der Erde nach Anleitung der von Herrn
OTT darüber angestellten Beobachtungen» einsandte und OTT'S Beobachtungen
in seiner posthum veröffentlichten Studie «Pyrometrie oder vom Masse des
Feuers und der Wärme» (1779) verwertete. J. J. OTT hatte im Boden seines
Landgutes im Röthel in Wipkingen, dem späteren Schinzengut sieben Thermometer in 1/4, 1/2, 1, 2, 3, 4 und 6 Fuss Tiefe versenkt und regelmässig abgelesen.
Auch MARTIN USTERI (1738-1790) stellte «in den Jahren 1764 und 1765 ähnliche Beobachtungen über die Temperaturen in verschiedener Tiefe» an (129) .
J. H. LAMBERT hat als Ehrenmitglied der Physikalischen Gesellschaft im Jahre
1761 einige Sitzungen der Gesellschaft besucht, bei welcher Gelegenheit er
J. J. OTT zu seinen Untersuchungen über die Bodentemperaturen veranlasste (130) .
Die Tatsache einer bloss sporadischen Beschäftigung mit eigentlicher experimenteller Forschungsarbeit auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften ist
besonders deutlich erkennbar, wenn man die Rechnungen der Physikalischen
Gesellschaft durchgeht. Das Hauptinteresse blieb der Naturgeschichte, der
Beschreibung der engeren und weiteren Heimat und nach der inneren Krise
in den Jahren von 1751 bis 1756 der Förderung der Landwirtschaft und der
«Ökonomie» im allgemeinen zugewendet. Von selbständiger Grundlagenforschung kann abgesehen von den vorbildlichen Leistungen auf dem Gebiete
der Statistik und der Volkszählung überhaupt nicht die Rede sein.
Die Zahl der Mitglieder der Physikalischen Gesellschaft nahm von 1747
bis 1797 bloss von 82 Mitgliedern auf 113 Mitglieder zu. Allerdings schwankte
in dieser Periode die Mitgliederzahl zwischen einem Minimum von 71 Mitgliedern im Jahre 1755 und dem Maximum von 130 Mitgliedern im Jahre
1778 (/3/). Jedes Mitglied hatte ein Einstandsgeld von 12 (später 6) fl. und ein
Quartalsgeld von 2 fl. zu entrichten. Eine auf Vorschlag von Landschreiber
80
dem späteren Bürgermeister im Jahre 1748 durchgeführte Geldlotterie erbrachte bis zur letzten Ziehung im März 1752 einen Reinertrag von
über 8070 fl. Bis 1787 gingen im ganzen bloss 950 fl. an Legaten ein. Der
Lotterie- und Hauptfonds vermehrte sich jährlich um etwa 200 fl., so dass
er im Jahre 1798 mehr als 18 000 fl. betrug, nachdem er 1762 immerhin schon
10 477 fl. 10 ß erreicht hatte. Die jährlichen Ausgaben schwankten zwischen
100 bis 600 fl., je nach dem Umfange der Beschaffung von Apparaten und
Instrumenten oder dem Kauf von Büchern (132).
Eine Übersicht über die Instrumente und Apparate, welche der Physikalischen Gesellschaft geschenkt, für sie angefertigt oder von ihr angekauft wurden, vermittelt wohl den klarsten Einblick in die Art und Weise der experimentellen Lehre und Forschung, wie sie im Rahmen der Gesellschaft praktiziert wurde. Das Instrumentalverzeichnis des Jahres 1747 (133) erwähnt neben
einigen anatomischen Instrumenten Thermometer, eine Elektrisiermaschine,
einen zylindrischen und einen konischen Spiegel, eine Sphaera Armillaris
mit Meridian, Äquator und Zodiacus, eine Himmels- und eine Erdkugel, eine
Observations- oder Pendeluhr und ein Mikroskop, alles Geschenke von Mitgliedern. Bis zum Jahre 1760 kamen als Geschenke hinzu Magnete, Weingeistthermometer, Barometer, angekauft wurden — wie schon erwähnt —
bei BRANDER in Augsburg eine Luftpumpe und ein astronomischer Quadrant,
Proportionalzirkel, Würfel aus Zinn, Kupfer und Messing, Apparate zur Bestimmung des spezifischen Gewichtes, eine magnetische Deklinationsnadel,
eine Laterna Magica, Sonnenuhren und immer wieder Thermometer und
Barometer. 1762 werden erstmals chemische Öfen und ein Spiegelteleskop
erwähnt. 1765 und 1766 werden diverse optische Instrumente und Apparate
für Fallexperimente gekauft. 1774 schenkt GESSNER der Gesellschaft ein zehnzölliges Dollondsches Fernrohr, das 1780 aus der Sammlung entwendet wurde.
1776 schenkt ALESSANDRO VOLTA der Gesellschaft einen von ihm verfertigten
Elektrophor; 1778 werden ein Mikroskop, ein Hohlspiegel, ein Messtisch, ein
Deklinatorium und ein Barometer gekauft und 1780 aus dem Nachlasse des
hingerichteten Pfarrers WASER eine Reihe von mathematischen und physikalischen Apparaten übernommen. Daneben wurde die Sammlung von Mineralien, Fossilien, herbarisierten Pflanzen, ausgestopften Tieren, anatomischen
Präparaten und Monstrositäten beharrlich ausgebaut. Es liegt auf der Hand,
dass die der Physikalischen Gesellschaft zur Verfügung stehenden Instrumente und Apparate lediglich auf dem Gebiete der Meteorologie, des Erdmagnetismus und der geographischen Ortsbestimmung wissenschaftliche Untersuchungen erlaubten, im übrigen aber lediglich Demonstrations- und
Unterrichtszwecken dienten.
Diese Feststellung wird erhärtet, wenn wir noch einmal einen statistischen
Querschnitt durch die Vortragstätigkeit der Physikalischen Gesellschaft
ziehen. Zu diesem Zwecke haben wir vier Stichjahre ausgewählt, nämlich
die Jahre 1750, 1762, 1778 und 1800. Das Jahr 1750 als ein Jahr aus der frühesten Vereinstätigkeit, das Jahr 1762 als ein Jahr aus der Periode des Höhepunktes der Tätigkeit der ökonomischen Kommission, das Jahr 1778 als ein
HEIDEGGER,
6
81
Jahr der Wirksamkeit Pfarrer
Helvetik:
WASER'S
Themata
A. Beschreibende Naturwissenschaften:
Botanik
Zoologie
Anatomie und Anthrop.
Medizin
Geologie, Mineralogie
Meteorologie
Geographie, Astronomie
B. Allgemeine Naturwissenschaften:
Physik
Chemie
Mathematik
C. Landwirtschaft usw.:
Landwirtschaft
Technik
Allgemeine philosophische Abhandlungen
Diverse (ök., stat. u. a.)
Vorträge im ganzen
und das Jahr 1800 aus der Zeit der
1750
1762
1778
1800
3
2
5
3
5
0
2
14
12
3
12
6
9
3
4
1
1
3
4
6
7
1
2
1
5
0
1
0
20
59
26
10
2
3
0
8
3
0
9
2
0
3
5
0
11
11
8
2
0
0
1
11
6
1
11
6
2
2
11
4
0
1
3
3
29
21
8
28
99
58
26
Die Tabelle spricht für sich selbst. Auffällig ist das sprunghafte Ansteigen
der wirtschaftlichen Themen gleichzeitig mit den botanischen und zoologischen Themen im Jahre 1762 und das geringe Interesse für mathematische
und philosophische Fragen.
Nicht weniger aufschlussreich ist die Verteilung der Referate auf einzelne
Hauptreferenten. 1750 war Dr. HIRZEL sechsmal Vortragender. Chorherr
GESSNER hatte von den 28 Referaten 4 und Dr. MEYER 3 übernommen; der
Rest von 15 Vorträgen verteilte sich auf Referenten, welche höchstens 2 Vorträge hielten. Im Jahre 1762 bestritt Chorherr GESSNER allein 26 Referate,
Stadtarzt Dr. HIRZEL brachte es auf 15 und Dr. SAL. SCHINZ (1734-1784) gemeinsam mit J. J. OTT auf je 7 Referate. Im Jahre 1778 lauten die entsprechenden Zahlen Chorherr GESSNER und Pfarrer WASER je 11, Dr. HIRZEL
5 Referate. Im Jahre 1800 wurden von den gleichen Referenten maximal 4 Vorträge gehalten (nämlich von Prof. BREITINGER, Prof. FÄsi und Dr. MEYER),
aber noch in diesem Jahre sprach Alt-Ratsherr und Alt-Stadtarzt HIRZEL über
drei Themen zur Physikalischen Gesellschaft. Wir sehen, die wissenschaftliche
Hauptarbeit wurde in der Physikalischen Gesellschaft von JOHANNES GESSNER,
dem ersten, Dr. HANS CASPAR HIRZEL (1725-1803) dem zweiten Präsidenten,
JOH. JAKOB OTT, Dr. SALOMON SCHINZ und Pfarrer HEINRICH WASER geleistet.
Diesen Männern ist in allererster Linie der grosse Aufschwung der Naturforschung im alten Zürich des 18. Jahrhunderts zu danken.
82
Eine systematische Überprüfung der Vortragsthemen selbst vermag das Bild,
das wir bisher gezeichnet haben, nicht zu ändern. Bis zum Jahre 1754 werden
hauptsächlich von GESSNER einige physikalische Themen, wie Elektrizität,
Magnete, Luft und Luftpumpe, Waagen und die Durchführung astronomischer
Beobachtungen behandelt. Die Geschichte des astronomischen Observatoriums
in Zürich ist seinerzeit von R. WOLF in der Biographie JOHANNES GESSNER'S
ausführlich behandelt worden, so dass wir auf die Wiedergabe verzichten
können (134).
Auch von 1756 bis 1768, für welche Jahre wir die Vortragsthemen kontrolliert haben, ist die Themenwahl ähnlich. Versuche über die Elektrizität und
mit künstlichen Magneten, mit der Luftpumpe und einer neuen Elektrisiermaschine, mit optischen Apparaten, Wasserwaagen, hydrostatische und hydraulische Versuche, Experimente über Pendelschwingungen werden von GESSNER
und HIRZEL gezeigt. Dr. SAL. SCHINZ spezialisierte sich auf die Vorträge über
Chemie, wobei er das Lehrbuch von MACQUER verwendete und die Verwandtschaftstabellen von GEOFFROY bekannt machte. Über Salze, das Gefrieren von
Wasser und salzigen Lösungen, die Auflösung von Körpern und die Veränderung der Farben durch die Auflösung hat er wiederholt Versuche vorgezeigt. Auch über Kalk, Kupfer und Zinn, Silber und Gold, das Eisen und
viele andere chemische Stoffe wurde vorgetragen. Dr. HIRZEL legte in den
Jahren 1760 und 1761 die Elemente der Astronomie nach «den WoLFischen Anfangsgründen» dar. Über meteorologische Beobachtungen hatte schon im
Jahre 1749 Pfarrer GESSNER Bericht erstattet; diese Aufgabe wurde seit dem
Jahre 1760 z. T. von Dr. HIRZEL (135) übernommen. Im Zusammenhang mit
diesen Beobachtungen wurde auch die Temperatur des Zürichsees (1762) und
die Höhe des Wasserstandes der Limmat gemessen. GESSNER orientierte 1763
über die Abstufung der Temperatur nach verschiedenen Tageszeiten. 1761 gab
Ingenieur MüLLER einen Bericht ab über die Abweichung der Magnetnadel.
1765 beschäftigte man sich eingehend mit dem Barometer, diskutierte ein von
JETZLER in Schaffhausen vorgelegtes Reisebarometer und liess sich von GESSNER
über die Geschichte der Erfindung des Barometers aufklären. Barometerbeobachtungen in Zürich, auf dem Uetliberg, im Appenzellerland und auf dem
Gotthard wurden miteinander verglichen. Im gleichen Jahre wurden auch
Messinstrumente zur Bestimmung einer geodätischen Standlinie besprochen,
worauf im Winter 1765/66 eine solche Standlinie von Ingenieur-Hauptmann
ALBERTIN (1713-1790) ausgemessen wurde (136). Ebenfalls noch im Jahre
1765 wurde durch GESSNER im Anschluss an LAMBERT der «Widerstand der
Luft beim Bombenwerfen» mathematisch zu erfassen gesucht.
Hie und da stösst man auch auf mathematische Vorträge. So im Jahre 1756
gleich auf zwei, einen Vortrag über den Pythagoräischen Lehrsatz und einen
Bericht über NEPER'S Logarithmische Tafeln. 1761 beschrieb J. J. OTT LAMBERT'S Logarithmische Rechenstäbe; 1763 trug ebenfalls J. J. OTT eine Abhandlung von LAMPERT über die Strahlenbrechung an entfernten Gegenständen
vor; 1765 wurde eine von CHRISTOPH JETZLER (1734-1791) von Schaffhausen
verfasste Mitteilung über EuLER's «Calc. Integralis» vorgelesen. Und endlich im
83
Jahre 1768 wurde ein besonderer Kurs über den Nutzen der Mathematik
durchgeführt. GESSNER, Ingenieur-Hauptmann RÖMER, DAVID BREITINGER und
der junge V. D. M. HEINRICH WASER teilten sich in die Aufgabe an 8 Abenden.
GESSNER sprach über die vier Rechnungsarten der Arithmetik und Algebra,
die Grundlagen der Geometrie, Logarithmische Rechenstäbe und den Proportionalzirkel, Ingenieur RÖMER über die Beobachtung der Polhöhe und die
Bestimmung der Mittagslinie, DAVID BREITINGER über Brüche, Proportionen
und Progressionen und WASER über die Anwendung der Arithmetik auf die
Geometrie zur Ausmessung von Linien, Flächen und Körpern und das Ausziehen der Quadratwurzel. Abschliessend möge noch bemerkt werden, dass
im gleichen Jahre BREITINGER Probleme der Hydraulik und Hydrostatik und
HEINRICH WASER Fragen der Dioptrik und Katoptrik behandelte.
XVIII. Kapitel Die Schüler Gessner's: Caspar Hirzel (1725-1803),
Salomon Schinz (1734-1784), David Breitinger (1737-1817), Joh. Heinr.
Waser (1742-1780) und Joh. Heinr. Rahn (1749-1812).
Neben JOHANNES GESSNER waren es vornehmlich die in diesem Kapitel zu
besprechenden Männer, der Stadtarzt und Ratsherr, Dr. med. SALOMON
SCHINZ, DAVID BREITINGER, Professor an der Kunstschule, und Chorherr Dr.
J. H. RAHN, alles Schüler JOHANNES GESSNER'S, welche sich als Mitglieder der
Physikalischen Gesellschaft gegen Mitte und Ende des 18. Jahrhunderts mehr
oder weniger intensiv mit den exakten Naturwissenschaften beschäftigten.
Jeder hat auf seine Weise das wissenschaftliche Denken mehrerer Generationen des alten Zürich beeinflusst und geformt.
H. C. Hirzel, der 1751 zweiter und 1761 erster Stadtarzt wurde, erlangte
durch die Veröffentlichung der Abhandlung über «Die Wirtschaft eines philosophischen Bauers» im Jahre 1761 Weltruf. Sie brachte ihm die Bekanntschaft GOETHE's ein, der den «philosophischen Bauer» JAKOB GUYER (17161764) in Wermatswil bei Uster besuchte (137) . HIRZEL wandte neben der Landwirtschaft auch der Meteorologie sein Interesse zu, nachdem er in den ersten
Jahren seiner Tätigkeit in der Physikalischen Gesellschaft u. a. Vorträge über
den Schwefel, den Bergkristall, später auch über Experimente mit Pendelschwingungen und über Astronomie gehalten hatte.
Salomon Schinz ist hauptsächlich als Botaniker, Verfasser einer entzückenden Beschreibung einer «Reise auf den Uetliberg» (Zürich 1775) und als Begründer des medizinisch-chirurgischen Institutes (gemeinsam mit CONRAD
RAHN und JOH. HEINR. RAHN) bekannt geworden (138) . SALOMON SCHINZ hat
aber auch eine ganze Reihe kleinerer chemischer und physikalischer Abhandlungen drucken lassen, die wir hier erwähnen müssen.
In der physikalisch-medizinischen Dissertation zur Erlangung der medizinischen Doktorwürde in Leyden beschäftigte sich SAL. SCHINZ hauptsächlich
mit der Kalkschale des Hühnereies («De Calce Terrarum et Lapidum Calcariorum» 1756), von der er auf einer Tafel zwei Abbildungen gibt. Eine kleine
Abhandlung von bloss 23 Seiten aus dem Jahre 1770 behandelte chemische
und wirtschaftliche Probleme: «Stanni et ejus Miscelae cum plumbo in Re
oeconomica usu.» Mathematisch gesehen sei alles in all seinen Teilen gleich,
physikalisch gesehen seien Volumen und Gewicht aber nicht immer unveränderlich. Die Vermehrung des Gewichtes von Zinn, Blei und anderen Stoffen
während der Verkalkung scheine nicht allein vorn Feuer abzuhängen, wie
dies von einigen berühmten Naturforschern angenommen werde. Die Gestalt
der Salzkristalle sei keine optische Täuschung, da das Mikroskop lediglich
das Grössenverhältnis ändere und zur klareren Unterscheidung der Objekte
verhelfe, weil es diese dem Auge näherbringe. Das Studium der Naturwissenschaften sei geeignet, die Weisheit und Güte Gottes zu erkennen, verborgenen
Aberglauben zu zerstören und die Medizin, die Botanik und die Landwirtschaft zu fördern.
Die Abhandlung «Specimen physicum de Electricitate» des Jahres 1776
(38 Seiten mit 10 Seiten Supplementum) unterschied drei Arten der Elektrizität: a) spontane, sich von selbst äussernde Elektrizität, wie die Elektrizität
des Schwefels, des Zitteraals und der Gewitter; b) ursprüngliche Elektrizität
und c) mitgeteilte Elektrizität. Es gibt elektrische und unelektrische Körper.
Die wichtigsten elektrischen Phänomene sind erstens die Anziehung und Abstossung, zweitens die Erzeugung von Licht. Einige elektrische Apparate, wie
z. B. das Elektroskop und Elektrisiermaschinen werden beschrieben. Von
BENJAMIN FRANKLIN übernimmt SCHINZ die elektrische Theorie der Blitze
und setzt sich für die Einführung von Strahlableitern (Abductores fulmini)
ein. Neben positiver und negativer Elektrizität unterscheidet SCHINZ noch die
Verbindung beider (Positiva cum Negativa Conjuncta). SAL. SCHINZ erwähnt
auch, dass er mit HEINRICH WASER elektrische Versuche durchgeführt habe.
