WAS IST SEELISCHE GEWALT? Seelische Gewalt in der Erziehung sind Handlungen am Kind, die zur Zerstörung des Vertrauens des Kindes zu sich selbst und zu seiner Umwelt führen und seine Persönlichkeitsentwicklung massiv behindern. Sie „passiert“ oftmals ohne böse Absicht. Eltern stehen selbst unter Druck, sind Belastungen ausgesetzt und geben diesen Druck dann an ihre Kinder weiter. W Die Schäden sind folgenschwer und mit denen der körperlichen Misshandlung zu vergleichen. Seelische Gewalt ist in unserer Gesellschaft die häufigste Form der Gewalt an Kindern und Jugendlichen obwohl sich Österreich mit dem „Züchtigungsverbot“ bereits 1989 zu einer gewaltfreien Erziehung verpflichtet hat (Siehe unten). enn Kinder/Jugendliche vorgefassten Meinungen, Wünschen und Erwartungen der Eltern nicht entsprechen, kann daraus eine Ablehnungshaltung entstehen, die für Kinder sehr belastend ist. Eine destruktive Art einem Kind die Unerwünschtheit zu vermitteln ist beispielsweise ihm vorzuwerfen, dass es auf Grund einer Vergewaltigung und nicht durch einen Liebesakt entstanden ist. Solche Haltungen von Eltern erschüttern das Urvertrauen und die Lebensbasis eines Kindes, die Wurzeln einer positiven Lebensgestaltung. Auch eine Ungleichbehandlung vom Mädchen und Buben kann zu geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Benachteiligung führen. Kinder sollten niemals mit der Bürde aufwachsen müssen, dass sie nur Last sind. Sie sollten spüren, dass sie als eigenständige Persönlichkeit mit ihren Wünschen und Bedürfnissen, mit ihren Begabungen und Interessen, mit Ihrem Aussehen, ihrer Herkunft und ihrem Anderssein willkommen sind. Ablehnung der Person: • Kind erlebt häufig Ablehnung • Kind erfährt auf destruktive Weise, dass es unerwünscht war • Geschlecht des Kindes wird abgelehnt • Herkunft (Hautfarbe) des Kindes wird ablehnt • Kind wird wegen einer Behinderung, einer Krankheit abgelehnt • Neigungen und Interessen des Kindes werden abgelehnt • Elternteil des Kindes wird durch Restfamilie oder Verwandtschaft abgelehnt • Nichtobsorgeberechtigter Elternteil lehnt den Kontakt zum Kind ab • Stiefelternteil lehnt das Kind ab, weil es nicht das eigene ist D Isolierung: • Kind wird isoliert • Kontakt mit anderen Kindern wird kaum zugelassen • Kind darf nicht am Spiel mit anderen Kindern teilnehmen • FreundInnen des Kindes werden abgelehnt • Kind darf nicht an Schulveranstaltungen teilnehmen • Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil wird verhindert • Kontakt mit anderen erwachsenen Bezugspersonen wird verhindert as Isolieren von Kindern von anderen Kindern oder auch Erwachsenen aus Eifersucht, Angst, Geheimhaltungswünschen, Ruhebedürfnis, Rache usw. kann die soziale Entwicklung des Kindes beeinträchtigen. Sehr kränkend für Kinder ist auch, wenn ihre „besten FreundInnen“ von den Eltern missbilligt und schlecht gemacht werden, ohne dass es dafür pädagogisch sinnvolle Gründe gibt. Nicht als seelische Gewalt zu werten ist dagegen die berechtigte Sorge mancher Eltern, der Kontakt zu einem bestimmten Kind könnte dem eigenen Kind schaden, da Kinder ja auch durch Nachahmen lernen. „Das minderjährige Kind hat die Anordnungen der Eltern zu befolgen. Die Eltern haben bei ihren Anordnungen und deren Durchsetzung auf Alter, Entwicklung und Persönlichkeit des Kindes Bedacht zu nehmen; die Anwendung von Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leidens sind unzulässig.