IT-Mittelstand 10/2015 (PDF-Download)

S OF TWARE | F I NA NZ WES EN
AUSGABE 10|2015
DIGITALE BETRIEBSPRÜFUNG
„EIN EINFACHER
DATEIORDNER
GENÜGT NICHT“
Im Interview erklärt Wilhelm Baumeister, Produktmanager
Rechnungswesen bei der Proalpha Business Solutions GmbH, auf welche
Aspekte Mittelständler bei einer digitalen Betriebsprüfung besonders achten
sollten.
50
I T - M I T T E L S TA N D
10 | 2 0 1 5
FI N AN Z WE S E N | S O FTWARE
70
Prozent aller Betriebsprüfungen erfolgen inzwischen digital.
Längst geht es dabei nicht mehr
nur um DV-Systeme und Buchungssätze,
sondern auch um digitale Belege. Doch
der Aufbau steuerrechtlich anerkannter
Archivsysteme birgt zahlreiche Fallstricke.
von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Im Durchschnitt laufen rund
70 Prozent aller Prüfungen digital. Generell
lässt sich sagen, dass die klassische papierbasierte Prüfung so stark rückläufig ist, dass
Unternehmen – gleich welcher Größe –
besser mit einer digitalen Betriebsprüfung
rechnen sollten. Was den Prüfrhythmus
angeht, werden größere Betriebe tendenziell häufiger geprüft als kleine.
ITM: Herr Baumeister, welche Spielregeln
gelten bei der Archivierung geschäftlicher
Unterlagen wie Aufträgen, Rechnungen,
Mahnungen etc.?
ITM: Sind digitale Betriebsprüfungen für jede
Branche geeignet oder gibt es Ausnahmen?
WILHELM BAUMEISTER: Der zentrale Knackpunkt ist, dass Betriebsprüfer grundsätzBAUMEISTER: Grundsätzlich werden digitale
lich das Original eines Belegs verlangen
Betriebsprüfungen branchenübergreifend
dürfen. Gemeint ist damit der Zustand, in
durchgeführt. Selbst Kleinstbetriebe und
dem ein Beleg das Unternehmen physisch
Freiberufler, die ihren Gewinn per Einerreicht. Wer beispielsweise per E-Mail vernahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln,
„Betriebsprüfer dürfen
sendete PDF-Rechnungen akzeptiert, muss
sind betroffen, wenn sie professionelle
nur auf steuerlich
den Anhang in geeigneter Form digital
Archiv- oder Buchhaltungssysteme einsetaufbewahren. Einfach ausdrucken und
zen. Grenzen gibt es nur in Hinblick auf
relevante Belege und
einzelne Dokumentenarten, da allein die
abheften reicht nicht. In diesem Fall ist
Systeme zugreifen“,
der gedruckte Beleg lediglich eine Kopie.
steuerliche Relevanz entscheidend ist, und
betont Wilhelm Baumeister, ProduktÄhnlich sieht es bei Papierrechnungen
somit nicht alle Dokumente einer Betriebsmanager Rechnungswesen bei Proalpha.
aus: Diese dürfen zwar gescannt und verprüfung unterliegen.
nichtet werden, das digitale Abbild wird
aber nur dann als Original anerkannt, wenn beim „ersetzenden ITM: Welche rechtlichen Grundlagen müssen hier beachtet werden?
Scannen“ die Vorschriften beachtet werden. Das bedeutet: Die BAUMEISTER: Rechtlich betrachtet stecken die seit Anfang des Jahres
Belege müssen inhaltlich vollständig sein, sie dürfen sich nicht 2015 gültigen „Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und
verändern lassen, sie müssen nachvollziehbar archiviert werden Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen
und jederzeit verfügbar sein. Mit anderen Worten: Ein einfacher in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff“ – kurz GoBD
Archivordner unter Windows oder im E-Mail-System genügt – den Rahmen ab. Zu beachten sind ebenso die Regelungen aus
nicht. Die Vorgaben lassen sich nur mit professionellen Archiv- Betriebsprüfungsordnung 2000 (BpO 2000), Handelsgesetzbuch
und Dokumenten-Management-Systemen erfüllen. Die Tech- (HGB) und Abgabenordnung (AO).
