Port Nolloth - AST

Südafrika
25. August, Dienstag: Port Nolloth – Richtersveld
Auch heute Morgen lässt sich niemand im Gästehaus blicken. Ich rufe deshalb an der am Gartentor
stehenden Telefonnummer an und sage, dass wir zur Abfahrt bereit sind. Auf unserer Liste von M&M
Solutions steht zwar, dass Frühstück enthalten ist, aber dem ist nicht so. Also fahren wir los und halten kurz
bei Nemos, um uns zwei Becher Tee zu kaufen.
Von Port Nolloth bis Alexander Bay sind es 82 Kilometer auf einer sehr guten, meistens schnurgeradeaus
führenden Straße. Ab und zu sind Abraumhalden vom Kupfererzabbau und Tore zu irgendeinem
Werksgelände zu sehen. Wie üblich kann man die Autos, die uns begegnen oder überholen an den zehn
Fingern abzählen.
Alexander Bay liegt an der Mündung des Orange River (auf afrikaans: Oranje) und entwickelte sich 1925, als
Diamanten an der Westküste entdeckt wurden. Die Stadt wurde nach einem Sir James Alexander benannt,
der im Richtersveld geförderte Kupfererze auf dem Orange River hierher zum Export bringen ließ.
Obgleich der offizielle Reiseführer der Northern Cape Province schreibt, dass die Stadt kein
Hochsicherungsgebiet mehr sei und auch keine Permits benötigt würden, müssen wir dennoch an einem
Schlagbaum zwei Formulare ausfüllen und uns mit Name, Vorname, Geburtsdatum, Pass- und Autonummer
sowie Zeit der Einfahrt und Zweck des Besuchs in ein Besucherbuch eintragen. Zwar kontrolliert keiner der
drei freundlichen älteren Herren, die sich wahrscheinlich ziemlich langweilen und über jedes Fahrzeug als
Abwechslung freuen, irgendeine Angabe, aber das Buchführen scheint sehr beliebt in Südafrika.
Schlagbaum hoch, Einfahrt. Danke mit einer lässigen Handbewegung.
Zunächst führt die Straße etwa 2 km durch eine nahezu vegetationslose, trockene Halbwüstenlandschaft,
dann an einem grasgrünen Golfplatz vorbei und in das, was wohl die Stadt Alexander Bay ist. Ein paar
Häuser mit Gärten davor, ein Geschäft, es gibt nichts Besonderes zu sehen, nicht einmal Menschen. An
einem Schild „Bird Hide“ biegen wir ab und fahren an einem ausgetrockneten Sumpfgebiet entlang, sehen
auch ein Hinweisschild mit der Abbildung von den hier vorkommenden Vögeln und Flamingos, aber leider
sehen wir keinen einzigen Vogel. Dem zweiten Schild zu einer Vogelbeobachtungsstelle folgen wir schon
gar nicht erst. Wir kehren stattdessen um und fahren zur R382 zurück.
Am Schlagbaum gibt es zwar eine Tankstelle. Wir tanken aber nicht, weil es ja auch in Sendelingsdrif
(englisch: Sendelingsdrift) eine gibt und wir dort tanken können – denken wir jedenfalls zu diesem
Zeitpunkt noch. Das sollte sich aber als falsch erweisen.
Mittlerweile ist es 10:50 Uhr. Kurz nach Alexander Bay zweigt die Straße nach Oranjemund in Namibia ab,
von weitem sieht man auch die Brücke, die den Orange River nach Namibia überquert.
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Wenige Kilometer später endet die bis dahin sehr gute Teerstraße und es beginnt eine Schotterstraße.
Zuerst lässt sich diese Straße ganz gut befahren, denn die Waschbrettpiste ist moderat und die Querrinnen
sind nicht sehr tief. Ich behalte eine Geschwindigkeit von etwa 60/h bei, 80 km/h sind erlaubt, und komme
ganz gut zurecht. Die gewaltige Staubfahne hinter uns stört ja niemand.
Zunächst führt die Straße durch eine ziemlich flache Landschaft, den Oranje entlang; ab und zu sind Farmen
zu sehen.
