Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 25. April 2015 / 11.05 - 12.00 Uhr Pekings Tor nach Europa China auf Shopping-Tour in Griechenland Eine Sendung von Leila Knüppel und Manfred Götzke Redaktion: Thilo Kößler Musikauswahl: Babette Michel Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar – O-Ton Tassos Vamvakidis: Es gab hier keine Investitionen, keine Expansion, kein Business. Der griechische Staat hatte entweder kein Geld zu investieren oder wollte einfach nicht investieren. Wenn das jetzt unsere chinesischen Freunde tun, sind sie absolut willkommen. O-Ton Tassos Vamvakidis: „Wir haben nur sieben Chinesen hier im Hafen, alle anderen sind Griechen: Die Chinesen machen so klar, dass sie den Leuten hier trauen, dass sie als Investoren hier sind, nicht als Invasoren.“ Sagt ein griechischer Manager in Diensten Chinas. Ein Hafengewerkschafter aus Piräus widerspricht. O-Ton Gogos, Gewerkschafter: Es gibt eine Zaun, der den Containerterminal im Hafen von Piräus trennt: in einen chinesischen und einen griechischen Teil. Im chinesischen Terminal gibt es keine echte Arbeitnehmervertretung, keine Vereinbarungen zum Thema Gesundheit und Sicherheit. Es ist offensichtlich, warum es all dies nicht gibt: Weil das chinesische Staatsunternehmen Cosco den Wegfall dieser Rechte einkalkuliert – als Profit für das Unternehmen. Es ist eine Win-WinSituation. Aber für wen? Für Schiffbesitzer und für China. Nicht für den griechischen Staat und nicht für die Hafenarbeiter Pekings Tor nach Europa China auf Einkaufstour in Griechenland Gesichter Europas mit Reportagen von Leila Knüppel und Manfred Götzke MUSIK 1 2 REPORTAGE 1 Atmo: Hafen Im Hafen von Piräus hat die „Bernard“ angelegt. Riesige blaue Kräne wuchten die Ladung vom Schiff auf den Pier. Container für Container, genau aufeinander abgestimmt. Ein fast vollautomatisches Kranballett. „Cosco“ steht auf den turmhohen Ladekränen. Die größte Schifffahrtsgesellschaft Chinas, die zweitgrößte weltweit. Mit eigenen Containerfabriken und Hafenanteilen in aller Welt. Ein Staatsunternehmen, in den 60ern noch von Mao persönlich gegründet. Seit 2009 betreibt Cosco den größten Teil des Hafens von Piräus – vom griechischen Staat verpachtet für 35 Jahre. O-Ton Security-Dienst: Hier sind die vollen Container, die gehen in alle Welt, sie kommen aus China, aus ganz Europa nicht nur aus Griechenland – das ist unser Transit Terminal. Ein Mann vom Security-Dienst fährt durch die Container-Schluchten: Links und rechts türmen sich die farbigen Quader mit Namen und Aufschriften aus aller Welt: Maersk, Evergreen, Cosco, MSC. Aussteigen nicht erlaubt. Und auch der Security-Mann ist sich nicht sicher, ob er überhaupt seinen Namen nennen darf. Atmo: Security-Mann: „I don’t have a problem. But I don’t know, if it’s ok.” Knapp drei Millionen Container werden hier im Hafen jährlich umgeschlagen. Damit ist Piräus zwar momentan noch nicht der größte Mittelmeerhafen – aber der am schnellsten wachsende. Seit 2007 hat sich der Containerumschlag in Piräus verdoppelt. O-Ton Security-Mann: „Der Bereich hier ist erst seit einem Jahr fertig – und das ist nur die eine Hälfte des neuen Piers. Die andere Hälfte wird noch gebaut.“ 3 Von Pier zwei geht es weiter zu Pier drei. Er ist erst halb fertig. Auf der einen Seite werden bereits Schiffe be- und entladen, auf der anderen tragen Bauarbeiter Asphalt auf. Mehr als 300 Millionen Euro hat das chinesische Unternehmen nach eigenen Angaben in die Hafenanlage investiert. Pier zwei und Pier drei sind in Cosco-Hand – nur den relativ kleinen Pier eins betreibt die staatliche Hafengesellschaft Griechenlands noch selbst. Atmo: Tassos Vamvakidis; „This is how the Terminal used to be, Pier number two, like this and then it came like this… “ Drinnen, im Verwaltungsgebäude lehnt sich Tassos Vamvakidis über einem Schaukasten mit dem Miniaturmodell des Hafens. Ein großer, massiger Mann blickt über das Cosco-Reich. Er ist kaufmännischer Leiter von PCT, ein Unternehmen, das im Auftrag von Cosco den Hafen betreibt. Nach den sieben chinesischen Managern,die sich der Öffentlichkeit meist entziehen, einer der wichtigsten Männer hier. O-Ton Tassos Vamvakidis: Wenn wir Pier drei ausgebaut haben, dann liegen wir bei einer Kapazität von 6,2 Millionen Standardcontainern – rechnen wir noch die Kapazität des staatlichen Piers dazu kommen wir auf über 7 Millionen. Damit wäre Piräus ganz klar die Nummer eins hier im Mittelmeer. Piräus - direkt hinter dem Suezkanal, für die Chinesen ist es das Tor nach Europa. Als das krisengeschüttelte Griechenland angefangen hatte staatliche Einrichtungen zu privatisieren, schlugen die Chinesen zu. Vier Milliarden zahlen sie dafür, dass sie den Hafen 35 Jahre lang nutzen dürfen. O-Ton Tassos Vamvakidis: Es gab hier keine Investitionen, keine Expansion, kein Business. Der griechische Staat hatte entweder kein Geld zu investieren oder wollte einfach nicht investieren. Wenn das jetzt unsere chinesischen Freunde tun, sind sie absolut willkommen. Atmo Konferenzraum 4 Vamvakidis geht in einen Konferenzraum, lässt sich schwer in den Sessel fallen. Eine Putzfrau huscht schnell herein, räumt verschämt die Wassergläser des vorangegangenen Meetings ab – und wischt die Schlieren von der Glasplatte. Durch die Fenster sind die Containertürme und Kräne der Terminals zu sehen. Vamvakids kommt bei diesem Anblick ins Schwärmen. Atmo: „Unsere neuen Kräne gehören zu den größten der Welt. Wir können hier Schiffe entladen, die es so noch gar nicht gibt. Wir sind der Zeit zehn Jahre voraus.” Vorne die nagelneuen, blauen Cosco-Kräne made in China, hinten die kleinen orangenen des griechischen Staatsunternehmens. Ein ungleiches Spiel, das die Griechen kaum gewinnen können. Vamvakidis lehnt sich zurück, grinst – etwas gönnerhaft. O-Ton Tassos Vamvakidis: „Es ist schwer für die Griechen, ja – aber nicht unmöglich. Ich werde ihnen jetzt nicht sagen, wie sie es machen müssen, das ist nicht mein Job.