Vorgängig dieser Dissertation über die Elektrizität trat SAL. SCHINZ schon in
den «Reflexionen über die Strahlableiter» (Zürich 1776) für die Einführung
von Blitzableitern ein.
Eine besonders hübsche Abhandlung ist jene des Jahres 1778 über die Gase:
«De aere, ejus speciebus praecipus de Aere fixo lapidis calcarii.» Sie umfasst
38 Seiten und bringt u. a. die Zeichnung eines Gasentwicklers mit einer pneumatischen Wanne und eine ganze Reihe von Definitionen und Beschreibungen
der Eigenschaften der wichtigsten Gase. «Aer» ist ein flüssiger, elastischer
und schwerer Körper. Die Luft diene zum Atmen. Die Theorien von BLANK
und WENZEL über die «fixe Luft» (= Kohlendioxyd) werden bestätigt. Durch
fixe Luft werde Kalkwasser getrübt. In einer Tabelle sind 10 Gase, nämlich
Aer communis (gewöhnliche Luft), Aer dephlogisticatus (Aer purus sine phlogisto), Aer phlogisticatus (Stickstoff), Aer inflammabilis (Wasserstoff), Aer
fixus (Kohlendioxyd), Aer nitrosus (Stickstoffdioxyd), Aer acidus vitriolicus
(Schwefeldioxyd), Aer acidus marinus (Chlorwasserstoffgas), Aer acidus
vegetabilis (Essigsäure), Aer alcalinus (Ammoniakgas) nach Brennbarkeit,
Wasserlöslichkeit, Farbe, Geschmack, zusammensetzenden Bestandteilen und
Herstellung beschrieben. Die fixe Luft entstehe z. B. durch Gärung, Destination von Kalkstein, Einwirkung von Säuren auf Alkalien und Erden, aus
85
alkalischen Salzen und finde sich auch in Brunnen. Das Salzsäuregas wird
als besonders leicht wasserlöslich bezeichnet. SAL. SCHINZ gibt eine gute Übersicht über das damalige Wissen über die Gase.
Die späteren Arbeiten besassen mehr allgemeinen Charakter. Die lateinische
Abhandlung «De Utilitate scientiae physicae» vom Jahre 1780 ist auch in die
deutsche Sprache übersetzt worden und erschien im gleichen Jahre im Verlage von J. C. FüssLl und H. STEINER & Co. unter dem Titel: «Einleitung zu
einichen Abhandlungen über den Nutzen, welchen ein Geistlicher ... aus der
Naturwissenschaft ziehen kann. Nebst einichen Anmerkungen über die Physiognomik (aus dem Lateinischen übersetzt) ». Auf 72 Seiten setzt sich SCHINZ mit
den verschiedensten Problemen auseinander. Ab Seite 27 übt er eine vorsichtige Kritik an der physiognomischen Lehre LAVATER's. Der Einfluss der
Naturlehre auf die Medizin, die Technik, die Ökonomie und Landwirtschaft wird
eindrücklich unterstrichen und immer wieder betont, die Naturwissenschaften
zerstörten den Aberglauben. In einer Fussnote wird auch gegen den Missbrauch
der Hypnose Stellung bezogen. Die Logik lehre, dass wir unser Urteil nicht auf
ein einziges Kennzeichen (wie z. B. in der Physiognomik) aufbauen dürften,
sondern dass so viele Merkmale berücksichtigt werden sollten, als die Sache
selbst darbiete.
Zwischen 1781 und 1784 veröffentlichte SCHINZ noch drei Abhandlungen
über die Art und Weise, wie er auf seinen Schweizer Reisen sein naturwissenschaftliches Wissen verwerten konnte: «De Itineribus per Helvetiam cum
fructu faciendis», Pars prima 1781, Pars secunda 1783, Pars tertia 1784. Botanik, Zoologie, Mineralogie, das Studium der Topographie, die Beschreibung
der Flüsse und Seen, der Berge, der Art der Bodenbenützung, der Quellen,
Mineralquellen, Thermen, Erden, Steine, Mineralien, Fossilien, der innere
Bau der Berge, die Lage von Erzlagern, Form, Länge und Höhe der Berge,
Aufzählung von Wasserfällen, Gletschern und Tälern werden als Illustration
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ausgewertet. Interessant ist die detaillierte Angabe, wie Mineralwässer zu untersuchen seien. Sie sind auf Aussehen, Geruch, Geschmack und eventuelle Sedimente hin zu prüfen, ihr
spezifisches Gewicht und ihre Temperatur sind zu messen, eine eventuelle
Gasentwicklung ist festzustellen, das Wasser ist auf seine Reaktion mit bestimmten Reagentien (organischen Säuren oder Basen) zu kontrollieren und
auch zu destillieren, ob ein Rückstand erhalten werden kann. SALOMON SCHINZ
war zweifellos ein würdiger Nachfolger JOHANNES GESSNER's. Um so mehr ist
es zu bedauern, dass er schon 6 Jahre vor dem Hinschiede seines verehrten
Lehrers und Oheims im Alter von nur 50 Jahren vom Tode überrascht wurde.
David Breitinger (17. November 1737-30. Januar 1817) (139) hat nur
wenige Schriften veröffentlicht. Er setzte sich gemeinsam mit Dr. SAL. SCHINZ
energisch für die Einführung von Blitzableitern in Zürich ein, ein Vorhaben,
das endlich im Jahre 1788 von Erfolg gekrönt wurde, da in diesem Jahre der
Rat beschloss, es seien auf allen Türmen, Magazinen und Archiven Blitzableiter anzubringen. BREITINGER'S Rechenbüchlein: «Erste Anfangsgründe der
Rechenkunst und der Geometrie» (52 + 32 Seiten. Zürich 1773, 2. Auflage 1782,
8Q
vielfach nachgedruckt) bezeichnet Mathematik als «jene Wissenschaft, welche
uns die Grösse ausmessen und bestimmen lehrt.» Das kleine Werklein ist ganz
auf die Befriedigung praktischer Bedürfnisse eingestellt, behandelt die Arithmetik bis zu den Brüchen, den Proportionen und der Regel DETRI, bringt eine
Zusammenstellung der wichtigsten Masse und Masseinheiten und bespricht
im geometrischen Teil I. die Linien, II. Winkel und Flächen, III. Zeichnung
und Ausmessung von Flächen und Zirkel. Es handelt sich um eine beachtenswerte methodische Leistung.
DAVID BREITINGER wurde 1773 zum Professor für Naturwissenschaften und
Mathematik an der neu gegründeten Kunstschule ernannt, «in welcher Stellung er bis zu seinem Tode mit grossem Erfolg arbeitete» (140) . Daneben hielt
DAVID BREITINGER immer wieder physikalische Privatvorlesungen, die sich
guten Zuspruches erfreuten. Über den Inhalt dieser Vorlesungen gibt ein
Prospekt Aufschluss, den er im Jahre 1794 drucken liess (141). Der Prospekt
umfasst nicht weniger als 14 kleine Seiten. Die Vorlesungen sollen jeden Mittwochabend nach 3 Uhr je 2 Stunden, im ganzen während 24 Wochen im
Physiksaal der Realschule durchgeführt werden. Bei der Vorbereitung der
Vorlesungen werde BREITINGER'S Sohn behilflich sein (142) . «Wer Anteil an
diesen Vorlesungen zu nehmen wünscht, der darf nur seinen Namen bis Anfang Dezember schriftlich an mich einsenden.» Die 24 doppelstündigen Vorlesungen beschlagen alle damals bekannten Gebiete der Physik und Chemie
von den allgemeinen Eigenschaften der Körper, den mechanischen Grundgesetzen, der Optik, Wärmelehre, den verschiedenen «Luftarten», der Akustik
bis zu der Lehre von der Elektrizität und dem Magnetismus (143) . Nach
JOHANNES GESSNER hat DAVID BREITINGER sich ganz besonders erfolgreich
für eine systematische Vermittlung des physikalischen und chemischen Wissens auf wissenschaftlicher Basis in Zürich eingesetzt, eine Arbeit, welche
entscheidend dazu beitrug, die Gründung der Zürcher Universität vorzubereiten.
Mit Recht bezeichnete R. WOLF (144) Pfarrer Johann Heinrich Waser als
«vielleicht der begabteste, aber jedenfalls der unglücklichste Schüler GESSNER'S».
Das Schicksal WASER's lässt im blendenden Lichte des öffentlichen Strafgerichtes
den schweren geistigen Druck erkennen, der aller Aufklärung zum Trotz auf
der Bürgerschaft des alten Zürich und dem zücherischen Landvolk lastete.
Trotz des grossen Ansehens, das WASER in den Reihen der Physikalischen Gesellschaft genoss, wagte keines ihrer Mitglieder offen seine Stimme zu Gunsten
WASER's zu erheben. So übermächtig war der seelische, politische und wirtschaftliche Druck der gnädigen Herren im alten Zürich.
Die Vortragstätigkeit WASER'S in der Physikalischen Gesellschaft schwankte
zwischen naturwissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Themen hin
und her. Doch galt offenbar sein zentrales Interesse den politisch-wirtschaftlichen Fragen, da seine gedruckten Arbeiten und hinterlassenen Manuskripte
sich fast ausnahmslos auf diesen letzteren Fragenkomplex beziehen. 1766 berichtete WASER über einen auffälligen Strahlstreich in Regensberg, im folgenden Jahre hielt er eine Vorlesung über Optik, Katoptrik und Dioptrik, die
87
auch 1768 fortgesetzt wurde. Weitere Vorträge WASER's betrafen folgende
«physikalische» Gegenstände: Ortsbestimmung von Zürich, Errichtung einer
Sternwarte, Geometrische Messkunst (1768); Magnetische Versuche (1770);
Camera obscura, Vergleichstabelle von Thermometern (1771); Reisebarometer
(1772); LAMBERT'S Universalsonnenuhr, Mondfinsternis vom September 1773
(1773) ; Astronomische Beobachtungen (1774) ; Sprachrohr, Hydrostatische
Waage, ToRRICELLI's Versuche, VOLTA'S Elektrisiermaschine, die Polhöhe Zürichs
(1776); Mondfinsternis Juli 1776, die Länge von Zürich wird zu 26° 33' 30"
bestimmt, Visierinstrumente zur Messung von Entfernungen (1777); Beobachtungen an Magnetnadeln, Gewitter und Meteore, VOLTA'S Elektrizitätslehre, Meteorologische Beobachtung, Nutzen der Astronomie (1778); Abstossungselektrizität bei Spitzen, Scheibe für die Zeitgleichung (1779).
Der letzte der bedeutenden Schüler GESSNER'S, Johann Heinrich Rahn (145),
ein Urenkel des Verfassers der «Deutschen Algebra», war viel stärker als die
anderen Schüler GESSNER'S medizinisch orientiert. Er betätigte sich erfolgreich
auf gemeinnützigem Gebiete. Vor allem ist ihm die Gründung des medizinisch-chirurgischen Institutes im Jahre 1782 zu verdanken. Nach dem
unerwarteten Tode von Dr. SALOMON SCHINZ wurde er als Chorherr und Professor Physicae et Mathes. am Carolinum als Nachfolger GESSNER'S gewählt,
dem er «gleich uneigennützig wie sein Vorgänger die Einkünfte des Canonicates» überliess und sich mit einer überaus mässigen Entschädigung begnügte.
In den beiden Dissertationen der Jahre 1795 und 1796 «Positiones Physicae»
unterscheidet RAHN das Mineralreich vom Pflanzen- und Tierreich, gibt zahlreiche experimentelle Beweise für die Teilbarkeit der Materie und baut gedanklich auf den Arbeiten GESSNER'S und BREITINGER's auf. Er erwähnt auch
schon KANT'S Werk «Über das Organ der Seele». Beachtenswert ist die sorgfältige Abwägung der Bedeutung der Experimente in der Naturforschung.
Von 1803 bis 1812, dem Jahre, da er der Wassersucht erlag, amtete er auch
als Präsident der Physikalischen Gesellschaft, die unter seinem Präsidium
im Jahre 1808 ihren Namen in Naturforschende Gesellschaft umänderte.
Nachdem wir so in aller Kürze die wissenschaftliche Tätigkeit der wichtigsten Schüler GESSNER'S besprochen haben, haben wir bloss noch zwei Problemkreise zu berühren. Einmal haben wir dem neuen Aufschwung des Vermessungswesens zu gedenken, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit der
allgemeinen Zunahme des Interesses an wissenschaftlichen Fragen zu beobachten ist. Zweitens vermittelt die Durchsicht des Kataloges der Bibliothek
der Naturforschenden Gesellschaft lehrreiche Einblicke in die Wandlung der
geistigen Interessen der Mitglieder dieser Gesellschaft im Laufe der Jahre.
Als obrigkeitlicher Ingenieur wirkte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Johannes Müller (1733-1816). Er trat im Jahre 1756 in den Dienst
der Stadt als Nachfolger des Ingenieurs Jox. HEINRICH VOGEL (1671-1753). «Er
lieferte von 1756-1798 eine grosse Zahl von Zehntenplänen, Lehenplänen, Waldplänen, Hochbaurissen, Herrschaftsrissen und Marchenrissen im amtlichen
Auftrage (146) .» Seine bedeutendste Leistung ist der Grundriss der Stadt
Zürich im Maßstab von etwa 1: 1000 in 20 Blättern, den er in den Jahren
88
1788-1793 aufnahm und zeichnete. JOHANNES MÜLLER war nebenbei, wie wir
bereits gezeigt haben (siehe Kapitel IV) als Kalendermacher tätig.
Über die Tätigkeit der mathematisch-militärischen Gesellschaft, des Ingenieurs JOHANNES FEHR (1763-1823), die Schaffung eines verkleinerten Übersichtsplanes der Stadt Zürich durch den auf dem Bielersee verunglückten Sohn
DAVID (1789-1815) des Zeugherrn DAVID BREITINGER orientiert ausführlich
und gründlich R. WOLF in seiner «Geschichte der Vermessung» und der zusammenfassende Bericht des statistischen Amtes «Über das zürcherische Vermessungswesen». Daneben scheinen auch noch andere Kreise der zürcherischen Bürgerschaft sich mit mathematischen Problemen beschäftigt zu haben.
So befindet sich in . den Akten des Staatsarchivs ein Sammelband «Trigonometria et Logarithmica» (B IX 94), der eine grosse Zahl von mit umfangreichen
Rechnungen bedeckten Blättern enthält. Es scheint sich um Blätter aus dem
Nachlasse des Bankiers SALOMON PESTALUZZ (1753-1840), des nachmaligen
Mitgliedes des Grossen Rates und Spitalpflegers zu handeln. Ein Bankier, wie
SALOMON PESTALUZZ einer war, wurde schon durch seinen Beruf auf die Beschäftigung mit mathematischen Problemen hingelenkt. Dies belegen die zahlreichen Bücher, welche im 18. Jahrhundert auch in der Schweiz zur Erleichterung der Umrechnung der verschiedenen Geldsorten gedruckt worden sind.
Der Katalog der Bibliothek der Naturforschenden Gesellschaft (147) umfasst mit den Ergänzungen über 2100 Nummern. Er spiegelt den Interessenkreis der Physikalischen Gesellschaft recht getreulich wieder. Die Nummern
verteilen sich auf die einzelnen Sektionen wie folgt:
I. Bücher allgemeinen Inhaltes, Encyklopaedien, Briefe und Reisebeschreibungen 344 Nummern (davon Reisebeschreibungen 160 Nummern).
II. Mathematik 154, Astronomie 126, Mechanik 20, Hydraulica 14, Hydraulische Maschinen 5, Schiffsbaukunst 5, Hydrotechnik 4, Optik 24 Nummern.
III. Physik 220 Nummern (davon Wärme 25, Elektrizität 67 Nummern).
IV. Chemie 53 Nummern.
V. Technologie 63 Nummern.
VI. Physikalische Geographie 81 Nummern.
VII. Naturgeschichte 641 Nummern (davon Zoologie 209, Botanik 271 und
Mineralogie und Geologie 101 Nummern).
VIII. Landwirtschaftliches 278 Nummern.
IX. «Analecta Metaphysica» 27 Nummern.
Das Übergewicht der Naturgeschichte ist unverkennbar. Nicht weniger bedeutsam ist eine Durchsicht der Anzahl der Werke, mit denen bedeutende
Gelehrte vertreten sind und die Jahre der Anschaffung der betreffenden Werke.
Wenn z. B. GALILEI'S Werke erst in der Ausgabe des Jahres 1740 vertreten
sind, so liegt der Schluss nahe, GALILEI's Werke seien frühestens im Jahre 1740
angekauft worden. LINNE ist mit 31 Werken, J. H. LAMBERT mit 14, EDLER
mit 12, DESCARTES, JEAN BERNOULLI und NEWTON je mit 8, LALANDE mit 6,
HUYGHENS mit 5, VOLTA Und A. VON HALLER mit je 4, WOLF und JEAN BER89
NOULLI mit je 3, LAVOISIER, GALILEI (allerdings darunter sämtliche Werke),
FOURCROY und KEPLER (nur mit zwei unwichtigen Büchern) mit je zwei Bänden und GEORG STAHL, MARIOTTE, KOOK, JAKOB BERNOULLI mit je einem Werk
vertreten. NEWTON taucht erstmals mit der Jahreszahl 1723 in Zürich auf.
Es handelt sich um eine Ausgabe der «Phil. nat. Princ. math.» und eine Ausgabe der «Analysis». Die Optik stammt aus dem Jahre 1740. Nach 1744 wurden
dann die Gesamtwerke NEWTON'S übernommen. Diese bibliophile Angabe deckt
sich mit unseren anderen Feststellungen, dass erst kurz vor der Gründung
der Physikalischen Gesellschaft im alten Zürich eine Wendung des Denkens
im Sinne modernerer, freierer Auffassungen, eine Wendung zum experimentellen Denken (148) und eine ziemlich allgemeine Anerkennung des kopernikanischen Systems festzustellen ist.
Mit dem Zusammenbruch des alten Zürich nach dem Einmarsch der Franzosen begannen sich bald neue Kräfte zu regen. Zwar brachten der politische
Umsturz, die Kriegszeiten und die napoleonischen Feldzüge schwere materielle Schäden, dafür aber auch neue politische und wirtschaftliche Rechte.