“ (§ 146 a ABGB) E ine Betonung des „Schlechten“ bei gleichzeitiger Nichtbeachtung der positiven Kräfte eines Kindes ist vergleichbar mit einer Pflanze, die statt mit Wasser mit Essig gegossen wird. Menschen, insbesonders kleine Menschen sind existentiell davon abhängig, dass sie am Lob und an der Anerkennung wachsen können. Ein Erziehungsstil, der wie die ehemalige „schwarze Pädagogik“ nur die Fehler aufzeigt und bestraft, kann dazu führen, dass das Aufgezeigte im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter als „selbsterfüllenden Prophezeiung“ zur Realität wird. Demütigung: • Geschwister werden durchgängig und offenkundig bevorzugt • Geschwister werden als Vorbild dargestellt D rohungen können sehr schädlich sein, z.B. wenn mit dem Tod eines geliebten Menschen oder eines geliebten Tieres gedroht wird, um Ziele zu erreichen. Auch die Drohung mit dem „Heim“ wird leider immer noch angewandt, ebenso geschlechtsspezifische Drohungen wie: „Wehe, wenn der Vater heimkommt!“ Kinder erleben Erziehende unterschiedlich in ihrer Rolle als Vater oder Mutter, sie nehmen die Gewalt eines Vaters anders wahr als die Gewalt einer Mutter. Auch Ängste von Kindern werden gerne zu Erziehungszwecken missbraucht. Wichtig ist weiters die Erkenntnis, dass die erlebte Gewalt an Familienmitgliedern ähnlich schädigende Auswirkungen auf Kinder hat wie die selbst erlebte. D • Kind wird ständig mit anderen Kindern ver• • • • • • • • • • • • • glichen Versagen des Kindes wird betont In Gegenwart des Kindes wird über das Kind geredet als ob es nicht da wäre Leistungen des Kindes werden nicht anerkannt Kind erfährt keinen Respekt Kind wird verspottet Kind wird herabgewürdigt Kind wird bloßgestellt Kind wird gedemütigt Kind wird nicht altersgemäß behandelt Tadel steht vor Lob Strafen werden nicht erklärt oder begründet Kind wird ungerechtfertigt bestraft oder beschuldigt Das Schamgefühl des Kindes wird verletzt Bedrohung: • Bestrafen durch Liebesentzug • Bestrafen durch Drohen • Beschimpfen des Kindes • Niederschreien des Kindes • Angst machen • Einsperren • alleine lassen • Beschimpfen des anderen Elternteils in Anwesenheit des Kindes • Kind erlebt Gewalt an anderen Familienmitgliedern hautnah mit • Androhung einer anderweitigen Unterbringung as eigene Zimmer, das Handy, die SMS, die privaten e-mails: all dies ist Privatsphäre und sollte geachtet werden. Auch bei beengenden Wohnverhältnissen können kleine Nischen für Kinder und Jugendliche geschaffen werden. Es ist wichtig, Kindern zu vermitteln, dass ihre Privatsphäre geachtet wird. Sie haben ein Recht darauf! Vertrauensbruch: • Briefe werden ohne Einwilligung des Kindes gelesen • Tagebücher werden ohne Einwilligung des Kindes gelesen • „Schnüffeln“ in privaten Sachen • Anvertraute Geheimnisse werden weitererzählt • Telefonate werden belauscht D Nichtbeachtung: • Kind erfährt keine Anerkennung • Ignorieren des Kindes • Zu wenig Zeit für das Kind • Fragen des Kindes werden selten beantwortet • Befindlichkeit des Kindes wird nicht wahrgenommen • Kind ist den Eltern gleichgültig • Kind wird nie in Entscheidungen, die