“ Worüber er nicht so gerne spricht: Cosco wurden Steuervergünstigungen und andere Vorzugsbehandlungen eingeräumt. Eine illegale Subvention, kritisierte kürzlich die EU-Kommission. Bisher sind die Chinesen noch Pächter in Piräus, bald ist vielleicht mehr zu haben. Der griechische Staat soll zwei Drittel des Hafens verkaufen. Eine zentrale Forderung der EU-Geldgeber. Cosco würde sich den Anteil gerne nehmen. O-Ton Tassos Vamvakidis: Wir müssen da schauen, ob die neue Regierung die Pläne ihrer Vorgänger umsetzt oder anders entscheidet. Aber wenn die Regierung alle Daten bekommt und sich das genau anschaut, dann wird sie sehen, dass die Privatisierung Griechenland voran bringt. Auch am zweitgrößten Hafens Griechenlands, Thessaloniki, und dem staatlichen Bahnunternehmen haben die Chinesen Interesse. Ihre 5 Vision: eine neue Seidenstraße nach Europa. Vom Cosco Schiff über den Cosco Hafen bis zur Cosco-Bahnlinie - eine geschlossene Lieferkette in chinesischer Hand. Einen Kooperationsvertrag mit der griechischen Staatsbahn haben die Chinesen bereits geschlossen. Auch in eine neue Bahnstrecke von Budapest nach Belgrad investiert die chinesische Regierung. Dass vielen Griechen die Investitionswut der Chinesen Angst macht, bekommt Vamvakidis häufiger zu hören. Er selbst spricht von einer WinWin-Situation. O-Ton Tassos Vamvakidis: „Wir haben nur sieben Chinesen hier im Hafen, alle anderen sind Griechen: 1200 Leute zurzeit. Die Chinesen machen so klar, dass sie den Leuten hier trauen, dass sie als Investoren hier sind, nicht als Invasoren.“ Eine Erfolgstory also? O-Ton Tassos Vamvakidis: „Ich sage Ihnen: alles läuft hier nach griechischem Recht ab oder noch oberhalb der Standards.“ Die Gewerkschafter vom Staatshafen nebenan erzählen allerdings von „chinesischen Arbeitsbedingungen“: Geringe Löhne, unregelmäßige Arbeitszeiten und nicht mal Zeit, zur Toilette zu gehen. Auch Gewerkschaften hat Cosco auf seinem Pier lange Zeit verhindert. Vamvakidis schiebt diese Anschuldigungen beiseite: alles Unsinn. O-Ton Tassos Vamvakidis: „Ich kann euch alles sagen, was sie über uns erzählen. Glaubt ihr denen? Das stimmt doch alles nicht. Wir sind hier eine große Familie hier.“ LITERATUR 1 Der Schriftsteller Christos Ikonomou lebt in Piräus. Und rund um den großen Hafen von Athen, in den Vorstädten, den Straßen und Piers spielen auch seine „Erzählungen aus dem heutigen Griechenland“ – 6 Geschichten von Arbeitslosen, Hungernden, Menschen, die alle Hoffnung verloren haben. Für die armen Menschen Ich hatte einen Platz dort unten am Hafen. Einen Platz, der mir gehörte wie ein zweites Zuhause, eine kleine verwitterte Holzbank ganz dicht beim Standplatz der Laster nach Kreta. Da hatte auch ich nachmittags meinen Standplatz, sommers wie winters, stundenlang, und beobachtete die Schiffe, die im Hafen ein- und ausliefen, die Menschen, die Autos und Laster, die in die Schiffe hinein- oder aus ihnen herausströmten. Wenn ich etwas zu trinken hatte, trank ich und sang, immer das gleiche Lied, immer «Sittin' an the dock of the bay». Otis ist genau richtig, der ist wie gemacht für jemanden, der seine Nächte am Hafen verbringt, am Pier, wo sich das Meer mit dem Land verbindet, wo die Dinge zugleich zusammen und auseinander sind. Jetzt saß Sie auf dem Holzbänkchen, meinem Zuhause, auf der Bank, die mir gehörte. Das passte mir nicht. Das war nicht normal. Es war, als ob man von der Arbeit heimkäme und auf eine Unbekannte stieße, die auf dem Sofa herumhängt. Und was sie anhatte, das war auch nicht normal. Es war mitten im Juli, und sie trug einen Mantel, schwarze Hosen und Stiefel. Ich sah die Dame mit dem Mäntelchen an, die ihrerseits auf die Fähre schaute, und dachte, sie ist bestimmt keine Reisende und auch nicht hierhergekommen, um sich von jemandem zu verabschieden, und ich dachte, das ist absolut nicht normal. Aber was war an dem Tag schon normal? Und dann sah ich, wie an der Schiffsseite eine Wasserpumpe heruntergelassen wurde und das Wasser mit hohem Druck daraus ins Meer spritzte, und mir fiel wieder Aris ein. Wie es ihn nach hinten geworfen hatte, als er vom Wasser getroffen worden war, wie er hilflos taumelte, wie er mich ansah, als ihm das Wasser einen Schlag ins Gesicht versetzte. Und ich dachte, er wird sich heute Nacht bestimmt nicht am Gürtel aufhängen oder in Faliro ins Meer stürzen. Ich dachte, er wird bestimmt auf dem Sofa hocken und rauchen und Tsipouro ohne Anis trinken und fernsehen. Denn das hatte er mir oft gesagt. Wenn dich die Traurigkeit oder das Unheil überfällt, hatte er gesagt, mach den Fernseher an. Fernsehen ist die beste Medizin, hör auf mich, ich weiß es. 7 MUSIK 2 Reportage 2 Atmo: Auto, Radiomusik Eben war Giorgos Gogos noch im griechischen Wirtschaftsministerium, nun fährt er in einem halbverrosteten japanischen Kleinwagen zum Pier 1 im Hafen von Piräus. Atmo: Autofahrt „Here is the end of the passenger-terminal. And here is the old industrial-zone.” Aus den Lautsprecherboxen tönt der parteieigene Sender von Syriza. Atmo: Radiomusik; Autofahrt; „It’s called ‚To the red’. It is the station, I listen seven Years or more.’.” Gogos ist Generalsekretär der Hafenarbeitergewerkschaft und Mitglied bei Syriza, der neuen linken Regierungspartei. Atmo: Aus Auto Aussteigen Er parkt das Auto vor dem Verwaltungsgebäude des staatlichen Hafenbetreibers. Fast täglich ist er im Containerhafen – und kennt beinahe jeden. Zumindest hier, im staatlichen Teil, für den seine Gewerkschaft zuständig ist. Atmo: Vor Gebäude „Tassos is a collegue, he is a krane operator.” – „We enter´now the zone. We have to be very carefull, it is very dangerous, ok, let’s go.