Als Ausdruck des neuen Geistes können zum Beispiel die seit dem Jahre 1799
eingeführten Neujahrsblätter der Naturforschenden Gesellschaft betrachtet
werden, deren Themen allerdings in den ersten Jahrzehnten stets naturgeschichtliche Gegenstände betrafen. Die Naturforschende Gesellschaft setzte
im 19. Jahrhundert ihre Tätigkeit zunächst im gewohnten Rahmen fort, wie
wir im nächsten Kapitel zeigen werden.
XIX. Kapitel Übergang zum 19. Jahrhundert (Aus der Tätigkeit der
physikalisch-naturforschenden Gesellschaft bis zur Gründung
der Universität).
Die Berichte über die Tätigkeit der Naturforschenden Gesellschaft Zürich (149) sind auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer noch recht lückenhaft und unvollständig. Bis zum Jahre 1825 besitzen wir leider überhaupt
keine Aufzeichnungen über die Verhandlungen. Dagegen hat vom 11. April
1825 bis zum März 1832 der Sekretär der Gesellschaft, der spätere Universitätsprofessor Dr. HANS LOCHER-BALBER (150), jedes Jahr einen ausführlichen,
gedruckten Bericht verfasst, dem jeweilen wertvolle Angaben über die Tätigkeit der «Naturforschenden» entnommen werden können. Von 1832 bis 1837
übernahm der Nachfolger im Amte des Sekretärs, V.D.M. FERD. KELLER, die
Berichterstattung (151) . Bis zum Jahre 1847, in dem erstmals die «Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich» erschienen, klafft eine
Lücke. 1856 wurden die «Mitteilungen» in «Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich» umgetauft.
Nach Dr. LOCHER dienten die bereits erwähnten Neujahrsblätter der Gesellschaft der «Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, zur Berichtigung
und Aufklärung mancher irrigen oder abergläubischen Ansichten» (/52). Und
Dr. F. KELLER betont die Bedeutung der Gesellschaft für die aufgeklärten
90
industriell und kaufmännisch tätigen Schichten der zürcherischen Bevölkerung: «Unsere Gesellschaft bietet dem Chemiker und Fabrikanten einen erwünschten Vereinigungsort dar, wo dieser, ohne dass er durch eigenes mühsames Forschen seine Zeit verliert, von jenen über die zweckmässigsten Verfahrungsweisen in seinem Gebiete und über neue Entdeckungen Aufschluss
erhalten kann.» Viele Vorträge seien auch «der genauen Kenntnis unseres
Vaterlandes gewidmet» (153).
Im Jahre 1825/26 zählte die Naturforschende Gesellschaft 35 ordentliche
neben 77 einheimischen Mitgliedern und 17 schweizerischen und 50 ausländischen Ehrenmitgliedern. Die Mitgliederzahl überschritt demnach keineswegs
die Mitgliederzahl des 18. Jahrhunderts. Einzig die Zahl der Ehrenmitglieder
war stark vermehrt worden. Die 35 Gegenstände, über welche im Jahre 1826/27
vorgetragen wurde, verteilten sich weniger einseitig auf die Naturbeschreibung
und Naturgeschichte wie im 18. Jahrhundert:
Physik
Hydrotechnik
Geognosie
Chemie
Exakte Naturw.
6
2
2
1
11
Zoologie
Botanik
Medizin
Erd- und Reisebeschr.
4
3
6
3
Naturgesch., Naturbeschr. 16
und Medizin
Landökonomie
Geschichtliches
4
4
Diverses
8
Die exakten Naturwissenschaften sind unter den Vortragsthemen etwa mit
einem Drittel vertreten. Es wurden von chemischen und physikalischen Problemen besprochen die Eisbildung (154), die Gasbeleuchtung (155), die Dampfmaschinen (155), der Diamagnetismus nach Arago (155), die Luftschiffahrt und
die ätherischen Öle (156). Im vorangehenden Jahre kamen nach dem gleichen
Bericht aus dem Umkreise der Physik und Chemie zur Sprache: farbige Schatten (154), das Elmsfeuer (154), die Ausmessung der Tiefsee (154), die Luftspiegelungen (155), die chemischen Eigenschaften der Fette (156), drei Analysen von schweizerischen Mineralwässern (157) und eine zürcherische Blitzableiterstatistik (158) .
In ähnlichem Rahmen bewegen sich die Vorträge der nachfolgenden Jahre.
An Referenten und wichtigeren Themen mögen aus den Gebieten der Physik
und Chemie herausgehoben werden: Chorherr Dr. SAL. SCHINZ, Bibliothekar,
über Stickstoff und einen Blitzschlag in Bern (1827/28); Dr. J. GOTTFR. EBEL
über Schweizerische Erdbeben (1828/29) (159) ; Hofrat Prof. JoH. CASPAR HoRNER über Astronomische Zeitbestimmung (1828/29) , Messung der geographischen
Länge (1829/30), physikalische Erdbeschreibung, Erosion, «Ebbe und Flut»,
Wässerige Niederschläge, Hygrometer, Abendbeleuchtungen (1831/32), Magnetismus (1832 bis 1834); Kantonsapotheker IRMINGER über die Lampe von DöBEREINER, Oxydation von Alkohol zu Essigsäure, die Elemente, Selen, Chrom,
Tellur, Kadmium und Antimon (1828/29), Uran, Wolfram, Titan, Tantal,
Cobalt und Mangan (1829/30); Prof. VON ESCHER über die Elemente Brom und
Jod (1828/29), Akustik, Optik und sibirisches Klima (1829/30), eine Erklärung
des Nordlichtes als eine Dunsterscheinung von Wasser und Wasserstoff
91
(1831/32), optische Täuschungen und farbige Schatten (1835/36); Dr. med.
über Chlor (1828/29) (160), die Wirkung von konzentrierter Schwefelsäure auf Weingeist mit analytischen Angaben über den Äther und Alkohol
(1829/30), die Gärung von Wein und eine vulkanische Theorie der Thermalwässer (1833), Gerbstoff, Kreosot und Paraffin (1834), Platinschwarz als
Katalysator der Oxydation von Alkohol zu Essigsäure (1835) ; Prof. MoussoN
über Lichtbrechung und Wärmelehre (1835), Galvanismus (161) und Passivierung des Eisens durch Salpetersäure (1836), Meteore und Faradays Induktionserscheinungen (1837); ESCHER VON DER LINTH über Phosphorescenz von
Mineralien beim Erwärmen (1835); DAVID WIESER über einige Eisenerze (1836);
Prof. LöwIG über Entwicklung der Chemie (162), Schwierigkeiten der organischen Chemie der indifferenten Stoffe, Beiträge zur Theorie der Amide, speziell des Oxamids, Reaktion von reinem Holzgeist und Weingeist auf Kalium
(alles 1837); Apotheker LAVATER über die katalytische Kraft (1837). Viele
dieser Vorträge waren mit Demonstrationen und Versuchen verbunden. So
heisst es über einen Vortrag über die ätherischen Öle: «Aus diesem Fache hat
Hr. Cantons-Apotheker IRMINGER die wesentlichsten Momente der ätherischen
Öle vorgetragen ... viele vorgezeigt, vor allem inländische ...»
Speziell die Arbeiten von Prof. LöwIG aus dem Jahre 1837 bestätigen, dass
durch die Schaffung der Universität, an der Prof. MoussoN (163) als Physiklehrer und seit 1837 Prof. LÖWIG als Chemielehrer wirkten, ein neuer Geist
im naturwissenschaftlichen Leben der Stadt Zürich wirksam wurde. An Stelle
des gelegentlichen Experimentierens trat die systematische wissenschaftliche
Forschung. Die Naturforschende Gesellschaft erweiterte sich zur wissenschaftlichen Akademie, in der immer mehr den Dozenten der Hochschulen das
führende Wort zufiel. Bis zur Gründung der Zürcher Universität war die
Naturforschende Gesellschaft eine Vereinigung von Liebhabern der Naturforschung geblieben, in der von einzelnen mehr oder weniger kompetenten
Fachleuten über die Fortschritte in einzelnen Wissenszweigen berichtet oder
einfachere Beobachtungen heimatkundlichen und auch medizinischen Charakters mitgeteilt wurden.
Eine Bestätigung für die vorherrschenden Interessenrichtungen der Naturforschenden Gesellschaft vor der Gründung der Universität im Jahre 1832
gewähren auch die in den Berichten des Sekretärs LOCHER-BALBER ausgeführten Abrechnungen über den Ankauf von Büchern. Wie schon im 18. Jahrhundert wiegt der Ankauf von Büchern naturgeschichtlichen oder gemischten
Inhaltes weitaus vor. Die Auslagen für Werke der exakten Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Mathematik und Astronomie) schwanken in den einzelnen Jahren zwischen 6 % und 21 %, ein deutlicher Hinweis auf das verhältnismässig geringe Interesse, das den Fächern der exakten Wissenschaften
traditionsgemäss im alten Zürich entgegengebracht wurde (164) . Zürich ist
noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Stadt mit einer Bevölkerung, welche
die exakten Wissenschaften nur im allerkleinsten Kreise pflegte, ein Beleg
für die Tatsache, dass die sozialpsychologische Struktur weitgehend durch
soziale Institutionen erhalten und reproduziert wird.
-
FINSLER
92
Anmerkungen
(1) R. WOLF hat in den «Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz» (4 Bde., Zch.
1858-1862) 80 Biographien bedeutender Naturforscher vereinigt. Davon sind 69 Reformierte und Calvinisten und 5 Katholiken, der Rest verteilt sich auf im Auslande tätige
Forscher oder Forscher, deren Glaubensbekenntnis nicht leicht zu bestimmen ist. Wenn
auch die Auswahl, welche WOLF durchführte, in einzelnen Punkten etwas einseitig war,
z. B. Zürich leicht bevorzugt wurde, zeigt doch schon die geographische Verteilung der
Herkunft der einzelnen Forscher ein starkes Überwiegen der Stadtkantone und reformierten Gebiete: Zürich ist mit 15, Genf mit 13, Basel mit 11, Bern mit 8 Forschern vertreten.
Aus der Ostschweiz (St. Gallen, Appenzell, Glarus, Graubünden) stammen 9, aus den
Kantonen Bern, Aargau und Solothurn 6, aus der Westschweiz (Waadt, Neuenburg) 5,
aus den Kantonen Zürich und Thurgau 4 und aus der Nordschweiz (Schaffhausen) und
der Zentralschweiz (Luzern, Urkantone) je 3 Forscher.
Analoge Zahlenverhältnisse ergeben sich beim Vergleich jener Forscher, die in der von
ED. FUETER anlässlich der Schweiz. Landesausstellung veröffentlichten Schrift «Grosse
Schweizer Forscher» erwähnt wurden. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts finden wir je
8 bedeutende Mathematiker, Naturforscher und Geographen aus Basel und Genf, 4 aus
Zürich und 1 aus Bern, weitere 4 kommen aus der Ostschweiz, 2 aus der Zentralschweiz und je 1 aus der West- und der Nordschweiz. Das Verhältnis der Reformierten
und Calvinisten zu den Katholiken ist 20 zu 2. Im 19. Jahrhundert stammen nur noch je
ein bedeutender Forscher aus Basel, Bern und Genf, 4 aus Zürich, je 3 aus der Westschweiz und den Kantonen Bern und Aargau, je zwei' aus der Ostschweiz und dem Kanton
Zürich, und einer aus dem Kanton Baselland. Alle sind reformiert. Analoge Verhältnisse
liegen bei den Schweizer Ärzten («Schweizer Ärzte als Forscher, Entdecker und Erfinder»,
Ciba 1946) vor: 44 reformierte, 3 katholische und 13 Ärzte mit anderer oder fraglicher
Konfession.
(2) Die grosse Entwicklung der Genfer Naturforschung seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, aber vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ist einesteils auf den Sieg
der Aufklärung, andernteils auf den wachsenden Wohlstand Genfs zurückzuführen.
«Jusqu'à cette époque le plus gros obstacle fut la pauvrete. Geneve etait epuisee par la
longue lutte qu'elle dut soutenir contre les dues de Savoie. On etait pauvre et l'on ne
pouvait choisir une profession liberale qui ne fut un gagnepain. Tandis que Bale, par
exemple, jouissant à la meme epoque d'une ancienne prosperite ...» (Aus «Physiciens et
Naturalistes Genevois» par PIERRE REVILLIOD. Genf 1942, S. 5). Wahrscheinlich bestehen
zwischen der bedrängten ökonomischen Lage der Genfer Bürgerschaft und dem asketischen
Rigorismus des Genfer Calvinismus enge sozialpsychologische Zusammenhänge.
(3) Nach EMIL J. WALTER: «Statistische Untersuchung über das Handwerk auf der Landschaft im alten Zürich». Zeitschrift für schweiz. Stat. und Volkswirtschaft. 80. 1944.
(4) EMIL WALTER: «Das Handwerk im alten Zürich». Volkshochschule 1942. S. 182. Derselbe: «Die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks auf der Landschaft im alten Zürich»
und «Die berufliche Gliederung der Bevölkerung des alten Zürich im Gebiet um den
Zürichsee». Zürcher Monatschronik 1942 Nr. 7, 1943 Nr. 6.
(5) Siehe WASER'S Manuskripte, wiedergegeben in der Diss. von E. ANDEREGG: «JOH. HEILAR.
WASER, sein Leben und sein Werk», Zürich 1932: «Je freier ein jeder Bürger über den
Zustand seines Staates öffentlich reden und schreiben kann, desto mehr ächter Patriotismus
wird in selbigem entstehen ...»
(6) MARIA, die Schwester ANNA WASER'S.
(7) Antistes der Zürcher Kirche seit 1688, geb. 6. August 1649, gest. 24. August 1713.
Professor der Theologie in Hanau und den Niederlanden. Bekannt ist der Prozess wegen
einem angeblichen Poltergeist im Antistitium 1701-1705. Antistes KLINGLER glaubte während Jahren an den Poltergeist. Er war verheiratet mit REGULA HESS, der Tochter eines
Ratsherrn, dessen Vater damals der reichste Zürcher war. BERNHARD WIRZ, einer der «Poltergeister», wurde hingerichtet.
93
(8) Erst im 18. Jahrhundert führte um 1713 J. J. SCHEUCHZER Privatkollegien für angehende Politiker ein («Die politische Erziehung im alten Zürich» von Prof. LEO WEISZ,
Zc. 1940, S. 132), die immer stärkeren Anklang fanden. Im 18. Jahrhundert unterrichteten
viele Privatlehrer Rechtskunde.
(9) Denkrede vor der Naturforschenden Gesellschaft in «Gesammelte Schriften» von Dr.
PAUL USTERI. Aarau 1832, S. 101.
(9a) Unter ihnen finden wir auch HEINRICH WASER, der im folgenden Jahre enthauptet
wurde. Das Schicksal WASER'S erscheint vielleicht in einem etwas anderen Lichte, wenn
man die grosse Zahl von Geistlichen beachtet, die im alten Zürich vor der Französischen
Revolution auf eine Pfarrstelle zu warten gezwungen waren.
(10) Coll. Publ. 10 Professoren (2 Mediziner); Coll. Hum. 4 Professoren; Schola Renovata 7 Lehrkräfte; Schola Abbat. 4 Lehrkräfte; Kunstschule 3 Professoren und 4 Lehrer
meist nicht geistlichen Standes. DAVID BREITINGER (1737-1817), Professor der Mathematik
an der Kunstschule hatte zuerst Theologie studiert. Dank der Gründung der Kunstschule
konnte er sich einen neuen schönen Wirkungskreis schaffen, nachdem er eine Predigerstelle im Auslande gesucht hatte.
(11) Im Jahre 1620 wurde JoH. HALLER (1573-1621) mitsamt JAKOB BüRKLI, dem Jungen,
als Ingenieur gewählt, starb aber bereits im folgenden Jahre. Das Manuskript «Les secrets
de la guerre», im Jahre 1598 begonnen, blieb unvollendet.
(12) Siehe RUDOLF WOLF: «Geschichte der Vermessungen in der Schweiz». Zürich 1879.
Seite 75-78. ALBERTIN erhielt 1735 ein Stipendium zur «Perfectionierung seiner Ausbildung»
bei der Deutschen Armee «am Rhin-Strom» von 200 Thalern aus dem Seckelamt; für das
ab Frühjahr 1736 ausbezahlte Wartgeld hatte er Inspektor VOGEL als Adjunkt zu dienen;
dieses Wartgeld wurde 1746 verdoppelt. (Es fragt sich noch, ob nicht von 1736 bis 1746 der
Geldwert gesunken ist.) Eine Bittschrift vom Jahre 1760 erreichte nur eine unwesentliche
finanzielle Besserstellung. Auch wurden ALBERTIN zu wenig zusätzliche Vermessungsaufträge zugehalten, so dass der ökonomische Zusammenbruch der grossen Familie im Jahre
1765 unvermeidlich wurde. JOH. HEINRICH VOGEL, der Vorgesetzte ALBERTIN'S war 1699 zum
Inspektor des Feuerwerkkollegiums gewählt worden und gab seit 1746 als der «Math.
Künsten Liebhaber» den «Neuen Sackkalender» heraus.
(13) CONRAD GESSNER (1516-1565) wurde nach 1541 zum Lehrer Physicae am Carolinum
ernannt. Er behielt diese Stellung bis zu seinem Tode. Allerdings wurde er erst 1558 Chorherr. KASPAR WOLF (1532-1601), welcher 1557 als Doctor der Philosophie, Medizin und
Chirurgie in Montpellier promoviert hatte, übernahm nach GESSNER's Tode gemeinsam mit
GEORG KELLER dessen Lehrstelle. Nach dem Verzeichnis der «Disputationes Ministrosum in
Eccl. Tigurina Juniorium» (Zentralbibl. Zürich Ms. 162.5) zu schliessen, wurden am Carolinum im 17. Jahrhundert nur zufällig und sporadisch naturwissenschaftliche Themen
behandelt, so 1602 durch Prof. HEINRICH LAVATER, 1635 durch Prof. CASPAR LAVATER, 1653/54
durch Prof. JoH. Run. GYGER und 1667 durch Prof. HEINRICH LAVATER. Erst gegen Ende des
17. Jahrhunderts wird die naturphilosophische Lehrtätigkeit an der Zürcher Theologenschule etwas lebhafter. Seit dem Jahre 1691 amten Dr. med. SAL. HOTTINGER (1649-1713)
und Dr. med. JOH. VON MURALT (1645-1733) als Professores Physicae, wobei vor allem
SAL. HOTTINGER nach 1698 fast jedes Jahr naturwissenschaftliche Disputationen leitete (Über
die Milch, den Wein, den Blitz, das Leben, die Schöpfung u. a. m.). Dr. med. JoH. JAKOB
SCHEUCHZER (1672-1733) wurde 1710 Mathematiklehrer und erst in seinem Todesjahr Professor Physicae. Wir stellen in nachstehender Übersicht die Inhaber der naturwissenschaftlichen Lehrstühle am Collegium Carolinum von der Reformation bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf Grund der Pfrundbücher (Staatsarchiv B X 86 vom Jahre 1682, B X 87 vom.
