Arabischer Frühling - Bundeszentrale für politische Bildung

Dossier
Arabischer Frühling
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Einleitung
Was im Dezember 2010 in Tunesien begann, breitete sich bald wie ein Flächenbrand über viele Länder
Nordafrikas und des Nahen Ostens aus. Proteste, Aufstände und Rebellionen erschütterten die
autokratischen Systeme der Region. In Ägypten und Tunesien jagten die Aufständischen die Herrscher
aus dem Amt. Libyen verfiel in einen Bürgerkrieg, dessen Verlauf das Eingreifen der NATO
entscheidend beeinflusste. Syrien befindet sich in einer Patt-Situation, die verlustreichen
Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition gehen weiter. In anderen Ländern wie
Marokko und Jordanien haben die Regime auf die sozialen Proteste reagiert und so ihren status quo
zumindest kurzfristig stabilisiert. Der Arabische Frühling ist eine historische Zäsur in der Region – mit
weitreichenden Folgen in politischer, wirtschaftlicher und geostrategischer Hinsicht.
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Inhaltsverzeichnis
1.
Die historische Zäsur des Arabischen Frühlings
5
2.
Länderanalysen
9
2.1
Ägypten nach der Wahl
10
2.2
Die unvollendete Revolution in Ägypten
14
2.3
Vorreiter Tunesien
17
2.4
Libyen nach der Revolution des 17. Februar
21
2.5
Kein Frühling am Golf
25
2.6
Pro-demokratische Proteste im Jemen
29
2.7
Marokko und Jordanien
33
2.8
Syriens langer Weg an den Rand des Abgrunds
37
3.
Ursachen und Folgen
42
3.1
Der Arabische Frühling und der israelisch-arabische Konflikt
43
3.2
Die Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf die regionale Rolle Teherans
48
3.3
Die Rolle der neuen Medien im Arabischen Frühling
52
3.4
Der Arabische Frühling – das Ende al-Qaidas?
56
3.5
Die Türkei als Modell für die arabischen Staaten?
58
3.6
"Europa muss positiver auf die Umbrüche reagieren"
62
4.
Stimmen aus der Region
67
4.1
Revolutionen gegen Demokratie oder Revolutionen für Demokratie?
68
4.2
Die arabische Straße in postislamistischen Zeiten
75
4.3
Arabische Führer und westliche Länder
79
4.4
Die Absicherung politischer Herrschaft
85
5.
Indikatorentabelle
91
6.
Chronologie des Arabischen Frühlings
93
6.1
Ägypten
94
6.2
Bahrain
95
6.3
Jemen
96
6.4
Jordanien
97
6.5
Kuwait
98
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4
6.6
Libyen
99
6.7
Marokko
100
6.8
Saudi-Arabien
101
6.9
Syrien
102
6.10
Tunesien
103
7.
Aktuelle Kurzbibliografie
104
7.1
Allgemeinere Analysen und Kommentare zum Arabischen Frühling
105
7.2
Länderspezifische Analysen und Kommentare
107
7.3
Der Arabische Frühling als Herausforderung für "westliche" Politik – Analysen und Dokumente 114
7.4
Ausgewählte Weblinks zu deutsch- und englischsprachigen Informationsquellen
8.
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Redaktion
118
120
Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Die historische Zäsur des Arabischen
Frühlings
Von Dr. Muriel Asseburg
11.10.2011
ist seit Oktober 2006 Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP).
Mitte Dezember 2010 verbrennt sich ein junger Tunesier, weil er keine Lebensperspektive mehr
für sich sah. Kurz darauf begann in einem der repressivsten arabischen Länder ein Aufstand,
der weite Kreise zog. Muriel Asseburg mit einer Einführung.
Über Jahrzehnte galten der Nahe/Mittlere Osten und Nordafrika als Konfliktregion und die arabischen
Regime als autoritär und korrupt. Zugleich zeigten sich diese Regime aber als überwiegend stabil und
anpassungsfähig. Symbolisiert wurde diese vermeintliche Stabilität durch Herrscher, die seit 20, 30
oder gar 40 Jahren an der Macht waren, wie Präsident Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien, Präsident
Hosni Mubarak in Ägypten oder Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi in Libyen. Zudem war das
Bild der arabischen Welt geprägt von dynastischen Erbfolgen. Diese wurde nicht nur in den Monarchien
der Region praktiziert – etwa in Marokko, Jordanien und Saudi-Arabien –, sondern auch im
Präsidialsystem Syriens im Jahr 2000. Gerüchte über eine bevorstehende innerfamiliäre
Machtübergabe (konkrete Hinweise darauf) gab es auch in Ägypten, Libyen und im Jemen.
Der Funke der Revolte
Dieses Bild begann sich schlagartig zu verändern, als Mitte Dezember 2010 in Tunesien, einem der
repressivsten arabischen Staaten, die Verkrustung aufbrach. Im zentral-tunesischen Sidi Bouzid
verbrannte sich der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi, weil er keine Lebensperspektive mehr für
sich sah. Seinem Fanal folgten Massenproteste, die von der Jugend der Mittelschicht initiiert und von
breiten Teilen der Zivilgesellschaft mitgetragen wurden, vor allem von Gewerkschaften und Berufs­
vereinigungen. Tunesiens Regime versuchte, die Proteste mit massiver Gewalt niederzuschlagen.
Doch als sich führende Militärs weigerten, bei der blutigen Unterdrückung mitzuwirken und sich auf
Seite der Demonstrierenden stellten, brach die Diktatur erstaunlich schnell zusammen. Ben Ali floh
Mitte Januar 2011 aus dem Land.
Der rasche Erfolg der Revolten – zunächst in Tunesien, dann in Ägypten, wo sich Präsident Mubarak
einen knappen Monat später gezwungen sah zurückzutreten – ermutigte junge Menschen in nahezu
allen arabischen Ländern, den Unmut über ihre Lebensbedingungen auf die Straße zu tragen und
nicht länger vor der staatlichen Repression zurückzuschrecken. Im Laufe des Jahres 2011 kam es so
vor dem Hintergrund vergleichbarer Missstände in fast allen arabischen Ländern zu Protesten und
Massendemonstrationen. Selbst außerhalb der arabischen Welt, etwa in China oder im Iran, fanden
die Protestierenden Nachahmer bzw. stieß ihr Vorbild dort erneute Demonstrationen an.
Vor allem elektronische Medien, Mobiltelefone und soziale (Online-)Netzwerke befördern und
verstärken die Proteste und tragen sie über Landesgrenzen hinweg. Dabei ist insbesondere der
katarische Satellitensender Al Jazeera bedeutend. Eine wichtige Funktion haben auch mit HandyKameras aufgenommene Bilder – sie sorgen dafür, dass die Proteste an der Zensur vorbei dokumentiert
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und über Satellitensender oder Internet in die Wohnzimmer der Region und der Welt getragen werden.
Ein Leben in Würde
Auch wenn die konkreten Forderungen von Land zu Land variieren, haben die Proteste in den
arabischen Ländern doch eines gemein: Stets verbinden sie soziale, wirtschaftliche und politische
Anliegen. Fortschritte in allen drei Bereichen werden als unabdingbar angesehen, damit "ein Leben
in Würde" möglich ist.
In erster Linie geht es den Protestierenden um bessere Lebensbedingungen und mehr Teilhabe an
Wachstum und Entwicklung. Denn obwohl die arabischen Volkswirtschaften in den letzten Jahren mit
wenigen Ausnahmen fast durchweg moderate oder sogar hohe Wachstumsraten verzeichnen konnten,
ist es ihnen nicht gelungen, ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Dabei stehen
alle Staaten vor der Herausforderung, ihre nach wie vor schnell wachsende, junge Bevölkerung in den
Arbeitsmarkt zu integrieren. Schon die Arab Human Development Reports 2002–2009 wiesen darauf
hin, dass es in den meisten Staaten der Region nicht gelungen ist, soziale Ungleichheit abzubauen
und die menschliche Entwicklung entscheidend voranzubringen. So gibt es nach wie vor arabische
Staaten mit erschreckend hoher Armut, niedrigen Alphabetisierungsraten und einem geringen
Bildungsniveau. Verschärft hat sich die Situation während der letzten Jahre vor allem in den Staaten,
die von Nahrungsmittelimporten abhängen.
Hier haben sich die im Zuge der globalen Nahrungsmittelkrise stark gestiegenen Preise dramatisch
auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung ausgewirkt. Dies gilt etwa für Ägypten, den größten
Weizenimporteur der Welt. Die Protestierenden verknüpfen ihre sozioökonomischen mit politischen
Forderungen. Denn Fortschritte im ersten Bereich halten sie nur dann für möglich, wenn Korruption
und Vetternwirtschaft bekämpft, die Möglichkeiten politischer Beteiligung ausgeweitet und
Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Kontrolle der Regierenden eingeführt werden. Zu ihren
Forderungen gehört auch, der weit verbreiteten Willkür und Gewalt von Polizeiapparaten und
Geheimdiensten Einhalt zu gebieten.
Zwar wurden in vielen arabischen Ländern während der vergangenen Jahrzehnte politische Reformen
durchgeführt. Allerdings sind dabei keine repräsentativen, freien oder inklusiven politischen Systeme
entstanden. So stufte etwa das amerikanische Freedom House Anfang 2011 von den Staaten der
Arabischen Liga nur die Komoren, Kuwait, Libanon und Marokko als "teilweise frei" ein, alle anderen
fielen in die Kategorie "nicht frei". Im globalen Vergleich schnitt diese Region insgesamt am
schlechtesten ab, was den Status politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten betrifft. Manipulierte
und gefälschte Wahlen, wie in Jordanien oder Ägypten im Spätherbst 2010, trugen dazu bei, Parlamente
und Abstimmungsverfahren in den Augen der Bevölkerungen weiter zu diskreditieren. Brisant war dies
auch deshalb, weil in vielen Gesellschaften der Region zunehmend die Wahrnehmung vorherrschte,
die bestehende Ordnung werde nicht – im Sinne eines autoritären Entwicklungsstaates – zum Wohl
der breiten Masse aufrechterhalten, sondern diene vor allem der Bereicherung einer korrupten Elite.
Letztlich hatten viele die Hoffnung aufgegeben, dass ein Wandel durch politische Beteiligung innerhalb
der bestehenden autoritären Ordnungen, etwa durch Wahlen, möglich sei.
Je nach Landeskontext ergeben sich daraus unterschiedliche konkrete Forderungen. Dabei reicht das
Spektrum von einem Ende ethnischer oder konfessionell begründeter Diskriminierung in den
Vielvölkerstaaten der Region über die Erweiterung parlamentarischer Mitspracherechte bzw. einer
konstitutionellen Beschränkung von Monarchien bis hin zur vollständigen Beseitigung der Regime
durch einen fundamentalen Umsturz der politischen Ordnung. Als Muster zeigte sich schnell, dass
sich die Forderungen der Protestierenden immer dann radikalisierten, wenn die Regime mit Gewalt –
etwa mit Scharfschützen – gegen Demonstranten vorgingen.
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Kein Ende des Arabischen Frühlings
Mitte März 2011 schien für viele Beobachter bereits ein Ende des Arabischen Frühlings gekommen.
In Libyen war ein blutiger Machtkampf zwischen Aufständischen und dem Gaddafi-Regime
ausgebrochen, in dem die Nato auf Seiten der Rebellen eingriff. In Bahrain intervenierten Truppen des
Golfkooperationsrats, um den lokalen Aufstand zu unterdrücken. Doch in vielen Ländern hielt der Druck
auf die Herrschenden an. In anderen, etwa in Syrien, gewannen die Proteste im Frühling erst richtig
an Dynamik.
Nach dem Abtreten des alten Führungspersonals und dem Einstieg in einen Transformationsprozess
in Tunesien und in Ägypten rüsteten sich andere arabische Herrscher, um an der Macht zu bleiben.
Dazu ergriffen sie einerseits Maßnahmen, um den sozio-ökonomischen Forderungen entgegen zu
kommen, wie die Erhöhung von Subventionen für Grundnahrungsmittel und Heizöl,
Beschäftigungszusagen und Gehaltserhöhungen im öffentlichen Sektor, etc. Andererseits zeichneten
sich drei Hauptansätze ab, mit denen die Regime den Reformforderungen begegneten: erstens die
Einleitung eines umfassenden Reformprozesses (etwa Verfassungsreformen in Marokko und
Jordanien), die die Macht des Herrschers allerdings kaum tangieren; zweitens die gewaltsame
Unterdrückung der Proteste (Libyen, Bahrain, Jemen, Syrien), die in Libyen zum Bürgerkrieg führte;
und drittens Repression, minimale Reformen und umfangreiche Geldgeschenke, um den Status quo
zu erhalten (Saudi-Arabien).
Damit haben die Proteste, Aufstände und Revolten auch unterhalb der Schwelle eines Regimewechsels
bereits deutliche Auswirkungen auf die arabischen Herrschaftssysteme. Der Handlungsspielraum der
Regime hat sich stark verengt, und sie sind stärker als bislang auf die Legitimation ihrer Politik
angewiesen. Die bislang ergriffenen Maßnahmen werden vielerorts nicht ausreichen, um die Proteste
zu beenden und die Herrschaftssysteme dauerhaft zu erhalten. Denn viele der Ad-hoc-Maßnahmen
sind auf Dauer kaum finanzierbar. Außerdem wurden klare Signale gesetzt, dass die Mächtigen nicht
unantastbar sind, sondern national oder international zur Rechenschaft gezogen werden können. In
Tunesien und Ägypten müssen sich mittlerweile auch höchste Amtsträger, ihre Familienangehörigen
und Günstlinge wegen Korruption oder Gewalt gegen Zivilisten vor Gericht verantworten. Die
Aufklärung von Kriegsverbrechen in Libyen wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an den
Internationalen Strafgerichtshof überwiesen; Gaddafi im Oktober 2011 getötet.
In ihrer jetzigen Form werden die Regime daher keinen Bestand haben. Insofern ist der Arabische
Frühling eine historische Zäsur.
Gewaltige Herausforderungen der Transformation
Die Umbrüche eröffnen zunächst in den Staaten, in denen die bisherigen Führungspersönlichkeiten
von der Macht vertrieben worden sind (also bis September 2011 in Tunesien, Ägypten und Libyen),
die Chance für einen Übergang zu politischen Systemen, die gerechter, inklusiver und partizipativer
sind als bislang. Dennoch ist nicht zu erwarten, dass die arabischen Länder politisch und wirtschaftlich
eine ähnlich rasche Transformation durchlaufen werden, wie dies etwa in Mittel- und Osteuropa der
Fall war. Denn es gibt deutliche Unterschiede zwischen den Gesellschaften und Volkswirtschaften der
arabischen Welt und jenen Mittel- und Osteuropas zu Beginn der 1990er Jahre.
Erstens sind viele arabische Gesellschaften ethnisch wie konfessionell stark fragmentiert und insofern
eher mit den Gemeinwesen Südosteuropas zu vergleichen. In vielen mangelt es an einer
staatsbürgerlichen Identität. Sie weisen zweitens nur relativ kleine Mittelschichten auf, und sie sind in
vielen Fällen von krassen Einkommens- und Vermögensunterschieden geprägt – eine Folge der
Reformen der letzten 20 Jahre, die eine partielle Liberalisierung und Privatisierung bei fehlenden
marktwirtschaftlichen Mechanismen mit sich brachten. Weil ihre Bevölkerungen im Durchschnitt sehr
jung sind und nach wie vor rasch wachsen, stehen die Regierungen vor besonders großen
Herausforderungen, was Bildung, landesweit ausgeglichene Entwicklung und die Schaffung von
Arbeitsplätzen angeht. Die Volkswirtschaften der Region sind drittens aufgrund der Dominanz des Öl-
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und Erdgassektors bzw. bei den ressourcenarmen Staaten aufgrund der Abhängigkeit von externer
finanzieller Unterstützung zu einem erheblichen Teil von rentierstaatlichen Strukturen geprägt. Das
heißt, dass die Haupteinnahmen des Staates Renten (Erdölrenten oder politische Renten) sind, die
nicht durch die Arbeitsleistung der Bevölkerung generiert und durch Steuern erhoben werden.
Typischerweise tragen entsprechende Einnahmestrukturen zur Verfestigung autoritärer Strukturen
bei – in Umkehrung der berühmten Forderung der Bostoner Tea Party: "no representation without
taxation" sowie zu entwicklungspolitischen Fehlentscheidungen.
Die Umbrüche finden zudem in einem ungünstigen regionalen und internationalen Umfeld statt.
Insbesondere dauert viertens der israelisch-arabische Konflikt an, der zunehmend durch israelischtürkische Spannungen und den Streit um exklusive Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer überlagert
und verschärft wird. Hier besteht die reale Gefahr einer erneuten gewaltsamen Eskalation – mit allen
bekannten negativen Rückwirkungen auf die Konfliktparteien und das regionale Umfeld. Fünftens, und
anders als bei den ost- und mitteleuropäischen Staaten, fehlt ein entscheidender Anreiz für die schnelle
politisch-wirtschaftliche Liberalisierung und eine demokratische Konsolidierung: das Angebot der EUMitgliedschaft bei erfolgreichen Reformen gemäß den Kopenhagen-Kriterien, wie es im Juni 1993 vom
Europäischen Rat konkretisiert wurde. Im Gegenteil steht zu befürchten, dass sowohl regionale Akteure
wie Saudi-Arabien und der Iran als auch internationale Akteure wie die USA zumindest in denjenigen
Ländern, die für ihre geopolitischen Interessen entscheidend sind, eine autoritäre Stabilisierung auf
Kosten von umfassenden Reformen unterstützen werden.
All dies dürfte dazu beitragen, dass der Weg der Transformation in den arabischen Ländern wesentlich
holpriger verlaufen, länger dauern und von herberen Rückschlägen gekennzeichnet sein wird. Auch
wenn durchaus die Chance besteht, dass zumindest in einigen arabischen Ländern – etwa in Tunesien –
sich politische Systeme konsolidieren können, die deutlich repräsentativer und inklusiver sind als
bislang: Heute bereits das Ende der arabischen Autokratien zu verkünden wäre verfrüht. Insgesamt
lässt sich absehen, dass es in den nächsten Jahren nicht nur eine Phase der Instabilität geben wird,
die in einigen Fällen (etwa im Jemen und in Syrien) auch mit Bürgerkrieg, Staatszerfall oder
Sezessionen einhergehen könnte, sondern auch ein breiteres Spektrum an politischen Systemen, als
dies bislang in der arabischen Welt der Fall war.
Literaturhinweise
Muriel Asseburg, Der Arabische Frühling: Herausforderung und Chance für die deutsche und
europäische Politik. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik. SWP-Studie 2011/S 17, Juli 2011, http://
www.swp-berlin.org/de/produkte/swp-studien-de/swp-studien-detail/article/arabischer_fruehling.html.
Stiftung Wissenschaft und Politik, Themendossier: Umbruch in der arabischen Welt. Berlin, 2011, http://
www.swp-berlin.org/de/swp-themendossiers/umbruch-in-der-arabischen-welt.html.
UNDP, Arab Human Development Report, 2002-2009, New York, 2002-2009, http://www.arab-hdr.org.
Kurzfassung in deutscher Sprache: http://www.arab-hdr.org/publications/other/ahdr/ahdr09-inbrief-ge.
pdf.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
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Länderanalysen
16.1.2012
Jahrzehntelang galten die Regime in Nordafrika und im Nahen/Mittleren Osten zwar als autoritär und
korrupt, zugleich aber auch als überwiegend stabil und anpassungsfähig. Dieses Bild begann sich zu
verändern, als Mitte Dezember 2010 in Tunesien, einem der repressivsten arabischen Staaten, diese
Verkrustung aufbrach. Der rasche Erfolg der Revolten – zunächst in Tunesien, dann in Ägypten –
ermutigte junge Araberinnen und Araber in nahezu der gesamten Region, den Unmut über ihre
Lebensbedingungen auf die Straße zu tragen und nicht länger vor der staatlichen Repression
zurückzuschrecken. Auch wenn die konkreten Forderungen von Land zu Land variieren, haben die
Proteste doch eines gemein: Stets verbinden sie soziale, wirtschaftliche und politische Anliegen.
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Ägypten nach der Wahl
Von Peter Philipp
2.7.2012
Geb. 1944 in Wiesbaden, war zwischen 1968 und 1991 Nahostkorrespondent mit Basis in Jerusalem, u.a. für die Süddeutsche
Zeitung und den Deutschlandfunk. Seit 1991 Redakteur beim Deutschlandfunk in Köln, später Leiter der Nah- und Mittelostabteilung,
dann der Afrika/Nahostabteilung von Deutsche Welle Radio. Von 1998 bis zu seiner Pensionierung 2009 Chefkorrespondent und
Nahostexperte von Deutsche Welle Radio.
Ägypten hat gewählt. Der neue Präsident heißt Mohamed Mursi, ist Muslimbruder und träumte
noch vor kurzem von den "Vereinigten Arabischen Staaten“ – mit Jerusalem als Hauptstadt.
Was ist von Mursi zu erwarten? Peter Philipp mit einer Einschätzung.
Der neue ägyptische Präsident Mohamed Mursi in unterwürfiger Haltung und der Feldmarschall, der
ihm einen Seitenplatz am Schreibtisch zuweist. So eine Karikatur von Patrick Chappatte nach der
ersten Wahl eines Muslimbruders zum ägyptischen Staatsoberhaupt. Treffender könnten Stimmung,
Argwohn und Misstrauen selbst jener knappen Mehrheit von 51,7 % der Wähler kaum beschrieben
werden, die für Mursi gestimmt hatten. Vor allem bei den Wählern, denen die Herrschaft eines Islamisten
suspekt ist und die deswegen für den letzten Regierungschef des gestürzten Präsidenten Husni
Mubarak, Ahmed Shafiq, gestimmt hatten.
Der 60-jährige Wahlsieger, in den USA promovierter Ingenieur und späterer Professor an der Universität
von Zagazig, dürfte sich dessen bewusst sein. Deswegen versucht er seit Bekanntgabe seines
Wahlsieges, Misstrauen im
In- und Ausland abzubauen. Sowohl innen- als auch außenpolitisch stößt er aber auf immer wieder
neue Probleme und dies verstärkt bei vielen – gerade in Ägypten – den Verdacht, dass Mursi zu
unerfahren ist, um diese Präsidentschaft in eine Erfolgsgeschichte umzuwandeln.
Dabei fehlt es ihm sicher nicht an gutem Willen: So hat er seine Mitgliedschaft in der "Partei für Freiheit
und Gerechtigkeit" (FJP) aufgekündigt, obwohl er diese erst Ende April 2011 gegründete Partei, die
den Muslimbrüdern zumindest nahesteht, bisher angeführt hatte. Er versichert auch, er wolle "Präsident
aller Ägypter" sein und Frauen und christliche Kopten ebenso an der Macht beteiligen wie Vertreter
nichtreligiöser Parteien.
Präsidiale Macht und Militärrat
Die präsidiale Macht aber ist noch vor Verkündung des Wahlergebnisses vom "Obersten Militärrat
" (Scaf) begrenzt worden, der nach dem Sturz Mubaraks unter der Führung von Feldmarschall
Mohammed Hussein Tantawi das Sagen hat. Den Mitgliedern dieses Rates ist der Machtzuwachs der
Islamisten ein Schreckgespenst: Die (fast durchweg in den USA ausgebildeten und von 1,3 Mrd $ USMilitärhilfe abhängigen) Militärs fühlen sich als Bewahrer der Revolution von 1952, die Streitkräfte sind
längst zu einer Art Staat im Staat geworden, der unter anderem – bis Mubarak – jeden Staatspräsidenten
stellte und große Privilegien genießt. Und seit den Jahren Gamal Abdel Nassers gelten die
Muslimbrüder für das Militär – in Abstufungen – als Staatsfeinde.
Mursi suchte trotzdem schon früh den Dialog mit dem Militärrat. Wohl auch, weil ihm klar war, dass
die Muslimbrüder nicht in der Lage sein würden, sich gewaltsam dem Scaf zu widersetzen. Der Rat
versuchte zunächst, das Erstarken der Muslimbrüder zu verhindern. Nachdem diese bei den
Parlamentswahlen aber rund 40 % (und zusammen mit den radikaleren Salafisten rund 70%) der
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Stimmen errungen hatten, betrieben die Militärs mit Hilfe des Verfassungsgerichts die Annullierung
der Wahl und die Schließung des Parlaments. Die Präsidentschaftswahlen zu verhindern war ihnen
aber wohl ein zu "heißes Eisen", dennoch verfügten sie zumindest eine drastische Beschneidung der
Rechte des Präsidenten.
Dies als "Putsch" des Militärs zu bezeichnen, dürfte jedoch am Thema vorbei gehen. Einer der vielen
Vorwürfe, die man dem bisherigen Präsidenten Mubarak gemacht hatte, war schließlich gewesen,
dass er seine Macht durch diverse Verfassungsänderungen so ausgebaut hatte, dass sie praktisch
unbegrenzt und unkontrolliert war. Nur eine neue Verfassung hätte dies rückgängig machen können,
eine solche wurde bisher aber nicht entworfen und auch nicht verabschiedet. Der zu wählende neue
Präsident hätte also im Grunde die bisher kritisierte umfangreiche Machtfülle Mubaraks erhalten.
Abgesehen von seinem Bestreben, eigene Macht und Einfluss zu erhalten, war das Grund genug für
den Scaf, die Vollmachten des Präsidenten zu beschneiden.
Schrittweise wird der Scaf sicher Aufgaben und Befugnisse an den Präsidenten übertragen müssen.
Sicher wird er aber im Hintergrund die Kontrolle behalten wollen, aus Bestreben nach Machterhalt wie
aus tiefem Misstrauen gegenüber den Islamisten. Selbst wenn diese sich im Kreis der Muslimbrüder
und der FJP weit gemäßigter und konzilianter als in der Vergangenheit zeigen. Politisch können sie –
bei allen regionalen Unterschieden – der Gruppe von Parteien und Bewegungen für "Gerechtigkeit
und Entwicklung" zugerechnet werden, die sich von Marokko bis Pakistan gebildet haben und sich
grob am türkischen Vorbild orientiert.
Um dieses Vorbild zu erreichen, müsste in Ägypten freilich noch viel geschehen und kann vieles
schiefgehen: Das Land leidet unter massiver Korruption, die Wirtschaft wird sehr lange brauchen, sich
vom Umsturz 2011 zu erholen und gesellschaftlich könnte je nach Wirtschafts- und außenpolitischer
Entwicklung auch eine rückläufige Entwicklung einsetzen. Um die Wirtschaft anzukurbeln, bedarf es
mehr als nur guter Absichten. So ist einer der größten Devisenbringer der Tourismus. Ein unruhiges
Ägypten, erst recht ein betont islamistisches Land, wird aber – wie schon vor Jahren zu Zeiten der
Terroranschläge in Ägypten - Touristen abschrecken und eine Erholung dieser Branche dürfte sehr
von einer zumindest oberflächlichen "Normalisierung" abhängen.
Neuordnung der Außenpolitik
Dazu aber gehört auch die Ordnung (oder Neu-Ordnung) der außenpolitischen Beziehungen des
Landes: Gegenüber den USA und Europa, gegenüber Israel und gegenüber dem Iran. Alle drei Bereiche
sind mehr als empfindlich und könnten den neuen Präsidenten in Bedrängnis bringen: Die Abhängigkeit
von den USA und selbst von einigen europäischen Staaten wird von vielen Ägyptern als negativer
Aspekt der Politik der Regierung Mubaraks abgelehnt. Ebenso wird der Friedensvertrag mit Israel, der
1979 nach dem Camp David Abkommen geschlossen wurde, von breiten Kreisen der ägyptischen
Öffentlichkeit kritisiert, in Frage gestellt oder gar seine Aufkündigung gefordert. Und weil der iranische
Staatspräsident Mahmud Ahmadinejad sich so unbeirrt gegen die USA und Israel ausspricht, hat er
in den letzten Jahren unter den Ägyptern erstaunliches Ansehen erworben, obwohl sunnitische
Islamisten eigentlich nicht viel übrig haben für die Schiiten.
Mohamed Mursi wäre gleich zu Beginn beinahe in dieses außenpolitische Minenfeld geraten und er
konnte sich – vorerst – gerade noch retten. So hatte die iranische Nachrichtenagentur "Fars" berichtet,
Mursi wolle die (1979 abgebrochenen) Beziehungen mit Teheran wieder aufnehmen. Umgehend ließ
er dementieren, je ein solches Interview gegeben zu haben. Ihm war sicher klar, dass er mit solch
einem Schritt massive Kritik der Amerikaner und Europäer ernten würde. Was Israel betrifft, so hatte
er gleich nach der Wahl versichert, dass er natürlich zu internationalen Verträgen stehen werde. Ohne
es konkret zu sagen: Also auch zum Frieden mit Israel.
In Jerusalem ist man von den Entwicklungen in Ägypten keineswegs angetan. Sie werden als Beweis
zitiert für eine zunehmende Radikalisierung auch durch die Umwälzungen des "Arabischen Frühling
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". Und sie dienen der konservativ-nationalistischen Regierung Netanyahu als Vorwand für Fortsetzung
und Verschärfung der unnachgiebigen Gangart gegenüber den Palästinensern und dem Iran: Die
islamistische "Hamas" ist ein Ableger der ägyptischen Muslimbrüder und kann nach deren
Machtzuwachs auch sicher mit mehr Unterstützung aus Kairo rechnen. Der Iran wiederum, der "Hamas
" (wie auch die anderen beiden Israel-Feinde "Hisbollah" und Syrien) nicht nur mit Worten unterstützt,
wird nun erst recht als regionaler Störenfried und Unruhestifter dargestellt.
Aber auch in traditionellem Freundesland – besonders auf der Arabischen Halbinsel - hat die Wahl
eines Muslimbruders in Kairo einiges Misstrauen ausgelöst, nachdem die Muslimbrüder begonnen
haben, die Unterdrückung von Menschenrechtsprotesten in den Golfstaaten zu kritisieren und die
angeblich mangelnde Unterstützung für Anhänger der syrischen Assad-Gegner.
Glückwünsche zur Wahl aus Washington und europäischen Hauptstädten können solche Probleme
kaum aufwiegen. Zumal sie auch mehr diplomatischem Usus entspringen als wahrer Freude über die
Entwicklungen am Nil. In Washington und Brüssel wird vielmehr misstrauische Wartehaltung
eingenommen: Die Muslimbrüder stehen dort trotz ihrer deutlichen Mäßigung immer noch im Verdacht,
kein geeigneter Partner für westliche Demokratien zu sein.
Anhänger der Muslimbrüder feiern die Wahl von Mohammed Mursi auf dem Tahrir-Platz in Kairo. (© picture-alliance,
landov)
Ein holpriger Anfang also für Mohamed Mursi. Zu dem er in der Vergangenheit ja selbst mit beigetragen
hatte. Etwa wenn der überzeugte Muslimbruder davon sprach, "Vereinigte Arabische Staaten" mit
Jerusalem als Hauptstadt anzuvisieren. Hiervon scheint er heute weit abgerückt zu sein. Das könnte
ihn aber wiederum in den Augen einiger seiner bisherigen Anhänger zum Verräter machen und die
Salafisten werden solches ohnehin von ihm behaupten. Die wirklichen Hardliner unter den Islamisten
wird er verlieren, die gemäßigten Nichtreligiösen vielleicht aber auch nicht gewinnen können. Immerhin
weiß man auch in seinem Umfeld, dass gerade einmal ein Viertel der Wahlberechtigten für ihn gestimmt
hatte – und fast genau so viele für den unterlegenen Shafiq.
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Kein Präsident des Arabischen Frühlings
Unter denen, die weder für ihn noch für Shafiq gestimmt hatten, sind die jungen, westlich orientierten
und modernen Ägypter. Viele von ihnen hatten an den Demonstrationen gegen Mubarak auf dem
Tahrir-Platz teilgenommen und diese angeführt, als die Muslimbrüder sich noch ungläubig
zurückhielten. Für sie war die Präsidentschaftswahl nur der bisherige Höhepunkt der Enttäuschung:
Ein Mubarak-Mann kandidierte gegen einen Islamisten. Dafür war man nicht auf die Straße gegangen.
Für manchen war Mursi das "kleinere Übel". Aber eben auch nicht die Verwirklichung des Traumes
von 2011. Wie wenig sich die moderneren Ägypter mit diesem Mann identifizieren können, macht sich
ironischerweise an Naglaa Ali Mahmoud fest, der 50-jährigen Frau des neuen Präsidenten: Die gläubige
Muslimin trägt Kopftuch und langen Mantel und bleibt religiös-bescheiden dezent im Hintergrund, was
sie für manche Ägypter durchaus sympathisch macht: Den Namen ihres Mannes hat sie nicht
übernommen – das sei eine westliche Unart, "First Lady" will sie nicht sein, sondern "Umm Ahmed" ("
Die Mutter von Ahmed" – dem ältesten ihrer Söhne). Eine Frau aus dem Volk. Genau das stört aber
andere im Land am Nil. Nach den eleganten und gebildeten Frauen Sadats und Mubaraks nun "Umm
Ahmed"? Obwohl die Straßen beherrscht sind von solchen "Umm Ahmeds", empören sich die Kritiker:
Sie sei nicht repräsentativ für "die ägyptische Frau" und doch wohl eher ein Zeichen, dass es mit Mursis
Beteuerungen über die Gleichstellung der Frau nicht sehr weit her sei.
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Die unvollendete Revolution in Ägypten
Von Dr. Stephan Roll
13.10.2011
ist Stipendiat in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.
Mit einer Großkundgebung am 25. Januar begann eine Protestwelle, die in wenigen Wochen
Präsident Mubarak aus dem Amt spülte. Wer Ägypten künftig regiert, ist noch völlig unklar.
Eine desolate Wirtschaft und ein noch immer übermächtiges Militär begrenzen den
Handlungspielraum aber enorm.
Der politische Umbruch im bevölkerungsreichsten arabischen Land kam für viele Beobachter Anfang
2011 überraschend. Dabei waren Proteste gegen das Regime des ehemaligen Staatspräsidenten
Husni Mubarak keineswegs neu. Der repressive und korrupte Staatsapparat und die schlechte sozioökonomische Lage hatten seit der Jahrtausendwende immer wieder Demonstrationen und Streiks
hervorgerufen. Allerdings war die politische Führung stets erfolgreich darin gewesen, die Opposition
durch brutale Polizeigewalt und kosmetische Reformen ruhig zu stellen.
Vernetzte Jugend, schwaches Regime
Dass es nun innerhalb weniger Wochen gelang, Mubarak zu stürzen, ist vor allem auf eine
Neuformierung der Protestbewegung – ermutigt durch die Ereignisse in Tunesien – und die
zunehmende Schwäche des Regimes selbst zurückzuführen. Während die organisierten Proteste der
vergangenen Jahre von einer relativ elitären Oppositionsbewegung getragen worden waren, war es
nun eine breite Bewegung, angeführt von Teilen der ägyptischen Mittelschichtjugend und unterstützt
von der Arbeiterschaft, die gegen das autoritäre politische System auf die Straße ging. Hierbei waren
zwei gegensätzliche Entwicklungen von Bedeutung:
Auf der einen Seite wurde die wirtschaftliche und soziale Situation gerade der jungen Ägypterinnen
und Ägypter – über zwei Drittel der ägyptischen Bevölkerung sind jünger als 35 – zunehmend
schwieriger. Mehr als die Hälfte der 20 bis 24-jährigen hatte nach offiziellen Angaben keine Arbeit.
Zudem wurde bezahlbarer Wohnraum immer knapper, so dass vielen jungen Ägyptern die Gründung
einer eigenen Familie verwehrt war. Auf der anderen Seite waren gerade die jungen Ägypter aufgrund
der Entstehung einer kritischen Presselandschaft und der starken Verbreitung elektronischer Medien
wie Internet, Mobilfunk und Sattelitenfernsehen immer besser informiert. In Internetforen konnten sie
ihren Unmut über die als korrupt und unfähig angesehene politische Führung Luft machen und ihren
Protest über Facebook und Twitter organisieren.
Die Protestwelle, die mit einer Großkundgebung am 25. Januar 2011 eingeleitet wurde, traf das
Mubarak-Regime in einer schwierigen Phase. Denn in der Herrschaftselite gab es Uneinigkeit über
den zukünftigen politischen Kurs des Landes und vor allem über die Frage der Nachfolge im Amt des
Staatspräsidenten. Husni Mubarak selbst hatte seit der Jahrtausendwende versucht, seinen Sohn
Gamal als Nachfolger aufzubauen. Als Zivilist verfügte Gamal Mubarak allerdings über keinen Rückhalt
in der Militärführung. Seit Gründung der Republik in Folge des Militärputsches 1952 kamen alle
Präsidenten aus den Streitkräften; das Militär war das eigentliche Machtzentrum des Landes. Gamal
Mubarak versuchte, sich durch Allianzen mit wichtigen Unternehmerfamilien eine eigene
Unterstützerklientel aufzubauen.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Unter dem Deckmantel eines wirtschaftsliberalen Reformers machte er sich vor allem für die
Geschäftsinteressen ägyptischer Großunternehmer stark – was allerdings den Konflikt mit dem Militär
noch verschärfte. Mit Verbitterung sahen viele Offiziere, wie die Gamal Mubarak-nahen
Großunternehmer sich bereichern konnten, während ihre eigenen Privilegien zunehmend in Frage
gestellt wurden. So kontrolliert das Militär ein Wirtschaftsimperium, das bis zu fünfzehn Prozent der
ägyptischen Wirtschaftsleistung erbringt und vielen aktiven und ehemaligen Offizieren lukrative
Nebentätigkeiten und Versorgungspositionen bietet.
Die Proteste der Bevölkerung gegen das Regime dürften daher viele Mitglieder des Offizierscorps als
Chance gesehen haben, eine nicht gewollte dynastische Machtübergabe zu verhindern. Hinzu kam,
dass die USA ein gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten ausdrücklich missbilligten. Aufgrund
der milliardenschweren Militärhilfen, die seit dem Friedensschluss mit Israel jedes Jahr von Washington
nach Kairo überwiesen werden, hat die US-Administration im ägyptischen Generalstab durchaus
Gewicht. Als die Situation infolge des gewaltsamen Vorgehens der Polizei- und Staatssicherheitskräfte
zu eskalieren begann, drängte daher der Oberste Militärrat – das Führungsgremium der ägyptischen
Streitkräfte – Husni Mubarak zum Amtsverzicht und übernahm am 11. Februar 2011 unter Führung
des Verteidigungsministers Generalfeldmarschall Muhamed Hussein Tantawi offiziell die Macht.
Ausgestaltung des Übergangs und Parteienbildung
Dem erzwungenen Rücktritt Husni Mubaraks folgte zunächst kein radikaler Umsturz der politischen
und gesellschaftlichen Verhältnisse. Zwar wurde die ehemals regierende Nationaldemokratische Partei
(NDP) aufgelöst und Husni Mubarak, seine beiden Söhne sowie eine Reihe prominenter Politiker und
Großunternehmer unter Anklage gestellt, der Hohe Militärrat war aber nicht bereit, die Macht direkt an
ein ziviles Führungsgremium zu übertragen. Vielmehr setzten die Generäle einen komplizierten und
noch lange nicht abgeschlossenen politischen Aushandlungsprozess in Gang: Die Verfassung wurde
in wichtigen Punkten geändert und diese Änderungen im März 2011 durch ein Referendum bestätigt.
Dadurch wurde unter anderem der Weg für freie und kompetitive Parlamentswahlen (des Ober- und
Unterhauses) eröffnet, die in mehreren Wahlgängen zwischen November 2011 und März 2012
stattfinden sollen. Durch das neue Parlament soll dann eine umfassende Verfassungsreform initiiert
werden, in der über die Grundzüge des politischen Systems zu entscheiden ist. Wann
Präsidentschaftswahlen durchgeführt werden, wurde trotz scharfen Protests aus dem gesamten
politischen Spektrum vom Hohen Militärrat zunächst offen gelassen.
