Leichte Sprache - die ersten Gehversuche

Datum: 24.05.2015
Ostschweiz am Sonntag
9001 St. Gallen
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Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 59'005
Erscheinungsweise: wöchentlich
Themen-Nr.: 375.018
Abo-Nr.: 1053061
Seite: 2
Fläche: 95'626 mm²
Der Kanton St. Gallen gibt als erste Schweizer
Verwaltung einen Bericht in Leichter Sprache heraus.
Zielgruppe sind Menschen mit geistiger Behinderung.
Das Problem: Leichte Sprache ist gar nicht so leicht.
Leichte Sprache
- die ersten
h
1
Das deutsche Netzwerk Leichte Sprache bietet ein Regelwerk mit «guten» und «schlechten» Beispielen an.
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Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich
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Schlecht:
Das Haus des Lehrers.
Des Lehrers Haus.
Gut:
Das Haus von dem Lehrer.
Das Haus vom Lehrer.
Halt!
Schlecht:
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Schlecht:
1867
1867
Gut:
Vor langer Zeit.
als 100
Vor
Vor mehr
mehr
Jahren.
Schlecht:
Peter ist
LiminPeter
ist
nicht krank.
nicht
Morgen könnte es regnen.
Gut:
Morgen regnet es vielleicht.
Gut:
0 Gut:
Peter ist gesund.
Schlecht:
Schlecht:
Schlecht:
14 795 Menschen.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Gut:
Gut:
Viele Menschen.
Menschen.
Viele
Gut:
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Mitarbeiterinnen.
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ODILIA HILLER
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Leichte Sprache hat der Rorschacher Kommuine wichtige Aufgabe nikationsberater und ehemalige Journalist Rivon der Bundes-Kanzle-
rin steht im Artikel 64
vom Grund-Gesetz. Die
Bundes-Kanzlerin darf
sagen: Diese Person soll
Bundes-Ministerin oder Bundes-Minister sein.»
So präsentiert sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Menschen mit Lernschwie-
«Dringend zu
klären ist die
Frage nach den
Adressaten.»
Bettina Bock
Universität Jena
rigkeiten oder geistiger Behinderung. Auch chard Lehner gefasst. Seine Aufgabe war es, sich
Menschen, «die nicht so gut lesen» oder «nicht in einem Dschungel verschiedener, nicht stanso gut Deutsch» können, sind explizit angespro- dardisierter Regelwerke zum Thema Leichte
chen. In kurzen, verständlichen Sätzen oder Sprache zurechtzufinden. Eine entscheidende
Satzbausteinen, ohne Schlangen- und Fremd- Hilfe war ihm dabei sein eigenes Umfeld: Lehwörter und umständliche Schachtelsätze, sollen ner hat einen 30jährigen Sohn mit geistiger Besie erfahren, was ihr Regierungsoberhaupt so hinderung. «Leichte Sprache ist mein Alltag»,
alles macht. Diese Art, Texte zu formulieren, sagt er.
liegt am anderen Ende der Skala des legendär
Eine der Herausforderungen bei der Übersetverschwurbelten Amtsdeutschs und nennt sich zung der Regierungsbotschaft sei die Textsorte
Leichte Sprache.
gewesen: «Es handelt sich um die Botschaft zu
einem Gesetz und nicht um einen GebrauchsSt. Gallen geht voraus
text.» Bei der Übertragung in Leichte Sprache ist
Als erste Schweizer Verwaltung hat nun der es meist nicht möglich, Satz für Satz vorzugehen
Kanton St. Gallen einen Text in Leichte Sprache wie bei einer gewöhnlichen Übersetzung. «Man
übersetzen lassen. Es handelt sich um die Bot- muss das Original total auseinandernehmen
schaft der St. Galler Regierung zum Gesetz für und ein neues Drehbuch für den Text erschafMenschen mit Behinderung. Im Original um- fen.» Abstrakte Begriffe wie «Leistungsvereinbafasst der Bericht 82 Seiten und zwölf Kapitel. In rung», «Selbsthilfe» oder «Kanton» müssen erst
der «übersetzten» Version in
einmal erklärt werden. Die Übersetzung sei
Leichter Sprache verbleiben 16
dementsprechend in enger Zusammenarbeit
Seiten in 20-Punkt-Schrift (siehe
mit dem zuständigen Amt für Soziales entstanSeite 3, rechts unten).
den - auch in Sachen Verzicht auf bestimmte
Was in der deutschen VerwalInhalte, sagt Lehner.
