Lehrveranstaltung: Semester: LV-Leiter: VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie SS08 Weichhart Typ: Modulzusammenfassung Verfasser: Gilbert Kotzbek, a0700764 Anmerkung: Der folgende Text dient lediglich als Ergänzung der LV-Unterlagen und zusätzliche Hilfestellung bei der Prüfungsvorbereitung. Eine Garantie auf inhaltliche Korrektheit kann nicht gegeben werden. Außerdem handelt es sich um eine Rohfassung, welche nie ernsthaft korrigiert wurde. Aus diesem Grund kann auch keine Garantie auf korrekte Rechtschreibung und Grammatik gegeben werden. Des Weiteren setzt sich der Text aus eigenem und fremdem Gedankengut zusammen. Da es sich jedoch nicht um eine wissenschaftliche Arbeit, welche veröffentlicht wird, handelt, wurden so gut wie alle Regeln des korrekten wissenschaftlichen Arbeitens, insbesondere die Zitierregeln, missachtet. Missbrauch kann und wird auch nicht geduldet! Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie - Modulzusammenfassung: Modul 0101 Kennzeichen der Betrachtungsperspektiven der Geographie: - Beschäftigung mit den Systemzusammenhängen zwischen den Geofaktoren Thematisierung der Lagebeziehungen zwischen den Phänomenen der Erdoberfläche Lebensweltliche Orientierung Maßstabsfrage Die Hauptphasen der Objektbetrachtung der Humangeographie: 1. Geodeterministische Phase Ist gleich die Frühphase der Humangeographie. Die Erscheinungen der Kultur sind durch Naturgegebenheiten bestimmt. 2. Physiognomisch-morphologische Phase mit einer genetisch-historischen Perspektive Beschreibung und Klassifizierung der äußeren Gestalt, ihre Herkunft und Entstehungsgeschichte o Äußere Gestalt - Morphologie o Äußeren Erscheinung - Physiognomie 3. Funktionale Phase Seit den 1920/30er Jahren – Funktionale Zusammenhänge (z.B.: Stadt-Umland Beziehungen). Stoffwechsel und Physiologie der Landschaft 4. Raumwissenschaftliche Phase Ab Ende der 1960er Jahre im deutschsprachigen Raum als quantitativ orientierte Untersuchung. Die Suche nach Raumgesetzen. 5. Verhaltenswissenschaftliche Phase Die Welt in unseren Köpfen, Wahrnehmung und Bewertung. Entsteht fast zeitgleich mit der Psychologie. Wahrnehmungsprozesse als Produktion materieller Strukturen. 6. Handlungstheoretische Phase Ist derzeit aktuell: Kulturlandschaften sind die Produkte beabsichtigter oder nicht beabsichtigter Folgen menschlichen Handelns. Bei den Phasen fällt die Nicht-Linearität auf. Die älteren Phasen verschwinden nicht. Jede Phase hat ihren eigenen Zugang geschaffen. Die drei Dimensionen der Wissenschaft: - Die Wissenschaft als System von Aussagen: o Wahrheitsanspruch o Aufstellen von Erklären o Suche nach Gesetzlichkeiten (Theorien) - Die Wissenschaft als Tätigkeit o Streben nach inhaltlicher Wahrheit und formaler Korrektheit o Beweis- und Begründungspflicht o Methodische Nachvollziehbarkeit B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 2 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek - Die Wissenschaft als soziales System o Organisatorisch-institutionellen Rahmen o Spielregeln und Normen o Soziale Eigendynamik Modul 0201 Raum: Eine vorläufige Begriffsbestimmung - Ein Raum kann ein kleinerer oder größerer Ausschnitt der Erdoberfläche sein, mit vagen Grenzen und unspezifischen Adressangaben - Die allgemeinste Art ist jedoch, dass ein Raum jede Art einer Ordnungsrelation sein kann. - Ein Raum kann aber auch ein Place sein, ein subjektiv erlebter Raum, welcher für bestimmte Menschen, einen bestimmten Wert besitzt (z.B.: Heimat oder Wahlfahrtsort). Mit Hilfe einer Karte kann man Ordnungsrelationen darstellen, wobei man hier abstrakte Ordnungsrelationen hat. Die Stelle gibt die absolute Lage an. Eine relative Lage ist zum Beispiel die Beziehung zu einer anderen Lage. Problemstellung: Strandleben - Lokalisierung der Phänomene, Verteilungsmuster - Unterschiede zwischen den Verteilungsmustern? - Zusammenhänge zwischen den Verteilungsmustern und der Umwelt? - Räumliche Ordnung und Regionalisierung Eine erste Regionalisierungsmöglichkeit bildet die physiogeographische Regionalisierung (im Fall vom Strandbeispiel mittels einer zonalen Anordnung). Die einzelnen Zonen sind klar von einander unterscheidbar. Die Grenzen sind jedoch nur Momentaufnahmen und sind breit gesäumt. - Lokalisierung der Phänomene , Verteilungsmuster: o Positionierung der Phänomene in einem Koordinatensystem, wobei man absolute Stellen und Distanzen zu anderen Stellen erkennen kann. o Systematische Anordnung mit Zahlen. Dabei wird ein Rasterfeld über das Untersuchungsgebiet gelegt und die Phänomene innerhalb einer Rasterzelle werden aufsummiert. o Weiters kann man die Verteilungsmuster darstellen mittels: Eines 3d Modells Einer Isoplethenkarte, welche mittels Interpolation erzeugt wird Einer Werteklassendarstellung, welche eine Verdichtung der Information darstellt. Das Aufstellen von Erklärungen ist das Ziel jeder Wissenschaft. Erklären bedeutet, eine kausale Begründung für ein Phänomen zu finden. Dafür benötigt man jedoch Theorien. Theorien sind verallgemeinernde Behauptungen, welche einen Kausalzusammenhang oder Verursachungszusammenhang zwischen Phänomenen der Realität postulieren. Eine Theorie gilt jedoch nur so lange, bis sie widerrufen wird und ist in jedem Fall zu falsifizieren, da sie Allaussagen enthalten. Es gibt zwei Formen der Verallgemeinerung: - Starke Form (Deterministische Form) o Zwingend, immer und überall geltend B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 3 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek - Schwache Form (Probabilistische Form) o Meistens, mit hoher Wahrscheinlichkeit Erklärungen in der Geographie: Für die Geographie ist besonders charakteristisch, dass sie meist solche Eigenschaften von Phänomen der Realität erklären will, die durch ihre räumliche Lage, ihrer absoluten Position in einem Koordinatensystem oder als Relation zu anderen Phänomenen bestimmt sind. Phänomen des Personal Space: Der Personal Space ist die Hülle, die Aura eines Menschen, wobei es vier verschiedene Arten dieser Aura gibt. - Intime Zone Verwandte … <0,5m - Personale Zone Gute Freunde … 0,5-1m - Soziale Zone Bekannte … ~1,2m - Öffentliche Zone Fremde … wenn räumlich möglich: >1m Dabei gibt es jedoch individuelle Unterschiede. Modul 0202 Zeitlicher Maßstab des Strandbeispiels: - Zeitlicher Maßstab: 100 Jahre o Räumliche Veränderungen - Zeitlicher Maßstab: 1 Jahr o Bei Vergleich mit mehreren Jahren, bleibt die Struktur erhalten, wachsende Amplitude - Zeitlicher Maßstab: Woche o Zyklischen Verlauf - Zeitlicher Maßstab: Minuten o Gleichgewichtslinie o Geringfügige Änderungen, stabil Schlussfolgerung: Ein Phänomen, welche bei einer empirischen Datenerhebung erfasst wird, ist eine Funktion des zeitlichen Maßstabs. Dabei hat man ebenfalls Veränderungen des räumlichen Maßstabs, wodurch sie eine raumzeitliche Struktur ergibt. Die Tyrannei von Raum und Zeit: Raum und Zeit sind die Gitterstäbe des Käfigs, in dem wir uns befinden. Dieser Käfig stellt unsere Existenz dar. Der Mensch ist gefangen und unterliegt vier Zwängen. - Biologischen Zwängen - Zwängen von Verfügbarkeitseinschränkungen - Zwängen von Zeiteinschränkungen - Zwängen von privaten und hoheitlichen Einschränkungen Die dritte Hauptfragestellung der Geographie: „Welche Zusammenhänge bestehen zwischen dem Menschen und seinen Aktivitäten und den physisch-materiellen Gegebenheiten der Realität?“ B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 4 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Die klassische Formulierung: „Welche Zusammenhänge bestehen zwischen dem Menschen und seinen Werken (Kultur) und der Natur?“ Problem: Wie lassen sich Kultur und Natur von einander unterscheiden? Dieses Problem führte zu Fehlinterpretationen und tritt auf Grund der Dichotomie des Weltverständnisses auf. Eine modernere Variante der Formulierung: „Welche Zusammenhänge bestehen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt?“ Problem: Die Umwelt umfasst jeweils alle Lebensbedingungen der betreffenden Art, womit eine Reduzierung auf die natürlichen Umweltaspekte unzulässig ist. Die zwei Seiten der Beziehung: „Wie beeinflussen die physisch-materiellen Gegebenheiten der Realität den Menschen?“ und „Welchen Einfluss und mit welchen Ergebnis beeinflusst der Mensch die physischmateriellen Gegebenheiten der Umwelt?“ Die Analyse der räumlichen Kovariation: Darunter versteht man die vergleichende Gegenüberstellung von zwei oder mehreren Verteilungsmuster, mit unterschiedlichen Phänomenen desselben Untersuchungsgebietes. Eine ausgeprägte Kovariation ist ein Indiz für einen kausalen Zusammenhang zwischen den betreffenden Phänomenen. Ein Indiz, jedoch kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang. Räumliche Kovariation kann durch verschiedenste Weise auftreten: - Zufall - Gemeinsame Abhängigkeit einer dritter Variablen - Variablen messen das gleiche Phänomen Modul 0203 Unter einem System versteht man die Summe von Elementen, welche miteinander durch eine Summe von Relationen funktional miteinander verknüpft sind. Der Begriff System ist ein ontologisch neutraler Begriff, das bedeutet, man kann es sehen wie man es will. Bei einer neueren Systemtheorie handelt sich um ein System, wenn es sich selber von anderen Systemen abgrenzen kann. Das Mensch-Umwelt System besteht aus zwei lokalen Systemen, dem lokale Sozialsystem (Mensch-Mensch Beziehungen) und dem lokalen Umweltsystem (Beziehungen zwischen materiellen Elementen eines Gebietes). Durch die Nutzung werden die beiden lokalen Systeme zum Übersystem, dem MenschUmwelt System miteinander verknüpft. Dabei kann es auch zu positiven und auch negativen Rückkopplungsschleifen kommen, wodurch Dichtestress entstehen kann, wobei sich die Nutzung in Folge einpendelt. Die Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Sinn/Werte und Materie ist ein besonderes Charakteristikum der Geographie. Maßstabsbereiche: Mikroebene: Unterste Auflösungsebene – Mikrogeographie - Erfassbare Phänomene: Soziale Interaktionen, Dynamik von Kleingruppen, Nutzung von Einzelparzellen, Mikromorphologie… B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 5 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Regionale Maßstabsebene: - Überwiegender Arbeitsbereich der Geographie; Darüber befindet sich nur der globale Maßstab - Erfassbare Phänomene: Nodalregionen, Pendlereinzugsgebiete, Wirtschaftsverflechtungen… Der räumliche Betrachtungsmaßstab definiert die Phänomene und Prozesse der Realität, welche in den Brennpunkt unseres Forschungsinteresses geraten. Modul 0301 Methodologie: Unter Methodologie versteht man die systematische Reflexion zum Theoriensystem, zur Aufgabenstellung, zur Methodenlehre und zur inneren organisatorischen Struktur des Faches. Die Grunddisziplinen für die Methodologie sind Wissenschafts- und Erkenntnistheorien. In der klassischen Geographie der Landschafts- und Länderkunde ist die Methodologie normativ orientiert. Die zwei Hauptprobleme der Methodologie sind: - Mehtodology of Geography … technischer Aspekt o Wie werden Theorien entwickelt? Wie sollen Begriffe gebildet werden? Welche Genauigkeitsansprüche bei welchen Verfahren? - Philosophy of Geographie … tiefer gehend o Objektkonzeption und Zielsetzung, Wahl der erkenntnistheoretischen Orientierung In der deutschsprachigen Geographie werden beide Begriffe unter dem Begriff Methodologie zusammengefasst. Die klassische Geographie der Landschafts- und Länderkunde hatte ihren Höhepunkt in der deutschsprachigen Geographie 1940 bis Ende der 1960er Jahre. In der englischsprachigen Geographie kam sie um 1850 auf und hatte ihren Höhepunkt um 1950 herum, wo bereits alle theoretischen Konzepte voll ausgearbeitet waren. Die Grundstruktur des logischen Systems der Geographie basiert auf der Dichotomie, auf die Dichotomie der ontologischen Begründung (Natur – Geist/Kultur) und auf die Dichotomie der methodologischen Begründung (nomothetisch – ideographisch). Auf der untersten Ebene befindet sich die Allgemeine Geographie (Geofaktoren), welche auf jeder Seite der ontologischen Begründung eine eigene Art besitzt. Auf der „Natur“-Seite befindet sich die Physiogeographische Allgemeine Geographie und auf der „Geist/Kultur“-Seite befindet sich die Anthropogeographische Allgemeine Geographie. Diese Disziplinen bilden die Landschaftskunde, welche noch nomothetisch ist. Das Ziel ist der Landschaftskunde ist es die Dichotomie zu überwinden. Auf der ideographischen Seite folgt die Länderkunde, als Weiterentwicklung der Landschaftskunde. Die Integrationsstufenlehre: Die Integrationsstufenlehre beinhaltet verschiedene Komplexebenen. Auf der untersten Ebene befinden sich die Elementarkomplexe, welche mittels der Geofaktoren zu Landschaften integriert werden. Die Landschaften sind bereits hochrangige Komplexe. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 6 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Durch erneute Integration werden aus den Landschaften, Länder, welche höchstrangige Komplexe darstellen. Landschaften personifizieren eine Verknüpfung aller Geofaktoren, sie sind Integrationsprodukte von Geofaktoren. Das Landschaftskonzept hat die Funktion die Dichotomie von Natur und Kultur zu überwinden. Länder sind nicht gleich Staaten, Länder sind einmalige Raumindividuen, welche nur ideographisch erfasst werden können. Sie sind ganzheitliche Raumindividuen, welche die Darstellung des Besonderen in der Erscheinung, im Wirkungsgefüge, im geschichtlichen Werden als Aufgabe haben. Die Länderkunde beschreibt die Länder als Individuen und ist nicht an Größenordnungen gebunden. Die Länderkunde gilt in der klassischen Geographie als krönender Abschluss. Landschaften und Länder als komplementäre Phänomene: Der Gegenstand der Länderkunde wird inhaltlich durch das Landschaftskonzept definiert und eingeengt. Landschaften sind das Integrationsprodukt natürlicher und kultureller Geofaktoren und begründen somit die Sinnhaftigkeit einer einheitsgeographischen Länderkunde. Die Landschaften sind der Ausgangspunkt für die Einheitsgeographie. Das logische System wurde weiter integriert. Im kulturellen Teil der Allgemeinen Geographie kam die Sozialgeographie als Teildisziplin und im natürlichen Teil kam die Landschaftsökologie als Teildisziplin hinzu. Was sind jedoch Landschaften? Das ist die ungelöste Grundfrage der Geographie! Mutmaßungen über Landschaften: - Landschaften sind konkrete Gegenstände der Realität - Landschaften sind ganzheitliche Raumorganismen - Landschaften sind Gegenstände der visuellen Erfahrung - Landschaften sind die Systemzusammenhänge zwischen den Geofaktoren Die Emergenz der Landschaft. Die Landschaften sind mehr als ihr Bestandteile. Das Physiognomische Prinzip beschreibt die Geographische Substanz: Unter geographischer Substanz versteht den gesamten physiognomisch erfassbaren geographischen Stoffbereich der Erdoberfläche. Das länderkundliche Schema: Die Abfolge des Stoffes ist so aufbereitet, dass der Inhalt eines Kapitels sich jeweils kausal auf den Inhalt des vorherigen Kapitels bezieht. Das länderkundliche Schema hat eine geodeterministische oder possibilistische Weltdeutung. Das Hettner Sandwich: Das Hettner Sandwich wurde in den 1930er entwickelt und zeigt, wenn man es von oben betrachtet die Wechselwirkungen zwischen den Geofaktoren. Betrachtet man es jedoch von der Seite, so erkennt man die einzelnen Geofaktoren. Landschaften sind kognitive Konstrukte und nicht Teile der Realität. Das Schichtmodell von Hettner zeigt die allgemeine Perspektive der klassischen Geographie. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 7 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Warum spricht man vom logischen System? Aufgrund der Grundlagen, wegen des Objektverständnisses der klassischen Geographie, welches besagt, dass eine Wissenschaft durch ihren Forschungsgegenstand bestimmt wird und aufgrund der Organisationsstruktur, welches als Spiegelbild der geosphärischen Realität interpretiert wird. Dahinter versteckt sich die Integrationsstufenlehre. Eine Wissenschaft kann mittels drei generellen Kriterien von anderen Wissenschaften unterschieden werden. 1. Durch den spezifischen Forschungsgegenstand, eine spezifische Domäne 2. Durch Methoden, um diese Domäne zu erfassen 3. Durch ihre Geschichte, welche die historische Entwicklung von Methoden und Begriffen verfolgt, womit gewährleistet ist, dass sich eine Wissenschaft weiter entwickeln kann. Die Methoden und die Geschichte sind Veränderungen ausgesetzt, nur die Domäne bleibt konstant und bildet somit den Kern einer Wissenschaft. Die Konsequenz daraus lautet, wie die geographische Wissenschaft gemäß ihrem Forschungsgegenstandes aufzubauen ist. Die Organisationsstruktur des Faches Geographie ergibt sich logisch aus der Struktur der Realität. Dies ist jedoch eine Immunisierung gegenüber jeder Kritik. Die zwei Dimensionen des Objektbegriffs: - Erfahrungsobjekt (Realobjekt) Ist ein Gegenstandsbereich oder Ausschnitt der Realität, mit dem sich eine Wissenschaft befasst. - Erkenntnisobjekt (Formalobjekt) Ist ein interessierender Aspekt des Gegenstandes, die spezifische Fragestellung der Disziplin. Diese Unterscheidung fand in der klassischen Geographie jedoch nicht statt und so kam es zu vielen Unstimmigkeiten. Die Folgen des substanz-zentrierten Objektbegriffs: Beziehungen, Wechselwirkungen und Interrelationen konnten somit nicht in die Objektdefinition der klassischen Geographie einfließen. Beziehungen, Wechselwirkungen und Interrelationen sind keine Objekte, sondern vielmehr Attribute. Bei der Landschaft kam es somit zu einer Substanzionierung. Die Umdeutung von Relationen zu Substanzen. Das Objekt der Geographie ist die Geosphäre mit all ihren Sphären. Die geographische Wissenschaft sucht demnach nach dem Wesen der Gesamtheit des Durchdringungsraumes der genannten Sphären. Es gibt jedoch keine Definition für den Begriff „Wesen“. Daher wird vielmehr die Gesamtwirklichkeit als solche zum Forschungsgegenstand gemacht, was jedoch ein Totalitäts- und Allanspruch ist. Aus Programmen werden Entitäten. Modul 0302 Die Vorboten der Revolution: - Hinweise auf eine Krise der Einheitsgeographie (siehe Publikation von A. Rühl 1933(!)) - Kritik am Landschaftskonzept - Krise in der Länderkunde B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 8 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Der Kieler Geographentag ist ein Symbol für eine wissenschaftliche Revolution. Es kam zu einer fundamentalen öffentlichen Kritik an der Gesamtkonzeption der klassischen Einheitsgeographie. Die Agitatoren waren junge Dozenten mit soliden Kenntnissen der neueren Wissenschaftstheorie und junge Studenten. Wohlbegründete Vorschläge für eine Neukonzeption des Faches kamen auf, wodurch Kiel zum Symbol eines Umbruches wurde. Sämtliche Konzepte der klassischen Geographie wurden verworfen. Die Logik des Landschaftsbegriffs: Die Kulturlandschaft wird als Oberbegriff gesehen und beinhaltet die Naturlandschaft und die Kulturlandschaft. Dies ist jedoch logisch nicht korrekt, da Kulturlandschaft einmal als Unterund einmal als Oberbegriff im selben Satz genannt wird. Durch Integration der physischen Geofaktoren entsteht die Naturlandschaft und durch die Integration der kulturellen Geofaktoren entsteht die Kulturlandschaft. Die Natur- als auch die Kulturlandschaft ergeben zusammen bei einer weiteren Integration die Kulturlandschaft. Das ist das Unlogische im logischen System der Kulturlandschaft, da es logisch nicht korrekt ist, woran auch die klassische Geographie scheiterte. Genau diese Schwächen wurden von den Revolutionären am Kieler Geographentag aufgenommen und für ihre Argumentationen verwendet. Die Landschaft in der Alltagssprache hat drei verschiedene Bedeutungen: - Gegend, Ansicht, Panorama - Bezirk, Areal, Gebiet - Künstlerisches Abbild der Landschaft Die Geographie kennt hingegen zwei Bedeutungen von Landschaft: - Systemzusammenhänge zwischen Geofaktoren in einem bestimmten Bereich der Geosphäre - Verbreitungsgebiet, in dem ein Phänomen die Dominanz besitzt. Funktionen sprachlicher Ausdrücke: - Lexikalischer Aspekt (Semantik) o Konnotation, Denotation - Syntaktischer Aspekt o Verknüpfungsregeln - Pragmatischer Aspekt o Soziale Bedeutsamkeit des Sprachaktes Hypostasierung oder Reifikation Darunter versteht man wortwörtlich die Vergegenständlichung, die Verdinglichung eines bloß in Gedanken existierenden Begriffs, die Substanzialisierung von Beziehungen. Beziehungen, Interaktionen und Relationen werden in ontologischer Manier für gegenständliche Objekte gehalten. Die Beziehung wird kognitiv umgewandelt zum Ding. Im Alltag wird die Hypostasierung zur Komplexitätsreduzierung verwendet. Relationen zwischen Phänomen der Erdoberfläche lassen sich mit der Objektsprache beschreiben. Die Objektsprache nimmt direkt Bezug auf die Realität. Diese Phänomene werden als Abkürzung als „Landschaft“ bezeichnet, womit es zu einer Reflexion der „Landschaft“ auf der Ebene der Metasprache kommt, wodurch die Idee der Landschaft mit der Ontologisierung zum Ding wird. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 9 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Konsequenzen und Grundlagen der Hypostasierung: - Allanspruch der Landschaftsmethodologie - Holismus und Organismus-Metaphern - Affinität der klassischen Geographie zum Idealismus Auf dem Weg zur Dekonstruktion der Realobjekte Für eine Wissenschaft kommt es nicht darauf an, dass sie ihr eigenes Gegenstandsgebiet hat, sondern vielmehr, dass sie ihr eigenes Forschungsziel hat, ihren besonderen Gesichtspunkt, unter dem sie Objekte betrachtet, auch wenn sie diese mit anderen Wissenschaften gemein haben. Als ein wesentliches Erkenntnisziel der Geographie kann man die örtlichen, regionalen und kontinentalen Ausprägungen des Bedeutungs- und Wirkungszusammenhänge der Geofaktoren ansehen. Eine Wissenschaft wird also nicht durch ihren Forschungsgegenstand gerechtfertigt, sondern durch das Vorhandensein einer Klasse von logischen und arbeitsökonomischen mehr oder weniger zusammengehöriger Fragestellungen und entsprechender Lösungsansätze. Das Erkenntnisobjekt und nicht das Erfahrungsobjekt ist also der entscheidende Punkt. Wie lassen sich Erkenntnisobjekte begründen? Das anthropologische (pragmatische) Obligat der Erkenntnis: Die Erkenntnis ist für den Menschen und er selbst ist ihr Schöpfer, auch der ihrer Methoden. Dadurch ergibt sich eine pragmatische Abhängigkeit. Es gibt keine Begründung, da der Mensch selbst der Schöpfer ist. Die Erkenntnisobjekte der Wissenschaft sind pragmatische Entscheidungen und können daher nicht durch den Verweis auf Gegebenheiten der Realität begründet werden. Sie können jedoch kritisiert werden. Die wichtigsten Konstitutionsbedingungen für Erkenntnisobjekte: - Subjektive Erkenntnisinteressen von Forschungspersönlichkeiten, der Forschungstrieb der Menschen - Der Konsens der Fachgelehrten - Allgemeine gesellschaftliche Interessenslagen, die soziale Konstitution, der gesellschaftliche Pluralismus der Postmoderne Das Obligat der sprachlich-begrifflichen Repräsentation: Erst wenn das Ergebnis des Erkenntnisprozesses in zusammenhängender begrifflichsprachlicher Form vorliegt, kann man es an Hand von operativen und operationalen Kriterien überprüfen. Das Prozessobligat der wissenschaftlichen Erkenntnis: Wissenschaftliche Erkenntnis entsteht in einem fortlaufenden Prozess von Wahrnehmung, begrifflicher Darstellung und theoretischer Deutung. Die Theorie wird an der Empirie erprobt, was zu neuen Wahrnehmungen und Begriffen führt, was Anlass für neue theoretische Ansätze ist. Das spieltheoretische Obligat der Erkenntnis: Es gibt kein für alle Zeiten gültiges und absolut sicheres Wissen. Das Spiel um die Erkenntnis ist jeweils nur ein Optimales und das betrifft auch sämtliche Methode und Kriterien des theoretischen Wissens. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 10 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Die Kieler Wende: Von den Landschaften und Ländern hin zu einer raumanalytischen Geographie des spatial approach auf der Grundlage der Philosophy of science. Das Ziel war die Modernisierung des Faches und der Umbau zu einer quantitativ ausgerichteten raumanalytischen Disziplin. Die neopositivistische Wende trat im deutschsprachigen Raum erst Ende der 1960er Jahre ein, im englischsprachigen Raum bereits in den 40ern und war in den 50er Jahren bereits vollzogen. Modul 0303 Ein neues Grundverständnis der Geographie: Ausgangspunkt ist das Bemühen der objektiven Erfassung und Erklärung von realen Sachverhalten, was eine Herauslösung distinkter Beobachtungstatbestände fordert. Das Erklären von realen Sachverhalten bedeutet deren gedankliche Verknüpfung mit vorhandenen Erfahrungen, welche bestimmte Gesetze, Vermutungen und Theorien als Voraussetzung beinhaltet. Aus den Theorien erwachsen die Aspekte der Beobachtung. Dabei handelt es sich um ein Wechselspiel von Theorie und Erfahrung. Das ist ein neuer moderner positivistischer Erklärungsbegriff. Theorien und Modelle: Eine wissenschaftliche Theorie kann als inhaltlich interpretierendes Modell verstanden werden. Ein Modell als rein formales und symbolisches Abbild des Verknüpfungssystems zwischen Sachverhalten, welche die Theorie erklären will. Ein Modell gibt nur die logische Struktur des Erklärungszusammenhangs wieder. Grundfragen geographischer Modellbildung: Beobachtungen geben Sachverhalte wieder, die wir als Dinge und Merkmale dieser Dinge interpretieren. Diese Merkmale sind Attribute und Relationen. Wobei man unter Attributen die räumliche und zeitliche Position und unter Relationen die räumlichen und zeitlichen Distanzen verstehen kann. Das ist ein völlig neuer Ansatz. Der Raum als Attribut der Dinge. Diese Dinge können vereinzelt, in Gruppen oder in Komplexe auftreten. Die choristische Deskription ist die Darstellung der Tatbestände hinsichtlich ihrer Lage auf der Erdoberfläche als Punkte, Linien oder Flächen in einem Koordinatensystem und gilt erste Aufgabenstellung der Geographie. Das Koinzidenzenprinzip: Die choristische Beschreibung erlaubt Aussagen über die räumliche Nähe und Ferne von Sachverhalten, bzw. die Feststellung räumlicher Koinzidenz oder Distanz. Räumliche Koinzidenz wird für die Geltung eines kausalen Zusammenhangs vorausgesetzt. Das Koinzidenzenprinzip als heuristisches Prinzip, da es als Hypothesengenerator eingesetzt wird. Analyse von Koinzidenzen: Diese Analysen haben das Ziel der Feststellung statistischer Gesetzmäßigkeiten bei Koinzidenzbeziehungen. Methoden: - Bestimmung relativer Häufigkeiten - Korrelationskoeffizienten - Komplex-Indizes - Inverse Assoziationskoeffizienten usw. „Quantitative Analyse von Geodaten, statistisch-mathematische Beweisführung“ B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 11 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Beschreibungsmodelle räumlicher Verteilungen: Choristische Darstellungen von Einzeltatbeständen erlauben die gedankliche Ordnung der Beobachtungen in Form von erdräumlichen Strukturmustern. Unter Areale versteht man Gruppierungen von punktuellen Standorten mit gleichen oder ähnlichen Sachverhalten. Ein Areal ist eine relativ geschlossene und homogene Verbreitungseinheit auf der Erdoberfläche. Areale sind das Ergebnis von gedanklicher Zusammenfassung von Einzelstandorten zu größeren Raumeinheiten. Regionalisierung ist eine spezielle Form der klassenlogischen Begriffsbildung. Die Elemente von Beziehungsarealen sind in irgendeiner Weise mit einander verbunden. Außerhalb der Grenzen bestehen keine oder nur geringe Beziehungen. Räumliche Felder sind begriffliche Zusammenfassungen gleichmäßig abgewandelter Sachverhalte. Bei einem Zentralfeld variieren die Sachverhalte distanzabhängig um einen Mittelpunkt. Katena: Gesetzmäßige Variation der Erscheinungen entlang eines Raumprofils. Die „nearest Neighbour“-Methode misst die Distanzen zwischen den Standorten und ermittelt den Mittelwert. Chorologische Theorienbildung: Chorologische Theorien formulieren Annahmen über Regelmäßigkeiten, die zur Ausbildung räumlicher Systeme in Form von übergeordneten Zusammenhängen zwischen entfernten Standorten führen. Dies erfordert die Suche nach Raumgesetzlichkeiten, wobei die Distanz die Schlüsselvariable ist. Das Programm der Kieler Revolutionäre war: - Der Umbau des Faches Geographie zu einer modernen quantitativ orientierten Raumwissenschaft - Die Suche nach Raumgesetzlichkeiten - Choristische Analytik - Neukonzeption von Raumbegriffen Stellen, Distanzen, Richtungen und Netze: Stellen sind Quasipunkte auf der Erdoberfläche. Sie besitzen nur Lageeigenschaften und haben weder eine eigentliche Ausdehnung noch einen Inhalt. Stellen sind nur Adressen. Sie sind vorgegeben durch ihre absolute Position oder durch ihre relative Lage als Beziehung zu anderen Stellen. Stellen sind maßstabsabhängig. Zwei Stellen stehen in Relation zueinander. Distanz und Richtung ergeben die Entfernung, welche graphisch mit einer Verbindungslinie dargestellt werden kann. Bei Topologiedarstellungen kommen Kanten und Knoten hinzu, wodurch Netze entstehen. Gebiete: Gebiete sind beliebige Ausschnitte der Erdoberfläche. Wie auch Stellen besitzen sie keinen Inhalt, das bedeutet, dass sie sachdimensional nicht spezifiziert sind. Es handelt sich dabei um normative Regionen, im Spezialfall um Territorien, Rasterfelder oder sonstige beliebige zweidimensionale Struktureinheiten. Gebiete haben also nur Form-, Größe- und Lageeigenschaften. Gebiete werden nicht von der Natur vorgegeben und sind somit beliebig. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 12 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Die Verschränkung von Lage und Sachaussagen: Stellen und Gebiete sind grundsätzlich inhaltsleer, doch befinden sich an Stellen oder Gebieten bestimmte Objekte, oder finden Ereignisse statt. Dies wird als die Ausstattung einer Stelle oder eines Gebietes bezeichnet. Ein Standort ist eine Stelle mit Sachattributen. Der Standort bezeichnet nicht nur seine Position und nicht nur seine Ausstattung, sondern die Verknüpfung beider Aussagen. Ein Standort ist ein Ort, welche nicht an einer anderen beliebigen Stelle vorkommen könnte. Ein Areal ist ein Gebiet, welches gekennzeichnet ist durch gleiche Sachattribute. Ein Areal ist ein Verbreitungsgebiet und ein Synonym für homogene Regionen, wobei flächenhafte Beschränkungen existieren. Unter einem Feld versteht man ein Gebiet, in dem eine Sacheigenschaft eine regelhafte variante Merkmalsausprägung hat, die von der Distanz zu einer bestimmten Stelle abhängig ist. z.B.: Zentral-peripher: Je weiter man sich vom Zentrum entfernt, desto geringer werden die Gemeinsamkeiten. Dies kann jedoch auch genau umgekehrt der Fall sein. Die Bedeutungsvarianten des Begriffs Region Ähnlichkeitsprinzip: (Raumwissenschaftlicher Ansatz) - Homogene Regionen, Formalregion, Strukturregion - Gebiete, die in Bezug auf ein bestimmtes Attribut Ähnlichkeiten aufweisen, werden in einer Region zusammengefasst - Regionalisierung Funktionale Verflechtungen: (Raumwissenschaftlicher Ansatz) - Funktionalregion, Nodalregion, Verflechtungsbereich - Interaktionen zwischen den räumlichen Teilelementen eines Untersuchungsgebietes (Pendlerbeziehungen, zentralörtliche Beziehungen…) Gültigkeitsbereich von Normen: (Raumwissenschaftlicher Ansatz) - Programmregion, Planungsregion, Normative Regionen - Räumliche Gestaltungseinheiten, Gültigkeitsbereich von Normen, politisch administrative Aktivitätsregionen - Meist handelt es sich um pragmatische und politische Entscheidungen zur Regionalisierung, Territorien sind solche Regionen (Gemeinden, Bezirke, Bundeländer, Länder, Staaten aber auch Staatenverbünde wie die EU oder ASEAN) Lebensweltliche Regionen: (Sozialwissenschaftlicher Ansatz) - Wahrnehmungsregion, Identitätsregion - Alltagsweltliche kognitive Struktur, Projektionsfläche von Ich-Identität Gegenüberstellung: - - Klassische Geographie o Landschaften und Länder o Organismische Raumeinheiten o Gestaltqualität der Realität o Raumwissenschaftliche Geographie o Stellen, Gebiete, Standorte, Areale, Felder und Regionen o Taxonomische Raumeinheiten o Methodische Konstrukte B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 13 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Modul 0401 Die Wissenschaft muss als soziales System betrachtet werden. Das Paradigma ist ein neuer wissenschaftstheoretischer Ansatz. Das Wort Paradigma kennt zwei Bedeutungen. In einem allgemeinen Sinn bedeutet Paradigma soviel wie Beispiel oder Musterbeispiel. Die zweite Bedeutung des Wortes Paradigma ist ein spezifischer Fachausdruck aus der Kuhn’schen Theorie. Unter einem Paradigma versteht man eine forschungsleitende Perspektive oder Sichtweise, welche für eine bestimmte Zeit und für eine bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern konsensbildend ist. Das Paradigma ist somit das für eine bestimmte Zeit gültige Weltbild für eine bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern. Der Begriff Paradigma ist ein holistischer Begriff, beinhaltet somit sämtliche Begriffe, Methoden, Ansätze, Verfahren usw. Der Entwicklungsprozess eines Paradigmas: Zunächst befindet man sich in der Protowissenschaftlichen oder vorparadigmatischen Phase, in welcher das wissenschaftliche Tun dem Zufall überlassen ist. Man steht am Anfang und begibt sich auf die Such nach Fakten. Es liegen noch keine Selektionskriterien der Datenerhebung in Form von Hypothesen oder Theorien vor. Im Laufe der Zeit entwickeln sich verschiedene Schulen, welche unterschiedliche Meinungen haben, wobei sich jedoch eine Schule behaupten kann. In weiterer Folge kommt es zu einer Konsultarphase, wodurch es auch zu einer Reduzierung der Schulen kommt. In der Normalwissenschaftlichen Phase liegen bereits allgemein anerkannte und als adäquat geltende Konzepte und Beschreibungskategorien zur Darstellung und Erklärung der Realität fest. Man verfügt über bewährte Strategien zur Lösung fachlicher Probleme. Die Funktionen eines Paradigmas: Es kommt zu einer Ausbildung von dogmatischen Überzeugungen, die gegen alle Einwände gesichert erscheinen. Gleichzeitig werden die Basiskonzepte außer Streit gestellt, wodurch man sich speziellen Fragestellungen widmen kann. Das Paradigma wird zudem in einem Sozialisationsprozess erlernt, es kommt also zur Internalisierung des Weltbildes des Paradigma. Es kann zwar zu Differenzen innerhalb eines Paradigmas kommen, jedoch wird das Grundkonzept nicht in Frage gestellt. Die Minimalbestände eines Paradigmas sind: - Symbolische Verallgemeinerungen (z.B.: die Geofaktoren der klassischen Geographie) - Ontologische Modelle - Heuristische Modelle - Werte und normative Festlegungen Symptome einer Grundlagenkrise des Paradigmas: - Intensivierung von methodisch-konzeptionellen Diskussion - Entwicklung eines Krisenbewusstseins - Ausbrechen von offener Unzufriedenheit, meist bei jungen Studenten Somit wird die Bühne für eine Revolution aufgebaut Wenn es zu einer Revolution kommt, kommt es zu einem Paradigmenwandel, es tritt ein neues Paradigma auf den Plan. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 14 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Es verkündet eine neue Weltsicht, wobei auch neue Konzepte, Modelle, Theorien, Ansätze hervorkommen. Es kommt zu neuen Problemstellungen und anderen Lösungsansätzen. Das neue Paradigma hat dabei ein neues Set an Minimalbeständen, also neue symbolische Verallgemeinerungen, neue ontologische und heuristische Modelle und neue Werte und normative Festsetzung. Das zentrale Problem der Neuerer ist jedoch, dass ihre Probleme als Scheinprobleme und ihre Argumente als Scheinargumente vom Old Establishment hingestellt werden. Die Begründung, warum das neue Paradigma vorteilhafter ist als das alte ist schwer zu beweisen. Dazu kommt noch, dass es den Revolutionären nicht leicht gemacht wird, da der „Kampf“ um die Vorherrschaft einen Charakter eines Glaubenskrieges hat. Das Old Establishment setzt sich mit allen Mitteln zur Wehr und kann meistens auch zunächst das neue Paradigma abwehren, da bestehende Machtpositionen ausgenutzt werden. Nach einer Zeit löst sich das Problem von selbst, aufgrund der biologischen Lösung. Das Old Establishment löst sich langsam auf und der Weg ist frei für das neue Paradigma. Revolutionen wie in Kiel sind kein Einzelfall, sie kommen nicht singulär, sondern standardisiert vor. Die Wissenschaftsgeschichte ist gekennzeichnet von Traditionsbrüchen. Ein Paradigmenwandel bewirkt eine Zerstörung des sozialen Bezugsrahmens. Nach der Kuhn’schen Theorie kann es jeweils nur ein Paradigma in der Normalwissenschaftlichen Phase geben. Der Lebenslauf eines Paradigmas ist gekennzeichnet, dadurch, dass im Laufe der Zeit Anomalien auftreten, also Störungen, es kommt zu den ersten Anzeichen einer Krise. Ein neues Paradigma tritt auf den Plan und löst das alte ab, so die Kuhn’schne Theorie. Die kognitiven Grundlagen und Vorannahmen werden ausgetauscht. Paradigmen sind inkommensurabel, das bedeutet, dass sie rational nicht vergleichbar sind. Ein Paradigmenwandel ist gekennzeichnet von einer Spaltung der Wissenschaft, einem revolutionären Umbruch. Auch wenn in der englischsprachigen Geographie der quantitative Paradigmenwandel als zunächst evolutionär, aufgrund des langwierigen Prozesses, erscheint, muss dieser Wandel als revolutionär angesehen werden, da es zu grundlegenden Änderungen kam. Die axiomatischen Grundlagen von Paradigmen: Erkenntnisobjekte werden im Rahmen von Paradigmen postuliert und durch den Paradigmenwandel verändert. Auch die Wissenschaftstheorie gründet auf axiomatische Vorannahmen, welche nicht beweisbar sind. Paradigmen lassen sich nicht beweisen, das erscheint einleuchtend, da Paradigmen auch nicht kommensurabel sind, also nicht rational miteinander vergleichbar sind. Normative Konzeptionen: Die Entscheidung zum Rationalismus ist eine normative Konzeption, da es keine Aussagen geben darf, welche sich den logischen und rationalen Diskussionen und der kritischen Überprüfung im Sinne der Logik und der Erfahrung entziehen. Die Auffassung des Rationalismus schließt dogmatische Begründungen prinzipiell aus. Ein solch formulierter Rationalismus ist als keine ontologische Auffassung, sondern mehr ein methodisches Prinzip. Der Rationalismus ist eine Setzung und ein Axiom. Weitere Setzungen bei empirischen Wissenschaften: Entsprechend der spezifischen Zielsetzung einer Disziplin sind axiomatische Vorannahmen zu treffen: - Festsetzungen bezüglich der Relevanz von Beobachtungen - Festsetzungen, welche die intersubjektive Überprüfbarkeit von Aussagen betreffen. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 15 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Eine erfahrungswissenschaftliche Theorie muss grundsätzlich so formuliert werden, dass es die prinzipielle Möglichkeit gibt, an der Erfahrung zu scheitern. Die Normative Forderung: Eine Theorie darf nicht gegen eine empirische Prüfung immunisiert werden. Man kann eine Wissenschaft nicht wissenschaftstheoretisch begründen. Weil die grundlegenden Vorentscheidungen der Wissenschaftstheorie auf normative Setzungen basieren, kann es keine objektive und endgültige vergleichende Bewertung von Paradigmen geben, da diese normative Setzungen die Entscheidung zum Rationalismus beinhalten. Modul 0402 Die Entwicklung in der Geographie des englischen Sprachraums: Die quantitative Revolution setze hier wesentlich früher ein und war Anfang der 60er Jahre weitgehend abgeschlossen. Anfang der 70er Jahre zeichnete sich bereits das nächste Paradigma ab. Als „Kiel“ also gerade mal ins Rollen kam, kam es zum nächsten Wandel im englischsprachigen Raum. Der quantitativen Revolution folgte die soziale Revolution, mit neuen Problem- und Fragestellungen. Das spatial approach war längst Mainstream, doch es zeichnete sich eine Krise ab. Es kam Fragen nach der sozialen Gerechtigkeit auf. Wem nützt eine bestimmte räumliche Struktur? Wer profitiert und wer wird ausgeschlossen? Wem schadet sie? In Folge dieser sozialen Revolution traten zwei Ansätze hervor: Die radical geography, mit einem strukturalistischen, marxistischen Ansatz und die welfare geography mit einem etwas gemäßigteren Ansatz. Ein Paradigmenwandel kann auch zu einem persönlichen Bekehrungsprozess einer einzelnen Person führen, wie das Beispiel von Harvey zeigt. Etwa zur gleichen Zeit entstand parallel ein drittes Paradigma als Gegenreaktion, nämlich das Verhaltenswissenschaftliche Paradigma „What about the people in geography?“ Zentraler Kritikpunkt war die fehlende Bezugnahme des spatial approach auf das menschliche Individuum und seiner subjektiven Wahrnehmung und Wertung der räumlichen Umwelt. Die zentrale These des verhaltenswissenschaftlichen Paradigmas: Die Vorstellung der Realität beeinflusst das menschliche Handeln. Das Verhalten des Menschen ist also nicht durch die bloße objektivierbare Struktur der Realität beeinflusst, sondern durch seine bloße Vorstellung der Realität. Das Programm des verhaltenswissenschaftlichen Paradigmas: - Wie wird die räumliche Umwelt des Menschen wahrgenommen? - Wie sieht die kognitive Weiterverarbeitung dieser Sinneszuschreibung aus? - In welcher Weise hängt das raumrelevante Tun des Menschen vom subjektiv wahrgenommenen und bewerteten Image der Realität ab? Das verhaltenswissenschaftliche Paradigma hat zudem eine zusätzliche Begriffsbedeutungsmöglichkeit des Begriffs Region eingeführt, nämlich die Lebensweltlichen Regionen, als Wahrnehmungsregion oder Identitätsregion. Die flächenhafte Projektion der Ich-Identität und alltagsweltliche kognitive Strukturen. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 16 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Zur Zeit der Kieler Revolution bestanden im englischen Sprachraum bereits vier Paradigmen nebeneinander - Die klassische Schule nach Sauer - Das spatial approach - Die radical geography - Und die behavioral geography Dies führt jedoch zu einem Widerspruch der Kuhn’schen Theorie, welche besagt, dass jeweils nur ein Paradigma in der normalwissenschaftlichen Phase existieren kann. – Die Koexistenz von rivalisierenden Paradigmen. Anfang der 70er Jahre kam ein weiteres Paradigma auf, die Humanistic Geography, mit einer objektivierenden Perspektive und einem holistischen Weltbild. Der Mensch wird als autonomer Handlungsträger angesehen. Die Rekonstruktion von Sinnund Bedeutungszusammenhängen und Place, als subjektiv wahrgenommener Raum. Die Humanistic Geography hat erkenntnistheoretische Hintergrundpositionen - Existenzialismus, Pragmatismus und Idealismus, sowie die Phänomenologie von Husserl. Dieses Paradigma richtet sich gegen die inhumanistische Attitüde. Die Humanistic Geography hat einen qualitativen Ansatz. Das Paradigma der feministischen Geographie hat als Hintergrundphilosophien Feminismustheorien und hat einen ganz eigenen Zugang zur Raumrelevanz entwickelt. Kritisiert wird, dass die Ungleichheit zwischen Mann und Frau kaum angesprochen wird. Der Feminismus verfolgt die Aufhebung der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frauen und will Emanzipationen bewirken. Völlig neue Begriffe werden eingeführt, wie Gender (soziales Geschlecht), Patriachat, Reproduktion, Androzentrismus, Gewalt… Die neue regionale Geographie ist die Gegenposition zur klassischen Länderkunden und trat in den 80er Jahren im englischsprachigen Raum auf. Regionen werden als sozioökonomische Beziehungsmuster gedeutet, die in einem bestimmten physisch materiellen Kontext ablaufen. Das handlungstheoretische Paradigma der Geographie ging Anfang der 80er Jahre vom deutschsprachigen Raum aus und hat eine disziplinübergreifende Orientierung mit den Sozialwissenschaften und bildet die Gegenposition zum verhaltenswissenschaftlichen Paradigma. Die Kritik am verhaltenswissenschaftlichen Paradigma ist, dass der Mensch als Automat dargestellt wird, der auf äußere Anstöße reagiert. Wie aber schon Max Weber feststellte, ist Handeln als intentionales Tun, auf einen subjektiven Sinn bezogen. Die Menschen sind autopoietische Systeme. Die Gegenposition zum raumwissenschaftlichen Paradigma ist, das der Raum nicht als Ursache von etwas sein kann. Die Erforschung des menschlichen Tuns hat die Sinnzusammenhänge der sozialen Welt zu berücksichtigen. Die Geographie als Sozialwissenschaft. Das humanökologische Paradigma besitzt eine ontologische Ausgangshypothese und leugnet die Dichotomie zwischen Kultur und Natur. Natur und Kultur sind keine Gegensätze, sondern Aspekte eines ganzheitlichen Zusammenhangs. Das Erkenntnisobjekt ist der Mensch in der Umwelt. Dieses humanökologische Paradigma kam in den 60er Jahren auf, ist jedoch ein Minderheitenprogramm. Das nicht-dichotome Konzept von Subjekt und Gesellschaft. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 17 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Die poststrukturalistischen Ansätze haben eine ontologische Ausgangshypothese: Die Wirklichkeit ist das Produkt sozialer Konstruktionen. Die Sicherheit des Wissens und der Vernunft werden radikal in Frage gestellt. Zentrales Element ist die Sprache als Ort der Konstruktion gesellschaftlicher Realität. Diese Ansätze beziehen sich stark auf Sprachwissenschaften und kamen in den 60er Jahren auf und haben ihre Ursprünge in den fernöstlichen Philosophien. Die gesellschaftliche Realität wird erst in Diskursen produziert. Kulturalistische Ansätze: Diese hängen stark mit den poststrukturalistischen Ansätzen zusammen, behaupten aber ein eigenständiger Ansatz zu sein. Die Kulturgeographie beschäftigt sich mit der Kultur, wobei unter Kultur alle Praktiken der Sinnzuschreibung verstanden werden. Paradigmenwandel: Es existiert das Phänomen der Koexistenz rivalisierender Paradigmen. Die Geographie als Multiparadigmenspiel. Die Kuhn’sche Theorie trifft also nicht zu! Modul 0402II Siehe Unterlagen!!! Modul 0403 Die deutschsprachige Geographie – eine verspätete Wissenschaft: Die positivistische Wende der deutschsprachigen Geographie trat mit erheblicher Verspätung gegenüber der der englischsprachigen Geographie auf. Die Sonderterminologie führte zum Exzeptionalismus und führte somit zur Abschottung der Wissenschaft. Die wissenschaftliche Isolierung trat in den 1930er Jahren ein und so kam es zur Abschottung des Faches. Die Verzögerung konnte somit nicht mehr aufgehalten werden und führt zum heutigen Paradigmenpluralismus. Zudem kam es zu einer zeitlichen Kompression. In der englischsprachigen Geographie kam es in den 40er Jahren zu den ersten Kritiken und der Wandel war bereits in den 60er angeschlossen. In der deutschsprachigen Geographie kamen die Kritiken und der Wandel jedoch auf einmal. Anfang und Ende des Paradigmenzyklus fanden praktisch zeitgleich statt. In den 80er Jahren wurden somit verschiedene Paradigmen (manchmal auch am selben Institut) gelehrt. Alte Klassiker und neue (ehemalige Revolutionäre) mit viel Einfluss standen sich gegenüber. Daneben gab es noch so genannte Vermittler (Paradigmen sind jedoch inkommensurabel!). Und weiters gab es noch einige Einzelkämpfer z.B. für die Radical Geography oder für das feministische Paradigma. Die Raumstrukturforschung entwickelte sich als neues Paradigma, mit einer analytischen Vorgehensweise, es werden aber auch komplexe statistische und choristische Methoden eingesetzt. Man vermeidet ausdrücklich die Landschaftsmetaphorik und wählt Ersatzbegriffe wie Raum oder Region. Hier lässt sich eine klare Tendenz zur Hypostasierung und einem pragmatischen Empirismus erkennen. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 18 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Paradigmenpluralismus: Dieser Paradigmenpluralismus entspricht auch dem Pluralismus der Theorien. Es besteht eine soziale Spannung zwischen dem Old Establishment und den Revolutionären. Es ergibt sich durch den Paradigmenpluralismus eine Mehrfrontensituation. Die älteren Paradigmen verschwinden nicht und können sogar im Laufe der Zeit einen Aufschwung erleben. Die Kuhn’sche Theorie trifft also nicht zu. Der Paradigmenpluralismus wird in der deutschsprachigen Geographie als unangenehm und störend betrachtet. Andere Paradigmen werden als deviantes Verhalten gewertet, welches sanktioniert werden muss. Es besteht eine eindeutige Tendenz zur Ignorierung des Thema „Paradigmenpluralismus“. In der englischsprachigen Geographie ist man dem Paradigmenpluralismus meist positiv eingestellt, da sich andere Sichtweisen ergeben. Seit Anfang der 80er Jahre wird die Geographie als eine Disziplin mit einer ausdrücklichen multi-paradigmatischen Struktur beschrieben und sei als ein wesentliches Element der Fachdisziplin anzusehen. Paradigmen können nämlich einen gemeinsamen Theoriekern haben. Paradigmen können als Komplementoren angesehen werden. Dies ist ein eindeutiger Vorzug des Paradigmenpluralismus. Die Paradigmen sind keine Konkurrenten sondern Komplementoren, die einander ergänzen und zusammen einen Mehrwert erbringen. Ziel ist es die Realität, in so fern es sie gibt, zu erforschen. Mit dem Paradigmenpluralismus ist es möglich die Realität aus verschiedenen Sichtpunkten zu untersuchen. Es gibt unterschiedliche Strategien zur Bewältigung des Paradigmenpluralismus: - Ignoranz (Menfoutisten) Dies ist die schlimmste aller Varianten. Es kommt zur Abschottung und Isolierung sowie zu einer Blockade. Neue Ideen und Ansätze werden verschlafen. Die quantitative Bedeutung dieser Gruppe darf man jedoch nicht unterschätzen. So können z.B.: Publikationen für wissenschaftliche Zeitschriften abgelehnt werden usw. - Dogmatisches Beharren (Bischöfe) Bei dieser Strategie kommt es zu einer aktiven Blockade! Sie ist aktiv kämpferisch und hat die Bekämpfung und Unterdrückung als Ziel. So kommt es zu einer einseitiges Einladungs- und Berufungspolitik oder es werden Gutachten abgelehnt. - Ablehnung der Paradigmenvielfalt (Vereinheitlichungs-Idealisten) Diese Gruppe lehnt sämtliche Konzepte über Paradigmenvielfalt ab. Es kommt zur negativen Beurteilung des Erkenntnisrelativismus und zur einseitigen Berufspolitik. - Evolutionärer Pragmatismus (Erkenntnis-Darwinisten) Bei dieser Strategie steht man den Paradigmenpluralismus offen gegenüber. Man nimmt an, dass die Geographie sich noch in ihrer vorwissenschaftlichen Phase befindet und sich ein Paradigma mit der Zeit behaupten wird. Die Paradigmenvielfalt wird hier als Mittel zum Zweck angesehen. - Akzeptanz (Komplementaritäts-Idealisten) Diese Strategie bewertet den Paradigmenpluralismus positiv und hat den Erkenntnispluralismus und den Paradigmenpluralismus als Ziel akzeptiert. Es herrscht eine grundsätzliche Offenheit bei der Berufungspolitik oder bei pragmatischen Entscheidungen. VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie – Fragen B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 19 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Was versteht man unter „Erkenntnisobjekt“? Was sind die wichtigsten Konstitutionsbedingungen von Erkenntnisobjekten? Das Erkenntnisobjekt wird auch als Formalobjekt bezeichnet. Anders als das Erfahrungsobjekt, kennzeichnet das Erkenntnisobjekt das „Interessierende“ eines Gegenstandsbereiches – die spezielle Fragestellung einer Disziplin. Das Erkenntnisobjekt ist der springende Punkt bei der Ansicht der heutigen Wissenschaft. Eine Wissenschaft wird nicht durch ihr allein gehörendes Forschungsobjekt bestimmt, sondern durch ihre spezielle Fragestellung/Zielsetzung, welche auch Objekte betrachten kann, welche auch von anderen Wissenschaften untersucht werden können. Eine Wissenschaft wird also nicht durch ein spezielles Forschungsobjekt gerechtfertigt, wie es bei der klassischen Geographie der Landschafts- und Länderkunde war, sondern durch das Vorhandensein einer Klasse von logisch und arbeitsökonomischen Fragestellungen und Problemlösungsansätze. Wie lassen sich Erkenntnisobjekte jedoch begründen? - Das anthropologische (pragmatische) Obligat der Erkenntnis: Die Erkenntnis ist für den Menschen und er selbst ist ihr Schöpfer sowie ihrer Methoden. Dadurch ergibt sich eine pragmatische Abhängigkeit. Es gibt somit keine Begründungen, da der Mensch selbst der Schöpfer ist. Erkenntnisobjekte sind pragmatische Entscheidungen und können somit nicht begründet werden, sie können jedoch kritisiert werden. Die wichtigsten Konstitutionsbedingungen Erkenntnisobjekte sind: - Das subjektive Forschungsinteresse von Forschungspersönlichkeiten, der Forschungstrieb des Menschen - Der Konsens der Fachgelehrten - Die allgemeine gesellschaftliche Interessenslage, die soziale Konstitution, der gesellschaftliche Pluralismus der Postmoderne. Erläutern Sie die vier Bedeutungsvarianten des Begriffs „Region“. Die vier Regionen lassen sich durch bestimmte Kriterien als solche Regionen bestimmen. - Ähnlichkeitsprinzip (Raumanalytischer Ansatz) o Homogene Regionen, Formalregion, Strukturregion Gebiete welche anhand eines gewissen Sachverhaltes Gemeinsamkeiten aufweisen, werden zu Regionen zusammen gefasst – Regionalisierung - Funktionale Verflechtung (Raumanalytischer Ansatz) o Nodalregion, Verflechtungsbereich, Funktionalregion Aufgrund von Interaktionen zwischen Teilelementen des Untersuchungsgebietes kommt es hier zur Regionalisierung. z.B.: Pendlerbeziehungen, Stadt/UmlandBeziehungen… - Gültigkeitsbereich von Normen (Raumanalytischer Ansatz) o Normative Regionen, Planungsregion, Programmregion Bei diesem Kriterium kommt es zur Regionalisierung aufgrund von administrativen oder politischen Entscheidungen. Ein Spezialfall dieser Regionen sind die Territorien (Gemeinden, Bezirke, Länder, Staaten, aber auch Staatenverbünde wie die EU oder ASEAN). - Lebensweltliche Regionen (Sozialwissenschaftlicher Ansatz) o Wahrnehmungsregionen, Identitätsregionen B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 20 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Hier kommt es zur Verknüpfung der Ich-Identität mit dem Wahrnehmungsprozess. Alltägliche kognitive Strukturen, Flächenprojektion der Ich-Identität Bewältigung des Paradigmenpluralismus. Für die Bewältigung des Paradigmenpluralismus gibt es fünf verschiedene Strategien: - Ignoranz (Menfoutisten) Diese Strategie ist die schlimmste, da man hier total abschottet und blockiert. Mit dieser Strategie verschläft man neue Ansätze, Methoden… Man darf jedoch die quantitative Größe dieser Gruppe nicht unterschätzen. Zudem kommt es zum Beispiel zum Ablehnen von Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften. - Dogmatisches Beharren (Bischof) Diese Strategie hat die Bekämpfung und Unterdrückung sich als Ziel gesetzt. Es wird aktiv angekämpft gegen andere Paradigmen. So kommt es zu einer einseitigen Berufs- oder Einladungspolitik oder es werden z.B. Gutachten abgelehnt. - Ablehnende Paradigmenvielfalt (Vereinheitlichungsidealist) Diese Strategie lehnt sämtliche anderen Paradigmen ab. Hier kommt es ebenfalls zu einer einseitigen Berufspolitik. Diese Strategie bewertet andere Paradigmen schlecht. - Evolutionärer Pragmatismus (Erkenntnis-Darwinist) Diese Strategie ist offen gegenüber der Paradigmenvielfalt. Die Geographie wird noch in der vorwissenschaftlichen Phase angesehen, wobei sich ein Paradigma mit Laufe bewähren wird. Der Paradigmenpluralismus ist somit Mittel zum Zweck. - Akzeptanz (Komplementaritäts-Idealist) Diese Strategie ist grundsätzlich positiv gegenüber dem Paradigmenpluralismus eingestellt. Es kommt zu keiner einseitigen Berufspolitik oder sonstigen Schikanen oder Einschränkungen. Die Vielfalt wird als Chance angesehen. Erläutern Sie die Analyse der Räumliche Kovariation (+Beispiel). Welchen Paradigma ist es zuzuordnen? Die Analyse der Räumlichen Kovariation: Darunter versteht man die vergleichende Gegenüberstellung zweier oder mehrerer Verteilungsmuster mit unterschiedlichen Phänomenen desselben Untersuchungsgebietes. Eine ausgeprägte räumliche Kovariation kann positiv oder negativ sein und gilt als Indiz für einen kausalen Zusammenhang zwischen Phänomen. Räumliche Kovariation ist jedoch nur ein Indiz und kein Beweis für den kausalen Zusammenhang, denn räumliche Kovariation kann auch vorkommen durch: - Zufall - Die Abhängigkeit einer dritten Variablen - Die Variablen messen dasselbe Phänomen Die räumliche Kovariation ist dem raumwissenschaftlichen Paradigma zuzuordnen, welches quantitativ orientiert ist und nach Raumgesetzlichkeiten sucht. Vergleichen Sie zwischen dem Paradigma der feministischen Geographie und dem handlungstheoretischen Paradigma in der Geographie. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 21 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Das Paradigma der feministischen Geographie hat einen völlig neuen Zugang zur Raumrelevanz geschaffen. Die Hintergrundphilosophie dieses Paradigmas sind Feminismustheorien, welche die Aufhebung der Unterdrückung der Frau durch den Mann und Emanzipationen fordert. Die Kritik dieses Paradigmas ist, dass die Ungleichheiten zwischen Mann und Frau zu wenig angesprochen und diskutiert werden. Dieses Paradigma führte neue Begriffe in die Welt der Geographie ein, wie Gender (soziales Geschlecht), Patriachat, Macht, Reproduktion oder Androzentrismus. Das handlungstheoretische Paradigma kam Anfang der 80er Jahre in der deutschsprachigen Geographie auf und stellt vor allem gegen das raumwissenschaftliche und gegen das verhaltenswissenschaftliche Paradigmen Kritiken auf. Der Raum könne nicht als Ursache für etwas sein, lautet die Kritik am Raumwissenschaftlichen Paradigma. Die Kritik am verhaltenswissenschaftlichen Paradigma formuliert sich so, dass der Mensch nicht bloß auf äußere Anstöße reagiert. Der Mensch ist ein autopoietisches System und wie Max Weber schon feststellte hat, ist das menschliche Handeln als intentionales Tun, ein solches, welches sich auf einen subjektiven Sinn bezieht. Die Geographie als Sozialwissenschaft. Diskutieren Sie ausführlich das wissenschaftstheoretische Konzept des „Paradigma“ Unter Paradigma versteht man in der Alltagswelt soviel wie Beispiel oder Musterbeispiel. Die zweite Begriffsdeutung für Paradigma kommt aus der Theorie von Thomas Kuhn. Unter einem Paradigma versteht Kuhn jene forschungsleitende Perspektive oder Sichtweise, welche für eine bestimmte Zeit und für eine bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern konsensbildend ist. Das Paradigma nach Kuhn ist als das für eine bestimmte Zeit gültige Weltbild für eine bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern. Dabei handelt es sich um einen holistischen Begriff, da das Paradigma sämtliche Theorien, Methoden, Verfahren, Konzepte, Ansätze usw. enthält. Die Entwicklungsphase eines Paradigmas: Zunächst befindet sich das Paradigma in der protowissenschaftlichen oder vorparadigmatischen Phase. Man steht am Anfang und muss sich auf die Suche machen nach Fakten. Zu dieser Zeit gibt es noch keine Kriterien zur Datenerhebung in Form von Hypothesen oder Theorien. Das wissenschaftliche Tun ist vom Zufall bestimmt. In dieser Phase können mehrere Schulen entstehen, welche unterschiedliche Meinungen verstreten. Im Laufe der Zeit kann sich eine Schule bewähren wobei es zu einer Konsultarphase kommt, wodurch es auch zu einer Reduzierung der Schulen kommt. In der normalwissenschaftlichen Phase kann sich laut Kuhn immer nur ein Paradigma befinden. In dieser Phase liegen bereits allgemein anerkannte und als adäquat angesehene Konzepte und Kriterien zur Darstellung der Phänomene der Realität fest. Man verfügt über bewährte Strategien und Problemlösungsansätze. Der Nutzen des Paradigmas ist der, dass es zur Ausbildung von dogmatischen Überzeugungen kommt, welche gegen alle Einwände geschützt erscheinen. Weiters werden alle Basiskonzepte außer Streit gestellt, wodurch man sich speziellen Fragestellungen widmen kann. Das Paradigma wird zudem in der Sozialisation erlernt, wird also internalisiert und führt zu einem gemeinsamen Weltbild. Es kann zwar zu Differenzen kommen innerhalb eines Paradigmas, jedoch wird nie am Grundkonzept gezweifelt. Ein Paradigma hat immer ein Set eines Minimalbestandes: - Symbolische Verallgemeinerungen (z.B.: die Geofaktoren der Klassiker) B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 22 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek - Ontologische Modelle Heuristische Modelle Werte und normative Festlegungen. Was versteht man unter „Hypostasierung“ („Reifikation“)? Besprechen Sie es an Beispiel des Landschaftsbegriffs. Unter Hypostasierung oder Reifikation versteht man wortwörtlich, eine Vergegenständlichung, die Verdinglichung eines bloß in Gedanken existierenden Begriffs, die Substanzionierung von Beziehungen. Relationen, Interaktionen, Beziehungen… werden in ontologischer Manier als Objekte gehalten. Im Alltag wird die Hypostasierung zur Komplexitätsreduzierung eingesetzt. Relationen zwischen Phänomenen der Erdoberfläche sind auf der Ebene der Objektsprache welche, direkten Bezug auf die Realität nimmt beschreibbar. „Landschaft“ wird weiters verwendet als abgekürzte Benennung der Relation. Es kommt zu einer Reflexion der „Landschaft“ auf der Ebene der Metasprache, wodurch auf Grund der Ontologisierung, die reine Idee über die Landschaft zum Ding wird. Konsequenzen und Grundlagen der Hypostasierung: - Allanspruch der Landschaftsmethodologie - Holismus und Organismus-Metaphern - Affinität der klassischen Geographie zum Idealismus Charakterisieren Sie ausführlich zwei neuere Paradigma der Humangeographie (nach freier Wahl). Das verhaltenswissenschaftliche Paradigma Das verhaltenswissenschaftliche Paradigma kam etwa zur gleichen Zeit auf die die radical geography und die welfare geography, also Anfang der 70er Jahre. „What about the people in geography?“ Der zentrale Kritikpunkt dieses Paradigmas ist die fehlende Bezugnahme des spatial approach auf das menschliche Individuum und seiner subjektiven Wahrnehmung und Bewertung der räumlichen Umwelt. Die zentrale These: Die Vorstellung über die Realität beeinflusst das menschliche Handeln. Das Verhalten des Menschen wird also nicht beeinflusst durch die bloße objektivierbare Struktur der Realität, sondern durch die bloße Vorstellung. Das Programm: - Wie wird die räumliche Umwelt des Menschen wahrgenommen? Wie sieht die kognitive Weiterverarbeitung dieser Sinneswahrnehmung aus? In welcher Weise hängt das raumrelevante Tun des Menschen vom subjektiv bewerteten und wahrgenommenen Image der Realität ab? Zudem lieferte dieses Paradigma die vierte Bedeutung des Begriffs Region als „Lebensweltliche Regionen“, als einziger sozialwissenschaftlicher Ansatz. Das Paradigma der humanistic geography B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 23 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Dieses Paradigma kam in den 70er Jahren auf und hat eine objektivierende Perspektive und ein holistisches Weltbild. Der Mensch wird als autonomer Handlungsträger angesehen und es kommt zur Rekonstruktion von Sinn- und Bedeutungszusammenhängen sowie von Place, als subjektiv wahrnehmbarer Raum. Dieses Paradigma hat erkenntnistheoretische Hintergrundpositionen wie den Idealismus, Existenzialismus und Pragmatismus, sowie die Phänomenologie von Husserl. Dieses Paradigma richtet sich gegen die inhumanistische Attitüde und verfolgt einen qualitativ orientierten Ansatz. Das Paradigma der feministischen Geographie Das Paradigma der wissenschaftlichen Geographie bietet einen völlig neuen Zugang zur Raumrelevanz. Die Hintergrundphilosophie dieses Paradigmas sind die Feminismustheorien, welche der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frau durch den Mann entgegenwirken und Emanzipationen bewirken wollen. Dieses Paradigma kritisiert vor allem, dass auf die Ungleichheit von Mann und Frau viel zu wenig Bezug genommen wird. Zudem führte dieses Paradigma völlig neue Begriffe in die Geographie ein wie Gender (das soziale Geschlecht), Patriachat, Reproduktion, Gewalt und Androzentrismus. Dieses Paradigma kommt in den neuersten Diskussionen häufig vor und versucht die raumstrukturellen sozialen Ungleichheiten zu erfassen und sie zu beheben. Das handlungstheoretische Paradigma Dieses Paradigma kam in den 80er Jahren auf und hatte den Ursprung im deutschsprachigen Raum. Dieses Paradigma kritisiert vor allem das verhaltenswissenschaftliche Paradigma, da in diesem der Mensch bloß als Automat angesehen wird, welcher bloß auf äußere Anstöße reagiert. Menschen sind jedoch autopoietische Systeme und wie Max Weber schon feststellte, ist jedes menschliche Handeln auf einen subjektiven Sinn bezogen. Dieses Paradigma kritisiert jedoch auch das raumwissenschaftliche Paradigma, weil der Raum, nicht als Ursache von etwas sein könne. Die Geographie als Sozialwissenschaft. Das humanökologische Paradigma Dieses Paradigma hat eine ontologische Ausgangshypothese und leugnet die Dichotomie von Kultur und Natur. Natur und Kultur sind keine Gegensätze, sondern Bestanteile eines ganzheitlichen Systems. Das Erkenntnisobjekt ist der Mensch in der Umwelt. Dieses Paradigma kam in den 60er Jahren auf, ist jedoch ein Minderheitenprogramm. Das nicht dichotome Konzept von Subjekt und Gesellschaft. Koinzidenzprinzip Die choristische Beschreibung erlaubt Aussagen über räumliche Nähe und Ferne von Sachverhalten bzw. über die Feststellung räumlicher Koinzidenz und Distanz. Die räumliche Koinzidenz ist sehr wichtig, da sie Voraussetzung ist für kausale Zusammenhänge. Das Koinzidenzprinzip ist ein heuristisches Prinzip und deshalb werden Koinzidenzen als Hypothesengeneratoren eingesetzt. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 24 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Die Analyse von Koinzidenzen hat das Ziel der Feststellung von statistischen Gesetzmäßigkeiten bei Koinzidenzbeziehungen: Methoden: - Bestimmung der relativen Häufigkeiten - Korrelationskoeffizienten - Komplex-Indizes - Inverse Assoziationskoeffizienten. Quantitative Analyse von Geodaten, statistisch-mathematische Beweisführung Pragmatische Obligate und Folgen. Das anthropogene oder pragmatische Obligat der Erkenntnis: Die Erkenntnis ist für den Menschen und er selbst ist ihr Schöpfer und derer Methoden. Daraus ergibt sich eine pragmatische Abhängigkeit. Es gibt eine Begründung für die Erkenntnisobjekte, da der Mensch der Schöpfer der Erkenntnis ist. Die Erkenntnisobjekte sind somit pragmatische Entscheidungen, welche nicht begründbar sind, jedoch kritisiert werden können. Begriffe der raumwissenschaftlichen Geographie diskutieren. Die raumwissenschaftliche Geographie entwickelte mehrere Begriffe. Unter einer Stelle versteht man zum Beispiel einen Quasipunkt. Diese Stelle hat nur Lageeigenschaften und hat im Wesentlichen auch keine Ausdehnung. Diese Stellen sind inhaltsleer und haben eine klare Adresse. Stellen können mittels ihrer absoluten Lage (Position) angegeben werden oder durch ihre relative Lage zu anderen Stellen. Befinden sich zwei Stellen in Relation zu einander, so spricht man von Distanz und Richtung, welche zusammen die Entfernung angeben. Die Entfernung wird mittels einer Verbindungslinie graphisch dargestellt. Bei topologischen Darstellungen kommen Kanten und Knoten hinzu, wodurch Netze entstehen können. Gebiete sind ebenfalls inhaltsleer und besitzen nur Lage-, Größe- und Formeigenschaften. An Gebieten oder Stellen befinden sich jedoch bestimmte Objekte oder finden Ereignisse statt. Dies kann man als Ausstattung einer Stelle oder eines Gebietes ansehen. Eine Stelle, welche Sachattribute aufweist, nennt man Standort. Dabei ist ein Standort nicht nur die Position der Stelle und nicht nur die Ausstattung, sondern die Verknüpfung von beiden. Ein Gebiet, welches eine Ausstattung besitzt nennt man Areal. Areale besitzen also gleiche Sachausstattungen und sind somit homogene Regionen. Unter einem Feld versteht man ein Gebiet, in welchem die Sacheigenschaft variierende Merkmalsausprägungen um eine Stelle aufweist. Bei einem zentral-peripheren Feld nimmt die Merkmalsausprägung vom Zentrum ab. Dies kann jedoch auch umgekehrt der Fall sein. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 25 von 26 Universität Wien Institut für Geographie und Regionalforschung Gilbert Kotzbek Das logische System der klassischen Geographie. Das logische System der klassischen Geographie ist gekennzeichnet durch ihre Dichotomie auf den Bereichen der ontologischen (Natur – Geist/Kultur) und der methodologischen (nomothetisch – ideographisch). Auf der untersten Ebene befindet sich die Allgemeine Geographie mit ihren Geofaktoren. Diese Allgemeine Geographie teilt sich weiters auf in die Physiogeographische und Anthropogogeographische Allgemeine Geographie, welche zusammen die Landschaftskunde bilden. Die zentrale Aufgabe der Landschaftskunde ist es, die Dichotomie zu überwinden. Aus der Landschaftskunde folgt auf der ideographischen „Seite“ die Länderkunde, welche als krönender Abschluss der klassischen Geographie aufgefasst werden kann. Das logische System der klassischen Geographie basiert auf der Integrationsstufenlehre, welche aus drei Ebenen besteht, den Elementarkomplexe, hochrangige und höchstrangige Komplexe. Aus den Elementarkomplexen wird Integration über die Geofaktoren die Landschaftskunde (hochrangiger Komplex) erzeugt. Eine weitere Integration führt zur Länderkunde. Die Landschaftskunde definiert sich also aus der Integration der Geofaktoren und definiert somit die Inhalte der Länderkunde und beengt diese zudem. Später wurden noch die Landschaftsökologie (Natur) und die Sozialgeographie (Kultur) in den jeweiligen ontologischen Teilen der Dichotomie des logischen Systems integriert. Was sind jedoch Landschaften und Länder? Dies ist die zentrale Frage der klassischen Geographie. B1.2. Grundlagen und Konzepte der Humangeographie VU Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Seite 26 von 26 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Mitschrift aus Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie LV-Leiter: WEICHHART SS 2008 Anmerkung: Der folgende Text dient lediglich als Ergänzung der LV-Unterlagen und zusätzliche Hilfestellung bei der Prüfungsvorbereitung. Eine Garantie auf inhaltliche Korrektheit kann nicht gegeben werden. Außerdem handelt es sich um eine Rohfassung, welche nie ernsthaft korrigiert wurde. Aus diesem Grund kann auch keine Garantie auf korrekte Rechtschreibung und Grammatik gegeben werden. Des Weiteren setzt sich der Text aus eigenem und fremdem Gedankengut zusammen. Meist wurde der Text der Vorlesungsfolien um das Vorgetragene ergänzt. Da es sich jedoch nicht um eine wissenschaftliche Arbeit, welche veröffentlicht wird, handelt, wurden so gut wie alle Regeln des korrekten wissenschaftlichen Arbeitens, insbesondere die Zitierregeln, missachtet. 1 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie „Was ist Geographie?“ Eine erste Annäherung Kennzeichen der Betrachtungsperspektive der Geographie • • • • Beschäftigung mit den Systemzusammenhängen zwischen den Geofaktoren Thematisierung von Lagebeziehungen zwischen Phänomenen der Erdoberfläche „lebensweltliche“ Orientierung (Gegenstände sind alltagsweltlich) Maßstabsbereich (Kontinente und Großregionen; Meso- und Kleinregionen; Mikrogeographie). Der Maßstab bedingt die Fragestellung. Geographie ist ein Denkgebäude das von den Geographen selbst gemacht wird. Es gibt keine natürliche Daseinsform der Geographie. Geographie ist nicht topographisches Wissen; ein Geograph ist kein Atlas, muss mit diesem aber umgehen können. Geographie ist eine Erfahrungswissenschaft (empirische Wissenschaft), sie beschäftigt sich mit Gegenständen und Phänomenen der Wirklichkeit. Dabei hat sie einen umfassenden Gegenstandsbereich, nämlich die gesamte Geosphäre! Während sich die Nachbardisziplinen spezialisieren untersucht die Geographie wechselseitige Beziehungen und Wirkungen. Die traditionelle “Arbeitsteilung” der Geographie Physiogeographie Systemzusammenhänge zwischen den physischen Geofaktoren Humangeographie Systemzusammenhänge zwischen den anthropogenen Geofaktoren Systemzusammenhänge Natur - Kultur Früher: Später: Heute: Physiogeographie Inventarisierung + Klassifizierung Genese (Entstehung) Wechselwirkung Humangeographie Artefakte Mensch an sich Hauptphasen der Objektbetrachtung in der Humangeographie 1. Geodeterministische Phase: Früheste Phase; Erscheinungen der Kultur sind durch Naturgegebenheiten bestimmt. Deterministische Erklärungsform. 2. Physiognomisch-morphologische und historisch-genetische Perspektive: 20er und 30er; Beschreibung und Klassifikation der äußeren Gestalt von Phänomenen, Herkunft, Entstehungsgeschichte. 3. Funktionale Phase: “Stoffwechsel” und “Physiologie” der Landschaft. 2 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 4. Raumwissenschaftliche Phase: 60er im dt. Sprachraum; Suche nach “Raumgesetzen”. Quantitative Zusammenhänge des Handelns. 5. Verhaltenswissenschaftliche Phase: 60er; Die Welt in unseren Köpfen – Wahrnehmung und Bewertung der Umwelt stehen im Mittelpunkt. 6. Handlungstheoretische Phase: Die “Kulturlandschaft” als Produkt beabsichtigter und nichtbeabsichtigter Folgen menschlichen Handelns; der Mensch als handelnder Akteur wird untersucht. 7. Kulturwissenschaftliche Phase Die verschiedenen Perspektiven ersetzten einander nicht, sondern werden integriert und ergänzen einander. Dimensionen von Wissenschaft • Wissenschaft als System von Aussagen (→ Denkgebäude) Wahrheitsanspruch (= relativer) Aufstellen von Erklärungen (→ Generalisierung) Suche nach Gesetzlichkeiten (→ Theorien) • Wissenschaft als Tätigkeit Streben nach inhaltlicher Wahrheit und formaler Korrektheit Beweis- und Begründungspflicht methodische Nachvollziehbarkeit • Wissenschaft als soziales System Organisatorisch-institutionelle Struktur “Spielregeln” und Normen soziale Eigendynamik (Macht, Politik,…) Besonderheiten der Geographie • • • • Geographie als “diffuse Disziplin” Thematisierung der “Kontextualität” (= Zusammenhang, Einbindung in Umwelt) von Phänomenen der Geosphäre Erforschung von “Räumlichkeit” “Alltagsweltliche” Orientierung 3 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Am Strand – eine Einführung in die Weltsicht der Geographie „Raum“ – eine vorläufige Begriffsbestimmung • • • Strandleben Kleinerer oder größerer Ausschnitt der Erdoberfläche, unspezifische „Adressangabe“ mit vagen Grenzen Jede Art von Ordnungsrelationen „Place“ (= Ort; subjektive Komponente; Werte, Bedeutungen, Gefühle) Das Bild ist ein Ausschnitt der Alltagswelt, die Verteilung der Phänomene wird auf der Karte erfasst; die Karte als Methode zur Darstellung von Ordnungsrelationen • • • • Lokalisierung der Phänomene, Verteilungsmuster Unterschiede in der Verteilung? Zusammenhänge zwischen Verteilungsmuster und Umwelt? „Räumliche Ordnung“, „Regionalisierung“ Eine physiogeographische Regionalisierung des Strandes Absolute Labe = Lage einer Stelle im Raum Relative Lage = Beziehung zu anderen Objekten (z.B.: zentrumsnah) 4 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Lokalisierung der Phänomene Warum gibt es Unterschiede in der Verteilung? Durch die Informationsverdichtung (durch Raster, Regionalisierung,…) gehen zwar Informationen verloren, andererseits können neue Erkenntnisse (Gesamtinformationen) erlangt werden. Räumliche Ordnung/ → zonale Muster Zusammenhang Regionalisierung nach → Cluster mit Umwelt? Ähnlichkeit oder Beziehung zueinander Lokalisierung der Phänomene durch: Regionalisierung: Ist nicht naturgegeben, sondern ist ein Konstrukt der Wissenschaft (abhängig von den Methoden) Bedeutung des Wortes „Regionalisierung“: - Klassifikationsmethode - Folge der Globalisierung; Regionalisierung → Bildung räumlicher Disparitäten Durch Raster: Hierbei spielen die dichte und die Lage der Rasterlinien eine wichtige Rolle. Es entsteht ein methodisches Artefakt, determiniert durch die Methode (= Rastergröße) Das Aufstellen von Erklärungen ... ist das Ziel jeder Wissenschaft. Erklären heißt, eine kausale Begründung für ein Phänomen finden, etwas auf seine Ursache zurückführen. Ohne Theorie gibt es keine Erklärung. Theorien ...sind verallgemeinernde Behauptungen, die einen Kausalzusammenhang oder Verursachungszusammenhang zwischen Phänomenen der Realität postulieren (sind immer nur Postulate = Behauptungen). Sie sind nie verifizierbar, nur falsifizierbar. 5 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Formen der Verallgemeinerung Deterministische Form („starke Form“): „Für alle A gilt: sie werden von B verursacht“. Probabilistische Form („schwache Form“): „In x% der Fälle trifft zu, dass A durch B verursacht wird.“ Erklärungen in der Geographie Für die Geographie ist besonders charakteristisch, dass sie meist solche Eigenschaften von Phänomenen erklären will, die durch ihre räumliche Lage, ihre absolute Position in einem Ordnungsraster oder durch ihre Relation zu anderen Phänomenen bestimmt sind. Zur Erklärung der räumlichen Verteilung der Strandbesucher • Im Nordwesten ist die Besucherdichte höher als im Südosten; • auffällige „Cluster bildungen“ • „Einzelgänger“. Wie kann dieses Verteilungsmuster erklärt werden? Ein Erklärungsansatz: „Proxemics“ • Menschen weisen ein ausgeprägtes „Territorialverhalten“ auf • Phänomen des „Personal Space“ ⋅ intime ⋅ personale ⋅ soziale ⋅ öffentliche Zone N Hypothese Die Strandbesucher organisieren in der Regel ihren Stand(Liege)ort so, dass sie zur Wahrung des Personal Space eine möglichst große Distanz zu unbekannten Nachbarn herstellen und möglichst nahe beim Partner oder Freunden situiert sind. „Interpersonale Distanzen“ Bevölkerungsdichte Liebespaare Familien „Einzelgänger“ Durchschnittliche Dichte Distanz zwischen den Gruppen Distanz in m 2 4 6 8 6 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Besucherzahlen Die Entwicklung der Besucherzahlen von 1890-1990 Der zeitliche Maßstab: 100 Jahre 1890 Jahresgang der Besucherzahlen 1990 Zeit Besucherzahlen Der zeitliche Maßstab: Jahr Monate 1 2 3 5 4 6 7 8 9 10 11 12 Besucherzahlen im Verlaufe einer Sommerwoche Besucherzahlen Der zeitliche Maßstab: Woche Zeit Mo Di Mi Do Fr Sa So Besucherzahlen nach Minuten Besucherzahlen Der zeitliche Maßstab: Minuten Zeit 7 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Schlussfolgerung Das Phänomen, das wir bei einer empirischen Datenaufnahme erfassen, ist eine Funktion des zeitlichen Maßstabs. Die „Eroberung“ des Strandes Eingang zum Strand „Räumliche Diffusion“ „Die Tyrannei von Raum und Zeit“ Grenzen der Handlungsmöglichkeit durch die Tatsache der Körperlichkeit (Constraints = Grenzen) „Raum-ZeitAquarium“ T. HÄGERSTRAND B A Authority Constraints zB: Zutritt (Verein,…) Capability Constraints Quelle: P. HAGGETT, 1979, 3. Aufl., Abb. 1-7 Acessibility Constraints zB: Auto,… Activity Constraints: was kann ich am Strand tun mit der gegebenen Zeit; Activities müssen in Relation zur Zeit der Anreise Stehen 8 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Die dritte Hauptfragestellung der Geographie „Welche kausalen Zusammenhänge bestehen zwischen dem Menschen und seinen Aktivitäten und den physisch-materiellen Gegebenheiten der Realität?