Durch eine Reform des Parteiengesetzes wurde zudem die Bildung neuer Parteien ermöglicht. Die
derzeit nach Umfragen stärkste Partei ist die von der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründete "
Partei für Freiheit und Gerechtigkeit". Unter Mubarak waren die moderat-islamistischen Muslimbrüder
trotz ihres Verbots die am besten organisierte und in der Bevölkerung überaus populäre
Oppositionskraft. Über formal unabhängige Mandatsträger kontrollierten sie zwischen 2005 und 2010
rund 20 Prozent der Sitze im ägyptischen Parlament. Ob es ihnen gelingen kann, nach den Wahlen
den politischen Prozess zu dominieren, bleibt allerdings abzuwarten. Schließlich bildet sich nun neue
politische Konkurrenz heraus: liberale, linke, konservative und wirtschaftsliberale Kräfte formieren sich
und auch im islamistischen Lager werden neue Parteien aus der Taufe gehoben. Zudem ist die
Muslimbruderschaft kein homogenes Gebilde. Während der konservative Flügel einen weit reichenden
Umbau der Gesellschaft gemäß islamistischer Vorstellungen anstrebt, tritt ein progressiv
reformistischer Flügel für einen zivilen Staat mit religiösem Referenzrahmen ein.
Bislang konnte sich der Reformflügel insofern durchsetzen, als dass die Muslimbrüder eine Kooperation
auch mit säkular orientierten politischen Kräften bei den kommenden Wahlen anstreben – nicht zuletzt,
um das Wiedererstarken von Kadern der ehemaligen Regierungspartei zu verhindern. So wurde unter
Führung der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit die "Demokratische Allianz für Ägypten" gegründet,
der zunächst auch die national-liberale Wafd-Partei angehört und die mit einer gemeinsamen
Kandidatenliste bei den Parlamentswahlen antreten will. Eine gewisse Zurückhaltung signalisiert auch,
dass die Muslimbrüder bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen keinen eigenen Kandidaten ins
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Rennen schicken wollen. Allerdings haben prominente Ex-Muslimbrüder angekündigt, als
Unabhängige anzutreten. Dennoch gibt es bei vielen säkular orientierten Parteien Befürchtungen, die
Bruderschaft könnte im Verfassungsgebungsprozess auf eine noch stärkere Rolle des Islam in der
neuen Verfassung drängen. Eine Reihe dieser zumeist sehr kleinen Parteien hat sich im "Ägyptischen
Block" zusammengeschlossen, um bei den kommenden Wahlen nicht marginalisiert zu werden.
Eingeschränkter politischer Handlungsspielraum
Gleich, wer am Ende als politischer Gewinner hervorgeht: Der politische Handlungsspielraum scheint
eng begrenzt. Die ohnehin desolate ägyptische Wirtschaft wurde durch die politischen Unruhen schwer
in Mitleidenschaft gezogen. Das Wirtschaftswachstum ist nach offiziellen Angaben im Haushaltsjahr
2010/2011 auf unter zwei Prozent eingebrochen, was bei weitem nicht ausreicht, um
Beschäftigungsmöglichkeiten für die Neuzugänge auf den Arbeitsmarkt bereitzustellen, geschweige
denn die hohe Arbeitslosigkeit des Landes abzubauen. Gleichzeitig stiegen die Lebenshaltungskosten,
insbesondere die Preise für Grundnahrungsmittel, weiter an. Zahlreiche Unternehmen waren im Herbst
2011 noch nicht zum normalen Produktionsprozess zurückgekehrt, da immer wieder Streiks gegen zu
niedrige Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen aufflammen.
Zudem sind die Eigentumsverhältnisse privater Unternehmen oftmals unklar, da gegen zahlreiche
Mubarak-nahe Großunternehmer Ermittlungen wegen Korruption und Selbstbereicherung eingeleitet
wurden. Aufgrund der offenen politischen Entwicklung, vor allem aber wegen der schlechten
Sicherheitslage und der damit verbunden Häufung gewaltsamer Auseinandersetzungen und
Übergriffe, die sich auch gegen die christliche Minderheit richten, meiden ausländische Investoren das
Land, und auch im beschäftigungsintensiven Tourismussektor sind dramatische Einbrüche zu
verzeichnen. Eine neue politische Führung müsste daher sowohl gegen die akute wirtschaftliche Krise
ankämpfen, um neue Unruhen zu verhindern, und zugleich den Reformstau der Mubarak-Ära
anpacken, um nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu ermöglichen.
Denn die Wirtschaftsreformen unter Mubarak kamen nur einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung
zugute. Die größten Herausforderungen, wie Korruption, eine unzureichende Wettbewerbsordnung
oder das ungerechte und ineffiziente Steuer- und Subventionssystem, waren hingegen systematisch
ausgeklammert worden.
Begrenzt wird der Handlungsspielraum der zukünftigen politischen Führung vor allem aber durch das
übermächtige Militär. Der Hohe Militärrat dürfte auch in Zukunft nicht bereit sein, sich vollständig einer
zivilen politischen Führung und ziviler Kontrolle unterzuordnen. Das Taktieren der Militärs in Bezug
auf die Abhaltung der Wahlen und die häufige Durchführung von Militärgerichtsverfahren gegen
Zivilisten zeigen bereits heute, dass die Militärs die Kontrolle über den politischen Umbau nicht aus
der Hand geben wollen. Einer zivilen Regierung steht daher eine komplizierte Gratwanderung bevor:
Auf der einen Seite muss das Militär konstruktiv eingebunden und seine zahlreichen Ressourcen für
die Gesellschaft nutzbar gemacht werden. Gerade angesichts der angespannten Sicherheitslage und
angesichts des desolaten Polizeiapparates kann auf das Militär als Ordnungskraft vorerst nicht
verzichtet werden. Auf der anderen Seite muss jede zivile Regierung daran interessiert sein, den
politischen und wirtschaftlichen Einfluss des Militärs zu beschneiden.
Die hohen Verteidigungsausgaben sind angesichts der ökonomischen Misere des Landes mittel- und
langfristig kaum tragbar. Solange eine zivile Regierung nicht die Macht zur Reform dieses ausufernden
Sicherheitsapparates hat, ist die "Revolution des 25. Januar 2011" keineswegs vollendet.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Vorreiter Tunesien
Von Dr. Isabelle Werenfels
12.10.2011
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.
Mit dem Sturz des Dikators Ben Ali begann in Tunesien der Arabische Frühling. Aber wo steht
das Land jetzt? Kann es weiter eine Vorreiterrolle in der Arabischen Welt einnehmen?
Der Arabische Frühling hätte ohne die Ereignisse in Tunesien kaum stattgefunden. In Tunesien
wuchsen sich lokale Unruhen mit wirtschaftlichem Hintergrund innerhalb weniger Wochen zu einem
Volksaufstand aus und gipfelten am 14. Januar 2011 in der Flucht von Präsident Zine El Abidine Ben
Ali. Direkter Auslöser der Unruhen war Mitte Dezember 2010 die Selbstverbrennung eines jungen
Mannes ohne berufliche Perspektiven in der vom Staat vernachlässigten Provinz Sidi Bouzid. Es
folgten landesweite Solidaritätskundgebungen tausender, vor allem gut ausgebildeter arbeitsloser
Jugendlicher. Versuche des Regimes, die Proteste brutal nieder zu schlagen, bewirkten das Gegenteil:
In kürzester Zeit schwappten die Kundgebungen in die Hauptstadt über und wandelten sich innerhalb
von Tagen zu einem Volksaufstand gegen das Regime Ben Ali.
Die Demonstrierenden prangerten die Bereicherung und Korruption der herrschenden Familie an und
forderten schließlich in der zweiten Januarwoche offen den Rücktritt des seit 23 Jahren mit eiserner
Hand regierenden Präsidenten. Dessen Versuche, die Wogen durch die Ankündigung von
Finanzspritzen und der Schaffung von Arbeitsplätzen zu glätten, liefen ins Leere. Als Ben Ali am
Vorabend seiner Flucht grundlegende Reformen und eine Ende seiner Herrschaft (wenn auch erst zu
den nächsten Wahlen in 2014) ankündigte, war es zu spät. Die Machtelite hatte sich gespalten, und
Schlüsselfiguren im Regime setzten sich von Ben Ali ab – ob aus politischer Überzeugung oder
Opportunismus bleibt offen. Schlussendlich war es die Opposition innerhalb des Sicherheitsapparates,
die den Präsidenten Mitte Januar 2011 zur Abreise bewegte oder gar zwang.
Gescheiterte Legitimationsstrategie
Entscheidend dafür, dass Tunesien als erstes arabisches Land den Sturz eines Diktators durch das
Volk erlebt hat, war das Zusammenwirken spezifischer politischer, wirtschaftlicher und
gesellschaftlicher Faktoren.
Erstens haben die wachsenden sozioökonomischen Probleme die Achillesferse des Regimes getroffen.
Ben Ali konnte seine Herrschaft lange über den vergleichsweise hohen Lebensstandard der
tunesischen Bevölkerung legitimieren. Doch seine Strategie, politische Freiheiten durch relativen
Wohlstand zu ersetzen, ging in den vergangenen Jahren immer weniger auf. Die soziale Ungleichheit
nahm zu, und der ansteigenden Arbeitslosigkeit von Jugendlichen mit höherer Bildung (2010 betrug
sie offiziell mehr als 25 Prozent) stand die immer offensichtlichere Selbstbereicherung der
herrschenden Familie gegenüber. Die Tunesier sahen sich in dieser Wahrnehmung von den im Herbst
2010 publizierten WikiLeaks-Berichten bestätigt.
Zweitens gab es in Tunesien kaum politische Ventile, über die sich die Frustration der Bevölkerung "
dosiert" hätte entladen können. Die Presse gehörte zu den unfreisten der Welt; Polizei und
Geheimdienst unterbanden sämtliche Aktivitäten und Versammlungen mit regimekritischem Anstrich.
Zwar existierten schon vor dem Aufstand neben der verbotenen islamistischen Ennahdha-Partei auch
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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eine Handvoll legalisierter, kleiner Oppositionsparteien. Darüber hinaus fanden sich ein paar Dutzend
Individuen, einige wenige Nichtregierungsorganisationen sowie Akteure innerhalb von
Berufsverbänden, die das Regime offen kritisierten. Nicht zuletzt gab es innerhalb des Dachverbands
der Gewerkschaften, der UGTT (Union générale tunisienne du travail), einen regimekritischen Flügel.
Aber selbst gesetzlich anerkannte Oppositionelle sahen sich im Regime Ben Ali persönlichen
Schikanen und Repressalien ausgesetzt. Ben Ali hatte unter dem Vorwand des Kampfes gegen den
Islamismus einen Polizeistaat errichtet, der alle oppositionellen Kräfte unterdrückte und die
Bevölkerung engmaschig kontrollierte. Folglich konnte es wenig überraschen, dass die tunesischen
Demonstrantinnen und Demonstranten, denen es Anfangs vor allem um Arbeitsplätze ging, schon bald
vor allem nach Freiheit riefen.
Drittens ist Ben Ali die Konzentration der politischen und ökonomischen Macht bei seiner Person und
seiner Familie zum Verhängnis geworden. Durch die Personalisierung des tunesischen Systems konnte
er die Verantwortung für soziale Ungerechtigkeit, Korruption oder die Brutalität der Sicherheitskräfte
nicht einfach auf andere abschieben. Entsprechend bewirkte die Entlassung von Gouverneuren oder
Ministern während der Unruhen keine Beruhigung der Lage.
Nicht zuletzt lässt sich der Erfolg des tunesischen Aufstands mit der Beschaffenheit der tunesischen
Gesellschaft erklären. Diese ist ethnisch und konfessionell homogen, verfügt über eine breite
Mittelschicht und ist insgesamt gebildet und modern – nicht zuletzt aufgrund der geographischen Nähe
und den engen Verbindungen zu Europa. Allein schon die weitgehende Gleichstellung der Frauen
sucht ihresgleichen im arabischen Raum. Die gesellschaftliche Modernisierung ist hauptsächlich das
Verdienst von Staatsgründer Habib Bourguiba, aber auch Ben Ali hatte diese Politik weiterverfolgt. So
ist in Tunesien etwa der Grad der Vernetzung und Mobilisierung über elektronische Medien hoch –
knapp 20% der Bevölkerung nutzen Facebook. Entsprechend groß war der kollektive Aufschrei über
das brachiale Vorgehen der Sicherheitskräfte. In Folge gingen Vertreterinnen und Vertreter aller
Segmente der Gesellschaft auf die Straße.
Neue und alte Akteure
In den Monaten nach dem Sturz Ben Alis kristallisierten sich schrittweise Übergansstrukturen, ein
Fahrplan für einen Übergangsprozess in Richtung Demokratie sowie eine Reihe zentraler Akteure
heraus. In Übereinstimmung mit der Verfassung übernahm der Präsident der Abgeordnetenkammer,
Fouad M´Bazaa, das Präsidentenamt. Eine erste Übergangsregierung scheiterte am Widerstand der "
Straße", weil sie mehrheitlich aus Politikern der Ben Ali-Zeit bestand. Durch Schritte wie die Auflösung
der politischen Polizei, die Zulassung ehemals verbotener Parteien und die Etablierung von
Pressefreiheit gelang es, die Wogen etwas zu glätten. Mit der Schaffung einer "Hohen Instanz zur
Umsetzung der Ziele der Revolution" im März 2011, die einen Fahrplan für Wahlen zu einer
verfassungsgebenden Versammlung vorlegte, ebbten die täglichen und oft auch gewaltsam
eskalierenden Demonstrationen stark, wenn auch nicht völlig, ab.
Innerhalb weniger Monate erlebte Tunesien die Gründung von über 100 Parteien sowie das Aufblühen
der Zivilgesellschaft. Auffallend war, dass die meisten der zentralen Kräfte der Übergangszeit – seien
es Parteien oder Individuen – keine neuen waren. Die in ersten Umfragen stärkste Partei, die
islamistische Ennahdha war schon in den 1980er Jahren eine wichtige politische Kraft gewesen, bevor
Ben Ali sie unterdrückte und ihren Vorsitzenden, Rachid Ghannouchi, ins Exil zwang. Ghannouchi,
der nach dem Umbruch zurückkehrte, sitzt der Partei auch heute noch vor. Die Vorsitzenden der
anderen Parteien mit einem gewissen Bekanntheitsgrad sind ebenfalls altbekannte Oppositionsfiguren.
Der Chef der zweiten Übergangsregierung, der 84-jährige Béji Caid Essebsi, hatte schon unter
Bourguiba gedient, und viele der Technokraten seines Kabinetts hatten zuvor hohe Funktionen im
System Ben Ali innegehabt, allerdings ohne mit dem Präsidenten zu eng verbandelt gewesen zu sein.
Im Herbst 2011 ließ sich die politische Landschaft Tunesiens grob in drei Blöcke unterteilen: einen
islamistischen mit der Ennahdha als stärkster Kraft, einen linken und einen liberalen der rechten Mitte,
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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in dem sich Parteien der sogenannten Neo-Bourguibisten fanden, darunter auch einige Parteien, die
als Sammelbecken für ehemalige Mitglieder und Eliten von Ben Alis RCD (Rassemblement
constitutionnel démocratique) gelten konnten. Allerdings war es mehreren Tausend Personen, die noch
in den Wahlen 2009 aktiv für Ben Ali geworben hatten oder in einem seiner Kabinette saßen, nicht
erlaubt, für die verfassungsgebende Versammlung zu kandidieren.
Gute Voraussetzungen, schwieriger Kontext
Mit der am 23. Oktober 2011 zu wählenden verfassungsgebenden Versammlung wird Tunesien über
eine demokratisch legitimierte Institution verfügen. Diese soll eine neue Verfassung ausarbeiten und
einen Fahrplan für deren Umsetzung festlegen. Wie sich der Demokratisierungsprozess in Tunesien
weiter entwickelt, hängt indes nicht nur von den neuen politischen Institutionen ab. Entscheidend wird
sein, ob die neuen Eliten es schaffen, eine Reihe gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer
Herausforderungen zu meistern.
Erstens steckt Tunesien nach dem Sturz Ben Alis in einer Wirtschaftskrise. Die Tourismusbranche erlitt
bis zum Herbst 2011 massive Einbrüche, Investitionen brachen ein, Betriebe konnten aufgrund von
Unruhen oder Streiks nicht normal produzieren. Nicht zuletzt hat auch der Konflikt in Libyen die
tunesische Wirtschaft schwer getroffen. In der Folge ist die Arbeitslosigkeit gegenüber 2010 weiter
gestiegen, das für 2011 prognostizierte Wachstum bewegt sich deutlich unter der Marke, die für eine
Verbesserung der wirtschaftlichen Lage notwendig wäre. Verbessert sich die wirtschaftliche Lage aber
nicht, ist mit erneuten Demonstrationswellen zu rechnen, die wiederum die Wirtschaft schwächen und
die Handlungsfähigkeit der Regierung einschränken. Letztlich birgt dies auch die Gefahr, dass sich
die Bevölkerung populistischen und möglicherweise auch radikalen Kräften zuwendet.
Zweitens ist es noch nicht gelungen, in allen Teilen des Landes wieder Sicherheit und Ordnung
herzustellen. In den wenig privilegierten Unruheprovinzen im Zentrum und Süden Tunesiens arten
Kundgebungen nach wie vor in Gewalt aus, ist die Kriminalität angestiegen und scheinen nicht zuletzt
Verlierer der politischen Wandels bemüht, Unruhe zu stiften. Auch der Krieg im Nachbarland Libyen
hatte, zumindest vorübergehend, negative Folgen für die Stabilität Tunesiens.
Drittens wird der Umgang mit der Vergangenheit eine große Herausforderung für die neuen politischen
Eliten Tunesiens. Die Übergangsregierung hat bislang nur wenige Eliten und Handlanger des alten
Systems juristisch verfolgt und – mit wenigen Ausnahmen – von einer Politik der Ausgrenzung von
Unterstützern des alten Systems Abstand genommen. In der Folge sind im Justiz- und im Privatsektor
sowie in den privaten elektronischen Medien nach wie vor Eliten aus der Ben Ali-Zeit am Ruder und
können Reformen verhindern. Nicht zuletzt deswegen findet die islamistische Ennahdha-Partei, der
keine Kungelei mit alten Kräften vorgeworfen werden kann, starken Zuspruch in der Bevölkerung.
Viertens zeichnet sich in Tunesien ein Tauziehen zwischen islamistischen und säkularen Kräften um
die Frage der Rolle der Religion ab. Letztlich geht es darum, die Identität Tunesiens neu zu definieren.
So fordert nun auch die Minderheit der Berber ihre kulturellen Rechte ein.
Vieles spricht dafür, dass Tunesien alle diese Herausforderungen meistern wird. Die breite Mittelschicht,
das im regionalen Vergleich hohe Bildungsniveau, die Präsenz einer hohen Zahl fähiger Technokraten,
die aktive Rolle der Frauen – aufgrund von Quoten werden in der verfassungsgebenden Versammlung
50% Frauen sitzen – und das hohe zivilgesellschaftliche Engagement der breiten Bevölkerung sorgen
für gute Ausgangsbedingungen. Nicht zuletzt spricht eine historisch gewachsene politische Kultur des
Konsenses dafür, dass Tunesien nicht nur mit Blick auf die Vertreibung des Diktators, sondern auch
mit Blick auf Demokratisierung der Vorreiter in der arabischen Welt bleiben wird.
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Libyen nach der Revolution des 17. Februar
Von Wolfram Lacher
24.10.2011
geboren 1977, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft
und Politik (SWP). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Libyen und Sudan. Von 2007 bis 2010 arbeitete er als Analyst für Nordafrika
bei Control Risks, einer Beratungsfirma für politische und Sicherheitsrisiken in London. Zuvor studierte er Arabistik, Afrikanistik,
Internationale Beziehungen, Entwicklungs- und Konfliktstudien in Leipzig, Paris, Kairo und London.
Im Gegensatz zu Ägypten und Tunesien war der Umsturz in Libyen von Anfang an gewaltsamer.
Entscheidend für den Sturz des Gaddafi-Regimes war der Einsatz der NATO. Jetzt muss in
Libyen ein neuer Staat entstehen. Aber es gibt kaum Erfahrungen mit politischen Parteien und
demokratischen bzw. rechtsstaatlichen Institutionen.
Libyen steht nach dem Sturz des Regimes von Muammar al-Gaddafi vor enormen Herausforderungen.
Deren dringlichste sind die Stabilisierung der Sicherheitslage und die Einleitung eines inklusiven
politischen Prozesses. Teile der Bevölkerung, die Gaddafi unterstützten und in seinen
Sicherheitsapparat eingebunden waren, könnten weiterhin Widerstand gegen die neue Regierung
leisten. Zudem entziehen sich viele der bewaffneten Gruppen auf Seiten der Revolutionäre der
zentralen Kontrolle durch die Regierung. Darüber hinaus konnten sich während der 42-jährigen
Herrschaft Gaddafis weder stabile staatliche Institutionen noch zivilgesellschaftliche Organisationen
etablieren. Es gab nicht einmal eine Verfassung. Die Grundlagen des Staates und des politischen
Systems müssen deshalb völlig neu ausgehandelt werden. Angesichts dessen ist der Begriff der
Revolution dem Umbruch in Libyen zweifelsohne angemessen. In Libyen selbst werden die Ereignisse
zwischen dem Beginn des Aufstandes um den 17. Februar 2011 und dem Tod Gaddafis am 20. Oktober
2011 als "Revolution des 17. Februar" bezeichnet.
Der libysche Sonderweg
Der Aufstand, der im Nordosten und Nordwesten Libyens bald nach dem Rücktritt des ägyptischen
Präsidenten Hosni Mubarak ausbrach, unterschied sich stark von den Umbrüchen in Tunesien und
Ägypten. Die Unruhen in Libyen waren von Beginn an gewaltsamer: Ämter und Behörden wurden in
Brand gesteckt, worauf das Regime mit brutaler Gewalt reagierte. Wie in Tunesien und Ägypten waren
die Demonstranten zumeist jung. Doch ist die junge Generation in Libyen deutlich schlechter
ausgebildet als in den beiden Nachbarländern und hat weniger Zugang zum Internet und seinen
Kommunikationsmöglichkeiten. Die anfänglichen Proteste waren noch weniger organisiert als in den
Nachbarländern.
Dass Libyen innerhalb kürzester Zeit in einen Bürgerkrieg entglitt, hat mehrere Gründe. Die staatlichen
Institutionen – allen voran die Armee – waren durch Gaddafi geschwächt worden, um die Macht in den
informellen Kreisen um ihn, insbesondere seine Söhne und die weitere Familie, zu konzentrieren.
Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen waren verboten; stattdessen spielten
Stammesloyalitäten weiterhin eine wichtige Rolle. Als das Regime mit blinder Repression auf die
Proteste reagierte, brach der Staats- und Militärapparat schnell auseinander. Hohe Diplomaten und
Militärs schlossen sich den Aufständischen an und organisierten den Widerstand, um ihre Familien
und Städte zu schützen. Eine Vorreiterrolle spielten dabei Mitglieder der Stämme des Nordostens.
Dagegen waren die Brigaden des Sicherheitsapparats, der den Kampf gegen die Aufständischen
anführte, zum Großteil aus Gaddafis Stamm oder aus mit ihm verbündeten Stämmen rekrutiert. Infolge
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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des Auseinanderbrechens des Staatsapparates entstand auch die politische Führung des Aufstandes:
der Nationale Übergangsrat in Bengasi, in dem ehemalige hohe Vertreter des Regimes mit langjährigen
Oppositionellen koalierten.
Entscheidend für den Sieg der Revolutionäre über das Regime war die NATO-Intervention auf Basis
der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates. Die Resolution autorisierte eine Militärintervention zum
Schutz der Zivilbevölkerung. Ihre Umsetzung durch NATO-Luftangriffe kam allerdings einer
systematischen Kampagne gegen die Truppen des Regimes gleich; auch unterstützte die NATO die
Offensiven der revolutionären Truppen aus der Luft. Darüber hinaus erhielten die Rebellen – trotz des
verhängten Waffenembargos – Militärhilfe von mehreren an der Intervention beteiligten Staaten. Mit
internationaler Unterstützung konnten die Revolutionäre ihre Hochburgen im Nordosten, der Stadt
Misrata östlich von Tripolis sowie den westlichen Bergen südlich der Hauptstadt verteidigen, und nach
monatelanger Pattsituation schließlich die Oberhand gewinnen.
Wer sind die Revolutionäre?
In den ersten Monaten der Revolution wurde international heftig über die politische Einordnung der
libyschen Revolutionäre und die Ziele ihrer Führung diskutiert. Dies lag einerseits daran, dass es in
Libyen nahezu keine politischen Parteien und Bewegungen gab, so dass die Führungsfiguren der
Revolution keiner Gruppierung bzw. Programmatik zugerechnet werden konnten. Andererseits war
die Zusammensetzung der Revolutionäre äußerst heterogen. Vor allem die prominente Rolle
ehemaliger Politiker und Militärs des Regimes sorgte im Ausland für Zweifel an der verkündeten Absicht
des Übergangsrates, nach dem Sturz des Regimes eine demokratische Ordnung aufzubauen. Viele
der Überläufer waren dem reformistischen Lager innerhalb des Regimes zuzurechnen gewesen, wie
der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdeljelil, oder der am 23. Oktober zurückgetretene
Chef der Übergangsregierung, Mahmoud Jibril. Aber auch langjährige enge Mitarbeiter Gaddafis
schlossen sich den Revolutionären an.
Neben Überläufern aus dem Regime sind Mitglieder der Exilopposition in der politischen Führung
prominent vertreten – darunter zahlreiche Mitglieder von Familien, die unter der von Gaddafi gestürzten
Monarchie (1951-1969) zur Regierungselite gezählt hatten und von Gaddafi entmachtet worden waren.
Weitaus breiter war dagegen die Zusammensetzung der lokalen Übergangsräte, die sich in befreiten
Städten im Nordosten sowie in Misrata und den westlichen Bergen bildeten. Auch die bewaffneten
Gruppierungen, die den Kampf gegen das Regime anführten, entstanden durch eine breite
Mobilisierung der Gesellschaft. In jeder Stadt, die von der Revolution ergriffen wurde, bildeten sich
bewaffnete Gruppen, um ihre Städte gegen die Truppen des Regimes zu verteidigen. Über viele dieser
revolutionären Brigaden hat der Übergangsrat – wenn überhaupt – nur eine lose Kontrolle. Ihre Loyalität
gehört zunächst ihrer Stadt oder ihrem Stamm, in einigen Fällen auch einflussreichen Familien, die
den Kampf finanzierten. Auch Islamisten aus dem Umfeld der Libyschen Islamischen Kampfgruppe,
die während der 1990er Jahre im Nordosten Libyens gegen das Regime gekämpft hatte, bildeten
mehrere Brigaden.
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Kontroversen um die NATO-Intervention
Die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats zu Resolution 1973 war durch die nahezu völlige internationale
Isolation des Gaddafi-Regimes möglich. Die Arabische Liga und der Golfkooperationsrat hatten zuvor
die Einrichtung einer Flugverbotszone in Libyen gefordert. Aufgrund der regionalen Unterstützung für
eine Militärintervention vermieden es Russland und China, ihr Veto im Sicherheitsrat einzulegen. Doch
bestanden sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene beträchtliche Differenzen über
das internationale Vorgehen. Während Frankreich und Großbritannien die treibenden Kräfte hinter der
Resolution und der darauffolgenden Intervention waren, enthielt sich Deutschland in der Abstimmung
des Sicherheitsrats und beteiligte sich nicht aktiv an der NATO-Intervention. Italien und die Türkei, die
beide enge wirtschaftliche Beziehungen zu Libyen pflegen, standen einer Intervention zunächst
ablehnend gegenüber, beteiligten sich aber später daran.
Auch Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien beteiligten sich an der Intervention,
was von der NATO als Ausdruck regionaler Unterstützung für den Einsatz gewertet wurde.
Demgegenüber kritisierten Russland, China und die Afrikanische Union die Art der Umsetzung der
Resolution durch die NATO als einen einseitigen Eingriff in den Bürgerkrieg. Sie verlangten stärkere
Bemühungen um eine Verhandlungslösung. Die Nachbarstaaten Tunesien und Ägypten verhielten
sich weitgehend neutral, während Algerien der Intervention ablehnend gegenüberstand und vom
Übergangsrat beschuldigt wurde, Gaddafi zu unterstützen.
Herausforderungen
Nach dem Sturz des Regimes steht Libyen vor keiner geringeren Aufgabe als dem Aufbau eines völlig
neuen Staates. Eine Verfassung muss ausgearbeitet werden, für die es – von der Verfassung der
Monarchie von 1952 abgesehen – keinerlei Vorlagen gibt. Fundamentale Fragen wie die Staats- und
Regierungsform, die Rolle der Provinzen und das Wahlsystem müssen nun ausgehandelt werden.
Der Übergangsrat definierte in einer Verfassungserklärung im August 2011 die Eckpunkte des
Übergangsprozesses. Der Zeitplan dieses Prozesses begann mit der offiziellen Erklärung der "
Befreiung" Libyens am 23. Oktober 2011, wenige Tage nachdem die letzten Hochburgen des Regimes
erobert und Gaddafi getötet wurde. Innerhalb eines Monats nach der Befreiung soll eine repräsentative
Übergangsregierung gebildet werden; innerhalb von acht Monaten sollen Wahlen zu einer
Nationalkonferenz stattfinden. Die Konferenz wiederum ernennt eine Interimsregierung und wählt ein
Komitee, das innerhalb weiterer zwei Monate der Nationalkonferenz einen Verfassungsentwurf
präsentieren soll. Einen Monat darauf soll ein Verfassungsreferendum folgen, und neun Monate nach
dem Referendum sollen schließlich verfassungskonforme Neuwahlen stattfinden.
Weitgehend offen ist, welche politischen Kräfte diesen Prozess bestimmen werden. Mit dem Kollaps
des Regimes hat die revolutionäre Koalition den wichtigsten Grund ihres Zusammenhalts verloren. Es
beginnen sich politische Lager herauszubilden, die um die Macht konkurrieren. In Folge konnten sich
die revolutionären Kräfte im August und September 2011 nicht auf die Bildung einer neuen Regierung
einigen. Da der Übergangsrat bis zum Sturz des Regimes von Vertretern des Nordostens dominiert
wurde, ist eine Neugewichtung innerhalb der politischen Führung nötig. Auch Stämme, die dem Regime
gegenüber während der Revolution vorwiegend loyal geblieben und überproportional im
Sicherheitsapparat vertreten waren, müssten in den Übergangsprozess eingebunden werden.
Angesichts der Tatsache, dass die treibenden Kräfte der Revolution meist die Interessen von einzelnen
Familien, Stämmen oder Städten vertreten, ist aber derzeit noch nicht abzusehen, welche Art von
Koalitionen sich herausbilden könnten.
Die entstehenden Lager dürften sich anhand einer Reihe von Fragen definieren. Dazu zählt die
Bedeutung des Islam für die Orientierung des Staats- und Rechtswesens. Welche Rolle ehemalige
Entscheidungsträger des Regimes im neuen Libyen spielen und wie die Verbrechen des Regimes
aufgearbeitet werden, stellt einen weiteren möglichen Streitpunkt dar. Mit Hinblick auf die neue
Verfassung dürfte schließlich die Entscheidung zwischen einem dezentralen bzw. föderalen System
einerseits oder einem zentralistischen Modell andererseits zu einer wichtigen Frage werden. Hinter
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den Auseinandersetzungen um solche Fragen stehen letztendlich Machtkämpfe. Denn die
Machtverteilung ist von zentraler Bedeutung, weil sie mit Einflussmöglichkeiten auf die Verteilung der
Erdöleinnahmen bzw. den Zugriff auf diese Einnahmen verbunden ist. Von den Erdöleinnahmen hängt
die gesamte libysche Volkswirtschaft ab.
Inwiefern während des Übergangsprozesses demokratische Strukturen und Spielregeln geschaffen
und beachtet werden, bleibt abzuwarten. Negativ dürfte sich neben der Wirtschaftsstruktur hierbei
auswirken, dass es in Libyen bis zum Sturz des Gaddafi-Regimes kaum Erfahrungen mit politischen
Parteien und demokratischen bzw. rechtsstaatlichen Institutionen gab.
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Kein Frühling am Golf
Saudi-Arabien und seine Nachbarn
Von Dr. Guido Steinberg
24.10.2011
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.
Bahrain und Saudi-Arabien spielten in der medialen Aufmerksamkeit bislang nur eine
untergeordnete Rolle. Dabei sind gerade die Ereignisse im kleinen Inselstaat Bahrain
weltpolitisch von großer Bedeutung. Und haben auch eine konfessionelle Dimension.
Auch die Monarchien am Persischen Golf wurden im Jahr 2011 vom Arabischen Frühling erfasst. Zwar
geriet mit dem Königshaus der Al Khalifa in Bahrain nur eines der dortigen Regime kurzzeitig in Gefahr
zu stürzen, doch zwang die auch in den Nachbarländern verbreitete Unzufriedenheit die dortigen
Regierungen zu ersten Reaktionen. Dabei besteht am Golf vor allem die Gefahr, dass Proteste und
Unruhen sich – wie in Bahrain bereits geschehen – zu einer konfessionellen Auseinandersetzung
zwischen Sunniten und Schiiten ausweiten, dass Unruhen von Bahrain auf Saudi-Arabien und Kuwait
übergreifen und dass künftig gegebenenfalls sogar der Iran auf der Seite schiitischer
Oppositionsgruppen in Konflikte interveniert.
Die Golfregion in der internationalen Politik
Die Ereignisse in Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien dominierten im Verlauf des Arabischen
Frühlings die Berichterstattung in den europäischen Medien. Dies entspricht zwar der relativen Nähe
dieser Länder zu Europa, jedoch nicht der weltpolitischen Bedeutung. Denn die Ereignisse in dem
kleinen Inselstaat Bahrain könnten für die Weltpolitik noch sehr viel gravierendere Folgen haben als
jene in Nordafrika. Der Grund hierfür ist, dass sich der geopolitische Schwerpunkt der Region seit den
1970er Jahren vom Nahen Osten im engeren Sinne (Israel und angrenzende Staaten) hin zum
Persischen Golf verschoben hat. Der nach der Ölkrise von 1973 rasch wachsende Ölreichtum der
Anrainerstaaten sorgte dafür, dass Staaten wie der Irak, Iran und Saudi-Arabien in den Fokus der
Weltpolitik rückten, während die Bedeutung beispielsweise Ägyptens abnahm.
Der Ölreichtum führte auch dazu, dass die Anrainer des Persischen Golfes in einen Konflikt um die
Vormachtstellung in der Region eintraten, der rasch in drei Kriege mündete: den Iran-Irak-Krieg
1980-1988, den Kuwait-Krieg 1990/91 und den Irak-Krieg 2003. Wegen der Bedeutung der Golfregion
für die Öl- und Gasversorgung der Weltwirtschaft intervenierten die USA mehrfach, bis sie 2003 den
Irak besetzten und damit selbst zu einer regionalen Konfliktpartei wurden.
Die Bedeutung der Golfregion für Weltwirtschaft (hier liegen die weltweit größten Öl- und Gasreserven)
und Weltpolitik bestimmt auch die Reaktion der USA und ihrer europäischen Verbündeten auf die
Proteste und Unruhen dort. Das westliche Interesse an der Stabilität der Regime am Golf ist weitaus
stärker ausgeprägt als am Fortbestand der Regime in Nordafrika. Dabei geht es neben der Sicherung
der Ölversorgung auch darum, dem Vormachstreben Irans entgegenzutreten. Deutlichster Ausdruck
dieses westlichen Interesses waren Waffengeschäfte zwischen den USA und den Europäern einerseits,
und den arabischen Golfstaaten andererseits, die trotz der krisenhaften Entwicklung 2011
abgeschlossen wurden.
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Unruhen in Saudi-Arabien und Bahrain
Schon kurz nach dem Ausbruch der Unruhen in Nordafrika reagierte die saudi-arabische Führung,
indem sie für März angekündigte Demonstrationen untersagte. Die wichtigste religionspolitische
Institution des Landes, der Rat der Hochrangigen Gelehrten (Hai´at Kibar al-Ulama), bestätigte die
Rechtmäßigkeit des Verbots, indem er Demonstrationen für unislamisch erklärte. Gleichzeitig ließ die
Regierung frühzeitig Sicherheitskräfte an Orten aufmarschieren, wo sie Proteste befürchtete,
insbesondere in den schiitisch besiedelten Gebieten im Osten des Landes. Und König Abdallah
verkündete im Februar und März 2011 ein gewaltiges Subventionsprogramm mit einem Volumen von
insgesamt 130 Mrd. US-Dollar, mit dem unter anderem neue Arbeitsplätze geschaffen, Wohnungen
gebaut und die Gesundheitsversorgung verbessert werden sollen.
Zudem wurden die Gehälter der Staatsbediensteten erhöht, zahlreiche Sonderzahlungen an sie und
an Arbeitslose und Studenten geleistet und eine Ausweitung zinsloser Kredite für Privatpersonen
zugesagt. Auch eine Behörde zur Korruptionsbekämpfung wurde eingerichtet. Aufgrund der hohen
Ölpreise konnte Riad es sich leisten, seine Bürger mit Wohltaten zu überschütten.
Die Maßnahmen beruhigten die Situation in Saudi-Arabien, doch eskalierten parallel die
Auseinandersetzungen zwischen Regime und Opposition im benachbarten Inselstaat Bahrain. Seit
Februar waren Proteste hier mehrfach eskaliert, so dass die bedrängte Regierung am 14. März 2011
den Ausnahmezustand aus- und gleichzeitig Truppen des Golfkooperationsrates (GKR) zu Hilfe rief.
Unter saudi-arabischer Führung marschierten diese in Bahrain ein und übernahmen den Schutz
strategisch wichtiger Einrichtungen, so dass die einheimischen Sicherheitskräfte sich auf die
Niederschlagung der Oppositionsbewegung konzentrieren konnten. Zwar flammten die Proteste in
den folgenden Monaten mehrfach wieder auf, doch konnte die Herrscherfamilie die Kontrolle über das
Land wiederherstellen.
Besonders gefährlich ist die konfessionelle Dimension der Auseinandersetzungen in Bahrain, die eine
gesamtregionale Entwicklung widerspiegelt. Zusammengenommen stellen die Schiiten aus den acht
Anrainerstaaten des Persischen Golfes (Bahrain, Irak, Iran, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien,
Vereinigte Arabische Emirate) mit bis zu 70 Prozent die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung. Da
sich die Schiiten in Saudi-Arabien und den kleinen Golfstaaten zumindest religiös-kulturell stark an
ihren religiösen Zentren im Irak (Najaf, Kerbela) und Iran (Qom) und dort ansässigen Religionsgelehrten
orientieren, stehen sie bei den sunnitischen Herrschern ihrer Heimatländer seit spätestens 1979 im
Verdacht, eine fünfte Kolonne des revolutionären Iran zu bilden. Der Sturz des Regimes von Saddam
Hussein im Irak 2003, der schiitisch-sunnitische Bürgerkrieg 2005 bis 2007 und die Amtsübernahme
schiitisch dominierter Regierungen in Bagdad verschärften in den arabischen Monarchien am Golf
den Eindruck, dass die Schiiten und der Iran sich auf dem Vormarsch befänden und Gegenmaßnahmen
angezeigt seien. Da es in Bahrain fast ausschließlich die massiv benachteiligten Schiiten sind, die
gegen die Herrschaft der Familie Khalifa demonstrieren, stellte sich die saudi-arabische Regierung
demonstrativ auf die Seite des verbündeten Herrscherhauses. Dabei ging es Riad auch darum, eine
Ausweitung der bahrainischen Proteste auf die schiitischen Gegenden Saudi-Arabiens zu verhindern.