Nach etwa 50 km kommen in der Ferne Berge in Sicht. Das müssen bereits die Berge im Richtersveld sein.
Die Vorfreude wird allerdings durch die immer schlechter werdende Schotterpiste gemindert. Man weiß gar
nicht, ob man rechts oder links fahren soll, es rüttelt und schüttelt überall gleichermaßen. Wenn es die
nächsten 17 km so weiter geht, passe ich. Nachdem wir einige Fotos gemacht haben, lasse ich lieber Dieter
weiter fahren.
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Die Straße wird nun besser. Uns begegnet ein Schrapper auf der Gegenfahrbahn, und auf der rechten Seite
lässt es sich dann ganz gut fahren.
Von Weitem sehen wir schon die Anlage des /Ai/Ais-Richtersveld Transfrontier Park Gates (ARTP & RNP
Gate), das wir nach 65 km um 12:30 Uhr erreichen.
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Wir füllen wieder zwei Formulare aus und tragen uns in ein dickes Besucherbuch ein, halt wie üblich. Auf
der Liste sehen wir, dass wir das dritte Fahrzeug sind, das heute auf der Fahrt nach Sendelingsdrif das Gate
passiert. Die beiden Fahrzeuge fuhren bereits zwei Stunden vor uns in den Park. Dann öffnet der Mann uns
das Gate.
Nun sind es noch etwa 20 km bis nach Sendelingsdrif. Der Weg ist gut ausgeschildert, aber verfahren kann
man sich ohnehin nicht. Zuerst fahren wir zum Gebäude der Parkverwaltung. Links davor befindet sich das
Büro der Pass- und Zollkontrolle, denn man kann über Sendelingsdrif nach Namibia ein- und ausreisen. Vor
der Parkverwaltung stehen einige hochbeinige Allradfahrzeuge, manche von einer dicken Staubschicht als
Beweis dafür, dass sie unbekannte, ferne Territorien durchfahren haben. Dagegen sieht unser kleiner
Renault Duster geradezu mickrig aus.
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An der RNP-Rezeption wenden wir uns an die ältere der beiden Parkangestellten und geben ihr das
Formular mit Reservierungsnummer der vorgebuchten Camps, das wir am Gate ausgefüllt haben. Dank
unserer Wildcard brauchen wir keine weiteren Gebühren zu entrichten. Wir bekommen eine Karte vom
Nationalpark und kaufen uns auch noch die „South African National Parks Offical Information Guides“ für
50 ZAR für /Ai/Ais-Richtersveld Transfrontier Park, Augrabies Falls Nationalpark, Kgalagadi Transfrontier
Park und auch noch den Namaqua Nationalpark.
Seinen Namen hat das Richtersveld von einem Dr. E. Richter, einem Missionar, der das Gebiet um 1830
besuchte. Die ersten Spuren menschlicher Besiedlung datieren jedoch viel weiter zurück. San Sammler und
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Jäger sollen bereits vor über 10.000 Jahren hier gelebt haben. Die Khoikhoi-Vorfahren der heutigen Nama
ließen sich wahrscheinlich vor etwa 2.000 Jahren im Gebiet des heutigen Parks als Wanderhirten nieder.
Wegen seiner äußerst isolierten Lage wurde das Richtersveld erst Mitte des 19. Jahrhunderts von
europäischen Reisenden und Missionaren besucht. 1840 gründete die Rheinische Missionsgesellschaft eine
Niederlassung in Kuboes. Zur gleichen Zeit begann die Suche nach Bodenschätzen. Aber erst 1910 wurden
Kupfervorkommen entdeckt.
Die menschliche Geschichte ist aber nur ein kurzer Augenblick verglichen mit dem Alter der Gesteine im
Richtersveld. Einige Felsen sind bis zu 2 Milliarden Jahre alt.
Der südafrikanische Teil des /Ai/Ais-Richtersveld Transfrontier Parks ist 1.625 qkm groß, der namibische Teil
4.420 qkm, der Park insgesamt also 6.045 qkm. Zum Vergleich: Der Wetteraukreis ist 1.100 qkm groß,
Frankfurt 40 qkm. Der höchste Berg im Richtersveld ist der Vandersterr Berg mit 1.337 m.
