GU Berichte 36 - Hochschule Esslingen

GU-BERICHTE
Hochschule Esslingen
Fakultät Gebäude Energie Umwelt (GU)
Ausgabe 36/2015
Aus dem Inhalt:
Martin Dehli
Absolventen im SS 2015
S. 10
Masterstudiengang Netztechnik S. 13
G7: Ausstieg aus Kohle, Öl, Gas? S. 14
Profs - im Shitstorm verloren?
S. 16
Sind spülrandfreie WCs marktreif? S. 19
Thermodyn.-Aufgabensammlung S. 23
Spannende Exkursion
S. 24
Fracking - auch in Deutschland? S. 27
Studieren in Shanghai
S. 32
GU-Kolloquium im SS 2015
S. 35
Energieeffizienz und Umweltschutz:
Tag der Nachhaltigkeit in der Fakultät GU
Am 12. und 13. Juni 2015 fanden die
“Nachhaltigkeitstage Baden-Württemberg” statt. Mit ihnen sollte landesweit
darauf aufmerksam gemacht werden,
dass durch Nachhaltigkeit im Denken,
Handeln und Leben positive Initiativen
und Innovationen ausgelöst werden können. Die Hochschule Esslingen (HE) hatte bereits vor mehreren Jahren die Idee
der Nachhaltigkeit in ihrem Leitbild verankert; sie ist bestrebt, diese Thematik in
Lehre und Forschung zu integrieren.
Ein Höhepunkt in diesem Bemühen
stellte der “Tag der Nachhaltigkeit” am
12. Juni 2015 dar, bei dem im Rahmen
einer breit angelegten Informationsveranstaltung das Thema “Nachhaltiges
Bauen” im Mittelpunkt stand. Organisator
war das “Studienzentrum für Nachhaltige
Entwicklung” (SNE), das an der HE fakultätsübergreifend arbeitet.
Den Auftakt der Veranstaltung, die von
GU-Professor Dr.-Ing. Thomas Rohrbach in seiner Eigenschaft als stellvertretender Leiter des Instituts für nachhaltige Energietechnik und Mobilität (INEM)
moderiert wurde, machte die Begrüßung
durch den HE-Rektor Prof. Dr. rer. nat.
Christian Maercker. Dieser betonte,
dass viele den Begriff “Nachhaltigkeit”
wohlfeil im Munde führten. Der HE genüge Reden allein nicht; vielmehr arbeite
man in Esslingen konkret an den Fragen
der Nachhaltigkeit in der Gebäudetechnik, bei der Energiebereitstellung und
beim Umweltschutz, bei der Fertigungstechnik, auf dem Feld der Mobilitätskonzepte, in der Biotechnologie sowie im
familiären und gesellschaftlichen Bereich. Er sei zuversichtlich, dass der
Gedanke der Nachhaltigkeit an der HE in
Lehre und Forschung künftig stets gegenwärtig sei.
Esslingens Neue Weststadt: Hier entsteht auch der neue Campus der HE.
Danach begrüßte Prof. Dipl.-Ing. Gerhard Fetzer die Zuhörer in seiner Funktion als Dekan der Fakultät Gebäude
Energie Umwelt (GU). Er betonte, dass
sich die Thematik der Nachhaltigkeit an
der Hochschule konsequent weiterentwickelt habe. Freilich sei dies kein
“Selbstläufer”, sondern belaste seine
Professorenkollegen zusätzlich, die
schon bisher an ihrer Belastungsgrenze
arbeiteten.
In der Fakultät GU sei man sich bewusst,
dass technische Strukturen - etwa Gebäude, die Energieversorgung sowie die
Wasser- und Abwassersysteme - über
mehrere Generationen hinweg genutzt
würden; deshalb seien sie nachhaltig zu
planen, zu bauen und zu betreiben,
wobei freilich die Wirtschaftlichkeit nicht
vernachlässigt werden dürfe.
Interdisziplinäre Lehr- und
Lernformate zur Nachhaltigkeit
Den ersten Vortrag übernahm GUProfessor Dr.-Ing. Hermann Knaus,
unterstützt durch Dr. phil. Oliver Siemoneit. Im Leitbild der Hochschule Esslingen sei die Nachhaltigkeit wie folgt ver-
Vorträge zum Thema “Nachhaltigkeit”
1
Tag der Nachhaltigkeit an der Hochschule Esslingen
den Kerndisziplinen der Studiengänge
erforderlich. Insoweit werde der Aufbau
nachhaltigkeitsrelevanter Kompetenzen
(vorerst) rein fachbezogen als "niederschwelliges Grundthema" in den Lehrveranstaltungen bzw. daneben auch als
Zusatzqualifikation angestrebt.
GU-Dekan Prof. Dipl.-Ing. Gerhard
Fetzer begrüßte die Zuhörer beim
“Tag der Nachhaltigkeit”.
ankert: "Wir handeln, lehren und forschen
in ökologischer, ökonomischer und sozialer Verantwortung." Man führe an der
HE ein - vom baden-württembergischen
Ministerium für Wissenschaft, Forschung
und Kunst gefördertes - befristetes IQFProjekt innerhalb des Programms "Stärkung des Beitrags der Wissenschaft für
eine Nachhaltige Entwicklung" durch. In
diesem Rahmen sei das Studienzentrum
für Nachhaltige Entwicklung (SNE) entstanden. Bei dessen Arbeit lege man auf
eine Unabhängikeit von Ideologien besonderen Wert.
Als realistische Ziele sollten neue Erfahrungen sowie das Stellen von erweiterten
Fragen an alte, bekannte Inhalte ermöglicht werden. Kern des allgemeinen Lehrkonzepts sei die Etablierung einer interdisziplinären Lehrveranstaltung "Grundlagen der Nachhaltigkeit". Es sei Interdisziplinarität erforderlich, um neuartige
Lehr- und Lernformate umzusetzen. Man
starte mit einer Wahlpflichtveranstaltung
im Sommersemester 2016, wobei der
erste Teil als fächerübergreifende Einführung und der zweite Teil als fachspezifische, anwendungsorientierte Veranstaltung konzipiert werde.
Da die Hochschulen für Angewandte
Wissenschaften in erster Linie berufsqualifizierend arbeiteten, sei eine fundierte, uneingeschränkte Ausbildung in
2
Konzepte für eine
Kreislaufwirtschaft beim Bauen
Im zweiten Vortrag ging Dr.-Ing. Peter
Mösle, in leitender Funktion im Ingenieurunternehmen Drees und Sommer tätig, auf Möglichkeiten einer Kreislaufwirtschaft im Gebäudesektor ein. Zu Beginn
stellte er fest, dass rund 30 bis 40 % aller
CO2-Emissionen in Deutschland dem
Gebäudebereich zuzuordnen seien verursacht durch den Bedarf an Endenergie für die Wärmeversorgung, die Klimatisierung und die Dienstleistungen,
die mit der elektrischen Energie zusammenhingen.
Daneben würden etwa 40 bis 50 % des
Rohstoffbedarfs in Deutschland vom
Bausektor ausgelöst. Diese Zahlen verdeutlichten, dass Fragen der Nachhaltigkeit beim Bau, Betrieb und beim Abriss
von Liegenschaften erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden solle.
Prof. Knaus zeigte verschiedene Ausgangspunkte der Argumentation auf und
machte auf unterschiedliche, ethisch legitimierbare Auffassungen des Gerechten und Guten aufmerksam. Bedeutsam
seien auch Fragen einer unterschiedlichen Reichweite und eines unterschiedlichen Umfangs der Verantwortung sowie
die Annahme unterschiedlicher Wirkmechanismen.
Konkret konzentriere sich die Arbeit am
SNE auf eine Stärkung des Themas
"Nachhaltige Entwicklung in der Lehre
und Weiterbildung”, auf das Angebot eigener Lehrveranstaltungen, auf die Unterstützung bei der Weiterentwicklung bestehender Lehrangebote und auf Weiterbildungsangebote für Professoren und
Professorinnen sowie Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen. Es solle ein "forschendes Lernen" in Reallaboren und neuen
inter- und transdisziplinären Lehr- und
Lernformaten vermittelt werden. Auch
gehe es um die Durchführung von fakultätsübergreifenden Praxisprojekten und
Abschlussarbeiten mit dem Schwerpunkt
der nachhaltigen Entwicklung.
schreibung und Begleitung von Abschlussarbeiten gefördert. Zum Ende
seines Vortrags wies der Referent auf
die Aktivitäten des SNE im Rahmen der
Reihen “Zukunftskino”, “Zukunftsfragen”
und des “Zukunftstalk” hin.
Prof. Dr.-Ing. Hermann Knaus und
Prof. Dr.-Ing. Thomas Rohrbach
Auch stünden im Innovationsfond
"Nachhaltigkeit" Fördergelder für Lehrund Forschungsprojekte mit inhaltlichem
Bezug zu Nachhaltigkeit bzw. einem
nachhaltigen Forschungsdesign zur Verfügung.
Man wolle unterstützend wirken bei der
Ideenfindung, Erarbeitung, Beantragung
und Weiterentwicklung des jeweiligen
Projekts, dem Finden von Forschungspartnern usw. Auch sei die Verknüpfung
der Bereiche "Lehre" und "Betrieb" wichtig. Als Beispiel nannte Prof. Dr.-Ing.
Knauf die Umsetzung eines ganzheitlichen Fahrradkonzepts für die Hochschule Esslingen zur Verbesserung der
infrastrukturellen Bedingungen für Radfahrer und zur Förderung der Radkultur.
Weiter würden die interdisziplinäre Aus-
Das Unternehmen Drees und Sommer
habe sich dieser Aufgabenstellung angenommen. Mit Blick auf die internationale
Kundschaft habe man das Markenzeichen “C2C” entwickelt - ein Kürzel für
den Anglizismus “Cradle to Cradle”. Nur
schwäbische Zuhörer standen in der Gefahr, dies mit dem Begriff “Krattel” zu verwechseln, mit dem ein Zustand menschlicher Eingebildetheit beschrieben wird.
Nein - “Cradle to Cradle” meine “Wiege
zu Wiege”: Das, was an Wertstoffen in
der 1. Generation von Gebäuden verbaut
worden sei, könne dazu dienen, bei der
Errichtung von Gebäuden der nächsten
Generation wiederverwendet zu werden.
Allerdings werde diese Aufgabenstellung
zunehmend anspruchsvoller, da die verbauten Gebäudekomponenten und -techniken - ähnlich wie etwa im Kraftfahrzeugbereich - immer komplexer würden
Dr.-Ing. Peter Mösle
Tag der Nachhaltigkeit an der Hochschule Esslingen
und ohne staatliche Aufgaben; sie sei
eine unabhängige Gemeinschaft von Experten. Rund 500 Ehrenamtliche seien in
den Arbeitsgruppen, Gremien und Beiräten tätig. Die DGNB verstehe sich als
Wissensplattform.
und deshalb die unterschiedlichsten
Werkstoffe enthielten.
Bisher habe es sich z. B. bewährt, den
beim Abriss entstehenden mineralischen
Bauschutt in Form von Schotter und Kies
wieder nutzen zu können - etwa als
Untergrundmaterial beim Straßenbau.
Weitere Materialien wie z. B. Fensterglas
könnten ebenfalls im Rahmen einer
Kreislaufwirtschaft einer wiederholten
Nutzung zugeführt werden. Impulse
hierzu gebe das Kreislaufwirtschaftsgesetz in Deutschland.
Dazu bestehe nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus wirtschaftlicher
Sicht ein erheblicher Anreiz, denn immerhin 20 bis 30 % der Baukosten entfielen auf die Materialkosten. In diesem
Zusammenhang seien z. B. auch die
verschiedenen wärmedämmenden Baustoffe näher zu betrachten, mit denen der
Energiebedarf z. B. zum Heizen während
der Gebäudenutzung vermindert werde.
Neue Weststadt Esslingen
sche Firma nachgewiesen, die im Rahmen eines Leasingkonzepts vollständig
wiederverwertbare Teppiche anbiete, die
zudem auch noch dazu beitragen könnten, die Innenraumluft ein Stück weit zu
reinigen. Nach Gebrauch würden die
Teppiche wieder zurückgenommen.
Drees und Sommer habe anhand einer
einzelfallbasierten Kostenuntersuchung
zeigen können, dass ein “C2C”-Bauprojekt gegenüber einem herkömmlichen
Bauprojekt bei einer Betrachtung über
einen Zeitraum von 20 Jahren eine rund
10 % höhere Wertschöpfung aufweise.
Der Referent zeigte sich überzeugt, dass
in der Bauindustrie zum Thema “Nachhaltigkeit” künftig wirksame neue Netzwerke entstehen würden.
Neue Weststadt Esslingen ein Vorzeigeprojekt
in Sachen Nachhaltigkeit
Kein Mangel an Photovoltaikanlagen
in der Neuen Weststadt
Den Planern im Gebäudebereich falle
hier ein interessantes neues Aufgabengebiet zu: Es gehe darum, gemeinsam
mit den Baustoffherstellern sortenreine
Baustoffe vorzusehen und schon in der
Planung zugleich an eine gute Trennbarkeit verschiedener Baustoffe beim späteren Abriss von Gebäuden zu denken.
Solche Erwägungen würden unter der
Bezeichnung “Design for Disassembly”
zusammengefasst.
Dr. Peter Mösle machte auch darauf aufmerksam, dass Baustoffe Allergien auslösen könnten. Dies betreffe z. B. den
Kunststoff PVC in Fensterrahmen oder
auch verschiedene Flammschutzmittel in
Baustoffen. In früherer Zeit hätten nur
etwa 2 % der Kinder über Allergien geklagt; heute seien es etwa 40 %. Deshalb spreche man in diesem Zusammenhang auch von einer “Entgiftung der Lieferkette”. Dass nachhaltige Konzepte
möglich seien, habe eine niederländi-
Im dritten Vortrag, der von Dipl.-Ing. Philip Schmal vom Planungsbüro Pesch &
Partner gehalten wurde, wurde das
Projekt “Neue Weststadt” in Esslingen
vorgestellt. Der Titel des Beitrags lautete:
“Neue Weststadt Esslingen - DGNBVorzertifikat in Gold für nachhaltige
Stadtquartiere“.
Der Referent erläuterte zunächst die
Struktur und die Zielsetzungen der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges
Bauen (DGNB): Es handle sich um eine
Organisation ohne kommerzielle Ziele
Die Nachhaltigkeit von Quartieren und
Standorten sei wichtig, weil bereits heute
die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebe; im Jahr 2050 würden es 70 %
sein. Dies sei eine Entwicklung mit erheblichen Folgen, da sich in den Städten
Ressourcen- und Energieverbrauch,
Emissionen und Flächenversiegelung
konzentrierten. Deshalb komme es hier
in besonderem Maße auf zukunftsorientierte Konzepte an. Quartiere spielten
also eine zentrale Rolle bei der nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft.
Im Folgenden ging Dipl.-Ing. Schmal auf
das Profil von Pesch & Partner ein: Man
verstehe sich als interdisziplinäres Team
mit etwa 30 Mitarbeitern aus den Fachrichtungen Architektur, Stadt- und Raumplanung, Landschaftsarchitektur, Immobilienwirtschaft, Grafikdesign und Öffentlichkeitsarbeit. Kommunen würden bei
der Vorbereitung und Durchführung von
Stadtentwicklungs- und Stadterneuerungsprozessen kontinuierlich unterstützt. Stadtentwicklungsprozesse bedürften angepasster Lösungsansätze
und Prozessstrukturen, die auf die individuellen Rahmenbedingungen vor Ort eingingen; dabei würden inhaltlich-strategische Zielsetzungen mit dem räumlichen
Umsetzungsrahmen verknüpft.
Die Stadt Esslingen habe sich verpflichtet, den CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens 20 % zu senken. Es werde angestrebt, das neue Stadtquartier Neue
Weststadt durch die DGNB zertifizieren
zu lassen. Der Grundstein für eine gute
Beurteilung werde durch eine frühzeitige
Berücksichtigung der Kriterien für nachhaltiges Bauen gelegt. Die DGNB wende
inzwischen ihr “Zertifizierungssystem der
2. Generation” an. Bei diesem ganzheitli-
Block B der Neuen Weststadt Esslingen
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Tag der Nachhaltigkeit an der Hochschule Esslingen
chen Ansatz würden die wichtigsten
Nachhaltigkeitsaspekte im folgenden
Umfang abgedeckt: die ökologische
Qualität zu 22,5 %, die ökonomische
Qualität zu 22,5 %, die soziokulturelle
und funktionale Qualität zu 22,5 %, die
technische Qualität zu 22,5 % und die
Prozessqualität zu 10 %.
Dipl.-Ing. Schmal gab darauf eine Übersicht der Kriterien, die auf den Neubau
von Stadtquartieren angewandt würden:
Bei der Berücksichtigung ökologischer
Maßstäbe gehe es um die Ökobilanz,
den Gewässer- und Bodenschutz, die
Veränderung des Stadtteilklimas, die Artenvielfalt und Vernetzung, die Berücksichtigung von möglichen Umwelteinwirkungen, die Flächeninanspruchnahme,
den Gesamtprimärenergiebedarf und
den Anteil erneuerbarer Primärenergien,
eine energieeffiziente Bebauungsstruktur, eine ressourcenschonende Infrastruktur, das Erdmassenmanagement,
die lokale Nahrungsmittelproduktion und
Wasserkreislaufsysteme.
Bei der Anwendung ökonomischer Maßstäbe stünden die Lebenszykluskosten,
die fiskalische Wirkung auf die Kommune, die Wertstabilität und die Flächeneffizienz im Blickfeld.
Bei der Beurteilung soziokultureller Gesichtspunkte seien die soziale und funk-
zung von Bestandsbereichen und die
Kunst im öffentlichen Raum von Belang.
Bei der Anwendung technischer Maßstäbe stünden die folgenden Aspekte im
Vordergrund: die Energietechnik, die effiziente Abfallwirtschaft, das Regenwassermanagement, die IT- und Kommunikationsinfrastruktur, die Instandhaltung,
Pflege und Reinigung, die Qualität der
Verkehrssysteme, die Qualität der MIVInfrastruktur, die Qualität der ÖPNV-Infrastruktur, die Qualität der RadverkehrInfrastruktur und die Qualität der Fußgänger-Infrastruktur.
Die Umsetzungsstrategie für die DGNBZertifizierung der Neuen Weststadt habe
inzwischen den folgenden Stand erreicht: Die Überarbeitung des Rahmenplans nach Erkenntnissen der DGNBZertifizierung für den Neubau von Stadtquartieren sei erfolgt. Die Beauftragung
eines Energieschutzkonzepts mit dem
Ziel eines CO2-neutralen Stadtquartiers
sei im Rahmen des Pilotprojekts “Smart
City” erfolgt. Die Beauftragung eines
Regenwasserbewirtschaftungskonzepts
und eines Entwässerungskonzepts sei
erfolgt. Der Schutz, der Erhalt und die
Pflege wichtiger Biotopstrukturen sei im
Rahmen des Projekts “Renaturierung
Rossneckar” erfolgt. Die Installation eines Expertengremiums zur Sicherung
der hohen Gestaltungsqualität sei erfolgt.
gesehen sei. Weiter wies Dipl.-Ing.
Schmal auf den Realisierungswettbewerb "Baublock B" hin und zeigte die
entsprechenden Entwürfe hierzu. Unter
anderem lehne sich die Fassadengestaltung an den industriellen Habitus der
bestehenden Weststadt an; auch werde
die Neue Weststadt als CO2-neutrales
Quartier verwirklicht, daneben hätten innovative Systeme zur nachhaltigen Mobilität (u. a. die E-Mobilität) Bedeutung.
Man unterschreite die Werte der Energieeinsparverordnung in der derzeit gültigen Fassung (EnEV 2014) um 50 % und
könne die folgenden Wasser-Abflussbeiwerte einhalten: Gebäude = 0,3; Hofflächen = 0,5. Schließlich sei die architektonische Auseinandersetzung mit dem
Thema Lärmschutz erfolgreich gewesen.
Der Vortragende fasste den Nutzen des
DGNB-Zertifizierungssystems in der folgenden Weise zusammen: Es diene als
Kommunikations- und Planungswerkzeug (insbesondere bei großen Projekten mit vielen Beteiligten), als Instrument
zur Qualitätssicherung und sei eine
wichtige Argumentationshilfe im Dialog
mit der Öffentlichkeit; weiter stelle es
eine Hilfe bei Vertragsregelungen dar,
und schließlich sei es ein gutes Marketinginstrument.
O
Der vierte Vortrag wurde von Dipl.-Ing.
(FH) M.Sc. Christian Luft vom Unternehmen Drees & Sommer beigesteuert.
Er referierte über die DGNB-Zertifizierung des neuen Laborgebäudes der
Fakultät Gebäude Energie Umwelt. Es
sei zu erwarten, dass die ökologische,
wirtschaftliche und soziokulturelle Konzeption des Gebäudes zu einer DGNBZertifizierung zumindest in der Qualitätsstufe “Silber” führe. (Ein ausführlicher Bericht hierüber ist anlässlich der Einweihung des GU-Laborgebäudes vorgesehen, so dass an dieser Stelle von einer
Darstellung abgesehen wird.)
O
Vernetzte Techniken für die
Energiebereitstellung
und -anwendung
Freigewordene Flächen des Esslinger Güterbahnhofs und der Industrieareale
tionale Mischung, die soziale und erwerbswirtschaftliche Infrastruktur, die objektive und subjektive Sicherheit, die Aufenthaltsqualität in öffentlichen Räumen,
der Lärm- und Schallschutz, das Freiraumangebot, die Barrierefreiheit, die
Nutzungsflexibilität und Bebauungsstruktur, die städtebauliche Einbindung,
die städtebauliche Gestaltung, die Nut4
Die Beteiligung der Öffentlichkeit über
einen intensiven Dialog zur Zukunft
Esslingens sei ebenfalls erfolgt.
Das Projekt Neue Weststadt sei auch für
die Hochschule Esslingen von Interesse,
da hier der neue Hochschulcampus
entstehen solle, der als Ersatz für den
Hochschulstandort Flandernstraße vor-
Im fünften Vortrag des Nachhaltigkeitstages berichtete Dipl.-Ing. Helmut Seiwald als Mitarbeiter der Ingenieurgesellschaft EGS-plan über die “Neue Weststadt Esslingen - Energieoptimiertes
Stadtquartier - dezentrale und solare
Energieversorgung” .
Er benannte als Zielsetzung, die Neue
Weststadt Esslingen als “CO2-neutrales
Stadtquartier mit einer optimalen Inte-
Tag der Nachhaltigkeit an der Hochschule Esslingen
Contracting, die RVI GmbH Saarbrücken
als Investor des Areals Ost, die SIZ-EGS
Stuttgart als Antragsteller und Konzeptersteller, die IGS (TU Braunschweig) für
die Entwicklung von Simulationstools sowie das INEM der Hochschule Esslingen.
Neue Weststadt Esslingen: Im Vordergrund (Mitte) des Bildes gelegen
gration von erneuerbaren Energien" zu
konzipieren. Die CO2-Neutralität solle
sich in einer Jahresbilanz für den gesamten Gebäudebetrieb (Wärme, Kälte,
Lüftung und Beleuchtung) einschließlich
des Nutzerstroms ergeben.
Hierzu solle die Vernetzung dezentraler
erneuerbarer Energie-Versorgungssysteme mit einem übergreifenden Informationsnetz (Smart Grid) verhelfen; daneben sei die Einbindung in die urbane
Infrastruktur (z. B. auch ins Strom- und
Gasnetz) wesentlich, und es werde ein
hoher Erfüllungsgrad nachhaltiger Kriterien angestrebt.
Die Stromerzeugung solle mithilfe großflächiger Photovoltaik(PV)-Anlagen und
mit einem gasbetriebenen Blockheizkraftwerk (BHKW) verwirklicht werden,
wobei der erzeugte PV-Strom im Winter
fast vollständig direkt nutzbar sei, während er im Sommer zu maximal 50 bis 60
% selbst genutzt werden könne. Über
mögliche Probleme bei der Vermarktung
des sommerlichen PV-ÜberschussStroms - teilweise zu negativen Abnahmepreisen - wurde nichts ausgesagt.
sowie Batterien in Elektrofahrzeugen
einsetzen. Schließlich denke man auch
an eine Elektrolyseanlage, um mit selbst
erzeugtem Strom Wasserstoff (H2) sowie
ggfs. Methan (CH4) zu erzeugen. Man
habe zur Finanzierung des - nicht ganz
billigen - Gesamtvorhabens einen Projektantrag beim Bundesminsterium für
Wirtschaft und Energie (BMWi) gestellt.
In Phase 1 sei eine umsetzungsorientierte Planung vorgesehen, die eine Grundlagenanalyse, Konzeptentwicklung, Bedarfsermittlung sowie eine technische,
wirtschaftliche und ökologische Bewertung von Techniken umfasse. In Phase 2
werde die bauliche Realisierung, die Implementation von Wärme- und Stromerzeugern, der Speicher-Komponenten
und des Energiemanagements angestrebt, und in Phase 3 sei die wissenschaftliche Begleitung des Betriebs vorgesehen, wozu ein Monitoring und eine
Betriebsoptimierung gehörten.
Als Projektpartner seien vorgesehen: die
Stadt Esslingen für die Koordination und
das Mobilitätskonzept, die Stadtwerke
Esslingen für Energieversorgung und
Der Referent nannte Beispiele für zu untersuchende Techniken in Phase 1: die
Solarisierung z. B. mit PV-Fassadenmodulen, die Anwendung der LED-Beleuchtungstechnik, verschiedene Wärmepumpen-Quellen wie etwa tiefe Erdwärmesonden, Bodenabsorber, Grundwasser,
Flusswasser, Abwasser sowie Außenluft
und Abluft. Auch wolle man die VRFWärmepumpentechnik, thermische Saisonspeicher auf Quartiersebene und die
Verbindung der Areale durch eine Niedertemperaturschiene (kalte Fernwärme)
untersuchen. Die Grundlage bildeten energieeffiziente Gebäude mit einem reduzierten Energiebedarf. Verbraucherseitig
hätten Gewerbebetriebe auf eine Klimatiserung von Räumen zu verzichten. O
Lösungen für die
Optimierung des Gebäudebetriebs
In einem weiteren Vortrag, der von Prof.
Dr.-Ing. Markus Tritschler aus der Fakultät GU gehalten wurde, ging es um
das Thema "Monitoring als Erfolgsgarant für den Betrieb von Gebäuden".
Der Referent benannte zunächst die
Randbedingungen bei neuen Gebäuden:
Diese wiesen einen hohen Technisierungsgrad auf, hätten gestiegenen Nutzeranforderungen zu genügen, sollten
behaglich und zugleich sicher sein, enthielten eine heterogene technische Ausstattung und hätten hohen gesetzlichen
Anforderungen an die Energieeffizienz
gerecht zu werden.
Da Stromangebot und -nachfrage nicht
zeitlich und mengenmäßig übereinstimmten, sei vorgesehen, Optimierungspotenziale durch Wärmespeicherung
und Stromspeicherung zu erschließen
und danaben auch ein Strom-Lastmanagement bei den örtlichen Haushalten
und Gewerbebetrieben durchzuführen.
Auch werde an eine Zu- und Abschaltung von Wärmeerzeugern je nach Lastanforderung im Stromnetz gedacht; dazu
könne eine elektrische Wärmepumpe mit
Wärmespeicher herangezogen werden.
Weiter solle das BHKW mit einem Wärmespeicher ausgerüstet werden; zusätzlich sollten die Gebäudemassen als thermische Speicher dienen. Stromseitig
wolle man auch stationäre Batterien
Stromerzeugung und Strombedarf: Untersuchung verschiedener Varianten
5
Tag der Nachhaltigkeit an der Hochschule Esslingen
Diesen Randbedingungen suche man
mit dem technischen Monitoring zu entsprechen. Das Monitoring konzentriere
sich auf die Unterstützung des Inbetriebnahmeprozesses, um schneller zum Regelbetrieb zu kommen, und sorge dafür,
dass die Nutzer dabei nicht quasi als
"Versuchskaninchen" missbraucht würden. Das technische Monitoring diene
auch dazu, den Nachweis der zugesagten Eigenschaften und Funktionen
des Gebäudes zu erbringen.
Das technische Monitoring habe auch
das Ziel, einen bedarfsgerechten Anlagenbetrieb sicher zu stellen, wobei
dessen Optimierung unter den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit, der Energieeffizienz und Nachhaltigkeit zu erfolgen habe; gleichzeitig solle damit auch
das Nutzerverhalten erkannt werden und
als Grundlage für Beratungen fungieren.
Schließlich könne mit dem MonitoringVerfahren eine umfangreiche Dokumentation erstellt werden.
Das Monitoring und die Betriebsoptimierung im Facility-Management (FM) würden in der Richtlinie VDI 6041 behandelt.
Dabei werde zwischen dem technischen
Anlagenmonitoring (T-MON: beobachten, erfassen, auswerten, darstellen, anwenden, umsetzen), dem kaufmännischen Monitoring (K-MON: Verträge,
Aufträge) und dem infrastrukturellen Monitoring (I-MON: Fuhrpark, Reinigung)
unterschieden.
Das technische Monitoring sei als Management-Prozess zu verstehen, wobei
es nicht nur bei der Inbetriebnahme
helfe, sondern auch als dauerhafter
Bestandteil des Gebäudebetriebs eingebunden werde. Demgemäß werde zwischen dem Einregulierungsmonitoring
(ERM) und dem Langzeitmonitoring
(LZM) differenziert.
