13. Newsletter Josquin - Das Projekt vom 16. September 2015 Glauben und Zweifeln, grundlegende menschliche Erfahrungen beschäftigen uns in einem Konzert zum Reformationstag. Aus diesem Anlass standen uns zwei Persönlichkeiten des Leipziger Kirchenund Musiklebens Rede und Antwort – lesen Sie das spannende Interview mit Thomaskirchen-Pfarrerin Britta Taddiken und mit Leipzigs Chef-Musikkritiker Peter Korfmacher über Musik, die stärkt oder einlullt, und persönliche Sichtweisen auf Glauben und Zweifeln. Außerdem erwartet Sie in diesem Newsletter: 1.) 2.) 3.) 4.) Rückblick: XXVIII. Projektkonzert – Missa L’Homme Armé – So geht Josquin Über Josquins „protestantische“ Musik und Tönestürmerei in der katholischen Kirche – Interview mit Pfarrerin Britta Taddiken und Musikkritiker Peter Korfmacher Glauben und Zweifeln – Konzert zum Reformationstag Vokalpolyphonie aus dem Stegreif: 4. Leipziger Improvisationsfestival für Alte Musik 1.) Rückblick: XXVIII. Projektkonzert – Missa L’Homme Armé – So geht Josquin 2015 erklingt in Leipzig das Gesamtwerk des Genies Josquin des Préz seit über zehn Jahren. Doch wie viel verstehen wir beim Hören? Dieser Frage ging das 28. Projektkonzert am 29. Mai nach: Im faszinierenden Ambiente der „Trillerpfeifenebene“ des Museums der bildenden Künste Leipzig enthüllten der Kammerchor Josquin des Préz sowie diverse Solisten, moderiert von Dr. Bernhard Schrammek und geleitet von Ludiwg Böhme, versteckte Geheimnisse dieser 500 Jahre alten Musik. Im zweiten Teil tauchten die Zuhörer in die „Missa L’homme armé super voces musicales“ von Josquin des Préz in der sakralen Akustik Bildermuseums in voller Länge ein. Wir hoffen, damit das eine oder andere Ohr für die besondere Schönheit Josquinscher Musik geöffnet zu haben. Mehr dazu finden Sie in unserem Konzertarchiv! 2.) Glauben und Zweifeln: über Über Josquins „protestantische“ Musik und Tönestürmerei in der katholischen Kirche – mit Pfarrerin Britta Taddiken und Musikkritiker Peter Korfmacher sprach Heike Bronn. Frau Pfarrerin Taddiken, Sie sind als evangelische Pfarrerin Vertreterin des Glaubens – kann der Glaube Berge versetzen? Britta Taddiken: Ja, das steht ja schon in der Bibel! Menschen wird durch ihren Glauben ermöglicht, in Momenten, in denen alles aussichtslos erscheint, weiter zu machen, durch Gottes Hilfe Dinge zum Guten zu wenden und einen neuen Anfang zu erahnen. Seite 2 zum Newsletter Josquin – Das Projekt, September 2015 Welchen Berg hat Ihr Glaube schon einmal versetzt? Mein Glaube hilft mir jeden Tag, mein Leben zu reflektieren und zu gestalten – zum Glück bin ich aber von ganz großen Katastrophen verschont geblieben, sodass ich bisher keinen Berg versetzen musste. Herr Korfmacher, Sie sind katholisch - hat Ihr Glaube schon einmal einen Berg versetzt? Peter Korfmacher: Da würde ich meinen Glauben stark überbewerten – ich glaube nicht, dass er schon einen Berg versetzt hätte ... Welche Bedeutung hat Zweifel in Ihrem Leben? Britta Taddiken: Gottseidank keinen zu großen in Bezug auf meinen Glauben. Ich zweifle natürlich manchmal an meinen Entscheidungen, bin aber froh, dass ich bisher keine echte (Glaubens-)Krise erlebt habe. Peter Korfmacher: Zweifel spielt in meinem Leben einen ziemlich wichtigen Part: Zweifel ist für mich die Wiege aller Wissenschaft – solange man nicht zweifelt, gewinnt man auch nichts. Frau Taddiken, auch zum Thema Zweifel: gibt es Teile der Reformation, die Sie gern wieder rückgängig machen würden? Britta Taddiken: Die Reformation ist eigentlich kein Ereignis, das man konkret definieren kann ... Ich würde lieber klar Dinge benennen, die uns heute noch nutzen: die Freiheit des Einzelnen zum Beispiel, sein eigenes Leben in einer Gesellschaft zu verantworten. Oder das Bildungssystem, das durch die Reformation vorangebracht wurde, das erste Lehrmaterial war dort der kleine Katechismus. Nicht zuletzt das Sozialwesen hat einen Anstoß bekommen in der Reformation. Aber um auf Ihre Frage zu antworten: Wirklich wegkommen möchte ich vom kleinen Denken in eigenen Landeskirchen – man hatte seinerzeit der Religion der Fürstenhäuser anzugehören oder konnte gehen, das findet noch heute seinen Widerhall; z. B. wenn ein Landesbischof – oder der Pfarrer der Thomaskirche – unbedingt aus der eigenen Landeskirche kommen soll. Ich hätte gerne so etwas wie die katholische Vision einer Weltkirche. Herr Korfmacher, Sie sind Ressortchef „Kultur“ der LVZ und Leipzigs oberster – geschätzter und gefürchteter – Musikkritiker. Denken Sie, dass Sie durch Konzertrezensionen Glauben und Zweifel von Musikern beeinflussen und als Folge deren Karrieren oder sogar Schicksale mitsteuern können? Peter Korfmacher: Das glaube ich nicht, zumindest, wenn es sich um Profimusiker handelt, die wissen genau, was sie gut oder schlecht machen. Echte Profis glauben immer, dass sie recht haben, genauso wie die Musikkritiker immer glauben, dass sie recht haben. Bei Nachwuchsmusikern ist es eher der Fall, dass eine Rezension eine größere Auswirkung hat – das muss man als Rezensent verantwortungsvoll behandeln. Andererseits: „hochschreiben“ kann man jeden, „runterschreiben“ niemanden – das versucht meine Zunft z. B. bei André Rieu seit Jahren – absolut erfolglos! Denken Sie beim Rezensieren an das 8. Gebot „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“? Peter Korfmacher: Natürlich möchte man nicht ein falsches Zeugnis ablegen. Das Gebot berührt ja das weite Feld der Objektivität – alles, was messbar ist, soll im Text stimmen. Als Kritiker muss man sich aber zur Subjektivität bekennen. Tatsachen bilden eine Meldung – das ist aber noch keine Kunstkritik. Insofern lautet meine Antwort auf Ihre Frage: Ja, aber erst in zweiter Reihe. Seite 2 zum Newsletter Josquin – Das Projekt, September 2015 Welche Rolle spielt Musik für Ihren Glauben? Britta Taddiken: Dass Musik eine wichtige Rolle für meinen Glauben spielt, ist letztlich der Grund dafür, dass ich mich als Pfarrerin an der Thomaskirche beworben habe. In der Einheit von Wort und Musik vermittelt sich etwas, was beide allein jeweils nicht ausdrücken können. Peter Korfmacher: Musik spielt eine ganz entscheidende Rolle für meinen Glauben, und zwar in beide Richtungen: Zum einen bin ich über meine Kirchengemeinde zur Musik gekommen, meine gesamte musikalische Ausbildung war dann später durch Kantoren geprägt. Zum anderen ist der ausgeprägte Sinn für Kultur ein Vorzug der katholischen Kirche – einen Bildersturm hat es bei uns nie gegeben. Andererseits: das, was aus Taizé herübergeschwappt ist oder Beatmessen machen die Kirche eher leerer – das erfüllt den Tatbestand der Tönestürmerei. Britta Taddiken: Luther hat den Gemeindegesang gefördert durch die Einführung von deutschen Texten und bekannten Melodien, weil er wusste, dass Musik den Glauben zu festigen weiß und auch Brücken bauen kann für Leute, die zurückfinden wollen zum Glauben. Zum Beispiel viele Motettenbesucher suchen genau das: Beim Hören von Kirchenmusik kann sich etwas ereignen, das wir nicht in der Hand haben. Andererseits kann man Musik bewusst einsetzen, um Leute zu manipulieren. Wird das in der Kirche gemacht? Britta Taddiken: Es gibt Versuche, über neuere Musik Leute „einzulullen“, über Musik, die sehr simpel ist und z. B. im Fernsehen als „Volksmusik“ verkauft wird. Meinen Sie so „weichgespülte“ Musik Richtung Sacro-Pop? Britta Taddiken: Ja, das trifft es vielleicht. Ich glaube, dass man Menschen einen größeren Gefallen tut, wenn man Ihnen etwas zumutet, denn die Widerstände oder Widersprüche des Lebens finden sich in der Musik, wenn sie anspruchsvoller ist. Peter Korfmacher: Ich glaube auch, dass Musik, wenn sie wirklich ernsthaft und ein Kunstwerk ist, den Glauben festigt. Das tut das Gesamtwerk aus Taizé nicht – Sakralschlager sind Mist! Gibt es evangelische oder katholische Kirchenmusik? Oder ist Musik per se ökumenisch? Britta Taddiken: Sehr viel Kirchenmusik ist ökumenisch. Aber an manche Texte muss ich mich erst