Jahre 1700, B X 113 vom Jahre 1705) zusammen:
1525-1542 OTTO WERDMÜLLER (?).
1542—?
MELCHIOR WIRZ (gest. 1559?).
1558-1565 CONRAD GESSNER (1516-1565) Med. Doct.; Chorherr; Prof. Physicae.
1566-1601 GEORG KELLER (1533-1603) Med. Doct.; Stadtarzt; Chorherr (seit 1578).
1566-1601 KASPAR WOLF (1532-1601) Med. Doct.; seit 1578 Chorherr und Professor des.
Griechischen.
94
1601(1605?) HEINRICH LAVATER (1560-2.1.1623) Med. Doct.; Chorherr (Haus zur Weinreben).
(1588?)-1623
1623-1637 JOHANN CASPAR LAVATER (1586-1637) Med. Doct.; Prof. Physicae; Chorherr.
1624-1625 CHRISTOPH. GYGER [gest. 1625 (1626?)]; Med. Doct.; Chorherr; Prof. der «Naturlehre»; «Kalendersteller».
1637-1648 JAKOB FRIESS (gest. 1648?) Med. Doct.
1637-1662 JoH. RuD. GYGER (1603-13. 4. 1662) Med. Doct.; wird 1648 Verwalter (?);
Kalendersteller seit 1639; Chorherr und Stadtarzt.
1662-1691 HANS HEINR. LAVATER (1611-1691) Med. Doct.; Chorherr («Zusitz Hauss Reben»);
Stadtarzt.
1691-1713 SALOMON HOTTINGER (6. Juni 1649-27. Okt. 1713) Med. Doct.; Prof. Physicae
general.
1691-1733 JOHANNES V. MURALT (18. 2. 1645-12. 1. 1733) Med. Doct.; Stadtarzt seit 1688.
Prof. Physicae spec. seit 1691; Chorherr 1713.
JOHANN JAKOB SCHEUCHZER (2. 8. 1672-23. 6. 1733) Med. Doct.; seit 1710 Prof.
1733
Mathematicae (Nachfolger HERRLIBERGER'S); Chorherr und Prof. Physicae 1733.
1733-1738 JOHANN SCHEUCHZER (1684-1738) Med. Doct.; Chorherr.
1738-1778 JOHANN GESSNER (18. 3. 1709-6. 5. 1790) Med. Doct.; Prof. Physicae; Chorherr.
1778-1784 SALOMON SCHINZ (1734-1784) Med. Doct.; Chorherr; Prof. Physicae.
1784-1812 HEINRICH RAHN (1749-1812) Med. Doct.; Chorherr.
Die Stellung des Prof. Physicae oder Prof. der Naturlehre wurde seit CONRAD GESSNER
im alten Zürich stets Medizinern übertragen.
(14) P. LEEMANN-VAN ELCH: «Die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung des Buchdruckes in der Schweiz». Zürich 1945.
(15) «Die politische Erziehung im alten Zürich» von Prof. Dr. LEO WEISZ, Zürich 1940.
Seite 138 ff.
(16) R. WOLF: «Gesch. d. Verm. i. d. Schweiz». Seite 14.
(17) R. WOLF, l. C. Seite 16 ff. Die Familie der MURER stammt aus Grüningen. JOST MURER
war Sohn des Amtmannes HANS MURER, der 1564 als Zunftmeister starb. JOST MURER wurde
1571 Mitglied des Rats und 1578 Amtmann in Winterthur. Einer der drei Söhne, Pfarrer
HANS MURER (1556-1641), stellte als Glasmaler Sonnenuhren her und «war ein grosser
Liebhaber der Mathematik».
(18) Nach dem Biographischen Lexikon soll LEONHARD ZUBLER am 26. Aug. 1611 gestorben
sein. Leider kann diese Angabe nicht nachgeprüft werden, weil gerade für den Beginn
des 17. Jahrhunderts weder im Stadtarchiv noch in der Zentralbibliothek entsprechende
Totenregister vorhanden sind.
(19) Im 4. Bande der Biographien werden von ZUBLER und EBERHARDT Seite 33 in einer
Fussnote im Zusammenhange mit der Lebensbeschreibung ARDÜSER'S einige Lebensdaten
und ihre Schriften mitgeteilt.
(20) Erstmals in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 12., 19. und 26. Dezember 1943 veröffentlicht und in das vortreffliche Werk «Die Schweiz auf alten Karten» (Verlag NZZ.
1945) übernommen.
(21) «Kurzer Bericht von dem neuen geometrischen Instrument oder Triangel» von
PH. EBERHARDT und LEONH. ZUBLER, Zürich 1602. 2. Aufl. 1603; Basel 1614 und 1625. Lat.
Ausgabe durch JoH. CASPAR WASER in Basel 1607, 1614 und 1625. Ferner «Der ander Tractat.
Kurtzer und gründlicher Bericht von dem neuen geom. Instrument oder Triangel», Zürich
1602 und 1604, Basel 1604 und 1606. «Fabrica et Usus Instrumenti Chorographici» von LEONH.
ZUBLER allein, Basel 1607. «Neue Geometr. Büchsenmeisterey» von L. ZUBLER, Zürich 1608,
Basel 1614. «Nova Instr. Sciotericum» von L. ZUBLER, Zürich 1609, Basel 1614. «Einfache und
grundtliche Erklehrung dreyer fürnemmer Mathematischer kunststucken» von PHILIPP EBERHARDT, Zürich 1616.
(22) Aus «Fabrica et Usus Instrumenti Chorographici. Das ist Neuwe Planimetrische Beschreibung: Wie man mit einem leichten und geringen Instrument alle Städte, Gärten,
Weyler und Landschafften jeder in seine gewisse Lägerstatt und Proportion auffreissen
95
und verjüngen soll». Basel 1607. Beschreibung des Zeichenbrettes im 2. Kapitel. Unser
Zitat stammt aus dem 9. Kapitel.
(23) Genauere Werte sind für Zürich 47° 23', Basel 47° 30', Biel 47° 8', Konstanz 47° 38',
Schaffhausen 47° 42', St. Gallen 47° 27', Mühlhausen 47° 45', Köln 50° 55', Chur 46° 48',
Sitten 46° 13'.
(23a) Der Schul- und Rechenmeister an «der neuwen Teutschen Schule» HEINRICH
STRÜBI gab schon 1588 eine Arithmetica («Ein neuw künstlich Rechenbüchlein») in Druck,
das 1616 von PHILIPP GEIGERN als «Arithmeticae Strubianae» neu herauskam. Andere Rechenbücher oder Arithmetica von PHILIPP GEIGER, «Rechenmeister und Burger der Stadt Zürich»
erschienen in Basel 1617, in Zürich 1622 und 1623.
(24) L. WEISZ. l. C. NZZ. 13. Dez. 1943.
(25) «Zur zürcherischen Kartographie des 17. Jahrhunderts» von Dr. A. LARGIARDER.
Zürcher Taschenbuch 1938. Seite 128 ff.
(26) Nach der «Geschichte der Zürcher Stadtbefestigung» von ALFRED MANTEL, (Neujahrsblätter der Feuerwerkergesellschaft 1919/20/21), wurde ARDUSER das Bürgerrecht geschenkt, ein Barlohn von 300 Gulden ausgesetzt und ihm 12 Eimer Rotwein, 12 Mütt Kernen,
8 Klafter Buchenholz und freie Behausung oder 60 Gulden Mietentschädigung zugesprochen. Gemessen an den im 18. Jahrhundert üblichen Ansätzen eine grosszügige Entlöhnung.
(27) Die «Architectura» des WALTER RYFF ist auch für ARDUSER'S Werk eine Art Vorläufer in deutscher Sprache, wenn auch W. RYFF die praktische Geometrie nicht so gründlich wie ARDUSER behandelte. Nach LEO WEISZ ist ARDUSER'S Werk «das erste, deutsche,
Theorie und Praxis gleich behandelnde Handbuch der Geometrie».
(28) «Unbekannte Verdienste Zürichs um die moderne Vermessungstechnik» von Prof.
LEO WEISZ. Neue Zürcher Zeitung, Dezember 1943.
(29) Eine Messkette bestand aus 10 zuammenlegbaren, je 10 Schuh langen Meßstäben
aus Holz.
(30) Das Winkelkreuz ist eine Scheibe (oder ein Quadrat), die auf einem 5 Schuh
hohen Stab befestigt und durch zwei Durchmesser in vier oder eventuell auch in acht Teile
geteilt wurde. Es soll gebraucht werden, wenn man weder das Instrumentum partium
noch den Quadranten mit der Horizontalscheibe «bei banden hat».
(31) «Geometriae Theoricae et Practicae oder von dem Feldmässen», 14 Bücher. Von
Hauptmann JOH. ARDÜSER, JOH. JAC. BODMER, Zürich 1646. Dedication, Vorrede und die ersten
12 Bücher sind ein unveränderter 4bdruck der ersten Auflage.
(32) Der Untertitel des 13. Buches lautet: «Von Zubereitung, Vermehrung und Verwendung allerley Corporn». Es ist nicht sehr umfangreich und kann wohl nur zum Teil
als eine Ergänzung des Werkes im Sinne einer gründlichen Behandlung der Stereometrie
bezeichnet werden.
(33) «Wie ein jeder Platz auf eine neue Art zu bevestigen» von Haubtm. JOH. ARDUSER,
J. H. HAMBERGER, Zürich 1651.
(34) «Baukunst» (Ms. B 82. Zentralbibliothek Zürich). 1654. 16 Seiten Text. 22. Kapitel.
181 Zeichnungsblätter. Meistens Aufrisse, einige Grundrisse.
«Grundrisse von Stetten, Vestungen und Schantzen» (Ms. B 81. Zentralbibliothek
Zürich) 1654. 24 Kapitel. Pläne von Vorwerken und Wällen. Maßstäblich genaue Pläne
auf 169 Blättern mit alphabetischem Inhaltsverzeichnis von den wichtigsten «Vestungen»
Deutschlands, Frankreichs, Hollands und Italiens. Der Stadtbefestigungsplan von Zürich
findet sich auf den Blättern 97 und 98 (97 = Vorschlag WERDMÜLLER'S, 98 = Vorschlag
ARDÜSER'S).
(35) Ms. B 84. Zentralbibliothek Züric. Vier kleinere Manuskripte besitzt die Kantonsbibliothek Chur. [(1) «Der Burgerlichen Gebewen» 1638. (2-4) «Geometriae Practicae»
1638 und 1640.]
(36) Als Ms. B 83 in der Zentralbibliothek Zürich. Dieser Manuskriptband enthält eine
Reihe von nur zum Teil vollendeten Kapiteln.
(37) Siehe u. a. R. WOLF über ARDUSER und ALFRED MANTEL'S «Geschichte der Zürcher
Stadtbefestigung». Über die persönlichen Beziehungen ARDUSER'S zu ZINGG ist bisher kaum
etwas Näheres bekannt, trotzdem die Beziehungen recht enge gewesen sein dürften, da
96
ZINGG, wie wir noch zeigen werden, sich in seinem mathematischen Lehrkursus enge an das
geometrische Hauptwerk ARDÜSER's anschloss und ARDtiSER in der zweiten Auflage der
«Geometriae» ausdrücklich den mathematischen Unterricht von ZINGG erwähnte. Die Stelle
betreffend der Zugehörigkeit ARDüSER'S zum Rat findet sich in Ms. B 84, wo es einleitend
recht selbstbewusst heisst: «Dies hat geschriben Herr JOHANN ARDLTSER, Mathematicus,
Ingenieur. Von Davos in Pünten; ward Zwölfer bei dem Kämbel 1657.»
(38) «Die Algebra oder Analytica oder auch Almucabula ist von allen zeiten hero für
eine fürbündige und tiefsinnige wüssenschaft geprisen worden, vermittelst welcher die
verworrensten geheimnissen der Mathematic mit besonderm vortheil und Lebendigkeit
entdekt; die schweresten Problemata aufgelösst; die wichtigsten Propositiones demonstriert;
und allerhand nüzliche Theoremata leichtlich erfunden werden mögen. Von ihro bekomt
die Arithmetic ihre follkommenheit, die Geometrey ihre klarheit, die Optic ihren rechten
verstand, und die Mechanic ihre wegleitung. Sie ist ein pures ratiocinium und rechte Logic,
dann sie leitet die vernunft, auss bekanten und zugelassenen dingen, die verborgene waarheit ausszuklauben und von der falschheit ausszusöndern. Was in der Philisophey noch
immer disputierlich, in der Astronomey auf ungewüssheit der Hypothesium, und in der
Astrologey auf fabelwerk stehet, das hat alhie nicht plazz: dann da wird kein fallacia,
sophisma und zweifelhafter grund zugelassen; ja der verstand und die Bildung werden
hierdurch sehr erbauen und verschärffet. Wird desshalben dise wüssenschaft von etlichen
Divina quasi scientia geheissen.» (Aus dem Vorbericht.)
(39) Die RAHN sind ein Ratsherren- und Bürgermeistergeschlecht aus Rorbas. JOH. HEINR.
RAHN war ein Sohn des Bürgermeisters HANS HEINR. RAHN (1593-1669), der vom Jahre 1655
bis zu seinem Tode dieses höchste Amt des alten Zürich innehatte. Mitglied des Grossen
Rates seit 1642, Zeugherr seit 1651 kaufte JoH. RAHN 1653 26 schwedische Geschütze für
Zürich, weshalb er auch «Schwed» genannt wurde. In Kyburg amtete er als Landvogt von
1657 bis 1664. In den Kleinen Rat trat er 1670 ein, war 1670 bis 1673 Obervogt zu Küsnacht,
1672 Gesandter über das Gebirge, und seit 1674 Seckelmeister und Reichsvogt. Biographie
siehe bei WOLF, IV. Seite 55 ff. und Familiengeschichte der RAHN von ED. FUETER.
(40) R. WOLF macht darauf aufmerksam, dass J. H. RAHN wohl durch den Engländer
JOHN PELL (1610-1685), der von 1654 bis 1658 als Resident Cromwells in der Schweiz lebte,
die Anregung zu seinem Werke empfing. JOHN PELL hat auch an der 1668 durch THOMAS
BRANCKER in London veröffentlichten Übersetzung des Werkes von RAHN mitgearbeitet:
«An Introduction to Algebra. Translated out of the High-Dutch into English. Much altered
and augmented by Doctor Theologiae PELL. London 1668». RAHN wird weder in ZEUTHEN'S
«Geschichte der Mathematik im XVI. und XVII. Jahrhundert» (Leipzig 1903) noch in der
«Geschichte der Mathematik» von Dr. H. WIELEITNER («Von Cartesius bis zur Wende des
18. Jahrhunderts.» Leipzig 1911) und in den «Vorlesungen» von CANTOR «über die Geschichte
der Mathematik» bloss im Zusammenhang mit der durch EULER veranlassten irrtümlichen
Bezeichnung der Gleichung ax 2 -f 1 = y 2 als «PELLsche Gleichung» erwähnt.
(41) «Gleiches so vil mal alss möglich ist von einer quantitet hinweg thun, heisset
Dividieren
6
2
4
2
2
2
4
2
0
Und 6 Zeilen weiter:
«Eine quantitet von einer andern ein- oder mehrmal abziehen, jedoch dass zuletst nichts
überbleibe, heisset E v o 1 i e r en
8
2
6
2
4
2
2
2
6
4
2
0
Vielleicht meint RAHN beim Dividieren, dass 6 weniger 3 mal 2 (2 = «Gleiches») 0 ergebe
und beim Evolieren, dass wir aus 8 durch 4 malt ebenfalls 0 erhalten. Damit sind aber weder
die charakteristischen Merkmale des Dividierens noch des Evolierens als der inversen
7
97
Operationen der Multiplikation resp. der Potenzierung (bei RAHN als Involvieren bezeichnet) einfach und verständlich zur Darstellung gebracht. Wenn a • b = c ist, so ist die inverse
Operation des Dividierens gegeben als a = c: b resp. b = c: a. Analog für die Wurzel:
Falls ab = c, so gilt a = }%c und b = log c.
(42) Unter «Involvieren» versteht RAHN das Potenzieren (ein Ausdruck, der nach
J. TROPFKE [«Geschichte der Elementarmathematik in systematischer Darstellung», II. Band,
Leipzig 1920-1924] erstmals von KOPPE im Jahre 1836 gemeinsam mit den Ausdrücken
Radizieren und Logarithmieren vorgeschlagen wurde), unter «Evolvieren» das Ausziehen
einer Wurzel.
(43) Siehe J. TROPFKE, l. c. III. Band, S. 96.
(44) Mit a. W. die «Delineation» bedeutet eine geometrische Veranschaulichung der
algebraischen Probleme im Sinne der von DESCARTES geschaffenen analytischen Geometrie,
allerdings ohne Verwendung eines Koordinatensystems.
(45) «Teutsche Algebra», S. 61.
(46) ED. FUETER: «Geschichte der exakten Wissenschaften in der Schweizerischen Aufklärung (1680-1780)», Aarau 1941, S. 23.
(47) Vom Jahre 1666 bis 1752 nahm die Zahl der der Zürcher Synode zukommenden
Pfarrstellen nach den Pfrundbüchern um etwa 30 zu. Da die Pfrundbücher und Visitationsberichte des 17. Jahrhunderts nicht vollständig sind, verzichten wir auf genaue Angaben,
beschränken uns auf die Wiedergabe einer der Grössenordnung nach wohl richtigen Zahl.
(Siehe Staatsarchiv E II 1120.)
(48) Visitationsberichte 1653 und 1654. (Siehe E II 115 Staatsarchiv), 1688 (E II 123),
1699 und 1700 (E II 127).
(49) Regierungsetat des Jahres 1749.