Smart Economy
Smart Communication
Neue Weststadt
Smart Energy
6
E-Smart
Smart City Planning
Smart Mobility
Smart City Governance
Esslingen: Künftig voll versmartet
Im zweiten Teil seines Vortrags stellte
der Referent die umfassenden Ergebnisse eines Forschungsvorhabens vor, das
sich auf eine größere Liegenschaft der
Kreissparkasse Göppingen bezogen habe. Als eines von zahlreichen Ergebnissen, die dabei gewonnen worden seien,
konnte er belegen, dass dabei durch
Verfahren der Betriebsoptimierung 15 %
Energie eingespart worden seien.
O
Oberbürgermeister Jürgen Zieger:
Esslingen gestaltet
seine städtische Zukunft
Mit besonderem Interesse verfolgten die
Zuhörer den Beitrag des Oberbürgermeisters der Stadt Esslingen, Dr. Jürgen
Zieger, der seine beruflichen Erfahrungen als gelernter Architekt in seinen Vortrag einfließen ließ. Zu Beginn hob er
Verkehrskonzepte
in Esslingen
Smart City
(smart (engl.): gescheit; gerissen; scharf)
"Data Mining" (Zeitreihenanalysen, neuronale Netze, Kohonenkarten SOM u. ä.)
sowie eine statische Prozesskontrolle
eingesetzt werden könnten.
Als Monitoringmethoden dienten manuelle Verfahren (Zähler bzw. Messinstrumente ablesen) sowie automatisierte
Verfahren, bei denen Systeme mit Messund Erfassungskonzepten zum Zuge
kämen und Behaglichkeitsmessungen
wie auch Nutzerbefragungen eine Rolle
spielten.
Prof. Dr.-Ing. Tritschler ging sodann auf
Methoden zur Überwachung und Fehlererkennung ein und verwies auf Gesichtspunkte der klassischen Grenzwertüberwachung, des diagnostischen Schließens, der physikalischen Modellbildung,
der Gebäude- und Anlagensimulation
sowie der Emulation; hilfreich seien auch
datengetriebene Methoden, wobei das
Smart Living
hervor, dass die Stadtentwicklung ein
Thema von globaler Bedeutung sei, da
mehr als 50 % der Weltbevölkerung in
Städten lebe. Immer deutlicher zeige es
sich, dass sich die großen Herausforderungen in den Städten bündelten: Ob
moderne Mobilität, neue Kommunikationsmöglichkeiten oder Wirtschaft 4.0 die Digitalisierung erreiche alle Bereiche
des täglichen Lebens und verändere den
Alltag der Menschen in vielerlei Hinsicht.
Dies gelte auch für die gesellschaftliche
Herausforderung durch die Demografie.
Nachhaltigkeitsziele seien für die Städte
von morgen entscheidend, aber zusätzliche Dimensionen wie Resilienz oder
Wandlungsfähigkeit gegenüber zunehmenden Extremsituationen und sich verändernden Rahmenbedingungen erforderten neue Herangehensweisen, Strategien und Infrastrukturen.
Im Folgenden ging Dr. Zieger auf Vorstellungen ein, wie die Stadt aussehe, in
der die Menschen von morgen leben
Tag der Nachhaltigkeit an der Hochschule Esslingen
wollten. Hierzu verwendete er den Begriff "Smart City": Dahinter verberge sich
die Idee einer intelligenten, digitalisierten und vernetzten Stadt der Zukunft, die
insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Energie, technische Infrastruktur,
Gebäude, Dienstleistungen, Mobilität
und Verwaltung ihren Ausdruck finde. Alle diese Themen beschäftigten auch die
Entscheidungsträger in Esslingen. Das
Pilotprojekt dafür sei das Quartier der
Neuen Weststadt.
Zur so genannten “Smart Economy” gehöre auch das Zukunftsprojekt “Industrie
4.0”, dessen sich die Bundesregierung
und die Industrie annehme. Das Ziel sei
die "intelligente Fabrik", deren technologische Grundlage auch das so genannte
"Internet der Dinge" sei. Die großen Firmen in Esslingen seien Teil dieser Entwicklung. Ziel der Stadt sei es, auch die
Klein- und die mittelständischen Unternehmen zu motivieren. Es sei unverzichtbar, die Kraft des privaten Sektors
bei der Erneuerung der Infrastruktur und
der Anwendung vernetzter Technologien
für die Städte zu nutzen.
Auch sei die Stadt Esslingen mit ihrem
Konzept der “Smart Mobility”, zu dem der
moderne Zentrale Omnibusbahnhof
(ZOB) gehöre, auf dem Weg in die Zukunft. Durch einen attraktiven Öffentlichen Verkehr werde bei der Mobilität der
Umweltverbund den Individualverkehr
weiter ersetzen. Esslingen sei zudem ein
Teil der “Modellregion Elektromobilität
Region Stuttgart” und werde in diesem
Rahmen - zur Ergänzung der bestehenden O-Bus-Flotte - Elektro-Hybridbusse
beschaffen. Auch seien elektrische Kleinkraftfahrzeuge namens “E-Smart” Teil
des Stadtbilds; gleichermaßen nehme
die Zahl der Elektrofahrräder ständig zu.
Die Stadt stelle daher bisher schon 21
Ladesäulen zur Verfügung. Dazuhin
stellten Mobilitätsstationen die Schnittstellen von Verkehrsmitteln des Umweltverbundes dar; dort würden regional vernetzte Verleihsysteme wie Car2Go,
Stadtmobil und Zweiräder angeboten,
Oberbürgermeister Dr. Jürgen Zieger
wobei alles durch eine internetbasierte
Plattform in Echtzeit gesteuert werde.
Dr. Zieger ging sodann auf den Begriff
“Smart Energy” ein: Eine hohe Energieeffizienz sowie die Nutzung erneuerbarer
Energien seien im Gebäudebereich essentiell. Sowohl Neubauten als auch Bestandsgebäude sollten aus seiner Sicht
einen hohen Standard aufweisen, damit
der Energieverbrauch begrenzt werde.
Die unbedingt erforderliche Energie solle
weitgehend durch erneuerbare Energien
abgedeckt werden.
Mit dem Beitritt zum Klimabündnis habe
sich die Stadt dazu verpflichtet, bis 2020
25 % der CO2-Emissionen einzusparen.
Ein unabhängiges Institut habe festgestellt, dass durch die umgesetzten Maßnahmen aus dem Klimaschutzkonzept
bis 2014 bereits 13,5 % eingespart worden seien.
Mit dem Begriff “Smart Living” sei gemeint, dass so genannte “Smart Cities”
den Menschen den Alltag erleichterten
und durch technische Innovationen unterstützten. Ein Teilgebiet sei das “Ambient Assisted Living” (AAL). Dieses Wortungeheuer stehe für Aufgaben, mit denen offene Fragen des demographischen Wandels gelöst werden könnten:
Der demographische Wandel drohe die
sozialen Systeme zu überfordern. Innovative Technik und Assistenzsysteme
könnten dabei helfen, die massiven Kostensteigerungen im Gesundheitswesen
mit aufzufangen. Der Trend zum Alleinleben und steigende Ansprüche an die
Lebensqualität stellten erhöhte Anforderungen. AAL-Technologien ermöglichten
es, den steigenden Komfort- und Sicherheitsbedürfnissen gerecht zu werden
und die Kommunikation und Integration
mit dem sozialen Umfeld zu erleichtern.
Der Notfallknopf als Armband, intelligenter Boden, der einen Sturz melde, eine
App auf dem Smartphone, die an die
Medikamenteneinnahme erinnere, seien
nur der Anfang. Die Hochschule Esslingen habe bereits Projekte dazu umgesetzt. Dazu würden auch bauliche Anpassungen an Wohnräume und öffentliche Räume erforderlich.
Mit einem weiteren Begriff - dem “Smart
City Planning” werde ausggedrückt, dass
die Ziele einer nachhaltigen Stadtentwicklung in einem offenen Planungs- und
Beteiligungsprozess in räumliche Entwicklungsaussagen transformiert würden. Technische und infrastrukturelle
Voraussetzungen müssten geschaffen
werden, um Produkte, Mobilität und
Alt werden in Esslingen mit “Ambient
Assisted Living” (AAL)
Dienstleistungen für den Menschen im
urbanen Umfeld bereitzustellen.
Der zu erwartende Klimawandel erfordere die Resilienz der Stadtsysteme. In einem Projekt der Region sei die Empfindlichkeit der Region Stuttgart vor allem
durch Extremwetterereignisse wie Starkregen und Dürreperioden dargestellt
worden. Daraus wolle man lernen.
Die Stadt beteilige sich daher zusammen
mit Ludwigsburg an einem weiteren Projekt der Region zur Klimaanpassung. Entstehen solle ein Layer zum Flächennutzungsplan. Der Flächennutzungsplan sei
ein Instrument, mit dem die nachhaltige
Entwicklung zu einer so genannten
Smart City geebnet werde.
Oberbürgermeister Zieger machte sodann auf den - aus dem Mittelalter stammenden - Stadtkern Esslingens aufmerksam; dort seien jahrhundertelang qualitätvolle Quartiere genutzt worden - das
sei wirklich nachhaltig! Die engen Gassen böten im heißen Sommer Schatten,
und die effiziente Nutzung der Flächen
sei vorbildlich.
Mit gespannter Aufmerksamkeit warteten
die Zuhörer auf weitere Anglizismen.
Erfreut nahmen sie zur Kenntnis, dass
sie in Hinkunft als Bürger Esslingens mit
“Smart City Governance” durch die Weltläufte geführt werden könnten: Denn eine
nachhaltige Stadtentwicklung erfordere
offene, transparente Planungs- und
Beteiligungsprozesse.
Vernetzte Technologien befähigten Bürgerinnen und Bürger zu einer verstärkten
Kooperation. Die Stadt betreibe einen
umfangreichen Beteiligungsprozess zur
Stadtentwicklung. Zur Vermittlung der
Klimaschutzziele gehe sie auf die Bürgerschaft zu - etwa mit Kampagnen wie
dem “Klimafest in der Ritterstaße” und
dem Esslinger Energiezentrum in bester
Einkaufslage.
7
Tag der Nachhaltigkeit an der Hochschule Esslingen
Im Bereich der Neuen Weststadt solle
ein mustergültiges Quartier als Pilotprojekt entstehen; einen wesentlichen Beitrag dazu werde der neue Campus der
Hochschule leisten. Mit der Neuen Weststadt entstehe in zentraler Lage eine
“Smart City” als CO2-neutrales Quartier
mit dem Einsatz neuester Techniken.
Wichtig sei bei der Realisierung eines
solchen Projektes die frühzeitige Einbeziehung der Investoren.
O
Mit Lehm in die Zukunft
Den letzten Vortrag steuerte Prof. Dipl.Ing. Arch. Martin Haas bei, der über
“Nachhaltige Stadtplanung” sprach.
Der Vortragende betonte zunächst die
Bedeutung einer zukunftszugewandten
Stadtplanung, die der globalen Tendenz
zur Verstädterung gerecht werde. Er
bedauerte, dass heutzutage noch überwiegend nach den Grundsätzen der 50er
Jahre des vergangenen Jahrhunderts
geplant werde, wobei die menschlichen
Funktionen Leben, Wohnen, Arbeiten
und Einkaufen jeweils getrennt seien.
Demgegenüber sei die Suche nach einer
neuen Gesellschaftsform angesagt, in
der die individuellen Lebensstile der Zukunft verwirklicht werden könnten. Globale Trends solcher Lebensstile würden
durch zeitgeistig-modische Begriffe wie
CommuniTeens, InBetweens, Young
Globalists, VIB-Families, Latte-Macchiato-Familien, Netzwerk-Familien, TigerLadies, Silverpreneure und Greyhoppers
charakterisiert.
Prof. Haas illustrierte seine Auffassungen sehr unterhaltsam mit vielfarbigen
Bildern städtischer Szenerien, mit denen
er die geglückte Verbindung von Arbeiten, Wohnen und Freizeitgestaltung in
neu konzipierten, attraktiven Innenstädten
unterstrich. Hiervon gingen positive Im-
Aus der Bildergalerie von Prof. Haas:
Silverpreneure und Greyhoppers heute mal nicht auf der Suche nach
ihren Tiger-Ladies, sondern beim Relaxen in nachhaltig geplanten Cities
8
Ganz schön lehmig: Der “Alnatura-Campus” in Darmstadt
pulse in Richtung von mehr Gesundheit
und Lebensqualität aus.
Im Gegensatz dazu sei die traditionelle
Stadtplanung durch getrennte Konzepte
hinsichtlich Gebäude, Verkehrswesen
und weitere Infrastrukturen geprägt,
wobei insbesondere die gegenwärtigen
Suchbild: Wo steckt die Latte-Macchiato-Familie?
Konzepte der individuellen Mobilität oft
belastend seien. Er versprach sich von
der - mit Kleinstfahrzeugen namens
CityCar und Roboscooter verwirklichten Elektromobilität Besserung. Dadurch gewonnene Freiräume sollten für eine entspannende Kommunikation in öffentlichen Lebensräumen genutzt werden. Als
Beispiel verwies er auf das neue Unilever-Gebäude im Hamburg, bei dem eine große begeh- und besitzbare Freitreppe die Verbindung zum Elbufer mit
seiner gelungenen Promenade herstelle.
Im Folgenden erläuterte Prof. Haas seine Vorstellungen von urbanen Versorgungskonzepten. Dabei zeige sich, dass
die verdichtete Stadt, die mit kurzen Wegen eine Verbindung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit ermögliche, ein sinnvolles Konzept sei. Die Kriterien zukünftiger Stadtentwicklung seien sozialer
Fortschritt, Umweltbewusstsein und Wirtschaftlichkeit. Darin hätten auch Energieeffizienz und erneuerbare Energien
ihren festen Platz. Ein solches Konzept
sei jüngst in einem Stadtteil Prags verwirklicht worden.
Als weiteres Beispiel stellte der Referent
den “Alnatura Campus” in Darmstadt vor.
Für dieses Gebäude seien nachwachsende Baustoffe wie Holz sowie Naturstoffe wie gestampfter Lehm und Lavaschotter sowie gut rückbaubare Baustoffe wie Ziegel eingesetzt worden.
Insgesamt gesehen ergebe sich eine klimaneutrale Bilanz sowie ein angenehmes Raumklima. Wegen der Wärmespeicherfähigkeit des Gebäudes komme
man ohne ein konventionelles Heizsystem aus. Porosität und Struktur der
Innenwände aus Lehm verbesserten
nicht nur das Raumklima, sondern könnten auch unangenehme Gerüche und
Schadstoffe binden und hätten akustische Vorzüge. Weiter betrage die “graue
Energie”, die in der Herstellung der
Baustoffe stecke, lediglich 30 % einer
konventionellen Fassade.
Prof. Haas empfahl zum Abschluss seines Vortrags, Lebensräume der Zukunft
nachhaltig zu gestalten, und ermunterte
die Zuhörer, sich für das nachhaltige
Bauen einzusetzen.
O
Da legst Dich nieder: Fahrradgerechte Innenstadt
als staatsähnliche
Institution, die den
einzelnen Nationalstaaten übergeordnet sei; dies legt z.
B. der Reisepass
der Bundesrepublik
Deutschland nahe.
Tatsächlich tragen
die Nationalstaaten
in Europa nach wie
vor die Hauptverantwortung für ihre
Bürger. Das Gebilde
Europa ist nur teilweise demokratisch
legitimiert; um seinen Zusammenhalt
zu sichern, wurden
inzwischen rechtsstaatliche Grundsätze aufgegeben: Der
Erhalt des Euro als
Währung war und
ist nur auf der Basis
von Vertragsbrüchen erheblichen Ausmaßes möglich; die Transferunion ist
Wirklichkeit geworden.
Von Bildern, Visionen,
Assoziationen
und Wirklichkeiten
Das neue Laborgebäude der Fakultät
GU: Steht es wirklich auf einer grünen
Wiese? Wölbt sich darüber ein blauer
Himmel ohne Unterlass? Drehen sich im
Hintergrund tatsächlich die Flügel dreier
Windkraftwerke? Hat man als Lenker
eines Elektromobils die Gewähr, sich zu
jeder Jahreszeit ohne Witterungsschutz
durch parkartiges Gelände bewegen zu
können? Lädt die Umgebung des Laborgebäudes zur Entspannung und zu gymnastischen Übungen ein?
GU-Studierende erliegen nicht der Versuchung, sich in solchen Vorstellungen zu
verlieren. Sie wissen: In Wirklichkeit ist
das jetzt entstehende GU-Laborgebäude eingezwängt zwischen mehreren
Altbauten. Ringsumher ist harter Asphalt,
von Wiesengrün fehlt jede Spur, Fahrradständer fehlen, Fahrzeugparkplätze
gibt es im übernutzten städtischen Umfeld ohnehin kaum. Warum? - Verständlicherweise muss das Land Baden-Württemberg sparen. Und so ist man realistisch geblieben und erleichtert, dass das
neue GU-Laborgebäude - nach jahrzehntelangem Bemühen - bald eingeweiht
werden kann. Und dennoch: Die Vision
von Studierenden von einer besseren
Zukunft ist nicht abhanden gekommen.
Etwas anderes ist es, wenn mit Bildern
und Assoziationen Politik gemacht wird
und der Anschein entsteht, als gäbe es
schon tragfähige Alternativen, und vorhandene, bewährte Lösungen könnten
bereits jetzt ohne Weiteres ersetzt werden. Beispiele dafür gibt es genug: So
wurde über Jahre hinweg der Eindruck
vermittelt, als gäbe es bereits ein Europa
Unterstützt von eingängigen Bildern und
Assoziationen wurde versucht, mithilfe
des “Bologna-Prozesses” einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu
schaffen - mit wenig Erfolg. Das DublinAbkommen zur Sicherung einheitlicher
Standards auf dem Feld der Migration
entfaltet bei den meisten Staaten keine
Wirkung mehr; von entsprechenden EUVertragsverletzungsverfahren gegen diese Staaten ist bisher nichts bekannt.
Den Bürgern wird bildhaft vermittelt,
dass der deutsche Arbeitsmarkt - trotz
drei Millionen Arbeitsloser - dringend
Fachkräfte brauche und deshalb in den
nächsten Jahrzehnten auf Zuwanderung
in großem Ausmaß angewiesen sei. Die
Vorstellung, eine europaweit einheitliche
Migrationspolitik gestalten zu können, ist
angesichts hoher Arbeitslosenzahlen in
südeuropäischen Staaten eine Illusion.
Der europäische liberalisierte Strom-Binnenmarkt kollidiert mit den deutschen Ambitionen, langfristig Strom überwiegend
aus erneuerbaren Energien zu erzeugen
und diesen vorrangig in die Netze einzuspeisen. Als Folge ist die Stromversorgung bereits heute unsicherer und teurer
geworden, und Unternehmen wie E.ON,
RWE, EnBW und Vattenfall, die in der
Vergangenheit die Hauptlast bei der Sicherung der Stromversorgung in Deutschland getragen hatten, können diese
Funktion nur noch teilweise erfüllen; ihr
Börsenwert ist dramatisch zurückgegangen.
Deutscher Reisepass
Zu allen diesen Entwicklungen werden
Bilder geliefert, die Assoziationen in der
gewünschten Weise hervorrufen sollen,
mit der Wirklichkeit jedoch oft wenig zu
tun haben. Viele Bürger fühlen, dass
solche Bilder keine Visionen vermitteln,
sondern nur propagandistisch von bestehenden Wirklichkeiten ablenken sollen.
Es wird offen vom Versagen des Journalismus und der Medien gesprochen.
Dass das assoziative politische Verfahren zur Karikatur werden kann, soll ein
konstruiertes, wirklichkeitsfernes Beispiel illustrieren: Welche Assoziationen
könnte etwa die Turmspitze der Esslinger
Liebfrauenkirche hervorrufen? - Erinnert
die Turmspitze, die zurzeit bautechnisch
saniert wird, an einen Turban? Ist dies
womöglich ein starkes Signal der Bürger
Esslingens, um zur Versöhnung von
Christentum und Islam aufzurufen?
Ist die Turmspitze ein Ausdruck von Willkommenskultur und ein Zeichen der Aufarbeitung jahrhundertelanger Konflikte
zwischen dem Heiligen Römischen
Reich Deutscher Nation und dem Osmanischen Reich? Hatte doch Sultan Suleiman der Prächtige 1529 die Stadt Wien
belagert, der - wie sein Ahnherr Mehmed
der Eroberer - einen Turban getragen
hatte, der stark an die Turmspitze der
Liebfrauenkirche erinnert. Wäre es angebracht, dass - als Zeichen geläuterten Bewusstseins - der deutsche Bundespräsident den türkischen Präsidenten für den
mangelnden Friedenswillen im Jahr 1529
um Verzeihung bitten sollte? - Fragen
über Fragen …
De
Esslingens Liebfrauenkirche
9
Das Ingenieurstudium erfolgreich abgeschlossen:
tung, wobei die Hochschule von einem
bedeutenden Unternehmen der Kraftfahrzeug-Zulieferindustrie gefördert werde. Weiter sehe es die HE als Aufgabe,
ihr Angebot an Masterstudiengängen zu
erweitern; dies betreffe zunächst den
Maschinenbau, die Informationstechnik
und die Bioprozesstechnik. Auch werde
die HE von mehreren Stiftungsprofessuren profitieren.
Rektor Maercker hob die vielen Berührungspunkte zwischen der Hochschule
und der Industrie in der Region Mittlerer
Neckar hervor, die sich in Form von Praxissemesterplätzen, Abschlussarbeiten
in den Firmen, Lehrbeauftragten sowie in
der Arbeit des “Vereins der Freunde der
Hochschule Esslingen” (VdF) zeigten.
Mit exzellentem Wissen
für den Arbeitsmarkt gerüstet
Die Anstrengung hat sich gelohnt: Zufriedene Mienen bei den Absolventen und
Absolventinnen der Fakultät Gebäude Energie Umwelt (GU)
Ende gut, alles gut - das war die Devise
für über 400 Absolventen und Absolventinnen, die sich zum Abschluss des Sommersemesters 2015 in der Esslinger
Stadthalle - dem “Neckarforum” - einfanden. In bester Stimmung feierten sie zusammen mit Eltern und Freunden das erfolgreiche Ende ihres Studiums. Freude
und Erleichterung waren ihnen ins Gesicht geschrieben.
Mit der Dynamik
der Gesellschaft Schritt halten
Zum Auftakt spielte das Hochschulorchester unter der Leitung von Steffi Bade-Bräuning ein Musikstück aus der
Oper “Porgy and Bess” von George
Gershwin. Danach begrüßte der Rektor
der Hochschule Esslingen, Prof. Dr. rer.
nat. Christian Maercker, die Absolventen sowie die zahlreichen weiteren Teilnehmer. Er beglückwünschte die Absolventen zu den erbrachten Leistungen
und ermunterte sie, ihre Fähigkeiten und
ihr Wissen selbstbewusst nach außen
hin zu vertreten. Die Hochschule Esslingen werde in der Wirtschaft sehr positiv
wahrgenommen; die frisch gebackenen
Ingenieure könnten zu dieser Wahrnehmung in erheblichem Maße beitragen.
Ein Problem sei inzwischen die Vielfalt
unterschiedlicher Hochschulzugangsberechtigungen. Eine weitere Öffnung für
ausländische Studierende werde nicht zu
einer Klärung dieses Sachverhalts beitragen. Es sei nunmehr ein neuer Studiengang “Elektromobilität” in Vorberei-
Im Anschluss beglückwünschte Dipl.Ing. (FH) Dietmar Ness als Vorstandsvorsitzender des Vereins der Freunde
der Hochschule Esslingen (VdF) die Absolventen zu ihrem erfolgreichen Studienabschluss. Sie könnten mithelfen,
den Vorsprung der Hochschule, die zu
den renommiertesten in Deutschlad gehöre, weiter auszubauen. Bei seiner Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung zeichnete er ein durchwachsenes
Bild - etwa im Blick auf Russland, die
Ukraine, China und Staaten, die vom
islamistischen Terror heimgesucht seien.
Positiv wertete er die Verständigung, die
mit dem Iran erreicht worden sei. Eine
große Herausforderung für Deutschland
und die EU stellten Flüchtlinge und
Wirtschaftsmigranten dar.
Als Vertreter der Stadt Esslingen überbrachte Bürgermeister Wilfried Wallbrecht die Glückwünsche an die Absolventen. Die HE sei ein würdiges Aushängeschild der Stadt und habe auch als
Standortfaktor Bedeutung. Die Planungen für den Hochschulneubau in der
Esslinger Weststadt kämen voran. Der
Bürgermeister übergab sodann die Ehrenpreise der Stadt an besonders erfolgreiche Absolventen und Absolventinnen.
Im Anschluss daran richtete Göppingens
Bürgermeisterin Gabriele Zull Grußworte an die Absolventen. Sie lobte eine
Reihe gemeinsamer Aktivitäten von
Stadt und Hochschule - etwa das NWTBildungshaus im Zentrum Göppingens.
B.Eng. Ralph Schmid und M.Eng. Michael Dufner erhielten Preise für die besten Abschlüsse in den beiden Studiengängen der Fakultät GU. Rektor Prof. Dr.
Christian Maercker zeigte sich erfreut über die Spitzen-Absolventen der HE.
10
Darauf verlas Rektor Prof. Dr. Maercker
die Namen der Träger der vielen Firmenpreise und hob die Absolventen mit hervorragenden Gesamt-Abschlussnoten
hervor. Hierunter waren auch die GUAbsolventen M.Eng. Michael Dufner
und B.Eng. Reinhold Schmid, die die
Durchschnittsnoten von 1,3 bzw. 1,1 erreicht hatten.
Vielfältig: Die Themen
der Abschlussarbeiten
Auch im Sommsemester 2015 zeigten
die Studierenden mit ihren Abschlussarbeiten im Bachelor- und im Masterstudiengang der Fakultät GU, dass sie sich
schöpferisch mit einer großen Themenvielfalt auseinandersetzten: Das galt
sowohl für die in Industrie und Planungsbüros mitbetreuten Arbeiten als auch für
die Arbeiten im Institut für Versorgungstechnik (IVT), im Institut für Regelungstechnik (IRT) sowie im Institut für Nachhaltige Energie und Elektromobilität
(INEM). Und das waren die Themen:
Bachelorarbeiten:
GU-Dekan Prof. Gerhard Fetzer beglückwünschte B.Eng. Sebastian Nehf
zu seinem erfolgreich erworbenen
Doppelabschluss in Esslingen und
Shanghai.
Absolventen: Erfolgreich auf
dem langen Weg zum Abschluss
Danach erhielten die GU-Absolventen
und -Absolventinnen ihre Zeugnisse aus
den Händen des Dekans der Fakultät
Gebäude Energie Umwelt, Prof. Dipl.Ing. Gerhard Fetzer. Prof. Fetzer hob
deren zahlreiche Leistungen auf dem langen Weg zum erfolgreichen Abschluss
hervor. Nicht selten sei dabei auch die
menschliche Unterstützung von Angehörigen wichtig gewesen. Prof. Fetzer erwähnte schließlich auch die Baufortschritte beim GU-Laborneubau. Dieser
hat - obwohl er noch gar nicht fertiggestellt ist, von GU-Studierenden wegen
seines Aussehens bereits einen Spitznamen abbekommen: Er sei eine “Blechlesburg”, aus deren Schießscharten die
GU-Professoren auf alles zielten, was
nach Energievergeudung aussehe.
Eine besondere Art der Anerkennung
stellten die Preise dar, die an sehr gute
Absolventen verliehen wurden: Der Preis
der Firma Cofely ging an M.Eng. Michael Dufner, dem diese Auszeichnung von
Dipl.-Ing. (FH) Olaf Wolf übergeben
wurde. B.Eng. Ralph Wieland wurde mit
dem Preis des Industrieverbandes Technische Gebäudeausrüstung Baden-Württemberg (ITGA) geehrt, der den Preis
aus den Händen des ITGA-Geschäftsführers RA Sven Dreesens empfing. Der
Preis des Unternehmens Ed. Züblin AG
ging an M.Eng. Christina Wyrich. Er
wurde ihr von Dipl.-Ing. Hofmann
übergeben.
M. Dehli
- Nadine Barra: Erstellung von Steuerungsabläufen in einem energieoptimierten Konzept für Wärme- und Kälteerzeuger
- Lorenz Fohmann: Energie-, Umweltund Ressourcenkennwerte in der internen Prozesskette der Automobilindustrie
- Patrick Gaus: Untersuchung der Leistungsfähigkeit eines Fernwärmenetzes
- Sara-Susane Gawlik: Einbindung der
Wärmerückgewinnung in Industriebetrieben unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten am Beispiel des Produktionsgebäudes der Daimler AG - Werkteil Mettingen
- Niklas-Nils Grimm: Interimsmaßnahmen in der technischen Gebäudeausrüstung während der Sanierung des ZüblinHauses
- Tobias Hahn: Untersuchung mechanischer Eigenschaften von Kapillarmembranen
- Sebastian Haußer: Erstellung und Umsetzung eines flexiblen Konzepts der
Raumautomation in Anlehnung an VDI
3813
- Alexander Herz: Bewertung regenerativer und energieeffizienter Energiesysteme zur Wärmeversorgung eines Schulzentrums unter wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten
- Patrick Hilfinger: Einfluss des Design
von OP-Decken auf das zu erreichende
Schutzziel
- Johannes Hofele: Untersuchung von
druckverlustarmen Komponenten für
RLT-Anlagen in Niedrigstenergiegebäuden
- Lars Hornung: Untersuchung verschiedener Anlagenkonzepte für Reinräume zur Herstellung von Zytostatika
unter energetischen Gesichtspunkten
- Daniel Kaufmann: Auslegung und
Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für die
hybriden photovoltaisch-thermischen
Module (Strom- und Kältenutzung) des
GU-Laborneubaus
- Jan Kessenbrock: Untersuchungen
zur Vortrocknung von Rohbraunkohle in
Schlagradmühlen
- Dirk Löhr: Das Verbrennungsphänomen Klopfen im Zweitaktmotor - Untersuchung des Kraftstoffeinflusses und der
entstehenden Emissionen
- Michael Louis: Energiekonzept für die
Wärme- und Kälteversorgung eines
Hochschulgebäudes
- Oyuntuya Lüdemann: Konzepte der
dezentralen Wärmeversorgung mit Solarenergie für Gebäude in der Mongolei
und Auslegung mit einem Simulationsprogramm
- Hans-Jörg Lutz: Betriebsoptimierung
der Wärmeversorgung der Landesmesse Stuttgart als Grundlage für die Einbindung eines Blockheizkraftwerkes
- Tomislav Martincevic: Rohrnetzanalyse und Berechnung eines Gasrohrnetzes
- Andreas Müller: Variantenuntersuchung der möglichen Nutzung von Abwärme aus Kraft-Wärme-Kopplung mit
Absorptionskältetechnik zur Kälteversorgung eines Industriestandortes
- Sebastian Nehf: HVAC design review
to evaluate system optimization potentials and to analyze initial and operation
cost reduction at RCCN Shanghai
- Felix Petzold: Aufbau und Inbetriebnahme eines Zeolithspeichers für ein
Niedrigst- oder Passivenergiehaus und
dessen Regelung über die Feuchtezufuhr
- Tim Pschenitschni: Konzeption von
Maßnahmen zur Regenrückhaltung bei
der Dr.-Ing. h.c. Porsche AG
- Thomas Rauchfuß: Küchenabluftsysteme sowie Küchenlüftungsdecken im
M.Eng. Michael Dufner erhielt den
Preis der Firma Cofely aus den Händen von Dipl.-Ing. Olaf Wolf.
