Generationen im Dialog: Für Menschen mit Demenz und für Kinder 1 Generationen im Dialog: Für Menschen mit Demenz und für Kinder Kulturelle Bildung und Kunstvermittlung gehören zu den grundlegenden Aufgaben der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, die ihr Programm für ein immer breiteres Publikum weiterentwickelt. Die aktuellen Trends in der gesellschaftlichen Entwicklung werden bei der Programmgestaltung berücksichtigt: Kulturelle Bildung umfasst den gesamten Lebenszyklus des Menschen und ist insbesondere in einer multikulturellen Gesellschaft Chance und Aufgabe zugleich. Die Kunst und ihre Geschichte ist ein wichtiges Gut, das es zu schützen und zu pflegen gilt, um es an nachfolgende Generationen weitergeben zu können. Dieser Grundsatz spiegelt sich in allem Wirken der Stiftung mit dem Ziel der Bildung zur kulturellen Teilhabe wider. Erst durch kulturelle Bildung wird die Partizipation am künstlerischen und kulturellen Geschehen einer Gesellschaft möglich. Kulturelle Bildung steht darüber hinaus im Kontext des lebenslangen Lernens wie auch des interkulturellen Diskurses. Mit den Vermittlungs- 2 programmen der Opelvillen zum Thema des lebenslangen Lernens werden von Kindergartenkindern bis hin zu älteren Menschen mit Demenz alle Altersgruppen angesprochen. Seit 2012 ist die Sprachförderung für Kinder durch Kunst fest integrierter Programmbestandteil der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim. Im Mai 2013 startete ein weiteres und bis dahin völlig neues museumspädagogisches Konzept: Kunstführungen für Menschen mit Demenz. Im Fokus dieses zusätzlichen Angebots steht die Förderung von Wahrnehmung und Denken durch die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Bildender Kunst. Mit dem Ziel, Kinder und an Demenz erkrankte Seniorinnen und Senioren an Kunst gemeinsam teilhaben zu lassen, fand im Oktober 2013 ein erster generationenübergreifender Informationstag über die Geschichte der Opelvillen unter dem Namen »Alt erklärt, Jung erfährt« statt. An diesem Tag gaben Zeitzeugen der Opelvillen ihr historisches Wissen über die Gebäude der Stadt an jüngere Generationen weiter. Idee Die positiven Erfahrungen aus den Führungen für Menschen mit Demenz und dem Informationstag »Alt erklärt, Jung erfährt« waren der Ausgangspunkt für ein neues Projekt, bei dem Menschen mit Demenz und Kinder im Schul- und Kindergartenalter in einer generationenübergreifenden Kunstvermittlung zusammengebracht werden. Die gesamtgesellschaftliche Brisanz des Themas Demenz gibt der Förderung eines angemessenen und respektvollen Umgangs mit den betroffenen Personen vom frühen Alter an einen hohen Stellenwert. Bereits in jungen Jahren können Kinder über demenzielle Erkrankungen informiert werden. Ein Zusammentreffen der Generationen hilft, beide Seiten in Dialog miteinander zu bringen, Vorurteile zu mindern und die nach wie vor weit verbreiteten Berührungsängste im Kontakt mit Demenzkranken abzubauen. Durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit Kunst können alle Beteiligten viel voneinander lernen: Es bietet sich die Möglichkeit, gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und Geschichte und Zukunft durch die Kunst zu vereinen. Dies macht sich die Stiftung zur Aufgabe. 3 Kulturtage 2014: »Nur der Augenblick zählt — Kulturfest für Menschen mit Demenz und Schulkinder« Die ersten Projekttage für generationenübergreifendes Arbeiten wurden mit Schulkindern entwickelt. Ein idealer Partner für die Kulturtage am 22. und 23. September 2014 war die Klasse 4 c der Grundschule Innenstadt in Rüsselsheim. Die Kunstlehrerin und Pädagogin Anette Stock entwickelte gemeinsam mit ihrer Klasse ein Führungskonzept, mit dem sich Schulkinder an Seniorinnen und Senioren wenden. Während einer mehrwöchigen Vorbereitungsphase suchten sich die Kinder ein Lieblingsbild aus und bereiteten in kleinen Gruppen einen interaktiven und informativen Dialog zur Erläuterung des Kunstwerks vor. Parallel schufen sie in Workshops eigene Werke, die die Themen und Motive der Doppelausstellung »Arno Fischer — Der Garten / Christiane Löhr — permeabile« aufgriffen. An den Kulturtagen führten die Kinder ältere