(50) Akten der Expectanten E I 11. 2; siehe auch Eingabe der Expectanten 30. Mai 1662
(Ms. B. 282, Zentral-Bibl.).
(51) Kommentar zu HANS ARD11SER'S Chronik (1572-1614) von Rektor J. BOTT, Chur
1877. Seite 304.
(52) Biographische Angaben nach R. WOLF, l. c. III. Cyclus, S. 79 ff.; «MICHAEL ZINGG
(1599-1676), eine Lichtgestalt in dunkler Zeit» von OSKAR PFISTER, Zwingliana 1944; «Der
Glaubenszwang der zürcherischen Kirche im XVII. Jahrhundert» von O. A. WERDMÜLLER,
Zürich 1845; ausführliche Akten in der Zentralbibliothek (F 185-195; B 5 [14]; B 80a [34])
und im Staatsarchiv (E II 456; E I 62); siehe auch «Der Kampf um das kopernikanische
Weltbild» von E. WALTER in «Volkshochschule» 1945, Seite 129.
(53) R. WOLF, l. c.
(54) Staatsarchiv E II 115. 1651-1652.
(55) Im Pfrundenbuch von HANS JAKOB HESS aus dem Jahre 1705 (Staatsarchiv B X 113)
ist über MICHAEL ZINGG in der Übersicht der Pfarrer von Altstetten nachstehende Notiz
eingetragen: «1650 MICHAEL ZINGG von Fischental. Mathemat. w. Pfarrer gen St. Jakob valit
als ein Secitierer». Im gleichen Pfrundenbuch werden die Pfarreien (reformierte??) der
ganzen Eidgenossenschaft mit 786 angegeben: Zürich Stadt und Land 126, Bern 182,
Luzern 64, Ury 14, Schwyz 19, Thurgeuw 40, Baden 19, Rhyntal B. Wahrscheinlich handelt
es sich um eine unvollständige und in der Hauptsache nur die reformierten Pfarrstellen
umfassende Zählung.
(56) «Gott hat seinen Sohn nicht gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt
durch Ihn selig werde.» Damit habe ZINGG der Lehre von der Gnadenwahl zuwider gehandelt. Er habe auch der armenianischen Lehre und PARACELSUS angehangen, sei der Magie
ergeben und habe aus Frankfurt gottlose Bücher bezogen, an denen er sich «erlustiget».
ZINGG's demütiges Gnadengesuch vom 4. August 1660 wurde abgewiesen, weil er nicht auf
neun an ihn gerichtete Fragen geantwortet habe.
(57) Wahrscheinlich sind bei diesem Anlass auch eine Reihe von naturwissenschaftlichen
(astronomischen, mathematischen) Manuskripten ZINGG's vernichtet worden. Deshalb ist es
nicht mehr möglich, ZINGG's wissenschaftliche Bedeutung abzuklären.
98
(58) R. STEIGER: «JOHANN JAKOB SCHEUCHZER. I. Werdezeit», Zürich 1927, Seite 20. Pfarrer
JOHANN HERRLIBERGER sollte jährlich 15 Gulden, 6 Mütt Kernen und 4 Eimer Wein erhalten.
Da aber im arithmetischen Kurs die Schülerzahl von 11 auf 5, im Kurs über die «Doctrina
Sphaerica» von 16 auf 6 sank, fielen die Schulkurse im nächsten Jahre dahin. Pfarrer
HERRLIBERGER hat für die Geometrie ein einfaches Compendium verfasst. 1781 veröffentlichte er eine kleine Schrift über den «Wunder-Cometen» des gleichen Jahres im Druck.
HERRLIBERGER wurde 1657 Pfarrer in Steckborn und 1677 in der Filiale St. Jakob an der Sihl.
Das Amt des Prof. Mathematicae versah er bis zum Jahre 1709.
(59) RUDOLF WOLF: «Geschichte der Vermessungen in der Schweiz als historische Einleitung zu den Arbeiten der schweizerischen geodätischen Commission». Zürich 1879, 320
Seiten. Eine der besten wissenschaftsgeschichtlichen Studien mit ungemein reichhaltigen
Bezügen zu benachbarten Wissensgebieten, sorgfältiger und vorbildlicher Dokumentation
und vielen wertvollen Anmerkungen. ED. IMHOF und LEO WEISZ: «Die Schweiz auf alten
Karten». Verlag «Neue Zürcher Zeitung», Zürich 1945. Siehe auch W. FISLER und A. SENTI:
«Zürcherisches Vermessungswesen bis 1896» in «Zürcher Statistische Nachrichten 1946».
(60) Zentralbibliothek A W 726; Kal. 1910 a; Kal. 1910 b»; Kal. 1910 bz. Im Kalender des
Jahres 1666 wurde die Zeitrechnung bis zur Erschaffung der Welt und zur Sintflut zurückverfolgt: Danach war das Jahr 1666 «n. Chr. Menschwerdung» das 3973. Jahr nach «dem
allgemeinen Sündfluss» und das 5628. Jahr seit der Erschaffung der Welt.
(61) R. WOLF, l. c. I. S. 167 ff.
(62) Zentralbibliothek R x 94; das von R. WOLF entdeckte Exemplar mit handschriftlichen Zusätzen Ms. G. 466. Der Untertitel lautet: «Besteht in Beschreibung und Gebrauch
Sphaerae Armilliaris, Astrocbpii, Planetolabii und Horologiographiae gnomonicae». Das
Werk enthält umfangreiche Tafeln mit Zahlenangaben über die Bewegung der Planeten,
die Mondbewegung, die Mondbreite und die Sonnenbreite, die Polhöhe und den Zeitunterschied verschiedener Städte zum Meridian von Kopenhagen-Vraniburg, die ganzen und
halben Stundenpunkte eines in 100 Teile eingeteilten Zeigers der Sonnenuhr für die Polhöhen von 46, 47, 48, 49 und 50 Graden usw.
(63) Zentralbibliothek NE 1925.
(64) R. WOLF, l. c. I. Seite 173. Die Polhöhenangaben FÄsl's sind viel genauer als jene
ZUBLER's: Zürich 47° 14'; Zug 47° 0'; Glarus 46° 46'; Bern 46° 54'; Luzern 46° 51'; Basel
47° 43'; Schaffhausen 47° 40'; Chur 46° 32'. FÄSI gibt gleichzeitig die geographischen Längen
an, z. B. Zürich 40° 28'.
(65) H. J. FÄss erwähnt z. B. den Arzt RUDOLF GWERB (1621-1656), von dem er die Beschreibung der Sphaerae Armillaris übernahm und der von 1651 bis zu seinem Tode die
Zürcher Kalender verfasst haben soll. HANS ERHARD ESCHER, Maler und Feuerwerker, publizierte 1659-1689 eine «Beschreibung des Zürichsees sambt den daran gelegenen Orten»...
«reich an mathematischen und naturhistorischen Kenntnissen.»
(66) Zentralbibliothek Ms. D 112. Das Zeichen HR W stammt möglicherweise von
HANS WOLF (1521-1571)
(67) Zentralbibliothek NE 2215.
(68) Zentralbibliothek Ms. D. 87; siehe auch Anmerkung 23a.
(69) JosT MURER (1530-1580). Karte des Kantons Zürich. vom Jahre 1566 auf Holztafeln 34 x 42 cm. Karte der Stadt Zürich vom Jahre 1576. HANS MURER (1556-1641) Pfarrer
in Rickenbach. Mathematiker. Verfertigte 1636 eine grosse astronomische Sonnenuhr.
CHRISTOPH MURER (1558-1614) gab 1582 eine mittelmässige Schweizerkarte heraus. Holzschneider und Kupferstecher.
(70) Zentralbibliothek Ms. L. 530. Nach dem Ratsprotokoll vom 9. März 1670 wurde
erkannt, dass GYGER eine «nammhaffte recompens gar wol verdient, wyle aber ... hat man
der gemeinen Stadt Seckel verschonen wollen ... dass absähen dahin gerichtet, dass synen
Erben zu einer ergetzlichkeit und wohlverdienter Recompens das Ambt im Cappelerhoff
noch etwass Zyths zu verwalten überlassen wurde ...»
(71) Zentralbibliothek Ms. 162 (5).
(72) Im Jahre 1602 arbeitet JOH. RUD. LAVATER eine Arbeit unter HEINR. LAVATER aus.
Die nächste wird 1615 abgenommen. 1635 lässt CASPAR LAVATER eine solche über die Erdbeben
99
ausarbeiten. JoH. RUD. GYGER betreut 1653 und 1654 drei Theses, die sich mit physikalischen
Problemen oder Principien befassen. 1667 verteidigt J. H. LAVATER unter HEILAR. LAVATER
eine Studie über Thermalwässer. Um 1671 verfasst JOHANNES VON MURALT einige medizinische Arbeiten. Die restlichen Thesen werden seit dem Jahre 1694 geschrieben: «De surdo
audiente» von JoH. JAKOB SCHEUCHZER, «De Humoribus» 1696, 1697, 1698 von JOH. VON MURALT
«De cane» 1696 von HEINR. STEINER, «De Fulmine hujus naturam» unter SAL. HOTTINGER,
«De Cristallis» 1698 von JOH. HEINR. HOTTINGER, Theses philo. mescellaneae 1699, beide
ebenfalls unter SAL. HOTTINGER.
(73) Verlag Sauerländer Aarau, 1946.
(74) «Die Kristallologia von JOHANN HEINRICH HOTTINGER (1698)» von P. NIGGLI. Aarau
1946. Seite 10.
(75) l. c. Seite 45-47.
(76) l. c. S. 50 ff. bis S. 74.
(77) Siehe vor allem R. WOLF: Biographien I. S. 180-228. Dr. RUD. STEIGER: «J. J. SCHEUCHZER, I. Werdejahre 1672-1699». Diss. Zürich 1927. «Grosse Schweizer Forscher» von ED.
FUETER. Zürich 1939. Seite 94. B. PEYER: «JOHANN JAKOB SCHEUCHZER im europäischen Geistesleben seiner Zeit». Gessnerus 2. 23. (1945). «CONRAD GESSNER und JOHANN JAKOB SCHEUCHZER»,
Festrede von HANS FISCHER am 7. Sept. 1946. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 1946. Seite 163-196. «JOHANN JAKOB SCHEUCHZER, ein Zürcher Universalgelehrter» von EMIL WALTER. Volkshochschule 1945. Seite 193-197. Eine wenig bekannte
Seite des Lebens und der Tätigkeit ScHEUChzER's, die politische, schildert LEO WEISZ in «Die
politische Erziehung im alten Zürich» Zürich 1940. Seite 127 ff.
Wir geben nachfolgend die wichtigsten Lebensdaten: Geboren 2. August 1672. Tod des
Vaters 1688. 1692/93 Studien an der Universität Altorf, Promotion 1694 Universität Utrecht.
1696 zweiter Stadtarzt nach dem Tode JOH. JAK. WAGNER'S. 1697 Heirat mit SUSANNA VOGEL.
Erteilt Privatunterricht. 1697 Aktuar der Gesellschaft der «Wohlgesinnten», Mitglied der
deutschen kaiserlichen Akademie für Naturforschung. 1702 bis 1711 jährliche Alpenreisen,
mit Ausnahme des Jahres 1708. 1704 Mitglied der Royal Society und der preussischen Akademie der Wissenschaften. 1709 Professor der Mathematik am Carolinum. Aktive Teilnahme
an der Reformbewegung der Jahre 1712/13. Seit 1729 stellvertretender Prof. Physicae, 1733
Stadtarzt und Chorherr. Stirbt am 23. Juni 1733.
(78) Abgesehen von den Reisebeschreibungen «Physica oder Naturwissenschaft» 1. Auflage 1701 (1703), 2. Auflage 1711, 3. Au fl age 1729. «Jobi Physica Sacra oder Hiobs Naturwissenschaft». Zürich 1721. «Kupferbibel ... Physica Sacra oder Geheiligte Natur-Wissenschaft.»
(79) «Einführung in die theoretische Physik» von R. FüRTH. Wien 1936. Seite 1.
(80) R. WOL F' , 1. c. Seite 209.
(81) «CONRAD GESSNER und JOHANN JAKOB SCHEUCHZER» von HANS FISCHER. l. C. Seite 181.
(82) Als SCHEUCHZER im Jahre 1714 eine Berufung an den Hof Peters des Grossen, die
«ihm materielle Besserstellung» und grössere wissenschaftliche Freiheit gebracht hätte, ablehnte, wurde, wie RUDOLF WOLF einem Briefe von GWERB an FüssLI entnimmt «jhme zu
dem Wartgeld und was er zuvor gehabt annoch 100 fl. an Gelt, 12 Mütt Kernen und
12 Eimer Wein geordnet; dafür soll er wuchentlich 3 Stund die Mathesia dociren». Das
Stipendium, das ihm der Rat im Jahre 1691 für das medizinische Studium an der Universität Altorf zusprach, betrug 200 fl. Als Beitrag für seine Alpenreisen wurden ihm, wie
wir ebenfalls aus der Biographie von R. WOLF erfahren, nach 1701 drei Jahre lang 50 Thaler
«zugeordnet». Für die Schweizerkarte des Jahres 1712, welche gegenüber der GYGERschen
Schweizerkarte vom Jahre 1657 über 2000 neue Ortsnamen und auch Höhenangaben enthielt, richtete der Rat ein Gegengeschenk von 500 Gulden aus. Auch die Herausgabe der
«Historia natur. Helvetica» wurde von den Räten reichlich subventioniert. In der Rechnung
des Seckelamtes (Staatsarch. F III 32) vom Jahre 1709/10 wird eine Zahlung von 373 Pfund
6 Schilling 8 Heller als dritte Zahlung auf den Betrag von 100 Louisblanc angeführt. Auch
in den folgenden Jahren 1711/12, 1712/13 und 1713/14 erhielt SCHEUCHZER je 360 Pfund ausbezahlt (1712/13 ausserdem 100 Pfund für die Landkarte). In der Rechnung des Jahres
1714/15 ist dagegen keine Auszahlung an SCHEUCHZER zu finden. Es wäre eine verdienstliche
100
Aufgabe, wenn einmal die Rechnungen des Seckelamtes systematisch durchgearbeitet
würden, um festzustellen, welche Beträge die zürcherischen Räte für kulturelle Aufgaben
vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ausgegeben haben. SCHEUCHZER standen offenbar stets
grössere Mittel zur Herausgabe seiner Werke und Arbeiten zur Verfügung. Aber die
erstrebte Chorherrenpfrund wurde ihm doch erst im Jahre 1733 zugesprochen. Er befand
sich damit offenbar stets in ausgesprochener finanzieller Abhängigkeit von den zürcherischen Behörden und sah sich gezwungen, solche Arbeiten zu schreiben, welche auf allgemeine Anerkennung rechnen konnten.
(83) Augsburg 1. und 2. Teil 1731. 3. Teil 1733. 4. Teil 1735. Französisch als «Physique
sacree ou Histoire Naturelle de la Bible» Amsterdam 1732 bis 1737.
(84) HANS FISCHER, l. c. Seite 183/84.
(85) R. WOLF, 1. C. Seite 210.
(86) «Enchiridion Mathematicum» 1714. Es handelt sich um eine kleine Schrift von bloss
40 Seiten, eine Art stichwortartiges Kompendium, dem eine einzige Tabelle mit einigen
Erklärungen von mathematischen Operationen beigegeben ist. Da wird z. B. AB im Quadrat
2
definiert als AB, AB AB q . Und AB hoch Drei als AB, AB, AB (AB) 3, oder +/ a 2 = a.
In der Abteilung «Arithmetica Numeratio» ist die Zahlenreihe angeführt und werden die
Rechenoperationen der Addition, Subtraktion und Multiplikation jeweilen an einem kaufmännischen Beispiel, an einem Beispiel mit Dezimalzahlen und einem algebraischen
Beispiel erläutert. In der rechten oberen Ecke befindet sich die Multiplikationstabelle unter dem Titel «Abacus Pythagoricus». Im Textteil sind nachstehende Gebiete behandelt: Mathesis universalis et Algebra. Arithmetica (schliesst auch Angaben
über Münz-, Längen- und Gewichtsmasse ein). Geometria. Astronomia Sphaerica, Theorica
et Practica. Gnomonica. Chronologia. Geographia Generalis. Hydrographia. Anemologia.
Geographiae Speciales. Pyrotechnica. Pneumatica. Hydrotechnica. Optica. Harmonica.
Phoronomica. Mechanica. Architectura Civilis et Militaris. Tactica. Im ganzen macht diese
kleine Schrift einen recht systematischen Eindruck. Es ist bloss zu bedauern, dass SCHEUCHZER sich nicht intensiver in dieser Richtung betätigt hat. Dieses kleine Kompendium würde
eine Übertragung in die deutsche Sprache durchaus rechtfertigen.
(87) «Physica oder Natur-Wissenschaft». Verfasst durch Jon. JAK. SCHEUCHZER. 2. Teil,
Seite 201 ff., Zürich 1703.
(88) Zum Beispiel sind auf Tafel XXIV das Paradies als zwischen Euphrat und Tigris
in Mesopotamien gelegen gezeichnet.
(89) R. WOLF, l. C. Seite 201/2. Nach der Einleitung der «Physica» (Zürich 1703) betrachte
die Naturwissenschaft die natürlichen Körper, ihre Eigenschaften, Wirkungen und Ursachen. Die naturwissenschaftliche Erkenntnis stütze sich auf die Schriften des ARISTOTELES,
aber auch auf die Natur selbst vermittels der Sinne und der Vernunft und sie führe zur
Erkenntnis «seiner selbst, der Welt und Gottes».
In den ersten acht Kapiteln des ersten Teils bespricht SCHEUCHZER die a ll gemeine Materie
der Körper, ihre Gestalt und Form, die wirkenden Ursachen und Endursachen, Eigenschaften im allgemeinen, deren Grösse und jene Beschaffenheiten, die die Sinne berühren.