“ Die “klassische“ Formulierung der Frage (Klassische Geographie; 20.Jh): „Welche kausalen Zusammenhänge bestehen zwischen dem Menschen und seinen Werken (der „Kultur“) und der „Natur“? Das führte zu Denkfehlern und Missverständnissen. Problem: Wie lassen sich „Natur“ und „Kultur“ voneinander unterscheiden? Durch die Dichotomie dieser beiden Begriffe lässt sich keine klare Definition finden, daher sollten sie aus dem wissenschaftlichen Kontext herausgehalten werden. Eine neuere Version der Frage „Welche kausalen Zusammenhänge bestehen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt?“ Problem: „Umwelt“ umfasst jeweils alle Lebensbedingungen der jeweils betrachteten Art. Eine Reduktion auf die „natürlichen“ Umweltaspekte ist daher unzulässig. Die zwei Seiten der „Beziehung“ Wie wirken sich physisch-materielle Gegebenheiten auf den Menschen aus? Auf welche Weise und mit welchen Ergebnissen beeinflusst der Mensch die physischmaterielle Realität? Mensch Physischmaterielle Realität These Die Besucherdichte ist von jenen materiellen Eigenschaften (Attributen) des Strandes abhängig, die von den Besuchern wahrgenommen und bewertet werden. Das Ergebnis dieser Bewertung kann als „Qualität“ des Strandes bezeichnet werden. Eine empirische Prüfung der These Überlegung: Wenn die These, dass zwischen Besucherdichte und Strandqualität ein positiver Zusammenhang besteht, tatsächlich zu trifft, dann muss sich diese Wirkung auch im räumlichen Verteilungsmuster der beiden Phänomene widerspiegeln. Die Besucherdichte sollte also dort am höchsten sein, wo auch die Strandqualität am höchsten ist. Das Problem liegt nun allerdings in der Definition von Qualität, denn diese kann ganz unterschiedlich empfunden werden. Grundsätzlich lässt sich sagen, der Wert der Gegenstände liegt in der Zuschreibung und ist nicht immanent. Qualität ist also ein relativer Begriff und abhängig von der Beziehung zu Werten (subjektive Eigenschaften), was nicht wahrgenommen werden kann, kann nicht bewertet werden. Analyse der räumlichen Kovariation Darunter versteht man die vergleichende Gegenüberstellung von zwei oder mehr Verteilungsmustern unterschiedlicher Phänomene im gleichen Untersuchungsgebiet. Eine ausgeprägte Kovariation wird als Indiz für kausale Zusammenhänge zwischen den betreffenden Phänomenen angesehen. 9 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Besucherdichte und Strandqualität: Vergleich der Verteilungsmuster Linien gleicher Besucherdichte 5, 5 2, 5 Ausgeprägte Kovariation, positiv 5, 5 2, 5 Ausgeprägte Kovariation, negativ 5, 5 2, 5 Keine Kovariation Räumliche Kovariation ist ein Indiz, aber kein Beweis für einen Kausalzusammenhang (wichtig ist weiters, dass die Verteilung nicht normalverteilt sein darf) zwischen den betreffenden Variablen. Räumliche Kovariation kann auch auf andere Weise verursacht werden: • Zufall • gemeinsame Abhängigkeit von einer dritten Variablen • Variablen messen das gleiche Phänomen Wir neigen dazu das frühere Phänomen als Ursache und das spätere Phänomen als Wirkung zu interpretieren und somit zu vorschnellen Deutungen. System Unter einem System versteht man eine Menge von Elementen, die miteinander durch eine Menge von Relationen funktional verknüpft sind. „System“ ist ein „ontologisch neutraler“ Begriff, d.h. er ist beliebig definierbar. In den alten Systemtheorien wurde das System durch den Betrachter abgegrenzt, in den neuen Systemtheorien grenzt sich das System durch eine spezifische Operationsweise von der Umwelt (zu anderen Systemen) ab. 10 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Mensch-Umwelt-System Lokales Sozialsystem (Mensch-MenschBeziehungen) Verschmutzung, Dichtestress (-) Lokales „Umwelt-System“ (Beziehungen zwischen den materiellen Elementen des Gebietes) Nutzung Lokales Mensch-Umwelt System (Beziehungen zwischen Menschen und den materiellen Gegebenheiten des Gebietes) Infrastruktur, „Ästhetik“ (+) Besucherdichte, Besucherverteilung Subjektive/soziale Wahrnehmung und Bewertung Struktur und Eigenschaften des Strandes Erreichbarkeit, Jahreszeit, Wochentag, Tageszeit, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen + positive Rückkoppelung - negative Rückkoppelung Exposition, Wind- und Wellenenergie, Gesteine, Ablagerung, Abtragung Die Verknüpfung der Teilsysteme geschieht durch den Menschen (funktionale Koppelung), zur Erreichung der Ziele/Wünsche werden physisch-materielle Potentiale genutzt. → Beziehungen (Flows: Energie, Material, Informationen) Informationsflow: Wahrnehmung und Wertung (sozial/subjektiv konstruiert) des Strandes, Verknüpfung von Sinn und Materie. Strukturelle Koppelung entspricht keinem kausalen Zusammenhang, es handelt sich um eine elastische Beziehung. Der Zusammenhang von Sinn und Materie Die Beschäftigung mit dem Zusammenhang zwischen Sinn/Wert und Materie kann als besonderes Charakteristikum der Geographie angesehen werden. Die meisten Sozialwissenschaften befassen sich ausschließlich mit Werten, in den Naturwissenschaften kommen Werte als Objekte nicht vor. Der räumliche Betrachtungsmaßstab ... definiert die Phänomene und Prozesse der Realität, die in den Brennpunkt unseres Forschungsinteresses geraten. Änderung der Maßstabsebene → Änderung des Auflösungsniveaus Maßstabsfragen I: „Mikroebene“ 11 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Erfassbare Phänomene: Soziale Interaktionen, Dynamik von Kleingruppen, Nutzung von Einzelparzellen, Mikromorphologie etc. Maßstabsfragen II: Regionale Maßstabsebene Erfassbare Phänomene: Nodalregionen, Pendlereinzugsgebiete, Wirtschaftsverflechtungen etc. Das „Fenster“ geographischer Weltbetrachtung 1030 20 10 cm Durchmesser Milchstrasse 101 0 Umfang Äquator 1 Lichtjahr 101 0 100 USA Distanz Erde-Sonne New York State Manhattan Körpergröße Mensch Central Park Wellenlänge Sichtbares Licht 10-10 10-25 Fußballstadion Durchmesser Atom Kürzeste messbare Distanz 0 10 Menschlicher Körper Quelle: P. HAGGETT, 1979, 3. Aufl., Abb. 1-11 12 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Raum-zeitliche Maßstabsbereiche der Geographie x-Achse: G-Skala 500Mio km2 = GO, dann immer 10-1 runter y-Achse: T-Skala TO = vor 10Mio. Jahren immer 10 eine 10er-Potenz später. Raumwissenschaftliche Geographie: räumliche Phänomene, Verteilung, Mensch-Umwelt, Regionalisierung 13 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Die „klassische Geographie“ der Landschafts- und Länderkunde Methodologie Unter „Methodologie“ versteht man alle systematischen Reflexionen zum Theoriesystem, zur Aufgabenstellung, zur Methodenlehre und zur inneren Organisationsstruktur eines Faches. Grundlagendisziplinen für die Methodologie sind Wissenschafts- und Erkenntnistheorie. Methodische Regeln für empirische Forschungspraxis und fürs Aufstellen von Theorien. Normativ orientiert „methodology of geography“: Wie entwickelt man Theorien, wie bildet man Begriffe, welche Genauigkeitsansprüche gelten für welche Verfahren etc. „philosophy of geography“: Objektkonstitution erkenntnistheoretischen Orientierung. und Zielsetzung, Wahl der Im deutschsprachigen Raum wird zwischen den beiden kein Unterschied gemacht. Die „klassische“ Geographie und ihr „logisches System“ In den 50er Jahren war der Höhepunkt der „klassischen“ Geographie. Es waren so gut wie alle Konzepte und Theorien der klassischen Geographie ausgearbeitet. Die klassische Geographie beschäftigt sich mit den Geofaktoren und den Gesetzmäßigkeiten nach denen diese funktionieren. Nomothetisch Physiogeographische Anthropogeographische Allgemeine Geographie methodische Begründung Grundstruktur des „logischen Systems“ der Geographie Natur Geist/Kultur Idiographisch Länderkunde Landschaftskunde „ontologische Begründung“ Geist/Kultur = Disjunktion: die beiden Teile schließen einander aus Idiographie, häufiger als Adjektiv idiographisch (von griech. idios eigen und graphein beschreiben), ist eine wissenschaftstheoretische Ausrichtung, bei der das Ziel wissenschaftlicher Arbeit die Analyse zeitlich und räumlich einzigartiger Gegenstände ist. Nomothetik, häufiger als Adjektiv nomothetisch (von griech. nomos Gesetz und thesis aufbauen) bezeichnet eine bestimmte wissenschaftstheoretische Ausrichtung, bei der das Ziel wissenschaftlicher Arbeit die Erarbeitung allgemein gültiger, also von Zeit und Raum unabhängiger Gesetze ist. 14 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Die „Integrationsstufenlehre“ höchstrangige Komplexe LÄNDER Landschaften Geofaktoren Gesteinsuntergrund Nach H. BOBEK, 1957 Boden .... Siedlungen I N T E G R A T I O N hochrangige Komplexe Elementarkomplexe GKPD/03/01/06 Landschaften ... „Integrationsprodukte“ der Geofaktoren; Beinhalten solche Erscheinungen und Prozesse, in denen Regelhaftigkeiten und Gesetzmäßigkeiten zu Tage treten. Sie „personifizieren“ eine Verknüpfung aller Geofaktoren. Das Landschaftskonzept hat die Funktion, die Dichotomie zwischen Natur und Kultur zu überwinden. Länder ... sind „einmalige Raumindividuen“, die nur idiographisch erfasst werden können. Aufgabe der Länderkunde: Darstellen des Besonderen in der Erscheinung, Wirkungsgefüge, im geschichtlichen Werden. Länder werden als ganzheitliche „Raumindividuen“ aufgefasst. im C. RITTER: „Länder“ sind „göttliche Zweckschöpfungen“, mit dem Ziel, den Menschen zu formen. Historistische Deutung von Ländern als „räumliche Persönlichkeiten“ mit „totaler Individualität“ (F. DÖRRENHAUS). Landschaften und Länder als komplementäre Phänomene • • Der Gegenstand der Länderkunde wird durch das Landschaftskonzept inhaltlich definiert und eingeengt. Länderkunde ist also ein Residuum (= was von der Landschaftskunde überbleibt). „Landschaft“ als Integrationsprodukt natürlicher und kultureller Geofaktoren begründet die Sinnhaftigkeit einer „einheitsgeographischen“ Länderkunde. („In der Landschaft erkennen wir die Integration von Kultur und Natur“) 15 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Das „logische System“ L ä n d e r k u n d e L a n d s c h a f t s k u n d e Politische Geographie Wirtschaftsgeographie Verkehrsgeographie Siedlungsgeographie Physische Anthropogeographie Tiergeographie Vegetationsgeographie Bodengeographie Hydrogeographie Klimageographie Geomorphologie N a t u r Bevö ölkerungsgeographie Bev Sozialgeographie Landschaftsö Landschaftsökologie K u l t u r GKPD/03/01/11 Teildisziplinen sollen mit ihren Geofaktoren nomothetisch arbeiten Länderkunde soll mit der Einzigartigkeit der Länder arbeiten Landschaftskunde untersuchen hochrangige Komplexe der Atmosphäre (=Landschaften) Sozialgeographie fasst die Humangeographischen Kategorien zusammen (=Integration) Landschaftsökologie fasst die physiogeographischen Kategorien zusammen. Das Landschaftskonzept „Was aber ist Landschaft? Das ist die ungelöste Grundfrage der Geographie.“ (H. CAROL, 1956) Einzige Antwort: Landschaft ist der Hauptgegenstand und zentrales Objekt der Geographie Mutmaßungen über „Landschaft“: • „Landschaften“ werden als konkrete „Gegenstände“ der Realität aufgefasst; man kann sie sehen. Natur + Kultur verschmelzen • sie werden durch Systemzusammenhänge zwischen den Geofaktoren konstituiert; • sie werden als „ganzheitliche Raumorganismen“ aufgefasst; • sind Gegenstände der visuellen Erfahrung. • Mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Ad „sind das was man sehen kann“: dieser Gedanke wurde von manchen Geographen so weit getrieben, dass sie sagten, Landschaftskunde behandle nur die sichtbaren Geofaktoren, wodurch z.B. der Luftdruck, eine elementare Größe im Klima unbeachtet bleiben würde. Das „physiognomische Prinzip“ Unter „geographischer Substanz“ versteht man den „... gesamten, physiognomisch erfassbaren geographischen Stoffbereich der Erdoberfläche.“ H. LAUTENSACH, 1952, S. 2 Hierbei handelt es sich allerdings um eine zirkuläre Definition! Länderkunde In „Westermann – Lexikon der Geographie“ (1968), einem „Quellenwerk“ der klassischen Geographie wird Länderkunde folgendermaßen definiert: „Länderkunde (auch Regionale Geographie ...) beschreibt die Länder der Erde als Individuen (idiographisch), d. h. als einmalig in Raum und Zeit vorkommende 16 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Ausschnitte der Geosphäre oder des Landkontinuums. Besonders die spezifische Lage, die geschichtliche Situation und organisatorische Zusammenhänge machen einen ... Erdraum ... zum Land.“ Die Länderkunde behandelt: „... die höchstrangigen Komplexe der stufenweisen Integration, die die einzelnen Geofaktoren nicht mehr unmittelbar aus der analytischen Behandlung in der Allgemeinen Geographie übernimmt. Diese werden vielmehr von der Landschaftskunde mit Hilfe typologisch erfasster Struktureinheiten schon in „landschaftskundlichen Modellen“, deren individuelle Züge und Abweichungen aber nun in der Länderkunde besonders hervorgehoben werden, der Länderkunde erschlossen.“ Weichhart weiß auch nicht was das bedeuten soll! Länder sind Geistige Gebilde die im Kopf des Forschers entstehen. Das „länderkundliche Schema“ Das „länderkundliche Schema“ bedingt eine geodeterministische Weltdeutung. Lage Die Abfolge des Stoffes Größe wird danach bestimmt, Geologie dass sich der Inhalt der Morphologie Kapitel jeweils kausal auf den Klima Inhalt der vorhergehenden Hydrographie Abschnitte bezieht. Böden Vegetation Geodeterministische oder Siedlung possibilistische Weltdeutung Landnutzung, Verkehr, Politik etc. Der Geodeterminismus meint, dass alles durch die Geofaktoren beeinflusst wird. Der Mensch kann sich zwar dessen bewusst sein, bleibt jedoch stets beeinflusst. „HETTNER-Sandwich“ 17 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Ein „Musterbeispiel“ einer Länderkunde Das Buch „Das Mittelmeergebiet – seine geographische und kulturelle Eingenart“ von Alfred Philippson (1904) galt zur Zeit seiner Veröffentlichung als höchst intellektuelles Werk. Zu dieser Zeit ging man davon aus, dass ein Kausalzusammenhang zwischen den physiogeographischen Faktoren und dem Mensch bestehe, solche geodeterministischen Erklärungsmodelle waren sehr verbreitet. Dem entsprechend leitet Philippson all seine Behauptungen aus Geofaktoren ab. Er beschreibt in 4/5 des Buches physische Faktoren und im letzten fünftel den Faktor Mensch. Im Kapitel „Soziales“ steht folgendes: „Bei allen Verschiedenheiten ... gehen gewisse gemeinsame Züge durch alle diese (Mittelmeer-) Völker hindurch, welchen Stammes sie auch seien, die der Einheitlichkeit ihres Lebensschauplatzes entstammen... Diese Eigenschaften der mediterranen Menschheit, die ihr die Beschaffenheit des Mittelmeergebietes aufgeprägt hat, sind teils geistiger und sozialer Art, teils zeigen sie sich in Wirtschaft und Siedlungen. Der Nachbar, der Fremde darf jederzeit eintreten und ist willkommen; die weitherzigste Gastfreundschaft wird ausgeübt. Das ist im Grund die Folge des warmen Klimas, das uns dazu zwing, im Sommer die Wohnräume der Luft zu öffnen...“ Die hohe Bedeutung des öffentlichen Raumes für soziale Beziehungen „... ist ein Zug des menschlichen Lebens, der unmittelbar dem Klima entstammt.“ „Die mangelnde Gewohnheit sesshafter, ausdauernder geistiger Arbeit, die uns bei dem Durchschnitt der südländischen gebildeten Stände entgegentritt, und sich so oft in Oberflächlichkeit der Kenntnisse und Leistungen äußert, ist eine weitere Folge des Lebens im Freien“. Warum spricht man vom „logischen“ System der Geographie? Grundlagen: • Die Organisationsstruktur der Geographie wird als „Spiegelbild“ der geosphärischen Realität interpretiert; • Objektverständnis der klassischen Geographie. Das Objektverständnis der Klassiker: „Eine Wissenschaft kann nach drei generellen Kriterien von anderen Wissenschaften ausgesondert werden: (1) durch einen spezifischen Forschungsgegenstand, eine spezifische Domäne; (2) durch besondere Methoden, die zu dem besonderen Zweck geschaffen worden sind, die Domäne zu erfassen; (3) durch ihre eigene Geschichte, welche die historische Entwicklung von Begriffen und Methoden verfolgt und damit gestattet, eine Wissenschaft stetig zu entwickeln. Von den drei genannten Kriterien zur Definition einer Wissenschaft ist die Domäne als das Grundlegende erkannt, da im Kern konstant bleibend ...“H. CAROL, 1963 S. 25/26 Die Konsequenz: „Wie ist die geographische Wissenschaft ihrem Forschungsobjekt gemäß aufzubauen?“ H. CAROL, 1956, S. 111 Die Organisationsstruktur des Faches Geographie ergibt sich „logisch“ aus der Struktur der Realität. Immunisierung gegenüber jeder Kritik! Zwei Dimensionen des Objektbegriffs: Erfahrungsobjekt (Realobjekt): Gegenstandsbereich oder Ausschnitt der Realität, mit dem sich eine Wissenschaft befasst. Erkenntnisobjekt (Formalobjekt): Interessierender Aspekt des Gegenstandes, spezifische Fragestellung der Disziplin. 18 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Die Folgen des „substanz-zentrierten“ Objektbegriffs: Beziehungen, Interrelationen und Wechselwirkungen zwischen Elementen der Realität konnten nicht in die Objektdefinition der klassischen Geographie aufgenommen werden. → Umdeuten von Relationen zu Substanzen, Gegenstände (=Vergegenständlichung der Forschungsfragen) Objekt der Geographie sei der „... Bereich der Erdhülle – der Litho-, Hydro-, Atmo-, Bio- und Anthroposphäre – in seiner gesamten Ausstattung und Gestaltung. Die geographische Wissenschaft sucht also das Wesen der Gesamtheit des Durchdringungsraumes der genannten Sphären zu erfassen.“ H. HAHN, 1957, S. 38, Aber niemand kann sagen was „Wesen“ eigentlich bedeutet → Finger weg von Definitionen die „Wesen“ beinhalten! „Vielmehr wird die räumliche Gesamtwirklichkeit als solche zum Forschungsgegenstand gemacht“. J. SCHMITHÜSEN, 1964, S. 10 Totalitäts- und Allanspruch der klassischen Geographie: Umdeutung eines Programms zu „Entitäten“ (Landschaften, Länder) 19 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Die „Revolution“ am Kieler Geographentag 1969 Die „Vorboten“ der Revolution • Hinweise auf eine Krise der „Einheitsgeographie“ „Der Zerfall der geographischen Geamtwissenschaft ist nicht mehr aufzuhalten, überall kracht es in ihrem Gebäude und keine Stützen werden das Zusammenbrechen hindern können.