Die Grenze nach Namibia bildet der Orange River oder !Gariep, wie er in der Sprache der Nama heißt, der
„Große Fluss“. Er ist der einzig ganzjährig Wasser führende Fluss hier im Nordwesten Südafrikas.
Auf dem Weg zu unserem Chalet kommen wir an der Polizei und der Grenzbehörde (Immigrations Office)
sowie der Tankstelle vorbei. Es gibt drei Tanksäulen, zwei für Benzin und eine für Diesel. Aber, oh Schreck,
an der Dieseltanksäule hängt ein kleiner handbeschriebener Zettel mit der beunruhigenden Mitteilung:
„Sorry no Diesel“. Hätten wir doch nur in Port Nolloth oder spätestens in Alexander Bay getankt!
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Wir fragen den Tankwart, wann es wohl wieder Diesel geben wird. „Maybe this afternoon, maybe
tomorrow.“ Sehr beruhigend klingt das nicht. Der Fahrzeugtank ist zwar noch etwa zu einem Viertel gefüllt
und zehn Liter haben wir noch in einem Reservebehälter, aber auf den schwierigen Sand- und
Schotterstraßen im Richtersveld brauchen wir bestimmt mehr Treibstoff als auf einer Teerstraße. Und wir
müssen es ja auch noch mindestens bis Alexander Bay zurück schaffen. Als letzter Ausweg könnte Dieter
mit der Fähre über den Orange River setzen, nach Namibia einreisen, im etwa 20 km entfernten Rosh Pinar
tanken und wieder zurückkommen. Aber warten wir erst einmal ab.
Wir bekommen das Chalet Nummer 3. Insgesamt gibt es 10 Chalets (sechs zwei-Bett und vier vier-Bett
Units), die im Stil der alten Mining Camps mit Wellblechaußenwänden und Wellblechdächern gebaut sind
und entlang des Orange River stehen. Das Chalet macht einen sehr guten Eindruck. Es besteht aus einem
ausreichend großen Raum, der mit allem ausgestattet ist, was man so braucht. Es gibt zwei Betten mit
Lämpchen zum Lesen, zwei Nachtkästchen, einen Schrank, sogar einen Fernseher, einen Tisch mit vier
Stühlen, eine eingerichtete Küchenzeile mit Geschirr, zwei Elektroplatten, eine Mikrowelle und einen
großen Kühlschrank. Auf der Terrasse stehen zwei weitere Stühle und ein Tisch sowie ein etwas verrosteter
und verschmutzter Grill. Bei unseren Nachbarn zwei Häuser weiter ist man schon am Grillen.
Das Richtersveld liegt direkt an der Grenze zu Namibia. Gleich hinter dem Parkbüro führt der Weg hinunter
zu einer Fähre, mit der immer ein Fahrzeug über den Orange River übergesetzt werden kann. Die Fähre
wird von zwei Außenbordmotoren angetrieben und an einem Drahtseil über den Fluss geführt.
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Man kann vom Parkbüro aus in den ersten Stock hinauf gehen und von dort den Blick auf die Fähre und auf
Namibia genießen.
Heute wollen wir es langsam angehen lassen und in der verbleibenden Zeit des Tages einen ersten Eindruck
vom Park und den Straßen bekommen. Dazu empfiehlt sich eine Fahrt zur nur etwa 9 km entfernten und
am Oranje gelegenen Potjiespram Campsite (Achtung: Potjiespram wird [poikiespräm] ausgesprochen).
Die ersten Eindrücke von der Landschaft sind überwältigend. Ich könnte nach jeder Kurve fotografieren,
denn das Panorama ändert sich ständig. Es ist eine fantastische, eine grandiose Bergwüste.
Manche Berge sind total schwarz, sie erinnern mich an den „Verbrannten Berg“ in Namibia. Bei anderen
ziehen sich schwarze Streifen durch das Gestein, dann kommen wieder sandige Strecken mit spitzen,
zerklüfteten Felsen. Dann erreichen wir einen Bereich, der so aussieht, als ob der Boden mit Salz bedeckt
wäre. Hier ist es auch feucht und ich denke, dass dies durch die Nebel vom Atlantik kommt.