Menschen durch die Ausstellung und präsentierten ihnen ihre Kunstwerke. Die Kinder erzählten den Besucherinnen und Besuchern, warum sie genau dieses Bild ausgewählt hatten, beschrieben das Gesehene und schmückten die Vorstellung mit passenden Gedichten und Liedern aus. Zudem präsentierte die Schulklasse Duftproben, die passend zu den Ausstellungen natürliche Gerüche aus der Natur konservierten, um die Fotografien und Skulpturen rund um das Thema Natur und Garten noch besser zu veranschaulichen. Daneben brachten die Schulkinder gesammelte Tannenzapfen und Kastanien mit, die herumgereicht und betastet wurden. Tätigkeiten und Beschäftigungen, bei denen der Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn aktiviert wurde, wirkten besonders anregend und förderten das Erinnerungsvermögen. Viele Seniorinnen und Senioren erinnerten sich anschließend vor allem an die Duftproben. Es zeigte sich auch, dass Kinder im Schulalter bereits in der Lage sind, verantwortungsvolle Aufgaben im Umgang mit ihren Mitmenschen zu übernehmen. Sie besaßen keine Berührungsängste und präsentierten unbefangen ihre selbst entwickelten Arbeiten mit Stolz und Begeisterung. Freudig konnte beobachtet werden, wie die Kinder die älteren Menschen an der Hand durch die Ausstellung führten oder Rollstuhlfahrer schoben. Am Ende der Veranstaltung wurden Tannenzapfen, Kastanien und selbst gebastelte Kunstwerke von den Kindern an die Älteren zur Erinnerung verschenkt. Kulturtage 2015: »Nur der Augenblick zählt — Mittsommerfest für Menschen mit Demenz und Kindergartenkinder« Im zweiten Projekt generationenübergreifenden Arbeitens begegneten sich am 16. und 17. Juli 2015 beim Sommerfest Kindergartenkinder und ältere Menschen mit Demenz. Es war geplant, angeregt durch die Kunstwerke der Doppelausstellung »Jörn Vanhöfen — Loop / Sandra Kranich — Dynamic Memory« erneut einen lebendigen Dialog zwischen den Generationen entstehen zu lassen. Mit dem Fokus auf einer interaktiven und praktisch-künstlerischen Zusammenführung von Seniorinnen, Senioren und Kindergartenkindern wurden an zwei Tagen Gruppen von Menschen mit Demenz und Kindergartenkindern in die Opelvillen eingeladen. Für die Treffen beider Gruppen wurde ein spezielles pädagogisches Programm ausgearbeitet. Die Seniorinnen, Senioren und Kindergartenkinder konnten gemeinsam an verschiedenen »Arbeitsstationen« die Ausstellung thematisch erarbeiten und dabei generationenübergreifend voneinander lernen. Die Gruppen wurden zu Beginn gebildet und bearbeiteten anschließend an jeder Station eine praktische Aufgabe, sodass in den zwei Stunden jede Gruppe an jeder Station tätig war. An der Station »Malen« konnte man seiner Kreativität freien Lauf lassen. Zunächst haben sich die Kinder gemeinsam mit den Seniorinnen und Senioren einige ausgewählte Bilder angesehen. Anschließend erhielten alle Akteure Schwarzweiß-Kopien der ausgestellten Werke und wurden aufgefordert, sie mit Leben zu füllen. Mithilfe von Buntstiften und Blumen konnten sie die abgebildeten Räume frei nach ihrer Fantasie mit Menschen, Tieren und Pflanzen beleben. Schnell wurden individuelle Fantasiegärten und Wunschräume gestaltet. Die älteren Menschen erinnerten sich oftmals an eigene Geschichten aus der Vergangenheit und erzählten sie den Kindern. 4 5 An der zweiten Station »Basteln« konnten die Gruppen die ausgestellten Skulpturen nachbauen oder eigene Skulpturen erschaffen. Materialien wie Blätter, Zweige, Tannenzapfen, Kastanien und feine, silbern glänzende Bastelpappen und Stoffe standen hierfür bereit: Inspiriert von den Bastelmaterialien, waren die Kinder und Seniorinnen und Senioren eingeladen, selbst und vor allem gemeinsam Skulpturen zu basteln. Die Gruppen ergänzten sich dabei: Während die Kinder ihrer Fantasie freien Lauf lassen konnten, halfen die älteren Menschen bei kleinteiligen Arbeiten und passten auf, dass die Skulpturen gut und stabil aufgebaut sind. Eine ältere Teilnehmerin hatte zunächst Sorge, ob sie noch zum Basteln geschickt genug sei. Es sollte sich herausstellen, dass sie am längsten von allen an der Bastelstation verweilte, um ihre Skulptur mit glitzernden Blumen zu schmücken. An der dritten Station »Puzzeln und Suchen« wurde es knifflig. Gemeinsam sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer versuchen, die Kunstwerke in einem Puzzle wieder zusammenfügen. Hierzu waren zuvor Farbkopien der Werke laminiert und in verschiedenen Schwierigkeitsstufen zerschnitten worden. Außerdem wurden kleine Ausschnitte ausgestellter Objekte gezeigt und die Seniorinnen und Senioren und Kinder erhielten die Aufgabe, zu suchen, wo das passende Original in der Ausstellung hängt. Bei dieser Aufgabe mussten die älteren Menschen und die Kinder also gemeinsam ihre Arbeitstische verlassen und selbstständig die Ausstellung erkunden. Durch die interaktive Arbeit mit den Kunstwerken lernten sich beide Gruppen 6 besser kennen: Hand in Hand erzählten sich Kinder und Seniorinnen und Senioren gemeinsam Geschichten über die Kunstwerke. Am Ende der Projekttage wurden viele selbst gemalte und gebastelte Bilder und Skulpturen der Kindergartenkinder an die älteren Menschen verschenkt. Fazit Die neuen generationenübergreifenden Projekttage boten einen offenen, sehr sinnlichen und spannenden Zugang zur zeitgenössischen Kunst — und das nicht nur für Kindergarten- und Schulkinder, sondern auch für die ältere Generation. Schüler und ältere Ausstellungsbesucherinnen und -besucher konnten an unseren Kulturtagen gemeinsam teilnehmen und sich untereinander über ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen austauschen. In kleinen Gruppen wurde dabei nicht nur durch die Ausstellung geführt, sondern man konnte auch über künstlerische Aktivitäten ins Gespräch kommen. Die Ausstellungen boten dafür viele interessante Anhaltspunkte. Es zeigte sich, wie Kunstfreundinnen und -freunde junger und älterer Generationen gemeinsam an der Kunstbetrachtung und künstlerischen Produktion teilhaben konnten. Ihre verschiedenen, teilweise ungewöhnlichen Sichtweisen waren inspirierend und bereichernd und trugen dazu bei, die Kunstwerke besser zu verstehen. Ältere Teilnehmerinnen und Teilnehmer brachten vorhandene Kompetenzen ein und entdeckten durch die intensive Begegnung mit der vorgestellten Kunst neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und des Erinnerns. Intergenerative Begegnungen werden in der Programmgestaltung der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim auch weiterhin im Vordergrund stehen. Unabhängig von den Exponaten der Ausstellungen ist die Begegnung von Jung und Alt ein Experimentierfeld für ein innovatives und generationenübergreifendes Vermittlungskonzept, in dessen Fokus die älteren wie auch jungen Besucherinnen und Besucher gleichermaßen stehen. Durch Vermittlungsprogramme wie die Kulturtage generationenübergreifenden Arbeitens können kreative Wege erprobt werden, auf denen verschiedene Generationen über die Kunst zueinander finden können. Bei unseren Zusammenführungen lernten sich die teilnehmenden Kindergarten- und Schulkinder und Seniorinnen und Senioren erst beim Ausstellungsbesuch kennen und zeigten dann auf überzeugende Art und Weise, wie lebendig und ohne Vorbehalte der generationenübergreifende Diskurs über zeitgenössische Kunst angestoßen werden kann. Wir danken herzlich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern: Kita St. Josef in Flörsheim Kita St. Markus in Kelsterbach Freier Kindergarten Rüsselsheim Städtischer Kindergarten Rüsselsheim Klasse 4c der Grundschule Innenstadt in Rüsselsheim GPR Seniorenresidenz in Rüsselsheim Senterra Pflegeresidenz Rüsselsheim Jennifer Jasmin Konrad Anette Stock sowie allen ambitionierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen, die mit viel Enthusiasmus die Kulturtage generationenübergreifenden Arbeitens unterstützt haben. 7 Das Projekt wurde gefördert durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration. Herausgeber: Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim Bildnachweis: © Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, Foto: Frank Möllenberg Gestaltung: Dreimorgen & Alexander Brade Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim Ludwig-Dörfler-Allee 9 65428 Rüsselsheim Telefon: 06142 835907 [email protected] www.opelvillen.de 8
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