11
Masterarbeiten:
- Steffen Keller: Innovative Konzepte
zur Einbindung und Erweiterung von
Brennstoffzellenheizgeräten bei Privatund Gewerbekunden - Kombinationsund Integrationsmöglichkeiten mit Batteriesystemen, Smart Home und virtuellem
Kraftwerk
- Benjamin Kraus: Energetische Inspektion einer Lüftungsanlage sowie
Identifikation und Bewertung von Optimierungspotentialen
- Alexander Lisov: Statistische Bewertung von Simulationen und Feldergebnissen zur Ableitung von Lastkollektiven
für die Auslegung und Validierung unterschiedlicher Heizsysteme und deren
Hauptkomponenten
- Sinje Opitz: Virtuelles Kraftwerk:
Untersuchung des Potentials der kleinen
Wasserkraft am Beispiel Kraftwerk
Forbach/Gausbach
- Christoph Petersen: Modularisierte
Lastermittlng in der frühen Planungsphase als Grundlage für die Dimensionierung von Anlagen in der Heizungs-,
Kälte- unfd Klimatechnik
- Simon Ruttmann: Definition des
Marktpotentials einer LuftheizgeräteBaureihe unter Berücksichtigung von
Ökodesign-Anforderungen und der Wettbewerbssituation
- Fabian Stein: Intelligente Netzanbindung von Stromkunden
- Hans Ueberfuhr: Erstellung eines
Konzeptes zur Prüfung einer Windschutzscheibe, die für das technische
System Head-up-Display mit kontaktanaloger Darstellung geeignet ist
- Pascal Wißmann: Systemvalidierung
einer Mikro-Kraft-Wärme-Kopplung mit
einer Festoxid-Brennstoffzelle (SOFC)
- Christina Wyrich: Entwicklung einer
automatischen
Performance-Bewertungsfunktion für Gebäude
M. Dehli
- Sandra Dieringer: Ökologischer Vergleich von Sanierungsmaßnahmen für
Shopping Center: Entwicklung einer
Methode für den Vergleich multifunktionaler Systeme
- Michael Dufner: Einsatz der Digitalfotografie zur Bewertung von Blendung
und Tageslichtqualität in Gebäuden
- Benjamin Emmenegger: Instandhaltungsstrategien für GDRM-Anlagen der
terranets bw unter Berücksichtigung der
regulatorischen Aspekte
- Daniel Fenchel: Implementierung
eines Verdunstungsmodells in einem
CFD-Code und Validierung am Beispiel
eines dichten Steuergerätes mit Druckausgleichselement
- Ricarda Eva-Maria Fisch: Maßnahmen zur Effizienzsteigerung eines Bestandsrechenzentrums unter sicherheitsrelevanten Randbedingungen
Den Preis des Industrieverbandes
ITGA erhielt B.Eng. Ralph Wieland von
ITGA-Geschäftsführer Sven Dreesens.
Innerlich bewegt: Die Angehörigen der Absolventen und Absolventinnen
Vergleich und die sich ergebenden Auswirkungen auf Brandschutz und Hygiene
im Kanalnetz
- Christian Roth: Untersuchunmg der
EnEV-Konformität von gasmotorischen
Wärmepumpen zur Beheizung und Kühlung von Gebäuden - sowie ein ökonomischer und ökologischer Vergleich mit
verschiedenen Anlagensystemen
- Sebastian Schäfer: Konzeptarbeit für
die Entwicklung eines modularen Erschließungskonzepts für den Bereich der
technischen Gebäudeausrüstung für ein
modernes Laborgebäude
- Reinhold Schmid: Analyse von Wärmepumpen-Anlagen in Bestandsgebäuden und Beurteilung des zunehmenden
Einsatzes von Wärmepumpen im deutschen Gebäudebestand unter ökologischen Gesichtspunkten
- Silvan Schneider: Auslegung einer
Phosphatrückgewinnungsanlage aus
Perkolationswasser
- Patrick Schuh: Analyse des energetischen Einsparpotentials in Reinräumen
der Pharmaabfüllung
- Adrian Schüz: Untersuchung von Filtermaterialien für H2O2 im ppb-Bereich
M.Eng. Christina Wyrich wurde von
Dipl.-Ing. Hoffmann mit dem Preis der
Firma Ed. Züblin AG ausgezeichnet.
12
einschließlich der Anpassungsarbeiten
am bestehenden Prüfstand
- Steffen Stehle: Planung von Wasserversorgungssystemen: Wasseraufbereitung und -verteilung
- Julian Thalmüller: Potenzialanalyse
zur Integration von Solarthermie in die
Fernwärmenetze der Stadt Tübingen
- Gerd Thiess: Erarbeiten eines Energiekonzepts Lüftung / Kälte für eine Forschungshalle mit Anforderungen an die
Luftreinheit
- Silvan Volkert: Untersuchung zur Einführung eines Verfahrens zur Energieeffizienzsteigerung nach Energiedienstleistungsgesetz für ein mittelständisches
Unternehmen
- Christian Wiederhöfer: Auslegung
einer katalytischen Abluftreinigungsanlage zur Behandlung von mit chlorierten
Lösemitteln belasteten Prozessgasen
- Ralph Wieland: Systematische Untersuchung des thermischen Mischverhaltens von Luftströmen im Mischkammersystem
Masterstudiengang Netztechnik und Netzbetrieb:
Kenntnisse für Strom, Gas, Wasser und Fernwärme
Verleihung der Zertifikate zum Abschluss des 2. Semesters
Im Rahmen des “Bologna-Prozesses”
wurden in Deutschland die zweistufigen
Abschlüsse zum Bachelor und Master
eingeführt. Ein Teil der Ingenieure mit
Bachelor-Abschluss will heute auch einen Masterabschluss erwerben. Dies ist
unmittelbar nach dem Erststudium (konsekutiv) oder später auch berufsbegleitend möglich. Inzwischen bietet die Energie Baden-Württemberg (EnBW) über
ihre Tochtergesellschaft Netze BW in Zusammenarbeit mit der Hochschule Esslingen (HE) und der Hochschule für
Technik Stuttgart (HfT) den berufsbegleitenden Masterstudiengang “Netztechnik
und Netzbetrieb Gas / Wasser” an.
punkten und den Verknüpfungen von
Strom- und Gasnetzen - um regulatorische, wirtschaftliche und unternehmerische Themen.
Prof. Dr.-Ing. Hans Messerschmid bei
der Übergabe der Zertifikate
Absolventen, die Aspekte der verschiedenen Versorgungsaufgaben rationell
miteinander zu verbinden. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Effizienzsteigerung im Betrieb von Netzen.
Zu Ende März 2015 konnten am Standort
Esslingen/Stuttgart zehn Studierende,
die seitens der Netze BW von Dipl.-Ing.
(FH) Mathias Rinder und Frau Medina
Crnalic betreut wurden, den erfolgreichen Abschluss der ersten beiden Semester feiern und ins dritte Semester
überwechseln. Außerdem wurde ein erster Masterabsolvent beglückwünscht.
Qualifiziert für Führungsaufgaben
Die Netzingenieure werden durch den
berufsbegleitenden Masterstudiengang
dazu ausgebildet, bisher einzeln betrachtete Sparten wie Strom, Gas und Wasser
ganzheitlich zu behandeln. Sie erfüllen
damit den Anspruch,Fach- und Führungsaufgaben in Netzgesellschaften mit Mehrspartenorganisation wahrzunehmen. Die
Fortbildung zum Netzingenieur baut auf
bereits absolvierten Ingenieurstudiengängen wie Elektroingenieur oder Versorgungsingenieur auf und befähigt die
Prof. Dr.-Ing. Paul Schmitt lobte das
Engagement der Studierenden.
Der Netzingenieur ist verantwortlich für
die Planung, die Errichtung, den Betrieb
und die Instandhaltung von Strom-, GasFernwärme- und Wassernetzen und damit technische Fach- und Führungskraft
im Sinne der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Er kann in einem zentralen Fachbereich oder einem Betriebsbereich eingesetzt werden.
M. Dehli
M.Eng. Denis Merkle wurde von Prof.
Dr.-Ing. Martin Dehli zum Abschluss
des Masterstudiengangs “Netztechnik
und Netzbetrieb” beglückwünscht.
Dieser Masterstudiengang wurde gemeinsam mit der Hochschule Ostfalia
(Wolfenbüttel), der Hochschule Trier und
dem Deutschen Verein des Gas- und
Wasserfachs (DVGW) entwickelt. In Wolfenbüttel und Trier wird zusätzlich auch
ein Studiengang für die Netze der Elektrotechnik angeboten. Die Studiengänge
sind von der Akkreditierungsagentur
ASIIN akkreditiert.
In den ersten beiden Semestern werden
die Grundlagen der Netztechnik gelehrt.
Im dritten Semester des Masterstudiums
geht es - neben strategischen Gesichts-
Berufsbegleitender Masterstudiengang “Netztechnik und Netzbetrieb”
13
Martin Dehli
Ausstieg aus Kohle, Öl und Erdgas?
Erklärung der G7-Staaten in Elmau
zu Klimawandel, Energie und Umwelt
Braunkohlekraftwerk Boxberg
Vielen Erwachsenen ist ein beliebtes
Spiel aus ihrer Kindergartenzeit noch gut
in Erinnerung: Die Kinder sitzen im
Halbkreis und flüstern einander reihum
ein schwieriges Wort ins Ohr. Mit Entzücken wird dann festgestellt, dass sich
das Anfangswort am Ende völlig verändert hat - oft bis zur Unkenntlichkeit und
mit ganz anderer Bedeutung.
Wer die deutsche Energieszene aufmerksam beobachtet, fühlt sich immer
wieder an dieses Kinderspiel erinnert: So
wurde etwa beim G7-Gipfel im bayerischen Elmau im Juni 2015 aus dem
schwierigen Wort “Dekarbonisierung”,
das in der G7-Abschlusserklärung als
Schlüsselwort zu finden war, am Ende
die veränderte Aussage “Ausstieg aus
Kohle, Öl und Gas”. An solche Bedeutungsveränderungen haben sich Energiefachleute längst gewöhnen müssen;
sie sind symptomatisch für die Qualität
der Berichterstattung von Fernsehen,
Tageszeitungen und Wochenblättern in
Deutschland.
Weil die Abschlusserklärung der sieben
führenden Industriestaaten angeblich
einern solchen “Ausstieg aus Kohle, Öl
und Gas” enthielt, gab es viel Lob von
den Kommentatoren der G7-Veranstaltung: Einige sahen sogar schon den
“Beginn einer globalen Energiewende”.
Und von einer Reihe von Umweltorganisationen kam sogar ein überschwänglicher Jubel - etwa von Greenpeace und
Germanwatch. Selbst ökologische Fundamentalgruppierungen wie Oxfam sprachen von einem „positiven Signal“.
Nach zwanzig Jahren voller Misserfolge
in der Klimapolitik faszinierte das Wort
“Dekarbonisierung”. Doch was ist mit
“Dekarbonisierung” genau gemeint? - Es
geht darum, die Atmosphäre von Kohlendioxid zu entlasten. Der Begriff lässt
bewusst viel Interpretationsspielraum zu.
„Dekarbonisierung“ bedeutet
14
- den Übergang auf kohlenstoffärmere
Primärenergien (z. B. von Kohle auf
Erdgas),
- die Abtrennung von CO2 aus den Verbrennungsgasen, die bei der Kohlenutzung entstehen,
- die Aufforstung von Wäldern, die als
CO2-Senke dienen,
- Verfahren der “Ozeandüngung”, die zu
einer Erhöhung der Fähigkeit der Meere
führen, etwa durch verstärktes Wachstum von Phytoplankton mehr CO2 als
bisher zu binden,
- die verstärkte Nutzung der CO2-freien
Kernenergie,
- den Ausbau erneuerbarer Energien,
- die Verbesserung der Energieeffizienz
auf allen Gebieten der Energieumwandlung,
- weitere Maßnahmen, bei denen in den
CO2-Kreislauf eingegriffen wird.
Die Einengung auf die Aussage “Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas” ist in der
G7-Abschlusserklärung nirgends zu finden. Vielmehr wird den Staaten die Möglichkeit eingeräumt, auch weiterhin - etwa auch bis zum Ende des 21. Jahrhunderts - Kohle, Öl und Gas zu verfeuern,
wenn es ihnen gelingt, auf anderen Wegen zu einer Dekarbonisierung beizutragen. In klimaökonomischen Modellen,
wie sie etwa in den USA, in Kanada und
Australien untersucht werden, werden
auch so genannte “negative Emissionen”
berücksichtigt.
Die “GU-Berichte” geben im Folgenden
die wesentlichen Inhalte der G7-Abschlusserklärung vom Juni 2015 in Elmau im Wortlaut wieder:
Klimawandel, Energie und Umwelt
Klimawandel
Wie aus dem Fünften Sachstandsbericht
des IPCC hervorgeht, besteht dringender und konkreter Handlungsbedarf, um
den Klimawandel zu bekämpfen. Wir be-
kräftigen unsere feste Entschlossenheit,
im Rahmen der Klimakonferenz im Dezember dieses Jahres in Paris (COP21)
ein Protokoll, eine andere rechtliche
Übereinkunft oder ein vereinbartes Ergebnis mit rechtlicher Wirkung unter dem
Rahmenübereinkommen der Vereinten
Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) zu erzielen, was für alle Vertragsparteien gelten soll und ambitioniert, tragfähig und alles umfassend ist, und sich
entwickelnde nationale Gegebenheiten
spiegelt.
Das Übereinkommen soll Transparenz
und Rechenschaftspflicht stärken unter
anderem durch verbindliche Regeln in
seinem Kern, um die Fortschritte bei der
Erfüllung der Ziele zu überprüfen, wodurch auf Dauer gesteigerte Ambition gefördert würde. Dadurch sollten alle Länder in die Lage versetzt werden, im Einklang mit dem globalen Ziel, den Anstieg
der weltweiten Durchschnittstemperatur
unter 2 °C zu halten, einen kohlenstoffarmen und belastbaren Entwicklungspfad
einzuschlagen.
In Anbetracht dieses Ziels und eingedenk der aktuellen Ergebnisse des IPCC
betonen wir, dass tiefe Einschnitte bei
den weltweiten Treibhausgasemissionen
erforderlich sind, einhergehend mit einer
Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im
Laufe dieses Jahrhunderts. Entsprechend unterstützen wir als gemeinsame
Vision für ein weltweites Ziel zur Verringerung von Treibhausgasemissionen,
gemeinsam mit allen Vertragsparteien
des UNFCCC, Treibhausgase bis 2050
im Vergleich zu 2010 entsprechend dem
oberen Ende der jüngsten IPCC-Empfehlungen von 40 bis 70 % zu reduzieren; hierbei erkennen wir an, dass diese
Herausforderung nur durch eine globale
Herangehensweise gemeistert werden
kann. Wir verpflichten uns, unseren Teil
dazu beizutragen, langfristig eine kohlenstoffarme Weltwirtschaft zu erreichen,
auch durch die Entwicklung und den Einsatz innovativer Technologien, und streben bis 2050 einen Umbau der Energiewirtschaft an; wir laden alle Länder ein,
sich uns in diesem Unterfangen anzuschließen. Wir verpflichten uns zu diesem Zweck ferner zur Entwicklung langfristiger nationaler kohlenstoffarmer Strategien.
Die G7 begrüßt die Ankündigung oder
den Vorschlag von Post-2020-Emissionszielen durch all ihre Mitglieder sowie
die Einreichung von beabsichtigten, national festgelegten Beiträgen (intended
nationally determined contributions,
INDC) und ruft alle Länder auf, rechtzeitig vor der Pariser Klimakonferenz
Dekarbonisierung
Raus aus Kohle, Öl, Erdgas?
Dekarbonisierung: Ein Schlüsselbegriff der G7-Abschlusserklärung
(COP21) ebenfalls Beiträge einzureichen. Wir bekräftigen unsere feste Zusage zur Vereinbarung von Kopenhagen,
im Rahmen bedeutsamer Minderungsmaßnahmen und Transparenz bei der
Umsetzung bis 2020 gemeinsam jährlich
100 Milliarden US-Dollar aus einer Vielzahl sowohl öffentlicher als auch privater
Quellen aufzubringen.
......
Energie
Wir bekräftigen unser Bekenntnis zu den
2014 in Brüssel beschlossenen Prinzipien für Energieversorgungssicherheit
und den konkreten Maßnahmen, begrüßen die seither unter der Römischen
G7-Energieinitiative erzielten Fortschritte
und werden sie weiterhin umsetzen.
Ferner begrüßen wir die Hamburger G7Initiative für nachhaltige Energiesicherheit, insbesondere die zusätzlichen konkreten gemeinsamen Maßnahmen zur
weiteren Stärkung nachhaltiger Energieversorgungssicherheit in den G7-Ländern und darüber hinaus.
Insbesondere bekräftigen wir unsere
Unterstützung für die Ukraine und andere gefährdete Länder bei ihren laufenden
Anstrengungen zur Reform und Liberalisierung ihrer Energiesysteme und unterstreichen, dass Energie weder als Mittel
politischen Zwangs noch als Bedrohung
für die Sicherheit eingesetzt werden sollte. Wir begrüßen die Absicht der ukrainischen Regierung, Subventionen im Energiebereich abzubauen und in Energieeffizienzprogramme zu investieren.
Zudem wollen wir unsere Arbeiten zur
Analyse von Schwachstellen im Energiesystem fortsetzen. Darüber hinaus werden wir daran arbeiten, die Widerstandsfähigkeit und Flexibilität der Gasmärkte
zu stärken, und dabei sowohl PipelineGas als auch Flüssiggas (Anmerkung:
Gemeint ist wohl Flüssigerdgas.) berück-
sichtigen. Wir betrachten Diversifizierung
als Kernelement der Energiesicherheit
und streben an, Energiemix, Brennstoffe,
Quellen und Routen weiter zu diversifizieren.
Wir werden die Kooperation im Bereich
der Energieeffizienz stärken und stoßen
eine Zusammenarbeit an, um die Cybersicherheit im Energiesektor zu verbessern. Und wir werden untereinander sowie mit anderen interessierten Staaten
zusammenarbeiten, um die Koordinierung und Transparenz von Forschung,
Entwicklung und Demonstration im Bereich der sauberen Energien insgesamt
zu verbessern, wobei wir die Bedeutung
erneuerbarer Energien und anderer
kohlenstoffarmer Technologien betonen.
Wir ersuchen unsere Energieminister,
diese Initiativen voranzubringen und uns
2016 Bericht zu erstatten.
Ressourceneffizienz
Der Schutz und die effiziente Nutzung
natürlicher Ressourcen sind für die nachhaltige Entwicklung von entscheidender
Bedeutung. Wir streben eine Verbesserung der Ressourceneffizienz an, die wir
für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sowie für den Schutz der
Umwelt, des Klimas und des Planeten
für entscheidend halten. Aufbauend auf
dem "3R"-Aktionsplan von Kobe und
anderen bestehenden Initiativen werden
wir weiterhin ehrgeizige Maßnahmen
ergreifen, um die Ressourceneffizienz im
Rahmen von breiter angelegten Strategien zur Förderung einer nachhaltigen
Materialwirtschaft und von Kreislaufgesellschaften zu verbessern. Wir gründen
das G7-Bündnis für Ressourceneffizienz
als freiwilliges Forum für den Wissensaustausch und für die Bildung von
Informationsnetzwerken. Wie im Annex
aufgeführt, wird das Bündnis mit Un-
ternehmen, KMU und anderen einschlägigen Akteuren zusammenarbeiten,
um die Möglichkeiten, die sich durch
Ressourceneffizienz bieten, zu optimieren, bewährte Verfahren zu fördern und
Innovationen zu begünstigen. Wir erkennen die Vorteile einer Zusammenarbeit
mit Entwicklungsländern im Bereich
Ressourceneffizienz, auch durch innovative Partnerschaften zwischen dem
öffentlichen und privaten Sektor. Wir
ersuchen das International Resource
Panel des UNEP um die Erstellung eines
Syntheseberichts, aus dem die erfolgversprechendsten Potenziale und Lösungen auf dem Gebiet der Ressourceneffizienz hervorgehen. Ferner ersuchen
wir die OECD um die Ausarbeitung von
politischen Leitlinien als Ergänzung des
Syntheseberichts.
O
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möchte, kann dazu ins Internet gehen:
Alle Ausgaben sind dort vollständig als
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zunächst auf die Seite der Hochschule
Esslingen ein:
www.hs-esslingen.de
Dort ist im nächsten Schritt die Rubrik
“Studienangebote”, dann “Studiengänge
Bachelor”, darauf “Gebäude-, Energieund Umwelttechnik” und schließlich “GUBerichte” anzuwählen.
O
15
Professoren: Hilflos im Shitstorm?
wie im Fall Hunt in den Medien keinen so
genannten Aufschrei? Der Fall berührt ja
den Kern unseres Berufes, die Freiheit
des Wortes. Und dabei spielt es keine
Rolle, ob man den Scherz von Hunt für
dumm oder misslungen hält. Man kann
nicht sagen, in Zukunft sind nur noch
gute Witze erlaubt, schlechte sind verboten. Wenn falsche Meinungen oder
falsche Witze in Zukunft den sofortigen
Jobverlust zur Folge haben, dann gibt es
für freie Medien keine Basis mehr.”
Professoren am Internet-Pranger
Martin Dehli
Professor mit Studierenden: Ist der gemeinsame Durchblick noch möglich?
Unter angelsächsischen, aber auch
unter deutschen Professoren gibt es eine
Art Tradition: sich über sich selbst mit
Witz und Ironie ein wenig lustig zu
machen. Ein Scherz über sich selbst
stellt gewissermaßen ein Ritual dar, mit
dem man signalisiert, dass man sich trotz der besonderen Qualifikation auf
seinem Fachgebiet - nicht allzu wichtig
nehmen möchte.
Witze machen verboten
Dass dieser Brauch nicht überall “ankommt”, erfuhr jüngst der britische Zellbiologe Sir Prof. Dr. Tim Hunt, der für
seine Forschungserfolge den Nobelpreis
erhalten hatte: Er hielt in Südkorea eine
freundlich gemeinte Rede vor jungen
Wissenschaftlerinnen. Dabei begann er
in der folgenden Weise:
"Es ist seltsam, dass ein chauvinistisches Monster wie ich gefragt wurde, vor
Wissenschaftlerinnen zu sprechen. Lassen Sie mich von meinen Problemen mit
Frauen erzählen. Drei Dinge passieren,
wenn sie im Labor sind: Du verliebst dich
in sie, sie verlieben sich in dich, und
wenn du sie kritisierst, fangen sie an zu
heulen. Vielleicht sollten wir getrennte
Labore für Männer und Frauen einrichten? Spaß beiseite, ich bin beeindruckt
von der wirtschaftlichen Entwicklung
Koreas. Und Wissenschaftlerinnen spielten dabei zweifellos eine wichtige Rolle.
Wissenschaft braucht Frauen, und Sie
sollten Wissenschaft betreiben trotz all
der Hindernisse und trotz solcher Monster wie mir." Man muss wissen, dass Tim
Hunt eine seiner früheren Labormitarbeiterinnen geheiratet hat und damit offenbar gut gefahren ist.
16
Nach seiner Rede brach im Internet ein
riesiger “Shitstorm” los. Viele Zeitungen
und Fernsehensender berichteten über
Hunts “Entgleisung”. Der Vorwurf lautete:
Sexismus. Hunt wurde gezwungen, als
Professor zurückzutreten. Auch wurde er
aus der britischen Wissenschaftsgesellschaft ”Royal Society” ausgeschlossen.
Tim Hunt entschuldigte sich - doch ohne
Wirkung. Der Shitstorm erreichte selbst
den Londoner Bürgermeister Boris
Johnson, der Tim Hunt verteidigte und
die Vorgänge im Internet und in Fernsehen und Zeitungen als "unerbittlichen
Moloch politischer Korrektheit" deutete.
Dem Bürgermeister bekam sein Eintreten für den Nobelpreisträger keineswegs: Auch er wurde bedroht. Eine Abgeordnete sagte: "Johnson macht sich
schuldig im Sinne des Antidiskriminierungsgesetzes."
Harald Martenstein - ein Kolumnist im
“Zeit-Magazin” - meinte dazu am 4. August 2015. “Mich wundert, dass keiner
die Parallelen zwischen diesem Fall und
den Anschlägen auf Charlie Hebdo
gesehen hat. Natürlich ist es ein Unterschied, ob man Leute erschießt oder ob
man sie nur beruflich vernichtet. Aber in
beiden Fällen geht es darum, dass
Menschen es nicht ertragen, wenn über
etwas Scherze gemacht wird, das sie für
unantastbar halten. Und in beiden Fällen
wird mit äußerster Unbarmherzigkeit
vorgegangen, um ein Klima der Angst zu
schaffen. Und die Akteure sind nicht
"der" Islam oder "der" Feminismus, sondern radikale Gruppen.”
Er meinte weiter: “Warum gibt es gegen
eine so offensichtliche Ungerechtigkeit
Im Internet gibt es inzwischen richtige
“Pranger”, an die einzelne Professoren
und Dozenten gestellt werden. Urheber
sind radikale Gruppen, die im Internet
agieren - teilweise anonym. Nicht immer
sind es studentische Gruppen - auch
Organisationen außerhalb der jeweiligen
Hochschule aus der linksextremistischen
Szene - sind mit dabei
Einer der Betroffenen ist Jörg Baberowski, seit 2002 Professor für Geschichte
Osteuropas an der Humboldt-Universität
zu Berlin. Im Jahr 2012 wurde ihm der
Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse für sein Buch "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt" zuerkannt eine Untersuchung über Stalin und seine
Politik. Es wurde wegen Baberowskis
Thesen zu vormodernen Ursprüngen totalitärer Gewalt, seiner Akzentsetzung
auf eine verrohte kommunistische Gesellschaft und seiner starken Fokussierung auf die Person Stalins kontrovers
diskutiert. Dasselbe galt für seine Anmerkungen zum Ukraine-Konflikt, in denen
Baberowski den Unterschied von Ostund Westukraine herausarbeitete und
auf ”postimperiale Phantomschmerzen
Russlands” abhob, die es zu verstehen
gelte.
Prof. Baberowski durchlebt inzwischen
etwas, was man im Privatleben als
Prof. Jörg Baberowski: Sieht sich studentischer Zensur im Hochschulhörsaal ausgesetzt
ten eine Art “Rasterfahndung”. Problematisch kann schon sein, wenn der
Professor ältere Texte zitiert, in denen
wiederholt das Wort "Neger" gebraucht
wurde. Heikel kann auch sein, wenn in
Skripten die Bezeichnung “Studenten
und Studentinnen” oder ganz einfach
“StudentInnen” verwendet wurde und
nicht - nach neuer Lesart - die Bezeichnung "Student(*)Innen" verwendet wird,
wobei das (*) für die Angehörigen eines
dritten Geschlechts (Transmenschen) zu
stehen hat.
Auch wenn die Argumente der “Professorenjäger” eher dürftig sind, hoffen sie,
dass wegen der starken Wirkung von
Webkampagnen regelmäßig etwas “hängen bleibt”. Dann ist es nicht ausgeschlossen, dass der Betroffene in den
Ruf gekommen ist, zumindest ein kleines
bisschen radikal oder sexistisch zu sein.
Bloggende Studierende: Haben das
“Zerrbild des passiven und desinteressierten Studenten” längst überwunden
“Stalking” bezeichnen könnte. Er stellt
jedoch keinen Einzelfall dar: Nicht nur in
Berlin, sondern auch in anderen deutschen Hochschulstädten wie zum Beispiel Rostock und Frankfurt werden Professoren von politischen Splittergruppen
aufs Korn genommen, von denen nicht
bekannt ist, ob es tatsächlich studentische Gruppen sind oder Gruppen, die
außerhalb der Hochschulen stehen.
Bloggende Studenten
als “Professoren-Stalker”
Bei der Verfolgung von Prof. Baberowski
fallen linksextremistische Gruppen auf,
deren Mtglieder als anonyme Gesinnungspolizisten agieren. Prof. Baberowski bezeichnet sie als "Fanatiker": Sie
schrieben Unsinn im Internet, drängten
ihn in eine Ecke, in die er nicht gehöre.