“ Was sich bei Cosco, an Pier 2 und 3 abspielt, bekämpft er mit seinen Kollegen, seit das chinesische Staatsunternehmen hier in Piräus ist. O-Ton Gogos: „300 Meter von hier ist die Grenze – so nennen wir das. Ein Zaun trennt den Hafen in zwei Teile – einen chinesischen und einen 8 griechischen. Es gibt ein paar Kontakte, die Arbeiter haben sich mit uns getroffen, aber nicht bei uns im Gewerkschaftsbüro, sondern heimlich in Cafés oder so, weil sie Angst hatten. Sie haben uns um Hilfe gebeten. Wir sind auf ihrer Seite. Aber letztlich müssen sie selbst eine Möglichkeit finden, sich zu organisieren.“ Atmo: Hafenkräne Drüben, auf der anderen Seite der Grenze würden asiatische Arbeitsbedingungen herrschen, sagt Gogos, und zeigt auf die neuen blauen Kräne der Chinesen. Erst vor wenigen Wochen hätte sich dort überhaupt eine Gewerkschaft gegründet. O-Ton Gogos: „Im anderen Terminal gibt es keine echte Arbeitnehmervertretung. Es gibt ein sehr kompliziertes System mit Subunternehmern. Es gibt keine mit den Arbeitern abgesprochenen Regeln zum Thema Gesundheit und Sicherheit. Es ist offensichtlich, warum es all dies nicht gibt: Weil Cosco den Wegfall dieser Rechte einkalkuliert – als Profit für das Unternehmen.“ Tatsächlich wurden Cosco Arbeiter entlassen, die einen Betriebsrat gegründet haben. Es laufen Prozesse wegen unbezahlter Überstunden. Vergangens Jahr streikten 150 Cosco-Arbeiter. Ihre Forderungen: Toilettenpausen und die Abschaffung von 16-Stunden-Schichten. Atmo: Arbeitsgerät und Hafenfahrzeug Ein einsamer Hubwagen fährt über Pier I – hievt Container von einem LKW. Sonst ist hier heute am kleinen Container-Terminal, der dem staatlichen Hafenbetreiber geblieben ist, nicht viel los. Drüben, bei Cosco haben dagegen gleich mehrere Schiffe angelegt. Dass das chinesische Unternehmen aber wirklich viele neue Arbeitsplätze geschaffen hat, hält Gogos für ein Märchen. O-Ton Giorgos Gogos: „Bevor sie hergekommen sind oder wenn sie irgendetwas neu einweihen, einen Kran oder so, sagen sie immer, dass sie ein paar Tausend Arbeitsplätze schaffen werden. Nein, die Stellenanzahl ist fast dieselbe geblieben, nur ist eine Stelle unter 9 mehreren aufgeteilt. Ein Job für zwei oder drei. Teilzeit, von der niemand leben kann. Das ist kein Arbeitsverhältnis, das ist Ausbeutung.“ Atmo: in Aufenthaltsraum gehen Auf dem Weg in sein Gewerkschaftsbüro, schaut Gogos noch im Aufenthaltsraum vorbei: Ein paar Hafenarbeiter trinken Automatenkaffee, reden und warten auf das nächste Schiff, das entladen werden muss. Gogos stellt sich gleich zu der Männer-Truppe in Blaumann, scherzt mit dem einen, legt dem anderen kumpelhaft den Arm auf die Schulter. O-Ton Gogos: „Viele unserer Eltern haben hier gearbeitet. Wir sind mit dem Hafen groß geworden. Er ist uns wichtig, er ist wie ein Zuhause für uns.“ Umso mehr ärgert sich Gogos, wenn er und seine Kollegen im Vergleich zu den Cosco-Arbeitern als ineffizient dargestellt werden. Für ihn: eine Medien-Kampagne - von griechischen Reedern, denen Fernsehsender und Zeitungen gehören. Sie arbeiten eng mit dem chinesischen Schifffahrtsunternehmen zusammen. O-Ton Gogos: „Was wollen die Reeder? Schiffe und Ladung. Chinesische Werften sind sehr günstig. Also haben sie gesagt: China, wir haben hier einen Hafen, wollt ihr ein Tor nach Europa haben? In die EU, für euch ganz allein? Was wir dafür wollen? Schiffe von euren Werften, dass eure Banken uns Kredite geben, um die Schiffe zu bauen. Und Aufträge, um Waren nach China zu bringen – und von China in andere Länder. Es ist eine Win-Win-Situation. Aber für wen? Für Schiffbesitzer und für China. Nicht für den griechischen Staat und nicht für die Hafenarbeiter.“ Eine Privatisierung, bei der ein Staatsunternehmen ein Staatsunternehmen aufkauft: Eine Farce. Zumal Gogos und seine Hafenarbeiterkollegen eigentlich genauso produktiv seien wie die Chinesen, sagt er im Brustton der Überzeugung. Atmo: Gogos: “Its a clear robbery.” 10 So wie Gogos denken fast alle seine Kollegen hier im Aufenthaltsraum. Mit Journalisten aus Deutschland – möchten sie aber lieber nicht darüber reden. Atmo: Diskutieren „it s not easy to convince someone, it is not Merkel Auf deutsche Medien sind sie zurzeit nicht ganz so gut zu sprechen. Atmo hochziehen „…cultivated by newspapers like BILD“ Atmo: Gewerkschaftsbüro Im Gewerkschaftsbüro zündet Gogos sich eine Zigarette an, es gibtgriechischen Kaffee. Zwischen uralten Büromöbeln und Blechspinden sitzen einige seiner Gewerkschaftskollegen und schreien in Telefone. Kein Grund zur Beunruhigung, sagt Gogos, das sei normal. Verblichene Gewerkschaftsflaggen an den Wänden lassen den internationalen Tag der Hafenarbeiter von 1989 aufleben. Einige neuere Fotos erinnern an ihre Proteste 2009, gegen die Cosco-Übernahme. Genützt haben die monatelangen Streiks nichts, sagt Gogos. Cosco habe sich das Filetstück eines gesunden, expandierenden Unternehmens geschnappt. O-Ton Gogos: „Der Staatsbetrieb PPA war immer profitabel und wurde nie durch Steuergelder unterstützt. Im Gegenteil. 2005 als hier nur ein einziger Pier war, da hatten wir 31 Millionen Euro Nettogewinn – und wir hatten 60 Millionen an Reserven. Und wollten weitere Arbeiter einstellen. Also ein sehr gesundes Unternehmen mit allen Möglichkeiten, weiter zu expandieren.“ Doch statt diese Möglichkeiten selbst zu nutzen, habe der Staat den Hafen einfach verpachtet. Ein schlechtes Geschäft für Griechenland und für Piräus, meint Gogos. O-Ton Gogos: „Wir haben hier einen Witz: Es ist so, als würde man seinen Supermarkt vermieten und einen Minimarkt direkt daneben bauen 11 und der soll dann mit dem Supermarkt konkurrieren. Das macht keinen Sinn.