Es folgen «fülbare Beschaffenheiten» (9. Kap.); «Elasticität» (10. Kap.); «Von den Riechungen und Schmeckungen» (11. Kap.); «von dem Don» (12. Kap.); «Vom Licht, Schein,
Farben ...» (13. Kap.); verborgene Eigenschaften, Erhaltung und Änderungen der Körper
(14.-17. Kap.); «von Erweichungen und Erhärtungen», Ausdehnung und «Einzehen»,
Wärme und Kälte (18.-22. Kap.); von «Befeuchtung und Tröcknung» (23. Kap.); von
Änderungen der Oberfläche, des Tones, des Lichtes, der Farbe, des Geruches, des Geschmackes, der Grösse usw. (bis Kap. 30); das 31. Kapitel enthält Ausführungen über die
örtliche Bewegung, die natürliche und die gewalttätige Bewegung, langsame und geschwinde,
einfache und vermischte Bewegungen; das 32. und 33. Kapitel behandeln den «Stoos»; das
34. Kapitel die Zusammensetzung von Bewegungen, z. B. die von zwei Winden «angeblasenen Schiffe» oder nach dem Ziel geschossene oder geworfene Kugeln; das letzte Kapitel
erwähnt die grössten Veränderungen, «da namlich die natürlichen Körper ihr Wesen selbst
verliehren».
101
Der zweite Teil ist stofflich geordnet. Er handelt «von den Elementen» (1. Kap.); «vom
Feuer» (2. Kap.); «von der Luft» (3. Kap.); «vom Wasser» (4. Kap.); «von der Erden»
(5. Kap.); von der Elemente «Leichte und Schwere» und «ihrer Vermischung» (6. u. 7. Kap.);
von der Welt, dem Himmel, der Sonne, den neuen Fixsternen, der Erde, dem Mond, den
Planeten und Kometen (7. bis 21. Kap.); vom Meer, den Seen, «Flüssen und Brunnen»,
von «Wolcken und Niederschlägen», von Donner und Blitz, Irrlichtern, Erdbeben, von den
Winden, dem Regenbogen, Haloringen (22. bis 30. Kap.); von Mineralien, Magneten, Erdgewächsen, den vierfüssigen und kriechenden Tieren, den Vögeln, Fischen und blutlosen
Tieren (31. bis 37. Kap.) und schliesslich dem Menschen (38. Kap.).
In der Auflage des Jahres 1729 teilt SCHEUCHZER die in der Natur befindlichen Dinge
wie folgt ein: 1. Grosse Körper (Sonne, Sterne, Planeten), «die seit urdenklichen Zeiten
gewesen». 2. «hie und da auftretende Himmlische grosse Körper» (Kometen, Neue Sterne).
3. Teile der grossen Weltkugeln (Kometenschwänze, Sonnenflecken, Erze, Luftgeschichten
allsda sind Dunst, Wind, Rauch, Nebel, Wolken, Regen, Tau, «Reiffen», Donner, Blitz,
Irrwisch). 4. Kräuter oder Gewächse. 5. Tiere. 6. Missgeburten und Missgewächs. 7. Änderungen, wie z. B. die Erde, welche im Frühling «grunet». 8. Wirkungen der «Cörper untereinander», wie z. B. die Sonne erwärmt bestrahlte Körper usf.
(90) «Verschiedene Fragen so zur Erforschung der Natur des Schweizerlandes angesehen» von J. J. SCHEUCHZER (Zürich, Zentralbibl. Gal. XVIII 1523).
(91) «Jtinera per Helvetiae alpinas regiones facta annis 1702-1707 et 1709-1711» a
J. J. Sc. 4 Bände. Lugd. Batav. 1723; «Beschreibung der Naturgeschichte des Schweizerlandes». Zürich 1706 bis 1708 und noch viele andere Ausgaben.
(92) «Miscell. Berolin.» I. 1710 (Beob. des Jahres 1706 in Zürich). «Memoires de l'Acad.
Royale des Sciences» 1711. 1712 [Regenmessungen und Barometerstand in Paris (de la Hire)
und Zürich (J. J. Sch.). 1710 und 1711]. «Philos. Transactions 29». 1717 (Barometr. Experimente) «Sammlung in Natur- und Medicingesch.» Breslau 1719 bis 1730. (Monatl. Wetterberichte aus Zürich ab Jan. 1718 bis Sept. 1726. Bis 1727 regelmässig erschienen. Ab 1728
nur bruchstückweise: 1728 = April/Juni 1726; 1729 = Juli/Sept. 1726; 1730 = Okt./Dez.
1726. ) Seit 1731 in «Miscell. phys.-med.-math.» Erfurt 1731/33: Wetterbericht 1727 im Jahrgang 1731, Wetterbericht 1728 im Jahrgang 1732; Wetterbericht 1729 mit tägl. Ablesungen 1733.
«Beschreibung des Wetterjahres 1731» Zürich 1732 mit Angaben über den monatl. Barometerstand in Zürich und auf dem Gotthard und der Regenmenge in Zürich, sowie einer ausführlichen Beschreibung des schweren Hagelwetters vom 30. Juni/1. Juli 1731 mit vielen
Blitzschlägen und grossen Hagelschäden.
(93) R. WOLF, 1. c. Seite 203 ff.
(94) Auf den bedeutsamen Einfluss der Zensur werden wir noch zu sprechen kommen.
ED. FUETER hat in seiner «Geschichte der exakten Wissenschaften in der schweizerischen
Aufklärung (1680-1780)» an Hand des Briefwechsels von JOH. BERNOULLI I mit J. J.
SCHEUCHZER auf den Kampf SCHEUcHZER'S gegen die Zensoren, welche die natürliche Theologie ablehnen wollten und forderten, «man solle sich an die geoffenbarte halten», nachdrücklich hingewiesen (vor allem Seite 38 ff.).
(95) LEO WEISZ: «Die politische Erziehung im alten Zürich», Seite 110 ff.
(96) 1679-1681 Collegium Insulanum, 1681-1683 Collegium Philomusorum, 1683-1685
Collegium der Kunstliebenden, 1686-1693 Collegium der Vertraulichen, 1693-1710 Collegium der Wohlgesinnten, 1710-1724 Verein für Geschichte, Pol. und Naturk.
(97) 1742-1752 Wachsende Gesellschaft, 1753-1772 Dienstagskompagnie, 1762 Historisch
politische Gesellschaft, 1783 Frauenzimmer Lesegesellschaft auf Zimmerleuten u. a. m.
(98) R. STEIGER: «JOHANN JAKOB SCHEUCHZER» I. Werdezeit. Seite 81 ff.
(99) LEO WEISZ, l. C. Seite 113.
(100) In einem Brief an Prof. MURMIK vom 10. Mai 1697 heisst es u. a.: «... und ich die
Wahl meines Berufes bereuen würde, wenn ich nicht zur Arbeit geboren wäre. Da die
Würfel nun einmal gefallen sind, möge ich eher zusammenbrechen, als ein Ausreisser
gescholten werden! Meine medizinische Praxis ist nicht sehr gross - was mir übrigens gar
nicht ungelegen kommt ...» SCHEUCHZER wollte sich, wie STEIGER feststellt (l. c. Seite 124),
den Ruhm nicht nehmen lassen, «der fleissigste Mann in weiter Runde zu sein».
102
(101) Zentralbibl. Ms Z VIII 28 enthält einige Porträtbilder, so u. a. von «OTTO GERICKE»,
dem Erfinder der Luftpumpe (S. 214) und eine Nova Tabula Trianguloren numeros cornprehendens.
(102) R. STEIGER, l. C. Seite 117 ff.
(103) l. c. Seite 136.
(104) l. c. Seite 113.
(105) Diss. philosophica de tesseribus Badensibus (1735); Dissertationes physicae (1735
bis 1738); Disquisitiones physicae de meteoris aqueis 1. Teil «de Vaporibus, Nebulis et
Nubibus» (1736); 2. Teil «de Rore, Pruina et iis Affinibus» (1737).
(106) «Die Naturforschende Gesellschaft in Zürich 1746-1896» von FERDINAND Runlo.
1. Band der Festschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, 1896. «200 Jahre
Naturforschende Gesellschaft in Zürich» von EDUARD RUBEL in Festschrift zur 200-Jahr-Feier
der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, 1946. Siehe auch «JOHANNES GESSNER und die
Gründung der Zürcher Naturforschenden Gesellschaft» von EMIL WALTER. Volkshochschule
1945, Seite 289 ff.
(107) «JOH. GESSNER und die Gründung der Zürcher Naturforschenden Gesellschaft»,
l. c. Seite 293.
(108) Die Protokolle der Jahre 1751 bis 1754 sind unvollständig. Der Bericht für das
Jahr 1755 fehlt in den Akten des Staatsarchivs vollständig.
(109) Es heisst in dem Beschluss der Registraturkommission wörtlich, weil er «auf vorgeschriebenem Fuss zu schreiben schlechte Lust bezeugte». Über die Tätigkeit der politischen
und kulturellen Zensur im alten Zürich findet sich wertvolles Material. in LEO WEISZ, «Die
politische Erziehung im alten Zürich», Zürich 1940, vor allem Seite 135 ff., 138-143 und
an anderen Stellen.
(110) Das schwerste politische Vergehen WASER'S bestand in der Umgehung der politischen Zensur bei der Veröffentlichung von Angaben über den Finanzhaushalt der städtischen Verwaltung. Jon. WASER fiel als Opfer des Kampfes für die Kontrolle der Finanzverwaltung durch die politische Öffentlichkeit, ein Recht, das im 19. und 20. Jahrhundert
als selbstverständlich erscheint. Wenn WASER zudem sich eventuell einige kleptomanische
Vergehen zuschulden kommen liess, so würden diese heute auch ganz anders beurteilt,
als dies im 18. Jahrhundert durch den zürcherischen Rat geschah.
(111) Die beste Biographie CONRAD GESSNER's • wurde von R. WOLF verfasst (Biographien I S. 283-322). Sie stellt eine erweiterte zweite Auflage des Neujahrsblattes der
Naturforschenden Gesellschaft vom Jahre 1846 dar.
(112) l. c. Seite 292.
(113) R. WOLF schreibt l. c. Seite 300 u. a.: «Die mathematischen Publicationen GESSNER's
sind der Zahl nach am Geringsten, aber nicht ohne Interesse ...» 1. c. Seite 309. «Die
physikalischen Publikationen GESSNER's sind der Zahl nach schon bedeutender als die
mathematischen, können jedoch hier mit wenigen Worten abgetan
wer den, da sie uns weder Anhaltspunkte für Excursionen, noch wesentlich Originelles
bieten, und mehr als sehr fleissige, für den Geschichtsforscher wegen ihrem Reichtume an
literarischen Angaben noch jetzt sehr wertvolle Compilationen zu betrachten sind ...»
(114) R. STEIGER: J. J. ScHEUCHZER. I. Werdezeit. Seite 140. Die Disputierschrift J. H.
HOTTINGER'S sei «hauptsächlich» J. J. SCHEUCHZER'S Arbeit.
(115) Übersicht der Diss. GESSNER'S Anmerkung 117.
(116) EMIL WALTER: «Das Handwerk im alten Zürich», ,Volkshochschule' 1942, Heft 6.
E. WALTER: «JOHANNES GESSNER und die Gründung der Zürcher Naturforschenden Gesellschaft», ,Volkshochschule' 1945, Heft 10. E. WALTER: «Die Zürcher Naturforschende Gesellschaft als Ökonomische Gesellschaft», ,Prisma', September 1946, Seite 42.
(117) Wir geben die Titel der gedruckten Arbeiten Jon. GESSNER's in chronologischer
Reihenfolge wieder (insgesamt rund 1030 Druckseiten):
1729 Promotionsarbeit: «Specimen inaugurale de exhalationem natura, causis et effectibis»,
Basel 1729.
1734 «Spec. Philosophiae Naturalis. In Meditationibus De Frigore». 19 Seiten.
103
1740 «Diss. Physicae. De Vegetabilibus. Pars Prima, Partium Vegetationis Structuram,
Differentias et Usum sistens.» 23 Seiten (davon 2 Seiten Corollaria).
1741 «Diss. Physicae. De Vegetabilibus, Pars Posterior, Partium Fructificationis Structuram Differentias et Usus sistens». 30 Seiten (davon 2 Seiten Corollaria).
1742 «Diss. Philosoph. De Principiis Philosophiae Naturalis.» 22 Seiten.
1743 «Diss. Phil. De Principiis Corporum.» 26 Seiten.
1744 «Diss. Phil. De Principiis Corporum. Pars altera.» 28 Seiten (davon 12 Seiten «Consideration Physico-Mathematica Cometae Anni 1744»).
1745 «Diss. Phil. De Principiis Corporum. Pars Tertia et Ultima.» 46 Seiten.
1746 «Diss. Physico-Mathematica De Corporum Motu et Viribus.» 55 Seiten, 1 Tafel mit
29 Abbildungen.
1747 «Diss. Phys.-Math. De Effectibus, qui a Virium Compositione Producuntur.» 22 Seiten, 1 Tafel mit 28 Abbildungen.
1748 «Diss. Phys.-Medico-Math. De Termino Vitae.» 29 Seiten, mit einer Tabelle «Scala
Periodi Humanae Vitae».
1749 «Diss. Phys.-Math. De Motibus Variatis.» 34 Seiten (davon 2 Seiten mit phys.
Thesen und «Lex naturae de motibus Newtonum», 1 Tafel mit 19 Abbildungen).
1750 «Diss. Phys.-Math. De Motibus Variatis Supplementum in quo Vires Centrales
exponuntur.» 14 Seiten (davon 2 Seiten «Theses Physicae Miscellanae»).
1751 «Diss. Phys.-Math. De Natura et Viribus Fluidorum.» 26 Seiten.
1752 «Diss. Phys. De Petrificatorum Differentiis et Varia Origine.» 50 Seiten.
1753 «Diss. Phys. De Ranunculo Bellidifloro et Plantis Degeneribus.» 24 Seiten, 1 Tafel
mit 5 Abbildungen.
1754 «De Hydroscopis Constantis Mensurae, Disquistiones Phys.-Math.» 14 Seiten (davon
1 Seite «Theses Physicae»), 1 Tafel mit 8 Abbildungen.
1755 «Theses Physicae Misc. De Thermoscopio Botanico.» 9 Seiten.
1756 «Diss. Phys. De Petrificatorum Variis Originibus Praecipuarum Telluris Mutationum
Testibus.» 39 Seiten.
1757 «Diss. Phys.-Math. De Triangulorum Resolutione, Primario Matheseos ad Physicam
Applicatae Fundamento, Cum Annexis Thesibus Physicis.» 28 Seiten (davon 1½ Seiten
«Theses Physicae»), 1 Tafel mit 13 Abbildungen.
1758 «Diss. Phys.-Math. De Triangulorum Resolutione. Pars altera de Triangulis Sphaericis.» 32 Seiten (davon 2 Seiten Thesen), 1 Tafel mit 14 Abbildungen und zahlreichen Formeln.
1759 «Phytographiae Sacrae Generalis.» 28 Seiten.
1760 «Phytographiae Sacrae Generalis Pars practica prior.» 56 Seiten.
1761 «Diss. Phys. De Variis Annonae Conservandae Methodis.» 38 Seiten, 1 Tafel mit
5 Abbildungen.
1762 «Phytographiae Sacrae Generalis Pars Pract. altera.» 55 Seiten.
1763 «Phytographiae Sacrae Gen. Pars Pract. Tertia.» 30 Seiten.
1764 «Phytographiae Sacrae Gen. Pars Pract. Quarta.» 31 Seiten.
1765 «Phytographiae Sacrae Gen. Pars Pract. Quinta.» 35 Seiten.
1766 «Phytographiae Sacrae Gen. Pars Pract. Sexta.» 34 Seiten.
1767 «Phytographiae Sacrae Gen. Pars Pract. Septima.» 33 Seiten.
1768 «Phytographiae Sacrae Specialis. Pars Prima.» 27 Seiten.
1769 «Phytographiae Sacrae Specialis. Pars altera.» 25 Seiten.
1771 «Theses Physicas Miscellaneas.» 7 Seiten.
1772 «Theses Physico-Mathematicas.» 8 Seiten.
1773 «Phytographiae Sacrae Spec. Pars Tertia.» 31 Seiten (davon 2 Corol.).
1774 «Aphorismi Physico-Mathematici, Institutionibus Philosophiae Naturalis Praemittendi.» 27 Seiten.
1775 «Theses Physicae de Corporum Compositione et Resolutione.» 27 Seiten.
(118) GESSNER behandelt neben den Fragen der Wahrscheinlichkeit von Leben und Tod
in dieser Studie u. a. Zeichen des Lebens und des Todes, die sichere Bestimmung des Todes,
natürliche und aussernatürliche Todesursachen, Methoden der Berechnung des mittleren
104
Alters des Menschen, die Abhängigkeit des Lebensendes vom Geschlecht, von Heirat, Krieg
und Krankheiten und fordert am Schluss das systematische Sammeln von einschlägigen Beobachtungen.
(119) R. WoLF, l. c. Seite 300 ff.
(120) «De Triang. Resolutione, Pars altera de Triang. Sphaer.» 1758, Seite 17. Auf
23 bringt GESSNER die NEPERSche Regel in der üblichen Fassung: «Cosinus partis mediae
aequatur facto Sinuum partium sejunctarum et facto cotangentium conjunctarum.»
(121) R. WOLF, l. c. Seite 300: «Zwei Abhandlungen über ebene und sphärische Trigonometrie, mit einigen Anwendungen auf Nautik und Astronomie, zeichnen sich teils durch
Gründlichkeit, teils durch ihren Reichtum an Citaten und historischen Bemerkungen aus,
und haben somit für die Geschichte der Wissenschaft ein ganz besonderes Interesse.»
(122) R. WOLF, l. c. Seite 300.
(123) «Aphorismi Phys.-Math.», Seite 17.
(124) Es handelt sich um die drei Dissertationen «De principiis Corporum» 1743-1745,
die Dissertation des Jahres 1746 «De Corporum Motu et Viribus», die Dissertation «De
Effectibus, qui a Virium Compositione producuntur» 1747, die Dissertationen «De Motu
Variatis» 1749/50, die Dissertation «De Hydroscopis Constantis Mensurae» 1754, die Dissertation «De Thermoscopio Botanico» 1755, und die beiden gemischten physikalischen
Thesen der Jahre 1771 und 1772.
(125) GESSNER zitiert D'ALEMBERT wörtlich wie folgt: «Pour traiter suivant la meilleure
methode possible quelque science il est necessaire d'y introduire et d'y appliquer autant
qu'il se peut, des connaissances puisees dans des Sciences plus abstraites et par consequent plus simples ... de ne rien supposer, ne rien admettre dans cet objet, que les proprietes que la science meme qu'on y traite y suppose. De là resultent deux avantages:
les principes recoivent toute la clarte dont ils sont susceptibles; ils se trouvent d'ailleurs
reduit au plus petit nombre possible, et par ce moyen ils ne peuvent manquer d'acquerir
plus d'etendue.»