annähern, z. B. an bestimmte Marienlieder, wenn Maria oder Heilige als Vertreter Gottes angerufen werden – für mich braucht es diese Vertreter nicht. Peter Korfmacher: Ökumenisch ist für mich die Musik der klassischen Moderne, die eher spirituell geprägt ist und sich nicht um Religionszugehörigkeit schert – z. B. Mahler. Aber auch Bachs h-MollMesse, weil vom Ansatz her nicht liturgisch. Wenn Musik also losgelöst von der Liturgie besteht, ist sie im Grunde ökumenisch. Britta Taddiken: Bei der Musikauswahl für einen Gottesdienst schaue ich genau, was in den Texten steht und was an die jeweilige Stelle im Gottesdienst passt. Komponisten wie Schubert haben bewusst für die römische Messe geschrieben – und Johann Sebastian Bach bewusst für den evangelischen Gottesdienst. Nach wie vor kennen sich evangelische und katholische Christen besser mit der jeweiligen Aufführungspraxis aus – die Deutungshoheit und Kompetenz liegt bei den jeweiligen Kirchen. Peter Korfmacher: Mozart zum Beispiel, weil er in seiner Musik das Leben feiert, ist denkbar katholisch, ebenso Verdi und Bruckner, auch dessen Sinfonien – die katholische Musik lässt es gerne wuchern. Vergleichen Sie z. B. Verdi mit Pepping! Bach hingegen ist deshalb evangelisch, weil seine Musik oft auf das Leiden und die Sünde im Diesseits gerichtet ist, Stichwort „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“. Protestantische Musik ist klarer, präziser. Insofern ist Josquins Musik eigentlich auch (im besten Sinne) protestantisch. Seite 2 zum Newsletter Josquin – Das Projekt, September 2015 3.) XXIV. Projektkonzert – Glauben & Zweifeln Musikalische Gedanken zur Reformation Eine Schubert-Sinfonie mit einer Josquin-Messe kombinieren? Dieses Programm wagt eine äußerst ungewöhnliche Konzeption, die jedoch bei näherer Beschäftigung faszinierend ist und spannende Anregungen bereit hält: Hier treffen am Reformationstag, dem 31. Oktober 2015, um 20 Uhr in der Thomaskirche Leipzig Schicksale aufeinander: Franz Schubert – zweifelnd und verzweifelt (Sinfonie Nr. 4 c-moll), Josquin (Missa Fortuna desperata) – erfolgreich und wohlhabend, Max Reger – ein Katholik, der protestantische Musik schreibt (Luther-Choräle). Und natürlich Martin Luther höchstselbst (vertont von Johann Walther). Unter der Leitung von Ludwig Böhme singen und spielen der Kammerchor Josquin des Préz und die Philharmonie Leipzig. Tickets zu 21 Euro / erm. 15 Euro sind an allen bekannten Vorverkaufsstellen und unter www. http://josquin-projekt.de/konzerte/ erhältlich. 4.) Vokalpolyphonie aus dem Stegreif: 4. Leipziger Improvisationsfestival „LivFe“ für Alte Musik Musik in Echtzeit – vom 17. bis 20. September 2015 treffen sich beim 4. Leipziger Improvisationsfestival “LivFe!“ Kenner und Liebhaber spontan erfundener „Alter“ Musik. In Konzerten, Workshops und JamSessions tauschen sie musikalische Ideen aus und üben sich in der Kunst des gemeinsamen Improvisierens. Besonders hinweisen möchten wir auf ein Konzert mit improvisierter Vokalpolyphonie, das am 19. September um 18.00 Uhr in der Lutherkirche stattfindet: Die fünf Mitglieder des französischen Ensembles "Obsidienne" aus Sens in der Bourgogne singen über Melodien aus dem Graduale der Leipziger Thomaskirche - das Graduale stammt aus dem 14. Jahrhundert und war nachweislich bis ins 18. Jahrhundert in Gebrauch. Special Guest ist William Dongois (Zink); Karten zu 15 € / erm. 10 € sind bei Musikalien M. Oelsner und an der Abendkasse erhältlich. Außerdem finden innerhalb des Festivals Workshops zur vokalen Improvisation im Stil z. B. der Renaissance statt, Anmeldung erforderlich. www.improfestival-leipzig.de Wir danken für Ihr Interesse und grüßen Sie herzlich! Ludwig Böhme Künstlerischer Leiter Heike Bronn Öffentlichkeitsarbeit, Besucherbetreuung P. S.: Falls Sie Informationen über das JOSQUIN – Das Projekt nicht mehr wünschen sollten, genügt eine kurze Nachricht. www.josquin-projekt.de
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