Seit über einem Jahr gehe das nun
schon so. Inzwischen sei er sogar vorsichtig, mit wem er sich sehen lasse schließlich wolle er niemanden in seine
Probleme hineinziehen. Er werde von
den Gruppen regelmäßig fotografiert,
wenn er irgendwo öffentlich auftrete.
Bestimmte studentische Gruppen machen sich inzwischen mit erheblichem
Aufwand nach allem auf die Suche, was
nicht in ihr Weltbild passt. Sie veranstal-
Eine Studentengruppe, mit der es Jörg
Baberowski zu tun hat, nennt sich
“International Youth and Students for
Social Equality” (IYSSE). Offenbar richtet sie sich nach den Ideen des marxistischen Theoretikers Leo Trotzki aus. Sie
wird von Professor Baberowski, der von
ihr regelmäßig mit Aufnahmegerät und
Fotoapparat verfolgt wird, als “die Sekte”
bezeichnet. Ihr Anführer ist überzeugt,
dass "Jörg Baberowski mit seiner Forschung Geschichtsfälschung betreibt."
Beispielsweise relativiere er die Schuld
der Deutschen am Zweiten Weltkrieg,
indem er dem damaligen sowjetischen
Diktator Josef Stalin eine Mitverantwortung an dessen Ausbruch gebe. Außerdem sei er eine Art Faschist, weil er sich
von Deutschland wieder ein stärkeres
militärisches Engagement an der Seite
seiner Partner wünsche.
Mitgllieder der IYSSE gehen nicht nur
regelmäßig auf Fotostreife, sondern produzieren auch Flugblätter, veranstalten
“Infoveranstaltungen” und stellen selbstgefertigte Videos ins Internet. Wer sich
mit den massiven Vorwürfen gegen
Baberowski befasst, erkennt rasch deren
Haltlosigkeit und deren Übertreibungen.
Internet-Gesinnungspolizisten
im Schwersteinsatz
Auch Prof. Dr. Herfried Münkler - einer
der bekanntesten Politikwissenschaftler
in Deutschland und gefragter Gesprächspartner in Diskussionssendungen im Fernsehen - steht unter der Beobachtung linksorientierter studentischer
Gesinnungspolizisten. Es gibt einen Blog
namens "Münkler-Watch", in dem “kritische” Studenten die Äußerungen Münk-
Prof. Dr. phil. Herfried Münkler: Steht
durch den studentischen InternetBlog “Münkler-Watch” unter verschärfter Beobachtung
lers unter die Lupe nehmen. Ihm werden
via Internet “militaristische, sexistische
und rassistische Tendenzen” unterstellt.
Offenbar sind solche Vorwürfe für bestimmte Medien so interessant, dass sie
darüber berichten und Herfried Münkler wie es zutreffend heißt - “in den Blickpunkt der Öffentlichkeit” geraten ist.
Überregionale Zeitungen wie etwa die
"Frankfurter Allgemeine Zeitung" und die
"Süddeutsche Zeitung" berichteten bereits über den “Münkler-Blog”.
Gegen Münkler haben die Angriffe inzwischen Formen angenommen, die an
stalinistische Zensur erinnern, auch
wenn sie wohl in den siebziger Jahren
ihren diskurspolitischen Ursprung haben.
Die Blogger notieren während der Vorlesungen, was sie für politisch inkorrekt
halten: Ihnen fehlt das „Gendern“, sie
möchten Begriffe wie „Bauernsprache“
auf den Index setzen, genauso wie
„Nation“, weil Herfried Münkler nur eine
„Beschreibung des Mülls“ geliefert habe,
„den die meisten Leute zum Thema
Nation bis heute im Kopf“ hätten.
Empörung mit
medialer Verstärkungswirkung
Noch problematischer sind Unterstellungen aus Vorlesungen zur Geschichte des
politischen Denkens: Münkler wird gezielt falsch zitiert; seine Beispiele werden
ins Gegenteil verkehrt, um das öffentlichpolitische “Empörungskarussell” richtig
in Schwung bringen zu können.
Die anonymen Blogger sehen sich ihrerseits als Opfer von Münkler als eines
„militaristischen Extremisten der Mitte“,
dem sie als Studenten mit reinem Herzen ausgeliefert seien. Sie unterstellen
ihm „Rassismus“, ohne dies nachweisen
zu wollen, bezeichnen ihn als einen „liberalen Pro-Europäer großdeutscher Prägung“ und behaupten, der Historiker sei
ein “Parteigänger von revisionistischen
Verharmlosern des Nationalsozialismus.”
Sie beklagen das „uneingeschränkte
Rederecht“ des Professors in der Vor17
fenen Diskurs möglich ist. Die HumboldtUniversität zu Berlin ist ein Ort freien und
unabhängigen wissenschaftlichen Austauschs. Die Voraussetzung dafür ist,
dass jedes Mitglied unserer Universität
ohne Angst wissenschaftliche Auffassungen äußern und zur Diskussion stellen
kann. Unterschiedliche Meinungen sind
selbstverständlich und gewollt an einer
intakten Universität. Sie müssen offen,
respektvoll und fair diskutiert werden
können.”
Dozent unter Beobachtung
Der zürnende Professor: Übt erbarmungslos sein “uneingeschränktes
Rederecht” im Hörsaal aus
lesung, sein “hohes Gehalt”, lehnen aber
eine Podiumsdiskussion mit ihm ab, weil
er zu selbstsicher sei.
Ein weiteres Beispiel für einen “Dozenten unter Beobachtung” ist der Soziologe
Michael Makropoulos, Privatdozent an
der Humboldt-Universität. Auch ihm wird
vorgeworfen, dass seine Literaturliste zu
"eurozentristisch" sei. PD Dr. habil. Makropoulos nennt die Vorwürfe gegen ihn
“teilweise haarsträubend, aber sie wurden in einem hochnäsigen, selbstgerechten und teils aggressiven Ton geäußert." Ihm wurde z. B. angelastet, er
berücksichtige in seiner Vorlesung nur
Männer, aber keine Theoretikerinnen.
Herfried Münkler meinte, es sei unerträglich, „unter diesen Umständen der
permanenten Denunziationsandrohung
mit sinnentstellenden bis das Gegenteil
des Gesagten behauptenden Zitaten
eine Vorlesung halten zu müssen“. Die
Vorlesung einfach abzubrechen sei für
ihn keine Lösung. Dies wäre zudem für
die Mehrheit der Studenten, die tatsächlich studieren, katastrophal.
Münkler betont, er sei "jederzeit zu einem Streitgespräch bereit". Die Mitglieder des “Münkler-Watch” nennen sich
“Caro Meyer”. Sie halten diesen Namen
für “geschlechtsneutral”. "Caro" wirft
Münkler vor, dass dieser die feministischen Theoriedebatten der vergangenen
30 Jahre verschlafen habe. Außerdem
sei es "nervig", dass an Münklers Institut
auf die “Diversity Politics” nicht eingegangen werde - dass man sich dort also
nicht mit Fragen von Geschlecht, Sexualität und Rasse auseinandersetze.
Die Leitung der Humboldt-Universität
gab inzwischen ihrem Professor eine Art
“Rückendeckung”. Sie erklärte zu den
Äußerungen auf dem Blog "MünklerWatch": “Professor Herfried Münkler ist
einer der herausragenden Professoren
der Humboldt-Universität zu Berlin. Die
Universitätsleitung stellt sich hinter
Herfried Münkler und fordert die Blogger
auf, aus der Anonymität herauszutreten,
weil wissenschaftlicher Dialog nur im of18
sorglich nach den vermuteten Wünschen
der Studenten aufbauen."
Linkorientierte Studenten störten auch
eine Vorlesung des Erziehungswissenschaftlers Prof. Malte Brinkmann.
Ihnen gefiel nicht, dass Brinkmann Immanuel Kant behandelte - unter anderem
deswegen, weil sie Immanuel Kant für
einen Rassisten hielten. Offenbar waren
jedoch die meisten ihrer Kommilitonen
nicht ganz so kritisch: Sie riefen die
Polizei, damit die Vorlesung wie geplant
ablaufen konnte.
Heile Welt im Südwesten?
Aus der Sicht mancher Professoren in
Baden-Württemberg erscheinen die Vorgänge in Berlin als Sonderfall. Aber auch
für sie gilt es, die - den Professoren grundgesetzlich garantierte - Freiheit von Forschung und Lehre zu verteidigen, haben
doch auch sie erste Erfahrungen mit einer gewissen politischen Einflussnahme
gesammelt: Anlässlich der - medial ausgiebig kommunizierten - Vorgänge um
den “Nationalsozialistischen Untergrund”
(NSU) wies das Staatsministerium die Behörden des Landes - also auch die Hochschulen - in der folgenden Weise an:
Makropoulos würde das gerne tun "Aber es gibt schlicht keine Frauen, die
Theorie auf dem Level von Durkheim,
Simmel oder Habermas gemacht haben
und deshalb in einer Einführungsvorlesung vorkommen müssten."
“Am 23. Februar 2012 wird bundesweit
des rechtsextremen Terrors im Rahmen
eines zentralen Staatsakts in Berlin gedacht. Es ist Herrn Ministerpräsident Winfried Kretschmann als Schirmherr für alle
an diesem Tag in Baden-Württemberg
stattfindenden gewerkschaftlichen und
betrieblichen Gedenkveranstaltungen
ein Anliegen, ein Signal gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus und für Toleranz zu setzen. Er
hat sich deshalb dazu entschlossen, den
Aufruf der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Gewerkschaftsbundes zu einer Schweigeminute am 23. Februar 2012, 12 Uhr, zu
unterstützen und entschieden, dass sich
die gesamten Landesbehörden in Baden-Württemberg diesem Aufruf anschließen.”
Makropoulos zeigt sich besorgt darüber,
wie rasch sich der Protest hochgeschaukelt habe. "Münkler-Watch" habe seine
Vorwürfe über den E-Mail-Verteiler der
Hochschule an Tausende Adressen geschickt. Plötzlich hätten ihn Kollegen angesprochen und vorgeschlagen, rechtliche Schritte wegen Verleumdung einzuleiten. Er selbst wolle nichts an seiner
Arbeit ändern, äußert sich Makropoulos.
"Ich glaube aber, dass sich viele Kollegen von solchen Angriffen in der Art
beeinflussen lassen, dass sie sich selbst
zensieren oder ihre Literaturlisten vor-
Wenig gnädig wurde in diesem Zusammenhang der bescheidene Hinweis eines parteilosen Professors an seine
Hochschulleitung aufgenommen, dass er
einerseits selbstverständlich der Opfer
des NSU im Rahmen einer Schweigeminute gedenke, andererseits jedoch sein
Gedenken gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit so lange zurückstellen
wolle, bis ein rechtskräftiges Urteil gegen
den NSU vorliege; er wolle damit das
grundlegende demokratische Prinzip der
Gewaltenteilung - hier zwischen Exekutive und Jurisdiktion - respektieren.
O
PD Dr. habil Michael Makropoulos
Am Institut für Versorgungstechnik der Hochschule Esslingen:
Praxistest: Sind spülrandfreie WCs marktreif ?
Was passiert genau an den “verschwiegenen Örtchen”?
Kochen, Braten, Grillen, Garen, Backen,
Dünsten, Essen und Trinken - kaum eine
andere Tätigkeit des Menschen erhält in
den öffentlich-rechtlichen und in den privaten Fernsehkanälen in Deutschland
eine ähnlich hohe Aufmerksamkeit. Man
könnte meinen, dass das Bibelwort “Der
Mensch lebt nicht vom Brot allein”
hierzulande inzwischen fast in Vergessenheit geraten sei.
Zum häufig Verschwiegenen gegenüber
der Nahrungszubereitung und -aufnahme gehört auch die Frage, wie der
Mensch sich seiner Reststoffe wieder
entledigt. Es sollte freilich nicht vegessen
werden, dass sich tagtäglich viele Reinigungskräfte damit auseinandersetzen
müssen.
In Japan hat man sich damit intensiv befasst. Japanische Unternehmen können
nicht nur hervorragende Kraftfahrzeuge,
Kameras, Fernsehgeräte, Computer und
Roboter bauen, sondern auch gute WCs.
Dies wurde bereits im Jahr 2009 auf der
großen Heizungs- und Sanitärmesse
ISH in Frankfurt sichtbar: Ein japanisches Unternehmen stellte hier die ersten spülrandfreien WCs vor.
Sanitär Heizung Klima” - und Prof. Dr.Ing. Hans Messerschmid von der Fakultät Gebäude Energie Umwelt (GU)
der Hochschule Esslingen einen geeigneten Praxisspültest. Auf einem neu konstruierten Reihenprüfstand im Institut für
Versorgungstechnik der Fakultät GU
wurden 32 spülrandfreie WC-Modelle auf
ihre Funktion und ihre hygienischen
Eigenschaften hin überprüft.
Als wichtigste Erkenntnis konnte festgestellt werden: Es gibt zwar teilweise
deutliche Unterschiede beim Ausspülverhalten und beim Überspritzen, aber
unterm Strich gesehen erwiesen sich alle
geprüften WC-Modelle als marktreif.
Detaillierte Ergebnisse sowie die Stellungnahmen der Hersteller zum Test
wurden in der Ausgabe 6/2015 “SBZ
Sanitär Heizung Klima” ausführlich veröffentlicht.
Als weiteres wesentliches Ergebnis der
Untersuchungen kann gelten: Die ordnungsgemäße Nutzung hängt nicht vom
WC-Becken allein ab; genau so wichtig
ist eine geeignete Kombination von Spülkasten und spülrandfreiem WC.
Normen:
Nicht aufeinander abgestimmt
Spülrandfreie WCs in Reih und Glied
beim Praxistest
Wegen erheblicher Vorteile bei Reinigung und Hygiene nahm die Bedeutung
dieser bisher in Deutschland unbekannten Produktgattung rasch zu: In Verwaltungsgebäuden, Hotels, Kindergärten,
Schulen und Hochschulen, Krankenhäusern, Wohnstiften und Altenheimen ist
die kostengünstige und hygienische Reinigung von WCs von Interesse. Zur ISH
2011 stellten die ersten deutschen Hersteller vergleichbare Erzeugnisse vor,
und seit dem Jahr 2013 bieten die meisten Unternehmen der Keramik- und Sanitärbranche auch spülrandfreie WCs an.
Doch die richtige Kombination zu finden
ist gar nicht so einfach: Zwar stehen mit
der Norm DIN EN 997 (WC-Becken und
WC-Anlagen) und der Norm DIN EN
14055 (Spülkästen für WC-Becken und
Urinale) zwei Normen zur Verfügung;
doch sind diese nicht aufeinander abgestimmt: Sie arbeiten mit unterschiedlichen Spülstromvolumenangaben und
ToIeranzgrenzen.
Bei Spülkästen galt früher teilweise die
Regel "viel hilft viel" - doch angesichts
des Bewusstseins, mit der Ressource
Wasser sorgfältig umzugehen, hilft diese
Regel nicht weiter. Spülrandfreie WCs
zeigen sich deutlich empfindlicher bei
Spülwassermenge und Spülwasserdruck
Freilich waren nicht alle Modelle ausgereift; vielfach bot sich noch ein nennenswerter Spielraum für Verbesserungen. Als unangenehm erwiesen sich
Modelle, bei denen beim Spülvorgang
Wasser über den Spülrand hinaus
spritzte. So verwundert es nicht, dass es
bei Händlern, Installateuren und Nutzern
auch heute noch Verunsicherungen und
Fragen zu Einsatzparameter und Praxistauglichkeit spülrandfreier WCs gibt.
Angedockter Normprüfstand zur
Prüfung der Nachlaufwassermenge
Deshalb entwickelten Dirk Schlattmann
- Chefredakteur der Fachzeitschrift “SBZ
WC-Versuchsstand im Institut für Versorgungstechnik
19
als die klassischen WCs. Eine Antwort
auf die hier erkennbaren Fragen könnte
darin liegen, dass die Inkompatibilität der
beiden Normen DIN EN 997 und DIN EN
14055 behoben wird.
Dirk Schlattmann forderte deshalb in der
Ausgabe 6/2015 der Fachzeitschrift
“SBZ” die zuständigen Normenausschüsse auf: “Setzt Euch schleunigst
zusammen und einigt Euch auf praxiskonforme Parameter und einheitliche
Testanordnungen, die den Einsatz von
spülrandfreien WC-Systemen eindeutig
regeln! Bis dahin bleibt nichts anderes
übrig, als Spülkästen einzusetzen, für die
es nachrüstbare Drosselsätze gibt.”
Überraschende Ergebnisse
Unter wissenschaftlicher Leitung wurden
auf einem neu entwickelten und eigens
dafür konstruierten Reihenprüfstand 32
spülrandfreie WC-Modelle auf Funktion
und hygienische Eigenschaften überprüft. Dafür haben die Hochschule
Esslingen (HE) und die SBZ-Redaktion
gemeinsam einen Praxisspültest entwickelt. Dieser wurde unabhängig von
Firmeninteressen gestaltet und von der
Hochschule und der SBZ finanziert.
Die IVT-Labormeister Achim Renn (links) und Yilmaz Alkan bei den Tests
Am Institut für Versorgungstechnik der
HE wurde der Prüfplan “SPWC 12/15”
und der so genannte “Esslinger
Spülversuch” entwickelt. Nachdem ein
Konzept für den Prüfstand erarbeitet
worden war, bauten die beiden IVTLabormeister Achim Renn und Yilmaz
Alkan den zweireihigen Prüfstand mit 12
WC-Plätzen auf, der mit modernster
Mess- und Dokumentationstechnik ausgerüstet wurde. Angedockt wurde ein
Normprüfstand, auf dem auch Nachlaufwassermenge und andere normative
Detailprüfungen durchgeführt wurden.
des Überspritzens wichtig ist die so
genannte Prallkraft, die beim Spülen frei
wird. Da spülrandfreie WCs hierauf sehr
Beim Praxistest wurden Teile des Normprüfversuchs gemäß DIN EN 997 sowie
ein - entsprechend den Anforderungen
mitteleuropäischer Nutzungsgewohnheiten - angepasster Praxisteil miteinander
kombiniert.
Insgesamt wurden alle 32 Modelle der
Hersteller Duravit, Ideal Standard,
Keramag, Laufen, Roca, Toto, Villeroy
und Boch und Vitra getestet, die im
Oktober 2014 auf dem deutschen Markt
über den Großhandel bezogen werden
konnten. Die Firmen stellten hierzu jeweils zwei Exemplare zur Verfügung.
Unterschiedliche Materialien in unterschiedlicher Konsistenz ...
20
Die Versuche wurden mit einem Spülwasservolumen von 6 Litern durchgeführt. Um ein Überspritzen zu vermeiden,
wurde nicht mit einem maximalen Volumenstrom von 2,8 l/s, sondern mit einem
auf 2,05 l/s gedrosselten Volumenstrom
gearbeitet. Ebenfalls für die Vermeidung
... zur Simulation der alltäglichen
Anforderungen
empfindlich reagieren, ist der Installateur
zurzeit gehalten, die WC-Anlage nach
dem Einbau zu testen und bei einem
Überspritzen handelsübliche Drosseln in
die Spülkästen einzubauen. Zur ISH
2015 kamen Drosselsätze auf den Markt,
die dem Installateur die Einstellung auf
den gewünschten Spülstrom ermöglichen.
- Flächenspülung mit Holzsägemehl
- Ausspülen von Toilettenpapier
- Ausspülen von 50 Kunststoffkugeln
- Spritzen über den Beckenrand hinaus
- Nachlaufwasserprüfung (DIN EN 997)
Die folgenden fünf Prüfungen wurden in
Anlehnung an die DIN EN 997 durchgeführt:
- Spülrandtest mit Lebensmittelfarbe
- Schmiertest mit Ketchup (transatlantischer Tomatenschmotze)
Zusätzlich wurden die folgenden sieben
praxisrelevanten Zusatzprüfungen vorgenommen:
Gesamtergebnis des Praxistests zu spülrandfreien WCs im deutschen Markt
- Schürzenbreite mit Blick auf die Reinigung
- Tiefster unbespülter Punkt
- Wasserfläche im Siphon
- Ausspültest mit Knödeln und Papier
- Praxisgerechter Nachlaufwassermengentest
Prüfungen nach allen Regeln der
Kunst
21
Ausgabe 6/2015 zusammengestellte
Einzelwertung näher anzuschauen.
Beim Einsatz von spülrandfreien WCs ist
die Einstellung des richtigen Spülvolumenstromes und die so genannte PralIkraft ein entscheidender Faktor für den
reibungslosen Betrieb der WC-Anlage.
Kein WC bei allen
Einzelversuchen Spitze
Die Ergbenisse aller 12 Einzelversuche
wurden jeweils nach einem 100-PunkteSchlüssel bewertet; es konnten also
maximal 100 Punkte erreicht werden.
Um die Bedeutung des Praxisbezugs zu
unterstreichen, wurden die fünf Versuche
nach DIN EN 997 lediglich zu 50 % in der
Gesamtbewertung verrechnet, während
die sieben praxisrelevanten Zusatzprüfungen mit 100 % in die Gesamtbewertung einflossen. Damit waren maximal
950 Punkte erreichbar; dies entsprach
der “schulischen Bestnote” von 1,0. Um
die Note 4,4 zu erreichen, waren 475
Punkte erforderlich. Auffällig war, dass
kein WC in allen Tests optimal abschnitt.
Deshalb lohnt eine detaillierte Betrachtung der einzelnen Versuchsbereiche.
Zusätzlich zu den in der Fachzeitschrift
SBZ 6/2015 ausführlich und in den GUBerichten 36/2015 verkürzt wiedergegebenen Resultaten kann der OriginalPrüfbericht aus dem Internet unter
www.sbz-online.de unter “Extras” heruntergeladen werden.
Die Ergebnisse sind in der Tabelle auf
der vorigen Seite zusammengefasst.
Testsieger mit der Note 1,9 wurden das
WC “SG” von Toto und das WC “Darling
New” von Duravit. Mit der Note 2,0
schlossen die Modelle “Dea” von Ideal
Standard, “DuraStyle 620 mm A” von
Duravit und “NC” von Toto ab. Das
Notenspektrum aller getesteten WCModelle reichte von 1,9 bis 2,8.
De
------------------------------------------------------
Prof. Dr.-Ing. Hans Messerschmid
beantwortet im Fachgespräch die
Fragen des SBZ-Chefredakteurs
Dirk Schlattmann:
? - Mit diesem neutralen, nicht herstellerfinanzierten Test hat die Hochschule Esslingen Neuland betreten. Als wir mit der
Idee zu Ihnen kamen, waren Sie gleich
bereit, sich zu engagieren - warum?
! - Durch Werbemaßnahmen einzelner
Hersteller begünstigt, ist die Verunsicherung beim Handwerk groß, ob die spülrandfreien WCs überhaupt praxistauglich
sind. Es stellte sich die Frage, ob sie
betrieben werden können, ohne dass
man Angst haben muss, dass der Kunde
ein Überspritzen bemängelt. Wir wollten
dem im Rahmen einer neutralen Untersuchung, die nicht bereits mit einer gewissen Versuchsanordnung in eine Richtung getrimmt ist, auf den Grund gehen.
? - Sie haben mit unserem SBZ-PraxisSpültest einen Spülversuch entwickelt,
22
? - Damit habe ich mich als Installateur
bisher noch nicht beschäftigt. Ich bin davon ausgegangen, dass die Spülkastenhersteller schon alles praxisgerecht voreingestellt haben.
Dirk Schlattmann
der nicht normkonform ist. Schmälert das
nicht die Akzeptanz?
! - Nein, mit der DIN EN 997 existiert
zwar ein technisches Regelwerk, um
Funktionsanforderungen zu überprüfen,
allerdings sind die Prüfvorgaben hinsichtlich Spülverhalten und Reinigungsmöglichkeiten in DIN EN 997 für wasserrandlose WC-Becken nicht ausreichend
definiert, um daraus Schlüsse für die
Praxis abzuleiten. Deshalb haben wir
den Esslinger Spülversuch entwickelt.
Dabei sind praxisrelevante Bereiche der
DIN EN 997 und einer entsprechenden
US-Norm eingeflossen. Dieser zwölf
Einzelversuche umfassende Test ist viel
aussagekräftiger als ein Normprüftest.
? - Sind die US-Standards für den deutschen Markt nicht irrelevant?
! - Wenn man einen Test schaffen will,
der für die Praxis relevante Aussagen
zutage bringt und neue Erkenntnisse für
die Produktentwicklung aufzeigen soll,
ist es gleich, in welcher Norm man Anleihen nimmt. Nur ein Beipiel: So werden
in der DIN EN 997 Feststoffe und Papier
in getrennten Durchläufen ausgespült
und dann bewertet. Das ist doch absolut
praxisfremd. Statt Normprüfpapier und
Prüfkörper separat zu spülen, haben wir
in Anlehnung an den US-Standard Ausspülversuche mit speziellen Prüfkörpern
und Papier durchgeführt. Dabei wurden
5 Prüfkörper a 50 g mittels Schablone in
das WC-Becken eingebracht. Anschließend wurden 16 Blatt dreilagiges, handelsübliches Papier eingebracht und beides zusammen gespült. Das ist doch viel
praxisnäher - oder spülen Sie etwa getrennt?
! - Das gilt leider nur für die Gattung der
WCs mit Spülrand. Da wurde Wert auf
eine einwandfreie Ausspülung gelegt.
Auch wenn der Spülkasten einen Volumenstrom von 2,4 I/s aufwies, gab es
keine Probleme mit dem Überspritzen,
das ist heute anders.
? - Gibt es eine Faustformel. die in der
Praxis weiterhilft? Welche Spülkästen
passen zu welchen spülrandfreien WCs?
! - Das lässt sich leider nicht pauschal
sagen. Es gibt zwar Werte einer Spülkastennorm, aber keine verlässlichen
Angaben, aus denen man Schlüsse für
die Praxis ziehen kann. Das ist leider
auch ein Ergebnis unseres Spültests.
? - Das hilft mir als Installateur in Praxis
jedoch wenig. Haben Sie einen Tipp?
! - Setzen Sie Spülkästen ein, für die es
verschiedene Drosselsätze gibt. Kommt
es zum Überspritzen, dann drosseln Sie
den Spülstrom so weit herunter, bis das
Überspritzen aufhört. Ich bin mir aber
sicher, dass sich die namhaften WC- und
Spülkastenhersteller schon bald an einen Tisch setzen und infolgedessen
auch praxisfreundlichere Systeme anbieten werden.
(Aus: SBZ 6/2015, Seite 26)
O
? - Nein. Welche Ergebnisse sind für
Handwerker am wichtigsten?
! - Es gibt ganz eindeutig Qualitätsunterschiede bei den einzelnen Produkten,
aber alle 32 getesteten spülrandfreien
WCs erwiesen sich letztlich als markttauglich. Ich empfehle, die in der SBZ-
Prof. Dr.-Ing. Hans Messerschmid
ten umfassenden Lehrbuchs “Aufgabensammlung Technische Thermodynamik” von Prof. Dr.-Ing. Martin Dehli
möglich. Damit lassen sich - anhand von
191 Aufgaben mit Lösungen sowie 157
Bildern - Vorlesungsinhalte selbstständig
nacharbeiten; daneben kann die Aufgabensammlung auch bei der Vorbereitung
auf Prüfungen dienen. Durch eine schrittweise Aufgabenstellung werden die
Lösungswege vorbereitet, um auf diese
Weise auf die ausführlichen Lösungen
hinzuführen. Damit ist das Buch auch für
Lehrveranstaltungen in Hochschulen mit
technischer Ausrichtung geeignet.
Prof. Dr.-Ing.
Herbert Schedwill verstorben
Im März 2015 verstarb Prof. Dr.-Ing.
Herbert Schedwill, der lange Jahre dem
Professorenkollegium der jetzigen Hochschule Esslingen angehörte, und dessen
wissenschaftliche und pädagogische
Arbeit weit über Baden-Württemberg hinaus Anerkennung und Wertschätzung
gefunden hat. Mit Prof. Dr. Schedwill ist
ein hervorragender Lehrer und Wissenschaftler von uns gegangen.
Prof. Dr.-Ing. Herbert Schedwill wurde im
Jahr 1927 in Memel (Ostpreußen) geboren. Nach der Flucht am Ende des
Zweiten Weltkriegs konnte er in Westdeutschland das Abitur ablegen. Er absolvierte eine Ausbildung zum Mechaniker und nahm darauf das Studium des
Maschinenbaus an der damaligen Technischen Hochschule Stuttgart auf, das er
als Diplom-Ingenieur abschloss. Hierauf
folgte eine technisch-wissenschaftliche
Tätigkeit bei einem Unternehmen des
Kraftfahrzeug-Kühlerbaus. Neben seiner
Berufstätigkeit erarbeitete er seine Dissertation über ein Thema der Wärmeübertragung, mit der er den Grad eines
Doktor-Ingenieurs erwarb.
Die Aufgaben sind so konzipiert, dass sie
insbesondere auch Ingenieuren, die sich
bei der beruflichen Arbeit mit Fragen der
Technischen Thermodynamik auseinandersetzen, geeignete Lösungswege aufzeigen können.
Lehrbuch “Grundlagen der Technischen Thermodynamik”
renkollegen als Hauptinitiator das Lehrbuch „Grundlagen der Technischen
Thermodynamik“, das inzwischen in der
siebten Auflage vorliegt, über 500 Seiten
umfasst und zu den Standardwerken der
Technischen Thermodynamik gehört.
Weiter war er Mitautor am Handbuch der
Klimatechnik. Die Professoren, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Fakultät Gebäude Energie Umwelt erinnern sich
seiner als eines hochverehrten Kollegen
und Wissenschaftlers.
