Von der Innigen Dyade zur inspirierenden Triade

DOBRY DEN!
VON DER INNIGEN DYADE ZUR INSPIRIERENDEN TRIADE
Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
In den Armen liegen sich beide
Und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Auge tränenleer,
Und zum Könige bringt man die Wundermär';
Der fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt schnell vor den Thron sie führen,
Und blicket sie lange verwundert an.
Drauf spricht er: "Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen;
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Dritte!"
„...in den Armen liegen sich beide und weinen vor Schmerzen und Freude“...welch wunderschöne, innige Dyade, einander weinend in den Armen liegen, einander zutiefst und ausschließlich lieben, im
Leben und im Tod, losgelöst von Zeit und Raum, entrückt von der Umwelt.
Eigentlich hätte Schiller die Ballade hier beenden können....doch er hat sie genial trianguliert: „Ich sei,
gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte!“ Und nach all den verzweifelten Versuchen des Helden, die Dyade wieder herzustellen – wird sie zum Schluss zur Triade…eine Triade, und damit all die
Inspiration, aber auch all die Schwierigkeiten, die eine Triade mit sich bringt: Ausgeschlossenheit,
Phantasien über die Beziehung der beiden anderen, Rivalität, Neid, Eifersucht,...
Nun ist es notwendig, sich selbst zu behaupten und aus den Fesseln der Dyade herauszuwachsen in die
eigene Identität.
Was wohl aus dieser Triade geworden ist?
Im Grunde sind alle zwischenmenschlichen Beziehungen triadisch strukturiert, weil jedes Kind zwei
Eltern hat. Dennoch hat es sich bewährt, am Konzept auch einer Dyade festzuhalten.
Ein Idealbild der Dyade – durch die unbefleckte Empfängnis befreit vom leiblichen Dritten – Madonna mit dem Kind. Über die Herkunft des Kindes und die Urszene brauchen wir nicht phantasieren,
denn es wurde ohne Josefs Beteiligung vom Heiligen Geist empfangen.
1. Bild:Lucas Cranach: Mutter mit Kind, 1533
Seite 1 von 8
Ganz innig wendet sich das Jesuskind der Brust der Mutter zu....sein Universum, Nahrung, Zärtlichkeit, Schutz, Wärme, Urliebe.
Bollas spricht von der frühesten Erfahrung des Säuglings mit einer Mutter, deren Erscheinen die Welt
verwandelt (Bollas 1987).
Der Säugling ist verzweifelt, allein, hungrig und wütend, bis die Mutter kommt. Und jetzt verwandelt
sich das Selbst und die Umwelt. Gerade noch hat er verzweifelt geschrieen; jetzt wird er an der Brust,
in den Armen der Mutter still und saugt zufrieden. Bollas nennt diese frühesten Erfahrungen, für die
der Säugling noch keinen Namen hat, das „ungedachte Bekannte“ (Bollas, S. 16), nach dessen Wiederkehr der Mensch später ein Leben lang auf der Suche ist....die Suche nach der Rückkehr ins Paradies.
Der kleine Engel schützt die Dyade durch einen schweren, dunkelroten Samtvorhang vor den Blicken
und Beobachtungen von Dritten. Maria und ihr Kind haben die Augen beinahe geschlossen...wie der
zugezogene Vorhang ein Ausblenden der Umwelt, um ganz innig die ausschließliche Nähe zwischen
ihnen beiden zu genießen. Der Säugling kann sich ganz Marias Brust und seiner satten Zufriedenheit
widmen, der gemeinsamen „rêverie“.
Der kleine Engel definiert aber auch den Raum zwischen Mutter und Kind, den Zwischenraum, wie
Winnicott (1951, dt. 1971) sagen würde...eingebettet in roten Samt und Marias rotem Kleid.
2. Bild:
Lucas Giordano (1634-1705): Venus, Mars und Cupido
Der Zwischenraum verbindet und trennt gleichzeitig. Trennung und Symbolisierung sind kausal mit
einander verbunden.
Von Bion stammt die Erkenntnis, dass Symbolisierung erst mit dem Erleben von Abwesenheit beginnt. Keine Brust – deshalb ein Gedanke.
Mit dem Dritten – dem Repräsentanten der väterlichen Position – treten Zeit und Tod ins Leben.
In der Bibel endet die Dyade so: Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben.
3. Bild
Seite 2 von 8
Michelangelo: Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies (1508-1512):
Hier sehen wir das Ende des paradiesischen Zustands. Der Verlust des Paradieses, der Glückseligkeit,
der phantasierten Verschmelzung mit der Mutter, mit der Geliebten, der Aufbruch der Dyade durch
Trennung und Tod.
Verbot und Strafe bilden den Triangulationspunkt, wie man in der Mathematik sagen würde: Aus dem
Verbot entsteht einerseits Ambivalenz , die ertragen werden muss und andererseits die Notwendigkeit,
sich zu entscheiden: Adam und Eva essen den Apfel und werden aus dem Paradies vertrieben – nach
dem Sündenfall: zerzaustes Haar, verzweifelt...