“ A. RÜHL, 1933 (!), S. 32 • • Kritik am Landschaftskonzept Krise der Länderkunde Der Kieler Geographentag • • • Fundamentale öffentliche Kritik an der Gesamtkonzeption der klassischen Geographie; „Agitatoren“: junge Dozenten mit soliden Kenntnissen der neueren Wissenschaftstheorie und kritische StudentInnen; Wohlbegründete Vorschläge für eine Neukonzeption des Faches, Kiel als Symbol eines Umbruchs. „Schlüsselpublikationen“ der Revolution D. BARTELS, 1968, Zur wissenschaftstheoretischen Grundlegung einer Geographie des Menschen; Er erkannte die Tatsache an, dass theoretische Grundlagen unbedingt notwendig seien. Er wollte Geographie im Sinne der positivistischen Philosophie der Wissenschaft mit wissenschafts-theoretischen Mitteln begründen. G. HARD, 1970, Die „Landschaft“ der Sprache und die „Landschaft“ der Geographen. Semantische und forschungslogische Studien zu einigen zentralen Denkfiguren in der deutschen geographischen Literatur. Er setzte sich mit dem Begriff „Landschaft“ sprachwissenschaftlich auseinander und stellte gravierende Logikfehler fest. Die „Logik“ des Landschaftsbegriffs „Nach dem Anteil des Menschen unterscheidet man allgemein Naturlandschaft und Kulturlandschaft, wobei zu beachten ist, dass zu einer Kulturlandschaft außer den natürlichen Bestandteilen nicht nur die Einrichtungen der wirtschaftlichen Kultur gehören ... sondern auch der Niederschlag und die Einflüsse der geistigen Verfassung ihrer Bewohner... Bei der Zusammenschau natur- und kulturlandschaftlicher Merkmale zu den komplexen Gebilden der Kulturlandschaft ...“ C. TROLL, 1950. Kulturlandschaft I n t e g r a t i o n Naturlandschaft Kulturlandschaft Integration Integration Physische Geofaktoren, „Natur“ Kulturelle Geofaktoren, „Kultur“ Troll behauptet zuerst, Naturlandschaft und Kulturlandschaft seien Co-Elemente. Dann jedoch meint er Kulturlandschaft beinhalte Naturlandschaft, sei also ein Überbegriff. KL ist also nicht gleich KL!!! 20 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Dieser Logikfehler wurde von allen damaligen Geographen übersehen und die Integration nach Troll ohne zu überlegen übernommen. Laut Hard besteht ein erstes Problem des Landschaftsbegriffes darin, dass er kein rein wissenschaftlicher Term ist, sondern auf umgangssprachlich verwendet wird. Die „Landschaft“ der Alltagssprache „Landschaft1“ = „Gegend“, „Ansicht“, „Panorama“ „Landschaft2“ = „Areal“, „Bezirk“, „Gebiet“ „Landschaft3“ = künstlerisches Abbild der Landschaft1 Die „Landschaft“ der Geographen 1Landschaft ~ Systemzusammenhang der Geofaktoren in einem bestimmten Bereich der Geosphäre 2Landschaft ~ Verbreitungsgebiet, Bereich der Dominanz eines bestimmten Phänomens („Hauslandschaft“, „Moränenlandschaft“) 1Landschaft ist mit 2Landschaft jedoch unkompatibel! Funktionen sprachlicher Ausdrücke • lexikalischer Aspekt (Semantik): Denotation, Konnotation • syntaktischer Aspekt: Verknüpfungsregeln • pragmatischer Aspekt: soziale Bedeutsamkeit des Sprechaktes (wer spricht zu welchem Zweck mit wem?) „Hypostasierung“ oder „Reifikation“ ... bedeutet wörtlich etwa „Vergegenständlichung“, Verdinglichung eines bloß in Gedanken existierenden Begriffs, Substantialisierung von Beziehungen. Beziehungen, Interaktionen und Relationen werden „... in ontologisierender Manier für gegenständliche Objekte gehalten.“ B. WERLEN, 1993, S. 42 Auf der Metaebene reden wir nicht über das Ding selbst, sonder über die Zeichen die wir für das Ding verwenden. Wie wird der Begriff verwendet. Folgerungen in der Metaebene können für Aussagen über die Realität gehalten werden. In diesem Fall wird die Betrachtungsperspektive mit der realen Welt verwechselt. Die Geographen meinten also die Art und Weise wie sie auf die Welt schauten, sei die Welt, das Beobachtungsgerät wurde für die Welt gehalten. Als Konsequenz daraus wurden Landschaften als Organismen angesehen, die mehr als die Summer ihrer Teile waren. Der Reifikationsprozess Reflexionen über „Landschaft“ auf der Ebene der Metasprache Ontologisierung = Relation zu einem Gegenstand des Seienden machen ONTOLOGISIERUNG „Landschaft“ als Begriff der Umgangssprache zur „abgekürzten“ Benennung der Relationen Beschreibbar auf der Ebene der Objektsprache Von der „Idee“ der Landschaft zum „Ding“ Relationen zwischen Phänomenen der Erdoberfläche → LANDSCHAFT 21 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Konsequenzen und Grundlagen der Hypostasierung • „Allanspruch“ der Landschaftsmethodologie („Totalcharakter“, „Totalbetrachtung“) • Holismus und Organismus-Metaphern • Affinität der klassischen Geographie zum Idealismus Auf dem Weg zur Dekonstruktion der Realobjekte Schon 1929 stellte Kraft die Unsinnigkeit dieses Allanspruches fest: „Es kommt aber für eine Wissenschaft gar nicht so sehr darauf an, dass sie ein ihr allein eigenes Gegenstandsgebiet hat, als dass sie ihr eigenes Forschungsziel hat, ihren besonderen Gesichtspunkt, unter dem sie die Objekte betrachtet, auch wenn sie ihr mit anderen Wissenschaften gemeinsam sind.“ V. KRAFT, 1929, S. 7 Deutlicher formulierte es Gerling, der meinte: „Als ein wesentliches Erkenntnisziel der Geographie kann man die jeweils örtliche, regionale und kontinentale Ausprägung des Bedeutungs- und Wirkungszusammenhangs der Geofaktoren ansehen.“ W. GERLING, 1965, S. 20 Er beschreibt ziemlich genau das was die Klassiker auch versuchten zu definieren, gibt dem ganzen aber keinen Namen, sucht es nicht in der realen Welt. „Keine Wissenschaft wird also durch einen monopolistischen Anspruch auf bestimmte ,Objekte‘, ,Objektbereiche‘ oder durch ,eigene Methoden‘ ,gerechtfertigt‘, sondern durch das Vorhandensein einer Klasse von logisch und arbeitsökonomisch mehr oder weniger zusammengehöriger Fragestellungen und entsprechender Lösungsansätze.“ G. HARD, 1970, S. 178 Wie lassen sich Erkenntnisobjekte begründen? Das anthropologische (pragmatische) Obligat (=verpflichtende Vorstellung) der Erkenntnis: „Erkenntnis ist für den Menschen und er selbst ist ihr Schöpfer, sowie der ihrer Methoden. Die sich dadurch ergebende Abhängigkeit der Erkenntnis, ihrer Methoden und Voraussetzungen vom Menschen selbst soll ... als pragmatische Abhängigkeit verstanden werden.“ W. LEINFELLNER, 1967, S. 14 Folgerung Die Erkenntnisobjekte von Wissenschaften sind pragmatische Festsetzungen. Sie können nicht durch den Verweis auf Gegebenheiten der Realität begründet werden. Die wichtigsten Konstitutionsbedingungen von Erkenntnisobjekten Erkenntnisobjekte haben drei zusammenhängende Wurzeln: • subjektive Erkenntnisinteressen von Forscherpersönlichkeiten; • der „Konsens der Fachgelehrten“; • allgemeine gesellschaftliche Interessenlagen; Was die Welt gerade bewegt. z.B.: Im 19.Jh.: Determinismus In den 80ern: Ökologisierung der Wissenschaften Heute: postmoderner Pluralismus Die Klassiker übersahen den gesellschaftlichen Einfluss auf das EKO und meinten das Fach ergebe sich nur aus der Natur. Das Obligat der sprachlich-begrifflichen Repräsentation „Erst wenn das Ergebnis des Erkenntnisprozesses in zusammenhängender begrifflichsprachlicher Form (,Sprache‘ ... im weitesten Sinn verstanden) vorliegt, kann man es sinnvoll an Hand operativer und operationaler Kriterien überprüfen.“ W. LEINFELLNER, 1967, S. 15 22 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Das Prozessobligat der wissenschaftlichen Erkenntnis Wissenschaftliche Erkenntnis entsteht in einem fortwährenden Prozess von Wahrnehmung, begrifflicher Darstellung und theoretischer Deutung. Die Theorie wird an der Empirie erprobt, was zu neuen Wahrnehmungen und Begriffen führt. Dies gibt Anlass für neue theoretische Ansätze etc. Erkenntnis ist ein Prozess der sich selbst steuert. Das spieltheoretische Obligat der Erkenntnis Es kann kein für alle Zeiten gültiges und absolut sicheres Wissen geben. „Das im Spiel um die Erkenntnis errungene Wissen ist ... nur ein jeweils Optimales, und dasselbe gilt für die Methoden und Kriterien des theoretischen Wissens.“ W. LEINFELLNER, 1967 Die Kieler Wende Von den Landschaften und Ländern zur „raumanalytischen“ Geographie des „spatial approach“ Grundlage: die „Philosophy of Science“ Ziel: Modernisierung des raumanalytischen Disziplin. Faches, Umbau zu einer quantitativ ausgerichteten Dieser Umbau war 1969 schon längst fällig, denn international (v.a. im englischsprachigen Raum) hatte der Prozess bereits 1940 begonnen und wurde Ende der 1950er abgeschlossen. Es war also ein Wandel zum internationalen Mainstream, weg vom deutschen Idealismus, hin zum Neopositivismus. Die „quantitative“ Revolution 23 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Das Programm der „quantitativen Revolution“ Ein neues Grundverständnis von Geographie als Wissenschaft Ausgangspunkt: Bemühen um objektive Erfassung und Erklärung realer Sachverhalte. „Die Erfassung von realen Sachverhalten bedeutet nämlich die Herauslösung distinkter (=unterscheidbarer) Beobachtungstatbestände aus der zusammenhängenden Fülle aller Wahrnehmung, beinhaltet ihre gedankliche Isolierung ... in einer gewählten Grundperspektive der Welterfahrung.“ D. BARTELS, 1970, S. 13 „...die Erklärung von realen Sachverhalten bedeutet deren gedankliche Verknüpfung auf Grund von vorhandenen Erfahrungen über regelhafte Züge der Wirklichkeit und gemäß neuen Erwartungen und Annahmen über solche Invarianzen, beinhaltet die Voraussetzung bestimmter Gesetze, Vermutungen und Theorien über ... bestehende Zusammenhänge.“ D. BARTELS, 1970, S. 13 „...aus den Theorien erwachsen die Aspekte der Beobachtung, aus diesen ergeben sich Anstöße zur Bildung neuer Theorien, im Rahmen jeder Grundperspektive entwickelt sich ein, Wechselspiel von Theorie und Erfahrung‘“. D. BARTELS, 1970, S. 13 Theorien und Modelle „Eine wissenschaftliche Theorie kann als inhaltlich interpretiertes Modell verstanden werden, ein Modell als rein formales, symbolisches Abbild des Verknüpfungssystems zwischen den Sachverhalten, welche die Theorie erklären will. Ein Modell gibt nur die logische Struktur des Erklärungszusammenhangs wieder ...“ D. BARTELS, 1970, S. 13 Eine Theorie stellt also den Sprachrahmen für Beobachtung dar. Grundfragen geographischer Modellbildung Es wird nicht mehr in der realen Welt gesucht um Raumeinheiten zu entdecken, sondern man konstruiert Räume selber. Beobachtungen geben Sachverhalte wieder, die wir als Dinge und als Merkmale der Dinge interpretieren. Merkmale: Attribute und Relationen Zu den Attributen eines Dinges gehört seine räumliche und zeitliche Position (=Standort)! Raum wird als Attribut von Dingen bezeichnet und nicht mehr als Seiendes Ding gesucht! Während die Klassiker die Erdoberfläche noch als Gefüge von Objekten ansahen, stellt diese für die Revolutionäre Standorte von Beobachtungseigenschaften dar. Es gibt kein Totalgefüge, nicht alle stehen mit einander in Verbindung. Choristische Deskription Darstellung von Tatbeständen hinsichtlich ihrer Lage auf der Erdoberfläche als Punkte, Linien und Flächen in einem Koordinatensystem. Wird als Propädeutik angesehen. D. BARTELS, 1970, S. 15 Das Koinzidenzprinzip Die choristische Beschreibung erlaubt Aussagen über die räumliche Nähe und Ferne von Sachverhalten bzw. die Feststellung räumlicher Koinzidenz oder Distanz. Dies ist von Bedeutung, wenn bei Ursachen-Wirkungs-Interpretationen die räumliche Koinzidenz für die Geltung eines kausalen Zusammenhangs vorausgesetzt wird. 24 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Räumliche Koinzidenz als „heuristisches Prinzip“ Das Koinzidenzprinzip wird gleichsam als „Hypothesengenerator“ eingesetzt. Heuristik: methodische Anweisung oder Anleitung, die dazu dient, etwas Neues zu entdecken. Analyse von Koinzidenzen Ziel: Feststellen statistischer Gesetzmäßigkeiten bei Koinzidenzbeziehungen. Methoden: • Bestimmung relativer Häufigkeiten • Korrelationskoeffizienten • Komplex-Indizes • inverse Assoziationskoeffizienten etc. Quantitative Analyse von Geodaten, statistisch-mathematische Beweisführung Beschreibungsmodelle räumlicher Verteilungen Die choristische Darstellung von Einzeltatbeständen erlaubt eine gedankliche Ordnung der Beobachtungen in Form von erdräumlichen Strukturmustern. Areale: Gruppierung punktueller Standorte gleicher oder ähnlicher Sachverhalte. Areale ... sind „relativ geschlossen und homogen gedachte Verbreitungseinheiten auf der Erdoberfläche“. D. BARTELS, 1970, S. 17 Areale sind das Ergebnis einer gedanklichen Zusammenfassung von Einzelstandorten zu größeren Raumeinheiten. „Regionalisierung“: spezielle Form der klassenlogischen Begriffsbildung Beziehungsareale Die Elemente von Beziehungsarealen sind miteinander in irgendeiner Hinsicht verbunden, über die Arealgrenzen hinaus sind keine oder nur geringe Beziehungen vorhanden. Beispiel: räumliche Heiratskreise mit einem am Außenrand abbrechenden Intensivgeflecht von Verwandtschaftsbeziehungen. D. BARTELS, 1970, S. 18 Räumliche Felder Begriffliche Zusammenfassung gleichmäßig abgewandelter Sachverhalte. Zentralfeld: Sachverhalte variieren distanzabhängig um einen Mittelpunkt. Katena: gesetzmäßige Variation einer Erscheinung entlang eines Raumprofils. Nearest-Neighbour-Methode Es werden die zu erwartenden Verteilungsmuster mit den beobachteten Verteilungsmustern verglichen. Bestimmung von De: Messung der Distanzen zum jeweils nächsten Nachbarn, Berechnung des Mittelwertes N = Gesamtzahl der Standorte A = Fläche des Untersuchungsgebietes R= De Dt Dt= 1/2√(N/A) 25 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Häufung und Streuung ländlicher Siedlungen Quelle: D. BARTELS, 1970, S. 19 Chorologische Theoriebildung Chorologische Theorien formulieren Annahmen über Regelhaftigkeiten, die zur Ausbildung räumlicher Systeme im Sinne überörtlicher Zusammenhänge zwischen entfernten Standorten führen. Suche nach „Raumgesetzlichkeiten“ Distanz als Schlüsselvariable Das Programm der Revolutionäre von Kiel • • • • Umbau der Geographie zu einer modernen, Erfahrungswissenschaft; Suche nach eigenständigen „Raumgesetzlichkeiten; Neukonzeption von Raumbegriffen; choristische Analytik. quantitativ orientierten Basisbegriffe der „raumwissenschaftlichen“ Geographie Dargestellt in Anlehnung an: M. BOESCH, 1989, Engagierte Geographie. Zur Rekonstruktion der Raumwissenschaft als politik-orientierte Geographie. – Stuttgart, (= Erdkundliches Wissen, H. 98). Vorüberlegungen „Dem Ausdruck ,Raum‘ ist also zunächst zu misstrauen...“ (S. 42). Es geht nicht darum, nach dem „wahren Wesen“ der Dinge „hinter den Begriffen“ zu fragen. Nicht ontologische, sondern semantische Überlegungen sind anzustellen: „Wie, in welcher Bedeutung, wird das Wort ,Areal‘ in welchem Zusammenhang verwendet?“ (S. 42) Zweckmäßigkeit des Begriffsapparates „Als unzweckmäßig erscheint es auch, eine Ausdrucks- bzw. Begriffspluralität zu akzeptieren und ... dabei aber an begrifflicher Prägnanz zu verlieren ...“ „Ebenso problematisch ist es, einige Basisbegriffe als intuitiv zu akzeptierende ... axiomatische Setzungen zu erklären, die keiner Diskussion zugänglich wären“ (S. 43). Für Bösch besteht das Problem auch in der Verschränkung von Lage uns Sache, es bedarf Begriffe die nur eine Lage beschreiben und „inhaltsleer“ sind. Stellen, Netze und Gebiete sind solche Begriffe. Sie sind inhaltsleer und wenn sie Attribute aufweisen werden sie anders benannt. 26 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 y „Stelle“ Position Quasi-Punkt auf der Erdoberfläche. Stellen besitzen nur Lageeigenschaften, keine eigentliche Ausdehnung und auch x keinen „Inhalt“. Sie lassen sich durch Lagekoordinaten oder durch ihre relative Lage zu anderen Stellen (Position) festlegen. Stellen sind maßstabsabhängig. Distanz, Richtung, Netze Zwei Stellen A und B stehen in Relation zueinander: Distanz y und Richtung bezeichnen die Entfernung von A nach B bzw. die Abweichung der Verbindung A-B von einer Grundorientierung. Bei objektiv gegebener Position von A und B lassen sich auch Distanz und Richtung objektiv angeben. Netze sind mehrere Verbindungen (=Kanten) zwischen Knoten. Gebiete B A x y Gebiete sind sachdimensional nicht spezifizierte Teilbereiche der Erdoberfläche. Ihre Abgrenzung ist A grundsätzlich beliebig und wird vom Betrachter definiert, das heißt die Grenzen existieren in der Natur nicht, sondern werden pragmatisch zugeschrieben. Je nach Zwecksetzung kann die Größe, Form und Lage variieren (=diese sagen aber nichts über den Inhalt aus, ein Gebiet ist inhaltsleer). Es kann sich um administrative Territorien, Rasterfelder oder andere zweidimensionale Strukturen handeln. x Verschränkung von Lage und Sachaussage An Stellen und Gebieten befinden sich beliebige „Objekte“, finden „Ereignisse“ statt. Dies wird als „Ausstattung“ der Stelle oder des Gebietes bezeichnet. y Gebäude M Mischwald x Standort Eine Stelle verbunden mit Sachattributen wird als „Standort“ bezeichnet. „Standort“ bezeichnet also nicht allein die Position, aber auch nicht nur die „Ausstattung“, sondern die Verknüpfung beider Aussagen. Areal y X Ein Gebiet, das durch eine gleiche Sachausstattung Kalk gekennzeichnet ist. Areal beschreibt ein exklusives Verbreitungsgebiet für X. Areale haben gleiche und invariante (=Qualität und Quantität an alles Stellen des Areals in etwa gleich) Sachausstattung x 27 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Feld Ein Gebiet, in dem eine Sacheigenschaft regelhafte variante Merkmalsausprägungen aufweist, die von der Distanz zu einer bestimmten Stelle abhängig sind, z.B.: Zentralität/Peripherie. Schroll Philip, 0704672 y x Bedeutungsvarianten des Begriffes „Region“ Bosch hat hier nur 3 Bedeutungen angeführt, mittlerweile gibt es aber auch eine vierte. Methode des Konstruktionsprinzips: Regionen sind Methodische Konstrukte für quantitative Analysen. Durch Regionalisierung entstehen Regionen, dabei handelt es sich um Artefakte (= methoden- und zweckabhängig) → resultieren aus sozialer Praxis; Regionen sind also Produkte analytischer Regionalisierung. Territorien sind normative Regionen die sich aus staatlichen Verwaltungsgebieten ergeben, z.B.: Gemeinde, Land, Staat, Staatenbund Definitions ÄhnlichkeitsFunktionale GültigkeitsLebensweltliche -kriterium prinzip Verflechtungen bereich Regionen von Normen Homogene FunktionalProgrammregion, WahrnemungsGängige regionen; Regionen, formal Nodalregion, Planungsregion, Bezeichregion, Verflechtungsnormative Region Identitätsregionen nung Strukturregion bereich Alltagsweltliche Interaktionen Räumliche Bedeutung Gebiete, die in kognitive Bezug auf ein zwischen den „Gestaltungsbestimmtes Struktur, räumlichen Teil- einheiten“, Attribut Projektionsfläche elementen eines GültigkeitsÄhnlichkeiten Untersuchungs- bereiche von von Ich-Identität aufweisen, werden gebietes Normen, zu einer Region → verhaltens(Pendlerpolitischzusammengefasst beziehungen, wissenschaftadministrative (Regionalisierung) zentralörtlicher Aktivitätsliches Paradigma Einzugsbereich) regionen Zwischenbilanz Klassische Geographie Raumwissenschaftliche Geographie Landschaften und Länder Stellen, Gebiete, Standorte, Areale, Felder und Regionen Organismische Raumeinheiten Taxonomische Raumeinheiten Gestaltqualitäten der Realität Methodische Konstrukte Das Klassische Raumkonzept wurde verworfen, weil es nicht quantitativ einsetzbar war und Hyperstasierung … Neue Raumkonzepte wurden von vornherein als Artefakte geplant und waren möglichst präzise um operationalisiert werden zu können. 