es betreffen miteinbezogen • Bedürfnisse des Kindes werden nicht respektiert as Kind läuft nebenbei her, bekommt weder Aufmerksamkeit noch Zeit, die ihm ganz speziell gewidmet ist. Es geht hier nicht um das Thema Berufstätigkeit beider Eltern, sondern darum, ob dem Kind die Zeit und Aufmerksamkeit, die vorhanden ist, gewidmet wird. Auch ein Kind, das rund um die Uhr betreut wird, kann unter Nichtbeachtung leiden. rpressen durch Liebesentzug bedeutet, dass dem Kind vermittelt wird, es nicht mehr gern zu haben, wenn es die Forderungen oder Wünsche des Erwachsenen nicht erfüllt oder gewünschte Handlungen nicht setzt. Überforderung von Kindern geschieht z.B. durch „Parentifizierung“, wenn Kinder in eine Ersatzpartnerrolle gedrängt werden, der sie nicht gewachsen sein können. Diese seelische Gewalt kann Hinweis und Vorbote eines sexuellen Missbrauchs sein. Kinder lernen, indem sie Erwachsene nachahmen und auch Werte von ihnen übernehmen. Sie gegen ihren Willen permanent in das eigene Wertesystem hineinzuzwängen, sei es in politischer, gesellschaftspolitischer, religiöser oder anderer Hinsicht, missachtet ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und drängt ihnen sozusagen das Leben der Eltern auf. • Hineinziehen in den Beziehungskonflikt Überforderung, Erpressung, Zwang: • Überfordern des Kindes durch Leistungsdruck • Extremer Ehrgeiz der Erziehungsberechtigten • E K inder, deren grundgelegte Möglichkeiten nicht gefördert und unterstützt werden, leiden als Erwachsene oft ein Leben lang darunter, dass sie ihre Begabungen und Fähigkeiten nicht entwickeln und die Ziele nicht erreichen konnten, die ihnen einst greifbar erschienen. Es geht aber auch darum, dass Kinder durch gemeinsames Tun in der Familie Liebe und Wertschätzung erfahren. Diese Erfahrung ist wertvoller, als wenn Liebe und Wertschätzung nur verbal ausgedrückt werden. Erwachsener als Schlichter • Hineinziehen in den Beziehungskonflikt Erwachsener als Puffer • Hineinziehen in den Beziehungskonflikt Erwachsener als Aufpasser • Hineinziehen in den Beziehungskonflikt als Überbringer von Botschaften • Kind wird als Trostspender für Erwachsene missbraucht • Kind wird als Ersatzpartner missbraucht • Kind wird für Probleme eines Erwachsenen verantwortlich gemacht • Kind wird für körperliches oder seeli• • • • • sches Leid eines Erwachsenen verantwortlich gemacht Kind wird für eigene Krankheiten verantwortlich gemacht Dem Kind wird belastendes Schweigen aufgetragen Kind wird zum Kontakt mit dem getrennt lebendem Elternteil gezwungen Nicht altersgemäße Beaufsichtigung von Geschwistern Kind wird mit nicht altergemäßen Themen konfrontiert Zwang zur Übernahme von Werten der Eltern Mangel an Anregung und Zuwendung: • Kind erfährt keine Zärtlichkeiten • Kind erfährt keine Geborgenheit • Kind erfährt keine Aufmerksamkeit • Kind kann sich keinem erwachsenen Familienmitglied anvertrauen • Kind bekommt nicht die Förderung, die es für seine Entwicklung braucht • Kein gemeinsames, altersgemäßes Spielen • Kind wird oft sich selbst überlassen • Keine gemeinsamen Unternehmungen • Medien als Ersatzkommunikation • Kind wird unbegleitet schädlichen Außeneinflüssen ausgesetzt D as (unbewusste) Motiv, das Kind nicht verlieren zu wollen, kann bewirken, dass