PANORAMA DK Nr. 154, Mittwoch, 8. Juli 2015 Insgesamt 60 Kinder und Jugendliche – die meisten sind Mädchen – haben im Jipe-Moyo-Zentrum in Musoma ein neues Zuhause gefunden. Fotos: Wermter Der steinige Weg der Frauen Tansanias Musoma (DK) Drohgebärden, schrilles Gekeife, Aggression – es ist kein krachledern-derbes Bauernstück, sondern ein unter Umständen real werdender Albtraum im Alltag einer Witwe in Tansania: Sie soll einen der Brüder ihres Mannes heiraten, meint die Familie des Toten. Andernfalls kann die Frau gehen, ihre Kinder bleiben im Dorf. Punkt. Ein Team von Katecheten zeigt die kurze Szene in der Gemeinde Kiagata im Norden des ostafrikanischen Landes. Im Spiel – zugeschnitten auf die meist analphabetische Dorfgemeinschaft – hat das Geschehen durch die Mithilfe einer Katechetin ein glückliches Ende. Die Witwe darf bleiben, ohne das Bett mit dem Schwager teilen zu müssen. Es sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Regina Andrea Mukama, die mit ihrer kleinen Inszenierung in den Dörfern nahe dem Victoriasee der Tradition der Witwenvererbung trotzen wollen. „Mama Regina“ weiß, wofür sie kämpft. Vor Jahren erlebten sie und ihre Kinder exakt diese Situation. Mit der ihr eigenen unerschrockenen Hartnäckigkeit entkam sie diesem Schicksal. Heute ist sie eine Art Frauenbeauftragte des Bistums Musoma, kämpft gegen menschenverachtende Bräuche, gegen weibliche Beschneidung, gegen Unrecht und geschlechtsspezifische Ungerechtigkeit. „Die Frauen werden wie Werkzeug benutzt“, sagt die ausgebildete Lehrerin. „Sie müssen arbeiten, bei Familienangelegenheiten dürfen sie nicht mitreden und sie verfügen weder über Eigentum noch ein eigenes Einkommen.“ Das müsse sich ändern. In Bischof Michael Msonganzila hat sie einen überzeugten Mitstreiter gefunden. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um Zwangsheirat oder Genitalverstümmelung geht. Während der zweiten afrikanischen Synode 2009 hat er sich offen gegen die Tradition der Frauenbeschneidung ausgesprochen. Seine Diözese Musoma ist eine von 34 in Tansania, sie ist eine der ärmsten. „Geschätzt 280 000 Katholiken leben im Bistum“, sagt er. Wegen fehlender Erhebungen lasse sich die Zahl allerdings nicht genau sagen. Mit Regina Mukama hat er verschiedene Hilfsprojekte hochgezogen. In Musoma etwa unterhält das Bistum das JipeMoyo-Zentrum. Derzeit leben 60 Kinder und Jugendliche dort. Es sind Mädchen, die vor der Beschneidung in ihren Dörfern geflohen sind, und Straßenkinder, die eine Überlebenschance bekommen. Regina Mukama Im Osten Afrikas ist das Leben der Mädchen und Frauen häufig von Gewalt und Ungerechtigkeit gezeichnet. Ein Besuch bei katholischen Hilfsprojekten zeigt, dass allmählich ein Umdenken einsetzt. Von Angela Wermter Bischof Michael Msonganzila und Regina Mukama sind die treibende Kraft hinter den Frauenförderprojekten in der Diözese Musoma. Mit einem kleinen Theaterstück leisten Mitarbeiter Überzeugungsarbeit in den Dörfern. Zur Gabenbereitung darf sich Bischof Michael auch schon mal über eine lebende Ziege freuen. erzählt von Gris und ihrem Bruder. „Sie war 9 Jahre alt, ihr Bruder 6“, sagt Mukama. „Sie wurden weinend auf einem Markt entdeckt. Ihre Mutter hatte sie einen Tag zuvor zurückgelassen.“ Weil Regina und ihre Projekte allgemein bekannt sind, wurde sie von Marktbesuchern informiert. Die Kinder kamen dauerhaft in Jipe Moyo unter. „Heute ist Gris 17 Jahre alt. Heiraten will sie nicht, sie will Katechetin werden“, so Regina Mukama. „Und sie weiß, dass sie noch einen langen Weg vor sich hat.“ Vorübergehend Unterschlupf finden von Beschneidung bedrohte Mädchen auch in anderen katholischen Camps im Bistum Musoma. Die Einrichtungen füllen sich regelmäßig im Dezember – dann nämlich ist traditionell Beschneidungszeit. Die Kinder sind manchmal mit, häufig aber ohne die Unterstützung der Eltern geflohen. Denn in den Dörfern hat der Clanchef das Sagen. Er wählt die Mädchen aus und kaum ein Stammesmitglied wagt den offenen Widerspruch. Meist sind die Mädchen 14, es gibt aber auch weit jüngere Opfer. Etwa 18 Prozent der Frauen und Mädchen im Alter von 15 bis 49 Jahren in Tansania sind beschnitten. „Für die Clanchefs sind Beschneidungen eine Geldquelle“, sagt Bischof Michael. „Und die Beschneiderinnen, die ,cutterinnen’, leben ganz gut von ihrer Arbeit.