“ Gogos grinst zerknirscht, zündet sich eine weitere Zigarette an. Warum die Vorgängerregierung dem „Supermarkt“, also Cosco, auch noch Steuererleichterungen eingeräumt hat – das hat der Gewerkschafter bis heute nicht verstanden. O-Ton Gogos: „Im Vertrag mit Cosco wurden einige Sachen verankert, nachdem das Unternehmen den Zuschlag für Piräus bekommen hat. Zum Beispiel zahlt Cosco neun Prozent weniger Steuern. Sie haben also sehr ungleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen zwischen den beiden Unternehmen.“ Die Steuervorteile hat die EU-Kommission schon verboten, Cosco muss die eingesparten Gelder zurückzahlen. Bei der weiteren Privatisierung des Hafens macht die EU allerdings weiter Druck. Syriza-Mitglied Gogos hofft, dass die griechische Regierung ihr Wahlversprechen trotzdem hält – und den Hafen nicht verkauft. Er glaubt, dass alle europäischen Länder letztlich davon profitieren würden. O-Ton Gogos: „Wenn die Chinesen ihre gesamten Pläne umsetzen und nach Piräus auch noch das Eisenbahnnetz kaufen, werden sie ihre Waren, ihre Billigprodukte noch schneller nach Zentraleuropa bringen. Und was sie auch noch wollen: Die Endfertigung von Produkten hier in Piräus, das macht dann chinesische Waren zu europäischen. Und das ist dann kein griechisches Problem mehr, sondern ein europäisches.“ LITERATUR 2 Als das Schiff die Leinen gelöst hatte, als der Pier sich von den Hafenpolypen, den Autos und den Reisenden geleert hatte, stand die Dame mit dem Mäntelchen von meiner Bank auf und ging zum Rand des Piers und setzte sich auf einen Poller. Sie saß da, die Hände in den Taschen, und schaute dem Schiff nach, das nach rechts hin verschwand. Ganz weiß im Gesicht, die Sonne hatte sie überhaupt nicht 12 erwischt. Dann kniete sie vor dem Poller nieder und zog zwei Spraydosen aus den Taschen, schüttelte sie kräftig und begann, auf das schwarze Eisen des Pollers zu sprühen. Es war unwirklich, sie so zu sehen. Echt unwirklich . Ich wartete ab. Wartete, bis etwas Zeit vergangen war, um mich nicht zu verraten. Dann stand ich auf und schlenderte auf den Poller zu, wie gleichgültig, beschattete mir mit den Händen die Augen und schaute aufs Meer hinaus, als ob ich auf das Schiff wartete, das mich dahin brachte, wo ich gern hinwollte, oder auf das Schiff, das mir jemanden brachte, den ich sehr gern sehen wollte. Ich dachte, sie hätte etwas Bedeutendes auf den Poller gesprüht, aber als ich näher kam, sah ich nur so was wie eine Kinderzeichnung. Ein lachendes gelbes Gesicht mit schwarzen Augen und knallroten Lippen. Es war nichts, was man ein Kunstwerk nennt, aber ich blieb stehen und sah es mir an - und wunderte mich. Was war das, was sollte das bedeuten? MUSIK 3 REPORTAGE 3 Atmo: Durchsage an Schiff Chinesen an Reling Es ist kalt, der Himmel wolkenverhangen, als die Fähre früh morgens von Piräus ablegt und Kurs nimmt auf die Kykladen, einer Inselgruppe im Ägäischen Meer. Nur wenige Reisende stehen draußen an der Reling, machen noch ein paar Schnappschüsse vom Hafen und von den grauen Containerschiffen. Atmo: Unter Deck, chinesisch Sprechen Die Meisten sichern sich schnell ihren Platz unter Deck, an den Tischen neben den Kaffee-Bars und Schnellrestaurants. Jetzt im Frühjahr sind fast nur chinesische Touristen an Bord. Die Deutschen und Franzosen kommen erst, wenn es wärmer wird. Eine chinesische Reisegruppe packt ihr Frühstück aus: Joghurt und Kuchen. Acht Stunden dauert es, bis sie ihre Trauminsel erreichen: Santorin. 13 O-Ton Tau Djien, Tourist: „Meine Frau wollte unbedingt nach Santorin, weil sie meint, das sei so romantisch. Wir haben Bilder im Internet gesehen – und Freunde waren schon auf der Insel. Sie haben uns empfohlen, unsere Flitterwochen dort zu verbringen.“ Tau Djien und seine Frau Ni Peij Hong sind auf Hochzeitsreise, wie die allermeisten aus der Gruppe. Lauter frisch vermählte Paare, fast alle Mitte-Ende 20. Atmo: Fotos zeigen; „It’s me.“ Die Männer zeigen uns Fotos von ihrer bisherigen Reise; die Frauen kichern etwas verlegen. O-Ton Tau Djien, Tourist: „Griechenland ist sehr berühmt in China, weil sie eine ebenso lange und bedeutende Kulturgeschichte haben, wie wir Chinesen.“ Paris, Rom und London, das haben die meisten wohlhabenden Chinesen schon gesehen. Jetzt haben die Reiseweltmeister, die mittlerweile am meisten Geld für Urlaub ausgeben, Griechenland für sich entdeckt. Flitterwochen auf Santorin – ist das neue Statussymbol. Atmo: Touristen; „Santorin, very famous.“ - “Honeymoon, Honeymoon.” “Romantic and beautiful.” Atmo: Durchsage Ankunft Santorin Die roten Vulkan-Klippen von Santorin sind schon durch die gischtverschmierten Fenster zu sehen. Reiseleiterin Jessy Djang packt ihr gelbes Orientierungsfähnchen aus, damit die ihr Anvertrauten im Ankunftsgewimmel nicht verloren gehen. Atmo: Heckklappe geht auf Alle zwei Monate schleust sie chinesische Reisegruppen durch Europa: Rom, Zürich, Athen und Santorin. In 14 Tagen. 14 O-Ton Jessy Djang, Reiseleiterin: „Die Chinesen haben nun mehr Freizeit und Geld, darum reisen sie jetzt auch mehr. Dazu kommt: Es gibt mehr Flüge von China in andere Länder - und es ist einfacher, ein Visum zu bekommen.“ Atmo: Aus Schiff rausgehen Noch sind die Chinesen im Vergleich zu den Europäern, die jährlich die Strände Griechenlands bevölkern, relativ wenige. Ihre Zahl verdoppelt sich aber von Jahr zu Jahr. Auf Santorin – sind sie schon jetzt die Mehrheit. Atmo: Fotostudio Kostas Voulgarakis sitzt vor dem Computer und bearbeitet Fotos: Hochzeitsbilder von chinesischen Pärchen. Sein Fotoladen in der Fußgängerzone von Fira, Hauptort der Insel, macht fast nichts anderes. Chinesische Pärchen vor weiß-blauer Kirche, Chinesen vor Sonnenuntergang, chinesische Pärchen an der Meeresklippe. O-Ton Voulgarakis, Fotograf: „Sie kommen rein und haben schon Fotos auf ihren Smartphone – und möchten dann genau das Gleiche.