(126) Ausführliche Biographie R. WOLF, II, Seite 183-192; kurze Notiz «Festschrift der
Naturf. Ges. i. Zch. 1746-1896», Seite 26/27.
(127) Präsident der meteorologischen Kommission seit 1758, der ökonomischen Kommission seit 1759. Die meteorologische Kommission wurde schon vor 1750 gegründet. Ihr stand
in diesem Jahre Obmann J. JAKOB WIRZ (gest. 1764) vor. Die ökonomische Kommission
wurde bestellt aus den Herren J. J. OTT-GOSSWEILER (Präs.), Dr. H. C. HIRZEL (1725-1803),
Pfarrer H. WASER (1713-1777), Hptm. JOH. HEINR. SCHULTHESS (1707-1782), Pfarrer Run.
SCHINZ und Chorherr JoH. GESSNER.
(128) WOLF, l. c. Seite 186 ff.
(129) WOLF, l. c. Seite 189 Fussnote.
(130) In der posthum veröffentlichten «Pyrometria oder vom Masse des Feuers und der
Wärme» (Berlin 1779), befasst sich LAMBERT im 7. und letzten Hauptstück «Verteilung der
Sonnenwärme unter der Erde» (Seite 356-360) eingehend mit den Ergebnissen der Messungen von J. J. OTT. Nach MARIOTTE habe lediglich noch HALE Versuche über die Veränderungen der Wärme unter der Erde durchgeführt, aber bloss bis zu einer Tiefe von
2 Fuss. Deshalb habe er J. J. OTT zu seinen Versuchen ermuntert: «Und dazu entschloss
sich auf meinen Antrag Herr OTT, ein gelehrter Kaufmann in Zürich, im Jahre 1762.»
J. J. OTT verwendete Weingeistthermometer mit dünnen Röhren und grossen Thermometerkugeln. Die einzelnen Grade waren ½- 3/I Zoll gross. Den Bericht über die Untersuchungen erhielt LAMBERT im Jahre 1768. Aus ihnen ist eine deutliche zeitliche Verschiebung der maximalen Temperaturwerte und mit zunehmender Tiefe eine Verminderung
der jahreszeitlichen Ausschläge zu erkennen. J. J. OTT verwendete angeblich Thermometer
nach MICHEL DU CREST. LAMBERT gibt in einem vorangehenden Abschnitte an, dass auf
dieser Skala der Nullpunkt gleich der Kellertemperatur von Paris gesetzt und die Siedetemperatur des Wassers als 100 Grad angenommen worden sei. Unter diesen Annahmen
haben wir in der nachstehenden Tabelle der Messungen von J. J. OTT hinter die Beobachtungswerte die in Celsiusgrade umgerechneten Werte in Klammern gesetzt. Es ergibt
sich daraus, dass die Beobachtungen von J. J. OTT lediglich relative Bedeutung beanspru105
chen können und den Gang der Temperatur in verschiedenen Bodentiefen vergleichen lassen,
ohne dass wir die absoluten Zahlen direkt mit modernen Beobachtungen in Beziehung
bringen könnten. Es ist offensichtlich, dass J. J. OTT eine andere als die oben erwähnte
Skala verwendete.
Tab e 11 e (auszugsweise wiedergegeben aus «Pyrometria», Seite 358).
Monate
tit Fuss
2 Fuss
6 Fuss
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
—84
—90
—29
3
+22
+32
+54
+44
+24
—19
—42
—72
—66 (Celsius?)
—80 (
—16 (
„
)
13 (
„
)
30 (
„
39 (
)
„
59 (
„
)
50 (
„
)
32 (
—1(
—28 (
—55 (
—68 (-51)
—70
—53
—28
-j- 2
+24
+32
+34
+25
7
—36
—56
—35 (-21)
—45
—46
—32
—16
1
+18
+26
+28
+14
0
—20
Mittel
—12
— 1 (Celsius?)
—16 (-4?)
— 9 (+2?)
+-
!I
I f
)
5,
J,
J,
-
+
(131) Mitgliederzahlen nach Akten des Staatsarchives B IX 207.
(132) 1748 wurden für den Kauf einer Luftpumpe 307 fl. 20 13, 1749 für den Kauf astronomischer Quadranten 290 fl. aufgewendet. Weitere beachtliche Anschaffungen waren noch
1754 der Kauf einer elektrischen Maschine zu 40 fI. und 1778 eines Hohlspiegels zu 60 fl.
(nach B IX 207).
(133) B IX 160, B IX 207.
(134) R. WOLF I. Seite 301 ff. Siehe auch «Geschichte der Vermessungen in der Schweiz»
von R. WOLF. Seite 99 ff. (Die ersten Sternwarten in Zürich). Seite 160 ff. (JOHANNES FEHR).
Nach einer ersten Einrichtung eines Observatoriums auf dem Dache des Zunfthauses zur
Meise wurden von 1759 bis 1761 mehrfach Beobachtungen gemacht, so am 6. Juni 1761
eine Beobachtung des Durchganges der Venus vor der Sonne, über welche Beobachtung
Ingenieur MÜLLER in der Physikalischen Gesellschaft berichtete. Die zweite Phase der
astronomischen Beobachtungen begann mit der Errichtung des astronomischen Observatoriums auf dem Karlsturm des Grossmünsters im Jahre 1774, endete aber schon drei Jahre
später, weil auch da die lokalen Verhältnisse für die Aufstellung und Benutzung der
Instrumente allzu ungünstig waren.
(135) Nach R. WOLF (Geschichte der Vermessungen in der Schweiz, Seite 110 ff.) sind
die von Pfarrer GESSNER aufgezeichneten meteorologischen Beobachtungen der Jahre 1740
bis 1754 verloren gegangen; die zum Teil doppelten Beobachtungsreihen von J. J. OTT,
Stadtarzt Jon. CONR. MEYER (1715-1788) und Zunftmeister von MURALT reichen von 1759 bis
1782. In den Akten des Staatsarchivs finden sich unter B IX 257 bis 262 meteorologische
Beobachtungen der Jahre 1781 bis 1827; B IX 257 auf schön vorgedruckten Tabellen Eintragungen über Barometer, Temperatur und Witterung von 1781 bis 1794; in den gleichen
Band eingebunden Messungen aus Winterthur von 1804-1816. Auf diesen Tabellen sind
besondere Zeichen für Regen, Schnee, Nebel, Blitz, Wolkenbedeckung, Windrichtung,
Aurora Borea usw. vorgedruckt. B IX 258 handschriftliche Beobachtungsreihen 1807 bis
1811: Barometer, dreimalige Ablesung des Thermometers, Hygrometer, Wind, Witterung,
ausserdem Hydrometerangaben (Bestimmung des gefallenen Regen- und Schneewassers),
Atmometerangaben (Bestimmung der Grösse der Verdunstung). B IX 259 analog Beobachtungen 1811 bis 1814, B IX 260 1815 bis 1818, B IX 1819 bis 1822, B IX 1823 bis 1827. Die
meteorologischen Beobachtungen sind im Laufe der Jahrzehnte systematisch ausgebaut und
verbessert worden.
106
(136) R. WOLF, l. c., Seite 76, Fussnote 6. HEINRICH ALBERTIN hat Standlinien auf dem
gefrorenen See schon im Jahre 1740 ausgemessen. Seine Messung vom 11. Februar 1766 von
Zürich bis nach Rüschlikon ergab 2117 Ruthen und stimmt nach WOLF mit der Generalkarte recht gut überein.
(137) H. C. HIRZEL (geb. 21. März 1725) sollte Theologe werden, wandte sich aber 1740
der Medizin zu und promovierte mit 21 Jahren in Leyden. 1747 trat er der Physikalischen
Gesellschaft bei. Als beliebter Arzt wurde er bald Stadtarzt, 1763 Mitglied des grossen und
1778 des kleinen Rates. 1759 wurde er Quästor und Vizepräsident und 1790 Präsident der
Physikalischen Gesellschaft. Er starb am 18. Februar 1803. HIRZEL hatte auch starke literarische Interessen. (Siehe «Festschrift der Naturforschenden Gesellschaft Zürich 1746 bis
1896», Seite 64 ff.)
(138) SAL. ScHINZ wurde als Sohn eines reichen Kaufmannes am 26. Januar 1734 geboren,
promovierte 1756 in Leyden zum Doktor der Medizin, liess sich in Zürich als praktischer
Arzt nieder, wurde 1756 Mitglied der Physikalischen Gesellschaft, 1762 Arzt an der Spann-.
weid, 1771 Mitglied des Grossen Rates und Arzt am Waisenhaus,1778 als Nachfolger GESSNER'S
Prof. Physicae und Chorherr und 1782 Mitgründer des medizinisch-chirurgischen Institutes. SAL. ScHINZ trat für die Impfung der Kinderblattern ein («Abgek. Geschichte der
Einpropfung der Kinderblattern in Zürich von dem Jahr 1760 bis Ende des Maien 1768»
[mit 73 günstigen Fällen, 1 Todesfall] und «Über die Einpropfung der Kinderblattern»,
Zürich 1773), verfocht die Nützlichkeit der Strahlableiter, liess durch die Waisenknaben
die 100 Tafeln der «Anleitung zu der Pflanzenkenntnis» (Zürich 1774) kolorieren, veröffentlichte 1775 neben der «Reise auf den Uetliberg» (Nachdruck 1942, Zürich, Morgartenverlag)
einen «Ersten Grundriss der Kräuterwissenschaft aus den charakteristischen Pflanzentabellen des Herrn Dr. JOHANNES GESSNER gezeichnet», vertrat seit 1776 GESSNER in seinem
Lehramte, wurde 1778 als Prof. Physicae gewählt, starb aber schon am 26. Mai 1784.
(139) Studierte zunächst Theologie, wandte sich aber nach dem Versuch, im Auslande
eine Predigerstelle zu finden, da «ihm noch hundert unangestellte Collegen vorangingen»,
dem Studium der Mathematik und Physik in Genf und Paris zu. Wurde 1773 Lehrer für
diese Fächer an der neuen Kunstschule. Sein Sohn DAVID BREITINGER (1763-1834) machte
eine Lehre als Kleinmechaniker und betrieb seit 1788 eine kleine Werkstätte am Wolfbach,
wurde 1789 Inspektor des Artilleriekollegiums, 1803 Zeugherr. Er trat 1826 in den Ruhestand.
Siehe R. WOLF. Biogr. I, Seite 306, und Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft
auf 1818.
(140) R. WOLF, l. c. Seite 306.
(141) «Nachricht an das Publikum wegen Vorlesungen über die Experimentalphysik.»
Prof. BREITINGER, 10. November 1794, 14 Seiten.
(142) l. c. «Zweiter Sohn wird beim preparieren der Experimente behilflich sein.»
Übrigens hat schon JOHANNES FEHR (1763-1823) DAVID BREITINGER vor 1781 (siehe R. WOLF,
Gesch. d. Verm., Seite 161) bei seinen Experimentalvorlesungen assistiert. Bei dem erwähnten Sohne BREITINGER'S handelt es sich um den 1763 geborenen Instrumentenmacher und
späteren Zeugherrn DAVID BREITINDER (gest. 1834). Siehe R. WOLF, «Gesch. d. Verm.»,
Seite 126 ff.
(143) Wir geben in der Folge stichwortartig den Inhalt der einzelnen Vorlesungen wieder:
I. Erklärung der Naturlehre, Allg. Eigenschaften der Körper (Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Porosität, Teilbarkeit). II. Arten der Bewegung, Versuche mit der Centralmaschine.
III. Cohärenz, Unterschied von der Attraktion, Feste und flüssige Körper. IV. Schwere,
Gewicht, spez. Gewicht, Fallversuche, Schwerpunkt, Pendel. V. Wurf, Stoss. VI. Gleichgewicht, math. und phys. Hebel, Waage, Rolle, Flaschenzug, Rad, Keil, Schraube, Theatrum
Machinorum. VII. Gleichgewicht flüssiger Körper, Kommunizierende Röhren, Springbrunnen, Hydrostat. Waage, Expansionskraft flüssiger Körper. VIII. Besondere Naturlehre:
Lichtstoff, Wärmestoff, Wasser, Luft, Feuer, elektr. und magn. Materie, Licht, Lichtgeschwindigkeit. NEwToNsche und EuLERische Theorie, geradlinige Fortp fl anzung, Stärke des
Lichtes, Schatten, Spiegelung. IX. Brechungslehre (Dioptrik), Prisma, Camera obscura,
Auge (Myopie). X. Fernrohre, Spiegelteleskope, Vergrösserungsgläser, Zauberlaterne.
XI. Wärmematerie, Thermometer. XII. Strahlende Wärmematerie (Imponderabel wie das
107
Licht), Spez. Wärme, Ausdehnung und Schmelzen der Körper, Gefrieren, Papinianischer
Topf, Dampf- oder Feuermaschine, Destillieren, Sublimieren. XIII. Gebundene Wärmematerie, Calorimeter der Herren LAVOISIER und DE LA PLACE, Wärmeleitende Kraft, Abnahme
der Schwere bei erwärmten Körpern. XIV. Wasser, Gefrieren, Kristallisationswasser,
Hygrometer, Luftförmige Körper. XV. Luft, ihre Elastizität, Torricellische Röhre, Saugpumpen, Heber, Mariottesches Gesetz, Ausdehnung der Luft durch Wärme. XVI. Barometer.
XVII. Luftpumpe. XVIII. Respirable und irrespirable Luftarten, Wanne und Quecksilberapparat, Fixe Luft, Stickgas, Salpetergas, Leichtes brennbares Gas, Sumpfluft, Schwefellebergas, Entzündl. Phosphorgas, Ammoniakgas, Salzsaures Gas, Schwefelgas, Flullspatsaures Gas, Lebensluft (Feuerluft, reine Luft, dephlogistierte Luft), Eudiometer. XIX. Schall
und Töne, Resonanz, Schallgeschwindigkeit, Echo, Sprachrohr, Theorie der Musik. XX. Feuer,
Phlogiston, Theorie der Verbrennung, Flamme, Glühen, Rauch, Russ, Selbstentzündungen.
XXI. Elektrische Materie, Leiter, Nichtleiter, Elektrisiermaschinen (Versuche), Elektrometer,
Spitzenwirkung, Positive und negative Elektrizität, Elektrisches Licht im luftleeren Raume,
Elektrisieren. XXII. Kleistische Flasche, Elektrische Batterie und ihre Wirkungen.
XXIII. Elektrophor, Condensator des Herrn VOLTA. XXIV. Magnetische Materie, Künstliche Magnete, Magnetnadel, Erdmagnetismus.
(144) R. WOLF: Biogr. I, Seite 306, Fussnote 80. Siehe auch «Festschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich», 1896, Seite 223 ff.
(145) Siehe «Festschrift 1896», Seite 68 bis 75. Geboren 23. Oktober 1749 als Sohn von
Chorherr und Archidiakon JOH. RUDOLF RAHN (1712-1755). Promovierte 1771 in Göttingen,
wurde Arzt in Zürich und erteilte medizinischen Privatunterricht, gründete 1782 das medizinisch-chirurgische Institut, erhielt später den Titel eines Pfalzgrafen mit dem Rechte,
die Schüler des Institutes promovieren zu können, lehnte 1782 einen Ruf an die Universität
Göttingen ab, gründete 1784 gemeinnützige Gesellschaften und ein Seminar für Landärzte und Hebammen, wurde 1784 als Chorherr und Prof. Physicae gewählt, gründete 1788
die Helvetische Gesellschaft, korresp. mit Ärzten und Wundärzten, wurde 1790 in den Vorstand der Physikalischen Gesellschaft berufen, war von 1798 bis 1800 Mitglied des helvetischen Senates, ab 1803 Präsident der Physikalischen Gesellschaft. Es ist RAHN zu verdanken, dass wenigstens ein Teil der GEssNERschen Sammlungen und Bibliothek für Zürich
gerettet werden konnte.
(146) Zürcherisches Vermessungswesen bis 1896. Zürcher Stat. Nachrichten 1946, Heft 3.
Siehe auch R. WOLF: «Gesch. der Vermessungen».
(147) Staatsarchiv B IX 158. (Katalog der Bibliothek vom Jahre 1817.)
(148) Allem Anscheine nach scheint speziell das Werk des ABBE NOLLET «Leçons de
Physique experimentale» (1. Auflage 1743, 4. Auflage 1754 [diese wurde angekauft]) bei
den experimentellen Demonstrationen Verwendung gefunden zu haben. (Am ersten Montag
des Monats wurden die Haupthandlungen vorgetragen, der zweite Montag war für die Anstellung physikalischer und chemischer Versuche bestimmt, der dritte der ökonomischen
Kommission, der vierte Rezensionen und gemischten Berichten und ein evtl. fünfter
Montag geschäftlichen Sitzungen vorbehalten.) Der Aufbau des Lehrganges von GESSNER,
seine zahlreichen Versuche entsprachen weitgehend den Angaben in den «Leçons de
Physique exp.».
(149) Seit der Statutenänderung des Jahres 1808 begann sich an Stelle der Bezeichnung
«Physikalische Gesellschaft» immer mehr der Name «Naturforschende Gesellschaft» einzubürgern.
(150) HANS LOCHER-BALBER (27. 2. 1797-18. 2. 1873). Seit 1820 praktischer Arzt und
Lehrer am medizinisch-chirurgischen Institut. Professor an der Universität seit 1830
für Heilmittellehre, gerichtliche Medizin und Geschichte der Medizin. Seine Berichte tragen
die Bezeichnung «Bericht über die Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in
Zürich» (11. 4. 1825-18. 4. 1826; 11. 4. 1826-18. 4. 1827; 3. 1827-3. 1828; 4. 1829 bis
4. 1830; 4. 1831-3. 1832). Zentralbibliothek Zürich L K 165.
(151) Dr. FERD. KELLER (24. 12. 1800-21. 7. 1881) ist der Gründer der antiquarischen
Gesellschaft. Er schrieb den «Bericht über die Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft» 4. 1832 bis 3. 1836; 4. 1836 bis Ende 1837. Zentralbibliothek ebenfalls L K. 165.
108
(152) «Bericht 1827/28.»
(153) «Bericht 1832/36», l. c. Seite 3-5.
(154) Durch Vizepräsident Dr. phil. JOH. CASPAR HORNER (21. 3. 1774-8. 11. 1834).