O
“Aufgabensammlung
Technische Thermodynamik”
erschienen
Prof. Dr.-Ing. Herbert Schedwill mit
seiner Gattin im Sommer 2013
1970 wurde Herbert Schedwill als Professor an die damalige Staatliche Ingenieurschule Esslingen- der heutigen Hochschule Esslingen - berufen. Hier betreute
er bis zu seinem Ruhestand im Jahr
1989 in der Abteilung Heizungs- und Lüftungstechnik - heute Fakultät Gebäude
Energie Umwelt - die Lehrgebiete der
Technischen Wärmelehre, der Grundlagen der Thermodynamik, der Mathematik, der Elektronischen Datenverarbeitung und des Prozessrechnens.
Prof. Dr. Herbert Schedwill erarbeitete
gemeinsam mit zwei weiteren Professo-
Die Technische Thermodynamik zählt zu
den grundlegenden Wissensbereichen
des Maschinenbaus, der Energietechnik,
der Kraftfahrzeugtechnik, der Versorgungstechnik, der Gebäudetechnik, der
Umwelttechnik sowie weiterer Fachgebiete der Ingenieurwissenschaften.
Die Aufgabensammlung ist als Ergänzung und Vertiefung zum Lehrbuch
“Doering/Schedwill/Dehli: Grundlagen
der Technischen Thermodynamik”
konzipiert und weist dieselbe inhaltliche
Gliederung wie das Lehrbuch auf. Unabhängig von diesem Lehrbuch eignet es
sich auch für die Leser anderer Lehrbücher der Thermodynamik. Inhaltliche
Schwerpunkte sind dabei die thermodynamischen Grundbegriffe, der erste
Hauptsatz der Thermodynamik, der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, ideale
Gase, reale Gase und Dämpfe, thermische Maschinen, Kreisprozesse, Exergie, Wärmeübertragung, feuchte Luft
und Verbrennung.
Anhand von graphischen Darstellungen insbesondere auch von Zustandsdiagrammen - werden die thermodynamischen Sachverhalte veranschaulicht. O
Für Studierende erscheint die Thermodynamik in Teilbereichen als eher schwieriges Fach, weil beim Wissenserwerb etwa bei der Erarbeitung und Nutzung
des Energieerhaltungssatzes, der Entropie als grundlegender Zustandsgröße
oder der Anwendung der Gesetzmäßigkeiten idealer und realer Gase - erhöhte
Anforderungen an die Abstraktionsfähigkeit gestellt werden.
Deshalb erweist es sich als nützlich, die
erworbenen Kenntnisse anhand von
praktischen Übungsbeispielen zu festigen und zu vertiefen. Dies ist jetzt mithilfe des neu erschienenen, über 300 Sei-
Lehrbuch “Aufgabensammlung Technische Thermodynamik”
23
Exkursion des Semesters GU B 3B:
Kann ganz schön spannend sein:
Energietechnik und Umwelttechnik
Prima Stimmung auf der Exkursion des Semesters GU B 3B - wie hier bei der
Besichtigung des Kernkraftwerks Phillipsburg
Die jetzige Generation von Studierenden
hat ziemlich viel mit Technik am Hut - von
Technikmüdigkeit findet man bei ihr keine Spur. Das wurde wieder einmal bei
einer Exkursion von Studierenden der
Fakultät Gebäude Energie Umwelt (GU)
der Hochschule Esslingen deutlich. Und
das ist der Exkursionsbericht der Studierenden:
Für den ersten der drei Exkursionstage
stand die Besichtigung der Landeswasserversorgung in Langenau östlich von
Ulm auf dem Programm. Mit drei kleinen
Bussen machten wir uns am Montagmorgen also auf den Weg.
Gutes Wasser braucht das Land
Im Wasserwerk angekommen, wurden
wir mit einem Glas gutem, frischem
Trinkwasser im Besucherinformationszentrum empfangen. Nach einem kleinen Film über die große Bedeutung von
Wasser für Mensch, Tier und Umwelt
starteten wir einen geführten Rundgang
durch die werkseigene Ausstellung „Erlebniswelt Grundwasser“.
Die Ausstellung informiert in verschiedenen Themenbereichen über die Bedeutung des Wassers als unserem wichtigsten Lebensmittel. Betrachtet man die
Erde von oben, könnte man behaupten,
auf der Erde sei mehr als genug Wasser
für alle vorhanden, denn 70 % der Erde
sind ständig mit Wasser bedeckt. Allerdings umfasst der für die Wasserversorgung nutzbare Teil des gesamten Was24
servorrats nur 0,7 %. Das entspricht umgerechnet etwa dem zweifachen Inhalt
von Mittelmeer und Schwarzem Meer.
Baden-Württemberg gilt in weiten Teilen
als wasserarmes Land; allerdings gibt es
an den großen Flüssen wie Rhein, Donau und Iller auch Wasserüberschussgebiete. Die Landeswasserversorgung entnimmt ihr Wasser zu rund 50 % aus der
Donau. Die verbleibenden 50 % stammen aus insgesamt 217 Grundwasserbrunnen im Donauried.
Das Grundwasser hat die Fähigkeit, sich
selbst chemisch, physikalisch und mikrobiologisch zu reinigen, während das Donauwasser vom Wasserwerk Langenau
in einem sechsstufigen Verfahren zu
Trinkwasser aufbereitet werden muss.
Diese Verfahrensschritte konnten wir anschließend in zwei kleinen Gruppen besichtigen. In der ersten Verfahrensstufe,
der Kompaktflockungsanlage, konnten
wir zusehen, wie dem Flusswasser in
großen Becken durch Zugabe von Eisensalz und organischen Polymeren Trübstoffe und organische Verunreinigungen
entzogen werden.
Neben der Aufbereitung des Flusswassers enthärtet die Landeswasserversorgung das Grundwasser aus dem Donauried. Die Enthärtung des Grundwassers
um 11 Grad ist eigentlich nicht notwendig; dennoch betreiben die Wasserwerke
diesen Aufwand als Kundenservice. Der
Enthärtung in großen Becken konnten
wir ebenfalls zuschauen.
Die nächsten beiden Verfahrensschritte
der Flusswasseraufbereitung bekamen
wir ebenfalls gezeigt und erklärt. Der
zweite Schritt dient zur Absetzung der in
Schritt eins gebundenen Verunreinigung.
Im dritten Schritt, der Ozonung, werden
Geruchs- und Geschmacksstoffe entfernt und das Wasser desinfiziert.
Die vierte und fünfte Verfahrensstufe
konnte man nur durch eine kleine Luke
beobachten. In diesen Stufen wird das
Wasser zuerst mit Hydroanthrazit und
Quarzsand filtriert, bevor es durch
Aktivkohlefilter läuft. In den Filtern werden dem Wasser Öle, Lösungsmittel,
Chemikalien, Pflanzenschutzmittel und
Medikamente entzogen. Um Krankheitserreger abzutöten, wird das Wasser im
letzten Schritt noch mit Chlor desinfiziert.
Das „fertige Wasser“ wird dann in den 20
Millionen Liter großen Reinwasserbehälter geleitet, der als Vorlagebehälter
für die Förderpumpen fungiert.
Etwas unterkühlt, da es im Wasserwerk
natürlich nicht zu warm sein darf, machten wir uns dann auf den Weg ins Förderwerk, von wo aus das Wasserwerk
Langenau mit mehreren Förderpumpen
große Teile Baden-Württembergs mit
hervorragendem Trinkwasser versorgt.
Zum Abschluss konnten wir noch das
Betriebs- und Forschungslabor besichtigen, welches die Wasserqualität des in
Langenau geförderten Wassers ständig
kontrolliert.
Zerstäubungssysteme
für den Umweltbereich
Am Morgen des zweiten Exkursionstages machten wir uns auf den Weg zur
Firma Lechler nach Metzingen. Nach
einer Begrüßung mit Brezeln und Kaffee
wurden uns das Unternehmen sowie
dessen Produkte persönlich von Herrn
Walter H. Lechler und dem Geschäftsführer Herrn Guido Kunzmann vorgestellt. Das Familienunternehmen, das bereits 1879 gegründet wurde, zählt heute
zu den Weltmarktführern bei der Herstel-
Reinwasserbehälter in Langenau
die Funktion und der Versorgungsausbau im Raum Esslingen erklärt und veranschaulicht. Nachdem wir durch das
Infocenter geführt worden waren, hatten
wir eine angeregte Diskussion über die
Energiewende, ihre Vor- und Nachteile
und über die Zukunft des Kraftwerks am
Standort Altbach/Deizisau. Anschließend
führte uns Herr Faigle durch die einzelnen Bereiche des Kraftwerks.
Komplizierte Düsenformen: Für
Rauchgas-Entschwefelungsanlagen
nach dem Nasswäsche-Verfahren in
Steinkohlekraftwerken
Als erstes betrachteten wir den 42 Meter
hohen Hybrid-Kühlturm, der einen Basisdurchmesser von 76 Metern und einen
Austrittsdurchmesser von 47 Metern hat.
Mithilfe des Kühlturms zur Abwärmeabfuhr kann der Dampf aus der Dampfturbine im Kondensator verflüssigt werden.
Der Kühlturm enthält hierzu u. a. auch 30
Ventilatoren. Durch die Konzeption dieses besonderen Kühlturms, der weltweit
nur fünfmal gebaut wurde, wurde die Genehmigung des Blocks 2 der Gesamt-
lung von Düsen und Zerstäubungssystemen. Eine ehemalige Studentin unserer Hochschule, Frau Janine Deiss,
machte uns anhand von Beispielen klar,
in wie vielen Einsatzgebieten Düsen und
Zerstäubungssysteme der Firma Lechler
gebraucht werden.
Die einzelnen Sparten, insbesondere
des Umweltbereichs, wurden uns von
den Herren Armin Möck und Jürgen
Speier auf eindrückliche Weise vermittelt. Um einen Eindruck über die Funktionsweise der Düsen zu bekommen,
wurden uns anschließend im Prüfstand
hautnah zwei verschiedene Düsen vorgestellt. Außerdem konnten wir auf
einem Rundgang durch die Fertigungshallen die Entstehung der Produkte aus
verschiedensten Materialien verfolgen.
Die Einladung zum Mittagessen in der
Kantine der Firma Lechler nahmen wir
dankend entgegen, bevor wir die Fahrt
zu unserer zweiten Station an diesem
Tag antraten.
Strom- und Fernwärmeerzeugung
im Verbund aus Kohle und Erdgas
Der Läufer einer zweiflutigen Mitteldruckturbine
anlage erst möglich. Durch die geschickte Zufuhr von vorgewärmter Luft, die
dem feuchten Schwaden in der zweiten
Stufe zugegeben wird, gelingt es, den
austretenden Schwaden weitgehend
unsichtbar zu machen.
Weiter ging es zur Bekohlung und
Beladung. Wir wurden über den Weg der
Kohle vom bergmännischen Abbau bis
zur Verbrennung in Altbach informiert.
Dabei hatten wir das Glück, einen Abladevorgang live sehen zu können. Die
Erläuterung der Funktion eines Kohlenstaubbrenners
Kohle wird per Schiff und Zug angeliefert, dabei werden pro Stunde ca. 1500
Tonnen Kohle entladen.
Dann ging es zur nächsten Station: der
Rauchgasentschwefelung. Wir wurden
durch die Anlage geführt und über die
Vorgänge und Bedeutung der Entschwefelung aufgeklärt, unter anderem durch
unseren Professor Herrn Dr. Werner
Braun. Das Rauchgas wird im Absorber
mit einer Kalksteinlösung besprüht. Der
durch chemische Reaktion entstehende
Gips wird ausgeschleust und entwässert.
Er wird in der Zement- und Baustoffindustrie weiterverarbeitet.
Danach fuhren wir mit dem Aufzug auf
das Dach der Anlage in 76 Metern Höhe.
Dabei fiel uns auf, dass die Angaben im
Aufzug in Höhenmetern anstatt in Stockwerksnummern waren (dies dient der
einfacheren Orientierung im Kraftwerk).
Auf dem Dach hatten wir etwas Zeit, die
Umgebung bei Dunkelheit aus großer
Höhe zu betrachten.
Anschließend gelangten wir in die
Maschinenhalle des Blocks 2 des Heizkraftwerks, in der die Gasturbine sowie
die drei Stufen der Dampfturbinenanlage
besichtigt werden konnten. Je nach den
Marktpreisen von Steinkohle und Erdgas
wird der Verbund von Gas- und Dampfturbinenanlage eingesetzt oder die
Dampfturbinenanlage alleine betrieben.
So fuhren wir - wiederum mit unseren
drei kleinen Bussen - von Metzingen
zum Kohlekraftwerk der EnBW in Altbach/Deizisau. Wir wurden freundlichst
vom Bereich Öffentlichkeitsarbeit der
EnBW - vertreten durch Herrn Andreas
Faigle - und dem Verantwortlichen der
umwelttechnischen Anlagen des Heizkraftwerks - Herrn Norbert Mayer - empfangen.
Im Infocenter wurde uns anhand von
grafischen Funktionstafeln und Modellen
Angeregte Diskussion über Fragen der Energiewende
25
Dann kamen wir zu unserer letzten
Station des Rundgangs: der Leitzentrale.
Dort befindet sich das „Gehirn" des Kraftwerks. Alle Prozesse werden von hier
aus gesteuert und überwacht. Mit Hilfe
des Prozessleitsystems, eines der modernsten in Europa, sind die Vorgänge
weitgehend automatisiert. Auf der Großbildwand lässt sich das gesamte Betriebsgeschehen, das von fünf Mitarbeitern überwacht wird, auf einen Blick
erfassen. Nach 5 Stunden im Kraftwerk
war der Rundgang beendet. Um 19 Uhr
verabschiedeten wir uns von Herr Faigle
und bedankten uns für die sehr interessante und informative Führung.
Kernenergie zur Stromerzeugung
- pro und contra
Für den letzten Tag der Exkursionswoche war ein Besuch im Kernkraftwerk
Philippsburg geplant. Atomkraftwerke
stehen seit den Reaktorunglücken in
Tschernobyl und Fukushima immer wieder in der Kritik der Öffentlichkeit - jedoch
nicht in Philippsburg. Die Gemeinde
Philippsburg bewarb sich um den Bau
des Kernkraftwerks - nach Problemen
bei der Standortsuche in der Umgebung.
Das Kernkraftwerk Philippsburg verfügt
über zwei Blöcke, die in den 80er Jahren
ihre - sehr zuverlässige - Stromerzeugung aufgenommen haben.
Der ältere Block ist ein Siedewasserreaktor und hat eine Nennleistung von
jetzt 926 MW. Ursprünglich waren weitere Siedewasserreaktoren in Planung.
Stattdessen wurde dann ein zusätzlicher
Druckwasserreaktor mit einer Leistung
von nunmehr 1300 MW hinzugebaut.
Aufgrund der Entscheidung der Bundesregierung von 2011 zum gestaffelten Aus-
stieg aus der Stromerzeugung aus Kernenergie wurde Philippsburg Block 1 mit
sofortiger Wirkung vom Netz genommen.
Ein genehmigungsrechtlicher Beschluss
zu Stilllegung und Rückbau dieses Siedewasserreaktors liegt allerdings noch
nicht vor.
Unser Besuch in Philippsburg beinhaltete die Begehung des Infocenters mit
zahlreichen Informationen rund um das
Kernkraftwerk und die Stromgewinnung.
Anschließend starteten wir mit Herrn
Michael Maurer, dem für uns zuständigen Öffentlichkeits-Mitarbeiter, eine kurze Einführung bezüglich des Aufbaus des
Kernkraftwerks. Dabei wurde uns anschaulich erläutert, was der Unterschied
zwischen einem Siedewasserreaktor
und einem Druckwasserreaktor ist.
Außerdem wurde uns hierbei klar, wie
sicher die beiden Reaktoren aufgebaut
sind: Es ist nahezu unmöglich, dass es z. B. im Falle eines Erdbebens - durch
einen Ausfall der Kühlung zu einer Explosion kommen könnte. Herr Maurer
beantwortete unsere Fragen ausführlich
und ehrlich bezüglich der Risiken, die ein
Kernkraftwerk mit sich bringt. Zusätzlich
betrachteten wir gemeinsam die aktuelle
Situation der Energieversorgungsunternehmen angesichts der Energiewende;
hierzu führten wir eine spannende, teilweise kritische und auch kontroverse
Diskussion.
Sicherheit steht im Kernkraftwerk Philippsburg an erster Stelle. Dies merkten
wir, als wir für den Rundgang in kleine
Gruppen aufgeteilt wurden. Bei unserem
Weg über das Gelände fielen uns zunächst die vielen Sicherheitsvorkehrungen auf - darunter die zahlreichen Verne-
Das Kernkraftwerk Philippsburg am Rhein. Links der abgeschaltete Siedewasserreaktor (Block 1), rechts der größere, in Betrieb befindliche Druckwasserreaktor (Block 2)
26
belungsanlagen, die vor einem Angriff
schützen sollen. Auch im Falle technischen Versagens ist auf dem Gelände z. B. durch mehrere technische Barrieren, durch Notstromaggregate und weitere, mehrfach redundant ausgelegte
Sicherheitssysteme - gut vorgesorgt. Außerdem steht noch eine interne Berufsfeuerwehr bereit.
Ein Höhepunkt der Führung war die Besteigung des abgeschalteten Kühlturms
von Block 1. Dabei bekamen wir einen
Einblick in das Innere des 160 Meter
hohen Turms. Anschließend besuchten
wir das Maschinenhaus, in dem sich die
Turbinen und der Generator befinden.
Da unsere Gruppe für eine Besichtigung
des Reaktorinnern zu groß war, nahmen
wir ersatzweise an einer Live-Übertragung aus dem Innenbereich des Reaktors teil; dabei konnten wir also trotzdem
noch einen Blick in das Herz des Kernkraftwerks werfen. Aufgrund einer politischen Entscheidung im Zusammenhang
mit dem Transport von abgebrannten
Brennelementen müssen Zwischenlager
unmittelbar am jeweiligen Kraftwerksstandort eingerichtet und betrieben werden, bis eine Entscheidung zur Endlagerung gefällt wird; eine solche Entscheidung ist jedoch angesichts der politischen Verhältnisse in Deutschland bisher nicht getroffen worden. Weitere
offene Fragen bestehen hinsichtlich der
Behandlung von schwach- und mittelaktiven Bauteilen, die beim Rückbau zu
lösen sind.
Durch den Besuch in Philippsburg wurden wir auf die Kehrseiten der kurzfristig
getroffenen Entscheidung der Bundesregierung bezüglich der Abschaltung der
Kernkraftwerke und der Umstellung auf
erneuerbare Energien aufmerksam. Zusätzlich wurde uns klar, wie ein Atomkraftwerk aufgebaut ist und wie es funktioniert. Wir haben auch viel erfahren
über die Arbeitsmarktsituation vor Ort sowie die allgemeine Lage der Energieversorgungsunternehmen im Land.
Mit dem Besuch in Philippsburg gingen
unsere Exkursionstage mit vielen Informationen, spannenden Diskussionen
und neuen Eindrücken zu Ende. Wir Studierende der Fakultät Gebäude Energie
Umwelt (GU) der Hochschule Esslingen
möchten uns ausdrücklich bei allen besuchten Firmen und deren Mitarbeitern
bedanken - insbesondere bei Herrn Walter H. Lechler, der uns durch eine Spende bei der Finanzierung der Exkursion
geholfen hat.
Das Semester GUB 3B
O
Kurzfassung der acatech-Studie 6 2015
Acatech stellt Hydraulic
Fracturing-Studie vor
Die deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech vertritt gemäß ihrem eigenen Verständnis die Interessen
der deutschen Technikwissenschaften im
In- und Ausland in selbstbestimmter, unabhängiger und gemeinwohlorientierter
Weise. Als Arbeitsakademie berät acatech Politik und Gesellschaft in technikwissenschaftlichen und technologiepolitischen Zukunftsfragen auf dem besten
Stand des Wissens. Darüber hinaus hat
es sich acatech zum Ziel gesetzt, den
Wissenstransfer zwischen Wissenschaft
und Wirtschaft zu unterstützen und den
technikwissenschaftlichen Nachwuchs
zu fördern. acatech tritt ein für nachhaltiges Wachstum durch Innovation.
acatech versteht sich als flexible Arbeitsakademie, als Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft. Herausragende
Wissenschaftler sind der Motor der inhaltlichen Arbeit; Experten aus Unternehmen sorgen für Austausch mit der industriellen Praxis. acatech ist eine gemeinnützige Einrichtung. Sie finanziert
sich durch institutionelle Förderung von
Bund und Ländern. Hinzu kommen Spenden und projektbezogene Drittmittel.
Die “GU-Berichte” drucken im Folgenden die Kurzfassung einer Studie der
acatech zur Frage der Gas- und Ölförderung mit dem Verfahren des Hydraulic Fracturing” (Schiefergas- und
Schieferölförderung) ab.
M. Dehli
Projektziel
Hydraulic Fracturing, umgangssprachlich
meist als Fracking bezeichnet, ist eine in
Politik und Gesellschaft kritisch und kontrovers diskutierte Technologie. Vor
diesem Hintergrund und angesichts der
Bedeutung von Hydraulic Fracturing für
zwei wirtschaftlich und energiepolitisch
wichtige Anwendungsgebiete – die Gewinnung von Schiefergas aus Tongesteinen und die Erschließung der Erdwärme
aus petrothermalen Reservoiren – hat
acatech die vorliegende Position erarbeitet.
Diese acatech Position befasst sich mit
den vielfältigen Facetten der Technologie
und gibt einen wissenschaftlich sowie
technisch fundierten Überblick über
deren Potenziale, Chancen und Risiken.
Damit soll die Informationsbasis für Entscheidungsträger und die interessierte
Öffentlichkeit verbreitert werden. Auf die-
Neue Wege bei der
Erdgasförderung
Vergleich der Förderverfahren bei konventionellen Gasvorkommen (links) und
unkonventionellen Gasvorkommen (rechts) (Quelle: BGR)
ser Grundlage können Politik und Gesellschaft Hydraulic Fracturing individuell
bewerten und über den weiteren Einsatz
dieser Technologie entscheiden.
Fracking im Kontext
von Energiewende,
Ressourcen- und Klimapolitik
Die Nutzung der Georessourcen Erdgas
und Erdwärme ist heute im Kontext der
Energiewende, der europäischen und internationalen Klimapolitik sowie der globalen Rohstoffverfügbarkeit zu betrachten. Die Energiewende stellt für Deutschland auch in den kommenden Jahrzehnten eine der zentralen Herausforderungen dar. Der technische Fortschritt sowie
die Wettbewerbsfähigkeit sind dabei
wichtige Bausteine.
Um den Erfordernissen der Energiewende Rechnung zu tragen, sind Politik,
Industrie und Wissenschaft, aber auch
die Gesellschaft gleichermaßen gefragt,
Lösungen zu finden und die richtigen
Weichen zu stellen. In jedem Fall werden
Kohlenwasserstoffe in Deutschland in
den kommenden Jahrzehnten noch eine
wesentliche Rolle für die Energieversorgung spielen.
Erdgas deckt derzeit etwa 22 Prozent
des deutschen Primärenergiebedarfs.
2012 konnte die Versorgung mit Erdgas
noch zu 13 Prozent aus heimischer Produktion gewährleistet werden. Ohne
Schiefergasförderung sind die Reserven
der konventionellen Erdgasvorkommen
in etwa zehn Jahren aufgebraucht, so
dass Deutschland vollständig von ausländischen Erdgaslieferungen abhängig
wäre.
Mit der Förderung von unkonventionellem Schiefergas durch Hydraulic Fracturing könnte Deutschland hingegen für
viele Jahrzehnte die heimische Erdgasförderung auf dem derzeitigen Niveau
fortsetzen. Schiefergas, das von allen
fossilen Energieträgern die „sauberste“
Energie liefert, kann deshalb eine
Brückenfunktion wahrnehmen.
Die Tiefengeothermie hat zum Ziel, die
enormen geothermischen Ressourcen
im tieferen Untergrund zu erschließen
und energetisch zu nutzen. Diese Energieform hat von allen erneuerbaren Energien den geringsten ökologischen
Fußabdruck, ist grundlastfähig und langfristig nachhaltig verfügbar.
Der größte Teil der heimischen Erdwärme ist in heißen Tiefengesteinen, den
sogenannten petrothermalen Reservoiren, gespeichert. Bereits mit der heutigen Technologie ließe sich aus derartigen Reservoiren ein nennenswerter Beitrag zur Strom- und Wärmeversorgung
Deutschlands sicherstellen. Bei entsprechender Förderung und Weiterentwicklung von Techniken zur Erschließung
petrothermaler Reservoire durch Wärmetauscher kann die Tiefengeothermie
im Mix der erneuerbaren Energien einen
signifikanten Beitrag zur Deckung des
Energiebedarfs in Deutschland leisten.
Die Gewinnung von Schiefergas und die
Weiterentwicklung der petrothermalen
Geothermie sind ohne Einsatz von
Hydraulic Fracturing nicht möglich.
Prozesse und Verfahren
des Hydraulic Fracturing
Hydraulic Fracturing ist ein technisches
Verfahren zur Risserzeugung in festen,
gering permeablen Gesteinen im geologischen Untergrund mithilfe von Wasserdruck. Es kommt aus Tiefbohrungen heraus zum Einsatz und wird in der Regel
aus nachträglich gezielt perforierten
27
Abschnitten der Verrohrung durchgeführt. Ziel einer Frac-Maßnahme ist es,
die Fließdurchlässigkeit der Gesteine
nachhaltig zu verbessern und Wegsamkeiten für den Transport von Fluiden, wie
Erdgas, Erdöl und Wasser, zu schaffen.
Dies geschieht durch Verpumpen einer
Frac-Flüssigkeit (Frac-Fluid) in das Zielgestein. Dabei wird durch die Fluidinjektion ein Druck aufgebaut, der genügend
groß ist, um entweder künstliche (Zug-)
Risse zu erzeugen (Hydraulic Fracturing
im engeren Sinne), oder Scherbewegungen auf bereits vorhandenen, ehemaligen Bruchflächen im Gestein auszulösen (Hydraulische Stimulation). Die dabei entstehenden Scherrisse führen zu einer deutlichen Verbesserung der hydraulischen Durchlässigkeit des Gesteins.
Bei der herkömmlichen Hydraulischen
Stimulation in der Tiefengeothermie besteht das Frac-Fluid deshalb meist nur
aus Wasser. Für die Produktion von Erdgas- und Erdöllagerstätten mittels Hydraulic Fracturing ist ein Frac-Fluid erforderlich, das neben Wasser zusätzlich
Stützmittel (Quarzsand oder Keramikkügelchen) zum Offenhalten der künstlichen Risse und weitere Substanzen als
chemische Additive enthält. Typische
Fluidgemische bestehen zu 97 bis 99,8
Prozent aus Wasser und zu 0,2 bis 3,0
Prozent aus Additiven.
Für Frac-Fluide zur Tight Gas-Gewinnung in Deutschland konnte das Portfolio
Prozess des Hydraulic Fracturing
28
Anzahl der der Gaserschließungsvorhaben mittels des “Hydraulic Fracturing”
in Deutschland
von Additiven inzwischen auf etwa 30
reduziert werden, die nach heutiger Gesetzgebung uneingeschränkt genehmigungsfähig sind. Für die Schiefergasförderung erscheint eine weitere Reduzierung auf zwei bis drei Additive möglich.
Frac-Maßnahmen werden durch seismisches Monitoring kontrolliert und können so dimensioniert und gesteuert werden, dass sich die Risse nur im Zielhorizont der Lagerstätte ausbreiten. Die
Risslänge (horizontale Ausdehnung)
reicht von wenigen zehn bis zu mehreren
Hundert Metern, während die Risshöhe
meist deutlich geringer ist. Die Rissweite
liegt häufig im Millimeterbereich und
(Quelle: Wintershall)
überschreitet selten das Maß von einem
Zentimeter.
Hydraulic Fracturing
und Umweltaspekte
Hydraulic Fracturing ist eine etablierte
Technologie, die weltweit inzwischen
rund drei Millionen Mal zum Einsatz gekommen ist. Sie wurde Ende der 1940er
Jahre von der Kohlenwasserstoff(KW)Industrie zur Steigerung der Ausbeute
von konventionellen Erdgas- und Erdöllagerstätten entwickelt und stellt inzwischen eine Schlüsseltechnologie zur
Produktion von Kohlenwasserstoffen aus
gering durchlässigen Sandsteinen oder
Billionen Kubikfuß
Schiefergas
Gas aus dichtem Gestein
Konventionelles Erdgas zulande
Gasförderung in Alaska
Konventionelles Erdgas seegestützt
Kohleflözgas
Jahr
Erdgaserzeugung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika von 1990 bis
2012 sowie zukünftig bis 2040 (Quelle: eia)
Karbonatgesteinen konventioneller Lagerstätten dar (Tight Gas / Tight Öl). In
Deutschland wird die Frac-Technologie
seit 1961 genutzt. In den letzten Jahrzehnten wurde sie insbesondere zur Gewinnung von Tight Gas in tiefen Lagerstätten eingesetzt.
Sie kommen aber auch in anderen Gebieten der Erde in teilweise beträchtlichem Ausmaß im Untergrund vor. Um
diese meist flächenhaft gelagerten Ressourcen nutzbar zu machen, werden sie
mithilfe von in der Lagerstätte horizontal
abgelenkten Tiefbohrungen erschlossen.