“ Von der Wirtschaftskrise kriegen sie hier auf Santorin nichts mit, erzählt der 24-Jährige, der hier auf der Insel geboren wurde. O-Ton Voulgarakis, Fotograf: „Unsere Preise sind zwar in den letzten Jahren gesunken, aber die Nachfrage ist geblieben: Wir haben jeden Tag zu tun.“ Tourismus ist der einzige Wirtschaftszweig Griechenlands, der in den letzten fünf Jahren nicht geschrumpft ist. 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts macht der Tourismus aus – der wichtigste Wirtschaftsfaktor des Landes. 15 O-Ton Voulgarakis, Fotograf: „Ich kann euch versichern, dass die Insel komplett ausgebucht ist. Nicht jetzt, aber im Sommer. Jedes Jahr kommt ein neues Hotel dazu.“ Die Preistafel in Voulgarakis’ Fotoladen ist ausschließlich auf Chinesisch – genauso wie die Menükarten von den Restaurants nebenan. Kein Laden auf der Insel kommt ohne die fremden Schriftzeichen aus. Warum die Chinesen Zehntausend Kilometer reisen, um seine kleine Insel zu besuchen? Er zuckt ratlos mit den Schultern. O-Ton Voulgarakis, Fotograf: „Ich bin jetzt 24 Jahre alt. Und ich kann nur sagen, dass sie schon mein ganzes Leben lang da waren. Und es werden immer mehr.“ Atmo: Durch Gassen gehen Cai Danting und ihre Schwester Chenqin irren mit anderen chinesischen Touristen durch die Gassen des kleinen Dorfs Oia. Atmo: „This is the right direction for the sunset, or?” Vorbei an Souvenirshops, Bars, Cafes. Irgendwo muss doch dieser Ausblick sein, für den sie die lange Reise auf sich genommen haben. O-Ton Cai Danting, Touristin: „Viele gehen auf Reisen und posten danach ihre Bilder, vor allem die Promis. Und sie schreiben tolle Sachen über den Ort. Also möchtest du auch unbedingt hier hinkommen.“ Atmo: Sonnenuntergang ansehen Schließlich haben die beiden Studentinnen die Klippe gefunden: einen Felsvorsprung mit dem perfekten Blick auf einen Vulkankrater im Meer – die Sonne zeigt sich bisher aber noch nicht. Ein paar Europäer packen trotzdem ihre Weinfalschen aus. Die 23-jährige Danting, ihre Schwester und die anderen Chinesen beginnen zu fotografieren. 16 O-Ton Studentin: „Es gibt eine Menge wunderschöne Bilder von der Insel, aber wenn man hier ankommt, sieht es doch recht anders aus. Aber es ist ok. Es ist nicht so… wie soll ich das sagen… Das Meer hier ist dunkelblau. Wir dachten es ist hell, kontrastreicher, einfach bunter. Es ist ein bisschen schade.“ Ein junges chinesisches Hochzeitspaar hat den besten Platz schon für sein Fotoshooting besetzt. Die Braut steht in High-Heels auf einem wackeligen Klippenvorsprung – und versucht, sehnsuchtsvoll auf das Meer hinaus zu blicken. Doch der Fotograf ist noch nicht ganz zufrieden. Atmo: Anweisungen Fotograf Die Assistentin muss den Saum des roten Hochzeitskleides hochheben – und im richtigen Moment im Wind flattern lassen. Und dann muss noch der streunende Hund verscheucht werden. Der Bräutigam, der ein paar Semester in Deutschland studiert hat, steht daneben – und wartet auf seinen Einsatz: die Kussfotos. O-Ton Bräutigam: „Im Hilltop Hotel haben wir gestern die Verheiratung gemacht. – aber nur zu zweit? – Ja, nur zu zweit und das Team zusammen. Und dann haben wir die Unterschrift gemacht und dann haben wir ein Papier. Und wir machen Wedding gestern, und Fotoshoot hier.“ Das Brautpaar hat den Fotografen und eine Standesbeamtin extra aus China einfliegen lassen. Geheiratet haben sie in einem Hotel – ohne Freunde und Verwandte. Die große Hochzeitsparty wird in China nachgeholt. Dann werden auch die Hochglanzbilder von Santorin präsentiert. O-Ton Bräutigam: „Die ganze Sonne, sehr schön, alles schön, besonders mit meiner Frau dabei.“ Zehn Minuten haben sie noch für das Shooting, dann müssen sie los. Schnell, schnell zum Flughafen. Sie haben Glück: Die Wolken heben sich, die Sonne schickt ihre Strahlen über das Meer, lässt es glitzern, die 17 weißen Häuschen am Klippenrand erstrahlen. Santorin zeigt sich – schöner als in den Hochglanzbroschüren. Atmo: Ende Fotoshooting; „Ok, finished…“ - „Sorry, ich muss jetzt los zum Flieger“ Atmo: Studentinnen lassen sich fotografieren Auch Danting und ihre Schwester haben sich und den Sonnenuntergang aus allen Perspektiven abgelichtet. Atmo: Fotos ansehen Jetzt schauen sie sich die geschossenen Fotos auf ihren Handys an. Auch sie sind jetzt zufrieden. Atmo: Danting: „It’s amazing. I love it.“ MUSIK 4 LITERATUR 3 Es wurde dunkel. Ein Schiff kam in den Hafen und drehte bei und legte mit dem Heck am Pier an. Es war leer, keine Menschen und keine Autos. Als die Ladeklappe herunterfiel, kam ein Matrose heraus, holte die Leine und zog sie in die Nähe des angemalten Pollers. Er stutzte einen Moment, beugte sich nach unten, schaute in das lachende gelbe Gesicht auf dem Poller, lachte, schüttelte den Kopf, dann schlang er die Leine um den Poller und ging seiner weiteren Arbeit nach. Ich sah, wie die Frau von der Bank aufstand und zum Poller ging. Sie kniete nieder und zog die Spraydosen aus der Tasche. Sie machte etwas am Poller und stand dann wieder auf, starrte reglos eine Weile aufs dunkle Meer, steckte die Hände in die Taschen, wickelte sich in den Mantel und ging mit gesenktem Kopf fast im Laufschritt fort. Sie ging aus dem Tor, überquerte die Straße, war verschwunden. Als ich zum Poller ging, sah ich, dass sie an dem gemalten Gesicht etwas verändert hatte. 