Der Nestbeschmutzer - Impuls Mittelschule

Datum: 21.07.2015
Tages-Anzeiger
8021 Zürich
044/ 248 44 11
www.tagesanzeiger.ch
Medienart: Print
Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 172'920
Erscheinungsweise: 6x wöchentlich
Themen-Nr.: 374.003
Abo-Nr.: 1044548
Seite: 17
Fläche: 84'818 mm²
Der Nestbeschmutzer
Beni Frenkel schreibt satirische Kolumnen aus der Welt der orthodoxen Juden in Zürich.
Jetzt gibt es sie als Buch. Ist er lustig? Die Gläubigen finden: überhaupt nicht!
Thomas Widmer
Ist das nun witzig, klug oder ge- dition, ohne deswegen besonders reli-
Verabredung mit Beni Frenkel im Einkaufszentrum Sihlcity in Zürich. Man
geht davon aus, dass ein Jude erscheinen
wird, der als Jude kenntlich ist. Immerhin hat Frenkel viele Jahre in diversen
Zeitschriften über den Alltag der Ortho-
schmacklos? Man liest Frenkels satirisch giös zu sein. Ihr Sohn hatte mit 14 Jahren
kolumniert.
vom Rabbiner, der ihn drei Wochen vor
gefärbte Texte je nach dem eigenen eine Art fundamentalistischen Schub.
Standpunkt ganz verschieden. Der Beni Frenkel ging nach England, schrieb
Nichtjude geniesst es, aus dem Inneren sich in Gateshead auf der grössten Tal-
orthodoxer Gemeinden zu hören, die
ihm sonst verschlossen bleiben. Frenkel
doxen und sich selber mittendrin liefert reichlich Stoff. Er erzählt etwa
Und ist er nicht hinten in seinem der Hochzeit über die Körperlichkeit der
neuen Buch, dem Kolumnensammel- Frau und die kommende gemeinsame
band «Gar nicht koscher», abgebildet Sexualität aufklärte und für «Penis»
mit der Kipa, dem flachen jüdischen schamhaft ein aramäisches Wort verHinterkopfkäppchen?
wendete.
Frenkel kommt. Keine Kipa und auch
Über den jährlichen «Tag der Versöhsonst keine klar jüdischen Attribute. Er nung» schreibt Frenkel, dass es aus dem
trägt ein blaues Poloshirt, der Bart ist Mund des Sitznachbarn nach zwölf Stunkurz gestutzt.
den Beten faul rieche. Und überhaupt:
Begrüssung, Bestellung von Kaffee «Jom Kippur ist wie der jährliche Besuch
und Gipfeli, dann spricht man ihn auf der Schwiegermutter.»
seine Erscheinung an. Die Kipa trage er
Es sind solche Stellen, die seine Mithöchstens in der Wohnung, sagt Fren- juden gegen ihn aufbringen, die Leser
kel, 38-jährig. Sie sei im Gesetz nicht der «Jüdischen Allgemeinen» zum Beivorgeschrieben und nicht zwingend.
spiel, in der er kolumnierte. Aber natürIm Gespräch zeigt sich bald, dass er lich widmet er sich auch den Nichtjuden
das Konforme prinzipiell nicht mag. und deren Fimmel, jeden Juden als
Frenkel sagt es selber viel schärfer und Opfer sehen zu wollen. Eine Kolumne
weist sich eine Rolle zu. Er nennt sich handelt von einem Gymnasiasten, der
einen «Nestbeschmutzer». Jede Gesell- seine Abschlussarbeit über jüdische
schaft brauche «so einen». Und: «Ich Journalisten unter Druck schreibt. Das
«Der Spagat wurde
zu gross. Mich irritiert
die Weltsicht dieser
Gesellschaft, die ich
früher mittrug.»
Beni Frenkel
mudhochschule Europas ein. Sein Ziel,
ein Ultraorthodoxer zu werden, zerschlug sich allerdings innert knapp zwei
Jahren. Die Vision vom frommen Leben
begann zu bröckeln: zu viele Regeln,
deren Sinn er nicht einsah, zu viele, wie
er sagt, «Spitzfindigkeiten», die er einhalten sollte.