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Unruhen, Nachfolge und Schiitenfrage in Saudi-Arabien
Die Unruhen trafen das Königreich Saudi-Arabien in einer schwierigen Situation. Die seit Jahren
wichtigste politische Frage ist die nach der Nachfolge für den 1923 geborenen König Abdallah und die
Gestaltung der Thronfolge allgemein. Schon vor dem Tod des Kronprinzen und Verteidigungsministers
Sultan (geboren 1923) im Oktober 2011 hatte sich Innenminister Naif (geboren 1933), als neuer starker
Mann in Riad etabliert. Nach dem lange erwarteten Tod seines Bruders Sultan galt er als
wahrscheinlicher Nachfolger seines Bruders im Kronprinzenamt. Naif hat den Ruf, ein besonders
konservativer Vertreter eines autoritären Sicherheitsstaates zu sein, und zeigt wenig Sympathien für
den behutsamen Wandel, den der höchst angesehene König Abdallah seinem Volk verordnet hat.
Es ist zu befürchten, dass im Falle eines Machtwechsels das ohnehin repressive Vorgehen der
Sicherheitskräfte gegenüber oppositionellen Kräften zu einer weiteren Verhärtung der innenpolitischen
Fronten führt. Schritte zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Schiiten könnten
zurückgenommen werden, was die Gefahr künftiger gewaltsamer Konfrontationen noch verschärfen
würde. Überzeugende Antworten auf die auf Saudi-Arabien zukommenden Herausforderungen sind
von Politikern vom Schlage des Innenministers Naif nicht zu erwarten. Vielmehr schienen er und sein
verstorbener Bruder Sultan seit 2009 zunehmend zu versuchen, ihre jeweiligen Söhne zu
aussichtsreichen Kandidaten für den Thron aufzubauen. Im Gegensatz dazu hoffen viele Saudis, dass
die Thronfolge, die bis heute auf die Söhne des Staatsgründers Ibn Saud (1880-1953) beschränkt ist,
möglichst bald auf die nächste oder übernächste Generation der Herrscherfamilie übergeht, damit die
unbeliebten älteren Kandidaten nicht mehr zum Zuge kommen und dringend erforderliche Reformen
begonnen werden.
Während viele Saudis vor allem gegen die verbreitete Korruption der Herrscherfamilie (wenn auch
bislang überwiegend im virtuellen Raum bzw. durch die Einreichung von Petitionen) protestieren und
mehr Rechtsstaatlichkeit und eine Ausweitung politischer Partizipation bis hin zu einer konstitutionellen
Monarchie fordern, dürften die Schiiten jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um sich vom Joch der
saudi-arabischen Herrschaft zu befreien. Während sie zur Zeit vor allem mehr Rechte innerhalb des
bestehenden Systems fordern, könnten sie im Krisenfall weitergehende Forderungen entwickeln. Seit
der saudi-arabischen Eroberung der Küstenregion am Persischen Golf 1913 werden die Schiiten
kulturell-religiös, sozio-ökonomisch und auch politisch stark diskriminiert. Ein wichtiger Grund hierfür
ist die politische Kultur des Königreichs, die stark von der sunnitischen und militant antischiitischen
Reformbewegung der Wahhabiya und einem althergebrachten Bündnis zwischen Herrscherfamilie
und wahhabitischen Gelehrten geprägt ist.
Dieses Bündnis verschafft der Herrscherfamilie unter den Bewohnern Zentralarabiens religiöse
Legitimität, die sie nicht aufzugeben bereit ist – was eine Verhaltensänderung gegenüber den Schiiten
sehr unwahrscheinlich macht. Zwar stellen diese nur rund 10 Prozent der saudi-arabischen
Bevölkerung, doch leben die meisten von ihnen in der saudi-arabischen Ostprovinz, wo sie bis zur
Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Dass in dieser Region auch die meisten saudi-arabischen Ölfelder
liegen, verstärkt die Furcht des Regimes vor einem Übergreifen der Unruhen in Bahrain auf SaudiArabien und seine Schiiten. Kleinere Zusammenstöße im Oktober 2011 in dem kleinen Ort Awamiya
nahe Qatif an der Küste des Persischen Golfes schienen diese Befürchtungen zu bestätigen.
Die saudi-arabische Monarchie hat ihre Hausmacht in Zentralarabien, wo die religiös und
gesellschaftlich zutiefst konservative Bevölkerung auch in Krisenzeiten geschlossen hinter dem
Herrscherhaus steht. Fraglich ist demgegenüber, neben der Loyalität der Schiiten im Osten des Landes,
vor allem die von weiten Teilen der Bevölkerung in den westlichen Provinzen, insbesondere in der
liberalen Hafenstadt Jidda. Noch gelingt es der Herrscherfamilie, die hier herrschenden Spannungen
durch ihre Politik von Zuckerbrot und Peitsche zu kontrollieren, doch ist ungewiss, ob dies auch auf
Dauer gelingen wird.
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Die Furcht vor dem Iran
Es ist vor allem die Furcht vor dem Hegemonialstreben des Iran, die die Politik Saudi-Arabiens und
seiner Verbündeten im GKR seit 2005 bestimmt. Sie betrachten den Aufstieg des Iran auch als den
einer schiitischen Macht, die versucht, mit Hilfe der schiitischen Araber den Irak zu dominieren und
die Islamische Revolution in die anderen Golfstaaten zu exportieren. Bisher gibt es keine
überzeugenden Belege dafür, dass iranische Stellen in die Unruhen und Proteste in Bahrain oder in
anderen Golfstaaten involviert wären. Doch schon, wenn bei Demonstrationen schiitischer
Oppositioneller Plakate proiranischer Politiker wie des Führers der libanesischen Hizbullah Hasan
Nasrallah und des irakischen populistischen Predigers Muqtada as-Sadr auftauchen, werden solche
Ängste genährt. In einem worst-case-Szenario befürchten die Regierenden am Golf, dass Teheran
sein Atomprogramm zur Herstellung von nuklearen Waffen nutzt und dann unter dem Schutz der
atomaren Bewaffnung die arabischen Schiiten gegen ihre Herrscher aufwiegelt.
Dabei haben sich die Monarchien am Golf (wie auch die in Marokko und Jordanien) in der Krise des
Jahres 2011 als stabiler erwiesen als die Republiken in Nordafrika und in Syrien. Dies liegt zum einen
daran, dass die Herrscherhäuser hier schon weitaus länger regieren als die Militärs und ihre Nachfolger
in Nordafrika, in Syrien und im Jemen und daher eine historische und in Saudi-Arabien auch religiös
untermauerte Legitimität genießen, die letzteren oft abgeht. Zum anderen haben alle Monarchien im
letzten Jahrzehnt vorsichtige und begrenzte Reformschritte unternommen, die die innenpolitische
Situation in den meisten Fällen leicht entspannt haben. Darüber hinaus spielt der Wohlstand der
Golfstaaten eine wichtige Rolle. Um sich auch weiterhin vor den Folgen des Arabischen Frühlings zu
schützen, haben die Mitgliedsstaaten des GKR Marokko und Jordanien angeboten, sich ihrer
Regionalorganisation anzuschließen. Außerdem unterstützen die öl- und gasreichen Ölmonarchien
die beiden ärmeren Staaten finanziell, um eine längerfristige Stabilisierung der Monarchien dort zu
ermöglichen.
Gefährlich könnte es für die saudi-arabische Herrscherfamilie vor allem im Fall einer außenpolitischen
Krise werden. Stürzt das Regime der Familie Khalifa in Bahrain, dürfte dies auch die saudi-arabischen
Schiiten ermuntern, sich zu erheben. Aus diesem Grund wird Riad alles nur Mögliche tun, um einen
Regimewechsel im kleinen Nachbarland zu verhindern. Eskaliert die Auseinandersetzung zwischen
Iran und den USA bzw. Israel über das iranische Atomprogramm, wird Teheran wahrscheinlich
versuchen, seine Verbündeten unter den schiitischen Gemeinschaften in der arabischen Welt gegen
ihre Regierungen zu mobilisieren. In jedem Fall wird eine größere Krise am Persischen Golf die
Weltpolitik in einer Weise erschüttern, auf die uns die Ereignisse in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien
und im Jemen erst einen schwachen Vorgeschmack liefern.
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Pro-demokratische Proteste im Jemen
Gefangen im Patt der Eliten
Von Anette Büchs
18.10.2011
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiterin für Nahost-Studien am GIGA-Institut in Hamburg.
Weder Versprechen von politischen Reformen noch der Einsatz von massiver Repression haben
die Proteste im Jemen bisher stoppen können. Gewaltsame Auseinandersetzungen
überschatten aber zunehmend die bisher friedlichen pro-demokratischen Demonstrationen.
Wohin steuert der Jemen?
Am 27. Januar 2011 kam es in der jemenitischen Hauptstadt Sana´a zur ersten Großdemonstration
mit 16.000 Teilnehmern. In den folgenden Monaten haben die Massenproteste weite Teile des Landes
ergriffen. In ihnen fordern die Demonstrantinnen und Demonstranten das Ende des Saleh-Regimes
und einen demokratischen Wandel. Die Proteste haben allerdings auch einen Konkurrenzkampf
innerhalb der Machtelite zu Tage gefördert, der das Land paralysiert. Je länger dieser anhält umso
stärker steigt das Risiko, dass gewaltsame Auseinandersetzungen zunehmen und das Land in einen
Bürgerkrieg abgleitet.
Politische und sozio-ökonomische Ausgangslage
Schon vor Beginn der Proteste im Jahr 2011 sah sich das Saleh-Regime vor großen politischen
Herausforderungen. Am schwerwiegendsten waren hierbei bewaffnete Auseinandersetzungen mit den
Huthi-Rebellen in der Provinz Sa´ada im hohen Norden des Jemen seit 2004, sowie seit 2007 das
Erstarken einer sezessionistischen Bewegung im Süden des Landes, die der Staat zunehmend
gewalttätig niederzuschlagen suchte. Beide Gruppen begehren gegen die Marginalisierung ihrer
jeweiligen Region auf. Ziel der Sezessionisten im Süden ist die Abspaltung des ehemaligen Südjemen
vom 1990 vereinigten Jemen. Zusätzlich hat sich spätestens seit 2009 das internationale islamistische
Terrornetzwerk al-Qaida im Jemen sukzessive ausgebreitet.
Zu diesen politischen Konflikten kommen soziale und wirtschaftliche Probleme, allen voran massive
Armut und hohe Arbeitslosigkeit. Der Jemen ist das ärmste arabische Land mit einem Pro-KopfEinkommen von rund 750 US-Dollar. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 35%, betroffen ist vor
allem die Jugend. Hinzu kommt das Problem der Landflucht: Wassermangel hat in den letzten Jahren
zu einem spürbaren Einbruch in der Landwirtschaft geführt, in der 70% der Bevölkerung tätig sind.
Zunehmend wandern betroffene Bauern in die Städte ab, die dem Zuwanderungsdruck nur
unzureichend gewachsen sind.
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Proteste in der Endlosschleife
Dass die gegen das Saleh-Regime gerichteten Proteste, die im Januar 2011 begannen und im Herbst
2011 nach wie vor andauerten, eine mit Ägypten und Tunesien vergleichbare Massendynamik entfalten
würden, war im Vorfeld kaum abzusehen. Zu sehr wurden die Interessen der einzelnen oppositionellen
Kräfte, insbesondere der Huthi-Rebellen und der sezessionistischen Bewegungen im Süden, als
partikular wahrgenommen. De facto aber haben beide ihre gesonderten Interessen vorerst
zurückgestellt und sich der Protestbewegung angeschlossen, deren treibende Kraft die urbane
Intelligenzija und hierbei vor allem die Jugend ist. Im Schulterschluss fordern sie das Ende des SalehRegimes und genuinen demokratischen Wandel auf friedlichem Wege. Altbewährte Machtinstrumente
des Saleh-Regimes greifen nicht mehr.
Weder das anfängliche Ankündigen von zusätzlichen Sozialleistungen, insbesondere für Studenten,
noch halbherzige Versprechen von politischen Reformen oder der Einsatz von massiver Repression
haben die Proteste bisher stoppen können. Erstaunlich ist auch, dass die Proteste trotz der hohen
Verbreitung von Kleinwaffen im Land bisher weitestgehend friedlich verlaufen sind. Doch ihr Erfolg in
Form eines politischen Wandels, Machtübergabe oder nennenswerter politischer Reformen, ist bisher
ausgeblieben, selbst nach der Ausreise des Präsidenten aus dem Jemen. Bei einem Anschlag auf den
Präsidentenpalast am 5. Juni 2011 war Ali Abdallah Saleh schwer verletzt und zur medizinischen
Behandlung nach Saudi Arabien gebracht worden.
Die Urheberschaft des Anschlags ist bisher noch nicht eindeutig geklärt. Grund für diese politische
Stagnation ist ein Patt innerhalb der Machtelite. Durch die Proteste brachen schon länger schwelende
Konflikte innerhalb der Elite offen aus. Im März 2011 wandten sich frühere Schlüsselfiguren des SalehRegimes gegen den Präsidenten. Zwischen den pro- und anti-Saleh orientierten Kräften an der Spitze
hat sich seither ein instabiles Machtgleichgewicht herausgebildet. Dies spiegelt sich in dem
ambivalenten Verhalten des Präsidenten wider, der am 23. September in den Jemen zurückgekehrt
ist. Es schwankt zwischen Drohungen anmutenden Ankündigungen wie "bis zum letzten Tropfen Blut
zu kämpfen" und einer mehrfach erklärten prinzipiellen Bereitschaft zu einer Übergabe der Macht im
Rahmen einer vom Golfkooperationsrat vermittelten Initiative.
Je länger die bisher friedlichen pro-demokratischen Demonstrationen andauern, umso stärker werden
sie von gewaltsamen Auseinandersetzungen überschattet: zwischen Saleh-treuen Sicherheitskräften
und abtrünnigen Sicherheitskräften, Stammeskämpfern, radikalen Islamisten (hierunter auch al-Qaida)
und Dissidenten, die sich gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gewaltsam zur Wehr
setzen.
Zentrale Akteure
Insbesondere folgende Akteure zeichnen sich in der beschriebenen Situation als zentral ab: eine
gespaltene Elite an der Spitze, eine pro-demokratische Protestbewegung an der Basis,
Oppositionsparteien, die zwischen diesen beiden stehen, sowie die externen Akteure Saudi-Arabien
und die USA.
Die Elite
Bereits in den letzten Jahren kam es im Jemen zunehmend zu Spannungen innerhalb der jemenitischen
Führungselite, und zwar einerseits zwischen der engsten Familie des Präsidenten Saleh und der
'Nummer Zwei' im jemenitischen Militär und Befehlshaber der Nordwestprovinzen, Ali Muhsin, und
andererseits zwischen der Saleh-Familie und der Familie al-Ahmar. Letztere gehört zu den
bedeutendsten Stammesführern im Jemen. Im Saleh-Regime kam ihr eine zentrale Stellung zu, da
Saleh seine Herrschaft nur durch das Erkaufen der Loyalität der Stämme sichern konnte. In den letzten
Jahren allerdings konzentrierte er die Macht immer stärker bei sich selbst, seinem Sohn Ahmad (dem
Chef der Präsidentengarde), sowie bei seinen Neffen, denen er zentrale Teile der Sicherheitskräfte
unterstellte. Die daraus resultierenden Konflikte brachen in den Anti-Saleh-Protesten dieses Jahres
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schließlich offen auf, als sich Ali Muhsin sowie die al-Ahmar Familie von Saleh lossagten. Beide haben
sich mittlerweile gegen ihn, seinen Sohn und seine Neffen zusammengeschlossen.
Die Protestbewegung an der Basis
Aus der jemenitischen Bevölkerung ist eine zivilgesellschaftliche Protestbewegung hervorgegangen.
Ihr Herz ist die urbane Intelligenzija, die sich vor allem aus Studenten und Lehrpersonal der
Universitäten, Intellektuellen und Menschenrechtsaktivisten zusammensetzt. Die bisher politisch kaum
in Erscheinung getretene Jugend ist hier, wie dies auch in Ägypten und Tunesien der Fall war, prominent.
Die Bewegung setzt sich über ideologische Gräben hinweg. Eine ihrer prominentesten Persönlichkeiten
ist die 32-jährige Tawakkul Karman, die im Oktober 2011 für Ihren Einsatz für einen zivilen und
demokratischen jemenitischen Staat den Friedensnobelpreis erhielt.
Innerhalb der Protestbewegung haben sich jedoch Spannungen aufgetan, seit sich Multimillionär
Hamid al-Ahmar aus dem einflussreichen Hause der al-Ahmars als ein maßgeblicher Sponsor der
Proteste auftut. Während ein Teil der Protestierenden diese Unterstützung bereitwillig annehmen,
befürchten andere, dass die Bewegung durch persönliche Machtbestrebungen vereinnahmt wird. Denn
spätestens seit 2009 scheint Hamid al-Ahmar mit dem Präsidentenamt zu liebäugeln.
Oppositionsparteien
Die wichtigsten Oppositionsparteien, die islamistische Reformpartei (Islah) und die Jemenitische
Sozialistische Partei (JSP), sind bereits seit 2005 im Parteienbündnis JMP (Joint Meeting Parties)
zusammengeschlossen. Sie nehmen eine ambivalente Rolle zwischen der Protestbewegung an der
Basis und den Eliten an der Spitze ein. Seit Beginn der Proteste versuchen sie, sich als ein genuiner
Teil der pro-demokratischen Bewegung zu gerieren. Sie waren es, die die erste Großdemonstration
in Sana'a organisierten. Schon seit Dezember 2010 lagen sie im Streit mit Saleh, da er eine
Verfassungsänderung vornehmen wollte, die ihn lebenslang im Präsidentenamt hätte halten können.
Die Protestbewegung sah das Engagement der traditionellen Opposition jedoch mit gemischten
Gefühlen. Zu lange waren die in ihr vertretenen Parteien eng mit dem Regime verbandelt gewesen.
So war zum Beispiel die Islah-Partei Teil einer Koalition, mit der Saleh von 1994 und 1997 regierte.
Die JMP hat dennoch das Potenzial zu einem glaubwürdigen Vertreter genuiner demokratischer Reform
zu werden. Denn jüngst hat eine neue Generation begonnen, auch innerhalb der Parteien aktiv zu
werden. Sie hat sich den Vereinnahmungsversuchen seitens des Regimes verwehrt und besitzt beim
Kern der Protestbewegung Glaubwürdigkeit. Hier gibt es auch personelle Überschneidungen. Um
dieses Potenzial ausschöpfen zu können, müssten sich die Parteien allerdings stark reformieren und
alte Führungsriegen Platz für neue Gesichter schaffen.
Externe Akteure
Insbesondere Saudi-Arabien und die USA treffen sich in ihrem gemeinsamen Anliegen für einen stabilen
Jemen. Möglicher Bürgerkrieg und Staatszerfall werden von beiden als akute Bedrohung der eigenen
Interessen wahrgenommen. Gründe hierfür sind vor allem die Furcht vor einer Ausbreitung radikaler
Islamisten wie al-Qaida sowie Jemens geostrategisch bedeutsame Lage am Golf von Aden, einem
der bedeutendsten internationalen Schifffahrtswege. Das Bestreben, zu einem friedlichen Weg aus
der Krise zu finden, findet Ausdruck in einer von Saudi-Arabien maßgeblich gestalteten Initiative des
Golfkooperationsrats, die von den USA und auch der EU unterstützt wird. Sie zielt auf einen
schrittweisen, friedlichen Machtwechsel und darauf, die Konflikte innerhalb der Eliten beizulegen.
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Wohin steuert der Jemen?
Die Vermittlungsversuche im Rahmen der Initiative des Golfkooperationsrats zeigten bis zum Herbst
2011 allerdings nicht den gewünschten Erfolg, da Präsident Saleh mehrfach in letzter Minute seine
Unterschrift verweigerte. So wurde als Verzögerungstaktik gewertet, dass er die Maßgabe, seine
Befugnisse an den Vize-Präsidenten Abd Rabu Mansour Hadi zu übertragen, nur partiell erfüllte, als
er ihm am 12. September 2011 lediglich die Befugnisse übertrug, mit der Opposition zu verhandeln.
Derweil scheint das Ausufern von Gewalt bis hin zum Bürgerkrieg eine akute Gefahr.
Dies könnte vor allem von dreierlei Faktoren vorangetrieben werden:
1.
von einer gewaltsamen Eskalation der Konkurrenz zwischen Angehörigen Salehs und Ali Muhsin
sowie der Ahmar-Familie, die sich in erhebliche Stammeskämpfe ausweiten könnte;
2.
von den sich seit den Protesten dramatisch verschlechternden sozio-ökonomischen Umständen.
So sind zum Beispiel die Preise von Grundnahrungsmitteln und Benzin drastisch angestiegen.
Bisher verliefen durch Nahrungsmittelknappheit verursachte Unruhen im Jemen oft sehr
gewaltsam;
3.
von der Frustration der Demonstranten und der steigenden Gefahr einer Radikalisierung, bei der
ein gewaltsamer Kampf auf Seiten Ali Mohsins und der al-Ahmars als 'letzte Lösung' erscheint.
Dies könnte auch dazu führen, dass vor allem im Süden sezessionistische Bestrebungen
zunehmend Unterstützung erfahren.
Kurzfristig erscheinen damit zunehmende Gewalt und Bürgerkrieg als wahrscheinlichstes Szenario.
Zugleich gibt die Protestbewegung auch Anlass zu Hoffnung. Denn im Zuge der Proteste haben sich
zivilgesellschaftliche Strukturen bewährt und gefestigt. Forderungen nach einem demokratischen,
zivilen Staat und nach politischen und wirtschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten aller Jemeniten
sind klar formuliert. Sie haben auch einen historischen Vorläufer in einer regen zivilgesellschaftlichen
Bewegung aus der liberaleren Phase des Saleh-Regimes in den frühen 1990ern. Langfristig ist für
den Jemen somit auch eine progressive Entwicklung jenseits von bewaffnetem Machtkampf und
Bürgerkrieg denkbar.
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Marokko und Jordanien
Soziale Proteste und monarchischer Autoritarismus
Von André Bank
13.10.2011
André Bank ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut für Nahost-Studien Hamburg.
Der Arabische Frühling bestimmt seit Anfang 2011 auch die Politik in den autoritär regierten
Monarchien Marokko und Jordanien. Trotz starker sozialer Proteste ist es dort aber nicht zum
Sturz eines herrschenden Staatsoberhaupts wie in den Republiken Tunesien, Ägypten und
Libyen gekommen.
Die politische und sozio-ökonomische Lage vor dem Umbruch
In Marokko wie in Jordanien dominiert der König eindeutig die politischen Geschicke des Landes. Als
wichtigste Person der Exekutive ist er befugt, die von ihm selbst ernannte Regierung inklusive des
Premierministers abzusetzen und das Parlament aufzulösen. Beide Monarchen – der alaouitische
König Mohammad VI. in Marokko und der haschemitische König Abdallah II. in Jordanien – besitzen
des Weiteren eine religiös-traditionelle Legitimität, die ihnen aufgrund ihrer Abstammung von der
Prophetenfamilie sowie der langen Dominanz der Herrscherhäuser im Prozess der Staatsbildung
zukommt. Anders als die anderen sechs arabischen, am Persischen Golf gelegenen Monarchien
verfügen Marokko und Jordanien nicht über große Mengen Erdöl. Beide Länder sind von
Unterstützungszahlungen durch die USA, die EU und die arabischen Ölmonarchien am Persischen
Golf abhängig.
Der monarchische Autoritarismus in Marokko und Jordanien wird zudem durch die im regionalen
Vergleich weit reichende Umsetzung neoliberaler Wirtschaftsreformen geprägt. Diese haben in den
letzten Jahren zu einer deutlichen Auseinanderentwicklung der zumindest teilweise prosperierenden
Großstädte einerseits und der weithin unterentwickelt gebliebenen ländlichen Gebiete andererseits
geführt. Die inoffizielle Arbeitslosenquote unter den 32 Millionen Marokkanern liegt bei rund 25 Prozent,
unter den 6,5 Millionen Jordaniern beläuft sie sich Schätzungen zufolge auf 30 Prozent. In beiden
Ländern sind in besonderem Maße die jungen und oft gut ausgebildeten Bevölkerungsschichten von
Arbeitslosigkeit betroffen.
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Die sozialen Proteste 2011
Die sozialen Proteste des Arabischen Frühlings schließen in Marokko und Jordanien an frühere
Protestbewegungen und soziale Mobilisierungen an. In Marokko hatte sich in den Vorjahren eine rege
Protestkultur herausgebildet, die vor allem von den "diplômés chômeurs", den "arbeitslosen
Hochschulabsolventen", getragen wurde. Seit den erfolgreichen Präsidentenstürzen in Tunesien und
Ägypten haben diese ihr primäres Anliegen einer ihrer Ausbildung angemessenen Berufsperspektive
durch mehr am Gemeinwohl orientierte Forderungen ergänzt: Die "Bewegung des 20. Februar", die
die Massenproteste seit Anfang 2011 bestimmt, geht mittlerweile personell wie programmatisch über
die "diplômés chômeurs" hinaus. Sie setzt sich für eine umfassende Demokratisierung Marokkos im
Sinne einer parlamentarischen Monarchie ein und fordert eine deutliche Einschränkung der
umfangreichen Machtkompetenzen von König Mohammad VI. Der heterogenen, sich aus
unterschiedlichen ideologischen Strömungen zusammensetzenden Bewegung gelang es,
Demonstrationen mit zehntausenden Protestierenden in verschiedenen Landesteilen zu organisieren
und diese über Monate zu verstetigen.
In Jordanien verlagerte sich die "Politik der Straße" Anfang 2011 – beflügelt durch die Entwicklungen
in Ägypten – von den ländlichen, von Stammesstrukturen geprägten Landesteilen in die großen Städte
Amman und Zarqa. Hierdurch kam der urbanen Muslimbruderschaft, die die traditionelle Opposition
in Jordanien darstellt und sich für eine konstitutionelle Monarchie mit realer Gewaltenteilung einsetzt,
wieder ein größeres politisches Gewicht zu. Neben der traditionellen Opposition bildete sich im Laufe
der sozialen Mobilisierung mit den "Jugendlichen des 24. März" auch eine neue städtische, aber
ursprünglich aus den ländlichen Gebieten stammende Protestbewegung heraus, die für umfassende
demokratische Reformen eintreten. Ihre Vertreter wurden von regimeloyal-konservativen
Gegendemonstranten als "Palästinenser" und "Schiiten" beschimpft und teilweise tätlich angegriffen.
Die Reaktion des marokkanischen Regimes
Das marokkanische Regime unter König Mohammad VI. reagierte auf die neue Protestbewegung mit
einer Mischung aus Repression und Kooptation, also aus Unterdrückung und Einbindung der Kritiker.
So wurden einerseits Demonstrationen strikt überwacht, andererseits Subventionen erhöht und
mehrere tausend neue Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen. Die einflussreichsten, im Parlament
vertretenen Parteien wurden näher an den "makhzen", den vom König gesteuerten Herrschaftsapparat
angebunden. So erklärten die größten Parteien – die nationalistische Istiqlal, die sozialdemokratische
Union de la justice et du développement (USFP) und die moderat-islamistische Parti de la justice et
du développement (PJD) – dem König wiederholt ihre Loyalität. Im Gegensatz zu den Protesten in
den arabischen Republiken hat die marokkanische "Bewegung des 20. Februar" zu keinem Zeitpunkt
ein Abdanken des Staatsoberhaupts oder gar ein Ende der alaouitischen Monarchie gefordert.
Weniger als drei Wochen nach den Massendemonstrationen vom 20. Februar 2011 kündigte König
Mohammad VI. am 9. März eine "tief greifende" Neugestaltung der Verfassung von 1996 an. Die in
einem Referendum am 1. Juli 2011 offiziell mit 98,5 Prozent bei einer – wohl geschönten – Beteiligung
von rund 73 Prozent angenommenen Änderungen der Verfassung sehen folgende zentrale
Neuerungen vor: Marokko wird in eine "konstitutionelle, parlamentarische, demokratische und soziale
Monarchie" umbenannt. Der König gilt nicht mehr als "heilig", sondern nur noch als "unantastbar" und "
zu Respekt verpflichtend". Eine mehr als symbolische Einschränkung seiner immensen Macht bedeutet
dies aber nicht. Weiterhin werden die Position des Premierministers, der nun den Titel
Regierungspräsident trägt, sowie die Rolle des Parlaments formell aufgewertet. Ein umfassender
Grundrechtskatalog enthält längere Ausführungen zu Menschenrechten, politischer Partizipation und
Dezentralisierung. Das berberische Tamazight wird als offizielle Sprache anerkannt. Schließlich befasst
sich ein Verfassungsartikel mit der vorgesehenen Etablierung eines "Konsultativrates für die Jugend
und das Verbandswesen" direkt mit den "diplômés chômeurs". Auch wenn die Protestbewegung des "
20. Februar" die Verfassung als "von oben oktroyiert" geißelte und gegen das Referendum mobilisierte,
kann König Mohammad VI. die Reform und die große Zustimmung dafür in der Bevölkerung als
strategischen Sieg für sich verbuchen.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Die Reaktion des jordanischen Regimes
Das jordanische Regime unter König Abdallah II. reagierte auf eine mit dem marokkanischen Ansatz
vergleichbare Weise auf die sozialen Proteste des Jahres 2011. Demonstrationen wurden unter Aufsicht
einer massiven Polizei- und Geheimdienstpräsenz gestattet und von einer Kooptationsstrategie
begleitet: Die Löhne im öffentlichen Sektor wurden erhöht und bereits beschlossene
Subventionskürzungen wieder rückgängig gemacht. Des Weiteren stattete König Abdallah II. den
großen Stammeskonföderationen, die seit langem das Rückgrat der haschemitischen Herrschaft sind,
Besuche ab. Als Konzession an die Protestbewegung entließ er bereits am 1. Februar 2011 den als
korrupt geltenden Premierminister Samir Rifa i und ersetzte ihn durch Ma ruf Bakhit, der dem
einflussreichen Stamm der Bani Sakhr angehört und zudem als General den Militär- und
Sicherheitsapparat repräsentiert. Seine Ernennung signalisierte zugleich, dass eine substanzielle
politische Liberalisierung nicht zu erwarten war, da Bakhit nicht für Reformen steht. Vielmehr war er
in seiner ersten Amtszeit als Premier (2005-7) nach dem Wahlsieg der palästinensischen Hamas im
Januar 2006 für die Eindämmungspolitik gegen die jordanischen Muslimbrüder verantwortlich.
Wie in Marokko fand auch in Jordanien ein vergleichbarer Prozess der Verfassungsreformen "von
oben" statt. Am 14. August 2011 verkündete König Abdallah II. insgesamt 42, allerdings zumeist kleinere
Änderungen der jordanischen Verfassung von 1952. Zentrale Neuerungen beziehen sich auf die
Einrichtung eines Verfassungsgerichts; die Einschränkung der Kompetenzen der Sicherheitsgerichte,
die in jüngerer Vergangenheit gegen Oppositionelle eingesetzt worden waren; eine unabhängige
Wahlbeobachtung sowie das Recht zur freien Meinungsäußerung. Selbst eine nur symbolische
Einschränkung der absoluten Macht des Königs wie in Marokko ist in Jordanien indes nicht vorgesehen.
Die im Oktober 2011 noch ausstehende formelle Zustimmung des königstreuen Parlaments zur
jordanischen Verfassungsreform gilt als sicher. Im Gegensatz zu Marokko wird im haschemitischen
Königreich kein Referendum über die Verfassungsänderungen stattfinden. Dementsprechend waren
die Muslimbrüder, die Jugendbewegung des 24. März sowie eine seit Juli 2011 verstärkt auftretende
Protestbewegung junger Transjordanier aus den südlichen Orten Karak, Ma an und Tafileh von den
Ergebnissen enttäuscht, angesichts des schleppenden Reformverlaufs der letzten zwanzig Jahre aber
auch wenig überrascht.
Zukunftsaussichten des monarchischen Autoritarismus in Marokko
und Jordanien
Kurzfristig haben die Reaktionen der Regime auf die sozialen Proteste in Marokko und Jordanien den
Status quo des monarchischen Autoritarismus stabilisiert. Angesichts der größeren Reichweite der
Verfassungsreformen gilt dies besonders für Marokko, zeigt sich in abgeschwächter Form aber auch
in Jordanien. In Marokko nahm die neue Verfassung einzelne Forderungen sozialer Gruppen – etwa
der Berber durch die offizielle Anerkennung des Tamazight – auf und adressierte auch die Problematik
der "diplômés chômeurs", die hinter der Protestbewegung stehen. In Jordanien suggerierte König
Abdallah II. mit der Auswechslung von Führungspersonal und kosmetischen Verfassungsänderungen
gegenüber den städtischen Mittel- und Oberschichten sowie westlichen Unterstützern USA und EU "
Reformfähigkeit". Aufgrund dieses Reformdiskurses und mehr noch wegen ihrer pro-westlichen
Grundausrichtung und geostrategischen Bedeutung können sich Marokko und Jordanien weiterhin
üppiger finanzieller Unterstützung sicher sein. Auch der auf Initiative Saudi-Arabiens im Mai 2011
gestellte Aufnahmeantrag der beiden Länder in den Golfkooperationsrat, dem bislang nur die sechs
arabischen Monarchien am Persischen Golf angehören, dürfte sich bei positivem Bescheid finanziell
lukrativ und stabilisierend auswirken.
Mittelfristig können die Monarchien in Jordanien und Marokko allerdings nicht als konsolidiert gelten,
da ihr Krisenmanagement die sozio-ökonomischen Strukturprobleme von Massenarbeitslosigkeit,
ländlicher Unterentwicklung und Perspektivlosigkeit der Jugend nur punktuell und ansatzweise berührt.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Erst wenn es zu einem grundlegenderen Politikwechsel kommt, der die "soziale Frage" in den
Mittelpunkt stellt, dürften die Proteste nachlassen, zu denen es auch nach den Reformen durch die
Regime weiterhin kommt. Ob diese Option mit der bestehenden, fast ausschließlich auf den König
zugeschnittenen Form des monarchischen Autoritarismus vereinbar ist, darf jedoch bezweifelt werden.
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Syriens langer Weg an den Rand des Abgrunds
Von Heiko Wimmen
24.10.2011
Heiko Wimmen ist Promotionsstipendiat in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und
Politik in Berlin. Von 2004-2009 war er Programm Manager und Stellvertretender Direktor im Regionalbüro Mittlerer Osten der
Heinrich Böll-Stiftung.
Als Mitte März eine Gruppe von Schulkindern verhaftet wurde, kam es in der syrischen Stadt
Deraa zu Demonstrationen. Die Protestwelle breitet sich seitdem aus. Das seit fünf Jahrzehnten
herrschende Baath-Regime kündigte einen Reformprozess an – reagierte aber mit Gewalt und
Verfolgung.
Unter dem Eindruck der Protestbewegungen in Nordafrika kam es bereits Ende Januar 2011 zu ersten
Anzeichen von Widerstand gegen das seit fünf Jahrzehnten herrschende syrische Baath-Regime.
Ähnlich wie in Tunesien begannen diese Proteste zunächst an der Peripherie des Landes, wo die
sozialen Kosten der begrenzten Wirtschaftsreformen der vergangenen Dekade besonders fühlbar sind.
Mitte März 2011 führte die Verhaftung einer Gruppe von Schulkindern, die in Graffitis den "Sturz des
Regimes" gefordert hatten, zu Demonstrationen in der südwestlichen Provinzhauptstadt Deraa, die
lokale Vertreter des Regimes mit brutalen Einsätzen des Militärs und regimetreuer Milizen
niederzuschlagen versuchten. Die Welle zunächst weitgehend friedlicher Proteste und gewaltsamer
Repression erfasste schnell eine Reihe weiterer Provinzstädte sowie das Umland der Hauptstadt
Damaskus, und erreichte im Sommer die zentralen Großstädte Hama und Homs. Das syrische Regime
hat damit wenigstens zeitweise die Kontrolle über eine Reihe von über das ganze Land verteilten
Brennpunkten sowie die Loyalität eines erheblichen Teils der Bevölkerung verloren und war bis Ende
Oktober 2011 nicht in der Lage, die Proteste zu unterdrücken.
Die Fortdauer der Gewalt – Schätzungen der VN sprechen von mehr als 3000 Toten – und die massive
Verfolgung wirklicher und vermeintlicher Regimegegner untergraben auch die Glaubwürdigkeit des
seit Beginn der Krise durch Präsident Baschar Al-Assad offiziell verkündeten "Reformprozesses".
Ohnehin deuten zahlreiche Bestimmungen der bislang verabschiedeten Reformgesetze (wie etwa das
Wahl- und Parteiengesetz) darauf hin, dass die Baath-Partei und der Assad-Clan nicht bereit sind,
sich auf demokratische Rechenschaft und einen echten politischen Wettbewerb einzulassen.
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Profil der Widerstandsbewegung
Ein weitgehendes Einreiseverbot für ausländische Journalisten und die völlig einseitige
Berichterstattung der syrischen Medien – in deren Darstellung die Demonstrationen das Werk
bewaffneter, aus dem Ausland gesteuerter islamistischer "Banden" sind -, erschweren eine
zuverlässige Bewertung der Situation. Aus den Berichten der wenigen Reporter, die jenseits staatlicher
Kontrolle die Ereignisse begleitet haben, sowie durch Internet-Foren und Diskussionen mit Aktivisten
lässt sich jedoch ein ungefähres Profil der Widerstandsbewegung gewinnen.
Die Organisatoren der Proteste sind überwiegend jung – in ihren frühen und mittleren Zwanzigern.
Geprägt von der dramatischen Zunahme der Informationsmöglichkeiten ist diese Generation nicht
länger bereit, die alltäglichen Demütigungen und Frustrationen zu ertragen, die mit
Geheimdienstherrschaft und systemischer Korruption einhergehen. Diese gemeinsame Erfahrung und
die jetzt erlebte Solidarität gegen gewaltsame Repression erlaubt auch Bündnisse über soziale und
kulturelle Grenzen hinweg, etwa zwischen säkularen Aktivisten und solchen mit religiös geprägter
Motivation, oder zwischen gut ausbildeten, urban sozialisierten Jugendlichen und solchen, die aus
benachteiligten Schichten stammen.
Nur in sehr begrenztem Umfang gelingt dagegen die Überwindung religiös-konfessioneller Grenzen.
Religiöse Minderheiten, aber auch säkular und liberal orientierte Muslime fürchten einen wachsenden
Einfluss religiöser Kräfte nach einem Sturz des nominell säkularen Baath-Regimes. Das gilt besonders
für die alawitische Religionsgemeinschaft, der auch der Präsident selbst angehört. Schon unter
Baschars Vater Hafis Al-Assad hatte das Regime zur Sicherung seiner Herrschaft bevorzugt auf
Alawiten und oft sogar auf engste Verwandte zurückgegriffen. Entsprechend ist die alawitische
Minderheit (ca. 10 % Prozent der Bevölkerung) heute unter den Stützen und Nutznießern des Regimes
weit überrepräsentiert und fürchten auch viele Alawiten, die sich nicht mit dem Regime identifizieren,
Racheakte der sunnitischen Mehrheit. Geschürt wurden solche Ängste Ende September durch
Mordanschläge auf Alawiten in der religiös gemischten Region Homs.