18 Das Lächeln. Das Lächeln war weg, sie hatte es ausgelöscht. Sie hatte die roten, lachenden Lippen gelöscht und dafür eine schwarze Linie gezogen, die nach unten gekrümmt war, eine dicke schwarze Linie, eine Wunde, eine Verletzung. Jetzt war das lachende Gesicht traurig und erschrocken. Anfangs begriff ich es nicht. Warum hatte sie das getan? Das lachende Gesicht war doch ein Trost. Nachts allein am Hafen zu sitzen und auf ein lachendes Gesicht auf einem Poller zu schauen war ganz bestimmt ein Trost - warum sollte man das zerstören? Aber als ich dann auf dem Bänkchen saß, schaute ich noch einmal auf den Poller, und da sah ich es. Ich sah, wie die Leine um den Hals des gemalten Gesichts festgezurrt war, sah, dass sich die Leine wie eine Schlinge um den Hals des unechten Menschen legte und ihn erstickte. Darum hatte sie das Lächeln gelöscht und das lachende Gesicht traurig gemacht. Weil er erstickte. Weil ein dickes Seil um seinen Hals geschlungen war und er erstickte. REPORTAGE 4 Atmo: Autofahrt; Papachristou „We are in Glyfada. Glyfada is a seaside area of Athens. And it has a golf-course…” Bauunternehmer Dimitris Papachristou lenkt seinen Jeep durch die Straßen des mondänen Athener Bade-Vororts Glyfada. Die übliche Besichtigungstour für seine Immobilien-Kunden. O-Ton Papachristou: „Die Immobilieneigentümer hier sind aus aller Welt. Einige nutzen ihre Häuser als Feriendomizile – es ist nah am Meer und die Athener City ist auch nicht weit weg.“ Es geht die Küstenstraße entlang: Strände, Luxusvillen und Yachthäfen. Immer wieder blitzt das Blau des Mittelmeers zwischen Pinienwäldern hervor. O-Ton Papachristou: „Eine Sache, die mich sehr überrascht hat als die chinesischen Kunden hier mit mir unterwegs waren: Da haben sie mich gefragt, ob ich nicht die Klimaanlage ausstellen und das Fenster öffnen könnte, weil sie die frische Luft atmen wollten.“ Atmo: Autofahren 19 Seit 2009 zählen vor allem liquide Ausländer zu Papachristous Kunden: Araber aus den Emiraten, vor allem aber Chinesen. Denn wer in Griechenland eine Immobilie für mindestens 250.000 Euro kauft, bekommt eine EU-Aufenthaltsgenehmigung für sich und seine Familie als Extra oben drauf. Eine Regierungsinitiative, die der Bau- und Immobilienbranche aus der Krise helfen soll. Atmo: Auto stoppen Papachristou hält vor einem nagelneuen, dreistöckigen Haus: LuxusApartments mit großen Balkonen und Glasfassade. O-Ton Papachristou: „In diesem Gebäude haben wir vor einigen Monaten eine 55-Quadratmeter-Wohnung an ein chinesisches Ehepaar verkauft, die es für sich selbst nutzt – und eine Zeit in Griechenland leben woll. Sie haben sich also nicht ausschließlich für die Aufenthaltsgenehmigung interessiert, sondern wollen hier in Griechenland auch etwas Zeit verbringen.“ Atmo: Anfahren Illusionen macht sich der Bauunternehmer nicht: Das chinesische Pärchen ist wohl eher eine Ausnahme, sagt er. O-Ton Papachristou: „Die meisten sind nur an der Aufenthaltsgenehmigung interessiert. Der Kauf der Immobilie ist letztlich nur ein Mittel, um frei im gesamten Schengenraum reisen zu können.“ Dabei sei Glyfada - das Viertel, in dem der Mit-Vierziger aufgewachsen ist - doch so schön. Atmo: Büro, hinsetzen, Werbevideo starten In seinem Büro, ein paar Straßen weiter, setzt sich Papachristou in einen der schwarzen Ledersessel am Mahagoni-Konferenztisch. Er wirft den Beamer an und startet einen Werbeclip, mit dem er auf Messen in Fernost für das Premium-Visum wirbt: Strandimpressionen und SirtakiMusik. 20 Die Konkurrenz beim Produkt „EU-Pass“ ist hart. O-Ton Papachristou: „Zurzeit ist das Griechische Programm das beste, um eine EU-Aufenthaltgenehmigung zu bekommen. In Portugal muss man 500.000 Euro zahlen, in Spanien ebenfalls. In Zypern 350.000 Euro, aber Zypern ist kein Vollmitglied im Schengenraum. Man muss also noch ein Visum beantragen, um durch Europa zu reisen. In Griechenland kostet es nur 250.000 Euro und es ist ein vollwertiges Mitglied im Schengenraum.“ Fünf Jahre können seine Kunden durch Griechenland und die ganze EU reisen. Solange sie ihr Haus oder Appartement nicht verkaufen, wird ihre Aufenthaltserlaubnis immer wieder um weitere fünf Jahre verlängert. O-Ton Papachristou: „Es ist keine Arbeitserlaubnis, es ist eine Aufenthaltserlaubnis. Aber man kann ein Unternehmen gründen und 100-prozentiger Gesellschafter und Chef sein. Also ist es ein einfacher Weg für Leute von außerhalb der EU, Zugang zu unserem Markt zu bekommen, ohne mit einer europäischen Firma kooperieren zu müssen.“ Für seine weltweiten Werbetouren hat der Bauunternehmer extra Arabisch gelernt, dafür mehrere Jahre Sprachunterricht genommen. An Chinesisch scheitert er bisher noch, sagt Papachristou – und startet das nächste Werbevideo. Atmo: Werbevideo – Villa wird gezeigt: ”I welcome you on the Lagonissi Residence. Here many famous people have their houses…” Vor der Krise hat Papachristou große Immobilienprojekte geplant und umgesetzt - mit bis zu 180 Bauarbeitern und Ingenieuren. So etwas ist für ihn zurzeit undenkbar. Selbst von seinen acht fest angestellten Mitarbeitern mussten vier gehen. Nun verdient er sein Geld mit EUAufenthaltsgenehmigungen. Mittlerweile haben sich - landesweit – etwa 1000 Ausländer plus Familienmitglieder den EU-Pass mit einer griechischen Immobilie erkauft. Die meisten davon Chinesen. 21 Atmo: Video hochziehen; Werbung für Krankenhaus: „Welcome to Mediterraneo Hospital in Glyfada…“ In dem Werbeclip preisen Ärzte das günstige griechische Gesundheitssystem an. Eine Lehrerin schwärmt vom guten Bildungsangebot an der internationalen Schule von Athen – Unterricht selbstverständlich auch in chinesischer Sprache. Atmo: Werbevideo: „We do have Chinese children, lovely Chinese children – and we do teach Chinese….” Doch letztlich geht es den Chinesen um etwas anderes: O-Ton Papachristou: „Chinesen – ihr erstes Interesse ist Shopping. Wirklich! Sie möchten Europa besuchen, durch viel Länder reisen, Lifestyle und die Sehenswürdigkeiten sehen, aber natürlich auch: Shoppen. Grund Nummer zwei, für die Geschäftsleute, ist es, Zugang zur den EU-Märkten zu bekommen. Und erst danach kommen Gründe wie: Hier ein Haus am Meer zu besitzen oder hierher in den Urlaub zu kommen.