nik ist aber nur eine Seite der Medaille. Zusätzlich erwarten die
Finanzbehörden eine ausführliche Verfahrensdokumentation. Sie ITM: Wie läuft eine digitale Betriebsprüfung konkret ab?
erklärt u.a., wie steuerrelevante Belege verarbeitet und archiviert BAUMEISTER: Betriebsprüfer dürfen nur auf steuerlich relevante
werden, welche Mitarbeiter und Abteilungen daran beteiligt sind Belege und Systeme zugreifen. Hierzu gehören aber auch Nebenrechnungen wie etwa das Fahrtenbuch. Der Prüfer kann dabei
und welche Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden.
zwischen drei verschiedenen Zugriffsarten wählen: Beim unmittelbaren Zugriff arbeitet der Prüfer direkt mit den betrieblichen
ITM: Welche Auswirkung hat die zunehmende Digitalisierung auf
das Rechnungswesen mittelständischer Unternehmen?
IT-Systemen. Beim mittelbaren Zugriff bekommt er Unterstützung
BAUMEISTER: Die Digitalisierung verändert den gesamten Beleg- von einem Mitarbeiter. Bei der Datenträgerüberlassung werden
fluss im Unternehmen. Statt eingehende Belege mühselig via relevante Daten auf einem Datenträger ausgelesen und vom PrüUmlaufmappe zu verteilen, gelangen sie über automatische Pro- fer via Prüfsoftware analysiert. Die Unternehmen müssen dabei
zesse – sogenannte Workflows – direkt zum zuständigen Mitar- selbst dafür sorgen, dass der Zugriff auf steuerrelevante Informabeiter. Dabei ist es egal, ob sie vorher gescannt werden oder per tionen beschränkt bleibt.
Elektronischem Datenaustausch (EDI), E-Mail oder über soziale
Netzwerke ins Unternehmen gelangen. Workflows unterstützen ITM: Welche Herausforderungen und Stolpersteine bringt die digitale
auch den weiteren Verarbeitungsprozess, z.B. bei Rechnungsfrei- Betriebsprüfung aktuell noch mit sich? Wo sehen Sie Verbesserungsgaben. Unterm Strich gewinnt die Finanzbuchhaltung an Flexi- bedarf?
bilität und Effizienz. So kann die Belegverarbeitung standortun- BAUMEISTER: Die Bereitstellung der gesetzlich geforderten Zugriffsarabhängig, auch im Home Office, erledigt werden. Hinzu kommt, ten stellt in der Regel weder den Steuerpflichtigen noch IT-Anbiedass die digitale Belegarchivierung deutlich schneller ist und nur ter vor Probleme. Selbst im Einstiegssegment gibt es kaum noch
einen Bruchteil des Aufwands kostet, den klassische Papierbelege Lösungen, die den Betriebsprüferexport nicht unterstützen. Die
nach sich ziehen. Unternehmen sollten bei Investitionen deshalb professionelle Archivierung ist hingegen deutlich anspruchsvolnicht nur an fiskalpolitische Vorschriften denken, sondern auch ler. Nicht nur weil sie zusätzlich Geld kostet, sondern auch, weil
an die Chancen einer effektiveren Unternehmensorganisation.
die rechtlichen Regelungen nicht gerade trivial sind. Der Wechsel
auf ein professionelles Dokumenten-Management-System sollte
daher sorgfältig vorbereitet werden. Ein Stolperstein könnte für
ITM: Inwieweit werden im Mittelstand digitale Betriebsprüfungen
durchgeführt?
viele Unternehmen auch die Erstellung der VerfahrensdokumenBAUMEISTER: Digitale Betriebsprüfungen werden bundesweit seit tation sein. In dieser Frage gibt es noch Unsicherheiten und auch
2002 durchgeführt. Mittlerweile sind rund 14.000 Prüfer mit Unkenntnis – insofern besteht hier noch Aufklärungsbedarf.
entsprechender Prüfsoftware ausgestattet. Die Intensität ist dabei
LEA SOMMERHÄUSER
I T - M I T T E L S TA N D
10 | 2 0 1 5
51