28 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Die Revolution: ein Paradigmenwandel Erklärungsansätze der Wissenschaftstheorie – Kuhn beschrieb als erster die sozialen Elemente des Wissenschaftsprozesses. Seiner Meinung nach würden „Revolutionen oder revolutionäre Umbrüche“ immer wieder kommen; „Evolutionstheorie“ der Wissenschaften. „Paradigma“ Das Wort „Paradigma“ wird in zwei Bedeutungen verwendet: 1.) in einem allgemeinen Sinn in der Bedeutung „Beispiel“ oder „Musterbeispiel; 2.) als spezifischer Fachausdruck der Theorie von Thomas S. KUHN. „Paradigma“ im Sinne von KUHN Unter einem Paradigma versteht man eine forschungsleitende Perspektive oder Sichtweise (=alle Konzepte und Annahmen einer Wissenschaft) die für eine bestimmte Zeit und bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern konsensbildend ist. Der Entwicklungsprozess der Forschung nach KUHN Protowissenschaftliche Am Anfang steht die mühsame Suche nach Fakten. Es liegen oder vorparadigmatische noch keine Selektionskriterien der Datenerhebung in Form von Phase Hypothesen und Theorien vor. Normalwissenschaftliche Es existieren verbindliche und als adäquat angesehene Konzepte Phase und Beschreibungskategorien zur Darstellung und Erklärung der Realität; man verfügt über bewährte Strategien zur Lösung fachlicher Probleme. Es entstehen verschiedene Schulen, sie kommen in Streit, schließlich kann sich eine besonders hervortun und siegt letztlich über die anderen. Es kommt zur Konsultierung, es wird „aufgeräumt“ und damit kommt es zu einer Einschränkung der Methoden. Alles läuft nun darauf hin das Paradigma zu bestätigen und bestehende Schubladen zu füllen, dabei bemüht man sich nicht mehr neue Wege und Zugänge zu finden (Neues wird sogar beharrlich unterdrückt). Funktionen eines Paradigmas • Ausbildung von dogmatischen Überzeugungen, die gegen alle Einwände gesichert erscheinen; • Basiskonzepte werden gleichsam „außer Streit“ gestellt; man kann sich vertiefen ohne lästige Grundsatzdebatten führen zu müssen. • soziale Bedeutsamkeit: das Erlernen des Paradigmas ist ein Sozialisationsprozess, der zu einem „gemeinsamen Weltbild“ führt. „Minimalbestandteile“ eines Paradigmas • Symbolische Verallgemeinerungen („abgekürzte Redeweisen“) z.B.: Siedlung; jeder weiß was gemeint ist, niemand kann es definieren. • ontologische Modelle: über die Seienden Dinge • heuristische Modelle: bewährte Struktur zur Problemlösung; „Kochbuch“ • Werte und normative Festlegungen 29 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Symptome einer Grundlagenkrise von Paradigmen • Intensivierung methodisch-konzeptioneller Diskussionen; Die methodischen Instrumente werden als unzureichend empfunden. • Entwicklung eines „Krisenbewusstseins“; • Ausbrechen offener Unzufriedenheit bei bestimmten Teilgruppen der „Scientific Community“. Die Bühne für eine Revolution wird aufgebaut. Ein neues Paradigma tritt auf den Plan • Verheißung einer neuen Weltsicht; • grundlegend neue ontologische, heuristische und methodische Modelle, neue normative Festlegungen; • andersartige Probleme, andere Lösungsansätze. Das zentrale Problem der Neuerer: Die Vorzüge des neuen Paradigmas lassen sich nicht mit rationalen Argumenten plausibel machen, denn sie beruhen ebenfalls auf axiomatischen Vorannahmen. Aus der Sicht ihrer Gegner (der Anhänger des „alten“ Paradigmas) sind diese Begründungen nur „Scheinargumente“. Axiomatisch = denknotwendig vorausgesetzt. Ein Axiom ist ein oberster, als richtig vorausgesetzter Grundsatz, der selbst nicht mehr beweisbar und unbestreitbar ist. Die „Entscheidungsschlacht“ • Die Auseinandersetzung zwischen den konkurrierenden Paradigmen hat den Charakter eines „Glaubenskrieges“; Es gibt auch Ambivalente, sie sehen die Probleme, sind aber dem Alten verbunden • das „Old Establishment“ setzt sich mit allen disziplinpolitischen Mittel zur Wehr und nutzt die bestehenden Machtpositionen für die Verteidigung. Schließlich kann sich das neue Paradigma durchsetzen („biologische Lösung“). Implikationen des KUHNschen Entwicklungsmodells • Die Geschichte von Wissenschaften ist durch einschneidende Traditionsbrüche gekennzeichnet; • bestimmte Phasen der Fachgeschichte lassen sich sehr umfassend mit dem Konzept des Paradigmas beschreiben; • Ein Paradigmenwechsel bewirkt die Zerstörung eines sozialen Bezugsrahmens. Paradigmenwandel als revolutionärer Prozess - die „radikale“ Lesart KUHNs „normalwissenschaftliche Phase“ P 1 „Anomalien“ „normalwissenschaftliche Phase“ P 2 In der normalwissenschaftlichen Phase ist immer nur ein Paradigma vorhanden! t P 1 ist inkommensurabel mit P 2 (P1 und P2 sind rational unvergleichbar; diese These ist heute nicht mehr haltbar) 30 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Die axiomatischen Grundlagen von Paradigmen • Erkenntnisobjekte werden im Rahmen von Paradigmen postuliert und durch einen Paradigmenwandel verändert; Es kann keine Wissenschaft wissenschaftstheoretisch begründet werden, es muss immer eine axiomatische Basisentscheidung getroffen werden. • auch die Wissenschaftstheorie gründet auf axiomatischen Vorannahmen und Setzungen, die nicht „beweisbar“ sind. Vorentscheidungen der Philosophie Die Tatsache, dass man in der Philosophie nicht ohne gewisse Entscheidungen auskommt ist neuerdings von verschiedenen Seiten hervorgehoben worden.“ H. ALBERT, 1961, S. 508 (Verweis auf K. R. POPPER, V. KRAFT, P. K. FEYERABEND und W. STEGMÜLLER.) Normative Konzeptionen „Auch die Auffassung, dass es keine Aussagen geben dürfe, die der rationalen Diskussion und der kritischen Überprüfung im Lichte der Logik und der Erfahrung prinzipiell entzogen sind, geht auf eine Entscheidung zurück, nämlich die Entscheidung zum Rationalismus, der insofern eine normative Konzeption ist.“ H. ALBERT, 1961, S. 508/9 Rationalismus als nicht begründbares methodisches Prinzip „Die Anerkennung einer solchen Auffassung schließt eine dogmatische Begründung ... prinzipiell aus ... Ein so formulierter Rationalismus ist nicht eine ontologische Auffassung über die Beschaffenheit der Welt und ihre Erkennbarkeit, ... sondern nur ein methodisches Prinzip ...“ H. ALBERT, 1961, S. 509 Weitere methodische „Setzungen“ bei den empirischen Wissenschaften Entsprechend der spezifischen Zielsetzung einer Disziplin sind axiomatische Vorannahmen zu treffen: • Festsetzungen bezüglich der Relevanz von Beobachtungen; • Festsetzungen, welche die intersubjektive Prüfbarkeit von Aussagen betreffen. Beispiel: „Falsifizierbarkeits-Kriterium“ Eine erfahrungswissenschaftliche Theorie ist grundsätzlich so zu formulieren, dass sie die prinzipielle Möglichkeit aufweist, an der Erfahrung scheitern zu können. Die Folgerung: „Wer derartige methodische Festsetzungen nicht anerkennt, kann natürlich niemals mit rationalen Mitteln gezwungen werden, seine Überzeugung zu revidieren. Letzten Endes geht die Lösung aller Gültigkeitsprobleme auf solche Basisentscheidungen zurück. Nur wer sie anerkennt, muss die Gültigkeit bestimmter inhaltlicher Aussagen zugeben.“ H. ALBERT, 1961, S. 509 Konsequenzen für den Vergleich von Paradigmen Weil die grundlegenden Vorentscheidungen der Wissenschaftstheorie auf normativen Setzungen basieren, kann es keine objektive und endgültige vergleichende Bewertung von Paradigmen geben. 31 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Paradigmenwandel – Eine unendliche Geschichte Die Entwicklung in der Geographie des englischen Sprachraums • • Die quantitative Revolution setzte hier wesentlich früher ein, verlief eher evolutionär und war Anfang der 60er Jahre weitgehend abgeschlossen; Anfang der 70er Jahre zeichnete sich im englischen Sprachraum bereits der nächste Paradigmenwandel ab. Am US-Geographentag in Bosten wurde das fehlen von Normen und Werten im spatial approach kritisiert. Die „soziale Revolution“: Ausgangspunkt der Krise des Spatial Approach waren Fragen der „sozialen Gerechtigkeit“. Neue Problemstellungen: • Wem nützt eine bestimmte räumliche Struktur? • Wem schadet sie? • Wer profitiert, wer wird ausgeschlossen? Es sollen die sozialen Strukturen hinter räumlichen Verteilungen erforscht werden. Zwei neue Ansätze: „Radical Geography“ – marxistische Theoriepraxis; Innovatoren: D. HARVEY, 1973 a und b, R. PEET, 1977 „Welfare Geography“ – Innovatoren: D. M. SMITH, 1977, D. MORILL, 1973. Neue Kategorien der Realität treten in den Vordergrund: Klassen, Schichten, Macht, Herrschaft, Ausbeutung, Konflikt, Nutzen, Schaden, Profit, Gerechtigkeit ... Das verhaltenswissenschaftliche Paradigma: „What about people in geography“? Zentraler Kritikpunkt: die im raumwissenschaftlichen Ansatz fehlende Bezugnahme auf das menschliche Individuum und seine subjektive Wahrnehmung und Wertung der räumlichen Umwelt. Die zentrale These des verhaltenswissenschaftlichen Paradigmas: Das Verhalten des Menschen gegenüber der räumlichen Umwelt richtet sich nicht nach den objektivierbaren Strukturen der Realität, sondern ist von seinen subjektiven, vielfach verzerrten, gefilterten und gedeuteten Vorstellungen über die Wirklichkeit abhängig. Das Programm des verhaltenswissenschaftlichen Paradigmas: • Wie wird die räumliche Umwelt des Menschen wahrgenommen? • Wie sieht die kognitive Weiterverarbeitung der Sinneswahrnehmung aus? • In welcher Weise hängt das „raumrelevante“ Tun des Menschen vom subjektiv wahrgenommenen und bewerteten Image der Realität ab? Verhaltenswissenschaftliche Regionskonzepte: → S. 27 Es sollten lebensweltliche Regionen erforscht werden; Wahrnehmungsregionen (= Sicht von außen) und Identitätsregionen (= Sicht von innen, man verknüpft die Ich-Identität mit der Region. Die Geographie entdeckte die soziale Relevanz für sich. 32 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Ein Zwischenresümee: Zum Zeitpunkt der „Kieler Revolution“ existierten im englischen Sprachraum vier eigenständige Paradigmen nebeneinander: • die „klassische“ Schule von C. SAUER, • der „Spatial Approach“, • die „Radical Geography“, • und die „Behavioral Geography“. Widerspruch zur Theorie von KUHN! Die weitere Entwicklung im englischen Sprachraum: Die Ausdifferenzierung der Paradigmen wird fortgesetzt: Humanistic Geography: Der Mensch wird als autonomer Handlungsträger angesehen; Rekonstruktion von Sinn- und Bedeutungszusammenhängen; „Place“ (= subjektive Bedeutung von Raum). Erkenntnistheoretische Hintergrundpositionen: • Existenzialismus, Pragmatismus und Idealismus; • Phänomenologie (HUSSERL) Schlüsselautoren: Y.-F. TUAN, A. BUTTIMER, E. RELPH. Die Rückkehr der Lebenswelt und der qualitativen Ansätze: Strukturalistisch-marxistische Geographie 33 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Das Paradigma der feministischen Geographie: Hintergrundphilosophie: Feminismustheorien Wichtige Begriffe: Gender, Patriarchat, Reproduktion, Androzentrismus,Gewalt SchlüsselautorInnen: L. McDOWELL, S. HANSON Die „Neue Regionale Geographie“ – Paradigma oder erst Paradigmen-kandidat? Gegenposition zur klassischen Länderkunde: Regionen werden als sozioökonomische Beziehungsmuster gedeutet, die in einem bestimmten physisch-materiellen Kontext ablaufen. New Regional Geographie Theoretische Hintergrundpositionen: Strukturationstheorie Regulationstheorie (M. AGLIETTA), Netzwerk- und Milieutheorien. Schlüsselautoren: N. THRIFT, G. WOOD, R. DANIELZYK (A. GIDDENS), Das handlungstheoretische Paradigma in der Geographie Disziplinübergreifende Orientierung in den Sozialwissenschaften. Erste programmatische Hinweise finden sich bei folgenden Autoren: E. WIRTH, 1981, P. SEDLACEK, 1982, B. WERLEN, 1983 oder 1987, P. WEICHHART, 1981 oder 1986. Gegenposition zum verhaltenswissenschaftlichen Paradigma: Kritik: Der Mensch werde dort gleichsam als „Automat“ dargestellt, der auf äußere Anstöße bloß reagiert. „Handeln“ als intentionales Tun, das auf einen subjektiven Sinn bezogen ist; Humanteleologische Erklärungsmodelle. Gegenposition zum raumwissenschaftlichen Paradigma: Der „Raum“ könne nicht Ursache von etwas sein. Die Erforschung menschlichen Tuns hat die Sinnzusammenhänge der sozialen Welt zu berücksichtigen → Geographie als Sozialwissenschaft Hauptvertreter: B. WERLEN (Jena) Das humanökologische Paradigma Ontologische Ausgangshypothese: Mensch (Kultur, Gesellschaft) und Natur sind keine dichotomen Gegensätze, sondern müssen als Aspekte eines ganzheitlichen Zusammenhanges begriffen werden. Erkenntnisobjekt: der Mensch in der Natur Theorem: Die Welt besteht aus hybriden Phänomenen, die sich einer Klassifikation nach der Theorie der drei Welten von K. POPPER entziehen. Nicht-dichotomes Konzept von Subjekt (Individuum) und Gesellschaft. Hauptvertreter: D. STEINER (Zürich), P. WEICHHART (Wien), W. ZIERHOFER (Basel) Poststrukturalistische Ansätze Ontologische Ausgangshypothese: Die „Wirklichkeit“ ist das Produkt sozialer Konstruktionen (Konstruktivismus). Die Sicherheit des Wissens und der Vernunft werden radikal in Frage gestellt. Zentrales Element: Sprache als Ort der Konstruktion gesellschaftlicher Realität. Die gesellschaftliche Realität wird in Diskursen produziert (M. FOUCAULT). Solche „Wirklichkeiten“ können durch Dekonstruktion (J. DERRIDA) als diskursiv erzeugte Strukturen entlarvt werden. Autoren: J. HASSE (Frankfurt), W. ZIERHOFER (Bern), D. REICHERT (Kassel) 34 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Kulturalistische Ansätze Teilaspekt des Poststrukturalismus (?), „Kultur“ als Schlüsselkonzept. Unter „Kultur“ werden alle Praktiken der Sinnzuschreibung verstanden (Diskurse). „... everything in human affairs is a matter of culture (since nothing exists outside of cultural meaning)“. (D. MITCHELL, 2000, S. 11) Paradigmenwandel? Phänomen der Koexistenz rivalisierender Paradigmen! Die Geographie als „Multiparadigmen-Spiel“ 35 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Die Koexistenz rivalisierender Paradigmen – eine Revision der KUHNschen Theorie Die deutschsprachige Geographie – eine „verspätete“ Wissenschaft • • Die „positivistische Wende“ setzte gegenüber dem englischen Sprachraum mit erheblicher zeitlicher Verspätung ein; die Sondermethodologie führte zum „Exzeptionalismus“ und damit zu einer Abschottung gegenüber der generellen Wissenschaftsentwicklung. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen • Die verspätete Rezeption des raumwissenschaftlichen Paradigmas fällt mit dem nächsten Paradigmenwandel im englischen Sprachraum zusammen; • dies gilt auch für das verhaltenswissenschaftliche Paradigma. Anfang und Ende des Paradigmenzyklus finden praktisch zeitgleich statt! „Raumstrukturforschung“ • Eher analytische Vorgehensweise, es werden auch komplexere statistische und choristische Methoden eingesetzt; • ausdrückliche Vermeidung der Landschaftsmetaphorik; • „Ersatzbegriffe“: Raum und Region Tendenz zur Hypostasierung, pragmatischer Empirismus Die „Paradigmenlandschaft“ der gegenwärtigen Geographie • • • • • • • Landschaftsgeographie "Raumstrukturforschung" Raumwissenschaftliche Geographie Welfare Geography Radical Geography Marxistische (strukturalistische) Geographie Feministische Geographie • • • • • • • Verhaltensgeographie Humanistische Geographie Neue Regionale Geographie Handlungstheoretische Geographie Humanökologische Geographie Poststrukturalistische Geographie Kulturalistische Geographie Paradigma Landschaftsgeographie Kurzcharakteristik Persistenzform der klassischen „Einheitsgeographie“. Annahme eines erdraumspezifischen Systemzusammenhanges zwischen „Kultur“ und „Natur“. „Räume“ werden als organismische Gegenstände aufgefasst. Neuere Variante (seit Kiel): „Raumstrukturforschung“. Konzentration auf materielle Strukturen. Raumwissenschaftliche Geographie Neopositivistisch orientierter quantitativer Ansatz, der nach spezifischen „Raumgesetzlichkeiten“ sucht. „Räume“ werden als Produkt eines klassenlogischen Kalküls angesehen. Familie der „Welfare geography“, „radical geography“, marxistische Geographie und feministische Geographie. politischemanzipatorischen Paradigmen Gemeinsames Kennzeichen: raumstrukturell fassbare soziale Ungerechtigkeiten sollen aufgehoben werden. Die Wertneutralitätsthese wird strikt verworfen. 36 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Familie der subjekt- Landnutzungssysteme und die räumlich-materiellen Ausprägungen der Kultur werden als „Produkte“ menschlichen Tuns gesehen. Im orientierten Zentrum von Verhaltensgeographie, handlungstheoretischer Paradigmen Geographie und humanistischer Geographie stehen subjektzentrierte Raumbegriffe. Teilweise humanteleologische Erklärungsmodelle. Neue Regionale Geographie Neuinterpretation des Regionsbegriffs. Regionen werden als emergente Phänomene angesehen, die auf der Räumlichkeit sozialer und ökonomischer Beziehungen gründen. Humanökologische Geographie „Transaktionistische“ Erklärungsansätze, systemtheoretische Ausrichtung. Zentrale Annahme: Die Welt besteht aus hybriden Phänomenen, die sich einer Klassifikation nach der „Natur-KulturDichotomie“ oder der Drei-Welten-Theorie entziehen. Zur Zeit eher „Kümmerform“ eines Paradigmas („Konjunkturaufschwung“ erkennbar). Poststrukturalistische Geographie Poststrukturalistische Neukonzeption der Geographie; relativistische und relationale Ansätze, Abkehr vom „Logozentrismus“; Fokussierungswerte: (De)Konstruktion, Diskursanalyse, Hybridität, „gleitender Sinn“, ... (vergl. N. GELBMANN und G. MANDL, 2002) „Neue Kulturgeographie“ Neukonzeption von „Kultur“ als soziale Praxis der Sinnzuschreibung und der sinnhaften Deutung der Welt; qualitative, interpretative und hermeneutische Verfahren; Grundannahme: die soziale Realität ist sozial konstruiert und kulturell vorinterpretiert. (vergl. H. H. BLOTEVOGEL, 2003) Empirischer Befund in den Nichtnaturwissenschaften: Paradigmenpluralismus P1 P2 P3 P4 P5 Dem Paradigmenpluralismus entspricht auch ein Pluralismus der Theorien. Entgegen der Theorie Kuhns sterben alte Paradigmen offenbar nicht aus, sie werden nur schwächer, existieren dann aber weiter. Und das, obwohl sich die Theorien der einzelnen Paradigmen oft diametral widersprechen! 37 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Zwischen den Vertretern der verschiedenen Paradigmen kommt es zu Mehrfrontenkämpfen und um ein verfeindetes Paradigma zu bekämpfen bedient man sich nicht selben der Argumente eines anderen Paradigmas, mit dem man eigentlich auch im verfeindet ist. Spezialforschungsbereich F012 an der Universität Salzburg: Theorien- und Paradigmenpluralismus in den Wissenschaften Rivalität, Ausschluss oder Kooperation Der Paradigmenbegriff des SFB Methodologischer Rahmen PARADIGMA Epistemologische Werte Methodologische Werte Fokussierungswerte Theorie 1 TheorieTheoriekern Theorie 2 Theorie 3 Forschungsprogramm Drei Paradigmen im Vergleich Paradigma Raumwissenschaftliches Paradigma „Raumtheorien“ Theoriekern ObjektivEpistemologische distanzierend, Werte Wertneutralität bejaht Quantitativ, Methodologische mathematische Werte Repräsentation Raum, Distanz, Thematische Richtung, FokussieKonnektivität rungswerte Handlungstheoretisches Paradigma Handlungstheorien Objektivdistanzierend, Wertneutralität bejaht Qualitativ, natursprachliche Repräsentation Handlung, Subjekt, Intentionalität, alltägliche Regionalisierung Feministisches Paradigma Feminismustheorien Subjektivteilnehmend, Wertneutralität abgelehnt Qualitativ, natursprachliche Repräsentation Gender, Androzentrismus, Gewalt Reaktionen auf den Paradigmenpluralismus In der deutschsprachigen Geographie: • Der Paradigmenpluralismus wird als unangenehm empfunden, man möchte nicht darüber reden, betreibt beinahe Realitätsverweigerung! • die jeweils „anderen“ Paradigmen werden oft als „deviantes Verhalten“ interpretiert, nur das eigene als „wahr“ und zielführend anerkannt. 38 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Ein Beispiel: Wenn Benno WERLEN „... das klassische Paradigma der Geographie ...