“ Atmo: Dokument mit Immobilien zeigen Papachristou hat etliche Immobilien in ganz Griechenland im Angebot. Schnäppchen, jetzt in Krisenzeiten. Atmo: Luxus-Immobilie zeigen; “This property is a seaview and seafront property…” Eine Villa mit 2000 Quadratmeter Grundstück und Pool direkt am Meer. Früher 3,8 Millionen, jetzt für beinah die Hälfte zu haben. O-Ton Papachristou: „Seit 2008 – das war das letzte Jahr, in dem der Immobilienmarkt noch normal lief, ohne ökonomische Probleme… seitdem sind die Preise um 38 Prozent gefallen. Das macht Immobilien in Griechenland zurzeit attraktiv. Aber weil alle wissen, dass Griechenland ökonomisch unter Druck steht, versuchen sie, den Preis noch weiter runterzuhandeln. Noch weniger zu zahlen als eh schon.“ 22 Früher galt der Bau- und Immobiliensektor als der Motor der griechischen Wirtschaft. In der Krise ist die Branche fast komplett zusammengebrochen. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt fiel von knapp acht auf etwa zwei Prozent, 250.000 Jobs gingen verloren. Doch jetzt, hofft Papachristou, geht es wieder aufwärts. Zumindest in seinem Viertel Glyfada. Ein paar Kilometer von seinem Büro entfernt liegt der ehemalige Flughafen Athens „Hellenikon“. Er soll privatisiert – und zu Bauland werden. Atmo: Aufbruch Büro / Gang zum Auto / Auto starten Der Unternehmer schnappt sich seine Autoschlüssel, um das Gelände zu zeigen. Wieder geht es die Küstenstraße entlang. O-Ton Papachristou: Das hier war eine der berühmtesten Urlaubsregionen, nicht nur in Griechenland, sondern weltweit. Nette Clubs waren hier, und das Nachtleben der 70er. Heute sind die Glamour-Clubs zu Bretterbuden heruntergekommen, in denen Obdachlose hausen. An den ehemaligen Privatstränden spielen die Anwohner Beachball, angeln und führen ihre Hunde aus. Nach ein paar Minuten hält er an einem rostigen Drahtzaun und blicken auf das riesige Betonfeld: der ehemalige internationale Flughafen Athens. Seit 2002 stillgelegt. Atmo: Aussteigen O-Ton Papachristou: „Vor uns sehen wir den ehemaligen Flughafen. Es ist ein Riesengebiet von 6,5 Millionen Quadratmetern. Mehr als doppelt so groß wie Monaco.“ Zwischen den Betonplatten wachsen Büsche, am Rande des Rollfelds rostet eine ausrangierte Boing 747 der Olympic Airline vor sich hin. Die Triebwerke abmontiert. Bald sollen hier Parks, Luxusappartements, Hotels und Casinos stehen. 23 O-Ton Papachristou: „Es ist ein Acht-Milliarden-Projekt, haben die Investoren gesagt.“ Eine Investorengruppe hat das Gelände in einem umstrittenen Bieterverfahren vom Staat gekauft – zu einem Spottpreis. Mit dabei: der griechische Oligarch Spiros Latsis und Investoren aus China. Papachristou stört sich daran kaum. Er hofft, dass das Großprojekt sein Viertel und auch seine Firma aus der Krise führt. O-Ton Papachristou: „Nicht nur diese Region, ganz Attica wird das Projekt wieder in Gang bringen. Denn es ist das größte Bauprojekt in Europa zurzeit. Es wird frischen Wind in die Region rund um Athen bringen.“ MUSIK 5 LITERATUR 4 Aus der Arbeit entlassen zu werden ist wie ein gebrochener Knochen. An dein Nachmittag, als man uns entlassen hatte, ging ich zum Hafen hinunter. Zu Fuß von Korydallos wie gejagt, Chalkidona, Maniatika, Thermopylon-Straße und dann schnurstracks nach Agios Dionysios und zum Hafenpier für die Kreta-Fähren. Wie gejagt ging ich, weil der Tag, ich weiß nicht, der war entsetzlich, Juli, Nachmittag, die Stadt war ganz schwarz vor Hitze. Ich kam nur mühsam voran, als wäre etwas in mir zerbrochen. Diese Bemerkung von Anis hatte sich in mir verhakt, was er gesagt hatte, als er den Schrank ausräumte und seinen Overall zusammenlegte und die Handschuhe und den dicken kakifarbenen Gürtel und all die alten Kleider, die er getragen hatte, die legte er so bedächtig und schonend zusammen, als ob es keine Arbeitsklamotten wären, nicht dreckig, löchrig, verschmiert, sondern die Kleider von einem, der plötzlich gestorben ist und alles hinter sich gelassen hat, und irgendein Lebender müsste sie aufräumen, einer muss das ja immer machen, einer muss immer die Sachen der Toten aufräumen, weil die Sachen, die die Toten hinterlassen, die letzte Leine sind, und irgendein Lebender muss sie immer lösen, die Leine, denn kein Mensch ist eine Insel, stimmt doch, wir sind alle Schiffe. Das hatte Aris gesagt. Aus der Arbeit entlassen zu werden ist wie ein gebrochener Knochen. 24 REPORTAGE 5 Atmo: Telefonat; Thomas Kunstmann (dt.): „Ich glaube - ich bin gerade erst zurück von der ‚Pro Wein’ - der Zulieferer hat die Flaschen noch nicht angeliefert und deswegen konnten wir sie noch nicht abfüllen. Das muss ich noch kontrollieren. Soll ich sie zurückrufen?“ Atmo: Büro Bei Thomas Kunstmann klingelt heute unablässig das Telefon. Der Exportchef von „Greek Wine Cellars“ – Griechenlands größte Weinkellerei – war ein paar Tage nicht im Büro, sondern auf einer Weinmesse in Düsseldorf. Jetzt fragt ein Kunde aus Deutschland, wo denn seine Rotwein-Flaschen bleiben. Und dann gehen auch noch zahlreiche neue Bestellungen ein. Atmo: Telefonat – Verabschiedung; Kunstmann (dt.): „Ok, werde ich machen, werde ich machen. Innerhalb der nächsten Stunde werde ich das wissen. Ok, Tschüß.