Eltern oder Elternteile das Kind an sich binden, abhängig machen und nicht erwachsen werden lassen. Für die kindliche Entwicklung ist dieses Erziehungsverhalten nicht förderlich, sondern hemmt sie vielmehr. Behinderung der Entwicklung zur Selbständigkeit • Überbehüten des Kindes • Abhängigmachen des Kindes von Bezugspersonen • Erziehung zur Unselbständigkeit • Verantwortungsübernahme wird nicht zugetraut • Der Begabung entsprechende Ausbildung wird nicht ermöglicht • Unterforderung U • Nichteinhalten von Ankündigungen • Anlügen des Kindes • Negative Äußerungen über den Charak- nzuverlässiges und inkonsequentes Verhalten hat zur Folge, dass das Kind sich auf nichts verlassen kann. Fragen wie: „Was stimmt eigentlich? Woran kann ich mich orientieren?“ verunsichern und quälen das Kind. Verunsicherung: • Inkonsequente Erziehung, heute so morgen anders ter des Kindes • Negative Äußerungen über die Zukunft des Kindes • Kind wird entmutigt • Dem Kind werden keine Grenzen gesetzt SEIT 1992 IST AUCH IN ÖSTERREICH DIE UN-KINDERRECHTSKONVENTION IN KRAFT: Seelische Gewalt an Kindern und Jugendlichen in der Erziehung „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen.“ (Art. 19 (1)) Leitfaden für Beratung und Elternbildung Die folgende Auflistung ist nicht als Kriterienkatalog zur diagnostischen Verwendung gedacht. Ziel ist das Bewusstmachen des Problems sowohl bei Eltern als auch bei Professionellen wie ErwachsenenbildnerInnen, BeraterInnen, EntscheidungsträgerInnen bei Jugendämtern und Familiengerichten. Nicht zuletzt soll auch die Öffentlichkeit für das Thema seelische Gewalt in der Erziehung sensibilisiert werden. Bei der Beurteilung eines Erziehungsverhaltens geht es um Qualität und Intensität verbaler und nonverbaler Gewalt. Das angestrebte Idealziel ist eine gewaltfreie Erziehung! WAS BEDEUTET GEWALTFREIE ERZIEHUNG? Das Kind spüren lassen, dass es als eigenständige Persönlichkeit mit seinen Wünschen und Bedürfnissen, Begabungen und Interessen, Aussehen und Herkunft willkommen ist und geliebt wird. Dem Kind viel Kontakt zu anderen Menschen, besonders auch zu gleichaltrigen Spielkameraden ermöglichen. Dem Kind viel Lob und Anerkennung geben, seine Stärken und Fähigkeiten betonen. Die Privatsphäre des Kindes achten. Dem Kind Zeit und Aufmerksamkeit widmen, sich ihm bewusst zuwenden. Das Kind nicht als kleinen Erwachsenen behandeln, es nicht mit Anforderungen unter Druck setzen. Dem Kind die Förderung zukommen lassen, die es für seine Entwicklung braucht. Dem Kind Grenzen setzen, auch durch „gewaltfreie“ Strafen, die erklärt werden und nachvollziehbar sind. Dem Kind nie Angst machen, es nicht anlügen. Das Kind nicht Überbehüten und unselbständig machen. IMPRESSUM: Herausgeber und Verleger: Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz, Abt. V/7; A-1010 Wien, Franz Josefs-Kai 51 FdIv.: KinderSchutz-Zentrum Salzburg, Gabriela Benzoni; Rudolf-Bieblstr. 50, 5020 Salzburg; e-mail: [email protected]; www.kinderschutzzentrum.at – Layout: H. Rath Erstellt vom KinderSchutz-Zentrum Salzburg, Gabriela Benzoni als regionales Projekt 2002/2003 im Rahmen der GEFÖRDERT VOM BUNDESMINISTERIUM FÜR SOZIALE SICHERHEIT, GENERATIONEN UND KONSUMENTENSCHUTZ
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