Reisebericht - Bernd Kölmel

ALFA Allianz
für Fortschritt
und Aufbruch
Bernd Kölmel, MdEP:
Hoffnung und Enttäuschung – Eindrücke aus dem Aufnahmelager in Pozzallo,
Sizilien
Pozzallo ist eine etwas verträumte Stadt am südlichen Ende Siziliens: 20.000
Einwohner, Hotels, Sandstrand, eine Stadt wie viele andere am Mittelmeer. Es gibt
keine großen Attraktionen, aber immerhin einen langgezogenen Sandstrand.
Allerdings befindet sich in Pozzallo ein gut ausgebauter Hafen. Die Fähre nach Malta
startet von hier. Der Hafen ist Grund für eine Besonderheit: Seit einiger Zeit werden
alle Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommend irgendwo in Sizilien landen, nach
Pozzallo gebracht. Seitdem die zentrale Flüchtlingsaufnahmestelle für Sizilien hierher
gelegt wurde, wird Pozzallo auch das neue Lampedusa genannt. In der Halle am
Hafen, in der die Erstaufnahme stattfindet, ist Platz für 400 Menschen. Nach
spätestens 72 Stunden sollen sie in andere Aufnahmestellen verlegt werden. Im Jahr
2014 kamen hier 8.000 Flüchtlinge an, meist aus Nigeria. 90 Prozent waren Männer.
Abbildung 1: Erstaufnahmezentrum Pozzallo/Schlafsaal
Erstaufnahme: das heißt, hier werden die Ankommenden medizinisch untersucht und
es werden ihnen die wesentlichen Verwaltungsabläufe erklärt. Am wichtigsten ist die
Aufnahme der Personalien. Schon bei der ersten Anlandung, egal wo, werden die
Flüchtlinge zu einer Polizeistation gebracht. Zunächst werden ihnen die
Fingerabdrücke genommen. Anschließend werden Fotos gemacht, Name, Vorname,
Geburtsdatum und Geburtsort in ein Formular eingetragen. Alles ist vage, denn kaum
einer der Ankömmlinge hat einen Ausweis.
Obwohl das Verfahren eigentlich klar ist, wurden trotzdem nur von 4.300 der 8.000
Menschen, die 2014 ankamen, die Personalien vollständig erfasst. Die Angaben der
übrigen 3.700 Personen fehlen. Das liegt daran, dass viele Flüchtlinge immer wieder
untertauchen und versuchen, die Erfassung zu umgehen. Nach Auskunft der
Mitarbeiter widersetzen sich viele der Abgabe von Fingerabdrücken und bei manchen
ist die Erfassung sogar nur mit physischem Zwang möglich. Damit es nicht so weit
kommt, stellt man die Aufnahme der Personalien bei bestimmten Gruppen erst einmal
zurück. Es soll dann zuerst ein Vertrauensverhältnis entstehen, damit diese Flüchtlinge
nach einiger Zeit ihre Fingerabdrücke freiwillig abgeben. Das funktioniert jedoch nicht
immer.
Abbildung 2: Erfassung der Formalien
Viele der meist jungen Männer sind voller Hoffnung, man sieht es ihren Gesichtern an.
Sie hoffen, ihre Familien wieder zu sehen, aus der Aufnahmestelle entlassen zu
werden, Essen, Trinken und eine sichere Unterkunft zu bekommen. Vor allem hoffen
sie, in Europa bleiben zu dürfen. Genauer gesagt, in einem anderen Land in Europa.
Ich hatte Gelegenheit, mit einer Gruppe von Flüchtlingen
zu sprechen. Ein junger Mann gab mir bereitwillig
Auskunft.
Sein Name ist Osasu, er kommt aus der Deltaregion in
Nigeria und ist 31 Jahre alt. Als Englischlehrer hat er bei
einer Privatschule gearbeitet. Bei einer staatlichen
Schule hatte er keine Chance, da er das
Bestechungsgeld, das bei Stellenbesetzungen üblich sei,
nicht zahlen konnte. Die Arbeit hat ihm Spaß gemacht
und mit umgerechnet 100 US-Dollar Monatslohn kam er
auch über die Runden. Dennoch fühlte er sich dort ohne
ausreichende Perspektive. Er wollte weiterkommen und
beschreibt sich als engagiert und leistungsbereit.
Seine Frau ist bereits vor zwei Jahren geflüchtet, sie ist
noch in Italien. Er ist ihr nun gefolgt. Auf einer Karte zeigt
er mir den Weg, den er vom Süden Nigerias nach Norden
bis nach Libyen zurückgelegt hat.
Abbildung 3: Osasu beschreibt Für die Fahrt in einem kleinen Bus hat er 300 US-Dollar
seine Reiserute
bezahlt. Er erzählt, dass auf der Fahrt immer neue
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Flüchtlinge mitgenommen wurden. Mehr will er dazu nicht sagen. Als er in Libyen
ankam, musste er seinen Pass abgeben. Dafür vermittelte man ihm eine Arbeit auf
einer Baustelle. Dabei hat er neue Bekannte kennengelernt, die ihn später auch nach
Italien begleiteten. Einige davon sitzen nun neben ihm. Sie erzählen, dass sie in
Nigeria als Bauarbeiter, Maler und Bodenleger arbeiteten. Sie sprechen nicht so gut
Englisch wie Osasu, aber dennoch gut verständlich.
Nach sechs Monaten hatte er seine Überfahrtskosten abgearbeitet. Dann ging es zum
Strand. Dort wartete ein Schlauchboot auf ihn und seine Bekannten. Er zeigt mir in der
Halle, wie groß das Boot war: Ein Schlauchboot, etwa 12 m lang. Angeblich sollen 120
Flüchtlinge darauf gewesen sein – unglaublich. Auf hoher See wurden sie schließlich
von einem Frontex-Rettungsschiff aufgelesen und nach Pozzallo gebracht.
Ob dies alles denn nicht gefährlich gewesen sei, frage ich ihn. Das ist für ihn kaum der
Rede wert: „Ja, natürlich“, meint er. Einige seiner neuen Bekannten seien bereits auf
der Baustelle ums Leben gekommen. Von denen, die auf anderen Booten waren, hat
er manche bisher nicht mehr gesehen.
Warum er das alles auf sich genommen hat? Es war die Hoffnung darauf, dass es
besser wird und dass er bleiben kann. Osasu sagt, er möchte arbeiten, egal was. Er
will sich hocharbeiten: er meint, er sei stark und hart im Nehmen. Ich glaube ihm das,
er hat ein freundliches Lächeln, ist offen und sympathisch. Einen konkreten Asylgrund
hat er allerdings nicht.
Es ist schade um die vermutlich unerfüllbare Hoffnung Osasus, der kein Flüchtling,
sondern ein Einwanderungswilliger ist. Es ist schade um Nigeria, das einen
engagierten Einwohner verloren hat, aber es ist auch schade, dass die EU und
Deutschland es nicht schaffen, eine vernünftige Einwanderungspolitik zu etablieren.
Hierzu gehört für mich, dass man Menschen wie Osasu vor Ort informiert und aufklärt.
Er sollte dort Deutsch lernen können und sich in einem gesteuerten Prozess um einen
Aufenthalt in Deutschland bewerben können, ohne Garantie auf ein
Einwanderungsvisum aber auch mit einer reellen Chance. Es muss klar sein, dass der
illegale und lebensgefährliche Weg über das Mittelmeer nicht die Lösung sein kann,
für niemanden.
Abbildung 4: Im Gespräch mit Bewohnern der Erstaufnahmestelle Pozzallo
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