“ Seit ein paar Jahren ist der Grieche mit deutschen Wurzeln nicht nur in Kanada, den USA und Deutschland in Sachen „Griechischer Wein“ unterwegs. Auch die „Pro Wine“ in Shanghai oder die „Wine Exposer Pacific“ in Hongkong gehört mittlerweile zu seinen Standardterminen, erzählt er, nachdem er die Telefonate erledigt hat. Denn: China – das ist die Zukunft. Eine bisher noch kaum erschlossene Region - zumindest was Wein betrifft. O-Ton Thomas Kunstmann (dt.): In China gibt es auch keine Weinkultur als solche. Die Chinesen trinken Rotwein, allerdings, das ist das Lustige, die füllen ihr Glas voll - und dann wird das ex und hopp runtergeschüttet. Komplett anders als wir das kennen. Eine Vorstellung, bei der jeder Sommelier wohl in Tränen ausbricht. Aber Thomas Kunstmann gibt nicht auf. Schließlich prognostizieren Marktforscher dem Land der Mitte eine große Zukunft als Weintrinkernation: Spätestens 2020 soll China zum größten Weinmarkt weltweit herangereift sein. O-Ton Kunstmann (dt.): Und von daher ist es wichtig, unter den Ersten zu sein, die dort sind, um auch eine gute Ausgangsposition zu 25 bekommen. Denn je später man anfängt, dort aktiv zu werden, desto schwieriger wird es dann. Das Büroschränkchen neben Kunstmanns Schreibtisch ist komplett zugestellt mit Weinflaschen: Assyrtiko aus Santorin, Retsina aus der Region Attica, Imiglikos, Montenero. Alles Weinsorten, die nur auf durstige Chinesen warten. Egal, ob sie ihn Schlückchenweise trinken, oder auf Ex Kippen. O-Ton Kunstmann (dt.): Die Chinesen trinken schon Wein, die haben ja mit Weintrinken angefangen, allerdings die Oberschicht, und das heißt: mit teuren Weinen, hauptsächlich aus Frankreich, Italien. Die Chinesen müssen erst den griechischen Wein kennen lernen, die Geschichte, um dann die Nachfrage zu kreieren, damit sie den griechischen Wein auch kaufen. Also, das was wir jetzt suchen ist ein Distributionspartner, mit dem ich anfangen kann zu arbeiten – und mit dem wir die verschieden Regionen Chinas beliefern. Bisher gibt es kaum Weinhändler, keine griechischen Restaurants – keine Großabnehmer für Kunstmanns Weine. Olivenöl und Marmor werden schon in größeren Mengen nach China verschifft. Bis sein Unternehmen auf dem chinesischen Markt richtig Fuß fassen kann, wird es noch mehrere Jahre dauern, sagt der schlaksige 45-Jährige. Atmo: Runtergehen Kunstmann läuft zur Abfüllstation, will Klären, wo die Flaschen für den Kunden aus Deutschland geblieben sind. In einer Stunde hat er versprochen, ruft er zurück. Atmo: Abfüllstation erklären; Kunstmann (dt.): „Hier sehen sie, hier kommen die neuen Flaschen an, werden gewaschen, werden abgefüllt, hier kommt die Korken rein, dann die Kapsel und das Etikett. Atmo: Mit Produktionsleiter sprechen Alles automatisiert. Über die Fließbänder der Abfüllstation zuckeln die in Deutschland so heiß ersehnten Rotweinflaschen. Atmo: Flaschenklirren Imglikos, steht auf dem Etikett. Ein trockener Rotwein aus Patras. Weinbeschreibung, Herkunftsort und Zutaten, alles auf Deutsch. Für die 26 Chinesen käme so etwas nicht in Frage, sagt Exportleiter Kunstmann, als er sich wieder zu uns gesellt: O-Ton Kunstmann (dt.): Die Weine werden mit Original-Etiketten bevorzugt. Die wollen unter keinen Umständen ein chinesisches Etikett auf der Weinflasche haben. Aus dem einfachen Grund, weil sie dann sicher sind, dass es auch ein Originalprodukt ist. Atmo: Abfüllstation An den Abfüllstationen in der Nachbarhalle wird für den heimischen Markt produziert. Ein Geschäft, das für seine Groß-Winzerei trotz der Krise noch ganz gut läuft, sagt Kunstmann. Getrunken wird immer. O-Ton Kunstmann (dt.): Die Weinmenge ist nicht so sehr zurückgegangen, also eher: die Preisklasse hat sich geändert. Es wird in Griechenland jetzt preisgünstigere Wein nachgefragt, als vor fünf Jahren. Kleinere Winzer, die High-Class-Weine keltern, müssen sich nun eher nach neuen Märkten im Ausland umsehen. Chinas Aufstieg zur Weintrinkernation könnte für sie die Rettung sein. O-Ton Kunstmann (dt.): Stellen Sie sich vor, in den letzten Jahren ist das Bruttosozialprodukt um 25 Prozent gesunken. Das heißt, der griechische Konsument hat sehr viel weniger Geld zur Verfügung für den Konsum. Und deswegen haben sich auch die meisten Firmen, auch solche, die sich vorher noch nicht mit dem Export beschäftigt haben, konzentrieren sich auf den Export. Nicht unbedingt nach China ausschließlich, in die ganze Welt, aber die Exportwirtschaft ist schon wichtig für Griechenland und die griechische Wirtschaft. Atmo: Lagerhalle Kunstmann muss zurück ins Büro; den Deutschen Bescheid geben, dass ihr Wein in wenigen Stunden abgefüllt ist und bald auf den LKW geladen wird. In einer der Lagerhallen werden die Weine auf Europaletten gestapelt – für den Export in 35 Länder. O-Ton Kunstmann (dt.): Die Chinesen sind interessiert an trockenen Rotweinen. Wobei ich davon ausgehe, dass es darauf fußt, dass sie als allererstes mit trocknen Rotweinen in Kontakt gekommen sind durch die französischen Weine 27 und das eher eine Modeerscheinung ist und weniger auf Geschmack basiert. Die Franzosen haben bisher beim Weinexport nach China die Nase vorn, gesteht Kunstmann. Denn selbst wer bisher nur Reiswein getrunken hat, weiß, dass dort Edle tropfen gekeltert werden. Von griechischen Weinen haben dagegen nur wenige gehört. O-Ton Kunstmann (dt.): Aber wir arbeiten daran, dass sich das ändert. Dabei haben wir auch einen Vorteil: Die Chinesen kennen die griechische Geschichte sehr gut und bewundern die antike griechische Kultur. Und das kann für uns auch ein Türöffner sein in China. Den Geschmack seiner neuen Kundschaft hat er jedenfalls schon ganz genau studiert. O-Ton Kunstmann (dt.): Chinesen trinken ja sehr viel. Das heißt, wenn sie denn am Abend den Wein getrunken haben, und das tun sie auch in relativ großen Mengen, dann dürfen sie am nächsten Tag keine Kopfschmerzen haben. Also, wenn das zutrifft, dann ist das gut und ein Qualitätskriterium für den chinesischen Konsumenten. MUSIK 6 Pekings Tor nach Europa - China auf Einkaufstour in Griechenland. Das waren „Gesichter Europas“ mit Reportagen von Leila Knüppel und Manfred Götzke. Die Literaturauszüge stammen aus dem Erzählband „Warte nur, es passiert schon was. Erzählungen aus dem heutigen Griechenland“ von Christos Ikonomou. Erschienen 2010 im Beck-Verlag. Musik und Regie: Babette Michel Redaktion: Thilo Kößler ------------------------- 28
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