In den Augen der Widerstandsbewegung steckt hinter diesen und anderen Gewalttaten das Regime
selbst, in der Absicht, durch eine gezielte Beschwörung der "islamistischen Gefahr" die eigene Strategie
der kompromisslosen Repression zu legitimieren und einen möglichst großen Teil der Bevölkerung an
sich zu binden. Verschiedene unabhängige Berichte deuten allerdings darauf hin, dass zumindest in
einigen Fällen tatsächlich bewaffnete Gruppen mit islamistischer Orientierung inmitten der großen
Mehrheit friedlicher Demonstranten operiert und systematisch auf eine Eskalation der Gewalt
hingearbeitet haben.
Trotz aktiver Werbung um das Vertrauen der anderen Bevölkerungsgruppen wird die
Widerstandsbewegung damit vornehmlich von der sunnitisch-arabischen Bevölkerungsmehrheit (ca.
65 %) getragen. Selbst die mehrheitlich sunnitische kurdische Minderheit in Syrien (ca. 10 %), in der
Vergangenheit oft selbst Opfer brutaler Repression, hat bislang mehrheitlich Distanz gewahrt und sieht
in der auf "nationale Einheit" ausgerichteten Rhetorik der Widerstandsbewegung wenig Raum für die
angestrebte kultureller Autonomie. Der Einfluss der – traditionell eng mit dem syrischen Regime
verbundenen – "Kurdischen Arbeiterpartei" (PKK) mag hier ebenfalls eine Rolle spielen.
Auch unter den Kurden scheint sich jedoch an dieser Stelle eine Kluft zwischen den politischen
Organisationen und der eigenen Jugend aufzutun. Die Ermordung des führenden kurdischen
Oppositionellen Mish´al Temmo Anfang Oktober könnte einen Wendepunkt in der kurdischen Position
markieren. Bis in den Spätsommer hinein hat die Bewegung weitgehend gewaltlos agiert. Angesichts
der fortdauernden Repression und der ständig steigenden Opferzahlen werden die Forderungen nach
Bewaffnung jedoch lauter. Übergelaufene Armeeeinheiten haben sich zu einer sogenannten "Freien
syrischen Armee" zusammengeschlossen und lieferten sich Anfang Oktober 2011 Feuergefechte mit
loyalen Truppen in der Region Homs. Sie können jedoch bislang offensichtlich keinen nachhaltigen
Widerstand gegen reguläre Truppen leisten oder gar Territorium dauerhaft verteidigen.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Wachsende soziale Ungleichheit, hohe Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen wurden schließlich in
der Anfangsphase der Bewegung oft als Triebfeder der Proteste genannt. Relativer Wohlstand, meist
erlangt durch Zugang zu den durch das Regime etablierten Netzwerken von Korruption und
Vorteilsvergabe, wird umgekehrt als Grund vermutet, warum große Teile der als privilegiert
angesehenen Bevölkerung in der Hauptstadt Damaskus und der Wirtschaftsmetropole Aleppo dem
Regime bislang die Treue halten. In größeren und mittleren Städten wie Homs, Hama, Idlib und Deir
El-Zor hat die Dynamik der Proteste und die zunehmende Willkür der staatlichen Vergeltungsschläge
allerdings solchen Überlegungen längst den Boden entzogen.
Gespräche mit Syrern deuten darauf hin, dass vor allem die durch das Regime gezielt geschürte Furcht
vor Instabilität und Chaos einer der wesentlichen Beweggründe für die "schweigende Mehrheit" der
syrischen Bevölkerung ist, sich nicht gegen das wenig geliebte, aber immerhin bekannte und damit
halbwegs berechenbare Regime zu stellen. Die Erfahrungen in den unmittelbaren Nachbarländern
Libanon und Irak legen nahe, dass ein Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung bis hin zu einem
Bürgerkrieg vor allem diejenigen treffen wird, die sich nicht militant organisieren können – geographisch
verstreut lebende Minderheiten, aber auch Frauen und die gebildete Mittelklasse. Diese Furcht verliert
allerdings überall dort ihre Wirkung, wo immer deutlicher das Regime selbst als größte Gefahr für ein
Abgleiten ins Chaos erkennbar wird – und bewegt auch diejenigen zum Umdenken, für die persönliche
Interessen oder schlicht die Sicherheit der eigenen Familie die höchste Priorität ist.
Die syrische Opposition
Fünf Jahrzehnte totalitäre Herrschaft und oftmals brutale Repression haben wenig Raum für die
Entwicklung einer organisierten Opposition gelassen. Mit Ausnahme einiger kurdischer Organisationen
führen oppositionelle Parteien in Syrien ein Schattendasein ohne echtes Potential zu politischer
Mobilisierung. Außerhalb des Landes ist die syrische Muslimbruderschaft die bei weitem größte und
am besten organisierte politische Organisation. Ob dem jedoch auch eine nennenswerte Gefolgschaft
im Syrien selbst entspricht bleibt unklar, nicht zuletzt, weil Mitgliedschaft in der Organisation mit der
Todesstrafe bedroht wird. Im Kontrast dazu hat sich die nun aktive Widerstandsbewegung bereits nach
kurzer Zeit in lokalen sogenannten "Koordinationskommittees" organisiert. Zwar haben sich diese
mittlerweile landesweit vernetzt, allem Anschein nach sind daraus aber bislang keine Strukturen
entstanden, die zu verbindlichen Entscheidungen jenseits der Organisation von Protesten in der Lage
sind.
Bemühungen zur Bildung einer gemeinsamen Plattform, auf der die "traditionelle" Opposition im Inund Ausland mit Vertretern der Koordinationskommittees zusammengeführt werden sollten, wurden
bereits seit Juni 2011 unternommen und führten schließlich Ende September zur Etablierung des "
Syrischen Nationalrats" in Istanbul. Differenzen existieren jedoch weiterhin über die zentrale Frage,
ob und in welcher Form im Kampf gegen das Assad-Regime ausländische Unterstützung gesucht
werden soll. Während ein zunehmend größerer Teil der Opposition keine Alternative zu einem solchen
Kurs sieht, fürchtet eine noch immer signifikante Fraktion eine weitere Eskalation bis hin zu einem
Bürgerkrieg mit anschließender ausländischer Besatzung.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Staatszerfall bewirkt keinen Regimewechsel
Wirtschaftssanktionen und die damit verbundenen geschäftlichen Nachteile, so die Hoffnung syrischer
Oppositioneller und westlicher Diplomaten, könnten Teile der syrischen Wirtschaftselite dazu bewegen,
Druck auf die politische Führung auszuüben oder ihr gar die Unterstützung zu entziehen. Dass die
Sanktionen Wirkung zeigen wurde spätestens Ende September deutlich, als das syrische
Wirtschaftsministerium nahezu zeitgleich mit einer neuen Runde europäischer Strafmaßnahmen ein
weitgehendes Verbot für den Import ausländischer Konsumgüter verhängte, um so den erwarteten
Rückgang der Exporterlöse auszugleichen. Nur eine Woche später wurde diese Entscheidung nach
massiver Kritik aus der Wirtschaft wieder zurückgenommen – ohne dass jedoch klar ist, aus welchen
Quellen mittelfristig diese Importe bezahlt werden sollen. Wie dieses Beispiel belegt verfügen
ökonomische Akteure sehr wohl über direkten Einfluss auf politische Entscheidungen – den sie bislang
jedoch allein dafür einsetzen, Schaden von ihren eigenen Interessen abzuwenden und nicht um eine
grundlegende Kurskorrektur zu bewirken.
Erfahrungen mit den Effekten von Sanktionen auf totalitäre Herrschaft – etwa im Falle des Irak unter
Saddam Hussein – nähren darüber hinaus Zweifel, ob die Sanktionen tatsächlich die Position des
Regimes schwächen werden. Wenigstens genauso wahrscheinlich erscheint, dass eine sich
verschärfende Mangelwirtschaft all denjenigen zugutekommt, die mit Hilfe politischer und
geheimdienstlicher Begünstigung privilegierten Zugang zu knappen Gütern genießen. Das würde
bedeuten, dass immer größere Teile der Bevölkerung für ihr bloßes – wirtschaftliches oder gar
physisches – Überleben noch mehr als zuvor von den Machtstrukturen des Regimes abhängig werden.
Wenn, wie zu erwarten, dem syrischen Regime bald das Geld zur Bezahlung seiner Soldaten und
Schlägertrupps ausgehen sollte, werden diese "Sicherheitskräfte" sich früher oder später an der ihnen
zunehmend schutzlos ausgelieferten Bevölkerung schadlos halten – mit der Folge einer weiteren
Zunahme von Rechtlosigkeit und Willkür.
Zu befürchten ist damit ein gradueller Zerfall der – ohnehin durch Korruption und Unterfinanzierung
ausgehöhlten – Institutionen des syrischen Staates und eine zunehmende Brutalisierung der
Gesellschaft, deren einzelne Elemente erbittert um Zugang zu den Machtstrukturen und damit zu
knappen Ressourcen ringen. Deutlich unwahrscheinlicher erscheint dagegen die erhoffte
Herausbildung einer Anti-Assad-Koalition von Kräften innerhalb des Regimes, des Militärs und der
Wirtschaftseliten. Denn dem steht zum einen ein nach wie vor effizienter Überwachungsapparat
entgegen, zum anderen können solche Kräfte kaum hoffen, dass sie einen Machtwechsel unbeschadet
überstehen würden.
Kein Weg aus der Sackgasse?
Acht Monate nach Beginn der Unruhen in Syrien sind keine Anzeichen erkennbar, die auf einen baldigen
Zusammenbruch des Assad-Regimes schließen lassen. Ebenso wenig gibt es Grund für die Annahme,
dass der auch von engen Verbündeten Syriens wie Russland und dem Iran eingeforderte "Reformkurs
" Baschar Al-Assads zu glaubhaftem Wandel führen kann. Schon allein die Verwicklung weiter Teile
der politischen Elite in die massiven Menschenrechtsverletzungen der letzten Monate lässt es als
ausgeschlossen erscheinen, dass das herrschende Regime sich auf einen Prozess einlassen wird,
an dessen Ende ihm – wie jetzt in Ägypten und Tunesien geschehen – Rechenschaft abverlangt werden
könnte. Schließlich kann kaum erwartet werden, dass ein nennenswerter Teil der syrischen Opposition
sich dazu bereitfinden wird, einen solchen Prozess durch seine Beteiligung zu legitimieren.
Die syrische Opposition, aber auch externe Akteure wie Deutschland, die EU und die USA stehen
damit vor einem Dilemma. Eindeutig erscheint, dass auch schmerzhafte Strafmaßnahmen,
internationale Ächtung und begrenzte militärische Schritte – wie etwa eine Flugverbotszone - das
syrische Regime nicht von seinem Kurs abbringen werden. Dagegen erscheint eine direkte und massive
militärische Intervention in Syrien nach wie vor ausgeschlossen – nicht nur wegen des zu erwartenden
russischen und chinesischen Vetos im Weltsicherheitsrat, sondern auch weil nicht anzunehmen ist,
dass ausländische Akteure bereit sein werden, die damit verbunden Kosten und Risiken auf sich zu
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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nehmen. Einmal mehr muss damit die Internationale Gemeinschaft erkennen, dass die Wirkung
humanitärer Normen gegenüber militärisch hoch gerüsteten und gewaltbereiten Regimen begrenzt.
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Ursachen und Folgen
16.1.2012
Die Umbrüche in der arabischen Welt haben nicht nur Folgen für die jeweiligen Länder. Sie sind auch
in geostrategischer Perspektive von entscheidender Bedeutung. So strebt beispielsweise die Türkei,
die sich schon vorher als neue Regionalmacht positioniert hat, nach einer Vormachtstellung. Ihr
Selbstbewußtsein kam dabei primär in der Kritik an Israel, an den USA und an Europa zum Ausdruck.
Der Iran muss hingegen darum fürchten, seinen Einfluss in der Region zu verlieren. Und auch der
Nahost-Konflikt erscheint im Zuge der Umbrüche in neuem Licht. Israel hat wichtige Partner verloren
und ist in der Region so isoliert wie seit Langem nicht mehr.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Der Arabische Frühling und der israelisch-arabische
Konflikt
Gefährliche Zuspitzung im Mittelmeerraum
Von Dr. Muriel Asseburg
12.10.2011
ist seit Oktober 2006 Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP).
Mit den Umbrüchen in der Region hat Israel nicht nur geopolitische Partner verloren. Die
innenpolitische Zuspitzung in Staaten der Region, insbesondere in Syrien, könnte den
Nahostkonflikt sogar weiter verschärfen. Muriel Asseburg erklärt, warum.
Die Proteste, Aufstände und Rebellionen in der arabischen Welt bringen in allererster Linie
innenpolitische und sozioökonomische Forderungen zum Ausdruck. Der israelisch-arabische Konflikt
hat hingegen keine bedeutende Rolle bei den Demonstrationen gespielt. Damit bestimmten auch
brennende israelische und amerikanische Flaggen nicht das Bild. Längerfristig könnten die Umbrüche
in der Region dazu führen, dass Frieden im Nahen Osten nicht nur ein Geschäft zwischen den
politischen Führungen ist, sondern auch von den Bevölkerungen mitgetragen wird. Kurz- bis mittelfristig
sieht es allerdings so aus, als ob sie kein Momentum entfalten, das eine Friedensregelung zwischen
Israel und seinen arabischen Nachbarn befördern würde.
Ganz im Gegenteil: Die Situation im östlichen Mittelmeerraum hat sich seit Anfang 2011 deutlich
zugespitzt. Dabei sind die Auswirkungen des Arabischen Frühlings im Zusammenwirken mit dem
Stillstand im Nahostfriedensprozess die entscheidenden Faktoren. In Folge ist Israel in der Region
isoliert wie seit Langem nicht mehr, und seine Beziehungen zu den Nachbarn sind extrem angespannt.
Dies birgt auch die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation.
Israel verliert seine Partner
Die Umbrüche in der arabischen Welt haben insbesondere vier Auswirkungen auf die
Konfliktkonstellation im Nahen Osten. Erstens hat Israel auf Regierungsebene weitere Partner in der
Region verloren und ist dort zunehmend isoliert. In Folge des Gaza-Krieges zur Jahreswende
2008/2009 und der Flotilla-Affäre im Mai 2010 war Israels strategische Allianz mit der Türkei bereits
deutlich angegriffen. Das Verhältnis spitzte sich über die Veröffentlichung des Berichts einer von den
Vereinten Nationen eingesetzten Kommission (sog. Palmer Report) zur Untersuchung der Affäre
Anfang September 2011 weiter zu. Israel verweigerte nach wie vor eine Entschuldigung für den Tod
der neun türkischen Aktivisten. Die Türkei wies den israelischen Botschafter aus, kündigte sämtliche
Militärabkommen und kündigte an, in Zukunft im östlichen Mittelmeer militärisch stärker präsent sein
zu wollen.
Dabei ist die drastische Reaktion des türkischen Premiers nicht nur vor dem Hintergrund politischer
und wirtschaftlicher Ambitionen der Türkei in der arabischen Welt zu sehen. Vielmehr geht es auch
um den Streit über exklusive Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer. In Folge ist die Allianz mit der
Türkei, bislang Israels einzig strategischer und zunehmend einflussreicher Partner in der Region,
zutiefst zerrüttet.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Zudem hat Israel mit dem Ende der Mubarak-Ära im Februar 2011 einen der wichtigsten und
zuverlässigsten arabischen Partner verloren. Seit der Formierung der ägyptischen
Übergangsregierung hat es bereits eine beträchtliche Verschlechterung im bilateralen Verhältnis
gegeben. Nicht nur sind die ägyptischen Gaslieferungen an Israel, die bislang rund 40% des dortigen
Bedarfs deckten, infolge von Anschlägen auf die Pipelines im Sinai immer wieder ausgefallen. Auch
hat die Übergangsregierung angekündigt, Kooperationsabkommen (insbesondere über die Qualifying
Industrial Zones (QIZ) und Gaslieferungen) mit Tel Aviv neu verhandeln zu wollen. Die Militärregierung
distanzierte sich zudem unter dem Druck der Öffentlichkeit von der bisherigen israelisch-ägyptischen
Kooperation in Bezug auf die Blockade des Gaza-Streifens. De facto wurde die Blockade mit der
Öffnung des Personenübergangs in Rafah durch Ägypten Ende Mai 2011 jedoch nur leicht gelockert,
sie besteht aber grundsätzlich fort.
Selbst die Schwächung des Asad-Regimes durch die syrische Aufstandsbewegung erweist sich als
problematisch für Israel. Zwar sind die beiden Staaten offiziell nach wie vor im Kriegszustand und
Syrien hat unter Bashar al-Asad in den letzten Jahren seine Allianz mit dem Iran sowie seine Rhetorik
als Vorkämpfer gegen israelische und amerikanische Ordnungspläne für die Region ausgebaut und
militante Bewegungen, insbesondere Hamas und Hisbollah, unterstützt. Dennoch hat sich Syrien als
zuverlässig erwiesen, was die Sicherung der israelisch-syrischen Grenze angeht. Diese hat Syrien
nun fast vierzig Jahre lang (seit dem Krieg 1973) ruhig gehalten. In den letzten Jahren hat es zudem
mit Israel zumindest insofern kooperiert, als es Exporte von den besetzen Golanhöhen nach Syrien
zugelassen hat. Eine Zuspitzung der Konfrontation zwischen Protestbewegung und Regime in Syrien
birgt die Gefahr massiver destabilisierende Rückwirkungen – freilich nicht nur für Israel, sondern auch
für Syriens andere Nachbarn, insbesondere den Libanon.
Der Einfluss der Bevölkerungen nimmt zu
Zweitens hat der Einfluss der Bevölkerungen auf die regionalen Beziehungen zugenommen bzw. hat
sich der außenpolitische Handlungsspielraum der arabischen Führungen verengt. Zwar bringen die
Proteste in der arabischen Welt in allererster Linie innenpolitische und sozioökonomische Forderungen
zum Ausdruck. Ebenso sind die arabischen Bevölkerungen nicht mehr länger bereit, innenpolitische
Repression mit Verweis auf den israelisch-arabischen Konflikt hinzunehmen bzw. sich durch ihn von
den Missständen im eigenen Land ablenken zu lassen.
Allerdings: Es hat zwischen Israel und seinen Nachbarn keinen warmen Frieden und damit auch keine "
Normalisierung" der Beziehungen auf der gesellschaftlichen Ebene gegeben. Eine solche Annäherung
wird von den arabischen Bevölkerungen ganz überwiegend abgelehnt, solange die israelische
Besetzung arabischer Territorien andauert. Daher ist die Zunahme des Einflusses der Bevölkerungen
auf die regionalen Beziehungen zunächst ein Problem für Israel. Denn repräsentativere und inklusivere
Regierungen werden ihre Politik stärker an der Mehrheitsmeinung in ihrem Land ausrichten müssen
statt an dem, was externe Akteure wie die USA diktieren oder was lediglich Regimeeliten nützt. Doch
auch diejenigen Regime, die nicht bereit sind, mehr Partizipation zuzulassen, werden sich in der
jetzigen Situation vor unpopulären Schritten hüten.
Daher wird keine arabische Regierung in der jetzigen Situation mit Friedensinitiativen auf Israels
Regierung zugehen oder sich auf Israels Seite positionieren wollen. Letzteres gilt auch für die
Verhinderung von Demonstrationen und Märschen auf Israels Grenzen. Hier ist zu erwarten, dass sich
Israels Nachbarn, falls solche Demonstrationen künftig zunehmen sollten, ungern als Grenzschützer
einspannen lassen. Im Gegenteil: Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischem
Militär an Israels Außengrenzen könnten für die Regime in der Region als willkommene Ablenkung
von ihren internen Problemen gesehen werden – wie es an der syrisch-israelischen Grenze bereits
am 5. Juni 2011 der Fall war. Und die Eskalation der Rhetorik zwischen Israel und Ägypten – in Folge
der Tötung von fünf ägyptischen Grenzsoldaten und der Stürmung und Belagerung der israelischen
Botschaft in Kairo – birgt durchaus die Gefahr weiterer ernsthafter Krisen sowie einer Erosion des
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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israelisch-ägyptischen Friedensabkommens. Dazu dürfte auch die fragile Sicherheitssituation im Sinai
beitragen.
Israels Regierung verpasst die Chance, die Beziehungen zu seinen
Nachbarn neu zu gestalten
Vor diesem Hintergrund ist drittens das Wagenburg-Denken der israelischen Regierung weiter verstärkt
worden. Die Koalition unter Premierminister Benjamin Netanjahu hat sich durch die Umbrüche in der
Region, die Stärkung des Einflusses der Hisbollah im Libanon, das iranische Atomprogramm gekoppelt
mit der Perzeption eines gestiegenen iranischen Einfluss in der Region in ihrer Haltung bestärkt
gesehen, dass die Zeit nicht reif sei, für Friedensinitiativen oder um Frieden zu schließen – wie es
durchaus von Teilen der israelischen Linken, der Opposition des Zentrums (Kadima) sowie selbst aus
dem Sicherheitsestablishment gefordert wird. Stattdessen hat die Regierung sich auf den Ausbau des
militärischen Vorsprungs gegenüber den arabischen Nachbarn und dem Iran sowie eine Kampagne
zur Verhinderung der Aufnahme Palästinas in die Vereinten Nationen konzentriert.
Im Sommer 2011 wurde die israelische Regierung innenpolitisch durch eine landesweite
Protestbewegung herausgefordert. Allerdings ging es den Protestierenden in allererster Linie um
soziale Gerechtigkeit, bezahlbaren Wohnraum und angemessene Lebenshaltungskosten – immerhin
ist Israel nach den USA das Land innerhalb der OECD, in dem die Einkommensunterschiede am
größten sind. Und auch wenn die jungen Israelis durchaus durch den Arabischen Frühling inspiriert
waren, wie viele ihrer Plakate zeigten: weder stellte die israelische Protestbewegung den
Zusammenhang zwischen staatlichen Ausgaben für Bildung und Soziales auf der einen und den Kosten
von Besatzung und einer Politik militärischer Stärke auf der anderen Seite her, noch ermutigte sie ihre
Führung, auf die arabischen Nachbarn zuzugehen. Letztlich bemühte sich die israelische Regierung
nicht ernsthaft darum, den Umbruch zu nutzen, um auch ihre Beziehungen zu den sich neu
formierenden arabischen Gesellschaften auf eine neue Grundlage zu stellen.
Palästinensisches Machtteilungsabkommen und der Weg vor die
Vereinten Nationen
Viertens brachte der Arabische Frühling Bewegung in die Überwindung der innerpalästinensischen
Spaltung. Anfang Mai 2011 unterzeichneten die beiden größten palästinensischen Gruppierungen,
Hamas und Fatah, sowie kleinere PLO-Fraktionen nach etlichen gescheiterten Vermittlungsversuchen
in Kairo ein entsprechendes Machtteilungsabkommen. Dieses spiegelte unter anderem die Einsicht
der Führungen in Ramallah und Gaza-Stadt (bzw. Damaskus) wider, dass die Bevölkerungen in der
West Bank und im Gaza-Streifen nicht länger willens waren, die Unversöhnlichkeit der Kontrahenten
und die Verfestigung zweier zunehmend autoritärer Systeme zu akzeptieren. Denn im Zentrum der
dortigen Bürgerproteste Mitte März stand nicht, wie in anderen arabischen Staaten, die Forderung
nach einem Sturz des Regimes, sondern nach einer Überwindung der innerpalästinensischen
Spaltung. Diese Forderung kommt auch seit Jahren konsistent in Meinungsumfragen als eine der
Prioritäten der Palästinenserinnen und Palästinenser zum Ausdruck.
Zudem hatten die Umwälzungen in der arabischen Welt auch indirekten Einfluss auf die beiden
Kontrahenten. Denn die regionalen Hauptverbündeten der beiden Gruppierungen waren geschwächt
bzw. weggefallen: Das syrische Regime, der Hauptsponsor der Hamas, wankte und das MubarakRegime, der Hauptunterstützer der Fatah, war bereits abgelöst. Das Abkommen selbst war auch das
Ergebnis einer zumindest vorübergehend unabhängigeren, selbstbewussteren und konstruktiveren
ägyptischen Außenpolitik – die weder eine der palästinensischen Gruppierungen bevorzugte noch USamerikanische bzw. israelische Bedenken vornan stellte.
Zum Machtteilungsabkommen trug zudem der mangelnde Fortschritt im nahöstlichen Friedensprozess
bei. Bereits seit dem Ende des ohnehin nur teilweisen israelischen Siedlungsbaumoratoriums im
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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September 2010 hatten keine bilateralen Verhandlungen mehr stattgefunden. Die Obama-Reden zur
arabischen Welt und zum Nahen Osten im State Departement und vor der AIPAC-Konferenz (AmericanIsrael Public Affairs Committee) sowie die Rede Benjamin Netanjahus vor beiden Häusern des USKongresses (alle im Mai 2011) wurden in Israel im Sinne einer Bestätigung der unverbrüchlichen
israelisch-amerikanischen Freundschaft ganz überwiegend willkommen geheißen. Bei den
Palästinensern wurde zwar positiv aufgenommen, dass Präsident Barack Obama auf zwei Staaten
auf Basis der Grenzen von 1967 und einem vereinbartem Landtausch beharrte. Aber die
palästinensische Führung sah die Reden als Beleg, dass auch in Zukunft von der US-Administration
keine aktive, konsistente und ausgewogene Vermittlung im Nahostkonflikt zu erwarten und dass mit
der Netanjahu-Regierung eine verhandelte Friedensregelung unmöglich sei.
Sie konzentrierte ihre politischen Aktivitäten folglich darauf, über eine Vollmitgliedschaft in den
Vereinten Nationen internationale Unterstützung zu generieren und die eigene Verhandlungsposition
zu verbessern. Dabei konnte sie sich zwar auf breite internationale Empathie sowie die Anerkennung
der Fortschritte bei der Staats- und Institutionenbildung durch internationale Organisationen (IWF,
Weltbank, VN) stützen. Allerdings war auch klar, dass eine Vollmitgliedschaft schon aufgrund
mangelnder Unterstützung bzw. des angekündigten US-Vetos im Sicherheitsrat zum jetzigen Zeitpunkt
nicht zu erreichen war.
Ausblick
Das Zusammenwirken der Umbrüche in der Region mit dem Stillstand im Nahostfriedensprozess hat
dazu geführt, dass sich der israelisch-arabische Konflikt weiter zugespitzt hat und von den israelischtürkischen Spannungen überlagert wird. Israel ist nicht nur in der Region sondern auch international
zunehmend isoliert, sieht man von der Unterstützung der USA und der Europäer ab. Die innenpolitische
Zuspitzung in Staaten der Region, insbesondere in Syrien, könnte sich weiter konfliktverschärfend
auswirkend. Nachdem es nicht gelungen ist, die palästinensische VN-Initiative konstruktiv zu wenden
und damit eine konkrete Perspektive für ein Ende der israelischen Besatzung und palästinensische
Unabhängigkeit zu schaffen, ist auch das Risiko einer dritten Intifada gegeben. Diese könnte, selbst
wenn sie in Form eines "zivilen Widerstands" begänne, schnell gewaltsam eskalieren – bis hin zu
einem Krieg, der auch andere Nachbarstaaten Israels involviert. Eine solche Eskalation aber hätte
negative Rückwirkungen nicht nur für den Umbau und die Stabilisierung freierer und partizipativer
politischer Ordnungen in den Nachbarstaaten Israels sondern auch für die Beziehungen des Westens
zu den Staaten der Region.
Die USA und die Europäer haben durch ihre Haltung in der Palästina-Frage, die in krassem Gegensatz
zur beschworenen Unterstützung der arabischen Freiheitsbewegungen steht, schon jetzt weiter an
Glaubwürdigkeit in der Region verloren. Ende September 2011 hat das sogenannte Nahost-Quartett
(USA, EU, Russland und VN) israelisch-palästinensische Verhandlungen vorgeschlagen, die bis Ende
2012 abgeschlossen werden sollen. Dies stellt die Europäer, angesichts des in den USA einsetzenden
Vorwahlkampfes, vor die Herausforderung, die Initiative zu ergreifen und Handlungsfähigkeit zu
beweisen – wenn es ihnen denn ernst damit ist, ein endgültiges Aus für eine Zweistaatenregelung und
eine regionale Konfliktregelung zu verhindern.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Literaturhinweise
Muriel Asseburg, Palästina bei den Vereinten Nationen. Optionen, Risiken und Chancen eines
palästinensischen Antrags auf Vollmitgliedschaft und Anerkennung, Berlin: Stiftung Wissenschaft und
Politik, August 2011 (SWP-Aktuell: A36/2011) (http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/
aktuell/2011A36_ass_ks.pdf)
Muriel Asseburg, Fatah-Hamas-Abkommen. Ein wichtiger Schritt zu einer Zwei-Staaten-Regelung,
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 4. Mai 2011 (Kurz gesagt) (http://www.swp-berlin.org/de/kurzgesagt/fatah-hamas-abkommenzwei-staaten-regelung-in-nahost.html)
Giora Eiland, The Upheavals in the Middle East and Israel's Security, in: Strategic Assessment, 14
(Juli 2011) 2, S. 7-14 (http://www.inss.org.il/upload/(FILE)1311766766.pdf)
Yaël Lerer, "Tel Aviv Rothschild-Boulevard. Israels Protestbewegung hat viel nachzuholen", in: Le
Monde Diplomatique, 9. September 2011 (http://www.monde-diplomatique.de/pm/2011/09/09.
mondeText1.artikel,a0041.idx,8)
Günter Seufert, Die Türkei auf Konfrontationskurs, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 19.
September 2011 (Kurz gesagt) (http://www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt/die-tuerkei-im-mittelmeer.
html)
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Die Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf die
regionale Rolle Teherans
Von Dr. Walter Posch
2.11.2011
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.
Die arabischen Umbrüche haben den Einfluss Teherans in der Region verändert. Kämpften
früher vor allem Iran und Saudi-Arabien um regionalpolitische Hegemonie, tritt nun in
zunehmenden Maße die Türkei in Erscheinung. Welche Rolle kann Teheran künftig spielen?
Die offiziellen iranischen Reaktionen auf den Ausbruch des Arabischen Frühlings, der Teheran genauso
überraschte wie den Westen, waren durchwegs positiv. Nach Teheraner Lesart bestätigen die Proteste
und Aufstände in der arabischen Welt die eigene islamische Revolution von 1979, die als
Erweckungsmoment für alle islamisch inspirierten Bewegungen der Welt aufgefasst wird. Allerdings:
Im Gegensatz zur iranischen Revolution von 1979 spielten bei den Protesten des Jahres 2011
Antiimperialismus und der Kampf gegen Israel keine Rolle. Die Kooperation mit dem Westen wurde
sowohl in Ägypten als auch in Tunesien nach dem Umbruch weiter fortgeführt. Dieser Sachverhalt
wurde in Teheran mit Sorge zur Kenntnis genommen, wie die zahlreichen iranischen Warnungen
belegen, die Revolutionen in diesen beiden Ländern könnten vom Westen manipuliert und verwässert
werden.
Auch die Vertreter der oppositionellen iranischen, sogenannten Grünen Bewegung wollten die Proteste
in den arabischen Staaten zur Untermauerung ihrer Sichtweise beanspruchen. Sie verglichen diese
mit den Protesten des Jahres 2009 im Iran. Aber auch dieser Vergleich greift nicht ganz. Denn anders
als in Tunesien und in Ägypten wandten sich die iranischen Protestierenden gegen einen umfassenden
Macht- bzw. Regimewechsel; sie stellten die Rolle des Revolutionsführers nicht in Frage.
Die innenpolitischen Entwicklungen im Iran sind vom Arabischen Frühling nicht direkt betroffen. Anders
sieht es jedoch mit der Stellung Irans in der Region vom Persischen Golf bis zur Levante (also den
arabischen Staaten an der östlichen Mittelmeerküste) aus. Hier sind zum Teil bedeutende
Veränderungen zu erwarten.
Verschiebung der regionalen Machtbalance
Ein dreiviertel Jahr nach Beginn der Umbrüche in den arabischen Staaten zeichnet sich ab, dass diese
die strategischen Gewichte zuungunsten Irans verschoben haben. Das gilt nicht für die Position Irans
im Irak und in Afghanistan. Denn dort dürfte der Einfluss der Islamischen Republik Iran dank der
Öffnung beider Länder durch die US-geführten Interventionen langfristig, das heißt mindestens für die
kommende Generation, gewährleistet sein. Doch in allen übrigen Arenen musste die Islamische
Republik zum Teil gravierende Rückschläge hinnehmen. Teheran kann bestenfalls darauf hoffen, dass
in Libyen, Tunesien, Jemen und Ägypten anti-westliche und pro-islamische Kräfte die Macht
übernehmen und ihre Beziehungen zu Iran normalisieren.
Die größten Hoffnungen setzen die Iraner dabei auf Ägypten, das aus Teheraner Sicht seit Jahrzehnten
reif für eine islamische Revolution ist. Das behutsame Auftauen der diplomatischen Eiszeit zwischen
Kairo und Teheran nach Ende der Mubarak-Ära wird als Vorbote einer möglichen strategischen Allianz
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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gesehen. Daher stilisiert Teheran jeden Schritt, den Kairo in Richtung Normalisierung tut – wie zum
Beispiel die Erlaubnis für iranische Kriegsschiffe, im Februar 2011 den Suezkanal zu passieren –,
gleich zu einem großen strategischen Triumph hoch. Dabei wird Ägypten zwar auch in Zukunft Iran
mit kleinen Gesten entgegenkommen, aber eben nur insoweit es seinen eigenen Interessen dient.
Darüber hinaus dürfte eine aktivere Rolle Ägyptens in der Palästinafrage, wie sie sich zumindest unter
dem ersten Nach-Mubarak-Außenminister abzuzeichnen schien, zwangsläufig zum Bedeutungsverlust
Teherans beitragen. Dieser würde noch weiter verstärkt, sollte es Ägypten gelingen, sich als arabische –
und vielleicht auch als islamische – Macht mit Führungsanspruch auf der politische Bühne zu etablieren.
Besonders deutlich tritt die Verschiebung der Machtbalance im Verhältnis zu Saudi-Arabien zum
Vorschein. So liegt die Initiative im Konflikt zwischen den "revolutionären" Iranern und den "reaktionären
" Saudis nun eindeutig auf Seiten letzterer. Denn mit der auf saudischen Druck hin erfolgten Intervention
des Golfkooperationsrats in Bahrain konnte Riad seinen Vormachtanspruch in der Golfregion
gegenüber Teheran stärken. Diese Intervention ist der vorläufige Höhepunkt eines diplomatischen und
politischen Maßnahmenbündels der Saudis, das die Verringerung iranischen Prestiges und die
Eindämmung des Einflusses der Islamischen Republik zum Ziel hatte. So nahmen die Saudis, als
Verbündete Teherans die Wahlen im Irak (2005) und in den palästinensischen Gebieten (2006)
gewannen, die vom jordanischen König Abdullah bereits 2004 ausgesprochene Warnung vor der
Entstehung eines anti-westlichen "schiitischen Halbmondes" auf. Dieser Kampfbegriff sollte die vom
Iran dominierte Ablehnungsfront, die über den Irak bis ans Mittelmeer reicht und dort Syrien, die
libanesische Hisbollah und die palästinensische Hamas umfasst, bezeichnen und durch die
konfessionalistische Interpretation diskreditieren. Teherans Prestigegewinn wurde also negativ
besetzt.
Im März 2011 wurde dann durch die von Saudi-Arabien angeführte Intervention verhindert, was als
Ausweitung iranisch-schiitischen Einflusses auf Bahrain interpretiert wurde. Die Situation in Syrien
wirkt sich gleich in mehrerer Hinsicht negativ für Teheran aus. Das säkulare Baath-Regime in Syrien
ist der wichtigste strategische Verbündete Irans. Seine Rolle in der Ablehnungsfront gegen Israel ist
für Teheran auch ideologisch von Bedeutung. Ein zum Teil islamistisch inspirierter Aufstand gegen das
Regime steht im offenen Widerspruch zur Teheraner Weltsicht, wonach antiisraelische Regime in der
Region den Rückhalt der Bevölkerung genießen. Daraus erklärt sich die widersprüchliche
Vorgehensweise der Iraner. So wurde die öffentliche Unterstützungserklärung für das Baath-Regime
von Revolutionsführer Ali Khamenei fast zeitgleich vom iranischen Außenminister und vom Präsidenten
relativiert.
Teheran sandte also konträre Signale aus, die das Regime in Damaskus irritierten, die syrische
Opposition nicht überzeugten und in der syrischen Bevölkerung auf Desinteresse stießen. Mit seiner
ursprünglich einseitigen Pro-Regime-Haltung nahm Teheran außerdem seinen wichtigsten regionalen
Verbündeten, die libanesische Hisbollah, in die Pflicht und engte deren politischen Handlungsspielraum
ein. Das Resultat ist eine Politik in der Teheran allen Treueschwüren zum Trotz nun doch vorsichtig
und schrittweise auf Distanz geht, gleichzeitig jedoch auf Reformen drängt und die logistische und
finanzielle Unterstützung für Damaskus aufrecht erhält.
Im Gegensatz dazu gewann die Türkei mit ihrer nachvollziehbaren und prinzipienfesten Position,
energisch auf die Einhaltung der Menschenrechte und auf Reformen in Syrien zu drängen, nicht nur
bei der syrischen Opposition, sondern auch international an Prestige – auch wenn sie letztlich nicht
in der Lage war, die syrische Führung zum Einlenken zu bewegen. Dennoch ist zu erwarten, dass
Ankaras regionale Position gestärkt wird. Denn sollte das Asad-Regime stürzen, würde die Position
der Türkei im regionalpolitischen Konkurrenzkampf mit Iran weiter gestärkt. Sollte das Regime
überleben, so stünde Teheran doch nur auf Seiten einer isolierten und geschwächten Autokratie.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Iranischer Führungsanspruch
Die Islamische Republik Iran steht mit ihrem regionalen Führungsanspruch in einem
Konkurrenzverhältnis zu Saudi-Arabien – und in zunehmendem Maße zur Türkei. Der saudischiranische Gegensatz war jahrzehntelang der Hauptkonflikt, der die Golfregion zum Zentrum hatte und
nach Afghanistan, in den Libanon und ab 2003 auch in den Irak hin ausstrahlte. Im Kern geht es dabei
um zwei Fragen: erstens um den Führungsanspruch in der islamischen Welt und zweitens um das
Abstecken der jeweiligen politischen Einflusszonen.
Die Strategie der Islamischen Republik Iran, mit diesem Konkurrenzverhältnis umzugehen, beruht auf
einer ideologisch geprägten Überzeugung oder Vision, nach der die prowestlichen Regime der Region
entweder durch Wahlen oder durch Volksaufstände fallen werden. Neue islamisch geprägte Regime,
die dem Volk und nicht dem Westen und Israel verpflichtet sind, würden dann die Macht ergreifen.
Dadurch würden sich die geostrategischen Gewichte zugunsten Teherans verschieben, der Druck auf
Israel erhöhte sich und für die USA würde es schwieriger, ihre Präsenz in der Region zu rechtfertigen.
Am Ende dieses Prozesses stünden der Abzug der USA und anderer fremder Mächte aus der Region
sowie eine "südafrikanische Lösung" für den israelisch-palästinensischen Konflikt, in der die
autochthone arabische Bevölkerung in Mandatspalästina den ihr zustehenden Anteil an der Macht
bekäme. Dies würde zwangsläufig zum Ende der jüdischen Vorherrschaft in diesem Gebiet und damit
zum Ende Israels führen. Gleichzeitig würde eine friedliche islamische Süd-Süd-Integration gefördert,
in der Iran aufgrund seiner Bedeutung eine führende Rolle spielen würde.
Quasi in Vorwegnahme dieser strahlenden Zukunft stellt Iran den Führungsanspruch in der Region.
