OV epaper - Andreaswerk

Auszug aus der "OV" vom 30.04.2015
Beharrlich besiegt er die Langsamkeit
Eine Fernsehsendung auf Sat.1 bringt Gert Angermann und seine Schwester wieder zusammen
Der Dinklager lebt im
Pflegewohnheim des Kardinal-von-Galen-Hauses.
„Hier kann ich ich selbst
sein“, sagt er. Und das
bedeutet ihm viel.
Von Ruth Honkomp
Dinklage. Das Hintergrundbild
auf seinem PC ist ein Familienbild: Er selbst, Gert Angermann,
ist darauf zu sehen, seine Großeltern, sein Vater, seine Schwester Daniela, seine Nichten und
Neffen. Es ist ein ganz neues Foto, noch vor kurzem hätte sich
der 26-jährige Dinklager nicht
vorstellen können, dass es je-
Foto: Honkomp
Das Porträt
Gert Angermann
mals so ein Foto geben könnte.
Denn Gert Angermann hat seine Schwester erst vor wenigen
Wochen kennen gelernt.
Dass es soweit kam, ist ihr zu
verdanken: Sie hat nach ihrem
zehn Jahre jüngeren Bruder gesucht, mit Hilfe des Teams der
Sat.1-Sendung „Julia Leischik
sucht: Bitte melde dich“. Die
Spur führte nach Dinklage. Hier
lebt Gert Angermann, der mit
schweren körperlichen Einschränkungen leben muss, seit
2010 im Pflegewohnheim des
Kardinal-von-Galen-Hauses.
1989 waren die Geschwister auseinandergerissen worden, Gert
Angermann war gerade mal ein
halbes Jahr alt. Es waren schwierige Familienverhältnisse, die
damals dazu führten, in Halle an
der Saale. Er selbst wusste lange
Zeit nicht, dass er eine Schwes-
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ter hat, sie aber hatte ihn nie vergessen. Nun, nachdem sich die
Geschwister wieder gefunden
haben, hat er vieles von damals
erfahren, er spricht nicht öffentlich darüber. Leise sagt er nur:
„Es war eine schwere Zeit.“ Und
dann lächelt er wieder, als er das
Foto ansieht. „Hier im Pflegewohnheim wohnen wir in einer
Gemeinschaft zusammen, wie in
einer Familie. Aber es kann die
richtige Familie nicht ersetzen.“
Gert Angermann ist jemand,
der genau zuhört. Seine Sätze
sind gut überlegt, und das, was
er erzählt macht deutlich, welche Bedeutung Beharrlichkeit in
seinem Leben hat. Denn nur zu
oft ist er zurückgeworfen worden, musste Träume begraben.
Eigentlich wollte er nach der
Schule eine Ausbildung im Verwaltungsbereich machen. Er
durchlief verschiedene Berufsvorbereitungsmaßnahmen, unter anderem an der StephenHawkings-Schule in Neckargemünd. Er lernte Geschäftsbriefe
am PC zu schreiben, Grafikbearbeitung, Tabellenkalkulation
mit Excel. Doch seine motorischen Fähigkeiten zogen die
Grenzen dessen, was zu erreichen war. „Mir wurde gesagt, Sie
machen Ihre Arbeit zwar gut,
aber Sie sind zu langsam“, sagt
er nüchtern von der großen Enttäuschung, mit der er leben muss
– nachdem er so lange für die
Ausbildung gekämpft hatte.
Mit dem Umzug aus SachsenAnhalt nach Dinklage war die
Arbeit in der Werkstatt des Andreaswerkes verbunden. Und
hier ergab sich plötzlich eine völlig unerwartete Möglichkeit, zumindest an eineinhalb Tagen in
der Woche – an den anderen arbeitet er in der Industriemontage – einen Teil seiner Begabung
und seiner Interessen auszuleben. Er gehört zum Team des
Projektes „Sprach-Werk“, das
Büro für Leichte Sprache des An-
M Aus dem Gericht
Mann fühlt sich von
Gericht betrogen
Mühlen/Vechta (es). „Das ge-
Ein Zimmer, das auch wichtiger Rückzugsort ist: Gert Angermann mag Wrestling, Metal-Rock - und Borussia Dortmund.