“ Das Problem sei, alternative Einkommensquellen zu erschließen. In längst nicht allen Stämmen Tansanias hat die Beschneidung Tradition. Seit 1998 ist die Genitalverstümmelung verboten – offiziell. Dennoch wird der unsägliche Brauch weiter praktiziert. In ländlichen Regionen doppelt so häufig wie in den Städten. Wobei die Form der Beschneidung variiert. Die höchste Anzahl beschnittener Frauen findet sich im Norden und in der Zentralregion Tansanias. Winziger Hoffnungsschimmer: 1996 wurden 18 Prozent Beschneidungen registriert, 2010 sank die Zahl auf 15 Prozent. Der erbitterte Widerstand von Mama Regina und ihren Mitstreitern scheint auch in Musoma ganz langsam Früchte zu tragen. Dennoch ist sie misstrauisch: „Wir wissen nicht, wie viele Mädchen heimlich beschnitten werden.“ Denn in traditionsverhafteten Clans führt der Verzicht auf Beschneidung zu gesellschaftlicher Ächtung. Bekannt ist, dass in 23 der 31 Pfarreien Musomas weiterhin beschnitten wird. Abseits von Traumstränden und touristischen Sehnsuchts- 3 zielen wie dem Kilimandscharo herrscht eben in einigen Regionen Tansanias Steinzeit in Sachen Frauenrecht. Für Bischof Michael und Regina Mukama ein weites Aufgabenfeld, das sich nur mit einem gut ausgebauten Netzwerk angehen lässt. Mittlerweile sind es verschiedene Mädchen- und Frauenförderprojekte, in denen ausgebildet und gearbeitet wird – ob in der Landwirtschaft oder im Handwerk. Im Ladenprogramm Tupendane für Frauen unterschiedlichen Alters wird genäht, gewebt, gebastelt, Bücher werden verkauft. Die 65jährige Berta hat einen weniger „typisch“ weiblichen Weg des Geldverdienens eingeschlagen: Sie tischlert Särge. Und all das Engagement hat die Rückendeckung von Bischof Michael. An diesem Sonntag hat er Besucher aus Bayern nach Kiagata begleitet. Die Menschen in diesem verarmten, staubigen Landstrich mögen ihn. Sie haben sich fein gemacht, der Empfang ist fast rührend familiär. Das ganze Dorf scheint zum Gottesdienst in die kleine Kirche mit ihren schmalen, harten Holzbänken gekommen zu sein. Der 50köpfige Chor hat seinen großen Auftritt. Es wird fröhlich gesungen, geklatscht, getanzt. Die Musik steuert ein HammondOrgelspieler bei. Die Percussion kommt vom Band – man hört den Eucharistie-Rap. Ehrfürchtig gebetet wird natürlich auch. Fröhlichkeit und feste Glaubensüberzeugung müssen sich eben nicht ausschließen. Dass Deutschland elf Flugstunden weit weg ist, zeigt sich auch bei der Gabenbereitung. Da wird unter anderem in Naturalien für die noch ärmeren Glaubensbrüder und -schwestern im Bistum gespendet. Die Gottesdienstbesucher überreichen Kanister mit Milch, Tüten voller Maiskolben und Seifenpäckchen. Und die wertvollste Gabe kommt zum Schluss: Auf Händen getragen findet auch noch eine lebende Ziege den Weg zum Altar. Verdient selbst Geld: Berta arbeitet als Sargtischlerin. „Furchtlos“ heißt der Wahlspruch der neuen missioAktion. DIE AKTION Das katholische Hilfswerk missio München hat seiner neuen Aktion den Namen furchtlos gegeben. Die Aktion hat im Besonderen Frauenförderung und Bildungsarbeit im Blick. Im Weltmissionsmonat Oktober ist Tansania Schwerpunktland. Gastgeber der Veranstaltungen ist das Bistum Eichstätt, das ebenfalls verschiedene Projekte unterstützt. Eine kleine Delegation mit Teilnehmern von missio und dem Bistum haben im Vorfeld Hilfsprojekte in dem ostafrikanischen besucht. Regina Mukama und Bischof Michael Msonganzila werden im Oktober zu Gast in Eichstätt sein. DAS LAND Der Weltentwicklungsindex listet 175 Länder auf. Tansania steht an 160. Stelle. Das Land im Osten Afrikas ist bitter arm. Das Durchschnittseinkommen liegt bei umgerechnet 45 US-Dollar im Monat. Noch ein paar Zahlen: n Fläche: 945 087 Quadratkilometer n Einwohnerzahl: 49 253 126 (Stand: 2013) n Religion: 30 bis 40 Prozent Christen, gleicher Prozentsatz Muslime n Hauptstadt: Dodoma n Regierungssystem: Präsidialsystem n Amtssprache: Swahili (Nationalsprache), Englisch n Unabhängig seit 9. Dezember 1961 DK
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