So strebt Iran im Persischen Golf eine klassische nationalistisch geprägte Hegemonie an. Darüber
hinaus versucht die Islamische Republik über ihre Unterstützung für die Sache der Palästinenser
Anerkennung als Führungsmacht unter den Arabern zu erlangen und den strategischen Druck auf
Israel aufrecht zu erhalten bzw. zu erhöhen. Dem gleichen Ziel dient die Kooperation mit der Hisbollah
und Syrien. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft (Irak, Irakisch-Kurdistan und Afghanistan) ist Iran
bemüht zu verhindern, dass von dort gegen Teheraner Interessen vorgegangen wird. Das iranische
Nuklearprogramm sowie die technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der
Islamischen Republik gemäß einer "20-Jahres-Strategie" dienen hauptsächlich dazu, diesen
Führungsanspruch zu untermauern.
Damit aber betreibt Iran eine traditionelle Hegemonialpolitik, die im Widerspruch dazu steht, als Modell
für die arabische Welt dienen zu wollen. Und in der Tat: Nicht einmal die Aufständischen in Bahrain
beriefen sich auf den Iran als Vorbild. Insgesamt hat nach den Protesten gegen die Wahl
Ahmadinedschads im Jahr 2009 die Zustimmung für das iranische Regime unter jugendlichen Arabern
dramatisch abgenommen. Wenn junge Araber überhaupt nach einem politischen Vorbild suchen, dann
wenden sie sich am ehesten in Richtung Türkei, nicht nach Teheran.
Ausblick
Generell ist also davon auszugehen, dass durch den Arabischen Frühling der Handlungsspielraum
der Islamischen Republik eingeschränkt wird. Mittelfristig werden die iranischen Entscheidungsträger
die Verschlechterung ihrer regionalen Position hinnehmen, obschon sie die neue Realität der eigenen
Öffentlichkeit gegenüber herunterspielen, wie anlässlich der Bahrain-Intervention deutlich wurde.
Gleichzeitig ist vor diesem Hintergrund eine Verhärtung der iranischen Position zu erwarten, etwa im
Atomstreit oder im Irak. Die Absicht Teherans dürfte es vermutlich sein, auf Zeit zu spielen, um politische
Fehler seiner Gegner ausnutzen zu können.
Teheran dürfte jedoch nur solange Zurückhaltung üben, wie es die Position der libanesischen Hisbollah
und damit seine eigene Position in der Levante als gesichert beurteilt. Hierin liegt das größte
Gefahrenpotential: Sollte Syrien mit der libanesischen Hisbollah brechen und Teheran von seinen
Gegnern als schwach beurteilt werden, wird der internationale Druck auf die Hisbollah und ihre
iranischen Unterstützer zunehmen. Realistischer Weise dürfte die Auseinandersetzung mit der
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Islamischen Republik unter der Schwelle eines Krieges ausgetragen werden. Zu erwarten ist eher eine
Kombination aus einer amerikanischen Isolierung Teherans, einer größeren regionalpolitischen Rolle
der Türkei, einer Verhärtung der saudischen Position und israelischen Drucks auf die Hisbollah.
Teheran blickt dem mit einer gewissen Gelassenheit entgegen und versucht, sich diesem Druck
entgegen zu stellen, indem es seine Kontakte zu sunnitischen Vertretern des politischen Islam in der
ganzen Region intensiviert. Dieser Schritt ist in zweierlei Hinsicht nachvollziehbar: zum einen, weil
den Iranern keine politischen Alternativen offen stehen; zum anderen jedoch aufgrund der iranischen
Gewissheit, dass der politische Islam sich in der gesamten Region doch noch durchsetzen wird. Die
starke Konkurrenz von saudischer und türkischer Seite wird dabei in Kauf genommen. Die Europäer
und die USA hingegen verschließen sich einem entsprechenden Dialog mit wichtigen islamistischen
Organisationen nach wie vor und werden deshalb, so hofft man in Teheran, auf mittlere bis längere
Sicht an Einfluss verlieren.
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Die Rolle der neuen Medien im Arabischen Frühling
Von Dr. Asiem El Difraoui
3.11.2011
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.
Blogs und Foren befeuerten die Umbrüche in der arabischen Welt, die neuen Medien wurden
zum Mittel der Selbstermächtigung. Dennoch: Die Revolution hat auf der Straße stattgefunden.
"Die Revolution hat auf der Straße stattgefunden, nicht im virtuellen Raum. Sie hat 800 Menschen das
Leben gekostet", sagt der junge Blogger Abdallah aus Kairo. Der Ausdruck "Facebook-Revolution
" macht ihn fast wütend. Denn der Arabische Frühling hatte ganz reale politische und sozioökonomische Hintergründe, die zur Verzweiflung einer ganzen Generation führten. "Tahrir 2011" in
Ägypten und die "Jasminrevolution" in Tunesien waren zudem nur möglich, weil die ägyptische und
die tunesische Armee sich gegen die Despoten wandten. Dennoch haben die neuen Medien bei den
Umbrüchen eine entscheidende, wenn auch von Land zu Land unterschiedliche, Rolle gespielt.
Facebook war anfänglich das wichtigste Medium zur Mobilisierung der Bevölkerung. Über Twitter und
YouTube sendeten junge Araberinnen und Araber Informationen über Massenproteste um die Welt.
Vor allem die symbiotische Vernetzung traditionellerer und neuer Medien war für die Umbrüche
entscheidend. Das Zusammenspiel von TV, Internet und Mobiltelefonen veränderte die politische
Kommunikation grundlegend und machte somit die Umstürze erst möglich.
Der "Revolutionssender" al-Jazeera und das Handy
Während das ägyptische Staatsfernsehen in einer fast surrealen Propagandainszenierung inmitten
des Volksaufstandes Bilder eines angeblich leeren Tahrir-Platzes sendete, zeigte al-Jazeera die
tatsächlichen Ereignisse. Der Sender aus Katar strahlte Bilder und Informationen aus, die ihn über
Twitter und Facebook erreichten. Al-Jazeera bot darüber hinaus eine Vielzahl anderer
Vernetzungsmöglichkeiten und Kanäle, auf denen ununterbrochen live Bericht erstattet wurde, wie
Podcasts und RSS-Feeds, mit der Funktion eines Online-Nachrichtentickers. Al-Jazeeras Rolle in
Ägypten als "Revolutions-TV" unterschied sich maßgeblich von der zurückhaltenden Berichterstattung
des Senders über die Revolte in Syrien und der fast vollständigen Ausblendung der Proteste und ihrer
Unterdrückung in Katars Nachbarstaat Bahrain.
Im Übrigen waren in Ägypten Mobiltelefone ebenso wichtig wie al-Jazeera und die neuen Medien.
Während vor dem Umbruch nur knapp ein Viertel der Bevölkerung über einen Internetzugang verfügte,
besaßen mehr als zwei Drittel aller Ägypter ein Handy. So wurden auch Informationen über die Proteste
per Telefon oder per Sammel-SMS verteilt. Darüber hinaus haben Smartphones, insbesondere durch
ihre Kamerafunktion und die Möglichkeit zu twittern, dabei geholfen, Informationen und Bilder zeitnah
und weit zu verbreiten und dadurch Massen zu mobilisieren. Dies war für die Protestbewegung
entscheidend – vor allem auch in kleineren Städten und auf dem Land.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Tunesien "Error 404 – page not found"
Die Internetzensur war in Tunesien, wie auch in anderen Staaten der Region, etwa in Syrien, vor den
Umbrüchen wesentlich strikter als in Ägypten. Die Webseiten von al-Jazeera, Amnesty International,
Wikileaks, YouTube, Daily Motion sowie zahlreiche Facebook-Seiten wurden staatlicherseits blockiert.
Die Fehlermeldung "Error 404 – page not found" erschien so häufig, dass Tunesier ihren unsichtbaren
Zensoren den Spitznamen "Ammar 404" gaben und zu einer virtuellen Person machten. Ammar ist
ein beliebter tunesischer Vorname. Die ersten politischen Webseiten und insbesondere Blogs, wie "
Nawaat" (auf deutsch: Kern), der 2004 gegründet wurde, kritisierten diese strikte Zensur und den
Mangel an Presse- und Redefreiheit. Die Blogger scheuten sich aber lange davor, das tunesische
Regime und vor allem den damaligen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali offen zu kritisieren.
Dies änderte sich erst im Dezember 2010 mit der Selbstverbrennung des jungen Gemüsehändlers
Mohamed Bouazizi in der zentraltunesischen Kleinstadt Sidi Bouazid. Ab diesem Zeitpunkt berichteten
Blogger über die Massenproteste und gaben technische Hinweise zur Umgehung der Internetkontrolle.
Tunesische Internetaktivisten stellten unter dem Titel TuniLeaks die von WikiLeaks veröffentlichten
US-Depeschen über die Korruptheit des Regimes Ben Ali ins Netz. Die WikiLeaks-Depeschen lösten
die "Jasminrevolution" mit aus, da sie das von vielen vermutete Ausmaß der Plünderung des Landes
durch den Ben Ali-Clan nun auch "objektiv" bestätigten.
Die Zahl der Internetaktivisten, Blogs und Foren, die am Sturz des Ben Ali-Regimes beteiligt waren,
ist groß. Zusammen mit der internationalen Hacker-Bewegung "Anonymous" führten tunesische
Aktivisten eine Art Cyber-Krieg: Sie hackten die Webseiten der Regierung und legten sie mit geballten
Überlastungsattacken lahm. Es gelang ihnen auch, die Spionage- und Zensurprogramme der
Regierung zu deaktivieren. Dabei wurden in einer Art Lauffeuer völlig unterschiedliche Strömungen
spontan politisch im Netz aktiv. Das Engagement reichte von Frauenrechtlerinnen über Rap-Künstler
bis zu einer tunesischen Variante der Piratenpartei. Der Rap "Präsident der Republik" eines Sängers
mit dem Pseudonym El Général wurde zur Hymne des tunesischen Aufstandes und mobilisierte die
Jugend.
Ägypten: "Wir sind alle Khaled Said"
Die Erfahrungen der tunesischen Cyber-Aktivisten waren für die Umbrüche in Ägypten von großer
Bedeutung, der Sturz Ben Alis wirkte wie ein Zündfunken. Trotzdem unterscheidet sich der ägyptische
Internetaktivismus deutlich vom tunesischen. Die Mobilisierung durch das Internet ließ sich in Ägypten
von langer Hand vorbereiten, da das autoritäre Regime von Hosni Mubarak mehr Freiraum ließ als
das Ben Alis. Insbesondere hatte sich in Ägypten in den letzten Jahren, auch über das Internet hinaus,
eine regimeunabhängige Medienlandschaft herausgebildet.
Eines der Schlüsselereignisse für eine breitere Mobilisierung der Massen war der Mord an dem Blogger
Khalid Said. Im Juni 2010 prügelte ihn die ägyptische Polizei zu Tode, nachdem sie ihn vor einem
Internetcafé verhaftet hatte. Im Web verbreitete Fotos des entstellten Leichnams lösten eine Welle
des Entsetzens aus und führten schließlich zur Gründung der Facebook-Seite "Wir sind alle Khalid
Said". Der Verwalter der Seite, die zu einer der treibenden Kräfte des Umsturzes wurde, war der
Google-Marketingchef für die Nahost-Region Wael Ghonim. Der 30-jährige wurde im Januar 2011
tagelang verhaftet und misshandelt. Er ist heute eine der Ikonen der "Revolution".
Ebenfalls federführend bei der Mobilisierung war die Facebook-Gruppe "Jugend des 6. April". Sie
wurde 2008 von Aktivisten gegründet, unter ihnen auch ehemalige Mitglieder der
Demokratiebewegung "Kifaya" (auf deutsch: genug). Der Name "6. April" erinnert an einen Streik von
Textilarbeitern im Jahr 2008, der blutig niedergeschlagen wurde. Die Facebook-Gruppe sammelte
Tausende von Mitgliedern und suchte Rat bei "Otpor", einer serbischen Jugendbewegung, die 2000
maßgeblich am Sturz des Diktators Slobodan Milosevic beteiligt gewesen war, sowie bei der "Akademie
des Wandels", einem Think Tank zur Demokratieförderung in Katar. Gemeinsam entwickelten sie
Strategien zum gewaltfreien Widerstand und zur Mobilisierung über die neuen Medien.
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Im Januar 2011 schlossen sich Mitglieder von "Wir sind alle Khalid Said", von der "Jugend des 6. April
" und der "Kifaya"-Bewegung mit sieben weiteren Oppositionsgruppen in der "Koalition der Jugend für
die ägyptische Revolte" zusammen und riefen zu einer Großkundgebung für den 25. Januar 2011 auf.
Das Datum war insofern geschickt gewählt, als dass der Tag Nationalfeiertag zu Ehren der ägyptischen
Polizei ist und damit weniger Polizisten als üblich im Einsatz waren. Vorab wurden über Facebook
Tipps für die Ausrüstung zum Schutz vor der erwarteten Polizeigewalt gegeben: von der Anfertigung
von Westen gegen Gummigeschosse bis hin zur Verwendung von Zwiebeln und Coca Cola gegen
Tränengas. Als es am ersten Protesttag zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten
und Sicherheitskräften kam begann das bis dahin einmalige Zusammenspiel der Medien. Mit Handys
wurden die Ereignisse gefilmt, über YouTube weltweit verbreitet und über al-Jazeera wieder in die
ägyptischen Haushalte zurückgesendet. Twitterfeeds lieferten selbst aus Provinzstädten
Informationen.
Auf der Höhe der Demonstrationen am 27. Januar schaltete die ägyptische Regierung das Internet
komplett ab. Auch al-Jazeeras Sendefrequenz auf dem ägyptischen Satelliten "Nilesat" wurde gesperrt.
Trotzdem nützte die Kommunikationsblockade wenig. Google etwa stellte den Demonstranten eine
Nummer zur Verfügung, über die Videos und Texte weiterhin ins World Wide Web eingestellt werden
konnten. Al-Jazeera wechselte einfach den Satelliten. Die Unterbrechung des Netzes führte auch nicht
zu einer Verringerung der Demonstrationen. Im Gegenteil: Ägypterinnen und Ägypter, die die Ereignisse
vom Computer aus verfolgten, gingen, nachdem sie hier keine Informationen erhielten, selbst auf die
Straße, um sich zu informieren und zu demonstrieren. Außerdem ließ sich durch die Lahmlegung des
Netzes und des Mobilfunks auch der Informationsfluss ins Ausland nicht verhindern. Denn Videos und
Twitterfeeds wurden per Satellitentelefon oder Festnetz auf Server in anderen Ländern übertragen.
Medien als Instrumente der Selbstermächtigung?
Noch dauern die Umbrüche in der Region an, und es ist daher zu früh für ein abschließendes Fazit
über die Rolle der Medien. Trotzdem lassen sich einige vorläufige Schlüsse ziehen. "Als ich zum ersten
Mal meine Meinung frei im Internet äußern durfte, fühlte ich mich wie ein anderer Mensch. Ein ganz
neues Gefühl, etwas bewirken zu können, kam auf – vor allem als ich gemerkt habe, dass ich nicht
der einzige bin, der so denkt." Diese Aussage eines jungen Bloggers verweist auf eine der wichtigsten
Schlussfolgerungen. Das Phänomen, das der junge Ägypter hier beschreibt, ist das der
Selbstermächtigung. Menschen, die bisher nur passiv erlebten, wie über sie bestimmt wurde, wurden
allmählich zu Akteuren, und zwar über das Bewusstsein, sich äußern zu können und nicht alleine zu
sein. Damit halfen die neuen, nur schwer zu zensierenden Medien, jungen Araberinnen und Arabern,
sich selbst als aktiv wahrzunehmen, als diejenigen, die Prozesse in Gang setzen und gestalten.
In der Tat können die neuen Medien eine Art dialektischen Prozess der Selbstermächtigung und
Ermächtigung fördern. Menschen, die sich im virtuellen Raum zusammenfinden und ihre Ansichten
teilen, werden zu einer sozialen Gruppe. Finden sie sich gemeinsam auf der Straße zu Protesten
zusammen, wird dieser Prozess der Selbstermächtigung und der Identitätsbildung durch andere
Faktoren wie Kollektiverlebnisse weiter verstärkt. Das Zusammenspiel verschiedener Medien und vor
allem die Wechselwirkung zwischen virtuellem und realem Raum können dann zur tatsächlichen
Ermächtigung und zu realem Wandel führen. Personen, die ehemals nur Konsumenten von Medien
waren, werden, indem sie selbst Videos oder Handy-Filme drehen und Nachrichten verbreiten, zu
Produzenten. Diese sogenannten "Prosumenten", also Menschen, die sowohl Produzenten als auch
Konsumenten sind, machen durch ihre schiere Anzahl und eine extrem schnelle Kommunikation eine
völlige Kontrolle durch den Staat unmöglich. Durch die Umgehung der Kontroll- und
Zensurmechanismen werden die Medien zu Instrumenten, die staatliche Gewalt und Missbrauch
denunzieren. Auch hierbei ist die Symbiose klassischer und neuer Medien entscheidend.
Trotzdem ist das Argument, dass neue Medien auch zu mehr staatlicher Kontrolle eingesetzt werden
können, durch den Arabischen Frühling nicht widerlegt. Syrien etwa ist ein Beispiel dafür, wie Diktaturen
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sich schnell an die Entwicklung der Medien anpassen konnten. Am 8. Februar 2011 hob Damaskus
nach mehr als drei Jahren die Sperrung von Facebook sowie von YouTube auf. Seither hat das Regime
von Bashar al-Assad diese neuen Medien selbst für Desinformations-Kampagnen sowie zur
Identifizierung von Oppositionellen genutzt.
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Der Arabische Frühling – das Ende al-Qaidas?
Von Dr. Asiem El Difraoui
7.11.2011
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika der SWP.
Massenproteste stürzten die Herrscher Tunesiens und Ägyptens, nicht Terror und Gewalt. AlQaida scheint damit ideologisch widerlegt, der Dschihadismus generell geschwächt. Asiem El
Difraoui mit einer Einschätzung.
Lange wirkte al-Qaida ratlos, wie sie auf die Umbrüche in der arabischen Welt reagieren sollte. Zunächst
schwiegen die sonst so aktiven Propagandisten der Organisation zu den historischen Entwicklungen.
Ihre Ideologie schien widerlegt: die Diktatoren Ägyptens und Tunesiens wurden nicht durch
terroristische Aktivitäten und Selbstmordattentate gestürzt, sondern durch Massenproteste. Nicht alQaida mobilisierte die Massen, sondern eine eher weltlich orientierte Jugend. Die Liquidierung von
Osama Bin Laden durch ein US-Kommando im Mai 2011 und die anschließende Tötung hochrangiger
al-Qaida-Kader haben die Organisation weiter geschwächt. So wurde im Oktober 2011 der
charismatische Herausgeber des englischsprachigen Internet-Magazins "Inspire", einem der
Propagandainstrumente al-Qaidas, Anwar al-Awlaki, bei einem Drohnenangriff im Jemen getötet.
Auch sprachen sich ehemalige Jihadisten in Libyen und Ägypten erstmals für eine Teilnahme am
politischen Prozess und für freie Wahlen aus, darunter ein frühere Anführer der "Libyschen Islamischen
Kampfgruppe" Abdel Hakim Belhadsch, der heute Vorsitzender des Militärrats in Tripolis ist. Abdel
Hakim al-Hisadi, ebenfalls Rebellenkommandeur und ehemaliger Jihadist erklärte sogar, das libysche
Volk stünde in der Schuld des Westens. Er revidierte somit öffentlich ein Feindbild und den Mythos
vom Kampf der Kulturen. Die neue Freiheit bedeute das Ende al-Qaidas – dieser Ansicht ist Osama
Rushdi, ein ehemaliger Sprecher der ägyptischen Organisation "Gamaa al-Islamiyya", die unter
anderem von den USA und der EU als terroristische Organisation bezeichnet wird.
Der Arabische Frühling – ein Segen für den Jihad?
Al-Qaida versuchte dann auf den Zug der arabischen "Revolutionen" aufzuspringen. In einer ersten
Stellungnahme im März 2011 behauptete der heutige al-Qaida-Chef Aiman al-Zawahiri, die
Revolutionen seien das direkte Resultat des 11. September 2001. Denn nur wegen der Anschläge
seien die USA bereit gewesen, arabische Diktatoren wie Hosni Mubarak fallen zu lassen. Zawahiri
forderte seitdem mehrmals die arabische Jugend auf, die Revolutionen bis zur Errichtung eines
islamischen Staates fortzusetzen. "Inspire" bezeichnete in seiner im März 2011 erschienenen fünften
Ausgabe die Umbrüche als einmalige Chance für den globalen Jihad.
Generell gelten unter islamistischen Strömungen die Vertreter des politischen Islam, wie die
Muslimbrüderschaft in Ägypten oder Ennahda in Tunesien, als die großen Gewinner der Umbrüche.
Sie können auf jahrzehntealte Organisationen bauen und sind damit für den politischen Prozess und
Wahlen bestens gerüstet. Im Vergleich zu ihnen ist der Einfluss jihadistischer Gruppen hingegen
marginal.
Sind al-Qaida und der Jihadismus folglich am Ende? Zwar ist Bin Laden tot und al-Qaida organisatorisch
geschwächt, aber die Ideologie des Jihad lebt weiter. Diese hat sich über die letzten dreißig Jahre
gefestigt – und dürfte auch in den kommenden Jahrzehnten eine Bedrohung bleiben. Lange bevor
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sich junge Revolutionäre die neuen Medien im arabischen Raum zur Mobilisierung der Massen und
zum Sturz der Regime zunutze machten, war das Internet bereits das Hauptpropaganda-Forum der
Jihadisten. Hier findet sich ein Korpus von ideologischen Texten und Videos, die Jihad und Terrorismus
rechtfertigen. Salafisten und Jihadisten haben eine Art geschlossenes Weltbild geschaffen, welches
immer noch weltweit Anhänger findet.
Auch ergeben sich in arabischen Ländern, in Ländern der Sahelzone und am Horn von Afrika neue
Entfaltungsmöglichkeiten für jihadistische und salafistische Gruppierungen. In einem Worst-CaseSzenario könnten ein politisches Vakuum, Instabilität und sozio-ökonomische Krisen den Jihadisten
massiven Zulauf verschaffen. So könnten auch neue jihadistische Hochburgen entstehen, eine
Nachwuchsgeneration von Terroristen herangezogen und somit die Kapazitäten für neue Anschläge,
auch in Europa und den USA, geschaffen werden.
Der Arabische Frühling – der Anfang vom Ende al-Qaidas?
Letztlich haben die Reformprozesse in der arabischen Welt den Jihadismus aber geschwächt. Vor
allem die jungen revolutionären Tunesier und Ägypter haben positive Vorbilder geschaffen. Die
Jugendlichen haben gezeigt, dass politischer Wandel sich durch überwiegend friedliche
Massenmobilisierung und nicht durch jihadistische Gewaltstrategien herbeiführen lässt. Führen die
Transformationsprozesse, wie erhofft, zu mehr Mitbestimmung, Rechtsstaatlichkeit und einer
nachhaltigen Verbesserung der sozio-ökonomischen Lage, wird jungen Muslimen vermutlich noch
bewusster, dass Jihadisten außer Terror und Tod keinerlei gesellschaftliches oder politisches Programm
zu bieten haben. Für große Mehrheiten in den arabischen Bevölkerungen bieten sie ohnehin keine
attraktiven Alternativen zur demokratischen Regierungsform an.
Laut dem dritten Arab Youth Survey, einer Umfrage, die von Dezember 2010 bis Januar 2011 von
einem der größten Meinungsforschungsinstitute der Region in zehn arabischen Ländern durchgeführt
wurde, wollen neunzig Prozent der Jugendlichen in stabilen Demokratien leben. Der Hauptwunsch
von fast achtzig Prozent ist es, ohne Angst vor Terrorismus leben zu können. Ermutigend ist ebenfalls,
dass in Ägypten Salafisten sowie ehemalige Jihadisten dabei sind, Parteien zu gründen. In Libyen
sind ehemalige Jihadisten bereits in den Transformationsprozess eingebunden. Durch die Einbindung
in die Politik könnten sie zu einem dauerhaften Gewaltverzicht bewogen werden. Damit besteht die
einmalige Chance, dass al-Qaida und andere Jihadisten zu einer Fußnote in der Geschichtsschreibung
werden.
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de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
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Die Türkei als Modell für die arabischen Staaten?
Von Dr. Günter Seufert
16.11.2011
Dr. phil. Günter Seufert arbeitet in der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen der SWP.
Im Schatten der arabischen Revolutionen präsentiert sich die Türkei als aufstrebende
Regionalmacht. Ihre politische Modernisierung ist deshalb auch für den Westen weiterhin ein
wichtiges Anliegen. Denn die Türkei will Vorbild sein für das neue Nordafrika.
Als die Bevölkerungen Tunesiens und Ägyptens Anfang 2011 im Namen von Freiheit und Demokratie
sowie für ein besseres Leben auf die Straße gingen, konnten sie sich der Sympathien der Europäer
und des Westens generell gewiss sein. Doch bald stellte sich in Europa auch Besorgnis ein: Besorgnis
vor steigenden Migrantenzahlen und vor dem politischen Islam. Denn Gruppen, die sich im Namen
des Islam zusammenfinden, gelten in allen arabischen Staaten als die größten und am besten
organisierten politischen Bewegungen. "Wo führt das hin?" lautete die bange Frage. Beim Blick auf
die politischen Verhältnisse in Ländern mit einer Mehrheit von Muslimen stellte sich schnell heraus,
dass im Nahen und Mittleren Osten nur die Türkei über eine wirtschaftliche, politische und säkulare
Ordnung verfügt, die sowohl den eigenen Bürgern eine lebenswerte Perspektive bietet als auch auf
Kooperation mit Europa und "dem Westen" orientiert ist.
Kein Wunder, dass sehr schnell eine Diskussion darüber einsetzte, ob die Türkei ein "Modell" für die
arabische Welt sein könnte. Tatsächlich begann die Debatte vom "Modell Türkei" im Westen, doch
stritten bald auch die politischen Akteure in der arabischen Welt und in der Türkei selbst über den
Einfluss und die Chancen des "türkischen Modells". Ein Blick darauf, wie diese Diskussion im Westen,
in der Türkei und in den Ländern selbst geführt wird, gibt Aufschlüsse darüber, welche Rolle die Türkei
im Umbruch der Region wohl spielen wird, spielen soll oder überhaupt spielen kann.
Die europäisch-westliche Debatte
Die Angst vor dem politischen Islam und vor Migranten, die aus ihrer Heimat fliehen, weil es dort für
sie keine wirtschaftliche Perspektive gibt, lenkte in Europa das Augenmerk nahezu automatisch auf
die gemäßigte, muslimisch-konservative Regierung der Türkei und auf ihren wirtschaftlichen Erfolg.
Bis zu 11 Prozent ist in den letzten Quartalen die Wirtschaft der Türkei gewachsen, und auch langfristig
kann die Entwicklung sich sehen lassen. Von 2001 bis 2010 stieg das Pro-Kopf-Einkommen von 3 000
auf 13 000 USD. In Sachen 'Politik und Islam' scheinen primär die grundsätzliche Wandlung wichtig,
die der politische Islam in der Türkei durchgemacht hatte. Noch Mitte der 1990er Jahre hatten die
politischen Vorläufer von Recep Tayyip Erdogan und Abdullah Gül, dem heutigen Ministerpräsidenten
und Staatspräsidenten, Europa schlicht verteufelt. Erdogans und Güls damaliger Parteichef hatte auch
darauf bestanden, dass Muslime nach islamischen Rechtsvorschriften leben müssten und
Nichtmuslime nur Bürger zweiter Klasse seien.
Der Staat sollte damals nicht liberalisiert, sondern einfach erobert werden. Er sollte alle Menschen im
Sinne des Islam erziehen und auch die Wirtschaft kommandieren. Doch in der Türkei werden seit 1946
Wahlen abgehalten (wenn auch nicht zu jederzeit demokratischen Maßstäben entsprechend), und der
politische Islam muss sich dem offenen Wettbewerb stellen. Die Folge war, dass sich nach einer Phase
der Radikalisierung islamistische Positionen deutlich gemäßigt haben. Die Mehrheit der Bevölkerung
will keinen religiösen Kommandostaat, und eine neue Schicht von frommen Geschäftsleuten setzt auf
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Gewinn und nicht auf Wirtschaftsdirigismus. Aus Sicht Europas waren beide Entwicklungen fast
revolutionär: dass fromme Muslime für Demokratie optieren und dass sie statt "orientalischem
Fatalismus" wirtschaftliche Initiative zeigen.
Bis dahin hatten Demokraten in Europa sich in ihrer Haltung zur Türkei oft in einer Klemme befunden.
Die Angst vor dem politischen Islam schien keinen anderen Ausweg zu lassen, als den autoritären
Staat zu stützen. Hinter diesem stand das Militär, das heißt vor allen Dingen säkulare Offiziere, die
ähnlich wie in Ägypten auch die Angst des Westens vor dem Islam für die eigene Herrschaft
instrumentalisierten. Nach einer Reihe von Rückschlägen in Form von Staatsstreichen des Militärs
gelang in der Türkei jedoch eine friedliche Machtverschiebung. Auch das, so meint man in Europa,
spricht ganz entscheidend für das "türkische Modell".
Arabische Perspektiven
Früher war die Türkei in den arabischen Ländern wenig geachtet. Für Säkulare und Modernisierer
unter den Arabern waren die Türken die Nachfahren der Osmanen, welche die arabische Welt
jahrhundertelang schlecht regiert und sie daran gehindert hatten, am Fortschritt von Europa zu
partizipieren. Für fromme Araber hingegen hatten die Türken sich unter Regie von Staatsgründer
Kemal Atatürk vom gemeinsamen Erbe - dem Islam - losgesagt, hatten Europa nachgeäfft und waren
dabei noch nicht einmal sehr erfolgreich gewesen. Noch im Jahre 2002 lag die Türkei bei
Meinungsumfragen in der Region stets auf den unteren Rängen der Beliebtheitsskala. Im Jahr 2010
dagegen war die Türkei - gleich nach Saudi-Arabien - das zweitbeliebteste Land der Region. Zwei
Drittel der Befragten sagten, die Türkei sei eine Art Modell für das eigene Land und die Region. Mehr
Araber wollten ihre Ferien in Anatolien verbringen als in irgendeinem anderen Land des Nahen Ostens,
und selbst das Misstrauen, mit dem fremden Investitionen generell begegnet wird, war gegenüber
türkischen Investoren ausgesprochen niedrig.
In einem Punkt jedoch besteht ein großer Unterschied zwischen den Perspektiven in den arabischen
Ländern und in Europa. Die größte Zustimmung findet die Türkei in der arabischen Welt gerade für
den Strang ihrer Politik, welcher im Westen das meiste Stirnrunzeln auslöst: 75 % der Befragten
begrüßen die entschlossene Politik der Türkei Israel gegenüber und wollen, dass sich Ankara im
Nahostkonflikt noch stärker auf Seiten der Palästinenser einbringt. Nicht nur der Mann auf der Straße,
sondern auch arabische Intellektuelle loben die Türkei am meisten dafür, dass sie ihre Politik nicht
mehr ausschließlich an westlichen Interessen ausrichtet. Die ersten Sympathiepunkte in der arabischen
Welt holte sich Ankara 2003, als es sich weigerte den USA die Eröffnung einer zweiten Front gegen
Saddam Hussein von der Türkei zu gestatten. Heute achtet man die Türkei dafür, dass sie sich
wirtschaftlich und politisch generell größere Unabhängigkeit erkämpft hat. Als Modell für die Innenpolitik
dagegen macht die Türkei ägyptischen Akteuren wahrscheinlich eben soviel Angst, wie sie
Bewunderung auslöst. Das gilt besonders für das ägyptische Militär, das nur mit Sorge darauf blicken
kann, wie stark die Rolle des Militärs in der Türkei in den letzten Jahren beschnitten worden ist – und
dass sich in der Türkei heute 15 Prozent alle Generäle in Untersuchungshaft befinden. Und das gilt
auch für viele Islamisten, die nicht bereit sind, ein säkulares Staatsmodell umzusetzen, sondern am
Islam als Staatsreligion und an der Sharia als Grundlage oder Hauptquelle von Gesetzgebung und
Rechtsprechung festhalten wollen.
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Und die Türkei?
Schon vor dem Umbruch in den arabischen Staaten fand das Konzept von Außenminister Ahmet
Davutoglu, das die Türkei als neue Regionalmacht sieht, in der eigenen Bevölkerung viel Zuspruch.
Das neue Selbstbewußtsein der Türkei kam primär durch Kritik an Israel, an den USA und an Europa
zum Ausdruck. In Umfragen wurden an erster Stelle Israel und die USA als die Länder genannt, die
der Türkei abweisend gegenüber stünden. Jahrzehntelang hatten die Türken sich nach Europa
ausgerichtet und sich dabei sehr oft zurückgesetzt gefühlt. Es schmeichelte ihnen deshalb, dass die
Türkei zum Zentrum "ihrer" Region werden sollte und dass man nicht mehr vor dem Westen kuschte.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan griff in seinen Reden solche Gefühle immer wieder auf. In
Damaskus und Riad, in Teheran und Sarajevo, zogen Davutoglu und er immer wieder die Grenze
zwischen einem "Wir", bestehend aus den Türken und den Muslimen der Region, und den "Anderen
", meistens den Europäern.
Am deutlichsten trat diese Haltung zu Anfang des libyschen Bürgerkriegs hervor. Die NATO und Europa,
hieß es damals, verfolgten eine neokoloniale Politik aufgrund ausschließlich wirtschaftlicher Interessen.
Erst als klar wurde, dass es mit Gaddafi nichts weiter zu verhandeln gab und sein Regime nicht
überleben würde, wechselte Ankara die Fronten. Der Fall Libyen zeigte wie unter der Lupe, dass die
Türkei - wie alle anderen Länder auch - die eigenen Interessen oben anstellt und dass der Westen gut
daran tut, Ankara frühzeitig in seine Politik zu integrieren, damit das Handeln der Türkei nicht
kontraproduktiv ausfällt.
Am besten haben dies bisher die USA vermocht. Sie bieten der Türkei Unterstützung bei der Ausweitung
ihres Spielraums besonders im Irak, wo Ankara die Leerstelle füllen soll, die nach dem Abzug der USA
dort zu entstehen droht. US-Amerika hilft außerdem beim Kampf gegen die PKK. Im Gegenzug setzt
Ankara den syrischen Diktatur Baschar Al-Assad weiter unter Druck, und schwächt damit gleichzeitig
den Iran.
Die Türkei und Europa
Von einem solchen give and take sind die Türkei und die EU Lichtjahre entfernt. Zwar hat sich Erdogan
in Tunis und in Kairo für eine säkulare Ordnung eingesetzt und damit der Debatte in Europa, wie wichtig
die Türkei für die Transformation des MENA-Region [Abkürzung für "Middle East & North Africa"; Anm.
d. Red.] verwendet. Der Begriff bezeichnet die Region von Marokko bis zum Iran.ist, erneut Nahrung
gegeben. Doch gleichzeitig streiten sich Ankara und Brüssel über Zypern, und der Beitritt der Türkei
zur EU ist fraglicher denn je. Der Ärger darüber verhindert bislang eine vertiefte Kooperation. Nur
einmal jährlich haben Davutoglu und Erdogan ein festes Rendezvous mit Catherine Ashton und Stefan
Füle, den außenpolitischen Spitzen der Union. Zwar redet man in der EU noch immer viel vom "
türkischen Modell". Doch konkrete Aussagen darüber, wie man von und mit ihm profitieren könnte,
gibt es wenig. Trotz Vorschlägen wie gemeinsamen Besuchen europäischer und türkischer Minister
in den MENA-Staaten, die zu gemeinsamen Programmen führen könnten, oder der Zusammenarbeit
von türkischen und europäischen Entwicklungshilfeministerien, ist bislang nichts konkretisiert worden.
Wenn man die Dinge sich selbst überlässt, könnten aus leeren Phrasen schnell bittere Konkurrenzen
werden.
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Literatur
Mensur Akgün et al: Foreign Policy Perceptions in Turkey, TESEV, Istanbul 2010.
GMF, The German Marshall Fund of the United States: Turkey and the Arab Spring: Implications for
Turkish Foreign Policy from a transatlantic Perspective, Washington 2011.
Heinz Kramer: Die neue Außenpolitik-Konzeption der Türkei, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
2010.
Hassan Nafaa: The 'Turkish Model' in the Mirror of the Arab Spring, in GMF 2011.
Günter Seufert: Foreign Policy Perceptions in Turkey: Comment on the Opinion Research, TESEV,
Istanbul 2011.
Eduard Soler i Lecha: The EU, Turkey, and the Arab Spring, in GMF 2011.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
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"Europa muss positiver auf die Umbrüche reagieren
"
Interview mit Volker Perthes
Von Volker Perthes
9.2.2012
Prof. Dr., geb. 1958; Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit und geschäftsführender Vorsitzender
der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Ludwigkirchplatz 3 - 4, 10719 Berlin.
E-Mail: [email protected]
Ende 2010 hat in Tunesien ein Aufstand begonnen, der kurz darauf fast den gesamten
arabischen Raum erfasste. Im Gespräch mit der bpb erläutert der Politikwissenschaftler Volker
Perthes die Situation in verschiedenen Ländern des Arabischen Frühlings, neue
Kräfteverhältnisse in der Region und die Rolle Europas.
Demonstranten auf dem Tahir-Platz in Kairo bei Protesten gegen den Obersten Militärrat. (© picture-alliance/dpa)
Herr Perthes, die Umbrüche quer durch die arabischen Staaten gehen derzeit ins zweite Jahr
und differenzieren sich immer mehr aus. Lässt sich dennoch ein gemeinsamer Charakter der
Proteste feststellen?
Es gibt eine ganze Menge gemeinsamer Phänomene. Es gibt ähnliche Ungerechtigkeiten über die
sich insbesondere die junge Generation beschwert. Die arabischen Länder sind zwar durchaus
unterschiedlich. Sie haben unterschiedliche Ressourcenausstattungen, unterschiedliche politische
Geschichte, unterschiedliche politische Kultur und insofern verarbeiten sie auch diese Welle des
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Protests unterschiedlich. Der eine große gemeinsame Faktor ist aber die Generation der 20- bis 35jährigen, die zahlenmäßig größer ist als ihre Vorgängergeneration, aber weniger Chancen hat.
Also ein arabisches '68? – Oder eher ein arabisches '89?
Was die soziale Komposition angeht handelt es sich vielleicht tatsächlich um ein arabisches '68. Der
Vergleich ist nicht schlecht: Auch die '68er konnten ihren gesellschaftlichen Einfluss erst 20 bis 30
Jahre später in politischen Einfluss umsetzen.
Welche Länder betrachten Sie hoffnungsvoll?
Tunesien hat die größten Chancen zu einer konsolidierten Demokratie zu werden. Auch die Chancen
Ägyptens stehen gut. Allerdings in einem sehr viel komplizierteren Prozess. Und wenn Ägypten es
schafft, dann wird sein Beispiel auf den Rest der arabischen Welt ausstrahlen.
Ägypten hat wegen seiner Lage, Bevölkerungszahl und Geschichte eine besondere Bedeutung
in der Region. Das politische Spektrum nimmt in der laufenden Transformationen Konturen an.
Welche gesellschaftlichen Gruppen sind am besten auf die neue Ordnung vorbereitet?
Das politische islamische Spektrum, also die Religiös-konservativen, war gut vorbereitet auf die jetzt
laufenden politischen Prozesse, insbesondere auf Wahlen. Ich bin allerdings nicht sicher, ob sie letztlich
gut vorbereitet sind auf Regierungsverantwortung und die damit verbundenen wirtschaftlichen und
sozialen Herausforderungen.
Wie sieht es mit den jungen Menschen aus, die die Proteste getragen haben?