Foto: Honkomp
dreaswerkes. „Ich war von Anfang an dabei“, sagt Gert Angermann. Und berichtet, was es mit
diesem Büro auf sich hat. „Wir
gestalten und übersetzen Texte
für Leute, die gewöhnliches
Deutsch nur schwer verstehen.“
Gert Angermann ist dabei für das
Layout zuständig, so gestaltet er
auch einen Teil der Betriebszeitung des Andreaswerkes. „MitMenschen“ heißt sie, und ein Teil
der Texte sind in Leichter Spra-
che verfasst. In der Leichten
Sprache werden komplizierte
Formulierungen in einfache Sätze übersetzt. So sollen auch
Menschen mit Lernschwierigkeiten Zugang zu wichtigen Informationen erhalten.
Langsam, aber beharrlich, so
hat Gert Angermann, der sich
auch im Heimbeirat engagiert,
schon manches Ziel erreicht. Er
ist auf Unterstützung angewiesen, das weiß er. „Absprachen
sind für mein Leben das A und
O“, beschreibt er seinen Alltag.
Das Umfeld in Dinklage gefalle
ihm, „in diesem Pflegewohnheim kann ich ich selbst sein“,
und das ist ihm sehr wichtig. Solange es irgendwie geht, wird er
nach Sachsen-Anhalt fahren, seine Großeltern besuchen. Und
auch seine große Schwester. Er
lächelt wieder und sagt: „Es ist
gut zu wissen: Du hast noch jemanden an deiner Seite.“
hört in die Öffentlichkeit“, damit meinte der Angeklagte das
„Gebaren“ von Gericht und
Staatsanwaltschaft. Der Ex-Unternehmer (53) aus Mühlen
fühlt sich bei seiner Insolvenz
vom Gericht betrogen. Nun war
er angeklagt, in acht Fällen einen Insolvenzverwalter als
Verbrecher beleidigt zu haben.
Am ersten Verhandlungstag hatte der Angeklagte seine
Schriftsätze vorgelesen und immer wieder den Insolvenzverwalter als Verbrecher bezeichnet und namentlich einen
Staatsanwalt als völlig unfähig
betitelt. Strafrichter Jacobs
empfahl dem Angeklagten, sich
anwaltlich vertreten zu lassen.
Das tat der Mann auch. Rechtsanwalt Sascha Kotschofsky bat
am zweiten Verhandlungstag
um eine Aussetzung des Verfahrens, um sich einzuarbeiten.
Das Gericht gab ihnen 90 Minuten Zeit, um sich zu besprechen. Die Zeit reichte, der Verteidiger legte sein Mandat nieder und ging. Der Mühlener
vertrat sich wieder selber.
Das Gericht räumte ihm ein,
Beweisanträge zu stellen und
Erklärungen abzugeben. Dem
kam der Angeklagte nach, bezog sich aber nicht auf das Anklagethema der Beleidigung. Er
stellte pausenlos Fragen an die
Anklagevertreterin, die alle den
Kern der Beleidigung hatten.
Die Anklagebehörde und das
Gericht konnten seiner Argumentation
folgen.
nicht
Schließlich beantragte die
Staatsanwältin wegen Beleidigung in acht Fällen eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je
zehn Euro. Dem folgte das Gericht. Der Strafrichter wies den
vorbestraften Mann darauf hin,
dass er die letzte Geldstrafe von
90 Tagessätzen zu je zehn Euro
noch nicht bezahlt habe und er
dafür pro Tagessatz einen Tag
Freiheitsstrafe abzusitzen habe.
Wenn die neuerliche Geldstrafe dazu komme, gehe es um
mehr als fünf Monate Gefängnis. Das war für den Mann eine
Aufforderung zum Schlussfazit: „Die Staatsanwaltschaft hat
bei mir Waffen im Wert von
20 000 Euro beschlagnahmt, die
sollen die erst einmal zurückgeben, notfalls verrechnen“. Ob
die Anklagebehörde auf seinen
solchen Deal eingeht, kann getrost bezweifelt werden!