“ nicht passt, dann möge er sich doch eine „ihm genehmere Disziplin suchen“. Das sei einfacher, als „das Paradigma der Geographie“ WERLENs abweichender Meinung anzupassen. H. KÖCK, 1997, S. 89, Anmerkung: Köck war am Kieler Geographentag einer der Revolutionäre! Und nun bedient er sich beinahe der selben Argumente die einst die Klassiker mit ihrem Logischen System verwendeten um den spatial approach aufzuhalten. In der englischsprachigen Geographie: Seit Anfang der 80er Jahre wird die Geographie als Disziplin mit einer ausdrücklich multiparadigmatischen Struktur beschrieben, was als wesentliches Element der Fachidentität anzusehen sei. Vergl. z. B. M. E. HARVEY und B. P. HOLLY, Hrsg., 1981, R. J. JOHNSTON, 1983 und 1986, P. CLOKE, C. PHILO u.D. SADLER, 1991 Strategien zur Bewältigung des Paradigmenpluralismus Kognitive und fachpolitische Bewältigungsstrategien: Reaktionstyp Vertreter Konsequenzen „Menfoutisten“ Blockade neuer Ansätze, Abkoppelung, Ignoranz (=“Die denen es Abschottung durch Zitierkartelle, einseitige wurscht ist“) Berufungspolitik. Die Gruppe der Ignoranten ist besonders groß. Dogmatisches Beharren „Bischöfe“ (eigenes Paradigma ist allein seligmachend) Aktive Blockade und Unterdrückung konkurrierender Paradigmen; ablehnende Gutachten, selektive Einladungsund Berufungspolitik. Ablehnung der "VereinheitlichungsIdealisten" Paradigmenvielfalt Negative Beurteilung des Erkenntnisrelativismus, nach langer Auseinandersetzung zu dem Ergebnis gekommen dass Pluralismus nicht zufriedenstellend ist → es kann letztlich nur ein Paradigma richtig sein und die Wahrheit beschreiben; dezisionistische (=pragmatische Entscheidung machen ohne Grundlage) Fachpolitik, letztlich ebenfalls einseitige Berufungspolitik. Evolutionärer Pragmatismus "ErkenntnisDarwinisten" Paradigmenvielfalt wird versuchsweise akzeptiert, denn die Geographie sei noch keine echte Wissenschaft, es müsse noch probiert werden; vorsichtige Öffnung; Paradigmenvielfalt als Mittel zum Zweck, liberale Berufungspolitik, Toleranz. Akzeptanz "KomplementaritätsIdealisten" Erkenntnispluralismus und Paradigmenvielfalt werden als Ziel akzeptiert, die Paradigmen ergänzen einander → Mehrwert; grundsätzliche Offenheit bei Berufungspolitik und programmatischen Entscheidungen. 39 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Paradigmen als „Komplementoren“ Schroll Philip, 0704672 P2 Paradigmenpluralismus: „R“ P1 STÄRKE, nicht SCHWÄCHE einer Disziplin P3 Quelle: P. WEICHHART, 2000, S. 488 Paradigmenspezifische Modelle der „Realität“ GKPD/04/03/24 Fragen die zu den letzten Prüfungen gekommen sind: Hautphasen der Objektbetrachtung in der Humangeographie: Die Phasen ersetzen einander nicht sondern ergänzen einander. 1. Geodeterministische Phase: Erscheinungen der Kultur sind durch Naturgegebenheiten bestimmt. Natur beeinflusst Kultur. 2. Physiognomisch-morphologische und historisch-genetische Perspektive: Beschreibung und Klassifikation der äußeren Gestalt von Phänomene, Herkunft und Entstehungsgeschichte. 3. Funktionale Phase: „Stoffwechsel“ und „Physiologie“ der Landschaft. Z.B: funktionale Stadt-Umland Beziehungen. 4. Raumwissenschaftliche Phase: Suche nach Raumgesetzen, quantitative Zusammenhänge 5. Verhaltenswissenschaftliche Phase: Die Welt in unseren Köpfen – Wahrnehmung und Bewertung. 6. Handlungstheoretische Phase: Die Kulturlandschaft als Produkt beabsichtigte und unbeabsichtigte Folgen menschlichen Handelns. 7. Kulturwissenschaftliche Phase 40 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 3 Dimensionen von Wissenschaft: Wissenschaft als System von Aussagen: - Wahrheitsanspruch (Aussagen gelten solange als „wahr“ bis das Gegenteil bewiesen ist) - Aufstellen von Erklärungen (das Hauptaugenmerk von Wissenschaft) - Suche nach Gesetzlichkeiten (Theorien; keine Theorien ohne Wissenschaft; Generalisierung) Wissenschaft als Tätigkeit: - Streben nach inhaltlicher Wahrheit und formaler Korrektheit (Forschungsergebnisse und Prozesse müssen nachvollziehbar und belegbar sein) - Beweis- und Begründungspflicht - Methodische Nachvollziehbarkeit Wissenschaft als soziales System: - Organisatorisch-institutionelle Struktur (Räumlichkeiten, soziale Interaktion) - Spielregeln und Normen (Gesetze und Kriterien) - Soziale Eigendynamik (Geltungsbedarf von Egos, Macht) Konzept Analyse räumlicher Kovariation, Strandbeispiel, zu welchem Paradigma gehört es? Vergleichende Gegenüberstellung von zwei oder mehr Verteilungsmustern unterschiedlicher Phänomene im gleichen Untersuchungsgebiet. Unter räumlicher Kovariation versteht man ein Indiz (kein Beweiß!) für den kausalen Zusammenhang zwischen den betreffenden Variablen. Kovariation ist nicht dasselbe wie Korrelation, sie kann im Zufall oder einer gemeinsamen Abhängigkeit von einer dritten Variable begründet sein. Unter Umständen messen auch beide Variablen das gleiche Phänomen. Im Strandbeispiel von Peter Hagget wird räumliche Kovarianz anhand der Variablen Besucherdichte und Umweltqualität erklärt. Hagget nahm and, dass die Hypothese, zwischen Besucherdichte und Strandqualität bestünde ein positiver Zusammenhang, sich auch in den räumlichen Verteilungsmustern widerspiegeln würde. Die Position dieser Phänomene wurde kartiert, die räumliche Kovariation analysiert. Hierbei sind folgende Ergebnisse möglich: Ausgeprägte positive Kovariation: Die Besucherdichte ist dort am höchsten wo die Strandqualität am besten ist. Ausgeprägte negative Kovariation: Die Besucherdichte ist dort am höchsten wo die Strandqualität am niedrigsten ist. Keine Kovariation: Es besteht kein Zusammenhang zwischen den Variablen. Haggets Vorgehensweise ist ein typischer Ansatz des spatial approachs. Systemdefinition „System“ ist ein ontologisch neutraler Begriff. Darunter versteht man eine Menge von Elementen die miteinander durch eine Menge von Relationen funktional verknüpft sind. In der neueren Systemtheorie geht man davon aus, dass sich Systeme durch ihre Eigenschaften (spezifische Operationsweise) von der Umwelt abgrenzen. 41 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Mensch-Umweltsystem am Beispiel Strand Zwischen Mensch und Strand besteht eine wechselseitige Beeinflussung. Das lokale Umweltsystem prägt durch Exposition, Wind- und Wellenenergie, Gesteine, Ablagerung und Abtragung das äußere Erscheinungsbild des Strandes. Das lokale Sozialsystem beeinflusst durch zeitliche, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen die Besucherdichte am Strand. Beide Systeme stehen miteinander im lokalen Mensch-Umweltsystem in Verbindung. Es kommt zur Bewertung der Erscheinungsform und zur Beeinträchtigung dieser durch die Nutzung. Hierbei kann es sowohl zu positiven als auch negativen Rückkoppelungen kommen. Räumliche und zeitliche Maßstabsfragen Der räumliche und zeitliche Betrachtungsmaßstab definiert die Phänomene und Prozesse der Realität die in den Brennpunkt des Forschungsinteresses geraten. In der Geographie ist das relative kleine Betrachtungsfenster die räumlich etwa zwischen der Größe des Menschlichen Körpers und dem Umfang des Äquators und zeitlich zwischen der Entstehung von Gebirgszügen und der Dauer eines Platzregens anzusiedeln. Methodologie Unter Methodologie versteht man alle systematischen Reflexionen zum Theoriesystem, zur Aufgabenstellung, zur Methodenlehre und der inneren Organisationsstruktur eines Faches. Zwei Hauptprobleme der Methodologie in der Geographie sind einerseits die technische Fragestellung („methodology of geography: Wie entwickelt man neue Theorien, wie bildet man Begriffe, welche Genauigkeitsansprüche gelten für welche Verfahren, etc) und die Grundlagenreflexion (philosophy of geography: Objektkonstitution und Zielsetzung, Wahl der erkenntnistheoretischen Orientierung). Das logische System der klassischen Geographie: In den 50ern war die klassische Geographie fertig gedacht, alle Theorien und Konzepte ausgearbeitet. Die unterste Stufe des Integrationsmodells des Logischen Systems bilden die einzelnen Teildisziplinen die sich nomothetisch mit ihren Geofaktoren beschäftigen. Sie werden gegliedert in Sozialgeographie und Landschaftsökologie. Die nächste Stufe, die Landschaftskunde, beschäftigt sich mit Landschaften. Landschaften sind Integrationsprodukte der Geofaktoren, das Landschaftskonzept sollte die Dichotomie zwischen Kultur und Natur überwinden. Die letzte Stufe bildet die Länderkunde, sie beschäftigt sich mit dem was die Landschaftskunde über lässt (= Residuum der LK), geodeterministische Argumentation. Länder sind einmalige Raumindividuen die idiographisch erfasst werden. Mutmaßungen zur Landschaft: keiner weiß was genau eine Landschaft ist… Konkreter Gegenstand der Realität, ganzheitlicher Raumorganismus, durch die Systemzusammenhänge der Geofaktoren begründet. → mehr als die Summe ihrer Einzelteile. 42 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Was versteht man unter „Erkenntnisobjekt“? Was sind die wichtigsten Konstitutionsbedingungen von Erkenntnisobjekten? Erfahrungsobjekt (Realobjekt) = Gegenstandsbereich, oder Ausschnitt der Realität mit dem sich die Wissenschaft befasst → Granitblock. Erkenntnisobjekt (Formalobjekt) = Der Aspekt am Realobjekt der interessiert, bzw. die spezifische Fragestellung der Disziplin. Die Erkenntnisobjekte von Wissenschaften sind pragmatische Festsetzungen, sie können nicht durch Verweis auf Gegebenheiten der Realität begründet werden; denn Erkenntnis ist in pragmatischer Abhängigkeit vom Menschen als Forscher. Die Klassiker haben übersehen, dass es ein Erkenntnisobjekt gibt und leiteten aus der Tatsache dass sie sich mit allen Geofaktoren beschäftigen einen Totalitätsanspruch ab. Schon 1929 kritisierte V. Kraft dieses Verhalten. Konstitutionsbedingungen: - subjektive Erkenntnisinteressen der Forscherpersönlichkeit - Konsens der Fachgelehrten - Allgemeine gesellschaftliche Interessenlagen (z.B.: Ökologisierung in den 80ern) Was versteht man unter „Hypostasierung“ („Reifikation“)? Besprechen Sie ein Beispiel! Hypostasierung bedeutet „Vergegenständlichung“. Ein bloß in Gedanken existierender Begriff bekommt reale, körperliche Qualitäten, wird zum also zum Ding. Beziehungen, Interaktionen und Relationen werden zu Objekten umgedeutet. In der Geographie gibt es hierfür ein Paradebeispiel, nämlich das Landschaftsverständnis der klassischen Geographie der Landschafts- und Länderkunde, wodurch sie auch unaufhaltsam in die Krise schlitterte. Folgendes war passiert: Beziehungen von Phänomenen auf der Erdoberfläche wurden im Landschaftsbegriff zusammengefasst und beschrieben. Auf der Metaebene kam es zur Reflexion über Landschaften, daraufhin zur Ontologisierung und damit wurde aus der Idee ein Ding. Die Geographen hatten den Fehler gemacht, ihre Betrachtungsperspektive mit der realen Welt zu verwechseln. Das pragmatische Obligat der Erkenntnis und seine Folgen Erkenntnis ist für den Menschen und von ihm selbst geschaffen. Daraus ergibt sich eine pragmatische bzw. anthropologische Abhängigkeit der Erkenntnis, ihrer Methoden und Voraussetzungen. Folgerung: Erkenntnisobjekte von Wissenschaften sind pragmatische Festsetzungen und können nicht durch den Verweis auf Gegebenheiten der Realität begründet werden. 43 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Koinzidenzprinzip Das Koinzidenzprinzip (Koinzidenz: lat. Zusammenfallen) ermöglicht auf Basis der choristischen Deskription (Tatbestände werden hinsichtlich ihrer Lage auf der Erdoberfläche als Punkte, Linien oder Flächen in einem Koordinatensystem dargestellt) Aussagen über räumliche Nähe von Sachverhalten bzw. die Feststellung von räumlicher Koinzidenz oder Distanz. Dies ist von Bedeutung wenn bei Ursache-Wirkungs-Interpretationen die räumliche Koinzidenz für die Gültigkeit eines kausalen Zusammenhanges vorausgesetzt wird. Dieses Prinzip wurde in der Geographie vor allem von Anhängern des spatial Approach mit großer Intensität zur Generierung neuer Hypothesen betrieben: quantitative Datenanalyse, statistischmathematische Beweisführung. Diskutieren Sie Begriffe des raumwissenschaftlichen Paradigmas (Feld, Areal, Gebiet, usw.) Es bedarf Begriffe die nur die Lage beschreiben und inhaltsleer sind. Stelle: ist ein Quasi-Punkt auf der Erdoberfläche. Stellen besitzen nur Lageeigenschaften und weder Ausdehnung noch Inhalt. Sie lassen sich durch Lagekoordinaten oder eine relative Lage zu einer anderen Stelle festlegen. Stellen sind Maßstabsabhängig. Distanz, Richtung und Netze: resultieren aus den Relationen von Stellen. Distanz bezeichnet die Entfernung von Stelle A zu Stelle B, Richtung die Abweichung der Verbindung AB von einer Grundorientierung. Die Verbindung von mehren Stellen, bzw. Knoten werden als Kanten bezeichnet. Mehrere Kanten bilden Netze. Gebiete: sind beliebig abgegrenzte, sachdimensional nicht spezifisierte, Teilbereiche der Erdoberfläche. Ihre Grenzen werden pragmatisch vom Betrachter festgelegt, sie existieren in der Natur nicht. Sie besitzen nur die Eigenschaften: Form, Lage und Größe, mach kann ein Gebiet auch als flächenbezogene Adressangabe bezeichnen. Ein Territorium ist ein Gebiet dessen Grenzen administrativ festgelegt sind. Wenn Stellen oder Gebiete „Ausstattungen“ haben nennt man sie: Standort: ist eine Stelle die mit Sachattributen verbunden wird. Ein Standort ist also die Verknüpfung von Lage und Attribut, aber nicht jedes für sich alleine. Areal: Ein Areal ist ein Gebiet das durch eine invariante Sachausprägung gekennzeichnet ist. Sind also die gedankliche Zusammenfassung von Einzelstandorten zu einer größeren Raumeinheit. Feld: bezeichnet ein Gebiet mit varianter Sachausprägung in Abhängigkeit von der Distanz zu einer bestimmten Stelle. Region: Regionen sind Artefakte, Produkte analytischer Regionalisierung. Für das raumwissenschaftliche Paradigma sind drei Definitionen von „Region“ wichtig: Homogene Regionen, Verflechtungsregionen und normative Regionen. 44 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Erörtern Sie die vier Bedeutungsvarianten des Begriffs Region! Homogene Regionen: Definiert nach dem Ähnlichkeitsprinzip, sind Gebiete die im Bezug auf ein bestimmtes Attribut und dessen Ausprägung Ähnlichkeiten aufweisen. Sie sind Produkt eines Forschungsprozesses, in dem Gebiete nach ihren Attributsausprägungen zusammengefasst werden. Die Grenzen enden dort wo die charakterisierende Eigenschaft nicht mehr (in ausreichender Ausprägung) vorhanden ist. Funktionalregionen: Definiert durch funktionale Verflechtungen und Interaktionen zwischen den räumlichen Teilelementen eines Untersuchungsgebiets. Diese Nodalregionen können als Felder interpretiert werden und unterliegen ständiger Veränderung. Die Grenzen werden nach definiertem Schwellenwert der Intensität von Beziehungen, Nutzung und Verflechtungen gezogen. Ein Beispiel hierfür sind Heiratskreise oder Pendlerbeziehungen. Normative Regionen: Definiert durch den Gültigkeitsbereich von Normen. Hierunter fallen administrative oder politische Gebiete sowie Hoheitsgebiete und Regionen welche einer bestimmten Machtausübung unterliegen. Die Grenzen sind Artefakte, räumliche Konstrukte die von politischer Willenskraft abhängig sind. Wahrnehmungs- und Identitätsregionen: Sind für Individuen selbst definierte lebensweltliche Regionen. Hierfür sind vor allem eine persönliche Verbundenheit zur Region, sowie Heimatgefühl und Loyalität charakteristisch. Sie weisen kognitive Strukturen auf und dienen als Projektionsfläche für Identität. Diskutieren Sie ausführlich das wissenschaftliche Konzept des „Paradigma“! In der Theorie von Thomas Kuhn ist das Paradigma ein zentraler Begriff, obwohl er selbst keine exakte Definition liefern konnte; er verwendete ihn in zahlreichen verschiedenen Bedeutungen. Im Grunde versteht man unter einem Paradigma eine forschungsleitende Perspektive oder Sichtweise, das Weltbild, die für eine bestimmte Zeit und eine bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern konsensbildend ist. Paradigmen unterliegen also zeitlichen Abfolgen. Sie durchlaufen – so Kuhn – evolutionäre Stadien. Am Anfang steht die protowissenschaftliche oder vorparadigmatische Phase in der es noch kein einheitliches Denkgebäude gibt. Es wird ohne Selektionskriterien nach Daten gesucht. In dieser Phase bilden sich verschiedene Schulen, die alle andere Herangehensweisen haben, es kommt zum Streit, schließlich kann sich eine durchsetzten. Es folgt eine Konsultierung der Disziplin. Damit beginnt die normalwissenschaftlichen Phase. Das Paradigma hat seine Blütezeit. Man hat symbolische Verallgemeinerungen, ontologische und heuristische Modell, sowie Werte und normative Festlegungen. Es wird nun daran gearbeitet die bestehenden Konzepte zu verfeinern und das Paradigma zu bestätigen. Dabei wird aber vergessen oder vermieden neue Wege und Zugänge zu finden. Hierdurch werden die Basiskonzepte des Paradigmas außer Frage gestellt, es kommt zur Ausbildung dogmatischer Überzeugungen und zur Sozialisation im Sinne des Paradigmas. Kritik wird also im Keim erstickt. Im Lauf der Zeit wächst aber die Unzufriedenheit mit den vorhandenen methodischen Instrumenten, langsam entwickelt sich ein Krisenbewusstsein. Nun kann ein neues Paradigma auf den Plan treten, mit neuen ontologischen und heuristischen Modellen, neuer Weltansicht und neuen Problemen und Lösungsansätzen. 45 Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie Schroll Philip, 0704672 Es kommt zum Kräftemessen, da ein Paradigma letztlich auf axiomatischen Vorannahmen beruht und daher also nicht mit rationalen Argumenten plausibel zu machen ist. Wenn man gewissen Grundannahmen nicht annimmt, bleiben es Scheinargumente. Letztlich setzt sich das neue Paradigma gegen den heftigen Widerstand des „Old Establishments“ durch, zum Teil auch durch Überalterung desselben. Entgegen der Theorie Kuhns sterben „alte“ Paradigmen jedoch nicht aus, sie durchlaufen so etwas wie Konjukturzyklen. Diese Paradigmenpluralität eröffnet dem, der sie (an)erkennt eine Vielzahl von Perspektiven und Sichtweisen. Charakterisieren Sie ausführlich zwei neuere Paradigmen der Humangeographie! Das Verhaltenswissenschaftliche Paradigma: Zentrale Frage des verhaltenswissenschaftlichen Paradigmas ist: What about people in geography? Es definiert sich damit selbst als Gegenbewegung zum Raumwissenschaftlichen Paradigma, dem es an Bezugnahme auf das menschliche Individuum und seiner subjektiven Wahrnehmung und Wertung der räumlichen Umwelt fehle. Zentrale These: Das Verhalten des Menschen gegenüber der räumlichen Umwelt richtet sich nicht nach objektivierbaren Strukturen der Realität sondern ist von seinen subjektiven, verzerrten, gefilterten Vorstellungen über die Wirklichkeit abhängig. Wie wird räumliche Umwelt wahrgenommen, wie hängt das raumrelevante Tun des Menschen vom subjektiv wahrgenommenen und bewerteten Image der Realität ab? Verhaltenswissenschaftliche Regionskonzepte: Identitätsregion, Wahrnehmungsregion Das Handlungstheoretische Paradigma: Hierbei handelt es sich um eine Disziplin übergreifende Orientierung der Sozialwissenschaften. Man wandte sich gegen das verhaltenswissenschaftliche Paradigma, in dem der Mensch als Automat dargestellt würde, der nur auf äußere Einflüsse reagiere. Handeln sei aber intentionales Tun und auf den subjektiven Sinn bezogen. Die Welt wird als Produkt beabsichtigter und unbeabsichtigter Folgen menschlichen Handelns interpretiert → Kulturlandschaft, der Mensch als handelnder Akteur untersucht. Auch gegen das raumwissenschaftliche Paradigma grenzte man sich klar ab: Raum könne nicht Ursache von etwas sein, es müssen die Sinnzusammenhänge der sozialen Welt erforscht werden. 46
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