Sehen wir uns nun Michelangelos Schlange genauer an: sieht sie nicht aus, wie das Alter Ego von
Eva? Stellt sie die verdrängte böse Seite Evas dar? Verschlingend, umklammernd? Drückt diese Szene
die Ambivalenz der archaischen Mutter gegenüber aus? Die Aggression, die der Triangulierung vorausgeht?
Und weil wir immer Sehnsucht haben, in die Dyade zurück zu kehren, fliegt ein Cherub mit flammendem Schwert vor dem Eingang des Paradieses. Wir können nicht zurück – das narzisstische Universum bleibt uns verschlossen, die Individuation und Entdeckung des Geschlechtsunterschiedes lassen
sich nicht rückgängig machen.
4. Bild:
Seite 3 von 8
Das nächste Bild trägt den Titel Schlüsselloch und stammt von mir. Die Vertreibung aus dem Paradies
wird in der Psychotherapie auch als Eintritt des Kinds in die symbolische Ordnung einer Dreierbeziehung bezeichnet, die sich um die Urszene konzentriert.
Als Reaktion auf die Erfahrung des Alleinseins kommt es auch zur Entdeckung des Selbst. Denn nur
indem sich das Kind seines eigenen Begehrens bewusst wird, kann es sich an die Stelle eines der beiden Elternteile phantasieren (Kreuzidentifikation, Winnicott 1974).
Was ist nun das Inspirierende an der Triade?
In der „Inspiration“ steckt „Spiritus“, der Geist. Die Mentalisierung lässt sich nach Blanck & Blanck
als Entwicklung von „“lving in the body to living in the mind“ beschreiben.
Parallel dazu entwickelte sich die Malerei in der Zeit der Renaissance als eine Wiedergeburt des Geistes.
5. Bild:
Dyade: Übereinstimmung, Harmonie bis hin zur Symbiose
Triangulierung: innerer Raum, in dem die Auseinandersetzung mit dem Fremden und Neuen zu Reflexivität und Kreativität führt.
Caravaggio: Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1594
Geteiltes Bild: Mutter – Kind – Dyade. Ausgeschlossener Vater: Imagination...Engel:
Erotik (entblößter junger Mann) + Kunst (spielt Violine)
Freud sieht den Ursprung eines Kunstwerkes in der Abwehrleistung des Ichs durch Sublimierung.
Seite 4 von 8
6. Bild:
Bartholomäus Spranger, 1546-1611: Venus, Merkur und Amor.
Amor wird ausgeschlossen und bekommt eine Augenbinde…dahinter als kreative Leistung: Imagination.
Winnicott beschreibt, wie Objekte erst dann zur Erschaffung psychischer Räume im Rahmen der Triangulierung „verwendet“ werden können, wenn sie die Angriffe des Kindes in vielen Tests überstanden haben.
Dyade, Triade und die gelebten erotischen Beziehungen
In jeder Zweierbeziehung gibt es gleichzeitig Tendenzen zu und Ängste vor einer Öffnung der innigen
Nähe zu einer als ambivalent erlebten Dreierbeziehung. Je nach Reife des erotischen Phantasielebens
werden präödipale und ödipale Triangulierungen unterschieden. Das heißt auch, dass unterschiedliche
Affekte von Bedeutung sind.
Neid, ein dyadisch determinierter Affekt, sucht die Dyade zu zerstören, während Eifersucht, ein Affekt
aus dem triadischen Kontext, potentiell die Zweierbeziehung vor dem eindringenden Dritten zu beschützen sucht.
7. Bild: Jalousie
Seite 5 von 8
Das Bild „Jalousie“ ist wieder von mir. Im Französischen bedeutet „jalousie“ sowohl Neid als auch
Eifersucht. Der Blick durch die Lamellen der Jalousie als fein steuerbare Zwischenwand ist in ihren
vielfachen Verbindungen zur Erotik Gegenstand dieses Gemäldes. Wird das Paar vom Dritten eifersüchtig belauscht? Ist der ausgeschlossene Dritte ein Voyeur, ist er bedrohlich in seiner massigen Körperlichkeit? Warum schützt sich das Paar nicht besser? Möchten die beiden beobachtet werden und
zeigen sich gerne? Wird ihre Lust dabei größer, oder wird sie durch sich meldende Schuldgefühle eher
kleiner? Woher kommt der Dritte?
8. Bild:
Es soll nicht der Eindruck entstehen, Dyade oder Triade seien mehr oder weniger wert. Im Gegenteil,
für die gesunde psychische Entwicklung zählen beide, dyadische und triadische Muster, in ihren
Wechselwirkungen zu den wichtigsten Wachstumsstimulatoren.
Die günstigste Voraussetzung für die psychische Entwicklung des Kindes ist das „dynamische Wechselspiel zwischen Dyade und Triade.“ (Metzger 2002).