Die 2011er-Generation, wie ich sie nenne, ist auf viele politische Fragen, die sich in Ägypten stellen,
gut vorbereitet. Aber noch nicht darauf, selber Verantwortung zu übernehmen. Bei den Wahlen sind
ja auch nur sehr wenige von ihnen gewählt worden. Sie haben am unmittelbaren Umbruchprozess
großen Anteil gehabt, aber sie gehören noch nicht zu den politischen Gewinnern.
Und das Militär?
Das Militär hat eine wichtige Rolle gespielt bei den Umstürzen und es wird weiterhin wichtig bleiben,
um Chaos zu verhindern. Es ist aber absolut nicht auf die Aufgabe vorbereitet, einen modernen Staat
zu regieren. Das sollte auch nicht seine Aufgabe sein. Es ist auch nicht auf die Bedürfnisse einer
modernen Ökonomie vorbereitet. In Ägypten sehen wir die Widersprüche ganz deutlich: das Militär
weiß, dass es nicht gegen das Volk und nicht gegen die junge Generation regieren kann und will das
auch nicht. Es will keine Regierungsverantwortung übernehmen, aber es möchte gerne seine
wirtschaftlichen und politischen Privilegien behalten. Dies spricht perspektivisch für ein längeres
Tauziehen zwischen Neugewählten und der alten militärischen Führung.
Mubarak misslang in Ägypten, was in Syrien im Jahre 2000 klappte: ein dynastischer
Machtwechsel vom Vater auf den Sohn. Aber trotz des vergleichsweise jungen syrischen
Präsidenten Baschar Al-Assad gleicht die Lage dort mittlerweile einem Bürgerkrieg.
Man sollte sich nicht täuschen lassen. Der Präsident ist jung, aber das Regime ist alt. Assad hat letztlich
die Strukturen übernommen, die unter seinem Vater errichtet worden sind. Und er hat es eben nicht
geschafft, zu einem Reformer zu werden, obwohl er alle Chancen gehabt hätte. Er hat sich entschieden,
seine Macht auch militärisch zu verteidigen und im Zweifelsfall bis zum blutigen Ende zu kämpfen.
Das liegt auch daran, dass er nicht sieht, dass er am Ende ist – entgegen der Einschätzung der Staaten
der Arabischen Liga und vieler Beobachter.
In Israel hat man zunächst mit Sorge auf die Veränderungen bei den Nachbarn Ägypten und
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Syrien geschaut.
Israel hat große Schwierigkeiten gehabt, sich auf diese Veränderung in seiner Umwelt einzustellen,
zumal unter seiner derzeitigen Regierung. Man wusste auch in Israel, dass die Regierungsverhältnisse
in den arabischen Staaten nicht gut waren. Aber man hatte mit Mubarak in Ägypten, aber letztlich auch
mit den Assads in Syrien relativ verlässliche Nachbarn. Mubarak war ein Partner; Assad war ein Gegner,
aber man wusste ungefähr, was man voneinander erwarten konnte und hat sich darin ganz gut
eingerichtet. Jede Veränderung bringt Unsicherheit und führt insofern auch zu verstärkter Nervosität
in Israel. Das hat man auch sehr deutlich an den ersten Reaktionen auf die beginnende Revolte in
Syrien gemerkt. Mittlerweile, etwa ein Jahr später, stellt man sich auch in Israel auf ein Ende des
Assad-Regimes ein. Man versucht, die aus israelischer Sicht positiven Seiten zu sehen, etwa eine
Schwächung des iranischen Einflusses in der Region.
Werfen wir einen Blick auf die geopolitischen Machtveränderungen in der Region. Wer gewinnt
an Einfluss, wer verliert?
Iran wird regional an Einfluss verlieren. Das ist jetzt schon deutlich. Die iranische politische Führung
schaut sehr besorgt nach Syrien. Sie sieht durchaus die Schwierigkeiten des Assad-Regimes. Und
sie kann sich wahrscheinlich auch ausrechnen, dass das Assad-Regime früher oder später weichen
muss. Damit verlöre sie den einzigen wirklichen Verbündeten in der arabischen Welt und einen
Vorposten im östlichen Mittelmeer.
Gleichzeitig ist es so, dass man aus iranischer Sicht auch für Iran positive Zeichen in den arabischen
Revolten zu sehen meint, insbesondere die Wahlsiege von islamistischen Kräften. Meine Einschätzung
ist, dass die Iraner sich hier täuschen. Selbst die Muslimbrüder in Ägypten, die dort die Wahlen
gewonnen haben, haben kein Interesse, sich an Iran zu orientieren. Vielmehr werden sie Iran gegenüber
sehr viel selbstbewusster und entspannter auftreten als das etwa das Mubarak-Regime getan hat,
denn sie brauchen keine Angst vor iranischem ideologischen Einfluss haben.
Die Türkei hingegen scheint eine Art Vorbild für viele Menschen in Arabien zu werden...
Die Türkei ist ausgesprochen gut aufgestellt, was sogenannte Soft Power – sanfte Macht – angeht.
Sie hat ein enormes Netzwerk an wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Kontakten und sie ist
tatsächlich Modell für verschiedene Gruppen. Zunächst einmal für die moderat-islamischen Parteien
wie die Muslimbrüder oder die tunesische Nahda, die gerne wie die türkische Regierungspartei AKP
wäre: eine religiöse, konservative, pragmatische Volkspartei.
Von der Türkei holen sich interessanterweise aber auch andere Gruppen Inspiration. Das gilt zum Teil
für die bürgerlich-liberalen Eliten, die das beeindruckende Wirtschaftswachstum in der Türkei sehen.
Und sie sehen, dass sich trotz konservativ-religiös geprägter Regierung die säkularen Strukturen in
der Türkei erhalten haben. Und die Türkei ist auch für einige der militärischen und bürokratischen
Eliten eine Art Orientierungspunkt. Hier schaut man auf den langsamen Übergang zur Demokratie seit
1980, bei dem das Militär für lange Zeit noch eine Art Oberkontrolle über die Politik hatte. Insofern ist
die Türkei Modell und Inspiration für ganz unterschiedliche Kreise. Sie hat großen Einfluss und sie
kann diesen Einfluss nutzen, wenn sie es nicht übertreibt: Große Teile der arabischen Gesellschaft
lassen sich gerne von der Türkei inspirieren, aber wollen sich eben nicht von der Türkei regieren lassen.
Warum blieb es in Saudi-Arabien vergleichsweise ruhig?
Es hat auch in Saudi-Arabien Proteste gegeben. Die saudische Regierung hat sehr viel Geld in die
Hand genommen, um der Bevölkerung den Protest gewissermaßen abzukaufen. Das von ihr
geschnürte finanzielle Paket entspricht etwa einem Drittel des saudischen Bruttosozialprodukts. Es
umfasst soziale Programme, Hausbauprogramme, Renten, Lohnerhöhungen und neue Jobs –
Investitionen, damit diese Proteste nicht anwachsen.
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Das Zweite, was man zur inneren Situation in Saudi-Arabien sagen muss: manche der
soziodemografischen Herausforderungen, die Ägypten und Tunesien bereits erlebt haben, stehen
Saudi-Arabien noch bevor. Dort wächst die Generation, die in Tunesien, Ägypten oder Syrien die
Revolution oder Revolten getragen hat, gerade erst heran. Wir haben heute über hunderttausend
saudische Studierende im westlichen Ausland, ein Drittel davon Frauen. Die kommen irgendwann
zurück nach Saudi-Arabien – mit neuen Erfahrungen und Ansprüchen.
Wie reagiert die Regierung auf die Ereignisse?
Geopolitisch bemüht sich Saudi-Arabien um regionale Legitimität, auch bei den Gesellschaften der
Transformationsländer. Es hat eine relativ aktive Rolle eingenommen, auch im neuen Kampf um Syrien,
der in der arabischen Welt tobt. Riad hat sich dort auf die Seite der Opposition gegen Assad gestellt.
Was den eigenen engeren geopolitischen Umkreis angeht, wird es versuchen, die Monarchien im
Golfkooperationsrat, also Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate plus
Jordanien zu konsolidieren und gegen ein aus saudischer Sicht zu schnellen oder zu abrupten Wandel
zu schützen...
...und dabei möglicherweise zu Ägypten in Konkurrenz treten?
Es gibt hier Konkurrenzen mit Ägypten, das ist richtig. Die hat es immer wieder gegeben. Zwei große
Mächte in der arabischen Welt, die zu unterschiedlichen Zeiten auch Führungsfunktionen oder
Trendsetterfunktion gehabt haben. Ägypten kann wieder Trendsetter werden.
Und auch Saudi-Arabien wird seine Position als arabische Führungsmacht verfestigen, die es in der
ersten Dekade dieses Jahrhunderts eingenommen hat. Aber wir sehen, dass hier auch transnationale
Bewegungen stattfinden, die sehr interessant zu beobachten sind: Die Salafiten, die ultra-konservativen
Islamisten, die überraschenderweise viele Stimmen bei den ägyptischen Wahlen bekommen haben,
werden aus Saudi-Arabien unterstützt. Insofern ist die Politik, die Saudi-Arabien in der Region betreibt,
durchaus auch bei vielen gesellschaftlichen Eliten in den arabischen Staaten kontrovers und wird
kontrovers bleiben.
Sie haben von der Schönheit der Revolution in Tunesien und Ägypten gesprochen. Was meinten
Sie damit?
Das Schöne an der ägyptischen und tunesischen Revolution war, dass es tatsächlich eine friedliche
Revolte war. Die Regimes haben mit gewisser Gewalt reagiert, aber mit weniger Gewalt als man hätte
erwarten können. Es waren recht "fröhliche" Revolten und Revolutionen, die auch Teile von
Gesellschaften zusammengebracht haben, die traditionell nicht furchtbar viel miteinander zu tun gehabt
hatten, zum Beispiel Säkulare und Religiöse, Christen und Muslime. Diese Schönheit der ersten
Revolution hat sich nicht in den späteren Revolten und Revolutionen gespiegelt, die in anderen Ländern
stattgefunden haben oder noch stattfinden. In Jemen, in Syrien, auch in Bahrain sehen wir sehr viel
gewaltsamere, blutigere Reaktionen der Regimes. In Syrien sehen wir, dass das Land in einen
Bürgerkrieg hineinschlittert und dass auch die Protestbewegung zunehmend zu einem militarisierten
Aufstand wird.
Was kann Europa tun – mit seinem reichen Erfahrungsschatz bei Transformationen?
Da wo es gewollt wird, kann Europa seinen Erfahrungsschatz in den Dienst der arabischen
Transformationen stellen. Europa hat einen Werkzeugkoffer, der eine ganze Reihe von Instrumenten
enthält: Etwa Wahlbeobachtungen, Unterstützung beim Aufbau einer unabhängigen Justiz oder Hilfe
bei Gesetzgebungsverfahren für den Aufbau einer echten Marktwirtschaft. Vor allem aber kann es sich
den Transformationsgesellschaften gegenüber offen präsentieren, nicht nur für Güter, sondern auch
für Menschen. Und so ein Stück weit Einfluss darauf nehmen, wie diese Gesellschaften sich gegenüber
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Europa aufstellen werden.
Wie bewerten Sie den Umgang in Europa mit den Ereignissen in der Nachbarregion?
In der Betrachtung dieser Revolten hat die Furcht vor den Risiken den europäischen Diskurs stärker
bestimmt als es nötig gewesen wäre. Jeder Umbruch birgt Risiken und Chancen. Die Risiken sind
kurzfristiger, die Chancen eher langfristiger Natur. Ich hätte mir gewünscht, dass wir ähnlich positiv an
die Umbrüche in der arabischen Welt herangehen wie vor 20 Jahren bei den Umbrüchen in Ost- und
Mitteleuropa. Trotz aller Probleme, trotz der Abstürze wie in Syrien: Wir sollten uns ein Stück weit
darüber freuen, dass aus der arabischen Welt, also gerade da, wo wir es wirklich nicht erwartet haben,
Teile der Gesellschaften ganz aktiv „unsere“ Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde
einfordern und teilen.
Herr Perthes, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Alexander Matschke
Das Gespräch wurde am 23. Januar 2012 auf der Konferenz Bensberger Gespräche 2012 in Bergisch
Gladbach/Bensberg geführt.
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Stimmen aus der Region
14.3.2012
In der arabischen Welt hat die "Straßenpolitik" eine lange Geschichte: Volksbewegungen haben sich
erhoben, um sich kolonialer Herrschaft zu widersetzen wie in Syrien, dem Irak, Jordanien und dem
Libanon in den späten 1950er Jahren. Die "arabische Straße" vermittelt die Stimmung der
Gemeinschaft und die abweichenden Meinungen, die von unterschiedlichen Gruppen zum Ausdruck
gebracht werden. Gruppen, die nur wenige oder keine wirksamen institutionellen Kanäle haben, um
ihren Unmut zu äußern, die aber momentan tief greifende Änderungen in der Politik der Region in die
Wege leiten.
Die Autoren aus der Region erklären diesen Prozess, sie beschäftigen sich mit der Rolle der Armee
und des Westens und fordern hier Veränderungen. Denn für eine Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit
müssen grundlegende Prinzipien wie politischer Pluralismus sowie Menschen- und Frauenrechte
umgesetzt werden. Und sie müssen über die geschäftlichen Interessen gestellt werden.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Revolutionen gegen Demokratie oder Revolutionen
für Demokratie?
Von Hussein Yaakoub
21.3.2012
ist ein libanesischer Autor und Forscher. Er schreibt regelmäßig für lokale und arabische Zeitungen und Magazine, einschließlich
Al-Nahar, Al-Hayat, und der Webseite Al-Awan, und betreibt Forschungen für Menschenrechtsorganisationen. Zu seinen
Veröffentlichungen gehören "On Modernity, Urbanity & Urban Dwellers" in einem Sammelband (2009) und das Buch "The Illusion
of Civil Peace: The Distorted Border between Past and Present" (2012
In den vergangenen sechs Jahrzehnten kam es zum Sturz von Monarchien und der Gründung
unabhängiger Staaten in der arabischen Welt. Dennoch hat es das politische Denken der Araber
in dieser Zeit nicht geschafft, eine wirklich demokratische Renaissance zu entwickeln und zu
fördern, glaubt Hussein Yaakoub. Warum?
Anti-Regierungs-Proteste in Bahrain am Freitag, 25.11.2011. (© picture-alliance/AP)
Die Revolutionen, die durch Tunesien, Ägypten und Libyen gefegt sind und die wir gegenwärtig noch
in Syrien, Bahrain und Jemen beobachten, haben jedermann überrascht: die herrschenden Parteien,
die Oppositionsgruppen und Regierungen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene. Diese
Revolutionen waren sogar für die Revolutionäre selbst eine Überraschung, auch wenn sie diejenigen
waren, die sie durch die Forderung nach friedlichen Protesten sowie nach politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Reformen mobilisiert haben. Als die Zahl der Protestierenden stieg und das
Zusammenspiel zwischen verschieden Teilen der arabischen Bevölkerung zunahm, wurde darüber
hinaus der Forderungsrahmen bis zum dem Punkt ausgedehnt, dass bis jetzt drei Führer von der
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Macht verdrängt wurden und eine sofortige Machtabgabe dieser Führer verlangt wurde - jetzt, und
nicht erst morgen.
Der Fall dieser Persönlichkeiten war nicht nur das Ergebnis des Protests eines jungen Tunesiers, der
sich nach seiner erniedrigenden Behandlung in einem Verwaltungszentrum lebendig verbrannte, und
er war nicht nur das Ergebnis der Kommunikation zwischen jungen Frauen und Männern über Facebook
und Twitter. Vielmehr sind sie das Resultat der Tatsache, dass die Völker dieser Länder - jedes innerhalb
des Kontexts seiner eigenen Umstände und Bedingungen - ein tief greifendes Gefühl der
Ungerechtigkeit und Unterdrückung gehegt haben, das von ihren Diktatoren über lange Zeiten hinweg
ausgelöst wurde. Und sie litten unter größtem Elend, das durch die schlechte Regierungsführung und
die ungezügelte Korruption der herrschenden Klassen hervorgerufen wurde.
Diese Volksrevolutionen sind in der arabischen Welt bisher unbekannte Bewegungen für Demokratie
- in den Revolutionen, die in den 1950ern und 1960ern über die Region hinweg fegten und nicht nach
der politischen Denkweise der Araber, gemäß der das Problem der Demokratie aus verschiedenen
Gründen aus dem politisch "revolutionären" Wörterbuch gestrichen wurde. Doch die Frage der
Demokratie wurde erneut aufgeworfen. In der Tat hat es das politische Denken der Araber in den
vergangenen sechs Jahrzehnten nicht geschafft, eine wirklich demokratische Renaissance zu
entwickeln und zu fördern. Daher ist es erforderlich, sich eingehend mit den Ursachen für das Fehlen
der Demokratie im politischen Denken der Araber während dieses Zeitraums zu befassen, in dem es
zum Sturz von Monarchien kam und unabhängige Staaten in der arabischen Region gegründet wurden.
Ursprung und Zeitgenossenschaft
Trotz der Tiefgründigkeit der arabischen und islamischen Zivilisationen leben die Araber heute in einem
Zustand intellektueller Verdrängung und kultureller Unausgewogenheit und Abhängigkeit. Die
arabische Lage heutzutage ist das problematische Ergebnis einer Verzahnung zwischen
Vergangenheit und Gegenwart; ein Ergebnis, das durch den Widerspruch von "Ursprung und
Zeitgenossenschaft" zusammengefasst werden kann. Dieser Widerspruch rührt unter anderem von
der Auffassung her, dass die arabische Vergangenheit besser ist als ihre Gegenwart und dass die
arabische Vergangenheit aus religiösen Grundlagen und unter Bedingungen entstanden ist, die in der
heutigen Welt schwer nachzubilden sind. Die Araber bleiben hin und her gerissen zwischen
verschiedenen Polaritäten: der Vergangenheit und der Gegenwart; der religiösen und der weltlichen;
der geistlichen und der säkularen; und den Idealen vom individuellen Nationalismus und panarabischen
Nationalismus.[1] Darüber hinaus spiegeln sich diese Polaritäten heute in Spannungen zwischen
Stammessystemen, Sektentum und Nationalismus wider.
Öffnet man das Buch arabischer intellektueller Politik, findet man drei Kapitel, von denen jedes in drei
kleinere Abschnitte unterteilt ist. Ein Kapitel dieses "Buchs" ist islamisch, oder kann dem Islam
zugeschrieben werden: das Kalifat, der Imam, das Prinzip Göttlicher Führung[2], und der Brauch von
al-Salaf al-Saleh[3]. Ohne Einigkeit unter den und innerhalb der islamischen Gruppen, Bewegungen
und Regierungen erörtert es die Grundlagen, Systeme oder Regelungen für islamische Herrschaft und
Führung. Das zweite Kapitel ist an den Westen angelehnt und liefert eine verdrehte Mischung aus
liberalem, kapitalistischem, nationalistischem, feudalistischem und demokratischem Denken. Das
dritte Kapitel bedient sich schließlich eines sozialistischen Vorbilds: Sozialismus, Kommunismus,
Revolution, Anarchie, Nihilismus und Atheismus. In unserem zeitgenössischen politischen Denken
drückt jedoch nichts unsere Identität als arabische Völker aus. Es spiegelt eher unsere Unfähigkeit
wider Neuerungen einzuführen und etwas Eigenes für uns zu schaffen. Dieser Zustand hat einen Punkt
erreicht, an dem wir eine Gesellschaft ohne Identität geworden sind.
Eine Krise der Rechtmäßigkeit entstand in den arabischen Staaten der Ära nach der Unabhängigkeit,
da sie nicht das Produkt einer natürlichen Entwicklung ihrer Gesellschaften und Gemeinschaften waren.
Sie waren weder Nationalstaaten, weder die Erben eines Kalifaten, weder aus einem
Gesellschaftsvertrag entsprungene Staaten, noch wurden sie vom vorherrschenden marxistischen
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Denken geleitet. Stattdessen wurden sie aus kolonialistischen Betrachtungen und Interessen
geschnitzt. Infolgedessen wurde die gesamte arabische Region zu einem Brutplatz für Ideen und
Theorien, nach denen Gesellschaften und Gemeinden gestaltet wurden, ohne vorausgehende
Erfahrung in Selbstverwaltung oder Selbstbestimmung zu haben. In vielen dieser Staaten entstanden
Befreiungsbewegungen gegen den Kolonialismus und gegen die den Kolonialisten gegenüber loyalen
heimischen Klassen, die von einem revolutionärem Eifer angetrieben wurden. Dieser Eifer war das
Resultat einer Mischung aus nationalistischen, sozialistischen und religiösen Ideen.
Der Aufstieg der Nasser-Periode[4] stand zum Beispiel in Zusammenhang mit der Muslimbruderschaft.
Die Verbindungen zur Muslimbruderschaft wurden jedoch dann zugunsten von nationalistischem
Denken abgebrochen. Später wurde das nationalistische Denken in sozialistisches Denken
umgewandelt bzw. damit verschmolzen. Die Regime und Bewegungen, die in Ländern wie Syrien,
Irak, Jemen und dem Sudan aufkamen, waren auch das Ergebnis einer Mischung aus nationalistischen
und sozialistischen Ideologien, die Religion auf die eine oder andere Weise für sich nutzten. Die
Monarchien von Marokko und Jordanien erlebten den Aufstieg politischer Bewegungen, die durch
Nationalismus, Sozialismus und den Islam motiviert waren.
Vertagte Demokratie
Die modernen arabischen Politikbewegungen in den 1950ern und 1960ern wurden von
Befreiungsideologien und Vorstellungen von Freiheit und Einigkeit dominiert. Die Vorstellung einer
Revolution und der Aufstieg einer Republik fesselte die Gedanken der Massen. Das Ziel die Monarchien
in der Region zu stürzen überschattete alle anderen Anliegen, da die arabischen Revolutionäre die
Monarchie als größtes Hindernis auf dem Weg zu Befreiung und Fortschritt betrachteten. Sie
erkundeten nicht die Möglichkeit, dass Monarchien eigentlich für Fortschritte bei der Entwicklung und
den Menschenrechten sorgen konnten - trotz der Tatsache, dass diese Regimes bereits mit
ausgeprägten konstitutionellen und parlamentarischen Zuständen vertraut waren und diese erlebt
hatten.
Die Revolutionäre setzten folglich Prioritäten und richteten ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die
Revolution und das republikanische System, in der Annahme, dass die arabische "Nahda
" (Wiedergeburt) auf keinem anderen Weg erreicht werden kann. Die Besessenheit mit dem Sturz von
Regimes nahm Überhand und übertraf jegliche Bedenken zur Bildung einer Demokratie. Diese
Ideologie herrschte viele Jahre lang vor, während die arabischen Völker darauf warteten, dass die neu
gegründeten republikanischen und revolutionären Regimes ihre Hoffnungen und Erwartungen wahr
machen würden. Die ehemaligen Revolutionäre weigerten sich jedoch Alternativen zu ihren Regimes
in Betracht zu ziehen und schenkten anderen Wegen zu Fortschritt und Befreiung keine Beachtung,
sondern hielten sich an die durch revolutionäres und sozialistisches Denken vorgeschriebenen Pfade.
Der größte Fehler im arabischen politischen Denken war, dass es Freiheit, Fortschritt und Entwicklung
in Konflikt und in Widerstreit mit Demokratie setzte - mit anderen Worten hieß es entweder Revolution
oder Demokratie. Im günstigsten Fall war Demokratie etwas, das zurückgestellt wurde bis die Regimes
gestürzt und sozio-politische Emanzipation und wirtschaftliche Entwicklung erreicht worden waren.
Tatsächlich löste die Mehrheit der revolutionären arabischen Regimes nach den Revolutionen
umgehend bestehende politische Parteien auf und verhinderte Pluralismus, so dass ihre
Revolutionsführer zu neuen Herrschern wurden. Währenddessen wurden die Menschen auf Gnade
dieser neuen Herrscher in neue Untertanen gewandelt und Revolution und Demokratie wurden zu
zwei feindlichen Polen, anstatt, dass die eine der anderen den Weg bereitet.
Einige arabische Denker waren sich der Gefahren von Revolutionen bewusst, die nichts weiter als
den Namen "Revolution" besaßen. Sie warnten vor neuen totalitären Ideologien, die sich in glänzende,
attraktive Ideologien kleideten. Da sie jedoch aus unterschiedlichen Denkschulen stammten, hatten
sie keinen Erfolg bei der Kristallisation ihrer Ideen zu einem einheitlichen intellektuellen Projekt mit
Einfluss.
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Ein anhaltender Zustand der Revolution
Die vorhergehende Erörterung stellt keinen Versuch dar, die Revolution und die Revolutionäre
herabzustufen. Auch möchte sie nicht die Bürde einer ganzen Periode dem revolutionärem arabischen
Denken auferlegen. Zweifellos haben einige Regimes positive Schritte unternommen, die einen
Fortschritt darstellten. Das Problem bestand darin, dass die politischen Akteure dieser Zeit "Revolution
" als einen anhaltenden, kontinuierlichen Zustand behandelt haben. Sie unterschieden nicht zwischen
der Revolution als Mittel zum Sturz autoritärer und korrupter Regimes und der transformativen Phase,
die auf eine Revolution folgen muss und die Ideen, Methoden und Verfahren erfordert, die nicht
zwingend die gleichen sind, die auch für die Durchführung einer Revolution notwendig sind. Eine
Revolution ist ein außergewöhnlicher Zustand, der den Status Quo ändern soll, mit dem die Menschen
nicht länger zufrieden sind. Revolutionen machen sich die Unzufriedenheit des Volks zunutze, um die
zu stürzen, die als Quelle des Leidens betrachtet werden. Aber Menschen können in einem Zustand
andauernder Revolution weder leben noch Fortschritte machen.
Eine Revolution muss daher zwei Phasen durchlaufen: Zerstörung und Aufbau. Die Periode der
Zerstörung in einer Revolution ist der einfache Teil. Unsere früheren arabischen Revolutionen waren
in dieser Hinsicht erfolgreich, da sie auf einen Militärputsch, die Ermordung eines Königs oder Anführers
beschränkt waren - nach denen die Revolution zu einem Erfolg erklärt wurde. Was wir als Revolutionen
bezeichnen, waren in Wirklichkeit tatsächlich vorwiegend Staatsstreiche oder Militärverschwörungen
und keine Revolutionen, denn manchmal waren sich die Menschen nicht einmal bewusst, dass eine
Revolution stattgefunden hatte und merkten es erst, nachdem das alte Regime gestürzt und umgehend
durch ein neues ersetzt worden war.
Die früheren arabischen Revolutionen waren in ihrer ersten Phase erfolgreich, beim Prozess der
Zerstörung. Oft reichte schon die Besetzung von staatlichem Fernsehen und Radio, oder eine Kugel
im Kopf eines korrupten Anführers - dem rechtsstehenden, reaktionären Agenten des Kolonialismus
und der Quelle des Untergangs der Nation... usw. Dann folgte eine leidenschaftliche Rede, oder das,
was der Revolutionsführer gerne als "erste Erklärung" an die Massen bezeichnet, in der die Revolution
als Erfolg deklariert wird.
Aber was geschieht danach? Viele der arabischen Revolutionsbewegungen servierten lediglich die
alten Regimes ab. Dann thronten sie auf deren Ruinen, sangen die Parolen der Revolution - und
glaubten, dass diese Parolen den Hunger der Leute stillen und sie aus ihrer Not befreien würden. Was
war mit der Wirtschaft, den Schulden, mit Bildung und Technologie? Zerstörung ist ein einfacher
Prozess. Er kann von einem verschleierten Offizier in der Armee ausgeführt werden. Es ist jedoch der
Aufbauprozess, der entscheidend ist, denn dieser erfordert viele Männer und Frauen, eine andere
Mentalität und unterschiedliche Methodiken.
Jahrzehnte lang wurden wir gezwungen mit wahnhaften und anmaßenden Diktatoren zu leben, die
behaupteten, dass nur sie Anspruch auf ihre Stellung haben, bloß weil sie ihr Volk in einer "Revolution
" angeführt haben - so wie der ermordete Muammar Gaddafi, der sein Volk allein aus dem Grund
abschlachtete, weil es mit seinen Protesten auf die Straße ging. Er weigerte sich zurückzutreten, weil
er seiner Ansicht nach formal gesehen nicht der Präsident eines Staates war, sondern der Anführer
einer "ewigen Revolution". Diejenigen, die Anspruch auf die Tugend erhoben haben Anführer einer "
Revolution" gewesen zu sein, haben sich als die demagogischsten Herrscher erwiesen.
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Hindernisse auf dem Weg zur Demokratie im arabischen politischen
Denken
Die oben diskutierte Abwesenheit der Demokratie im arabischen politischen Denken kann auf
Folgendes zurückgeführt werden:
1) Das Fehlen eines arabischen Modells für eine demokratische Staatsführung, das als Quelle der
Inspiration bezeichnet und genutzt werden kann, trotz einiger Versuche eine Gemeinsamkeit zwischen
der Auffassung der islamischen Schura[5] und der Demokratie zu schaffen. Des Weiteren ist das von
der arabisch-islamischen Erbschaft übernommene Bild einer idealen Regierung das eines "gütigen
Diktators" (wörtlich: "der gerechte Tyrann"), trotz der Tatsache, dass bestimmte arabische Länder vor
der Unabhängigkeit konstitutionelle und parlamentarische Zustände erlebt haben.
2) Das Fehlen aufgeklärter demokratischer Denker in Positionen, in denen sie Einfluss auf
Entscheidungsträger ausüben können, die in der Lage sind eine Vision zu entwickeln, die
demokratische Vorstellungen mit den einzigartigen sozio-kulturellem Eigenarten und Bedürfnissen der
arabisch-islamischen Gesellschaften verbindet. Nicht einmal die Ideen der arabischen Nahda
(Renaissance), der Denker zur Wende des 20. Jahrhunderts, wie z.B. Mohammed Abdo, Abd alRahman Kawakibi, Boulos Salameh, Taha Hussein und anderen, wurden ernsthaft umgesetzt,
aufgebaut oder weiterentwickelt. Diese Ideen waren so fruchtbar und reichhaltig, dass sie zu dieser
Zeit den Kern eines kulturellen arabischen demokratischen Projekts hätten bilden können. Stattdessen
trafen sie auf Widerstand eines Spektrums politischer Strömungen wie den Nationalisten, Säkularisten,
religiösen Bewegungen und den Revolutionären.
3) Die Abwesenheit einer demokratischen, intellektuellen Elite, die als Katalysator auftreten und die
Richtung zu einer demokratischen Wandlung in der Gesellschaft vorgeben konnte. Einige Angehörige
der arabischen intellektuellen Elite bewegen sich in den Kreisen der Obrigkeit, während andere ihre
Bahnen mit denen ziehen, die die Gunst der Herrschenden verloren oder sich von ihnen distanziert
haben.
4) Das Fehlen einer demokratischen Kultur. Demokratie ist nicht nur eine Angelegenheit von
Institutionen, sondern sie ist auch eine Kultur. In der arabischen Welt wurden die demokratischen
Institutionen vor dem demokratischen Denken gegründet. Hier finden wir den Gegensatz zwischen
der vorherrschenden Massenkultur - die religiös-fundamentalistisch, militant revolutionär oder
autokratisch und diktatorisch sein kann - auf der einen Seite und einer demokratischen Kultur auf der
anderen Seite.
5) Internationale Polaritäten sind politisch und ideologisch auf solch eine Art und Weise entstanden,
dass viele arabische Akteure dazu übergegangen sind, Demokratie als Eigentum des westlichen
Imperialismus zu betrachten. Daher ist sie in ihren Augen Teil der westlichen imperialen Kultur und sie
nehmen deren Grundsätze und Regelungen und die Forderungen nach ihrer Anwendung als Teil der
Invasion der westlichen Kultur wahr.
6) Es herrschte die weit verbreitete Ansicht, dass Demokratie durchweg eine Erfindung der bürgerlichen
Elite war - und immer noch ist -, die von einer reichen Minderheit stammt und von der Minderheit
Intellektueller mit einer westlichen Bildung. Angesichts der unangenehmen Beziehung zwischen den
arabischen Volksmassen und der arabischen Obrigkeit waren die Massen daher zurückhaltend und
haben von Anfang an vorsichtig auf den Gedanken einer Demokratie und die Befürworter der
Demokratie reagiert.
7) Alles wurde mit der palästinensischen Sache und dem Zionismus in Verbindung gebracht, so dass
autoritäre und korrupte Regimes in der Lage waren zu behaupten, dass nicht Armut, Analphabetismus,
Menschenrechtsverletzungen und der Mangel an politischer Mitwirkung die unmittelbaren Probleme
sind, sondern eher die zionistische Bedrohung. Dementsprechend hat dieser Vorwand alle
Anstrengungen erfordert, um geeint zu sein und sich auf die "Einheit" sowie die Befreiung Palästinas
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zu konzentrieren. Im Namen Palästinas wurden in der Tat Rechte und Freiheiten an sich gerissen,
Gefängnisse haben sich stark vermehrt, Männer und Frauen wurden verfolgt, die Massen wurden
unwissender gemacht und die Armen wurden ärmer und die Reichen wurden reicher - das Resultat
sieht so aus, dass weder Palästina befreit noch Demokratie erreicht wurde.
8) Die Identitätsfrage hat sich zu einer Konfliktangelegenheit entwickelt, vor allem, wenn es um
nationalistische, pan-nationalistische, religiöse und universalistische Identitäten geht. Darüber hinaus
wurden in modernen arabischen Staaten keine Anstrengungen unternommen, um diese Identitäten
durch die Ermittlung von Prioritäten unter einen Hut zu bringen, damit von einem Identitätskreis zum
nächsten ein Übergang ohne die Entstehung von Spannungen und Konflikten geschaffen werden kann.
9) Revolutionäre und pan-nationalistische arabische Regimes haben eigentlich das genaue Gegenteil
ihrer Ideologie und Rhetorik erzeugt. Wenn diese Regimes von einer arabischen Einheit und der
arabischen Nation sprachen, bestanden die Logik und die Gegebenheiten dieser Regimes nicht nur
darin, einen erbitterten, staatszentrierten Nationalismus durchzusetzen, sondern auch
Stammesdenken und sogar Sektentum. Die Konzepte der Nation und des Nationalismus wurden in
eine Barriere umgewandelt, die jegliche unionistischen oder pan-nationalistischen Ausrichtungen
eingrenzte.
10) Als Reaktion auf die eingebildete Bedrohung, die von den revolutionären Regimes vorgegeben
wurde, haben sich traditionelle Regimes in sich selbst zurückgezogen und eine für sie einzigartige
Identität geschaffen, die Religion, Tradition und historische Vermächtnisse nutzt und ausnutzt. Die
arabischen Regimes daher in solche gespalten, die eine revolutionäre Legitimität verkünden (zum
Beispiel Syrien) und solche, die auf eine religiöse Legitimität hindeuten (wie Saudi-Arabien).
Unterdessen fehlen ihnen in Wirklichkeit all diese vermeintlichen Rechtmäßigkeiten, solange ihre
Völker nicht frei sind in ihrer Entscheidung, wer sie regieren soll.
Fazit
Trotz der langen Jahre, die auf die Unabhängigkeit folgten, hatte das arabische politische Denken
keinen Erfolg bei der Entwicklung einer Schule demokratischen Denkens, die als "arabisch" bezeichnet
werden kann und spezifische und definierte Züge hat. Später trat die Globalisierung auf die Bühne,
um neben den Herausforderungen der Demokratisierung und Weiterentwicklung, die die arabischen
Staaten noch nicht erfolgreich angehen konnten, noch eine weitere Herausforderung aufzuwerfen.
Im Kontext der gegenwärtigen Revolutionen, bei denen die arabischen Massen ihre Forderungen nach
Demokratie und Freiheit zum Ausdruck gebracht haben, entstehen zahlreiche Fragen bezüglich der
Zukunft des arabischen politischen Denkens, darunter die, ob es in der Lage sein wird erfolgreich ein
demokratisches Projekt zu entwickeln, das die Vorherrschaft, Tyrannei und leeren Behauptungen und
Forderungen vermeidet, die jahrzehntelang mit arabischen Regimes einhergingen. Das ist besonders
wichtig, weil diese Revolutionen nicht durch Staatsstreiche oder das Militär zustande gekommen sind,
sondern von unterdrückten arabischen Bevölkerungen in Gang gebracht wurden, die ihre Barriere aus
Angst und Schweigen durchbrechen und sagen konnten: "Wir wollen nur Demokratie!"
Aber wird dieses Erlebnis Erfolg haben? Wir stehen vor einer Übergangsphase in der wir - wenn die
revoltierenden Massen Erfolg bei der Verbesserung der Regierungssysteme haben - Zeugen einer
Renaissance werden könnten, einer Wiedergeburt und Erneuerung des arabischen politischen
Denkens gestützt auf demokratische Grundsätze.
Der Text ist eine überarbeitete Version der englischen Originalausgabe, erschienen in Perspectives
Middle East, Nr. 2, Mai 2011: "People's Power - The Arab World in Revolt" der Heinrich Böll Stiftung.
Fußnoten
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"Regionaler Nationalismus" oder "individueller Nationalismus" ("qutriyeh") stehen für die Richtung
politischen Denkens, die als Teil des panarabischen Nationalismus entstand, aber ihre Vision
arabischer Einheit auf das Konzept von "qutur" oder "qutriyeh" gründet. Laut Lisan Al-Arab, einer
der angesehensten Quellen der arabischen Sprache, ist "qutur" eine "Seite" oder ein "Gebiet".
Die Verfechter dieser politischen Denkrichtung bestätigten, dass die Regionen der arabischen
Welt sich in ihren Eigenschaften unterscheiden und propagierten daher eine Regierungsform, die
die arabische Welt in verschiedene "aqtar" (Mehrzahl von "qutur") spalten würde, während unter
diesen "aqtar" eine allgemeine politische arabische Einheit beibehalten werden sollte. Genauer
gesagt förderte diese Strömung panarabischen Nationalismus das Bestreben nach einem
Großsyrien und wurde überwiegend von den syrischen und irakischen Baath-Regierungen
vertreten. Im Gegensatz dazu fordert der traditionelle panarabische Nationalismus (qawmiyeh)
eine vereinte arabische Nation, deren Territorium sich vom Atlantik bis hin zum Arabischen/
Persischen Golf erstreckt.
"Göttliche Führung und Souveränität" ist das im Islam als "al-Hakimiya” bezeichnete Prinzip oder
der Rechtsgrundsatz, den Gott den Menschen vorgetragen hat, d.h. die islamische Scharia oder
das Gesetz. Dieses Prinzip wird von bestimmten grundlegenden islamischen politischen
Denkschulen genutzt, um zeitgemäße Regimes, Verfassungen und (Zivil-)gesetze als
blasphemisch zu verleugnen.
Al-Salaf al-Saleh: Die gerechten (oder frommen) Vorgänger bezieht sich auf die ersten drei
Generationen der Muslime. Diese drei Generationen haben ihren Anfang bei den Gefährten
(Sahaba) des Propheten Mohammed, ihren umittelbaren Nachfolgern (Tabi’in) und dann den
Nachfolgern der Tabi’in. Diese wurden wie folgt vom Propheten Mohammed gepriesen: "Die besten
Menschen sind meine Generation, dann diejenigen, die nach ihnen kommen und dann diejenigen,
die nach ihnen kommen" [Bukhari und al-Muslim].
Gamal Abdel Nasser war von 1956 bis zu seinem Tod 1970 der zweite Präsident Ägyptens.
Zusammen mit Muhammad Nagib, dem ersten Präsidenten, führte er die ägyptische Revolution
1952 an, die die Monarchie von Ägypten und Sudan stürzte und ein neues Zeitalter der
Modernisierung und des Sozialismus in Ägypten einläutete, zusammen mit einem Vorrücken des
panarabischen Nationalismus, zu dem auch ein kurzlebiges Bündnis mit Syrien gehörte.