Wurde erst Pfarrer, studierte nachträglich Naturwissenschaften, promovierte 1799 in Jena,
nahm 1803 bis 1806 an der russischen Expedition um die Welt von A. J. VON KRUSENSTERN
teil, wurde russischer Hofrat mit einer lebenslänglichen Pension, 1809 Professor für Mathematik, Logik und Rhetorik am Carolinum, 1812 Quästor und Vizepräsident der Naturforschenden, 1814 Mitglied des Grossen Rates, 1816 Erziehungsrat, 1831 Präsident der Naturforschenden. Siehe «Festschrift 1896», Seite 79 und R. WOLF: Biographien II, Seite 353 ff. mit
ausführlichen Zitaten aus HORNER'S Briefen. Bedeutender Astronom, Mathematiker und
Physiker.
(155) Prof. Junker G. VON EscuER.
(156) Kantonsapotheker HANS JAKOB ULR. IRMINGER (30. 5. 1785-3. 4. 1838). Erst Apothekerlehrling in Aarau, seit 1810 Lehrer am med.-chir. Inst., seit 1826 am techn. Institut,
gab Privatkurse in Chemie für junge Pharmazeuten und Techniker.
(157) Je von Kantonsapotheker IRMINGER, Dr. CONRAD RAHN und Garnisonsarzt Dr.
J. FINSLER.
(158) Durch Zeugherr DAVID BREITINGER. (Siehe XVIII. Kapitel.)
(159) In 1000 Jahren wurden nach EBEL 69 allgemeine Beben verzeichnet. Die Zahl der
lokalen Beben betrage seit dem 16. Jahrhundert fast 600.
(160) Über den Vortrag von Dr. FINSLER über das Chlor heisst es u. a.: «Schon längst
waren die Eigenschaft der oxygenisierten Salzsäure oder des Chlorins, die Riech- und
Färbeprinzipe zu zerstören, bekannt, allein erst in den letzten Jahren wurde sie unter
der Form des oxygeniert salzsauren Kalkes und Natrum zu diesem Zwecke benutzt, und
zwar um in der Luft die fauligen Ausdünstungen verwesender Leichen und den daher
rührenden Gestank zu zerstören, um Abtritte zu reinigen, um die Luft auf Schiffen und
in Hospitälern zu verbessern, durch nephitische Gasarten Aspyktische zu beleben, und
faulige, krebsige Geschwüre damit zu heilen, Ansteckungsstoffe zu zerstören usw.»
(161) Nach Prof. MoussoN sei «der Akt der Trennung der Metallplatten, nicht die vorherige Berührung, die Quelle der Elektrizität».
(162) Nach Prof. LÖWIG sind «besonders glänzend die Resultate, zu denen man in der
unorganischen Chemie gelangt ist, während in der organischen Chemie, die lange Zeit
nicht viele gründliche Beobachter aufzählen konnte, unverhältnismässig weniger geleistet
worden ist ...» Benzoesäure sei entgegen der Auffassung MITSCHERLICH's eher eine Verbindung von Benzid C12 H10 mit Kleesäure C203. In anderen Versuchen suchte Prof. LöwIG
eine «Analogie zwischen dem Weingeist und einigen anderen bekannten organischen Verbindungen ... Holzweingeist, Aethalweingeist, Acetonweingeist, Indigoweingeist usw.»
nachzuweisen.
(163) Prof. ALBERT MoussoN (17. 3. 1805-6. 11. 1890). Professor an der Kantonsschule.
1836 Extraordinarius an der Universität. Seit 1855 neben CLAUSIUS Professor an der E.T.H.
(164) Ankauf von Büchern durch die Naturforschende Gesellschaft in den Jahren (Preise
in Gulden):
1827/28
1828/29
1829/30
1825/26
1826/27
282 c)
367 d)
697 e)
805 a)
915 b)
Naturgeschichte
(Zool., Bot., Min.)
51
115
163 f)
67
Physik-Chemie
94
115
60
22
—
Mathematik-Astronomie
—
89
94
( = 8,6 % ) ( = 6, 5% )
357
188
Diverses
(Technik, Reisen, Landök. usw.)
Exakte Wissenschaften
163
(= 21 , 3% )
318
175
( =21 , 1% )
287
166
(=13,9%)
329
a) Keine Bücher über Mineralogie. b) 17 Gulden für mineral. Werke. c) 39 Gulden für
mineral. Bücher. d) 62 fl. für Miner. e) 51 fl. für Miner. f) nur ein einziger Posten für
chemische und physikalische Bücher.
109
Verzeichnis der Abbildungen
Abb. 1 «Adler» aus C. GESSNER'S Tierbuch
Abb. 2 Titelblatt «Nova Geometrica Pyrobolia» oder «Neuwe Geometrische
Büchsenmeisterey» von LEONHARD ZUBLER, 1614
Abb. 3 Messinstrument (S. 1 von «Neuwe Geometrische Büchsenmeisterey») .
Abb. 4 Visiervorrichtung an einer Stückbüchse (S. 12 «Neuwe Geom. Büchsenm.»)
Abb. 5 Abschuss glühender Eisenkugeln aus einem Mörser (S. 61 «Neuwe
Geometrische Büchsenmeisterey»)
Abb. 6 Messung mit dem neuen geometrischen Instrument (S.12 «Nov. Instr. Geom.»)
Abb. 7 Messbrett aus «Fabrics et usu Instr. Chorographic.» von LEONHARD ZUBLER, S. 4
Abb. 8 Darstellung des «Grundlegens» mit dem Messbrett (S. 11 «Fabr. et usu
Instr. Chor »)
Abb. 9 Das astronomische Instrument ZUBLER'S mit Kompass (S. 30 «Nov. Instr
Sciot.») .
Abb. 10 Tabelle von Polhöhen (S. 31 «Nov. Instr. Sciot.»)
Abb. 11 Aus Titelblatt zum Manuskriptband (Zentralbibliothek Zürich Ms. B 82)
«Baukunst», Bildnis ARDÜSER'S vom Jahre 1654
Abb. 12 Aus «Geometriae theoricae et practicae» von J. ARDÜSER. Das Instrumentum
Partium (S. 54/55)
Abb. 13 Azimutalquadrant (S. 60 «Geom. theor. et pract.»)
Abb. 14 Messung einer Länge, zu der man mit Messtisch oder Winkelinstrument
nicht gehen kann (S. 219 «Geom. theor. et pract »)
Abb. 15 Triangulationsnetz (S. 240 «Geom. theor. et pract »)
Abb. 16 Zeichnung eines Triangulationsnetzes aus einem Manuskriptband über
«Geometriae» (Zentralbibliothek Zürich Ms. B 84, Rücks. der Doppels. 134)
Abb. 17 Blatt 1 aus «Baukunst» (antike Säulenordnungen)
Abb. 18 Blatt 17 aus «Baukunst»
Abb. 19 Blatt 52 aus «Baukunst»
Abb. 20 Blatt 6 aus «Festungsbau» von ARDÜSER (Zentralbibliothek Zürich Ms. B 81)
Abb. 21 Plan 5 (Venedig) aus «Festungsbau»
Abb. 22 Zeichnung eines Kometen durch M. ZXNCC
Abb. 23 Porträt von J. J. SCHEUCHZER
Abb. 24 Skelett des «Homo diluvii testis». Tab. XLIX aus «Phys. Sacr.» .
Abb. 25 Tab. X aus SCHEUCHZER'S «Physique Sacree»
Abb. 26 Tab. LXVI aus «Phys. Sacr.» Entstehung der Regenbogen .
Abb. 27 Tab. I aus «Phys. Sacr.» Das Weltsystem
Abb. 28 Tab. XI aus SCHEUCHZER'S «Physique Sacree»
Abb. 29 Gründungsurkunde der Physikalischen Gesellschaft
Abb. 30 Ausschnitt aus einem Zählbogen
Abb. 31 Bildnis JOHANN GESSNER'S
Abb. 32 Absterbetafeln aus der Diss. «Termini:, Vitae» von JOH. GESSNER, 1748 .
Abb. 33 Kupferstichtafel aus der Diss. «Triang. Resolutione» von J. GESSNER, 1757
Abb. 34 Kupferstichtafel aus der Diss. «Triang. Resolutione» von J. GESSNER, 1758
Abb. 35 Titelblatt der Dissertation «De Corporum Motu et Viribus» von
JOH. GESSNER 1746
Abb. 36 Kupferstichtafel zur Diss. «De Corp. Motu et Viribus»
Abb. 37 Kupferstichtafel zur Diss. «De Effectibus, qui a Virium Compositione
producuntur» von J. GESSNER, 1747
Abb. 38 Kupferstichtafel aus der Diss. «De Motibus Variatis» von J. GESSNER, 1749
Abb. 39 Kupferstichtafel aus der Diss. «De Hydroscopis Constantis Mensurae» von
J. GESSNER, 1754
110
12
13
14
15
16
16
17
17
18
18
20
22
22
23
24
24
26
27
28
28
29
36
47
49
51
52
54
55
61
62
65
67
69
69
76
76
77
78
79
Auszug aus der Generaltabelle der zunftgenössigen Bürgerschaft von Zürich
(Staatsarchiv B IX 13, B IX 14).
a) Verteilung der Geistlichen und Mediziner auf die verschiedenen Zünfte im Jahre 1780:
Gesamtzahl
I. Constaffel
II. Saffran
III. Meisen
IV. Schmieden
V. Weggen
VI. Gerwj
VII. Widder
VIII. Schuhmachern
IX. Zimmerleuten
X. Schneidern
XI. Schiffleuten
XII. Cämbel
XIII. Waag
Geistliche
Mediziner
I{aufleute
191
452
137
245
184
98
138
132
195
163
110
128
148
32
75
20
37
34
18
24
38
30
33
18
26
18
2
3
—
2
1
1
3
2
—
—
2
2
—
10
66
22
17
9
17
17
13
13
9
23
9
27
1
122
51
155
85
41
72
39
126
71
27
36
65
2321
403
18
252
891
Handwerker
b) Verteilung der Zünfter auf die verschiedenen sozialen Kategorien
in den Jahren 1780 und 1790:
f ahr
1780
1790
Geistliche
Mediziner
Rentiers
Militärs
Kaufleute
Krämer
Handwerker
403
328
18
18
272
301
136
137
252
248
82
70
891
806
Landwirte
1780
1790
107
84
Bärgerl. Dienste
Taglöhner, Handlanger
Gesamtzahl
87
123
9
10
23211)
2182')
1 ) Die Gesamtzahl ist höher als die Summe der angeführten sozialen Kategorien, da
manche Ziinfter keine Profession hatten und einige zahlenmässig unbedeutende Kategorien
von uns weggelassen wurden.
Literaturverzeichnis
Die benützten Quellen sind in den Anmerkungen erwähnt. Bibliographie für die Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich bei Prof. ANT. LARGIAD#R: «Geschichte von Stadt
und Landschaft Zürich» (Zürich 1945, 2 Bände). Die umfassendste Bibliographie für die
Geschichte der exakten Naturwissenschaften vor 1800 bei EDUARD FUETER: «Geschichte der
exakten Wissenschaften in der schweizerischen Aufklärung (1680-1780)» Aarau 1941 und
«Bibliographie bedeutender schweizerischer Mathematiker des 17. und 18. Jahrhunderts»
von EDUARD FUETER (als Manuskript auf der Zentralbibliothek Zürich hinterlegt). Die massgebende Studie über das höhere zürcherische Schulwesen verfasste Prof. HANS NABROLZ:
«Zürichs Höhere Schulen von der Reformation bis zur Gründung der Universität, 1525 bis
1833», Zürich 1938.
111
Namenverzeichnis
(Aus Raumgründen beschränken wir das Namenverzeichnis auf den Textteil)
Albertin, Heinr., Ing. (1713-1790), 8 ff., 83
Ardüser, Hans, 33
Ardüser, Johann, Ing. (1584-1665, 8, 19 ff.,
32 ff., 37, 41, 50
Gyger, Hans Konr. (1599-1674), 9, 19, 41 ff.
Gyger, Joh. Georg, 42
Gyger, Philipp 19, 41
Guyer, Jakob («Kleinjogg»), 84
Bäumler, Markus (1555-1611), 6
Bernoulli, Johann (1710-1790), 65 ff., 75, 89
Bernoulli, Nic., 67
Bilfinger (1693-1750), 66
Bodmer, Joh. Jakob (1698-1783), 11, 64
Bramer (1616), 21
Breitinger, David (1737-1817), 83, 86 ff.
Breitinger, David (1789-1815), 89
Breitinger, Joh. Jak., 64
Bürgi, Jost (1552-1632), 13, 21
Bullinger, Heinr., 6, 10
Bott, J., 33
Haller, Albrecht von, 65, 68, 89
Haller, Joh., Ing. (1573-1621), 19, 41 ff.
Herrliberger, Joh., Pfarrer (1630-1711), 36
Hirtzgartner, Mathias (1574-1653), 34, 37 ff.,
40
Hirzel, Hans Casp., Dr. (1725-1803), 82, 84
Holzhalb, Jak. (1666), 35
Horner, Joh. Casp., Prof. (1774-1834), 91 ff.
Hottinger, Joh. Heinr. (1680-1756), 43, 44 ff.,
66
Hottinger, Salomon (1649-1713), 43 ff.
Huyghens, 66 ff., 89
Cappeler, Moritz Anton, 44
Cartesius, siehe Descartes
Ceporin, Jak., 6
Collinus, Rud., 6
Corrodi, Maler, 63
Cuvier, 50
Irminger, Hans Jak. Ulr., Kantonsapotheker,
91
Jetzler, Christ. (1734-1791), 83
Judä, Leo, 6
Descartes 31, 46, 50, 54 ff., 66, 74, 89
Dürst, Konrad (1450/60-1503), 11
Ebel, Gottfr. J., Dr., 91
Eberhardt, Philipp (1563-1627), 13 ff., 19, 41
Escher, G., von, Prof., 91
Escher von der Linth, 92
Euler, 66, 68, 83, 89
Faesi, Hans Jak. (1664-1772), 39 ff.
Fehr, Joh. (1763-1823), 89
Finsler, Dr. med., 92
Fischer, Hans, Prof., 49 ff.
Fosse, de la, 20
Franklin, Benjamin, 85
Froschauer, Chr., 10 ff.
Galilei, 35, 66, 89 ff.
Geiger, Joh. Rud. (1603-1662), 38 ff.
Geiger, Philipp, siehe Gyger, Philipp
Geygern, Christ., Dr. (1626), 38
Gessner, Christoph (1707-1787), 65
Gessner, Pfarrer, 62
Gessner, Conrad (1516-1565), 9 ff., 44, 46, 58
Gessner, Johann (1709-1790), 9, 42 ff., 58,
61 ff., 64 ff., 82 ff., 86
Gessner, Salomon, 64
112
Kant, 88
Keller, Ferd., Dr. (1800-1881), 90
Kepler, 55, 66
Klingler, Antony. Antistes, 7
Koerfeld, siehe Zumbach
Kopernikus (Kop. Syst.), 19, 34, 37, 40, 53
Lavater, Apotheker, 92
Lambert, Joh. Heinr. (1728-1777), 66, 80 ff.,
88 ff.
Leibniz, 66, 72
Linne, 68, 89
Löwig, Prof., 92
Locher-Balber, Hans, Prof. (1797-1873),
90 ff.
Largiader, A., Prof., 42
Meyer, Conr. (1665), 40
Meyer, Joh. Conr., Dr., 63, 82
Montanus, Joh. Fabricius, 10
Mousson, Alb., Prof. (1805-1890), 92
Müller, Joh., Ing. (1733-1816), 8 ff., 83, 88
Muralt, Joh. von, Dr., 43 ff., 48
Murer, Jost (1530-.1580), 11, 41
Nabholz, Hans, Prof., 5
Neper, 68, 70, 75, 83
Newton, 54, 66, 89 ff.
Niggli, Paul, Prof., 45
Ott, Hans Jakob, 63, 80 ff.
Peblitz, Obrist, 20
Pell, John (1610-1685), 31
Pellikan, Conr., 6
Pestaluzz, Salomon (1753-1840), 89
Ptolemäus, 40, 53
Rahn, Joh. Heinr. (1622-1676), 30 ff., 40, 50
Rahn, Joh. Heinr., Dr. (1749-1812), 7, 88
Rheticus, Georg, 19
Rivius, Waltherus, siehe Ryff
Römer, Hans Konr. (1724-1779), 8
Ryff, Walter, 14, 21
Scheuchzer, Joh. (1684-1738), 42 ff., 58, 60 ff.
Scheuchzer, Joh. Jak. (1676-1733), 9, 36, 38,
42 ff., 46 ff., 58 ff., 75
Schinz, Sal., Dr. (1734-1784), 82, 84 ff.
Schinz, Sal., Dr., Chorherr, 91
Schnyder, Walter, Dr., 3
Steiger, R., Dr., 36, 58 ff., 66
Schönau, Heinr. v., 58
Serres, de, Ing., 20
Steiner, Uhrmacher, 63
Stumpf, Joh. (1500-1576), 10 ff.
Sturm, Chr. Leonh. (1669-1719), 50, 54, 60
Tartaglia, Nicolo, 14
Tycho, 40, 53, 55
8
Ulrich, Joh. Jak. Antistes, 35
Usteri, Martin (1738-1790), 80
Usteri, Paul, Dr., 7
Vogel, Joh. Heinr., Ing. (1671-1753), 8 ff., 88
Volta, Alessandro, 81, 88 ff.
Wägmann, Heinr. (1536-1617), 11
Wagner, Joh. Jak. (1641-1695), 48, 59
Waser, J. H., Pfarrer (1742-1780), 6, 64,
81 ff., 87
Waser, Maria, 6
Werdmüller, Beat, 13
Werdmüller, Hans Georg (1616-1678), 20,
29, 37, 42
Werdmüller, Joh. Ludwig, 44
Weisz, Leo, Prof., 13, 19, 21, 37
Wieser, David, 92
Wirz, Obmann, 63
Wolf, Caspar (1653), 33, 38
Wolf, Prof. (1666), 35
Wolf, Christian (1679-1754), 66 ff., 89
Woodward, John, 49
Wolf, Rud., Prof., 11, 35, 37, 39, 41 ff., 48, 50,
57, 68, 70, 87
Zingg, Michael (1599-1676), 6, 10, 25, 32 ff.
Zubler, Leonhard (1563-1609), 12 ff., 21, 37,
40 ff.
Zumbach, Lotharius (1691), 39
Zwingli, Ulrich, 6, 10
113