Frenkel ist ein Jude in Bewegung weg vom fixen Glauben, weg von den
Dogmen, weg von den Autoritäten. Dass
es Juden gibt, die ihm raten, er solle
seine Kolumnen doch jeweils vor Publikation dem Rabbiner zur Prüfung unter-
breiten, findet er absurd. Letztes Jahr
sagte er in einem Interview, bei ihm sei
ist die Grundannahme der Arbeit, wohlerloschen». «Ich merke, wie ich
Er meint jene Leute, die sich über verstanden; ob sie stimmt, steht nicht «vieles
mich mehr und mehr entzweie.»
habe unter den Juden meine Pitbulls.»
seine Texte nerven. Die ihn anrufen und zur Debatte. Der Gymnasiast ruft Fren-
Er erzählt von seiner deutschen Frau,
beschimpfen. Die ihm Schandbriefe kel an, stellt Fragen wie «Werden Sie auf einer
Jüdin, die er auf einer jüdischen
schreiben.
der Strasse angepöbelt, weil sie ein jüdi- Datingplattform kennen lernte. Und
scher Journalist sind?» und ist nicht von
In Gedanken beim Ballergame
Seine Gesellschaft: Das ist die jüdische
Gemeinschaft, die er als Schreiber spiegelt, wobei es meist um die Frage geht,
wie sich in der Moderne ein Glaube lebt,
der Tausende Jahre alt ist. Frenkel schildert zum Beispiel, wie er am Sabbat in
der Synagoge sitzt und beim Tora-Lesen
fast den Einsatz verpasst: «In Gedanken
war ich bei Onslaught 2.» Er meint das
süchtig machende Onlinegame, bei dem
vom Vater seiner Frau, vormals Bürger
seiner These abzubringen, dass es jüdi- der DDR und Nichtjude. Im Judentum ist
sche Presseleute in der Schweiz sehr, es bekanntlich die Frau, die die jüdische
sehr schwer haben.
Er ist dann sehr glücklich, als Frenkel Identität weitergibt; die Kinder von Beni
flunkert, dass in seinem Briefkasten Frenkel und seiner Frau sind somit als
bisweilen ein abgetrennter Schweins- Juden anerkannt. Und doch gebe es
kopf liege.
ultraorthodoxe Juden, die auf solche
Ziel: Ultraorthodoxer werden
«nicht reinrassigen» - was für ein Schre-
ckenswort! - Paare und ihren Nach-
Frenkel wuchs im kleinen Aargauer Dorf wuchs mit Verachtung schauten. Noch
Dättwil auf, sein Vater war Controller; schlimmer: Er selber, Frenkel, habe sich
der Spieler von einem Verteidigungs- der bekannte vormalige NZZ-Journalist zehn Jahre mit dem Schwiegervater
turm aus anrennende Gegner aller Art Max Frenkel ist sein Onkel. Die Eltern schwergetan, eben weil dieser Nichtjude
niederballert.
lebten (und leben) in der jüdischen Tra- war.
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Man spürt Empörung. Frenkel sagt, hat er nach dem Kindergarten aber in
es mache ihn wütend, dass Juden in die normale Zürcher Volksschule geKategorien von Reinheit und Rasse schickt. Auch das hätten ihm viele Leute
dächten, wie einst auch er selber.
Die universellen Werte
Seinen Job als Lehrer in einer ultraorthodoxen Schule ist er mittlerweile los.
Er habe sich, berichtet er, mit einem Vater angelegt, es sei um die Art gegangen,
wie dieser seine Kinder erzog. Und dann
waren da eben Frenkels Kolumnen. «Der
Spagat wurde zu gross. Mich irritiert die
übelgenommen.
Mittlerweile arbeitet Beni Frenkel
beim Onlinenews-Dienst des SRF.
Er schreibt eine Kolumne im «Magazin»
des «Tages-Anzeigers», in der das Jüdi-
sche allenfalls am Rand vorkommt. Er
arbeitet an einem Buch, einer
«Flüchtlingsgeschichte». Er hält den
Sabbat ein, geht in die Synagoge und
dauerzweifelt am Sinn des Ganzen. «Das
Weltsicht dieser Gesellschaft, die ich frü- Judentum durchtränkt mich nicht
her mittrug.» Die Aufsätze der Kinder in mehr», sagt er. Und ein letzter Satz aus
der Schule seien «zum Heulen» gewe- dem Gespräch mit ihm: «Ich bin ge-
sen. Sie könnten, sagt Frenkel, sich spannt, wie meine Tochter einmal
nicht entfalten und hätten auf seine meine Kolumnen lesen wird.»
Frage «Hat eines von euch ein Hobby?»
nur den Kopf geschüttelt.
Was Frenkel nach wie vor mag: die
universellen Werte des Judentums. Die
Nächstenliebe etwa. Es habe im Übrigen
immer Juden gegeben, auch sehr ortho-
Gar
nicht
koscher
GarVorn
nicht
koscher Beni Frenkel
täglichen Schlamassel,
Vom täglichen
als
Jude durchs
alsJude
durchs Leben
Leben zu
zu gehen
gehen
Gar nicht koscher.
Vom täglichen
Schlamassel, als Jude
durchs Leben
zu gehen.
doxe, die ihn stützten; sein Rauswurf
aus der einen Synagoge sei durch den
Stichentscheid des Rabbiners abgewendet worden. Seine siebenjährige Tochter
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Er mag das Konforme prinzipiell nicht so: Beni Frenkel bei sich zu Hause. Foto: Urs Jaudas
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