Das Wort shura stellt den Titel des 42. Kapitels des Korans dar, in dem Gläubige dazu ermahnt
werden ihre Angelegenheiten "im gemeinsamen Gespräch" zu regeln. In vielen muslimischen
Staaten bezeichnet shura verschiedenartig einen Staatsrat, oder Berater des Herrschers, oder
ein Parlament (in modernen Zeiten) und - in bestimmten arabischen Staaten - ein Gericht mit
Zuständigkeit für Klagen von Bürgern und Beamten gegen die Regierung.
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Die arabische Straße in postislamistischen Zeiten
Von Asef Bayat
15.3.2012
ist Professor für Soziologie und Nahoststudien an der University of Illinois. Davor war er der Leiter des International Institute for the
Study of Islam in the Modern World (ISIM) und bekleidete die Professur für Gesellschaft und Kultur des modernen Nahen Ostens
an der Universität Leiden. Zu seinen neuesten Büchern gehören "Making Islam Democratic: Social Movements and the Post-Islamist
Turn" (2007), (zusammen mit Linda Herrera), "Being Young and Muslim: Cultural Politics in the Global South and North" (2010), und
"Life as Politics: How Ordinary People Change the Middle East" (2010)
Revolutionen geschehen, wo wir sie nicht erwarten, meint Asef Bayat. Und wenn kollektive
Unzufriedenheit zu gemeinsamem Handeln führe, entwickle sich oft eine unvorhersehbare
Dynamik.
Der Volksaufstand in Tunesien und dann auch in anderen arabischen Ländern kam für viele
überraschend - westliche Beobachter, die arabische Oberschicht und sogar diejenigen, die diesen
bemerkenswerten Vorfall ausgelöst hatten. Die Überraschung scheint gerechtfertigt zu sein. Wie hätte
man sich auch vorstellen können, dass eine Kampagne gewöhnlicher Araber in so kurzer Zeit Diktatoren
stürzen würde, die seit Jahrzehnten über autoritäre Staaten geherrscht haben? Es handelt sich hier
um eine Region, in der die Lebenserwartung von 'Präsidentschaften' einzig der 'ewigen' Herrschaft
ihrer Scheiche, Könige und Ayatollahs entspricht, die sich auf Öl und politische Rente verlassen
(westlichen Schutz), um ihre Macht zu halten und die Völker zu unterjochen. Aber die Verwunderung
über die arabische Revolution hat noch einen anderen Ursprung - das gemeinsame Misstrauen unter
der arabischen Oberschicht und deren Verbündeten von außerhalb gegenüber der so genannten
"arabischen Straße" - diese wird aufgrund ihrer "gefährlichen Irrationalität" und "bedauernswerten
Teilnahmslosigkeit" zugleich gefürchtet und bemitleidet.
Aber die Geschichte liefert uns ein komplexeres Bild. Weder "irrational" und zu Unruhen neigend, noch
"teilnahmslos" und "erschöpft", vermittelt die arabische Straße die Stimmung der Gemeinschaft und
die abweichenden Meinungen, die von unterschiedlichen Anhängerschaften zum Ausdruck gebracht
werden, die nur wenige oder keine wirksamen institutionellen Kanäle zur Äußerung ihrer
Unzufriedenheit haben. Das Ergebnis ist eine Straßenpolitik, durch die Araber trotz allem Wege
gefunden haben, um ihre Ansichten und Interessen auszudrücken. In den letzten Jahren hat sich die
arabische Straße gewandelt. Mit neuen Mitwirkenden und Kommunikationsmitteln ist sie nun bereit,
einige tief greifende Änderungen in der Politik der Region in die Wege zu leiten.
Die arabische Welt hat eine lange Geschichte dieser "Straßenpolitik" vorzuweisen. Es haben sich
Volksbewegungen erhoben, um sich kolonialer Herrschaft zu widersetzen, wie in Syrien, dem Irak,
Jordanien und dem Libanon in den späten 1950ern, nachdem Nasser den Suezkanal verstaatlicht
hatte. Der erfolglose dreiseitige Angriff von Großbritannien, Frankreich und Israel im Oktober 1956 zur
Rückgewinnung der Kontrolle über den Kanal verursachte eine Flut von Volksprotesten in arabischen
Ländern zugunsten von Ägypten. Die unruhigen Jahre im Anschluss an 1956 stellten wahrscheinlich
die letzte große panarabische Solidaritätsbewegung bis zur pro-palästinensischen Welle von 2002
dar. Aber soziale Proteste von Arbeitern, Handwerkern, Frauen und Studenten für inländische soziale
Entwicklung, Bürgerrechte und politische Mitwirkung erklangen sogar weiterhin, als der arabische
Staat repressiver wurde. In den 1980ern kam es zu Wellen wilder Streiks und zu Straßenprotesten in
Marokko, dem Sudan, dem Libanon, Tunesien, Jordanien und Ägypten gegen die Senkung der
Konsumgütersubventionen, Preiserhöhungen, Lohnkürzungen und Kündigungen - Entwicklungen, die
größtenteils mit den vom Internationalen Währungsfonds empfohlenen Strukturanpassungsprogrammen
verbunden waren. In der Zwischenzeit spielte die anschwellende Studierendenschaft weiterhin
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Schlüsselrollen bei den Volksbewegungen, entweder unter den weltlich-nationalistischen und linken
Kräften, oder unlängst auch unter dem Banner des Islamismus.
Die erste palästinensische Intifada (1987 - 1993), eine der grundlegendsten Basisbewegungen im
Nahen Osten während des vergangenen Jahrhunderts, vereinte die Forderung nach
Selbstbestimmung mit demokratischer Regierung und der Rückforderung der individuellen und
nationalen Würde. An dem Aufstand, der durch einen von einem israelischen LKW-Fahrer verursachten
tödlichen Unfall ausgelöst wurde und vor dem Hintergrund einer jahrelangen Besetzung stattfand,
beteiligte sich fast die gesamte palästinensische Bevölkerung, insbesondere Frauen und Kinder, die
auf gewaltfreie Methoden für den Widerstand gegen die Besetzung zurückgriffen, wie zum Beispiel
zivilen Ungehorsam, Streiks, Demonstrationen, Steuereinbehalt und Produktboykotte. Die Bewegung
wurde hauptsächlich von den örtlichen (verglichen mit verbannten) Führern geleitet und baute zu ihrer
Unterstützung auf Volkskomitees (z.B. für Frauen, Freiwilligenarbeit und medizinische Hilfe), während
sie als noch unausgereifte Institution für einen zukünftig unabhängigen palästinensischen Staat diente.
Diese Intifada bleibt ein Vorbild und eine Inspiration für heutige Protestierende.
In den späten 1990ern und 2000ern entstand die nächste große Welle arabischer Straßenpolitik, die
noch heute andauert. Die arabische Straßenpolitik nahm als Reaktion auf Israels Übergriffe auf die
palästinensische Westbank und Gaza und auf die Anglo-US-Invasion in Afghanistan und den Irak eine
ausgeprägte panarabische Richtung an. Für kurze Zeit schienen die arabischen Staaten ihre feste
Kontrolle zu verlieren und in der Öffentlichkeit wurden immer mehr Oppositionsgruppen laut, sogar
unter den "verwestlichten" und "apolitischen" Teilen der Bevölkerung. In Dutzenden arabischer Städte
marschierten Millionen auf, um gegen das zu demonstrieren, was sie als amerikanisch-israelische
Beherrschung der Region betrachteten. Diese gegen ausländische Kräfte gerichteten Kämpfe
genossen manchmal die stillschweigende Zustimmung der arabischen Staaten, denn sie lenkten den
Dissens im Volk gegen ihre eigene repressive Herrschaft in andere Bahnen. Eine ganze Weile lang
schafften es die arabischen Staaten, die politische Klasse durch Verbreitung eines gemeinsamen
Diskurses auf Grundlage von Nativismus, Religiosität und Anti-Zionismus zu neutralisieren, während
sie gleichzeitig jeden wirksamen Widerstand gegen ihre eigenen Regierungen einschränkten.
Allerdings scheint die Lage sich zu wandeln. Es gibt nun Anzeichen für eine neue arabische Straße
mit postnationalistischen, postislamistischen Ansichten und neuen Mobilisierungsformen. Die
Demokratiebewegung 2004 in Ägypten - mit der Kifaja ["Es ist genug"; Anm. d. Red.] im Mittelpunkt mobilisierte tausende Berufstätige der Mittelklasse, Studenten, Lehrer, Richter, und Journalisten, die
ein Ende des Notstandsgesetzes, die Freilassung politischer Gefangener, das Ende von Folter und
ein Ende der Präsidentschaft von Hosni Mubarak forderten. Diese Bewegung baute direkt auf den
Aktivitäten des Volkskomitees für Solidarität der palästinensischen Intifada auf, entschied sich für eine
Zusammenarbeit mit "Volkskräften" anstatt mit traditionellen Oppositionsparteien, brachte die
Kampagne auf die Straßen anstatt sie von ihrem Hauptsitz aus zu übermitteln und konzentrierte sich
auf inländische Angelegenheiten anstatt einfach auf internationale Forderungen.
Erst kürzlich führte die "Zedernrevolution", eine Basisbewegung von ungefähr 1,5 Millionen Libanesen
aus allen gesellschaftlichen Schichten, die sinnvolle Souveränität, Demokratie und ein Ende
ausländischer Einmischung forderten, 2005 zum Rückzug syrischer Streitkräfte aus dem Libanon. Die
grüne Welle im Iran, eine breite Demokratiebewegung, die 2009 im Anschluss an die betrügerischen
Präsidentschaftswahlen aufkam, hat als Auftakt für den heutigen arabischen Frühling gedient. Diese
haben sich alle insofern von der traditionellen arabischen Politik gelöst, dass sie einen neuen
postislamistischen und postideologischen Kampf darstellen, der die Anliegen nach nationaler Würde
mit sozialer Gerechtigkeit und Demokratie vereint. Diese Bewegungen haben pluralistische
Wählerschaften, verfolgen neue Mobilisierungsmethoden (wie z.B. Boykottkampagnen, Protestkunst
und Cyber-Mobilisierung) und sind der traditionellen Parteipolitik überdrüssig.
Warum dieser Wandel? Zweifellos gibt es da den sich seit langer Zeit bildenden Jugendüberschuss
und die Verbreitung neuer Informationstechnologie (Internet, E-Mail, Facebook, YouTube, Twitter und
bpb.de
Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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vor allem Satellitenfernsehen wie Al-Jazeera). Frustrierte Jugendliche gehen nun schnell dazu über,
diese neuen Ressourcen auszunutzen, um sich selbst Geltung zu verschaffen und andere zu
mobilisieren. Ägyptische Jugendliche nutzten zum Beispiel Facebook, um ungefähr 70.000 gebildete
Jugendliche zu mobilisieren, die Redefreiheit und wirtschaftlichen Wohlstand forderten und gegen
Korruption protestierten. Aktivisten organisierten erfolgreich Straßenproteste, Kundgebungen und
starteten noch eindrucksvoller einen Generalstreik am 6. April 2008 zugunsten der streikenden
Textilarbeiter. Die Massendemonstration in Ägypten am 25. Januar 2010 und die in anderen arabischen
Ländern wurden vorwiegend von interneterfahrenen Jugendlichen über Facebook und Twitter
organisiert, die dann Protestbotschaften an andere Gruppen und die Straße weitergegeben haben.
Die Methoden und Technologien der Mobilisierung spielten insbesondere beim tunesischen Aufstand
eine entscheidende Rolle.
Aber hier geschieht mehr als nur die Nutzung von Informationstechnologie. Die soziale Struktur
innerhalb der Region hat sich rasant verändert. Es gibt eine wahre Explosion an Bildungseinrichtungen
für die Massen, wodurch mehr Alphabetisierung und Bildung zustande kommen und die Schicht der
gebildeten Bevölkerung zunimmt. Gleichzeitig werden diese Gesellschaften immer schneller
städtischer. Es leben weit mehr Menschen in den Städten als in den ländlichen Gebieten (gerade
unterhalb von Mittel- und Osteuropa). Schleichend sickert die Urbanität in die traditionell ländlichen
Gesellschaften - es gibt moderne Arbeitsteilung, moderne Schulen, erweiterte Dienstleistungen,
Elektrifizierung, und vor allem Kommunikationssysteme (Telefonleitungen, Autos, Straßen und
Minibusse), die eine Raum-Zeit-Verdichtung zwischen den "ländlichen" und städtischen Welten
erzeugen. Die Grenze zwischen "städtisch" und "ländlich" verschwimmt immer mehr und ein großer
Teil der "ländlichen" Bevölkerung ist im herkömmlichen Sinne nicht länger ländlich.
Doch eine entscheidende Veränderung ist das Aufkommen der "verarmten Mittelklasse" (mit
bedeutenden politischen Auswirkungen) auf Kosten des Rückgangs der traditionelleren Klassen und
ihrer Bewegungen - in besonderem Maße Bauernorganisationen, genossenschaftliche Bewegungen
und Gewerkschaften. Da Bauern vom Land in die Stadt gezogen sind oder ihr Land verloren haben
und zu städtischen Tagelöhnern wurden, ist die soziale Basis der bäuerlichen und genossenschaftlichen
Bewegungen zerbröckelt. Die Schwächung des Wirtschaftspopulismus, die in engem Zusammenhang
zur strukturellen Anpassung steht, hat zur Abnahme der Beschäftigungen im öffentlichen Sektor geführt,
der den Kern des Gewerkschaftswesens gebildet hat. Durch Reformen, Stellenabbau, Privatisierung
und Umsiedlungen hat die strukturelle Anpassung den gewerkschaftlich organisierten öffentlichen
Sektor untergraben, während neue Privatunternehmen in Verbindung mit internationalem Kapital
weitestgehend gewerkschaftsfrei bleiben. Obwohl die Staatsbürokratie gewichtig bleibt, sind ihre
unterbezahlten Angestellten unorganisiert und ein Großteil von ihnen kann nur durch die Annahme
eines zweiten oder dritten Jobs im informellen Sektor überleben. Derzeit ist die Mehrheit der arabischen
Arbeitnehmerschaft selbstständig. Viele Lohnarbeiter sind in kleinen Unternehmen beschäftigt, in
denen patriarchalische Verhältnisse vorherrschen. Durchschnittlich sind zwischen einem Drittel und
der Hälfte der städtischen Arbeitnehmerschaft in dem ungeregelten, unorganisierten informellen Sektor
tätig. Aufgrund des Mangels an institutionellen Kanälen für ihre Forderungen werden die Straßen zu
Schauplätzen für den Ausdruck ihrer Unzufriedenheit.
Und all dies geschieht vor dem Hintergrund wachsender Bildungseinrichtungen, insbesondere
Universitäten, die jährlich Hunderttausende Absolventen hervorbringen. Sie machen ihren Abschluss
mit neuem Ansehen, neuen Informationen und Erwartungen. Viele von ihnen sind Kinder bequemer
Eltern oder traditioneller Landbewohner oder städtischer Armer. Aber diese neue Generation
unterscheidet sich von ihren Eltern in der Perspektive, den Erfahrungen, der sozialen Stellung und
den Erwartungen. Im Gegensatz zur Ära der postkolonialen Sozialisten und staatlichen
Modernisierungen, die Hochschulabsolventen als Gründer einer neuen Nation feierte, kann der aktuelle
neoliberale Wandel den meisten von ihnen keinen wirtschaftlichen Status bieten, der zu ihren
gehobenen Ansprüchen und globalen Träumen passt. Sie stellen die paradoxe Klasse der
"mittelständischen Armen" mit höherer Bildung, selbst geschaffener Stellung, offeneren Weltansichten
und globalen Träumen dar, die trotzdem aufgrund von Arbeitslosigkeit und Armut dazu gezwungen
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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sind an den Rändern der neoliberalen Wirtschaft als gelegentliche, schlecht bezahlte, statusniedrige
und gering qualifizierte Arbeiter (als Straßenverkäufer, Verkäufer, Boss Boys [Küchenhilfen] oder
Taxifahrer) zu leben und in den überfüllten Elendsvierteln und informellen Siedlungen der arabischen
Städte zu wohnen. In ihrer wirtschaftlichen Armut fantasieren sie von einer Stellung in der Wirtschaft,
die ihre Erwartungen fordern - Arbeit in einem IT-Unternehmen, sichere Arbeitsplätze,
Verbrauchsgewohnheiten der Mittelklasse und vielleicht eine Auswanderung in den Westen.
Die "mittelständischen Armen" sind nun das neue Proletariat des Nahen Ostens, die sich sehr von
ihrem früheren Pendant unterscheiden - in ihrer Universitätsbildung, Weltkenntnis, den Erwartungen,
die andere von ihnen haben, und dem starken Bewusstsein ihrer eigenen Benachteiligung. Die Politik,
die diese Klasse in den 1980ern und 1990ern verfolgte, wurde im Islamismus als beeindruckendste
Opposition gegen die weltlichen undemokratischen Regierungen in der Region dargestellt. Doch der
Islamismus selbst sah sich in den letzten Jahren einer Krise gegenüber, nicht zuletzt weil es ihm
ernsthaft an Demokratie mangelt. Mit dem Aufkommen postislamistischer Zustände im muslimischen
Nahen Osten scheinen die "mittelständischen Armen" eine andere, postislamistische Bahn zu
verfolgen.
Der tunesische Aufstand löste zweifellos demokratische Revolutionen in der arabischen Welt aus. Die
Ereignisse in Tunesien verursachten anfangs Massenjubel unter den Menschen und eine tief greifende
Besorgnis unter den Machteliten der Region. Dann brachen Massenproteste und Aufstände in Ägypten,
Algerien, Jordanien, Libyen, Bahrain und Jemen aus, während die Führer in der Zwickmühle saßen
und nicht wussten, wie sie reagieren sollten. In Ägypten, Libyen und Jemen haben Revolutionen bereits
Autokratien gestürzt, während die Proteste in Syrien und Bahrain noch anhalten. Ob ähnliche Wege
auch in der restlichen Region beschritten werden oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, wie die
amtierenden Regierungen sich verhalten. Die harte Realität ist, dass gerade aufgrund der in einigen
Ländern stattgefundenen demokratischen Revolutionen, diese woanders zumindest auf kurze Sicht
nicht zustande kommen werden. Dieses Paradoxon erinnert an das Alleinsein der bolschewistischen
Revolution in Europa und die islamische Revolution im Nahen Osten. Diese Revolutionen regten zu
ähnlichen Bewegungen auf der ganzen Welt an, aber sie machten ihre herrschenden Staaten auch
wachsamer, ähnliche Auswirkungen in ihren Hinterhöfen (durch Reformen oder Unterdrückung oder
beides) zu verhindern.
Auf lange Sicht betrachtet sind ihre Bemühungen aber vielleicht nicht ausreichend. Die strukturellen
Änderungen (die Bildungsentwicklung, die öffentliche Rolle der Frau, die städtische Ausdehnung, die
neuen Medien- und Informationszugänge, neben weit verbreiteter Ungleichheit und Korruption)
machen diese autoritären Regierungen - ob es nun Saudi Arabien, der Iran, Syrien oder Jordanien ist
- angreifbarer. Wenn Dissens durch mietsubventionierte Wohlfahrtsalmosen kontrolliert wird, entfacht
jeder wirtschaftliche Abschwung und jeder Rückgang der Fürsorge höchstwahrscheinlich öffentliche
Empörung. Außerdem stehen nicht nur Arbeitsplätze und sinkender materieller Wohlstand auf dem
Spiel; es geht genauso um die Würde der Menschen und das Streben nach menschlichen und
demokratischen Rechten. Wie wir in Tunesien eindrucksvoll gesehen haben, hat die Umwandlung
kollektiven Dissenses in gemeinsames Handeln und eine anhaltende Kampagne für Veränderungen
ihre eigene faszinierende und oftmals unvorhersehbare Dynamik. Das erklärt, warum wir in diesem
Teil der Welt immer wieder überrascht werden - Revolutionen geschehen, wo wir sie nicht erwarten;
und sie kommen dort nicht zustande, wo wir sie erwarten würden. Wer hat schließlich vor einem Jahr
den Duft von Jasmin in den Hinterstraßen von Tunesien wahrgenommen?
Die englische Version erschien in:
Perspectives Middle East, Nr. 2, Mai 2011: "People's Power - The Arab World in Revolt" der Heinrich
Böll Stiftung. Eine frühere Version dieses Textes erschien in Foreign Policy, Middle East Channel, 26.
Januar 2011.
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Arabische Führer und westliche Länder
Tausch der Demokratie gegen Geschäftsinteressen
Von Ibrahim Saif
21.3.2012
ist ein jordanischer Wirtschaftswissenschaftler und Generalsekretär des Wirtschafts- und Sozialrats. Zu seinen Fachgebieten
gehören die Volkswirtschaft des Nahen Ostens sowie der internationale Handel und Strukturanpassungsprogramme Er schrieb "The
Oil Boom in the GCC Counties: New Dynamics Old Challenges" (2009), und war Mitverfasser von "Status-Quo Camouflaged:
Economic and Social Transformation in Egypt and Jordan" (2010). Er ist Mitglied des Carnegie Middle East Center, des Economic
Research Forum und des Global Development Network.
Prinzipien wie politischer Pluralismus, Menschen- und Frauenrechte müssen über
geschäftliche Interessen gestellt werden. Denn die Geschäftsinteressen haben viel zu lange
die Beziehungen zwischen dem Westen und den arabischen Herrschern dominiert, sagt Ibrahim
Saif. Ist der Westen bereit, zu lernen?
Der frühere libysche Machthaber Muammar al Gaddafi bei Empfängen mit Tony Blair (oben, v.l., 29.05.07), Silvio
Berlusconi (16.11.09), Nicolas Sarkozy (25.07.07), Hugo Chavez (unten, v.l., 28.09.09), dem österreichischen
Rechtspopulisten Jörg Haider (18.04.04) und mit Gerhard Schröder (14.10.04). (© picture-alliance/AP)
Zu einer Zeit, in der man den Zusammenbruch arabischer Regimes erlebt - angefangen bei Tunesien
und Ägypten, über den Untergang der Führer Ägyptens und Jemens, bis hin zu den sich derzeit in
Syrien entfaltenden Ereignissen, einer beispiellosen Umstrukturierung in Jordanien, die eine Rückkehr
zur konstitutionellen Monarchie fordert, und den Forderungen der Libanesen, das konfessionspolitische
System abzuschaffen, sowie den Rufen der Palästinenser die bestehende politische Spaltung zu
beenden - kommen wichtige Fragen auf. Welchen Standpunkt nimmt der Westen (die Vereinigten
Staaten und Europa) zu diesen Veränderungen ein, wessen Kernforderungen sind unbestreitbar
demokratisch? In welchem Zusammenhang stehen diese Veränderungen mit den Handels- und
Geschäftsbeziehungen und gemeinsamen Interessen von Ländern unter korrupten, autoritären
Regimes und in welchem mit den USA und Europa?
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Bis 2010 konnten arabische Regimes sich guter Beziehungen mit Brüssel und Washington rühmen.
Politische und Menschenrechtsfragen waren auf den gemeinsamen Agenden quasi nicht vorhanden;
bestenfalls wurden sie in Pressemeldungen und Berichten zu den arabischen Ländern erwähnt.
Politischer Pluralismus und erhöhte Beteiligung waren alles andere als Kernpunkte und wurden häufig
in den Hintergrund gedrängt, während wirtschaftliche Interessen und Investitionsmöglichkeiten die
Beziehungen beherrschten und formten.
Beziehungen bis in die jüngste Vergangenheit
Es gibt drei Möglichkeiten für den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Ländern. Die
eindeutigste sind Handels- und Investitionsbeziehungen, die auf den Umfang der Import- und
Exportgeschäfte zwischen den beteiligten Ländern hinauslaufen, und die im Wesentlichen den
Dienstleistungssektor umfassen: Finanztransaktionen, Tourismus, Versicherungen, Transport und
weitere. Bei den meisten Ländern am Mittelmeerbecken macht der Dienstleistungssektor den größten
Anteil des Bruttoinlandsprodukts aus.
Zur zweiten Möglichkeit gehören Direktinvestitionen: Im Zeitraum von 2002 bis 2008 bis hin zum
Ausbruch des arabischen Frühlings kam es zu einem starken Anstieg bei der Größe ausländischer
Direktinvestitionen, die in arabische Länder flossen - wobei Tunesien und Ägypten die Liste der Länder
anführen, die das meiste Auslandskapital erhalten haben, ob nun aus ölreichen arabischen Ländern
oder von westlichen Investoren. Diese Direktinvestitionen tragen zur Entwicklung gemeinsamer
Interessen zwischen den betroffenen Parteien bei.
Die dritte Möglichkeit beinhaltet Beschäftigungen und deren Einschränkungen, hauptsächlich aufgrund
von Europas Anliegen den Migrationsfluss über seine Grenzen einzudämmen. Diese Herausforderung
hat einen Großteil von Europas Wirtschafts- und Außenpolitik geprägt. Es war daher während der
libyschen Revolution nicht überraschend zu beobachten, dass Muammar al-Gaddafi Europa mit
beispiellosen Immigrationswellen drohte, um sein Regime an der Macht zu halten. Ob dies nun
realistisch war oder nicht, Gaddafis Drohungen erinnerten Europa vorbehaltlos an die von ihm
erbrachten Dienste. Trotz Gaddafis weithin bekannter Unterdrückung seines Volkes, ließen seine
Anstrengungen Libyen in den Schoß der Euro-mediterranen Partnerschaft zu manövrieren tatsächlich
nie nach. Die Handelsbeziehungen zwischen Libyen und Italien oder Gaddafis Verbindung mit dem
ehemaligen Premierminister Berlusconi zogen wenig Medienaufmerksamkeit auf sich. Solange der
Handel zwischen den beiden Ländern reibungslos ablief und die Investitionsabkommen unterzeichnet
wurden, standen politische und demokratische Fragen weiter unten auf der Prioritätenliste.
Wenig diskutiert sind die bilateralen Abkommen zwischen Geschäftsmännern der beiden Regionen,
die direkte Auswirkungen auf die Politikgestaltung haben, denn diese sind schwerer festzustellen. In
diesem Zusammenhang kann man auf Waffengeschäfte zwischen den Vereinigten Staaten und Europa
einerseits und ölreichen Ländern andererseits hindeuten, die gewöhnlich von Aufruhr über
Kommissionen und mangelnde Transparenz begleitet werden. Das Abkommen zum Beispiel, das zur
Freilassung von Abdel-Baset al-Megrahi, dem verurteilten Lockerbie-Bomber, führte, und die
Versprechen, die der verstorbene Gadaffi dem damaligen Premierminister Tony Blair gegeben zu
haben scheint, deuten darauf hin, dass die in der Öffentlichkeit hochgehaltenen Grundsätze hinter
verschlossenen Türen über den Haufen geworfen werden. Bis heute ist immer noch unklar, wie dieses
Übereinkommen zustande kam, aber es wird angenommen, dass Geschäftsleute und Politiker beider
Seiten ein paralleles Abkommen besiegelten, das britischen Unternehmen wichtige Anteile an neuen
und noch unerschlossenen Ölfeldern in Libyen garantieren sollte.
Derartige Beziehungen beschränkten sich natürlich nicht auf Libyen. Der Zusammenbruch von Zine
El Abidine Ben Alis Regime enthüllte das Ausmaß der Handels-, Investitions- und persönlichen
Beziehungen zwischen Mitgliedern der französischen Herrschaftselite und Tunesiens abgesetzter
Regierung. Größe und Ausmaß von Ben Alis Korruption waren den Männern und Frauen auf den
Straßen Tunesiens klar. Der ehemalige Präsident hatte das Land zusammen mit seiner Frau und ihren
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Kumpanen als Privatunternehmen behandelt. Das ging so weiter, während das Land von
internationalen Finanzinstituten mit Bescheinigungen über die Unbedenklichkeit überhäuft wurde.
Obwohl in Tunesien zügellose Korruption und Unterdrückung politischer und ziviler Freiheiten
herrschten, flossen finanzielle Hilfen und Investitionen weiterhin. Das autoritäre Regierungssystem
war daher gefestigt und wurde anderen Ländern sogar als unumstrittene Möglichkeit zur Steigerung
von Exporten und wirtschaftlichem Wachstum verkauft. Infolgedessen gingen in den letzten Jahren
50% der tunesischen Exporte an europäische Märkte und das Land zog eine große Anzahl europäischer
Investitionsfirmen an.
Eine ähnliche Szene spielte sich in Marokko ab. In Zusammenarbeit mit einer Reihe europäischer
Länder wurde Tangers bekannter Hafen für über einer Milliarde US-Dollar in einen der größten
Schifffahrtskomplexe weltweit ausgebaut. Dies geschah trotz bedenklicher Zahlen bei den Indikatoren
zur Einkommensverteilung, Armutsgrenzen und Arbeitslosigkeit. In einem Szenario, das sich auch in
einer Reihe anderer Länder wiederholte, haben Geschäftsleute Hand in Hand mit der Obrigkeit
zusammengearbeitet, um die Wirtschaft zu beherrschen. Das Land und seine verschiedenen Apparate
werden von den Interessen der Geschäftsleute als Geiseln gehalten, die das Rechtssystem und die
Gesetze zu ihrem Vorteil und dem ihrer Partner und Verbündeten zurechtgebogen haben. Abermals
war das für niemanden ein Geheimnis: das Freihandelsabkommen der USA mit Marokko 2004 enthielt
keine politischen oder sozialen Bedingungen, sondern konzentrierte sich einzig und allein auf die
voraussichtliche Größe des Handelsvolumens. Die USA unterzeichneten 2000 auch ein Abkommen
mit Jordanien zu ähnlichen Bedingungen. Ein Freihandelsabkommen wurde 2004 ebenfalls zwischen
Bahrain und den USA geschlossen - trotz der Tatsache, dass sich viele Beobachter im Klaren über
die bedenklichen politischen Zustände in Bahrain waren, wo sogar die grundlegendsten Elemente der
Rechtsstaatlichkeit fehlen. Anscheinend war auch das nicht ausreichend, um den Abschluss des
Abkommens zu verhindern.
Die Ereignisse in Syrien und die von EU-Ländern auferlegten Sanktionen gegen Damaskus in der
zweiten Hälfte 2011 enthüllten das Ausmaß der Kooperation, die zwischen Europäern und dem
unterdrückenden syrischen Regime stattgefunden hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren EU-Länder
die größten Importeure von syrischem Öl. Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande
erhielten ungefähr 90% der syrischen Ölexporte. Laut Schätzungen des IWF machten die Ölerträge
in den Jahren von 2006-2010 zwischen 21% und 30% des gesamten Regierungseinkommens aus
und beliefen sich auf 2,8 Milliarden $ in 2008 und 2,4 Milliarden $ in 2009. Das beweist, dass die
Geschäftsbeziehungen bis vor kurzem wichtiger waren als die autoritäre Natur des Regimes.
2009 feierte Ägypten seinen beträchtlichen Aufstieg im Ranking des Index für Verbesserung des
Investmentklimas, einer Auszeichnung, die von der Internationalen Finanz-Corporation (IFC) und der
Weltbank auf Grundlage ihres Doing Business Report verliehen wird. Zu dieser Zeit erwähnte niemand
hohe Arbeitslosenzahlen, Einkommensunterschiede oder die neuen Elendsviertel, die am Stadtrand
von Kairo aus dem Boden schossen. Die zügellose Korruption sorgte für keinerlei Stirnrunzeln. Alles,
was mit Investition zu tun hatte, war heilig. Handel und Hilfsmittel flossen in einer eindeutig nicht
tragbarer Weise, doch die wenigen, die vor einer bevorstehenden Krise warnten, wurden misstrauisch
gemustert. Sie wurden auf der Grundlage angezweifelt, dass sie in ihrer Betrachtung und Analyse der
wirtschaftlichen Kennzeichen keine "Objektivität" zeigten.
Im Allgemeinen haben westliche Länder keine Initiativen unterstützt, die eine Verbesserung der
Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei öffentlichen Ausgaben zum Ziel hatten. Laut Open Budget
Initiative Index1 waren ölreiche Länder am wenigsten entgegenkommend bei der Offenlegung von
Einzelheiten ihrer nationalen Budgets, wobei die meisten arabischen Länder in der unteren Hälfte der
Liste rangieren. Doch trotz alledem wurde kein Reform ausgeübt. Eher das Gegenteil war der Fall,
denn der Westen zeigte - und zeigt noch immer - ungerechtfertigte Toleranz gegenüber der politischen
Unterdrückung und dem Mangel einer guten Regierung in Empfängerländern. Unterdessen weisen
die geschäftlichen Beziehungen (die sich am einfachsten messen lassen) beständiges Wachstum auf.
Auch die finanzielle Hilfe, die den arabischen Ländern zur Verfügung gestellt wurde, sollte nicht
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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vergessen werden. Unabhängig davon, ob diese Hilfe zur Unterstützung des nationalen Budgets, der
Militär- und Sicherheitsapparate, oder bestimmter Wirtschaftsgüter gewährt wurde, sie erweist sich
als zuträglich für den Erhalt der autoritären politischen Regimes und ihrer verschiedenen Einrichtungen.
Darüber hinaus haben internationale Finanzorganisationen wie der Internationale Währungsfonds und
die Weltbank viele der Politiken befürwortet, die zur Unzufriedenheit hinter den Protesten von 2011 in
diesen Ländern geführt haben. Daher sind diese Organisationen in gewissem Maße (indirekt) für die
gegenwärtige Krise und das späte Erwachen verantwortlich, auch wenn das nicht ihre Absicht war.
Spätes Erwachen
Mit dem Zusammenbruch von Präsident Ben Alis Regime wurden die Korruption in Tunesien, der
schlechte Zustand des Sozialwesens und die hohen Arbeitslosenzahlen offensichtlich. Zu einer
ähnlichen Situation kam es in Ägypten beim Gespräch über das Einfrieren der Kapitalanlagen des
abgesetzten Präsidenten Mubarak und seiner Familie. Was den besiegten Gaddafi und seinen inneren
Kreis anbelangt, so wurden die Vermögenswerte aus ihren amerikanischen Investitionen von
schätzungsweise 30 Milliarden US-Dollar bereits in den USA gesperrt, zusammen mit weiteren 10
Millionen $ in Großbritannien und einer Millionen $ in Österreich. Während die Krise voranschritt,
erfuhren wir, dass Gaddafis Investitionen in schweizerische Tankstellen sich auf über eine Milliarde
US-Dollar beliefen. Und die Berichte über angesammelte Reichtümer von Herrschern, die gestürzt
wurden und anderen, die sich derzeit massiven Legitimitätsproblemen gegenüber sehen, häufen sich
weiter an.
Betrachten wir die geschäftlichen Beziehungen zwischen dem Westen und arabischen Ländern vor
dem Hintergrund schlechter Menschenrechtsbilanzen: Viele ölreiche Länder investieren ihre Ölerträge
in amerikanische Staatsanleihen oder innerhalb von Europa. Infolgedessen werden schlechte
Menschenrechtsbilanzen toleriert und übergangen, vorausgesetzt, dass die arabischen Führer die
Strategien des Westens in diesen Regionen befürworten. Mit Ausnahme des Iran und Syriens, denen
strenge Sanktionen auferlegt wurden, gibt es kein arabisches Land unter einer Finanz- oder
Wirtschaftsblockade. Ganz im Gegenteil, es gab immer ein Wettrennen zwischen westlichen Ländern
über die Unterzeichnung von Abkommen und Verträgen, ob nun mit Libyen oder Saudi-Arabien. Mit
anderen Worten wurde der Zusammenhang zwischen Demokratie, der Optimierung öffentlicher
Ausgaben, Transparenz und der Verbreitung von Good Governance auf der einen Seite und
ausländischen Hilfen und Investitionen auf der anderen Seite erst von Bedeutung, als er genutzt wurde,
um Regierungen zu schwächen und in Verruf zu bringen oder wenn Führer gegen westliche Interessen
arbeiteten.
In letzter Zeit haben wir beobachtet, wie sich dieser Trend fortsetzt. Mit neuen Regierungen, die im
Zuge des arabischen Frühlings an die Macht kommen, wird das Schicksal früherer
Geschäftsbeziehungen und zukünftiger Chancen auf Investitionen in ressourcenreiche Länder nicht
länger als selbstverständlich angesehen. Wir sehen, wie Regierungen sich wieder fangen, um die
Werte des arabischen Frühlings anzunehmen, der technische und finanzielle Hilfe für
Übergangsregierungen verspricht. Im Mai 2011 sicherte der G8-Gipfel zu, aufkommenden Demokratien
in den arabischen Regionen durch die Gründung der "Deauville-Partnerschaft" Unterstützung
zukommen zu lassen. Laut Erklärung der G8 zum arabischen Frühling "wird die Deauville-Partnerschaft
eine wirtschaftliche Agenda ausarbeiten, die es Reformregierungen ermöglichen wird, die Hoffnung
ihrer Bevölkerungen auf starkes, umfassendes Wachstum zu erfüllen und ihnen einen freien und
demokratischen Ausgang der politischen Prozesse zu erleichtern, die derzeit in Bearbeitung sind." Wir
fragen uns, ob eine solche Unterstützung mit jeder Menge Finanzierung und unternehmerischem
Vorhaben wirklich zu einer gesteigerten Demokratisierung und verbesserten Lebensstandards führen
wird? In der Vergangenheit war das nicht der Fall, hat sich die Motivation im Westen seitdem geändert?
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Berechtigte Fragen
Die arabische Straße wundert sich oft über die westliche Unterstützung von Diktaturen. Weiß der
Westen nichts von den Vermögenswerten und Investitionen der abgesetzten Präsidenten? Weiß der
Westen nichts von deren misslungenen Leistungen bei der Durchsetzung von Entwicklung oder der
Förderung von Menschenrechten? In Wirklichkeit ist es nicht schwer zu erraten, dass die
Geschäftsinteressen der Hauptanreiz für die Beziehung zwischen dem Westen und den Diktaturen
sind. Während es wichtig ist, den Prozess der Entscheidungsfindung im Westen nachzuvollziehen,
erscheinen diese Prozesse unter Ein-Partei-Regierungen wie in Tunesien und Ägypten einfach genug.
Die Allianz zwischen Geschäftsmännern und Politikern war in Abwesenheit echter Regel- und
Steuermechanismen in den Fällen von Tunesien, Libyen und Ägypten offensichtlich.
Hier sind nur einige Beispiele: In Ägypten war der ehemalige Generalsekretär der früheren
Regierungspartei, Ahmad Ezz, ein Geschäftsmann mit weitreichenden Kontakten inner- und außerhalb
des Landes. Als Eisen- und Stahl-Tycoon umging er häufig das Wettbewerbsrecht zum Erhalt seines
Monopols. Ezz unterzeichnete Abkommen mit seinen Partnern unter der Obhut und Schirmherrschaft
der Regierung sowie der Geldgeber der "Entwicklung". Dies stellt die Geltung von Hilfsprogrammen
in Frage, die letztendlich eine kleine Anzahl an Geschäftsleuten in Ländern stärken, deren wachsende
soziale Spannungen nicht anerkannt werden. In Tunesien ging die Situation über Korruption und
Zusicherung von Vereinbarungen hinaus. Tunesien wurde beinahe als nachzueiferndes Vorbild
betrachtet: unter autoritärer Herrschaft hatte es bei seinem Bruttoinlandsprodukt hohe Wachstumsraten
erzielt. Die Ergebnisse wurden hoch gelobt, aber den sich schmälernden Freiheiten und der politischen
Ausgrenzung einiger Regionen und Bereiche der Gesellschaft wurde keine Beachtung geschenkt. Das
paradoxe ist, dass die Anzeichen ganz und gar innerhalb des Blickfelds von Beobachtern lagen; viele
Akademiker erörterten ausführlich wie Hilfsprogramme dazu beitragen die autoritären Herrscher an
der Macht zu halten. Die Gleichung bevorzugte eindeutig das Bündnis von Politikern und
Geschäftsleuten und hatte keine der beabsichtigten Auswirkungen auf andere Gesellschaftsbereiche.