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Diese Felsformationen sind aus Tillit-Gestein. Ein Tillit (von engl. tillite) ist ein Gestein, das sich aus
Ablagerungen und Geröll in Gletschermoränen verfestigt hat.
Wir erreichen das Tal des Orange River, fahren etwa 2 km parallel zum Fluss in westlicher Richtung zur
Potjiespram Camp Site.
Vor unserer Reise hatten wir begeisterte Berichte über diesen Campingplatz gelesen. Wenn man als
Kriterien die abgelegene Lage, die grandiose Berglandschaft anwendet, dann stimmt das wahrscheinlich
sogar. Hier ist man wirklich völlig auf sich alleine gestellt, weit weg von Telefon und Supermarkt um die
Ecke. Aber uns kommt der Platz ziemlich ungepflegt vor; insbesondere bei der „Nama Hut“.
Ein paar Camper- Schmutzfinke hatten ihren Abfall in Plastiksäcken einfach liegen gelassen; und natürlich
hatten sich Grünmeerkatzen in der Hoffnung, etwas Fressbares, vielleicht auch noch Bier- oder Weinreste
zu finden darüber hergemacht, die Säcke aufgerissen und den Abfall wild im Gelände verstreut. Es ist schon
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erstaunlich: Da nehmen Menschen einige Strapazen auf sich, fahren tausende von Kilometern im
Geländewagen, den sie vielleicht sogar für viel Geld gemietet haben, um unberührte und grandiose
Landschaften zu sehen, und dann lassen sie einfach ihren Müll liegen. Man muss es wohl so hart
formulieren: Auch unter Abenteuerreisenden gibt es Dreckschweine.
Auch auf unserem Rückweg fasziniert uns die Landschaft immer wieder.
Es sind immer wieder Schilder „Mining Area“ zu sehen. Denn obwohl das Richtersveld heute ein Nationalpark ist, wird ein Teil dennoch von einem Bergbauunternehmen, Trans Hex, zur Diamantensuche ausgebeutet. Auch diese Diamantenvorkommen haben ihren Ursprung, wie schon bei Port Nolloth erwähnt, im
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weit entfernten Hinterland in der Region von Kimberley. Der Orange River brachte die Diamanten mit sich
und lagerte Kies und Geröll mit den Diamanten entlang des Flussufers ab. Diese wertvollen Stellen sucht
nun das Minenunternehmen. Genau genommen also wurde das Richtersveld von 1970 an zunächst von
Minenunternehmen ausgebeutet und erst 1988 wurde im Einverständnis mit dem Unternehmen ein
Nationalpark daraus. Parkbehörde und Unternehmen arbeiten heute zum Schutz und zur Rehabilitation der
Natur zusammen.
Der Richtersveld Nationalpark bildet zusammen mit dem |Ai-|Ais Nationalpark in Namibia den |Ai-|Ais /
Richtersveld Transfrontier Park. Der Richtersveld-Teil ist mit weniger als 50 mm jährlichem Niederschlag die
trockenste Region der Northern Cape Province und beherbergt dennoch etwa 30 % aller südafrikanischen
Sukkulentenarten. Sukkulenten sind, um uns das ins Gedächtnis zurückzurufen, Pflanzen, die große Wassermengen speichern und so Trockenperioden längere Zeit ertragen können. Die bekanntesten Sukkulenten
überhaupt sind die Kakteen.
Wieder zurück im Camp trinken wir erst einmal Tee auf unserer Terrasse und schreiben dann unseren
Reisebericht.
Als wir schon im Bett liegen, donnert es drei Mal ganz gewaltig und es regnet drei Tropfen, dann ist alles
wieder vorbei. Kein Wunder, dass es nur 50 mm Niederschlag im Jahr gibt. Andererseits ist uns nicht so
ganz unlieb, dass es nicht richtig regnet, denn wegen Regenfällen vor unserer Ankunft im Park sind, so die
Angestellte im Parkoffice, bereits einige Wege gesperrt. Bei stärkerem Regen könnte auch der Akkedis Pass
unbefahrbar werden. Dann würden wir das Ganakouriep Wilderness Camp nicht erreichen, hätten keine
Unterkunft und müssten den Park verlassen.
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