Billionen m3
Technisch förderbare Erdgasressourcen, die weltweit mit dem Verfahren des
Hydraulic Fracturing erschlossen werden könnten (Quelle: BGR)
Die Ablehnung, auf die Fracking vielfach
stößt, beruht nicht zuletzt auf Medienberichten über Vorfälle im Zusammenhang
mit der Gewinnung von Schiefergas
(Shale Gas) in den USA. Dort werden
Frac-Operationen seit über zehn Jahren
in großem Stil zur Freisetzung von
Erdgas (in jüngster Zeit auch Erdöl) aus
dichten Tongesteinen durchgeführt. Diese unkonventionellen Kohlenwasserstoff-Lagerstätten, in denen sich das
Erdgas noch in seinem Entstehungsgestein (= Muttergestein) befindet – und
nicht wie bei konventionellen Kohlenwasserstoff-Vorkommen durch die obere
Erdkruste migriert und in geologischen
Fallenstrukturen gespeichert ist –, sind in
den USA regional weit verbreitet.
Zu den wichtigsten und vor allem aufgrund von Berichten im Zusammenhang
mit der Schiefergasproduktion in den
USA diskutierten Umweltrisiken gehören:
durch Unfälle oder technisches Versagen verursachte Schadstoffeinträge
von der Erdoberfläche in den Untergrund, Freisetzung und Aufstieg von
Schadstoffen und Methan aus und entlang undichter Bohrungen, befürchtete
Ausbreitung von Frac-Fluiden und Methan aus den gefrackten Formationen
und Aufstieg durch die obere Erdkruste
bis in die Atmosphäre. Weitere Themen
sind der Wasserverbrauch, der Landbedarf und vor allem die sogenannte
Induzierte Seismizität.
Eine besondere Rolle in der Debatte um
Hydraulic Fracturing spielt in Deutschland der Grundwasserschutz. Dabei wird
der Begriff Grundwasser in der öffentlichen Debatte häufig mit Trinkwasser
gleichgesetzt. Tatsächlich aber ist das
natürlich vorkommende Grundwasser
schon ab einer Tiefe von etwa 50 bis zu
wenigen hundert Metern (regional unterschiedlich) mit zum Teil sehr hohen
Salzgehalten (bis zu über 30 Prozent im
Norddeutschen Becken), erhöhten Konzentrationen an Spurenmetallen sowie
gelegentlich auch Anreicherungen natürlicher radioaktiver Stoffe für eine wirtschaftliche Nutzung ungeeignet. Es
erscheint deshalb angeraten, zwischen
wirtschaftlich nutzbaren oberflächennahen Grundwasservorkommen, Heilwässern und Formationswässern / Tiefenwässern ohne Nutzungspotenzial zu unterscheiden.
Umweltschäden im Zusammenhang mit
dem bisherigen Einsatz von Hydraulic
Fracturing in Deutschland sind nicht
bekannt. Dies liegt nicht zuletzt an den
hohen Standards und umfassenden
Regelungen, die hierzulande für die
Gestaltung und Überwachung des Bohr-
Verteilung der weltweiten -Schieferöl- und Schiefergasvorkommen (Quelle: eia)
29
bzw. Betriebsplatzes, die Erstellung und
Verrohrung der Tiefbohrungen sowie für
die Durchführung von Frac-Maßnahmen
heute bereits gelten.
In diesem Positionspapier werden Empfehlungen gegeben und Maßnahmen
aufgezeigt, die zu einer weiteren Verbesserung der Sicherheit führen können,
zum Beispiel bezüglich der standortbezogenen Risikobewertung oder der Kontrolle der Bohrungsintegrität.
Im Zusammenhang mit der Injektion von
Fluiden zur Risserzeugung in Schiefergaslagerstätten oder petrothermalen Reservoiren sind (wie auch zum Beispiel
bei der untertägigen Speicherung von
Erdgas) induzierte (mikro-)seismische
Ereignisse unvermeidlich. Diese sind
allerdings meist an der Erdoberfläche
nicht wahrnehmbar. Ihre Stärke und
Häufigkeit hängen insbesondere von den
geologischen und technischen Randbedingungen ab. Wichtig sind daher „sanfte“ Frac-Techniken auf der Basis lokaler
seismischer Gefährdungsanalysen. Ziel
muss es sein, Richtlinien für den Injektionsprozess zu erarbeiten, die einerseits
die Stärke der an der Erdoberfläche
spürbaren Mikro-Erdbeben begrenzen,
andererseits aber immer noch die
Durchlässigkeit des Reservoirs signifikant verbessern. Hier besteht trotz verschiedener Ansätze und Möglichkeiten
noch Forschungsbedarf.
Öffentliche Wahrnehmung
und gesellschaftliche Diskussion
In einer offenen Gesellschaft ist der künftige Einsatz von Hydraulic Fracturing auf
die Zustimmung der betroffenen Grup-
pen und Anwohner angewiesen. Daher
ist bei möglichen Genehmigungsverfahren auf Transparenz, umfassende
Kommunikation der Vorhaben und eine
aktive Beteiligung der betroffenen Bevölkerung am Planungsprozess zu achten. Eine wichtige Rolle können dabei
wissenschaftlich begleitete Pilot- / Testprojekte spielen. Nur so können weitere
Erfahrungen mit der Technologie gesammelt werden, die eine Grundlage für
Vertrauen und mehr Aufgeschlossenheit
gegenüber den ökonomischen und ökologischen Potenzialen von Hydraulic
Fracturing schaffen. Gleichzeitig können
die Pilot- / Testprojekte aber auch vor
überzogenen Erwartungen schützen und
eine gesunde Skepsis fördern.
Best Practice:
Handlungsoptionen
und Empfehlungen zum Umgang
mit Hydraulic Fracturing
acatech empfiehlt einen umfangreichen
Katalog von Best Practice-Maßnahmen,
die beim Einsatz von Hydraulic Fracturing eingehalten werden sollten, um
potenzielle Umweltgefährdungen weitgehend auszuschließen. Unter anderem
sind dies:
- Geologisch-geophysikalische
Vorerkundung und 3D-Abbild
des Untergrundes:
Vor jeder Frac-Maßnahme ist ein 3D-Abbild des unterirdischen Raums im Umfeld
der ausgewählten Lokation zu erstellen,
abgeleitet aus einer Integration verschiedener Verfahren der geophysikalischen Tiefensondierung mit allen verfügbaren geologischen Daten / Informationen und Modellierungstechniken.
Absichern der Bohrung
- Standortbezogene Risikobewertung
zur Bohrplatzgestaltung
und zum Bohrungskonzept:
Mit der Ausweisung von Gewässerschutzgebieten, der Ermittlung der Grenze zwischen oberflächennahem Grundwasser und Formationswasser / Tiefenwasser und der hydrogeologischen Gesamtsituation sowie dem Nachweis von
geologischen Barriereformationen und
tektonischen Störungszonen ist der
Grundwasserschutz sicherzustellen. Außerdem ist das natürliche Erdbebenrisiko
zu bewerten.
- Referenzmessungen (BaselineWerte) und Langzeit-Monitoring:
Vor und während eines Pilot- / Testprojektes sind regelmäßig Grundwasser
(stoffliche Zusammensetzung und physikalisch-chemische Parameter), Atmosphäre (zum Beispiel Emissionen von
Methan) und natürliche Seismizität (Signal- / Rausch-Verhältnisse) zu überwachen.
- Frac-Fluide:
Alle Additive und relevanten Daten über
einzusetzende Frac-Fluide sind offenzulegen. Mit Forschung und Entwicklung
werden die Reduktion von Additiven und
der Ersatz von potenziell schädlichen
Zusätzen durch unbedenkliche Stoffe angestrebt. Auf den Einsatz von Frac-Fluiden der Einstufung „giftig“, „umweltgefährlich“ und höher als „schwach wassergefährdend“ (Wassergefährdungsklasse 1) wird verzichtet.
- Flowback:
Die bei der Schiefergasförderung zu
Beginn der Produktionsphase entstehenden Flowback-Fluide sollten durch Recycling weitgehend wiederaufbereitet
werden, so dass der Wasserverbrauch
für Frac-Maßnahmen erheblich reduziert
werden kann.
Bohrplatz bei der Erdgasförderung mit dem Verfahren des Hydraulic Fracturing
30
- Clusterdrilling:
Durch die Erschließung von Schiefergas-
Erschließungskonzepte für die energetische Nutzung von tiefer Geothermie
(Bild: Bertram 2009)
lagerstätten mit horizontal abgelenkten
Bohrungen in Form von Clustern von bis
zu 20 Bohrungen von einem Standort
aus (anstelle von zahlreichen Einzelbohrungen) kann der Landbedarf stark
reduziert werden.
- Induzierte Seismizität;
Seismisches Monitoring:
Mit einem projektbezogenen seismischen Monitoring an der Erdoberfläche
und – womöglich – in Nachbarbohrungen
ist die Rissausbreitung bei Frac-Operationen in Echtzeit zu erfassen, um jederzeit über präzise Informationen verfügen und unverzüglich auf mögliche seismische Gefährdungen reagieren zu können. Hierzu ist ein „Ampelsystem“ zu
entwickeln.
- Well Integrity Management-System:
Es wird die projektbezogene Erarbeitung
und Etablierung von Mindeststandards
für ein Well Integrity Management-System empfohlen, das den gesamten Lebenszyklus einer Tiefbohrung von der
Planung über die Herstellung und Nutzung der Ressource bis hin zur abschließenden Verfüllung nach Projektende erfasst.
Fazit
Ein generelles Verbot von Hydraulic
Fracturing lässt sich auf Basis wissenschaftlicher und technischer Fakten nicht
begründen. Der Einsatz der Technologie
sollte allerdings strengen Sicherheitsstandards folgen, klar geregelt sein und
umfassend überwacht werden. Bereits
heute gelten in Deutschland hohe technische Anforderungen an alle Verfahrensschritte des Bohrens, Untertage-Engineerings und Frackings. Diese müssten
auch auf die potenzielle Förderung von
Schiefergas oder die Nutzung petrothermaler Reservoire angewendet werden.
Wichtig erscheinen in der gegenwärtigen
Situation wissenschaftlich begleitete Pilot- / Testprojekte, sowohl für die Schiefergasförderung als auch für die Tiefengeothermie. Diese sollten unter klar definierten Auflagen und zu vorgegebenen
Standards ausgeführt werden und die
offenen Fragen bei der Beurteilung der
Risiken adressieren. Zugleich könnten
die behördlich überwachten Operationen
und die frühzeitige Information und Ein-
Erdgasförderung in Niedersachsen
bindung der Öffentlichkeit die Basis für
ein stärkeres Vertrauen in die FrackingTechnologie bilden.
O
- Überwachung
der Bohrungsintegrität:
Die obertägigen technischen Installationen einschließlich des Bohr- / Betriebsplatzes, die Bohrungsintegrität und die
Monitoring-Systeme zur Betriebsüberwachung sind in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen.
- Kommunikation mit den Medien
und der Öffentlichkeit:
Es sollte bereits in einem sehr frühen
Projektstadium mit einer transparenten
und auf Dialog abzielenden Information
und Kommunikation mit Bürgerinnen und
Bürgern sowie den Medien begonnen
werden.
Mögliches “Monitoring-Konzept Grundwasser” bei einer Bohrung nach dem
Verfahren des Hydraulic Fracturing
31
also sowohl von der Hochschule Esslingen als auch von der Tongji-Universität
den akademischen Grad eines Bachelors der Ingenieurwissenschaften bescheinigt.
Studieren in China Herausforderung
und Bereicherung
? - Das hört sich ja recht interessant an!
Aber sicherlich gibt es da eine Menge
organisatorischer Fragen, die erst einmal
gelöst werden müssen?
! - Ja - darauf hat man sich natürlich
einzustellen. Aber ganz so schwierig ist
das eigentlich gar nicht, weil ein Student,
der sich dafür interessiert, kein Neuland
betritt, sondern vorgegebene Wege nutzen kann.
? - Wie war das bei Ihnen?
Sebastian Nehf – ein GU-Student aus Esslingen in den Räumen der TongjiUniversität in Shanghai
Sebastian Nehf ist einer von mehreren
Esslinger Absolventen der Technik-Wissenschaften, die es geschafft haben,
nicht nur den akademischen BachelorAbschluss an der Hochschule Esslingen,
sondern zugleich auch an der TongjiUniversität in Shanghai zu erwerben. Die
Möglichkeit, einen solchen Doppelabschluss zu erlangen, steht nicht nur chinesischen Austauschstudenten, sondern
auch Esslinger Studierenden offen. Die
„GU-Berichte“ sprachen im März 2015
vor Ort in Shanghai mit Sebastian Nehf
über seine Eindrücke und Erfahrungen
beim Studium in China. Inzwischen hat
Sebastian Nehf seine Bachelor-Arbeit in
China mit der Traumnote 1,3 abgeschlossen und sowohl in Shanghai als
auch in Esslingen seine Abschluss-Urkunden entgegengenommen.
? - Wie ist das eigentlich mit dem
Doppelabschluss an zwei Hochschulen?
! - Seit über zehn Jahren besteht ein
Konsortialvertrag zwischen einer Reihe
deutscher Hochschulen und der TongjiUniversität, die bekanntermaßen zu den
besten Hochschulen in China gehört.
Genau genommen ist die ChinesischDeutsche Hochschule für Angewandte
Wissenschaften (CDHAW) als Teil der
Tongji-Universität die Partner-Hochschule auf der chinesischen Seite. Die Idee
ist, dass nicht nur chinesische Studierende zum Abschluss ihres Studiums
zwei Semester in Deutschland studieren
können, sondern umgekehrt auch deutsche Studierende die letzten beiden
Semester in Shanghai. Der besondere
Anreiz dafür ist, dass man damit einen
Doppelabschluss erlangt: Ich bekomme
! - Ich habe mich erst einmal bei der zuständigen Stelle im Akademischen Auslandsamt der Hochschule Esslingen beworben - mit einem Motivationsschreiben auf Englisch, mit Lebenslauf und mit
einem Notenauszug über meine bisherigen Studienleistungen.
? - Studieren in China: Wie läuft so was
denn ab?
! - Anders als in Deutschland, aber dennoch weniger kompliziert, als ich mir dies
vorgestellt hatte.
? - Hatten Sie sich auch wegen Fremdsprachen vorzubereiten? - Chinesisch
lernt man ja nicht so einfach …
! - Ich hatte einen Englisch-Sprachtest zu
absolvieren. Chinesisch-Kenntnisse sind
keine Vorbedingung. Wer möchte, kann
beim Studium in China natürlich die
Möglichkeit nutzen, Chinesisch zu lernen
- die Grundlagen, aber auch vertiefte
Sprachkenntnisse. Übrigens waren die
Vorlesungen, die für die deutschen GU-
? - Herr Nehf, Sie haben das Wagnis
unternommen, nach sechs Semestern
Studium der Gebäude-, Energie- und
Umwelttechnik an der Hochschule Esslingen noch zwei Semester in China zu
studieren - gewissermaßen als „I-Tüpfelchen“ zum Abschluss des Studiums.
Warum machen Sie das?
! - Nun - in der globalisierten Wirtschaft
sind Auslandserfahrungen im Studium
wichtig. Und China ist ja einer der bedeutendsten Handelspartner Deutschlands.
Außerdem liebe ich Herausforderungen
und hatte schon lange den Wunsch,
China näher kennenzulernen. Mich reizte es einfach, zu erfahren, wie man in
China studiert und dort die technischwissenschaftlichen, fachlichen und methodischen Kompetenzen erwirbt, die
man dann im Beruf braucht.
32
Auf dem Campus der Tongji-Universität ist immer was los.
Fleiß: Die wichtigste Voraussetzung zum Bestehen der Prüfungen
Auf der chinesischen Mauer
Studenten der Gebäude-, Energie- und
Umwelttechnik vorgeschrieben waren,
alles englischsprachliche Vorlesungen.
? - Wie ist das, wenn man da gemeinsam mit chinesischen Studierenden im
Hörsaal sitzt?
? - Und was ist, wenn mal was schief
läuft?
? - Welche waren das denn?
! - Nicht wesentlich anders als in
Deutschland. Mir hat es übrigens geholfen, dass die chinesischen Studenten in
aller Regel sehr hilfsbereit sind. Ich
erlebe die chinesischen Kommilitonen
als sehr offen: Sie freuen sich, mit ausländischen Studierenden in Verbindung
kommen zu können. Recht angenehm ist
auch, dass jedem deutschen Studierenden ein chinesischer Studierender als
Betreuer zugeordnet wird, der einem bei
vielen Fragen des täglichen Lebens im
praktischen Sinne weiterhilft - zum
Beispiel, wie man in der Mensa das vielseitige Essen bekommt, wie sprachliche
Hürden genommen werden können und
und und …
! - Den Auftakt machte eine kurze Infoveranstaltung über die Tongji-Universität
und ein Vortrag eines ehemaligen deutschen Studenten. Die Lehrveranstaltungen waren „Control Technology in HVAC
Systems“, “District Energy and Environmental Planning”, “Facility Management”, “Development of Energy Technology in Buildings“, “Building Simulation”,
“E-Business”, “Empirical Analysis of Strategy Management”, eine Projektarbeit,
dann ein Seminar und schließlich die
Bachelor-Arbeit - verbunden mit einem
zusätzlichen praktischen Studien-Teilsemester.
! - Auch dann wird einem weitergeholfen:
Zum Beispiel hatte sich ein deutscher
Student der Betriebswirtschaft den Fuß
verstaucht. Prompt hat ihn sein chinesischer Betreuer ins Krankenhaus gebracht und dafür gesorgt, dass er dort
geröntgt werden konnte.
? - Verlieren sich die deutschen Studierenden unter den über 60.000 Studierenden an der Tongji-Universität?
! - Nein, keinesfalls. Im Wohnheimbereich sind auch rund 60 deutsche Studierende untergebracht. Da ist klar, dass
wir uns immer wieder treffen und auch
mal feiern: Zum Beispiel haben wir
Weihnachten gemeinsam gefeiert. Für
Wohnmöglichkeiten ausländischer Studierender ist gesorgt: Es wird einem ein
Platz im Studentenwohnheim angeboten. Man kann sich auch für eine
Unterbringung im Campus-Hotel bewerben. Ich habe ein Einzelzimmer mit
dreizehn Quadratmetern Fläche in einer
Wohngemeinschaft. Das ist aus chinesischer Sicht recht komfortabel.
? - Welche Erfahrungen haben Sie beim
Studium an der CDHAW gesammelt?
Sebastian Nehf genießt mit Kommilitonen die chinesische Küche.
! - Nun - man ist natürlich echt gefordert.
Die reine Anwesenheit im Hörsaal reicht
nicht aus, denn in den einzelnen Fächern gibt es auch Hausaufgaben - ähnlich wie in Deutschland in der Schule;
außerdem werden die Kenntnisse regelmäßig in Kurztests und Zwischenklausuren abgeprüft. Die meisten meiner chinesischen Kommilitonen sind sehr intensiv bei der Sache, weil sie gut vorankommen wollen. Aber auch für die deutschen
Studierenden ist alles gut zu schaffen,
wenn man sich darauf einstellt, dass
33
Ungebrochener Bauboom in China. Besonders wichtig: Die Gebäudetechnik
Fleiß die wichtigste Voraussetzung zum
Bestehen der Prüfungen ist.
kool, ein planendes und ausführendes
Unternehmen im Großgebäudebereich,
das in Suzhou, Nanjing und auch in
anderen asiatischen Städten vertreten ist
- beispielsweise in Singapur. Ich arbeite
bei der Gebäudeplanung mit - im konkreten Fall für ein riesiges Multifunktionszentrum in Shanghai, das einen Bürobereich, zwei große Mall-Bereiche, einen
Hotelkomplex und einen Wohnbereich
umfasst.
? - Ein richtiges Mammut-Projekt?
! - Ja, das kann man so sagen. Ich bin
jetzt quasi täglich auf der Baustelle, wo
mit dem Rohbau bereits begonnen wird.
Aber in China ist es bei solchen Vorhaben in der Regel sinnvoll, die Ausarbeitungen noch einmal zu überprüfen
und auf Verbesserungsmöglichkeiten hin
zu untersuchen. Daraufhin werden Empfehlungen ausgesprochen, die sich auf
Möglichkeiten zur Erhöhung der Energieeffizienz und auf Kosteneinsparungen
beziehen.
Vielfältige Kultur wird zum Erlebnis.
? - Sie sind jetzt schon mitten in der
Bachelor-Arbeit. Wie hat man sich das
vorzustellen?
? - Da ist nicht nur Theorie, sondern
auch Praxiserfahrung nötig. Wie kommen Sie damit zurecht?
Gärten haben ihren besonderen Reiz.
! - Nun, ich habe ja vor dem Studium eine
gewerbliche Ausbildung absolviert sowie
während des Studiums als Werkstudent
gearbeitet. Insoweit bringe ich die nötige
Praxiserfahrung mit.
? - Wird Ihre Bachelor-Arbeit von der
Hochschule Esslingen oder von der
Tongji-Universität - also der CDHAW betreut?
! - Ich werde seitens der CDHAW von
einem chinesischen Professor betreut.
Das ist ähnlich geregelt, wie wenn ich
meine Arbeit in Deutschland schreiben
würde.
? - Dann bleibt den GU-Berichten nur
noch übrig, Ihnen alles Gute für Ihre
berufliche und persönliche Zukunft zu
wünschen. Herr Nehf, wir bedanken uns
sehr herzlich für Ihre Informationen.
Für die GU-Berichte führte Prof. Dr.-Ing.
Martin Dehli das Gespräch.
O
! - Im Grunde sind die Anforderungen
und die Rahmenbedingungen ziemlich
ähnlich wie in Deutschland. Die Professoren an der CDHAW haben Kontakte zu
chinesischen Firmen, die eine praxisbezogene, industrienahe Bachelor-Arbeit
mitbetreuen. Übrigens gibt es im riesigen
Wirtschaftsraum Shanghai auch Niederlassungen und Produktionsstätten deutscher Firmen, die für die Mitbetreuung
einer Bachelor-Arbeit infrage kommen.
? - Und wo sind Sie jetzt aktiv dabei?
! - Ich mache meine Bachelor-Arbeit
beim chinesischen Unternehmen Yor34
Neben dem Studium bleibt noch Zeit, um Land und Leute kennen zu lernen.
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
GU-Kolloquium im Sommersemester 2015:
Energieoptimierungen an technischen Anlagen
Werner Braun und Martin Dehli
Energieoptimierter Betrieb im Gebäude der Volksbank Heilbronn
“Gut gemeint bedeutet nicht immer gut.”
Diese Feststellung trifft auf eine ganze
Reihe von Aspekten der Energiewende
in Deutschland zu. In Fernseh- und Zeitungsberichten sowie Journalen einzelner politischer Parteien immer wieder
hoch gelobt, sind in der Öffentlichkeit die
negativen Begleitfolgen der Energiewende meist kaum bekannt. Kritiker der Energiewende bejahen das Ziel, den Klimaschutz in den Mittelpunkt der Aktivitäten zu stellen, sind jedoch enttäuscht
über viele politisch verursachte Mängel.
Zahlreiche fachkundige Ingenieure sind
der Überzeugung, dass mit den bisher
dafür eingesetzten zusätzlichen finanziellen Mitteln von rund 120 Milliarden Euro bei einem sorgfältigeren, an technischen und wirtschaftlichen Kenntnissen
orientierten Vorgehen weit mehr für den
Klimaschutz hätte erreicht werden können - ohne dass die Sicherheit der Energieversorgung geringer geworden wäre.
In anderen Ländern sind Elemente der
deutschen Energiewende bisher nur
punktuell übernommen worden; von einer Übernahme des Gesamtkonzepts
der deutschen Energiewende - soweit es
ein solches Gesamtkonzept überhaupt
geben sollte - sind andere Staaten weit
entfernt.
Unbestritten ist jedoch, dass in einem
Teilbereich der Energiewende - bei der
Verbesserung der Energieeffizienz - in
den letzten Jahren beachtliche Erfolge
erreicht wurden. Im GU-Kolloquium des
Sommersemesters 2015, das von Prof.
Dr.-Ing. Werner Braun geleitet wurde,
wurden solche Erfolge von den Referenten eindrucksvoll beschrieben.
Einführung von EnergieManagement-Systemen
für Verwaltungsgebäude
Der erste Vortrag im GU-Kolloquium wurde am 25. März 2015 von Dipl.-Ing. Dieter Sedlacek, Vorstand der S+P Ingenieure AG, gehalten. Er referierte über das
Thema "Energiemanagement und Energieeffizienz in der Gebäudetechnik".
Zunächst stellte Dipl.-Ing. Sedlacek das
Unternehmen S+P Ingenieure AG mit
Sitz in Heilbronn vor: Mit aktuell 28 Mitarbeitern werde ein jährliches Investitionsvolumen von etwas über 35 Millionen
€ in der Gebäudetechnik betreut. Die
1993 noch als Partnerschaft gegründete
Firma habe sich die Planung, Verzahnung und Optimierung der gesamten
Gebäudetechnik als Ziel gesetzt.
Dies bedeute, alle Gewerke zusammenzuführen, einheitliche Regel- und Kommunikationsstrategien zu implementieren und alle Rahmenbedingungen einzuhalten. Zum Schluss sei eine hundertprozentige Funktion das Ergebnis der
kontinuierlichen Optimierungsprozesse.
Die Firma S+P Ingenieure sei ein von der
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)
zugelassener Berater für Energieeffizienz und verfüge über Zertifizierungen
nach DIN ISO 9001 sowie DIN 14 675.
Die über zwei Jahrzehnte hinweg gewonnene Branchenerfahrung erlaube es,
eine individuelle und ganzheitliche Lösung in der Technischen Gebäudeausrüstung zu planen und umzusetzen. Als
Referenzen nannte der Vortragende u. a.
Projekte in der Automobilindustrie (Daim-
ler, Audi, Bosch, ZFF) und andere
Bauvorhaben (DLR, Kaufland, DSV,
Krankenhäuser usw.).
Der Referent gliederte seinen Vortrag in
5 Abschnitte. Den Beginn bildete die
Übersicht über die Herausforderungen,
die durch die Gebäudetechnik zu erfüllen
seien. Danach ging der Vortragende auf
die damit verbundenen Kennwerte ein,
um sodann über die Zielvorgaben in einem weiteren Abschnitt die Lösungsansätze zu entwickeln und zum Abschluss
noch einen Ausblick zu geben.
Die Herausforderung, mithilfe der Technischen Gebäudeausrüstung (TGA) Energie bedarfsgerecht und effizient zur
Verfügung zu stellen, werde davon begleitet, dass sowohl die gesetzlichen
Vorgaben, die Komfortwünsche als auch
der Kostenanteil der TGA am gesamten
Bauvorhaben ständig ansteigen würden.
Nach wie vor werde die meiste Energie
für die Bereitstellung von Wärme benötigt. Die Bauherren forderten dazu noch,
dass die Anlagen der TGA einen entsprechenden Kapitalrückfluss aufwiesen.
Dipl.-Ing. Sedlacek benannte im
Folgenden eine Reihe von Kennwerten:
Die Haushalte verbrauchten insgesamt
28 % der Endenergie, das Gewerbe 16
%, die Industrie 28 %; weitere 28 % benötige der Verkehr. Bei den Haushalten
entfielen von den 28 % immerhin 85 %
auf die Wärmeerzeugung (72 % Heizung, 13 % Warmwasser). Bestimme
man den Anteil der Gebäude am Endenergieverbrauch, so verursachten diese
etwa 40 % des gesamten Verbrauchs.
Betrachte man die Entwicklung des Endenergieverbrauchs in Deutschland von
1990 bis 2012, so falle auf, dass alle
Senkungsmaßnahmen durch Gegenentwicklungen wie zum Beispiel höheren
Komfort oder Produktionssteigerungen
ausgeglichen wurden, und es in dieser
Entwicklung keine signifikanten Abweichungen gebe.
Dipl.-Ing. Dieter Sedlacek
35
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
- Aufstellen von Funktionsschemata
- Zuordnen von Funktionsbereichen
- Zuordnen von Kostenstellen
- Feststellen der Energieflüsse (z. B. mithilfe eines Sankey-Diagramms)
- Erstellen eines Mess- und Zähl-Konzepts
- Überprüfung der Effizienz der Anlagentechnik
- Überprüfung der Effizienz der Feldgeräte
- Überprüfung der Regelstrategien
- Zentrale Datenerfassung über die
Gebäudeleittechnik
- Aufbau eines Energie-ManagementSystems mit Datenbank (Historisierung)
- Abgleich und Optimierung mit Kennwerten
Kontinuierlicher Verbesserungsprozess beim Energie-Management-System
gemäß DIN EN ISO 50001
Im weiteren Verlauf des Vortrags wurden
die durch die TGA zu erfüllenden Ziele
betrachtet - und in diesem Zusammenhang auch die Abhängigkeiten durch die
Art der Gebäudenutzung, der Wunsch
nach Komfort und Behaglichkeit, sowie
allgemeine Vorgaben wie Verfügbarkeit,
Bedarfsdeckung und Investitionsschutz.
Bei den gesetzlichen Vorgaben ging
Dipl-.Ing. Sedlacek näher auf die Neuerungen der EnEV 2014 ein.
Im vierten Teil des Vortrags wurde auf die
Lösungen eingegangen, die durch die
Gebäudetechnik dargestellt würden: Hier
hob der Referent als Lösungsansatz für
Unternehmen die Neuerungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) in
Verbindung mit der Einführung von
Energie-Management-Systemen (EnMS)
nach ISO 50001 hervor. Bevor zu den
Beispielen übergeleitet wurde, gab der
Referent eine Übersicht über das allgemeine Vorgehen bei der Einführung eines Energie-Management-Systems.
Dipl.-Ing. Sedlacek erläuterte die zugehörigen Schritte:
- Grundanalyse der Anlagen der TGA
- Feststellung der Zielvorgaben und Voraussetzungen
Am Ende seines Vortrags machte der
Referent auf eine Reihe ausgeführter
Beispiele aufmerksam: Das erste Beispiel betreffe die Sanierung aller Mess-,
Steuerungs- und Regelungs(MSR)-Unterstationen beim Deutschen Sparkassenverlag in Stuttgart-Vaihingen.