In meinem Bild mit dem Titel „Triade“ symbolisiert bei einer Operation die dritte, im Hintergrund nur
angedeutete Figur, die Bildung des Dreiecks. Aber auch ohne sie wäre es eine triadische Situation:
Zwei Personen widmen einander und der gemeinsamen Aufgabe ihre Aufmerksamkeit.
Das Kind hat durch die Interaktionen mit dem Vater die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven in
Objektbeziehungen einzunehmen. Es kann dabei den Spielraum immer weiter vergrößern (Winnicott
1951)
Triangulierung ist somit ein Prozess, der sich auf die gesamte Entwicklung des Kindes bezieht. Es ist
kaum vorstellbar, dass das Kind ausschließlich in einer Symbiose mit der Mutter lebt, da dies einen
Stillstand in der Entwicklung bedeutet. (Metzger 2002).
9. Bild
Seite 6 von 8
Künstler/innen haben intuitiv verstanden, dass im Prozess des Sterbens dyadische Erfahrungen wieder
wichtiger werden. In vielen Darstellungen zeigt die „Pieta“ das Thema prototypisch. In meiner eigenen Version habe ich dies durch Verschwimmen der Farben und Farbauftrag mit dem Schwamm maltechnisch umgesetzt.
Die konzentrierte Leiderfahrung drückt eine so innige Vereinigung von Mutter und Sohn aus, wie dies
vermutlich nicht einmal für das Bild der Madonna mit Kind gilt – ein im Leiden vereintes grandioses
Paar. Der Vater als ödipaler Dritter ist dabei ausgeklammert; er hat hier keinen Zugang.
(Rohde-Dachser, In den Himmel kommen, ohne zu sterben).
Eine Rückkehr in den narzisstischen Urzustand, in dem das Kind noch ozeanisch mit seiner Umgebung verschmolzen ist, in einer Daseinsform, in der es weder Anfang noch Ende gibt. Wir können uns
eine solche Existenz nur in der Rückschau vorstellen, denn in der Realität, in der wir leben, herrschen
Zeit, Endlichkeit und damit auch der Tod.
Und wie ist es mit der Dyade und Triade beim Malen?
10. Bild:
Jan Vermeer, Die Malkunst, 1666/68
Triade: Künstler – Modell –Kunstwerk:
11. Bild:
Seite 7 von 8
Triade: Künstler - Kunstwerk - Betrachter
Die Wirkung des Kunstwerks lässt sich als interaktionelles Geschehen zwischen dem Künstler und
dem Betrachter verstehen..
Das 12. Bild stammt von Caravaggio (1597): Medusa. „…wenn du sie siehst, fliehe, denn sie wird
auch dich zu Stein verwandeln...“.
Danke für ihre Aufmerksamkeit. D` akujem.
Zusammenfassung:
Ein Beitrag zur Entwicklung der Kreativität in der Malerei
Es wird im Kurzvortrag gezeigt, dass die Entwicklung der Kreativität verbunden ist mit einer Transformation von Objektbeziehungsrepräsentanzen. Dyadische Erfahrungen müssen in ausreichender
Qualität und Quantität gemacht worden sein, damit eine zunehmende Triangulierung und ein Erleben
triadischer Muster möglich werden. Damit kann „Innigkeit“ zur „Inspiration“ werden. Die Kreativität
in der Malerei ist somit wesentlich geprägt durch früh entstandene und lebenslang wirksame Repräsentanzen mit dialektischem Charakter. Die Vortragende, selbst Künstlerin, exemplifiziert ihre Thesen
an bekannten Kunstwerken und an eigenen Gemälden.
Autorin:
Dr. Barbara Laimböck
Ärztin, Psychotherapeutin für KIP und Hypnose
Literaturliste:
Blanck, G. und Blanck, R. (1989): Ich – Psychologie II. Stuttgart: Klett - Cotta
Bollas, Christopher (1987): Der Schatten des Objekts. Das ungedachte Bekannte: Zur Psychoanalyse
der frühen Entwicklung. Stuttgart: Klett Cotta)
Grieser, Jürgen (2011): Architektur des psychischen Raumes. Die Funktion des Dritten. Gießen: Psychosozial-Verlag
Metzger, Hans-Geert (2000): Zwischen Dyade und Triade. Tübingen: Edition Diskord
Rohde-Dachser, C. (2001): „Aggression, Zerstörung und Wiedergutmachung in Urszenenphantasien.
Eine textanalytische Studie.“ Psyche - Z Psychoanal: 55: Stuttgart: Klett Cotta
Schiller, Friedrich (1999): „Die Bürgschaft“ Friedrich Schiller. Gedichte. Stuttgart: Reclam
Winnicott, D.W. (1951, dt 1971): Kreuzidentifikation. In: Derselbe, Spiel und Realität. Stuttgart:
Klett-Cotta
Seite 8 von 8