Ein weiterer Aspekt, der sich in der Regel der Aufmerksamkeit entzieht, sind Geschäftsmänner, die
ihre Regierung hinter den Kulissen aktiv beeinflussen und unter Druck setzen, um
Entwicklungsprogramme zu beschleunigen und den Handelsaustausch sowie den Geldfluss zu
erleichtern. Das erklärt den Zustrom von fast 70 Milliarden US-Dollar in ausländische Direktinvestitionen
in einer Reihe arabischer Länder in 2009 und von 60 Milliarden in 2010. Der Handelsverkehr entwickelt
sich eindeutig zu Europas Vorteil - bis auf den Ölmarkt.
Öl- und Petroleuminvestitionen lassen sich nicht als Hauptfaktoren bei der Bildung von Beziehungen
zwischen westlichen Regierungen und arabischen Regimes abtun. In Algerien, Europas
Hauptlieferanten für Flüssigerdgas, wurde der seit Anfang der 1990er verhängte Ausnahmezustand
erst 2011 wieder aufgehoben. Dies war nicht die Folge des Drucks seitens westlicher Länder, sondern
des durch die Umstürze in der Region erweckten inländischen Drucks. Trotz der algerischen
Militärkontrolle der Hauptwirtschaftsadern und der im Land weit verbreiteten Korruption waren die
Forderungen westlicher Regierungen nach Reformen befangen. Die gleiche Szene kann in SaudiArabien beobachtet werden, einem strategischen Verbündeten der USA. Selten hören wir von an
saudi-arabische Führer gerichteten Forderungen zur Umsetzung von Reformen in den Bereichen
politischer und Frauenrechte - obwohl Frauenrechte ein Anliegen westlicher Regierungen sind und
Behörden rege Lippenbekenntnisse abgegeben haben, was die Region im Ganzen angeht. Dies ist
ein gutes Beispiel dafür, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird; auf der einen Seite stehen die
Forderungen nach Demokratie und Pluralismus und auf der anderen Seite die Ignoranz gegenüber
den Geschehnissen in diesen Ländern, in denen der Westen Interessen vertritt.
Es hat den Anschein, dass der Westen keine Absichten hat die offenkundige Lektion aus den
Ereignissen in Tunesien, Ägypten, Libyen und Jemen sowie vielen anderen arabischen Ländern zu
ziehen. Diese Lektion sollte lauten, dass Geschäftsinteressen keine Beziehungen ersetzen dürfen,
die auf gemeinsamen politischen Interessen beruhen und frei von Korruption und Unterdrückung sind.
Für eine Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit müssen grundlegende Prinzipien wie politischer
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Pluralismus sowie Menschen- und Frauenrechte über die geschäftlichen Interessen gestellt werden.
Letztere haben viel zu lange auf Kosten der Menschen, in deren Namen alles unternommen wird, die
Beziehungen zwischen dem Westen und den arabischen Herrschern sowie deren Vertretern dominiert.
Der Text ist eine überarbeitete Version der englischen Originalausgabe, erschienen in Perspectives
Middle East, Nr. 2, Mai 2011: "People's Power - The Arab World in Revolt" der Heinrich Böll Stiftung.
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Die Absicherung politischer Herrschaft
Die Sicherheitsherrschaft arabischer Regimes und die Aussichten für
eine Demokratisierung
Von Mouin Rabbani
21.3.2012
ist ein unabhängiger Nahostanalytiker und Experte für palästinensische Angelegenheiten und den Israelisch-Arabischen Konflikt
und wohnt derzeit in Amman, Jordanien. Von 2002 bis 2008 war er Senior-Nahostanalytiker und Sonderberater für Palästina bei
der International Crisis Group. Früher war er Leiter für Palästina des Palestinian American Research Institute. Er ist ebenfalls
Mitherausgeber des Middle East Report und leitender Wissenschaftler am Institut für Palästina-Studien.
Die Armee ist während der Aufstände nur tätig geworden, um die eigene Macht zu erhalten, so
Mouin Rabbani. Er erkennt im arabischen Nationalstaat einen Polizeistaat: Denn auch dort, wo
gewählte Parlamente und andere Erscheinungsformen demokratischer Praxis zu finden seien,
blieben diese den Anweisungen der Sicherheitseinrichtungen untergeordnet.
Die neuesten Entwicklungen in Syrien haben die Rolle des Militärs bei den Umstürzen in der Region
in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Zu den interessanteren Erscheinungen der gegenwärtigen
Welle an Aufständen und Protesten, die über die arabische Welt hinweg fegt, gehört jedoch die
allgemeine Abwesenheit bewaffneter Streitkräfte bei den Bemühungen der Regimes, die
Infragestellungen der autokratischen Herrschaft durch das Volk niederzuschlagen.
Wo leitende Offiziere eine wesentliche Rolle gespielt haben, wie zum Beispiel in Ägypten, Tunesien
und Jemen, sind diese nur tätig geworden, um die Herrscher zu beseitigen, die sie ernannt hatten,
anstatt sie zu schützen. Nicht weil sie dazu übergegangen sind die Politik und Interessen der
existierenden Herrscher abzulehnen, sondern vielmehr - in einem klassischen Akt des
Regierungserhalts - trotz gemeinsamer Weltanschauung und der Tatsache, dass sie ein fester
Bestandteil umfangreicher Patronagenetzwerke bleiben, die über viele Jahrzehnte hinweg eingerichtet
wurden.
Für diese Wirklichkeit gibt es keine einzige oder einfache Erklärung. Soweit wir eine Ansammlung
ungleicher Staatengebilde verallgemeinern können, hat dies jedoch viel mit dem Entwicklungsverlauf
zu tun, den viele arabische Staaten seit Erlangung der Unabhängigkeit als Folge des Zweiten Weltkriegs
gemeinsam haben.
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Militärputsche
Von den 1950ern bis zu den 1970ern waren tatsächliche oder versuchte Regierungswechsel ein
ziemlich häufiges Phänomen innerhalb eines Großteils der arabischen Welt - natürlich im Vergleich
zu den Jahrzehnten seitdem. Im starken Gegensatz zu den Massenbewegungen 2011 waren die
Hauptakteure in den meisten Fällen bewaffnete Revolutionäre, die nationale Befreiungsbewegungen
anführten, und Militäroffiziere, die über einen Militärputsch die Macht ergriffen. Mit der Zeit wurde
dadurch eine Realität geschaffen, in der militärische Eliten entweder wirksam die Staatskontrolle
innehatten, oder aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen ausländische Widersacher und einheimische
Rebellen enorm an Macht und Einfluss gewonnen hatten. Im Rahmen des Kalten Kriegs bemühten
sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion darüber hinaus darum das Militär zu stärken und
begünstigten Offiziere in ihren jeweiligen Klientelstaaten, was zusätzlich zu ihrer gestärkten Rolle in
der Regierung und Entscheidungsfindung beitrug.
Als daher die Herrscher in Ägypten (1952), dem Irak (1958), Jemen (1962) und Libyen (1969) gestürzt
wurden, wurden sie ausnahmslos durch Militärherrscher ersetzt. Es ist ebenso aufschlussreich, dass
die Übernahme der Hegemonialmacht der Baath-Partei in Syrien 1963 von ihrem Militärausschuss
durchgeführt wurde anstatt vom zivilen Flügel, und so eine Nachfolge von Militärdiktatoren zu Stande
brachte. Der Aufstieg der Baath-Partei im Irak - erstmals in 1963 und dann erneut 1968 - wurde auf
ähnliche Weise von einem General angeführt, Ahmad Hasan al-Bakr.
Als der Staub der Umgestaltung nach der Unabhängigkeit begann sich zu legen, durchlief die Rolle
des Militärs bedeutende Veränderungen. Am Ende der 1970er wurde praktisch jeder arabische Staat
entweder von einem Offizier regiert, oder einem mit Orden behangenen Herrscher, der eine Reihe von
Putschversuchen und/oder bewaffneten Rebellionen überlebt hatte. Im akuten Bewusstsein - oftmals
aufgrund persönlicher Erfahrung -, dass eine Militärkarriere eine ausgezeichnete Ausgangsposition
für eine politische Führung darstellt, unternahmen Herrscher entschiedene und größtenteils
erfolgreiche Anstrengungen ihre bewaffneten Streitkräfte auszuschalten, insbesondere die
Offizierskorps und Eliten unter ihnen, wie die Luftwaffe. Politische Tätigkeiten von Parteien innerhalb
des Militärs wurden daher verboten, Offizieren wurde es untersagt (unerlaubte) Parteizugehörigkeiten
zu unterhalten und die Führungsränge wurden mit vertrauenswürdigen Partnern aufgefüllt, anstatt mit
erprobten Experten.
Gleichzeitig wurden arabische Regimes vermehrt autokratisch und beschränkt und in vielen Fällen
wurde politische Hegemonie in einem noch viel größeren Ausmaß auf Stammes-, Familien-, Sektenund/oder geografischer Basis ausgeübt. Obwohl es übermäßig vereinfachend wäre, Syrien unter den
Assads als Sektenregime einer alawitischen Minderheit zu bezeichnen oder Saddams Irak als ein
Tikriti-Regime, wurde die Baath-Partei in beiden Fällen zu wenig mehr als einem schmückenden
Patronagenetzwerk herabgesetzt, einer bedeutungsvollen Rolle im politischen Leben beraubt.
Für solche Herrscher waren Armeen von Wehrpflichtigen, die eher die demografischen Gegebenheiten
der Gesellschaft widerspiegelten als die der herrschenden Elite, ebenso eine Bedrohung wie ein Mittel
uneingeschränkter Kontrolle und sie wurden vor allem als unzuverlässig betrachtet, wenn es zur
Konfrontation mit ausgedehntem einheimischen Widerstand kam. In diesem Sinne unterschieden sich
diese Regimes von Grund auf von der archetypischen lateinamerikanischen Militärjunta, oder den EinPartei-Staaten des sowjetischen Blocks. Für arabische Autokraten wurde zudem der Drang nach
unangefochtener Autorität besonders akut, als sie sich ihrem Lebensabend näherten und begannen
Nachfolgepläne zu schmieden, die jegliche verfassungsmäßigen oder informellen Einschränkungen
ihrer Macht - einschließlich des Tods - zum vollkommenen Gespött machten.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Nationale Sicherheit und Regimesicherheit
Obwohl die Bevölkerungskontrolle für arabische Regimes immer Priorität hatte, haben die oben
aufgeführten Entwicklungen - sowie wachsende sozio-ökonomische Not und Ungleichheit als Folge
der Einführung neoliberaler Politik - zur beständigen Abnahme der Toleranzschwellen für Dissens und
Widerstand gesorgt. Nationale Sicherheit war nicht mehr zu unterscheiden von Regimesicherheit,
insbesondere mit dem Ende des Kalten Kriegs und den Anfängen arabisch-israelischer Normalisierung.
Die Aufstellung von Prätorianergarden, die aus wichtigen Regimebefürwortern rekrutiert wurden, und
von Geheimdienst- und Polizeikräften mit umfassenden Befugnissen war natürlich nichts Neues, aber
erreichte Ausmaße, die sogar im Vergleich zu früheren Standards beispiellos waren.
Tatsächlich waren es in den letzten Jahrzehnten vor allen Dingen die Geheimdienste (mukhabarat),
die zu Schiedsrichtern des politischen Lebens wurden und wiederum von Sonderpolizeieinheiten
verstärkt wurden, wie zum Beispiel die kürzlich aufgelöste Staatssicherheitsabteilung in Tunesien und
Ägyptens Ermittlungsdienst für Staatssicherheit. Letztendlich hat es eine spürbare Machtverschiebung
vom Verteidigungsministerium hin zum Innenministerium gegeben.
Militärische Eliten behalten selbstverständlich bedeutenden - insbesondere wirtschaftlichen - Einfluss
und bleiben in Verbindung mit den staatlichen Patronagenetzwerken. Aber ihre Rolle in der Regierung
und Entscheidungsfindung hat im Verhältnis zu der des heimischen Sicherheitsapparats deutlich
abgenommen. Wenn es 1970 noch der Verteidigungsminister und Generalstabschef waren, die zu
den bekanntesten Persönlichkeiten gehörten, wurden ihre Sichtbarkeit und ihr öffentliches Auftreten
2010 zum größten Teil vom Innenminister und Geheimdienstleiter übernommen.
Der Einfluss des traditionellen Oberkommandos hat zudem auch innerhalb der Streitkräfte einen
verhältnismäßigen Rückgang erlitten, dieses Mal durch die Hände verschiedener nationaler,
präsidialer, republikanischer und königlicher Garden. Solche Gruppierungen bestehen in der Regel
aus zusammenhängenden Einheiten, die aus der engsten Anhängerschaft des Herrschers rekrutiert
wurden, oft von dessen Söhnen oder anderen nahen Verwandten befehligt werden und enorme Vorteile
in Bezug auf Ressourcen, Ausrüstung, Training und Privilegien genießen. Es sind diese Einheiten, die
oft die einzigen ernstzunehmenden Streitkräfte in verschiedenen arabischen Staaten bilden.
Die vorrangig Begünstigten dieser Verschiebungen sind einheimische Sicherheitseinrichtungen und
verschiedene von ihnen hervorgebrachte Dienste. Da ihre Arbeitskräfte und Ressourcen auf noch nie
da gewesene Stände in die Höhe geschossen sind, durchdringen sie praktisch jeden Aspekt des
nationalen, zivilen und in vielen Fällen sogar des persönlichen Lebens. Sie hatten auch einen tief
greifenden korrumpierenden Einfluss auf die Gesellschaft als Ganzes.
Sie arbeiten gänzlich außerhalb des Gesetzes und haben freie Hand überall, jederzeit und mit jedem
das zu tun, was ihnen gefällt und sie tun dies ohne auch nur den Anschein - oder Vorwand - von
Transparenz oder Rechenschaft. Mit der Wahrung des Gesetzes und der Verordnung ihrer angeblichen
raison d’être gewinnen einheimische Sicherheitsdienste ihre Macht genau aufgrund ihrer Lizenz zur
Gesetzlosigkeit.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
88
Der Polizeistaat: Sicherheitsdienste als politische Akteure
Während sie berechtigterweise berüchtigt sind für Folter, Verschwinden und die Verletzung quasi jedes
Rechts, das jemals festgeschrieben wurde, beschränken sich die Tätigkeiten von Sicherheitsdiensten
fast nie auf die Verhaftung von Regimekritikern und das Umkrempeln von Oppositionsnetzwerken. Mit
Loyalität und Gehorsam anstatt Professionalität und Integrität als ihren Kriterien prüfen sie auch Richter
und Generäle, ernennen Redakteure und Universitätsdekane, arrangieren Wahlen und bestimmen die
Gesetzgebung, kontrollieren die Medien bis auf die Namen, regulieren politische Parteien und
Verbände sowie nichtstaatliche Organisationen und verfassen sogar Freitagspredigten. Während sie
in einigen Staaten erdrückenden und sichtbaren Einfluss auf scheinbar triviale Aspekte des öffentlichen
Lebens ausüben, verhalten sie sich in anderen vergleichsweise unaufdringlich, haben aber dennoch
alles unter Kontrolle und arbeiten genauso mächtig wie die letzten Gebieter des Erlaubten und des
Verbotenen. In der Praxis ist die mukhabarat auch der oberste Gerichtshof, Sprecher des Parlaments,
Premierminister, Bürgermeister, Universitätspräsident, Chefredakteur und sogar oberster Geistlicher.
Letzten Endes ist keiner der Letzteren fähig den Empfehlungen der einheimischen
Sicherheitseinrichtungen zu widersprechen und im Amt zu bleiben, während sogar bewährte Autokraten
die wohlüberlegten Meinungen ihrer Sicherheitschefs auf eigene Gefahr nicht beachten. Es scheint in
der eigenen Natur des nationalen Sicherheitsstaates zu liegen, dass Nation, Staat und Bürger zu
Spielbällen der Sicherheitseinrichtungen werden - deren Funktionen denen der Wählerschaft in
demokratischen Gebilden nicht unähnlich sind.
Einheimische Sicherheitsdienste üben auch auf grundlegenderer Ebene einen tief greifenden
korrumpierenden Einfluss aus. Anstatt ihre Tätigkeiten auf die Überwachung, Infiltrierung und
Neutralisierung echter oder vermeintlicher Bedrohungen für ihr Sicherheitsverständnis zu
beschränken, bemühen sie sich - als politische Angelegenheit - jedes Lebewesen innerhalb ihres
Reichs anzuwerben, mit dem vordergründigen Zweck einer Domestizierung anstatt von Einsatzhilfe.
In einer Region, in der Führungszeugnisse und Sicherheitsüberprüfungen in der Regel sogar für die
harmlosesten Bürokratieverfahren erforderlich sind - wie die Beantragung eines Passes oder einer
Gewerbegenehmigung, den Eintritt in den öffentlichen Dienst oder die Aufnahme in die Universität sind Gelegenheiten für die Anwerbung überall vorhanden und werden bis aufs Äußerste ausgereizt.
Die Methode der Gewinnung von mehr (üblicherweise wirklich wertlosen) Informationen über Kollegen,
Freunde, Familie und Fremde als von einer Reihe an Supercomputern verarbeitet werden können,
dient dazu die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass sie ständig ganz in der Nähe überwacht und benachrichtigt - wird. Was die mukhabarat angeht, ist nur eine Bürgerschaft ausreichend
vertrauenswürdig, die Verrat seitens der nächsten Verwandten, Freunde und Kollegen fürchtet.
Der arabische nationale Sicherheitsstaat in der arabischen Welt ist daher - ziemlich wörtlich - ein
Polizeistaat. Auch dort, wo gewählte Parlamente und andere Erscheinungsformen demokratischer
Praxis zu finden sind, bleiben diese den Anweisungen der Sicherheitseinrichtungen untergeordnet.
Diese Dienste arbeiten nicht unter Aufsicht der Regierung oder des Parlaments, sondern sie
beaufsichtigen die exekutiven, legislativen und judikativen Autoritäten. Rechenschaft wird der
mukhabarat gegenüber abgelegt und nicht von ihr selbst.
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
89
Neugestaltung der arabischen Sicherheitsregimes: In- und
ausländische Prioritäten
Wie bei vielen anderen Eigenschaften des zeitgenössischen arabischen Staats spiegelt auch der
Aufstieg nationaler Sicherheitsdienste sowohl ausländische als auch heimische Prioritäten wider. In
der Tat hat der Westen im Allgemeinen arabische Staaten mit stabilen internen Sicherheitskräften
gegenüber denen mit starkem Militär bevorzugt - und sich dementsprechend verhalten. Mit
"Urteilssprechungen" als einem Beispiel unterhielt der Westen die engsten symbiotischen Beziehungen
in der Regel mit der mukhabarat; wenn im 20. Jahrhundert die Generäle der Luftwaffe die
förderungswürdigen Männer waren, sind es im 21. Jahrhundert die nationalen Sicherheitschefs, wie
Ägyptens Omar Suleiman und Mohammed Dahaln der Palästinensischen Autonomiebehörde, die zu
den beliebten Partnern, Kontakten und politischen Nachfolgern gehören. Tatsächlich geben von
Wikileaks veröffentlichte Diplomaten-Depeschen der USA Washingtons großen Respekt für Suleiman
wieder und vergleichsweise Skepsis gegenüber Armeechef Feldmarschall Hussein Tantawi, der seit
Mubaraks Amtsenthebung Ägypten effektiv regiert hat. Der britische Offizier Ian Henderson, der in
Kenia während der Mau-Mau-Rebellion Berühmtheit erlangt und sich in den Jahren seit seiner
Rekrutierung durch Bahrains Royalisten zur Gewährleistung des heimischen"Friedens" den
Spitznamen"Schlächter von Bahrain" verdient hat, ist in diesem breiteren Zusammenhang nicht mehr
als ein besonders bösartiges und sichtbares Fallbeispiel.
Die Neugestaltung arabischer Sicherheitsregimes in den letzten Jahrzehnten hat sich ironischerweise
auch als Schwachpunkt bei den jüngsten Ereignissen erwiesen. Während Geheimdienste sehr
geschickt beim Niederknüppeln und Erpressen sein können und eine Schlüsselrolle bei der
Ausschaltung von Zellen und sogar Netzwerken spielen, sind sie einfach nicht dafür ausgerüstet
Massenrebellionen niederzuschlagen. In Tunesien und später auch in Ägypten wurden sie im Grunde
von einem Meer an Menschlichkeit überflutet und ihnen fehlten die Mittel, um das gesamte Land in
ein Gefängnis zu verwandeln. Die reguläre Armee – zu Recht darüber besorgt, dass ihr institutioneller
Zusammenhalt das erforderliche Blutbad nicht überleben könnte, sollte dem belagerten Herrscher zu
Hilfe kommen - weigerte sich aber in beiden Fällen auszurücken.
Auch wenn sie schwieriger aufzuzeigen ist, haben die Unflexibilität der nationalen Sicherheitsdienste
und ihre extreme Abneigung gegen Reformen jedweder Art dabei geholfen, ihre Untertanen auf einen
revolutionäreren Weg zu führen. Nationale Rebellionen haben die Eigenart die Rolle der
Sicherheitskräfte bei der Entscheidungsfindung zu stärken und (zumindest anfangs) die Autorität ihrer
kompromisslosesten Elemente zu fördern. Zum Leidwesen von Ben Ali und Mubarak scheinen
Tunesien und Ägypten in dieser Hinsicht keine Ausnahmen gewesen zu sein.
Neue zivil-militärische Beziehungen oder Militärherrschaft?
Die ausschlaggebende Rolle des Militärs bei der Ermöglichung des Umbruchs (und in Ägypten auch
bei dessen Kontrolle) kann, obwohl sie eher durch den Regimeerhalt als durch einen Regimewandel
motiviert ist, trotz alledem eine neue Ära der Militärherrschaft einführen. Zumindest hat die Kombination
aus militärischem Einfluss und Volksaufruhr den nationalen Sicherheitseinrichtungen einen schweren
Schlag verpasst, von dem sie sich wahrscheinlich nicht so schnell erholen werden.
Auf ähnliche Weise fiel im Jemen und in Libyen die Rolle der Verteidigung des Rechts ständiger
Anführer auf ewige Herrschaft den Eliteeinheiten zu, während das reguläre Militär mit Massen von
Überläufern geplagt war. Aber wie bei allen Mustern wäre es allzu einfach dies als Naturgesetz zu
betrachten, das zwingend in der gesamten arabischen Welt wiederholt wird. In dieser Hinsicht stellt
Syrien eine Ausnahme dar, mit der Begründung, dass der Militärapparat während einer knapp
einjährigen Revolte nicht zersplittert ist. Bis jetzt scheint es aber noch keine allgemeine Mobilisierung
der regulären Streitkräfte zur Unterdrückung des Aufstands gegeben zu haben und die steigende Zahl
von Überläufern - auch wenn sie sich zugegebenermaßen noch in Grenzen halten - weisen auf die
Gefahren einer solchen Handlung hin. Eine weitere unbeantwortete Frage ist, ob die dem Regime
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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auferlegten Belastungen durch die Kombination aus anhaltendem heimischem und externem Druck
zu Putschversuchen führen oder führen werden.
Das Absetzen von Diktatoren ist wohl der einfache Teil. Die voraus liegenden Monate und Jahre halten
vielleicht noch weitere monumentale Kämpfe bereit, um sicherzustellen, dass ein Autokrat nicht durch
einen anderen ersetzt wird. In dieser Gleichung besteht die Nagelprobe nicht aus freien und gerechten
Wahlen, denn diese können unter einer Reihe verfassungsrechtlicher Ausrichtungen abgehalten
werden. Stattdessen wird im Reich des Sicherheitssektors die Zukunft der Region und ihrer einzelnen
Staaten entschieden. Die wichtigsten Fragen sind, ob Kräfte wie die ägyptische mabahith
(Ermittlungsdienst für Staatssicherheit) nicht einfach nur aufgelöst werden, sondern auch nicht in neuer
Gestalt wieder ins Leben gerufen werden; ob nationale Sicherheitslehren überarbeitet werden, um die
nationale Sicherheit und nicht den Regimeerhalt in den Mittelpunkt zu stellen; und ob die
entsprechenden Dienste in wirklich rechenschaftspflichtige Organe auf Basis parlamentarischer und
juristischer Aufsicht umgewandelt werden.
Die wichtigste Schlacht wird sich jedoch wahrscheinlich um zivil-militärische Beziehungen drehen.
Werden die bewaffneten Streitkräfte in der Lage sein, ihre neu gewonnene Macht und Geltung zu
instrumentalisieren, um noch einmal die Steuerung des Staatsschiffs zu übernehmen, oder werden
sie erfolgreich in Instrumente umgewandelt, die von demokratisch gewählten oder anderweitig
repräsentativen Führerschaften gelenkt werden und ihnen unterstehen? Auch wenn es bei Weitem
noch zu früh ist, um vernünftig über diese Sache zu spekulieren, lässt der Fall Ägyptens - der für die
gesamte Region von unumstrittener Bedeutung ist - vermuten, dass die, die Mubarak gestürzt haben,
sich genau darüber im Klaren sind, was auf dem Spiel steht, und dass sie entschlossen sind ihren Fall
voranzutreiben. Nur wenn sie Erfolg haben, wird der Slogan"Das Volk und die Armee sind eins" vom
Wunsch zur Wirklichkeit werden.
Ihr Erfolg ist jedoch alles andere als sicher. Ägyptens Oberster Rat der Streitkräfte hat sich bei der
Aufrechterhaltung der Herrschaft des Militärs als äußerst nachgiebig erwiesen und konnte im Dezember
eine Kombination aus brutaler Unterwerfung und parlamentarischen Wahlen einsetzen, um
lawinenartigen Widerstand gegen seine anhaltende Kontrolle des Übergangs auszubremsen. Ein
wichtiger Grund dafür, dass er dies tun konnte, war, dass er die Unterstützung des organisiertesten
Elements der früheren Opposition für sich gewinnen konnte, die Muslimbruderschaft, die auf ihre
Integration in das politische System durch diese Wahlen fixiert war. Gleichermaßen haben Beobachter
darauf hingedeutet, dass das syrische Militär bei einer Verdrängung von Syriens Assad durch einen
Putsch oder eine andauernde Militärkampagne von Regimegegnern eine ebenso einflussreiche Rolle
bei einem Übergang spielen wird.
Libyen, Bahrain und möglicherweise auch Syrien und Jemen stellen auf verschiedene Weisen einen
weiteren entscheidenden Faktor der Debatte dar - die Gefahr eines ausländischen Militäreinsatzes.
Die übermäßigen Kosten für Leib, Leben und Besitz, die in Libyen aufgrund der NATO-Kampagne für
einen Regimewechsel entstanden sind, haben Risse erzeugt, von denen sich die libysche Gesellschaft
nicht so einfach erholen wird, und die sich vielleicht noch vertiefen. Eine ähnliche Schlussfolgerung
scheint auf Bahrain zuzutreffen, dennoch werden beide zu Recht als marginal im Vergleich zu dem
betrachtet, was sich in Syrien eventuell noch ereignen kann. Ist das gewünschte Resultat des
Umwandlungsprozesses demokratische Selbstbestimmung, ist ein ausländischer Militäreinsatz eine
besonders schlecht geeignete Methode dies zu erreichen.
Der Text ist eine überarbeitete Version der englischen Originalausgabe, erschienen in Perspectives
Middle East, Nr. 2, Mai 2011: "People's Power - The Arab World in Revolt" der Heinrich Böll Stiftung.
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Indikatorentabelle
Von Jan Busse
14.11.2011
Die Indikatorentabelle zeigt sozio-ökonomische, politische und gesellschaftliche Indikatoren
der Mitgliedstaaten der Arabischen Liga (und Deutschland im Vergleich).
Klicken Sie auf die Grafik, um das Bild zu öffnen. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/
dokument_pdf/Indikatoren_Arab_Liga.pdf)
Indikatorentabelle (PDF) (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Indikatoren_Arab_Liga.pdf)
Die arabische Welt ist von einer Vielfalt geprägt, die den meisten Leserinnen und Lesern nicht bewusst
sein dürfte. Um über die einzelnen Textbeiträge hinaus auf einen Blick einen Vergleich zwischen den
verschiedenen arabischen Ländern zu ermöglichen, gibt die Tabelle einen Überblick über
demographische, sozio-ökonomische und politische Indikatoren. So werden etwa, unter den
demographischen Faktoren, die konfessionellen Hauptgruppen in den jeweiligen Staaten dargestellt.
Um über die sozio-ökonomische Situation Auskunft zu geben, werden Indikatoren unter anderem zu
Bruttoinlandsprodukt, Wachstum, menschlicher Entwicklung und Arbeitslosigkeit aufgenommen. Die
politischen Indikatoren geben Aufschluss über politische Freiheiten und Teilhabe in den arabischen
Staaten. Darüber hinaus enthält die Tabelle Informationen über die Verbreitung des Internet,
Mobilfunknutzung und die Nutzung sozialer Netzwerke.
Die Tabelle gibt nicht nur Aufschluss über den Hintergrund, vor dem sich die derzeitigen Proteste in
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
92
der arabischen Welt abspielen. Sie ermöglicht es auch, die Situation in den einzelnen arabischen
Staaten miteinander in Beziehung zu setzen und aus dem Vergleich weiter führende
Schlussfolgerungen zu ziehen, zum Beispiel in Bezug auf die Voraussetzungen für eine politische
Transition. Insbesondere wird deutlich, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen
Ländern hinsichtlich Einwohnerzahl, Bevölkerungsstruktur, wirtschaftlichen Wachstums und dem
Entwicklungsstand gibt. Auch die Investitionen in Humankapital und die Nutzung von Internet und
sozialen Netzwerken unterscheiden sich deutlich. Da Internet und soziale Netzwerke in vielen
arabischen Staaten nur in geringem Maße verbreitet sind, ist der Begriff der "Generation Facebook"
eher irreführend. Allerdings wird auch deutlich: neben vielen Unterschieden teilen alle arabischen
Staaten schlechte Bewertungen hinsichtlich politischer Freiheit und Partizipation.
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93
Chronologie des Arabischen Frühlings
17.11.2011
Die systematische länderspezifische Chronologie ermöglicht einen Überblick über die entscheidenden
Entwicklungen in den von den Protesten und Umbrüchen betroffenen arabischen Staaten, mit
Schwerpunkt auf das erste Halbjahr 2011. Die Chronologie enthält eine Auswahl derjenigen arabischen
Staaten, in denen sich in der ersten Jahreshälfte 2011 (bzw. für Tunesien seit Mitte Dezember 2010)
relevante Proteste abgespielt haben bzw. in denen es zu Umbrüchen gekommen ist: Ägypten, Bahrain,
Jemen, Jordanien, Kuwait, Libyen, Marokko, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien.
Die Chronologie ermöglicht den Vergleich der Ereignisse in unterschiedlichen arabischen
Ländern. Die Ereignisse werden je nach Akteur bzw. Akteursgruppe unterschieden: Regierung,
Protestierende, regionale Akteure/internationale Gemeinschaft.
Im Zentrum der Chronologie steht eine Zeitleiste in Form einer vertikalen Achse, auf der die wichtigsten
Ereignisse dargestellt sind. Auf der linken Seite der Achse sind die entsprechenden Daten aufgelistet,
auf der rechten Seite die konkreten Geschehnisse zusammengefasst. Die einzelnen Ereignisse werden
verschiedenfarbig dargestellt und zwar in Abhängigkeit davon, welche Akteure jeweils im Zentrum
stehen. Dabei wird das Handeln der Regierung bzw. des Regimes blau dargestellt, das der
Protestierenden rot, das der regionalen Akteure bzw. der internationalen Gemeinschaft braun).
Die Chronologie basiert auf der Auswertung einer Vielzahl von Presseartikeln und Agenturmeldungen
und wurde von Länderexpertinnen und -experten geprüft. Pro Land werden rund 20 entscheidende
Entwicklungen und Weichenstellungen dargestellt.
Einen kurzen Überblick über die Intensität des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 finden Sie hier:
Chronologie des Arabischen Frühlings (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Arab_Fruehling_Overview.
pdf)
Zusammengestellt von: Jan Busse
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Ägypten
17.11.2011
Die Proteste in Ägypten folgten rasch auf die revolutionären Unruhen in Tunesien. Widerstand
regte sich vor allem gegen die 30-jährige Herrschaft von Machthaber Hossni Mubarak und die
soziale Situation im Land.
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Bahrain
17.11.2011
Der 14. Februar 2011 markiert den Beginn der Proteste im Golf-Staat. Truppenunterstützung
durch die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien sicherten die Macht des Königs
und schlugen die Aufstände bis Anfang April nieder.
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Jemen
17.11.2011
Anfang Februar 2011 organisieren Oppositionelle im Jemen Proteste und fordern neben
Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und Korruption einen Regimewechsel. Der langjährige
Machthaber Saleh reagiert zunächst mit einem Verzicht auf seine Kandidatur bei der nächsten
Präsidentenwahl.
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Jordanien
17.11.2011
Eine Welle des Unmuts schwappt Anfang Januar auch nach Jordanien. Dort richten sich die
Demonstrationen allerdings nicht gegen das Könighaus, sondern gegen steigende Preise und
die Regierung. Es folgen interne Spannunge zwischen Loyalisten und Refomern.
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Kuwait
17.11.2011
Die Proteste in Kuwait richteten sich vor allem gegen das bestehende Staatsbürgerschaftsrecht
im Golfstaat. Auf die Straße gingen Staatenlose - sie machen einen Großteil der kuwaitischen
Bevölkerung aus.
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Libyen
17.11.2011
Auf Anti-Regierungsprotesten wächst rasch ein bewaffneter Kampf gegen das autokratische
Regime von Muamar al-Gaddafi. Ab dem 19. März startet eine NATO-geführte Militäroperation
auf Grundlage einer UN-Resolution, die die Rebellentruppen unterstützen sollen.
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Marokko
17.11.2011
Auf eine wachsende Protestbewegung reagiert das marokkanische Königshaus mit dem
Versprechenvon umfangreichen Änderungen der Verfassung. Am 1. Juli 2011 stimmen über 98
Prozent der Wähler bei einem Referendum für die konstitutionellen Reformen.
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Saudi-Arabien
17.11.2011
Nach der Selbstverbrennung eines 60-Jährigen beginnen im Januar auch in Saudi-Arabien
Unruhen. Im März kündigt der saudische König dann Lokalwahlen an.
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102
Syrien
17.11.2011
Nach der Verhaftung von 15 Kindern kommt es in Syrien immer wieder zu Protesten. Im Laufe
des Jahres 2011 eskaliert die Lage immer wieder: In Hama sterben 100 Menschen im August,
die Hafenstadt ltakia wird von Panzern, Kriegsschiffen und Bodentruppen angegriffen.
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Protestierende, regionale Akteure/internationale Gemeinschaft.
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103
Tunesien
17.11.2011
Die Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Mohammed Bouzizi stößt eine
landesweite Protestwelle an, die schnell den gesamten arabischen Raum erfassen sollte. Dabei
stellte sich Frankreich zu Beginn der Aufstände auf die Seite des alten Regimes des Präsidenten
Ben Ali.
Chronologie der Ereignisse in Tunesien. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/
Tunesien.pdf)
Die Chronologie ermöglicht den Vergleich der Ereignisse in unterschiedlichen arabischen
Ländern. Die Ereignisse werden je nach Akteur bzw. Akteursgruppe unterschieden: Regierung,
Protestierende, regionale Akteure/internationale Gemeinschaft.
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104
Aktuelle Kurzbibliografie
5.3.2008
Ob allgemeine Informationen zu den politischen Umbrüchen, Länderstudien oder die Sicht des
Westens: In der aktuellen Kurzbibliografie finden Sie nützliche Wissensquellen und Dokumente zum
Arabischen Frühling.
Zusammengestellt von Jürgen Rogalski
bpb.de
Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
105
Allgemeinere Analysen und Kommentare zum
Arabischen Frühling
10.12.2011
Allgemeinere Analysen und Kommentare zum Arabischen Frühling
Monografien (nur Referenzen)
Ben-Jelloun, Tahar: Arabischer Frühling. vom Wiedererlangen der arabischen Würde, Berlin 2011.
Filiu, Jean-Pierre: The Arab revolution. ten lessons from the democratic uprising, London 2011.
Perthes, Volker: Der Aufstand. Die arabische Revolution und ihre Folgen, München 2011.
Schmid, Thomas (Hrsg.): Die arabische Revolution. demokratischer Aufbruch von Tunesien bis zum
Golf, Berlin 2011.
Todd, Emmanuel: Frei! - Der arabische Frühling und was er für die Welt bedeutet, München 2011.
Aufsätze und Online-Publikationen
Asseburg, Muriel (Hrsg.): Proteste, Aufstände und Regimewandel in der arabischen Welt. Akteure,
Herausforderungen, Implikationen und Handlungsoptionen, Berlin 2011, (SWP-Studie; S 27/2011).
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf (http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S27_ass_ks.pdf)
Asseburg, Muriel: Die Verkrustung bricht auf. Proteste, Aufstände, Revolten in der arabischen Welt –
In: Friedensgutachten (Berlin 2011), S. 32–47.
Asseburg, Muriel: Zur Anatomie der arabischen Proteste und Aufstände – In: Aus Politik und
Zeitgeschichte, 61 (26. September 2011) 39, S. 3–9.
http://www.bpb.de/files/6XFUR3.pdf (http://www.bpb.de/files/6XFUR3.pdf)
Behr, Timo; Aaltola, Mika: The Arab uprising. causes, prospects and implications, Helsinki 2011, (UPI
Briefing Paper; 76).
http://www.fiia.fi/assets/publications/bp76.pdf (http://www.fiia.fi/assets/publications/bp76.pdf)
Coleman, Isobel: On the front lines of changes. women in the Arab uprisings, Washington/D.C. 2011,
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Der Arabische Frühling als Herausforderung für
"westliche" Politik – Analysen und Dokumente
8.3.2007
Welche Bedeutung haben die Umbrüche in der arabischen Welt für die westlichen Staaten und
den Nahost-Konflikt?
Deutschland und die Europäische Union
Aktuelle Dokumente
Eine neue Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel. gemeinsame Mitteilung an das Europäische
Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der
Regionen, Brüssel 2011, (Europäische Kommission).
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Eine Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand.
gemeinsame Mitteilung an den Europäischen Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und
Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Brüssel 2011, (Europäische Kommission).
http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/president/news/speeches-statements/pdf/20110308_de.pdf
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Mittelmeerländer / Regionalbüro der Friedrich Naumann Stiftung (FNS)
http://www.freiheit.org/Mittelmeerlaender/610c161/index.html
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Naher Osten / Themenseite der Rosa Luxemburg Stiftung (RLS)
http://www.rosalux.de/internationale-politik/thema/naher-osten/sprachen/2399/314.html (http://www.
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Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika / Regionalreferat der Friedrich Ebert Stiftung (FES)
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Roundup of the major developments in the Middle East and North Africa - interactive map / Carnegie
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Umbruch in der arabischen Welt - Kommt es zu weiteren Dominoeffekten? / Themendossier der Stiftung
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http://www.swp-berlin.org/de/swp-themendossiers/umbruch-in-der-arabischen-welt.html (http://www.
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Umbrüche im Maghreb und im Nahen Osten - Unterstützung für den Aufbruch zur Demokratie /
Themenseite der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)
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Zwischen Aufruhr und Neuanfang / Themenseite des Auswärtigen Amtes
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Dossier: Arabischer Frühling (Erstellt am 14.10.2015)
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Redaktion
19.10.2011
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