Über 60 Unterstationen, so genannte Informationsschwerpunkte (ISP), seien in
vier Jahren (einschließlich Planungszeit)
erneuert und auf neue Techniken um-gestellt worden. Dazu habe auch die kritische Überprüfung aller Regelstrategien,
die Einführung eines Energie-Management-Systems (EnMS) sowie der Übergang auf zeitgemäße und zukunftsfähige Kommunikationsprotokolle gehört.
Als zweites Beispiel wurde der Neubau
der Volksbank Heilbronn vorgestellt, an
dem deutlich gemacht werden konnte,
dass eine ausführliche Planung, Projektvorbereitung und die strategische Auswahl von Informationsschwerpunkten für
den Projekterfolg entscheidend sei. Zum
Abschluss der Beispiele benannte der
Vortragende noch einige praktische
Tipps bei der Realisierung derartiger
Systeme und Anlagen. Dazu gehöre die
Reduzierung von Schnittstellen, das
Ansetzen von realistischen Zeitbedarfen
für die Inbetriebnahme und Einregulierung sowie die regelmäßige Prüfung von
Zielkonflikten.
Die Gebäude des Deutschen Sparkassenverlags in Stuttgart-Vaihingen
36
In seinem Ausblick auf die zukünftigen
Entwicklungen war es dem Vortragenden
wichtig, festzustellen, dass die Digitalisierung und Vernetzung aller Anlagen
und dazugehöriger Komponenten gerade erst begonnen habe, die Bedeutung
der Technischen Gebäudeausrüstung
weiter steigen werde und der Gesetzgeber die Vorgaben zur Nachhaltigkeit in
Zukunft weiter erhöhen werde.
O
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
Nachholbedarf
bei der energetischen Inspektion
von Klimaanlagen
Beim zweiten Vortrag im Rahmen des
GU-Kolloquiums berichtete Dipl.-Ing.
Claus Händel, Technischer Referent
beim Fachverband Gebäude-Klima e.V.
(FGK) in Bietigheim, über “Chancen der
energetischen Inspektion von Klimaanlagen nach EnEV”.
Der Vortragende erläuterte zunächst die
Rahmenbedingungen für die energetische Inspektion von Klimaanlagen: Hierzu gehörten die EU-Richtlinie über die
Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden
(EPBD), das deutsche Energieeinspargesetz (EnEG) und die Energieeinsparverordnung (EnEV). Weiter benannte er
mit der DIN EN 13779, den DIN EN
15239 und 15240, der DIN V 18599 Teile
3 und 7 und der DIN SPEC 15240
wesentliche Normen. Auch verwies er
auf das Forschungsvorhaben “Chancen
der Energetischen Inspektion“.
Grundsätzlich ergebe sich die Vorgehensweise bei einer energetischen Inspektion in der folgenden Weise: Inspektionsvorbereitung und Datenaufnahme,
Raumklimaparameter und Kühllast, Betriebszeiten und Regelung, RLT-Gerät
und Kanalnetz, Kälteerzeuger und Kaltwassernetz sowie Endgeräte und Klimakonzept.
Im Energieeinspargesetz EnEG 2009
und EnEG 2013 heiße es: “Wer Heizungs-, raumlufttechnische, Kühl-, Beleuchtungs- sowie Warmwasserversorgungsanlagen oder -einrichtungen in Gebäuden betreibt oder betreiben lässt, hat
dafür Sorge zu tragen, dass sie nach
Maßgabe der nach Absatz 2 zu erlassenden Rechtsverordnung (EnEV) so
instand gehalten und betrieben werden,
dass nicht mehr Energie verbraucht wird,
als zu ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung erforderlich ist.”
Die EnEV 2014 beinhalte § 12: “Energetische Inspektion von Klimaanlagen”.
Dort heiße es: “(1) Betreiber von in Gebäude eingebauten Klimaanlagen mit einer Nennleistung für den Kältebedarf von
mehr als zwölf Kilowatt haben innerhalb
der in den Absätzen 3 und 4 genannten
Zeiträume energetische Inspektionen
dieser Anlagen durch berechtigte Personen im Sinne des Absatzes 5 durchführen zu lassen.”
Die Definition einer Klimaanlage im
Sinne der Energieeinsparverordnung
(EnEV) laute: “Eine Klimaanlage ist eine
Kombination sämtlicher Bauteile, die für
eine Form der Luftbehandlung erforderlich sind, bei der die Temperatur, eventuell gemeinsam mit der Belüftung, der
Feuchtigkeit und der Luftreinheit, geregelt wird oder gesenkt werden kann.”
Dies bedeute im Sinne der EnEV, dass
eine Inspektionspflicht bestehe für:
- Klima- und Teilklimaanlagen C2 bis C5
nach Tabelle mit mehr als 12 kW Nennkühlleistung (Summe je Nutzungseinheit
oder je Gebäude)
- Raumklimageräte und Raumkühlsysteme ohne Lüftungsfunktion ab 12 kW
Nennkühlleistung (Summe je Nutzungseinheit oder je Gebäude)
- Andere maschinelle Systeme zur Temperaturabsenkung mit mehr als 12 kW
Nennkühlleistung (bezogen auf die Zuluft
oder die Raumluft), wie z. B.: Direkte
oder indirekte Verdunstungskühlung,
freie Kühlung über Kühlturm, geothermische Kühlung, Grund- und Oberflächenwasserkühlung und so weiter.
Die Inspektion umfasse Maßnahmen zur
Prüfung der Komponenten, die den Wirkungsgrad der Anlage beeinflussen, und
der Anlagendimensionierung im Verhält-
Studie “Chancen der Energetischen Inspektion”: Untersuchte Klimaanlagen
nis zum Kühlbedarf des Gebäudes. Sie
beziehe sich insbesondere auf
1. die Überprüfung und Bewertung der
Einflüsse, die für die Auslegung der Anlage verantwortlich sind, insbesondere
auch Veränderungen der Raumnutzung
und -belegung, der Nutzungszeiten, der
inneren Wärmequellen sowie der relevanten bauphysikalischen Eigenschaften
des Gebäudes und der vom Betreiber
geforderten Sollwerte hinsichtlich Luftmengen, Temperatur, Feuchte, Betriebszeit sowie Toleranzen, und
2. die Feststellung der Effizienz der wesentlichen Komponenten.
Der Umfang der energetischen Inspektion erstrecke sich auf Anlagendimensionierung, Raumnutzung, Luftvolumenstrom und Kühllast, die Prüfung von wesentlichen Komponenten wie Ventilator,
Anlagen zur Wärmerückgewinnung, Kälteerzeugung sowie auf Kalt- und Kühlwasserpumpen, auf Regelparameter wie
Temperatur und Feuchte sowie auf Betriebszeiten und Toleranzen.
Weiter seien dem Betreiber Ratschläge
in Form von kurz gefassten fachlichen
Hinweisen für Maßnahmen zur kostengünstigen Verbesserung der energetischen Eigenschaften der Anlage, für deren Austausch oder für Alternativlösungen zu geben.
Die inspizierende Person habe dem Betreiber die Ergebnisse der Inspektion
unter Angabe ihres Namens sowie ihrer
Anschrift und Berufsbezeichnung zu
bescheinigen. Inspektionen dürften nur
von fachkundigen Personen durchgeführt werden.
Weiter sei ein unabhängiges Kontrollsystem zu implementieren. Randbedingungen für ein unabhängiges Kontrollsystem seien: Inspektionen hätten bekannt zu sein. Der Inspektionsumfang
("Vollständigkeit") müsse bekannt sein.
Der Leistungsumfang müsse standardisiert sein (Checklisten). Der Aufwand für
die Überprüfung müsse in einer vernünftigen Relation zum Nutzen stehen. Kennzahlen sollten über einen breiten Bereich
vergleichbar sein und Plausibilitätsprüfungen ermöglichen.
Eine Überprüfung der "Richtigkeit" sei
schwer vorstellbar - dies wäre quasi eine
Kontrolle der Kontrolle. Viel wichtiger als
eine Kontrolle der durchgeführten Inspektionen sei ein besserer Vollzug - denn
derjenige, der eine Inspektion durchführen lasse, werde vielleicht wegen Formfehlern belangt, wohingegen derjenige
37
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
der keine Inspektion durchführen lasse,
keine Folgen zu gewärtigen habe.
Dipl.-Ing. Händel führte weiter aus, dass
in der EnEV 2014 § 15 Klimaanlagen
und sonstige Anlagen der Raumlufttechnik ausgeführt werde: (2) Beim Einbau
von Anlagen nach Absatz 1 Satz 1 in
Gebäude und bei der Erneuerung von
Zentralgeräten solcher Anlagen müssen,
soweit diese Anlagen dazu bestimmt
sind, die Feuchte der Raumluft unmittelbar zu verändern, diese Anlagen mit
selbsttätig wirkenden Regelungseinrichtungen ausgestattet werden, bei denen
getrennte Sollwerte für die Be- und die
Entfeuchtung eingestellt werden können
und als Führungsgröße mindestens die
direkt gemessene Zu- oder Abluftfeuchte
dient. Sind solche Einrichtungen in bestehenden Anlagen nach Absatz 1 Satz 1
nicht vorhanden, muss der Betreiber sie
bei Klimaanlagen innerhalb von sechs
Monaten nach Ablauf der jeweiligen Frist
des § 12 Absatz 3, bei sonstigen raumlufttechnischen Anlagen in entsprechender Anwendung der jeweiligen Fristen
des § 12 Absatz 3, nachrüsten.
Weiter verwies Dipl.-Ing. Händel auf Referenzkennwerte aus EnEV Anlage 2 Tabelle 1 und deren Veränderungen bei der
EnEV 2009 im Vergleich zur EnEV 2007.
Zu einem wesentlichen Teil seines Vortrags machte Dipl.-Ing. Claus Händel
den Bericht über das Forschungsvorhaben “Chancen der Energetischen Inspektion”. Es umfasse insbesondere
Marktuntersuchungen, die Auswertung
von Inspektionsergebnissen, Aussagen
zu Einsparpotenzialen, wirtschaftliche
Sanierungsempfehlungen etwa im Blick
auf Ventilatoren, Wärmerückgewinnungssysteme (WRG) und RLT-Geräte.
Auch seien Aussagen zu Grundlagen für
die Normung, zu Kühllast, zum Standorteinfluss, zu Schnittstellen und zum
“Ecodesign” enthalten.
Dipl.-Ing. Claus Händel
38
keine WRG
Umluft
KVS
Rotor
Platte
Verteilung der Wärmerückgewinnungssysteme (volumenstromgewichtet) im
Bestand von Klimaanlagen (Studie “Chancen der Energetischen Inspektion”)
Eine Marktumfrage bei Inspektoren mit
Weiterbildung bzw. Inspektoren die die
FGK-Status-Reporte Nr. 5 und 6 bezogen hätten, hätten zu 705 gemeldeten
Inspektionen (Stand 2012) geführt.
Hochgerechnet auf den Gesamtmarkt
ergäben sich etwa 4.300 Anlagen, die
inspiziert worden seien. Dies stehe in
Relation zu installierten RLT-Anlagen im
Umfang von 170.00 bis 290.000 RLTGeräten mit Kühlung; zusätzlich seien
20.000 wassergestützte Raumklimasysteme verbaut. Demnach seien nach
Stückzahlen 1,4 bis 2,3 %, nach Luftvolumenstrom 1,5 bis 2,6 % der installierten Anlagen inspiziert worden.
Dipl.-Ing. Händel zählte als typische
Sanierungsempfehlungen auf: bei RLTGeräten: Volumenstromreduzierungen,
Reduzierung der Betriebszeit; Klappen,
Volumenstromregler für die zonierungbedarfsgerechte Volumenstromregelung,
Absenkbetrieb, Temperatursollwerte optimieren, eine feuchteoptimierte Regelstrategie, Nachtlüftung, natürliche Lüftung, freie Kühlung, Ventilatoraustausch,
WRG nachrüsten, WRG verbessern,
MSR-Technik verbessern, Wartungsmängel beseitigen, Luftdichtheit, Kanalnetz, grundsätzliche Systemänderung
sowie Rückbau bzw. Alternativlösung.
Als maximales Gesamt-Energieeinsparpotenzial der Stichprobe hätten sich die
folgenden Werte ergeben (Zahlen gemäß unterer bzw. oberer Schätzung): Im
Falle einer reinen Betriebsoptimierung
könne mit einer Primärenergieeinsparung von 19,3 bis 32,5 TWh je Jahr gerechnet werden; dies seien 26 bis 27 %
des Gesamtverbrauchs. Damit könne auf
eine Verminderung von CO2-Emissionen
im Umfang von 4,5 bis 7,6 Millionen
Tonnen je Jahr geschlossen werden.
Betrachte man eine Betriebsoptimierung
sowie einen Komponentenaustausch, so
belaufe sich die mögliche Primärenergieeinsparung auf 32,7 TWh bis 54,8 TWh
je Jahr; dies seien 45 bis 46 % des Gesamtverbrauchs. Damit könne auf eine
Verminderung von CO2-Emissionen im
Umfang von 7,7 bis 12,9 Millionen Tonnen je Jahr geschlossen werden.
Die Untersuchung gebe auch Hinweise
auf Amortisationsdauern von Anlagenkomponenten: bei externen KV-Systemen lägen diese häufig unter 10 bis 15
Jahren, bei Ventilatoren mit freilaufendem Rad und mit EC-Motor häufig deutlich unter 10 Jahren, beim Austausch des
RLT-Geräts (Abmessungen veränderbar)
häufig deutlich unter 10 bis 15 Jahren
Die Wirtschaftlichkeit von Sanierungslösungen bei einer Nachrüstung mit Techniken der Wärmerückgewinnung sei die
Wirtschaftlichkeit abhängig von der
Bauart (KVS, Platte, Rotor); es ergäben
sich unterschiedliche Amortisationszeiten bei gleicher WRG-Klasse. Die BafaFörderbedingungen seien im Bestand
kaum erreichbar; ein Einzelnachweis der
Wirtschaftlichkeit sei stets erforderlich.
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
Die Inspektion im Sinne der EnEV betreffe zur Bewahrung des Sollzustandes die
Wartung, die Inspektion und die Instandsetzung. Als zentrale Fragestellungen
seien zu nennen: die Verbesserung der
energetischen Eigenschaften, ggfs. den
Austausch der Anlage und Alternativlösungen. Es gehe auch um die Fragen:
Lassen sich die Lasten verringern? Wie
würde ein energetisch optimales Klimakonzept unter den vorhandenen Randbedingungen aussehen? Dies betreffe
Sollwerte, Nutzungsanforderungen, Systementwurf, Auslegung / Dimensionierung, Komponenteneffizienz, Energieversorgung und Betriebsweise.
Damit könne eine Antwort auf die Frage
“Lässt sich die vorgefundene Anlage unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten
ganz oder teilweise in ein optimales
Klimakonzept überführen?” gegeben
werden.
Die DIN SPEC 15240 gliedere den Inspektionsumfang in
Typische Sanierungsempfehlungen für RLT-Geräte (Studie “Chancen der Energetischen Inspektion”)
Betrachte man einen Ventilatoraustausch, so sei die Wirtschaftlichkeit stark
abhängig von der Effizienz des Bestandssystems; doch sei eine Wirtschaftlichkeit
bei einstufigen Bestandsanlagen ab
15.000 m³/h durch eine Sanierungslösung mit Drehzahlregelung immer gegeben; ansonsten sei ein Einzelnachweis
der Wirtschaftlichkeit erforderlich.
Beim Austausch eines RLT-Geräts mit
vermindertem Nennluftvolumenstrom
sei eine Wirtschaftlichkeit insbesondere
bei kleinen RLT-Anlagen nicht prinzipiell
gegeben, doch lasse sich bei einstufigen
Bestandsanlagen ab 15.000 m³/h durch
eine Sanierungslösung gemäß EnEV
immer eine Wirtschaftlichkeit erreichen.
Ansonsten sei auch hier ein Einzelnachweis der Wirtschaftlichkeit erforderlich.
Seit etwa einem Jahr stehe die Norm
DIN SPEC 15240 zur Verfügung. Die
Gründe für deren Erarbeitung hätten
darin bestanden, dass die bisherigen
Normen und Richtlinien die Leistung
nicht vollständig und zusammenhängend
beschreiben könnten. Der Referent verwies auf die DIN EN 15239 - Inspektion
von Lüftungsanlagen und die DIN EN
15240 - Inspektion von Klimaanlagen
sowie die VDMA-Einheitsblätter 24197
und die FGK-Status-Reporte 5, 6 und 17.
Dagegen könne die neue Norm Mindestleistungen nach EnEV § 12 und optionale Leistungen erfassen.
Die DIN SPEC 15240 sei geeignet als
Umsetzungsnorm für die EnEV. Sie enthalte die Definitionen von Kennzahlen
und Vergleichskennzahlen und ermögliche die Darstellung des Inspektionsergebnisses, sei Grundlage für Anbieter
und Nachfrager, Grundlage für das
EPBD Mandat M/480. Die DIN SPEC
15240 in Verbindung mit VDMA 24197
Teil 1 und 3 beinhalte die energetische
Inspektion sowie die Beurteilung des Gesamtsystems.
1. Inspektionsvorbereitung
2. Gebäudeparameter
3. Raumklimaparameter
4. Gebäudenutzung und Regelung
5. Inspektion RLT-Gerät
6. Inspektion Kanalnetz
7. Inspektion Kälteerzeuger
8. Inspektion Kaltwasserhydraulik
9. Inspektion Endgeräte
10. Beurteilung Klimakonzept
Dabei seien je nach den Punkten 1 bis
10 notwendig: die Prüfung der Dokumentation, die Prüfung der Anlagendimensionierung im Verhältnis zum Kühlbedarf,
Inspektion kältetechnischer Komponenten von Klimaanlagen (Studie “Chancen der Energetischen Inspektion”)
39
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
I
Erzeugung
I I
Handel
I I
Transportnetz
I I
Verteilnetz
I I
Energieverkauf
I
Liberalisierte Energiewirtschaft: Entflechtung zuvor integrierter Bereiche von Energieversorgungsunternehmen
die Feststellung der Effizienz der wesentlichen Komponenten sowie kurz gefasste
fachliche Hinweise und Ratschläge
Der Inspektionsumfang gemäß DIN
SPEC 15240 umfasse z. B. bei RLT-Geräten die Messung des Luftvolumenstroms, die Messung der Wirkleistung der
Ventilatoren, die Messung der statischen
Druckerhöhung, die Feststellung der Effizienz der Luftförderung und die Druckverteilung im RLT-Gerät (optional), die
Abschätzung der Wärmerückgewinnung
(WRG) (optional: Messung), die Feststellung der Nebenantriebe für die WRG
(optional: Messung), die Feststellung der
Umluftanteile (optional: Messung), die
Feststellung der Dampfbefeuchtung, die
Feststellung der Wasserbefeuchtung
(optional: Messung) und die Berechnung
des Effizienzkennwerts ERLT.
Beim Kanalnetz sei die Dichtigkeit durch
visuelle Inspektion festzustellen, Dichtigkeitsmessungen (optional) vorzunehmen
und die Wärmedämmung des Kanalnetzes (visuelle Inspektion) zu inspizieren.
Die Inspektion des Kälteerzeugers umfasse die Überprüfung der Wartungstätigkeiten, die Feststellung der Nennleistungszahl EER, die Messung der Nennleistungszahl EER (optional), die Feststellung des Teillastfaktors PLV sowie
der Art bzw. Leistung der Rückkühlventilatoren, die Messung der Rückkühlung
(optional) und die Berechnung des Effizienzkennwerts EKK.
Die Energiewende: Auswirkungen
auf die Energiewirtschaft
Den dritten Beitrag zur Vortragsreihe
leistete am 29. April 2015 Dipl.-Ing. (FH)
Jens Gehrt, Vertriebsleiter Industriekunden bei der Energie Baden-Württemberg (EnBW), zum Thema “Liberalisierung der Energiewirtschaft und die
Energiewende - Konsequenzen für
Vertrieb, Erzeugung, Netze und
Kunden”.
Das Energiewirtschaftsgesetz und die
daraus resultierende Liberalisierung der
Energiewirtschaft zu Ende der 90er Jahre sei der Beginn einer grundlegenden
Veränderung gewesen. In den bisher integrierten Versorgungsunternehmen seien Erzeugung, Handel, Transport, Verteilnetz und Energieverkauf getrennt
(“entflochten”) worden. Kunden, die bisher im wesentlichen Abnehmer gewesen
seien, hätten die Möglichkeit bekommen,
ihren Energieversorger frei zu wählen.
Der Vortragende verdeutlichte zum Beginn, dass die Liberalisierung der Energiemärkte zu Ende der 90er Jahre sowie
die im Jahr 2011 politisch beschlossene
Energiewende fundamentale Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Energieversorgungsunternehmen habe; insbesondere seien auch die Kunden in beträchtlichem Ausmaß davon betroffen.
Dipl.-Ing. Jens Gehrt beschrieb die Auswirkungen dieser geänderten Rahmenbedingungen auf die Energiewirtschaft in
den Bereichen Stromerzeugung, Stromnetze und Vertrieb; daneben erläuterte er
die Konsequenzen für die Kunden.
Anhand konkreter Beispiele für Industriekunden machte er sichtbar, dass mit
einer Reihe von Lösungsansätzen - z. B.
mit innovativen Stromprodukten, mit dezentralen Erzeugungslösungen und mithilfe eines Effizienzmanagements - auf
die veränderten Bedingungen reagiert
werden könne.
Dipl.-Ing. Jens Gehrt
Zentrales Ziel der Liberalisierung sei gewesen, durch die Elemente des Wettbewerbs die Energiepreise für die Endkunden zu senken. Mittlerweile könne der
Kunde auf entsprechenden Verbraucherportalen aus mehreren hundert Tarifen
wählen. Was die Preisentwicklung anbelange, sei allerdings die Bilanz - zumin-
Weitere Punkte seien die Inspektion der
Kaltwasserhydraulik und die Inspektion
der Endgeräte.
Schließlich gehe es um die Beurteilung
des Klimakonzepts, um eine Systembeurteilung, um den Vergleich mit der Referenztechnik nach EnEV, um die Prüfung des energetischen Gesamtkonzepts, um das Zusammenspiel von Anlage und Gebäude, um die Anlagennutzung, um die Energieversorgung, um die
bedarfsgerechte Nutzung der Luft/Wasser-Systeme, um die Nutzungsmöglichkeiten von erneuerbaren Energien und
der Kraft-Wärme-Kopplung bzw. der
Fernwärme.
O
40
Durchschnittliche monatliche Stromrechnung eines mittleren Haushaltes in
Deutschland (Angaben in Euro; Jahresverbrauch 3500 kWh/a)
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
folgten, bei jährlich über 20 Mrd. Euro.
Der Focus auf die Stromerzeugung sei
allerdings nur ein Teil der Energiewende.
Mehr als die Hälfte des Endenergieverbrauchs in Deutschland entfalle auf den
Wärmesektor; der Kraftstoffverbrauch
sei mit etwa 28 % beteiligt.
Gesamtbelastung der Strompreise in Deutschland in Mrd. Euro (ohne Mwst.)
dest aus Sicht der Endkunden - als eher
„nüchtern“ zu beschreiben: Die Zielsetzung niedriger Verbraucherpreise sei
zunächst erreicht worden, dann jedoch
als Folge massiver zusätzlicher staatlicher Abgaben ins Gegenteil verkehrt
worden. Diese staatlichen Eingriffe erfolgten insbesondere über zusätzliche
Besteuerungen wie die “Ökosteuer” sowie über Abgaben - vor allem über die
durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz
festgelegte Abgabe (EEG-Abgabe).
Die nächste fundamentale Veränderung
der Energielandschaft sei unter dem
Schlagwort „Energiewende“ zusammenzufassen. Ausgelöst durch die weltweite,
spürbare und sichtbare Klimaveränderung (Stichworte: Gletscherschwund in
den Alpen, Zunahme von Extremwetterlagen, Anstieg des Meeresspiegels usw.)
und den in der Wissenschaft dafür verantwortlich gemachten CO2-Ausstoß
seien - u. a. auch für Deutschland - entsprechende CO2-Minderungsziele definiert worden. Zurzeit betrage der mittlere
jährliche CO2-Ausstoß pro Kopf der Bevölkerung in Deutschland etwa 10 Tonnen; dies sei im Welt-Vergleich ein vergleichsweise hoher Wert. Somit sei mit
einem „Fingerzeig“ auf Dritte Vorsicht
geboten. Die höchsten Werte beim CO2Ausstoß wiesen Australien, die USA und
Saudi-Arabien mit 19, 18 und 17 Tonnen
CO2 je Kopf und Jahr auf. Vergleiche
man nicht die pro Kopf der Bevölkerung
angegebenen CO2-Werte, sondern deren Absolutwerte, so sei der Anteil
Deutschlands mit zurzeit etwa 2,4 %
eher unbedeutend; die Staaten mit den
höchsten absoluten CO2-Emissionen
seien China mit 26,7 % und die USA mit
16,8 % (Werte für das Jahr 2012). Trotz
dieser Sachverhalte sähen Energiepolitiker in Deutschland in dem angestrebten
Umbau der deutschen Energiewirtschaft sofern er erfolgreich ablaufe - die Chance,
dass weitere Länder folgten und somit
eine weltweite Energiewende entstehe.
Als Ziel für die Strombereitstellung sei in
Deutschland ein Anteil von 80 % erneuerbarer Energien bis 2050 festgelegt
worden. Größte Herausforderungen seien hier bereits heute die räumliche Trennung von Stromerzeugung und Stromverbrauchsschwerpunkten sowie die zeitliche Verfügbarkeit: denn nicht immer
scheine die Sonne und wehe der Wind.
Auch die finanzielle Belastung der Stromkunden werde für die Akzeptanz der Energiewende eine Rolle spielen: Bereits
heute lägen die Mehrkosten, die aus dem
Historisch gesehen, seien die Stromnetze von den Kraftwerken hin zu den Kunden aufgebaut worden; dabei habe man
sinnvollerweise die Kraftwerksstandorte
in die Nähe der Schwerpunkte des
Stromverbrauchs gelegt. Der Übergang
auf einen wachsenden Anteil an Strom
aus erneuerbaren Energien mache jedoch eine andere Zielsetzung notwendig: Da die erforderlichen großen Windund Solarparks nicht mehr in der Nähe
der Verbrauchsschwerpunkte lägen,
müssten die Stromnetze umstrukturiert
und ausgebaut werden; dies stelle eine
große Herausforderung dar - nicht nur
für die Höchstspannungs-Übertragungsnetze, sondern auch für die nachgelagerten Netze. Für Süddeutschland verschärfe sich das Problem, da in den
nächsten Jahren weitere Kernkraftwerke
mit großer Leistung abgeschaltet würden
und somit stattdessen viel Strom - vor
allem aus land- und seegestützten Windkraftparks - aus dem Norden in den Süden transportiert werden müsse.
Auch die Netzstabilität - d. h. der Zusammenklang zwischen Erzeugung und Verbrauch - stehe durch die zunehmende
Einspeisung regenerativer Energien vor
großen Herausforderungen: Auf der Ebene der Verteilnetze sei die wesentliche
Aufgabe, die zunehmende dezentrale
Erzeugung aufzunehmen und zukünftig
das Zusammenspiel zwischen den
Grünstromerzeugungsanlagen in Deutschland und deren Anteile an der installierten Leistung sowie an der Stromerzeugung im Jahr 2012
41
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
Der Effekt des “Merit-Order” (d. h. der Kraftwerks-Einsatzreihenfolge) führt als Folge des Vorrangs der Grünstromerzeugung - zum Rückgang der Börsenstrompreise und zur Verdrängung von Strom aus Erdgas und Steinkohle.
Erzeugern und Verbrauchern intelligent
zu handhaben (Stichwort: SmartGrid).
Organisatorisch habe sich ebenfalls eine
grundsätzliche Veränderung für die Energiewirtschaft und die Kunden ergeben.
Dies werde mit dem Begriff „Entflechtung“ ausgedrückt: Die Bereiche Energievertrieb und Netze seien getrennt zu
führen. Ab einer bestimmten Unternehmensgröße bedeute dies - neben der gesellschaftsrechtlichen Eigenständigkeit auch einen eigenen Marktauftritt. Am
Beispiel der EnBW zeige sich dies bereits durch die Namensgebung: So sei
für so genannte “B2B”-Kunden als Vertriebsgesellschaft die Sales & Solutions
GmbH zuständig, während als Netzbetreiber die Netze BW fungiere. Ziel
dieser Trennung sei es, zu verhindern,
dass der Vertrieb eines Unternehmens,
das auch gleichzeitig Netzbetreiber sei,
einen Wettbewerbsvorteil habe.
Dipl.-Ing. Jens Gehrt machte in seinem
Vortrag sodann auf einen weiteren wesentlichen Gesaichtspunkt der Veränderungen aufmerksam: auf die Entwicklung
der Energiepreise. Leitindex für das, was
Energie „wert“ ist, seien die Energiebörsen. Diese dienten als Orientierung
für das, was am Markt zu erzielen sei.
Die Entwicklung zeige, dass seit dem
Jahre 2008 die Preise eingebrochen seien. Einer der Hauptgründe sei der so genannte „Merit-order”-Effekt: Der Strompreis an der Börse bilde sich aus Angebot und Nachfrage. Dabei bestimme immer das Kraftwerk, das quasi die letzte
Nachfrage-kWh liefere, den Preis. Durch
die Vorrang-Einspeisung der erneuerbaren Energien verschiebe sich der Kraftwerkseinsatz: Kraftwerke mit höheren
Grenzkosten kämen später bzw. so gut
wie nicht mehr zum Einsatz. Was sich für
den Verbraucher als Vorteil darstelle, sei
für die Betreiber von Kraftwerken ein
erheblicher Nachteil. Als Beispiel nannte
Dipl.-Ing. Gehrt den Stilllegungsantrag
von E.ON für das weltweit modernste
Erdgaskraftwerk Irsching, das einen elektrischen Wirkungsgrad von 60 % aufweise und erst im Jahre 2010 in Betrieb
gegangen sei: Dieses Kraftwerk habe im
Jahr 2014 keine einzige Kilowattstunde
Strom für den Markt produziert und sei
somit nicht wirtschaftlich zu betreiben.