tung seit zehn Jahren gefördert
Am wichtigsten sei, immer den Empfänger
und teils verordnet wird, hat in
im Auge zu behalten. «Ich hatte grossen Respekt
der Schweiz eben erst begonvor der Aufgabe, denn jeder Text in Leichter
nen: Im Rahmen der Umsetzung
der UNO -Behindertenrechtskonvention aus Sprache ist im Grunde ein Kompromiss.» Seine
dem Jahr 2006, welche die Schweiz am 15. April Übersetzung sehe er deshalb auch nicht als der
2014 ratifiziert hat, soll Menschen mit Behinde- Weisheit letzter Schluss. Wichtiger Teil einer
Übersetzung in Leichte Sprache
rung eine «aktive Teilnahme am politischen,
sei jedoch immer die Prüfung
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ledurch Betroffene. Lehner arbeiben ihres Landes ermöglicht werden». Dazu ge-
hört auch ein möglichst freier Zugang zu
schriftlichen Informationen als Teil der vielbeschworenen «Barrierefreiheit». Die Übersetzung in Leichte Sprache gilt in Fachkreisen als
tete dafür mit der Rorschacher
Behindertengruppe «Wir für
uns» zusammen. Dort sei sein
Text gut angekommen. «Sie ha-
ben sich bei der Lektüre wiederMöglichkeit, Informationen auch denjenigen
gefunden.»
Menschen zugänglich zu machen, die kognitiv
nicht dazu in der Lage sind, komplexere Texte Vieles ist ungeklärt
zu lesen und zu verstehen.
Was Leichte Sprache allerdings genau umDen St. Galler Übersetzungsauftrag in die
fasst und an wen sie sich exakt richtet, ist bisher
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weitgehend ungeklärt. «Die Frage nach den Linguistik an der ZHAW in Winterthur, begrüsst
Adressaten der Leichten Sprache zu klären, ist
eine der dringlichsten Aufgaben der zukünftigen Forschung», schreibt die deutsche Sprachwissenschafterin Bettina Bock in der Publikation «Sprache barrierefrei gestalten» aus dem
die ersten Gehversuche aus St. Gallen. Sie betont, dass vieles, was in Sachen barrierefreie
Kommunikation wissenschaftlich noch unge-
klärt ist, unbedingt in Zusammenarbeit von
Linguistik, Sozialarbeit und Heilpädagogik er-
Jahr 2014. Umstritten ist beispielsweise, ob arbeitet werden sollte. «Alle drei Perspektiven
auch Menschen mit Migrationshintergrund können dazu beitragen, dass sinnvolle, kreative
oder Leseschwäche davon profitieren. Das Ein- Lösungen zum Erreichen eines künftigen Stanüben falscher Schreibweisen («Bundes-Kanzle- dards der Leichten Sprache gefunden werden»,
rin») beispielsweise kann auch Verwirrung stif- sagt die Linguistin.
ten. Mangels eines durch die Sprachwissenschaft geprüften Standards ist die Qualität der «Nicht wirldich brauchbar»
Übersetzungen sehr breit gestreut. Zudem leiFür die Feststellung, dass viele
det durch den weitgehenden Verzicht auf Verbindungswörter und Nebensätze oft die Logik und damit der Inhalt - der Texte.
Die wissenschaftliche Forschung macht sich
eben erst auf den Weg, die drängendsten Fragen
zu klären: Was muss Leichte Sprache können?
An welche Zielgruppen soll sie sich richten? Erreicht man mit der grösstmöglichen Einfachheit
der Sprache tatsächlich auch die «Verständlichkeit für alle», von der die begeisterten Anhänger
der Leichten Sprache träumen? Schliesst man
gewisse Kreise damit schon wieder aus? Ob die
Barriere zwischen Menschen mit und ohne Be-
Texte in Leichter Sprache für Lai-
Kompetenzzentrum im Aufbau
kurze Sätze und wenig Fremdwörter. «Man
en nicht unbedingt besonders
verständlich wirken, hat sie ein
gewisses Verständnis. «Wir arbei-
ten aus Sicht der Sprachwissenschaft darauf hin, dass professionelle Übersetzer und ihre Techniken einbezogen werden.» Nur so
könnten «begründete Übersetzungsentscheide» entstehen, die ei-
ner inhaltlichen und sprachlichen
Prüfung standhalten.
Jill Aeschlimann, wissenschaftliche Mitarbeihinderung tatsächlich kleiner wird durch das terin beim schweizerischen Dachverband der
Dazwischenschalten von Texten, die das Erst- Elternvereine für Menschen mit einer geistigen
leseniveau teils deutlich unterschreiten, ist Behinderung, weist darauf hin, dass es für eine
jedenfalls noch nicht nachgewiesen.
gute Verständlichkeit von Informationen für
Menschen dieser Zielgruppe mehr braucht als
Das Departement Angewandte Linguistik der muss solche Texte mit Kapiteln und Absätzen
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen- klar strukturieren und mit Bildern ergänzen.»
schaften (ZHAW) baut in Zusammenarbeit mit Im St. Galler Text fehlen solche Elemente, wesder Universität Genf und der Fachhochschule halb Aeschlimann diese Version nicht für wirkNordwestschweiz zurzeit ein nationales Kom- lich brauchbar hält. «Aber es ist ein lobenspetenzzentrum «Barrierefreie Kommunikation» werter Versuch.»
auf. Susanne Jekat, Professorin für Angewandte Im Netz: www.bundeskanzlerin.de,
www.insiemeplus.ch, www.linguistik.zhaw.ch
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