Ein weiterer Effekt der Preisbildungslogik
sei auch, dass es teilweise zu negativen
Strompreisen an der Börse kommen
könne. Befinde sich zu viel Strom im System, könne es günstiger sein, Kunden
Geld für die Abnahme zu bezahlen als
Kraftwerke vom Netz zu nehmen. Aus
den genannten Gründen seien für die
Energiewirtschaft die bisherigen Geschäftsmodelle nur bedingt zukunftsfähig. So werde z. B. bei der EnBW der
Bereich Erzeugung und Handel im Jahr
2020 gegenüber 2012 voraussichtlich
etwa 80 % weniger zum Betriebsergebnis des Unternehmens beitragen können. Dem gegenüber solle der Bereich
Erneuerbare Energien um 250 % wachsen. Auch das Vertriebsgeschäft solle bis
2020 um 100 % gesteigert werden.
Der Ansatz des Bereichs Vertrieb der
EnBW habe den Schwerpunkt, sich vom
bisherigen Energieverkäufer zum Energiedienstleister und Energiemanager
des Kunden zu entwickeln. Aus einer
Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten würden diejenigen Lösungen herausgearbeitet und individuell auf den Kunden
zugeschnitten werden, mit denen er in
die Lage versetzt werde, Energie einzusparen bzw. effizienter zu nutzen.
Als Beispiele seien hier Contractingmodelle genannt, die alle Medien - also
Wärme, Kälte, Druckluft, Beleuchtung
usw. - erfassten. Mit Einsparanalysen,
Energieeffizienzcontrollingsystemen, der
Moderation und Umsetzung von Energieeffizienz-Netzwerken solle dem Kunden eine optimale Energiedienstleistung
angeboten werden. Hierzu könne z. B.
auch eine eigenverbrauchs-optimiert
ausgelegte Photovoltaikanlage gehören.
Eine weitere Entwicklung im Bereich des
Energievertriebs sei die Beschaffungsanforderung der Kunden. Der klassische
Vollstromversorgungsvertrag werde - zunehmend bei größeren Kunden - durch
Lösungen ersetzt, die eine Beschaffung
sehr nah an der Strombörse zuließen. D.
h. die Kunden beschafften ihre Energie
sehr nahe an den Marktpreisen und
könnten dadurch - im Vergleich zur klassischen Vollversorgung - Marktchancen
aktiv nutzen und Ihre Beschaffungspreise senken.
O
Fortschritte
in der Technologie der Kernfusion
Der vierte Vortrag wurde am 20. Mai
2015 von Dr. rer. nat. Wolfgang Walter,
dem Bereichsleiter Magnettechnik bei
der Babcock Noell GmbH, unter dem
Titel “Fusionsenergie - Supraleitende
Magnete als Herausforderung auf
dem Weg zum Reaktor” gehalten.
Dienstleistungsangebote an Kunden: Energieeffizienz im Mittelpunkt
42
Der Vortragende erläuterte zu Beginn
das grundlegende Konzept der Kernfu-
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
Während Deuterium als Isotop des
Wasserstoffs in der Natur reichlich verfügbar sei, werde Tritium gewissermaßen "gebrütet", indem das Fusionsneutron von Lithium aufgenommen werde,
das in einer Umhüllung um den Kern
eines Fusionsreaktors angeordnet sei.
Die Erzeugung von Tritium T sei auch in
einem Kernspaltungsreaktor möglich.
Kernverschmelzung leichter Elemente
sion: Hierzu müsse ein Gasplasma bei
sehr hoher Temperatur eingeschlossen
und dieser Einschluss aufrecht erhalten
werden. Das Plasma müsse berührungslos in einer Art “Flasche” von Torusform
gehalten werden, die durch Magnetfelder
gebildet werde. Dann sei ein kleines Volumen an Brennstoff für eine sehr kurze
Zeit auf einen sehr hohen Druck und auf
eine sehr hohe Temperatur zu bringen,
um die Kernverschmelzung zu erreichen.
Das Plasma (ionisiertes Gas) sei elektrisch leitend und könne durch magnetische Felder eingeschlossen werden.
Das Ziel sei der stabile Einschluss eines
homogenen Plasmas mit hoher Dichte,
wobei die Temperatur so hoch sein müsse, dass genügend Fusionsreaktionen
von Deuterium und Tritium zu Helium
aufträten. Um die Fusionsreaktion zu
“zünden”, seien eine Temperatur von
mindestens 100 Mio. °C, eine Plasmadichte von mehr als 1014 Teilchen/cm3
und eine Einschlusszeit von mindestens
1 bis 2 Sekunden nötig.
Die von der Sonne und den Fixsternen
ausgestrahlten Energien stammten größtenteils aus derartigen Prozessen, die
bei den im Innern der Sterne herrschenden Temperatur-Druck-Bedingungen als
Kettenreaktion abliefen. In verschiedenen Reaktionszyklen werde Kernenergie
im Prinzip durch die thermonukleare
Reaktionskette Wasserstoff - Deuterium
- Helium freigesetzt.
Dr. rer. nat. Walter benannte eine Reihe
von Argumenten, die für die weitere Beschäftigung mit der Technik der Kernfusion sprächen. Er stellte fest, dass der
Brennstoff für die Kernfusion reichlich
vorhanden und kostengünstig sei. Auch
seien kritische unerwünschte Zustände
bei der Kernfusion ausgeschlossen.
Weiter sei es nicht erforderlich, radioaktiven Brennstoff zu transportieren. Der
Umfang an radioaktivem Abfall (aktiviertem Strukturmaterial) sei mit dem von
Kernspaltungsreaktoren vergleichbar,
aber der Abfall enthalte keine langlebigen Spaltprodukte. Gegenüber Kernspaltungsreaktoren bestehe keine Gefahr
der missbräuchlichen Weitergabe (Proliferation).
Magnetfelder bei Tokamak und Stellarator
Es gebe zwei Methoden, um dies zu erreichen: die Anlagenkonfigurationen Tokamak und Stellarator.
Dr. rer. nat. Wolfgang Walter
- In einem Tokamak erzeuge eine Anordnung von Spulen ein Magnetfeld in
Richtung des Torus, zu dem ein Magnetfeld hinzuaddiert werde, das durch einen
intensiven axialen Strom erzeugt werde,
der im Plasma selbst fließe.
- In einem Stellarator werde die magnetische Konfiguration vollständig durch
Ströme erzeugt, die in helicoiden Spulen
flössen. Diese "helikal"-förmigen Spulen
seien schwierig herzustellen, insbesondere dann, wenn diese supraleitend
seien. Deshalb benötige man modulare,
nicht-ebene Spulen. Diese ermöglichten
Optimierungen der Magnetfeld-Konfiguration, wie in der Anlage Wendelstein 7AS am IPP Garching hätte nachgewiesen werden können.
Ein Tokamak-Reaktor habe ein stabiles
Plasma, das zusammengehalten werde
durch ein toroidales Magnetfeld, erzeugt
mit toroidförmigen Spulen, durch ein vertikales Magnetfeld, erzeugt mit vertikalen
Spulen und durch ein Magnetfeld, erzeugt durch den Plasmastrom.
Der Plasmastrom werde beim TokamakReaktor "ITER" mit einer Stärke von etwa
15 MA durch einen Transformator erzeugt. Dabei komme es zu einem pul-
Als Ausgangsstoffe dienten schwerer
Wasserstoff (Deuterium D) und Tritium T,
die - nach Überwindung der Coulomb’schen Abstoßungskräfte - unter Freisetzung einer großen Energiemenge und
eines Neutrons zu Helium verschmolzen
würden:
D + T --> He + n + 17,62 MeV
Stellarator in der Anlage Wendelstein 7-X in Greifswald (Quelle: IPP)
43
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
ITER
ITER: Schematischer Aufbau eines Fusionsexperiments (Quelle: ITER-org)
sierenden Betrieb, wobei die Gefahr von
Instabiltäten bestehe. Vorteilhaft sei,
dass der Plasmastrom sehr effizient aufgeheizt werde.
Als Aufheizmechanismen kämen infrage:
Widerstandsheizen durch Strom im
Plasma; Verdichtung durch mechanische
oder elektrische Kräfte; Aufheizen durch
elektromagnetische Wellen im Radiowellenbereich; Einbringen von Energie
durch neutrale Strahlung über Kollision;
internes Aufheizen, indem Fusionsprodukte Energie ins Plasma einbringen
Die Anlage JET sei die zurzeit größte
Maschine; der Radius betrage 7,5 m,
das Gewicht 4000 t, das Plasmavolumen 80 m3 und das Plasmagewicht 0,02
g, das Magnetfeld 4,0 T und die Plasmastromstärke 5 MA. Im Jahr 1973 seien
erste Entwicklungen aufgenommen worden; 1977 sei der Standortbeschluss zugunsten von Culham in Großbritannien
gefallen. 1979 habe die Errichtung begonnen, und 1983 sei das erste Plasma
erzeugt worden.
Die Anlage Wendelstein 7-X in Greifswald sei das zurzeit größte StellaratorExperiment. Das Magnetfeld leiste 3 T;
der Radius betrage 5,5 m; das Plasmavolumen umfasse 30 m3; die Pulsdauer
sei 30 min; die Heizleistung betrage 10
MW. 1994 sei mit der Errichtung begonnen worden; 2014 sei der Zusammenbau
abgeschlossen worden, und 2015 sei der
Betriebsbeginn.
Die Anlage ITER sei das zurzeit größte
Fusionsexperiment im Bau. Beschlossen
beim Gipfeltreffen Reagan/Gorbatschow,
sei 1998 der Bericht zur "abschließenden Konstruktion" erfolgt; darauf sei eine
Umkonstruktion mit dem Ziel der Kostensenkung (~ 6 Mrd. US-$ zu dieser Zeit)
vorgenommen worden, und 2005 der
Standortbeschluss zugunsten von Cadarache in Frankreich gefallen. 2008 sei
44
mit der Errichtung begonnen worden. Etwa um 2020 werde mit dem "ersten Plasma" gerechnet; um 2027 solle ein Deuterium-Tritium-Plasma erreicht werden.
Die Aktualisierung von Kosten und Terminen für die Anlage ITER werde zu
Ende 2015 vorgestellt.
Der Anlagenradius betrage 15 m, das
Gewicht 15.000 t, der Plasmaradius 6,2
m, das Plasmavolumen 837 m3, das Magnetfeld 5,3 T, die Plasmastromstärke 15
MA, die Heizleistung 73 MW, die Fusionsleistung 500 MW und die Pulsdauer
mehr als 300 Sekunden.
Dr. rer. nat. Wolfgang Walter ging im
Folgenden auf das Phänomen der Supraleitung ein: Hierbei sei der elektrische
Widerstand genau null; sie trete in bestimmten Werkstoffen auf, die unter eine
charakteristische kritische Temperatur
heruntergekühlt würden. Supraleitung
werde seit Jahrzehnten erfolgreich angewandt - u. a. bei wissenschaftlichen
Großprojekten.
Weltweit würden jährlich supraleitende
Drähte von über 200.000 km Länge hergestellt. Supraleitende Drähte in Standardausführung kosteten weniger je Ampere und Meter als Kupferdraht; jedoch
würden die Kosten vor allem durch das
Herunterkühlen auf sehr niedrige Temperaturen bestimmt; die Entwicklung eines
Supraleitungs-Systems sei eine komplexe Angelegenheit. Um einen supraleitenden Magneten betreiben zu können,
müsse man Temperatur, Stromstärke
und magnetische Feldstärke unterhalb
jeweils kritischer Werte halten.
Es gebe unterschiedliche Konzepte für
einen Tieftemperaturbetrieb der Magneten von Anlagen für die Kernfusion. Üblich seien:
Badkühlung: Der kalte Magnet werde in
einem Kryostaten angeordnet und sei
von einer Kühlflüssigkeit (typischerweise
flüssiges Helium LHe) umgeben. Zusätzlich werde flüssiger Stickstoff (LN2) als
"Kälteschild" gegenüber der Umgebung
genutzt.
Kühlung durch Wärmeleitung bzw. "Kälteleitung": Die Tieftemperatur werde mithilfe eines speziellen Kryo-Kühlers erzeugt. Vom "kalten Finger" des Kühlers
werde die Tieftemperatur allein mithilfe
hochwärmeleitfähiger Materialien (meist
speziellem Kupfer) zum Magneten gebracht; LHe und LN2 seien dabei nicht
erforderlich.
Zwangskühlung (Forced Flow cooling):
Das supraleitende Kabel enthalte einen
Kühlkanal. Durch diesen Kanal werde
das Kühlmittel in Form einer Zwangsströmung hindurchgeführt. Die supraleitenden Drähte stünden mit dem Kühlmittel,
das immer wieder abgekühlt werde, in
unmittelbarer Berührung. Dieses Verfahren ermögliche eine hohe Kälteleistung,
wobei nur ein vergleichsweise begrenzter Volumenstrom des Kühlmittels benötigt werde. Zusätzlich könne das Rohr
als Strukturmaterial genutzt werden.
Tiefgekühlter Supraleiter für Wendelstein 7-X
Dr. Walter ging darauf auf Fragen der
Magnetspulen ein: Ein moderner Stellarator verwende spezielle, dreidimensionale Spulen, auch als "nicht-ebene" Spulen bezeichnet. Sie würden zusammen
mit ebenen Spulen für die Magnetfeldveränderung eingesetzt, um ein verdrilltes Magnetfeld zu erzeugen, das für den
Plasmaeinschluss sorge.
Die Fertigung solcher supraleitenden
Spulen sei ein sehr anspruchsvoller
Prozess, der auf dem Einsatz von Hochtechnologien beruhe. Hierfür seien spezielle Fertigungsvorrichtungen und Herstellungsverfahren zu entwickeln. Daher
sei es von Bedeutung, zunächst Prototypen herzustellen, anhand derer das
Fertigungsverfahren qualifiziert werde.
Die Anwendung der Supraleitung habe
weitreichende Auswirkungen auf den
Fertigungsvorgang: Die Werkstoffauswahl sei eingeschränkt; weiter müssten
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
durch" zu überprüfen. Man konzentriere
sich vor allem auf geometrische, hydraulische und elektrische Überprüfungen.
Wendelstein 7-X: Anordnung der
Magnetspulen
Design einer Magnetspule
Mechanische Bearbeitung einer Magnetspule
Effekte wie z. B. die thermische Schrumpfung des eingesetzten Werkstoffs berücksichtigt werden. Doch überwögen die
Vorteile der Supraleitung, die in kompakten Spulenabmessungen und begrenzten Betriebskosten bestünden. Gegenwärtig stütze man sich auf bestimmte
Standardwerkstoffe, insbesondere NbTi
or Nb3Sn. Künftig könnten sich jedoch
bei neuen Kernfusions-Projekten wie
DEMO und HTS grundlegende Änderungen bei der Konstruktion und der Herstellung von Spulen ergeben.
Der Vortragende stellte im Folgenden die
einzelnen Teilschritte bei der Spulenfertigung vor. Er machte dabei auch auf die
umfassenden Maßnahmen zur Qualitätssicherung aufmerksam: Die Qualitätssicherung sei deshalb wichtig, weil das
Spulen-Herstellungsverfahren ein komplexer Vorgang sei, bei dem Unregelmäßigkeiten unbedingt auszuschließen seien, weil dies zu einem vollständigen Verlust einer Spule führen könne. Erschwerend sei, dass es nicht möglich sei,
während des Herstellungsvorgangs etwa
die Qualität der Supraleitung "zwischen-
Zusammenfassend merkte Dr. rer. nat.
Walter an:
Die Stromerzeugung aus Kernfusionsenergie sei eine wichtige Option für den
künftigen Energiemix, jedoch keine Kurzfrist-Lösung. Es gebe belastbare Konzepte für Fusionsanlagen, insbesondere
Tokamak und Stellarator, deren Eignung
in Experimenten im Groß-Maßstab nachgewiesen sei. Die Anlage ITER sei der
letzte große experimentelle Schritt zum
geplanten Demonstrationsreaktor DEMO.
Es gebe nach wie vor technische Herausforderungen auf diesem Weg. Dies
habe im Vortrag am Beispiel der Fertigung von supraleitenden Spulen verdeutlicht werden können. Solche supraleitenden Spulen seien nunmehr so weit entwickelt, dass sie von hochspezialisierten
Industrieunternehmen in der NbTi- und
Nb3Sn-Technologie hergestellt werden
könnten. Laufende Studien für den Demonstrationsreaktor DEMO bezögen
diese Technik mit ein.
Das ITER-Projekt komme voran, wobei
man große Anstrengungen darauf richte,
das Projekt umzustrukturieren und zu
verbessern. Zu Ende 2015 werde man
dazu mehr erfahren. Die Anlage Wendelstein 7-X werde in Kürze fertig gestellt
sein. Mit ihm werde es möglich sein,
wichtige Ergebnisse für die weitere Entwicklung der Kernfusion und für den Bau
und Betrieb künftiger Kernfusions-Kraftwerke zu gewinnen.
O
Einbringen der Wicklung in das Magnetspulen-Gehäuse
Endbearbeitung einer Magnetspule
Flexibilisierung konventioneller
Kraftwerke: Hilft, Probleme
mit fluktuierend eingespeistem
Grünstrom zu bewältigen
Der fünfte Vortrag fand am 24. Juli 2015
statt. Dieser wurde von Prof. Dr.-Ing.
Timm Heinzel von der Fakultät Gebäude Energie Umwelt (GU) der Hochschule
Esslingen unter dem Titel “Flexibilisierung konventioneller Kraftwerke unter
den Rahmenbedingungen der Energiewende am Beispiel der Absenkung
der Mindestlast” gehalten.
Der Referent verdeutlichte zu Beginn,
dass durch die Energiewende eine Veränderung der Einsatzbedingungen für
konventionelle Kraftwerksanlagen stattfinde. Den Kraftwerken werde dabei eine
neue Rolle zuteil: Deren Einsatzzeiten
gingen zurück, sie hätten die Erzeugungsleistung flexibler bereitzustellen,
erzielten geringere Großhandelspreise
und müssten dennoch die maximale im
Netz benötigte Leistung vorhalten.
Im ersten Teil seines Vortrags ging Prof.
Dr.-Ing. Heinzel näher auf diese neuen
Rahmenbedingungen ein. Der zweite
Teil behandelte konkrete Anpassungen
am Kraftwerkspark, um diesen neuen
Anforderungen gerecht zu werden, wobei Modernisierungsmaßnahmen, Leistungssteigerungen, die Flexibilisierung
der Anlagen und ein kostenoptimierter
Betrieb im Vordergrund standen. Im Vortrag wurde insbesondere auf Maßnahmen zur Absenkung der Mindestlast und
die besonderen Herausforderungen an
Heizkraftwerke eingegangen, die neben
der Stromerzeugung auch die Fernwärmeversorgung sicherstellen müssen. Der
Vortrag schloss mit der Darstellung der
Umsetzung an drei konkreten Anlagen.
Im ersten Teil verwies der Vortragende
darauf, dass der Hintergrund der Energiewende in Deutschland die Forderung
nach einem langfristigen Klimaschutz
sei, dessen Ziel eine Senkung der
Treibhausgasemissionen und eine wesentliche Dekarbonisierung im Energiebereich sei. Das Energiekonzept der
Bundesregierung sehe vor, dass bis zum
Jahr 2050 im Bereich der Stromerzeugung der Anteil der regenerativen Energien auf rund 80 % erhöht werden solle.
Entsprechend solle eine Absenkung der
konventionellen Erzeugung auf etwa 20
% stattfinden.
Da ein Großteil der erneuerbaren Energien nicht grundlastfähig sei, sondern
fluktuierend einspeise, bedeute dies je45
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
Schwerpunkte für einen flexibleren Betrieb der konventionellen Kraftwerke als
Folge der Energiewende
doch, dass trotz einer stark verminderten
Stromerzeugung die verfügbare Erzeugungsleistung konventioneller Kraftwerke weitgehend unverändert vorgehalten
werden müsse. Zudem bedinge die hohe
Einspeisung von Fotovoltaik- und Windstrom weitere technische und ökonomische Herausforderungen beim Kraftwerkseinsatz:
So sei eine - räumlich und zeitlich genaue - Prognose der Stromeinspeisung
erforderlich, um die abzudeckende Residuallast richtig steuern zu können. Regelmäßig auftretende langanhaltende
Windflauten und Wolkenperioden, wie sie
typischerweise im Dezember für ein bis
zwei Wochen ohne Unterbrechung auftreten könnten, erforderten hohe Reservekapazitäten.
Die erhöhten Lastgradienten durch die
Einspeisung aus Wind und Fotovoltaik
seien durch eine entsprechend schnelle
Reaktion abzufangen. Zeiten mit Überschuss-Strom aus erneuerbaren Energien erforderten den Ausbau von Speicherkapazitäten und die Nutzung vorhandener Potenziale zur Lastverschiebung.
ze, steuerbare Lasten und mehr Energiespeicher erhöhten die Vollkosten der
Stromversorgung.
Fachliche Studien und Zukunftsszenarien belegten die naheliegende Erwartung, dass ein deutlich reduzierter und
“wechselhafterer” Stromanteil konventionell erzeugt werden müsse, und dass
dabei die Lastgradienten anstiegen,
ohne dass auf den Leistungsvorhalt verzichtet werden könne.
Dies sei mittelfristig problematisch, da in
Deutschland 20 GW Kapazität aus nuklearer Erzeugung abgeschaltet würden
und damit als steuerbare Last nicht mehr
zur Verfügung stünden. Ohne die Kernkraftwerke verblieben derzeit etwa 90
GW einschließlich aller Altanlagen; langfristig würden 80 GW weiterhin benötigt.
Einige Anlagen müssten freilich altersbedingt abgeschaltet werden, neue Anlagen würden nicht geplant, so dass mittelfristig mit keiner Überkapazität gerechnet
werden könne.
Eine umweltpolitisch motivierte Forderung nach zusätzlicher Abschaltung von
Braun- und Steinkohlekraftwerken würde
dabei zu einer deutlichen Verminderung
der verfügbaren Reservekapazität führen. Verschiedene Maßnahmen wie Laststeuerungen, Ausbau der Netze usw.
könnten zu einer gewissen Entschärfung
der Problematik beitragen, diese jedoch
nicht lösen. Auch in Zukunft würden in
einer windstillen und trüben Winterperiode von beispielsweise zehn Tagen mehr
als zehn Terawattstunden Strom benötigt. Deren Speicherung übersteige die
mögliche, zu realistischen Kosten verfügbare Kapazität bei weitem. Für die
konventionellen Kraftwerke ergebe sich
damit auch langfristig die neue Rolle der
Betriebsbereitschaft zur Bereitstellung
der Residuallast.
Weil gleichzeitig die Einsatzzeiten und
die erzeugte Strommenge zurückgingen,
würden die Vorhalte- und Erzeugungskosten dieser Reserveleistung deutlich
ansteigen.
Aufgrund des gegenwärtig gehandhabten Marktmodells des “Merit Order”, das
zur Zeiten der Liberalisierung des Strommarktes ohne Berücksichtigung der Vorrangeinspeisung erneuerbarer Energien
entwickelt worden sei, finde gleichzeitig
eine Absenkung der Handelspreise für
gehandelten konventionellen Strom statt
- in Verbindung mit einer steigenden Volatilität der Preise am Spotmarkt. Durch
diese Kombination entstehe die aktuelle
Situation, in der viele Kraftwerksbetreiber aus Kostengründen zahlreiche Kraftwerke abschalten wollten oder den konventionellen Erzeugungsbereich – wie
derzeit E.ON – ganz aus ihrem Portfolio
streichen wollten. Dies wiederum habe
Leistung [GW]
Auch müsse gesehen werden, dass die
EEG-Abgabe und weitere Folgekosten
für die Stromverbraucher die Akzeptanz
der Energiewende verminderten - insbesondere dann, wenn die bisher auf
Deutschland beschränkte Energiewende
ohne Nachahmer und damit weitgehend
ohne Effekt für das Weltklima bleibe.
Verschiedene technische Auswirkungen
der Energiewende - z. B. die Verminderung der regelbaren Kraftwerksleistung,
die erhöhte Belastung der Netze sowie
deren verzögerter Ausbau - hätten eine
Verringerung der Versorgungssicherheit
zur Folge. Gegenmaßnahmen wie flexiblere Kraftwerke, leistungsfähigere Net46
Jan.
Zeit
Juli
Prognose 2020 des Einsatzes der verschiedenen erneuerbaren und konventionellen Erzeugungsleistungen in einer Sommerwoche und einer Winterwoche
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
Wirkungsgraderhöhung durch Modernisierung von Turbinen im EnBWHeizkraftwerk Heilbronn Block 7
nten die Maßnahmen am Kraftwerk
Heilbronn Block 7 (Ertüchtigung der Turbinen und Anlagenoptimierung mit einer
Erhöhung der elektrischen Leistung um
40 MW bei konstanter Brennstoffleistung), die Modernisierung der Niederdruckturbine am Karlsruher RheinhafenDampfkraftwerk Block 7 mit einer Leistungssteigerung von 25 MW sowie der
Mitteldruck-Turbinen-Retrofit am Kraftwerk Altbach HKW 2 angeführt werden.
bewirkt, dass die Netzbetreiber zur Sicherung der Stabilität des Netzes regulatorisch eingreifen müssten und derzeit
die Kraftwerksbetreiber zu verpflichten
hätten, auch alte, wenig umweltfreundliche Kraftwerke, die eigentlich abgeschaltet werden sollten, auch weiter am
Netz zu halten. Dafür habe man eigens
eine gesetzliche Regelung geschaffen.
Im zweiten Teil seines Vortrags ging der
Referent auf technische Maßnahmen zur
Flexibilisierung moderner konventioneller Kraftwerke ein, die in jedem Fall auch
weiterhin für die Bereitstellung der Residuallast im System erforderlich seien.
Die Schwerpunkte für einen flexibleren
Betrieb der konventionellen Kraftwerke
ließen sich unter drei Überschriften zusammenfassen:
1. Effizienz: Kostenoptimierter Betrieb
mit hohem Wirkungsgrad
2. Netzstabilisierung: Bereitstellung von
Regelleistung, Netzstabilisierung durch
die thermischen Anlagen, Notfallverfügbarkeit wie z. B. Schwarzstartfähigkeit.
Insbesondere seien auch die Primärregelung und die Sekundärregelung betroffen, die bisher überwiegend durch
geeignete Maßnahmen an den großen
Kraftwerksblöcken sichergestellt würden.
3. Flexible Erzeugung: schnelle Verfügbarkeit durch niedrige Mindestlast, kurze
Anfahrzeiten, hohe Lastgradienten und
den Vorhalt hoher Leistungsreserven.
Dieser flexiblere Betrieb habe technische
Auswirkungen auf die Anlagen, die überwiegend für ein anderes Einsatzszenario
gebaut worden seien: Der Anlagenbetrieb finde teilweise außerhalb der bisherigen Auslegungsgrenzen statt, was
eine genaue Prüfung und Anpassung der
Anlagentechnikerfordere. Der fluktuierende Betrieb führe zu höherem Verschleiß und verminderter Lebensdauer,
und es würden andere Anforderungen an
Betrieb und Instandhaltung gestellt. Als
Beispiele für die Effizienzsteigerung kön-
Prof. Dr.-Ing. Timm Heinzel
Vor dem Hintergrund geringerer Betriebszeiten und höherer Flexibilitätsanforderungen könne auch geprüft werden, inwieweit eine Wirkungsgradverringerung
hingenommen werden könne, um Anlagen mit höheren Lastgradienten und
mehr Anfahrvorgängen zu betreiben, wie
an Hand des Einflusses der Absenkung
der Frischdampftemperatur sichtbar werde. Die Laständerungsgeschwindigkeit
werde vor allem vom thermischen Verhalten dickwandiger Bauteile im Kesselund Turbinenbereich beeinflusst. Hier sei
eine Abwägung und Optimierung zwischen Lebensdauereinbuße und Laständerungsgeschwindigkeit möglich.
sorge für eine schnelle Verfügbarkeit gesicherter elektrischer Leistung, vermeide
hohe Anfahrkosten und vermindere die
Lebensdauereinbuße durch das An- und
Abfahren. Eine Absenkung der Mindestlast erhöhe den Einsatzbereich der Anlage, vermindere den Brennstoffeinsatz,
der benötigt werde, um die Anlage zur
Leistungsabsicherung am Netz zu halten; damit werde besonders im Anlagenverbund die Flexibilität des Gesamtsystems zur Absicherung der Residuallast,
des Lastausgleichs und der Bereitstellung von Regelenergie erhöht.
Diese Maßnahmen beträfen die Kohlekraftwerke, da gasgefeuerte Anlagen
von vornherein flexibler seien, deren Anlagenbestand aber deutlich geringer sei
und diese Anlagen wegen der höheren
Betriebskosten wesentlich seltener zum
Einsatz kämen. Bei den kohlegefeuerten
Kraftwerken überwiege die SteinkohleTrockenfeuerung, weshalb bei diesen
das Gesamt-Potenzial zur Mindestlastabsenkung am höchsten sei. Im unteren
Lastbereich stelle zunächst die Stabilität
der Feuerung im 1- oder 2-Mühlenbetrieb die untere Grenze dar; es müsse
naheliegenderweise eine stabile Zündung und Verbrennung im Feuerraum
erfolgen. Aspekte hierbei seien unter anderem eine korrekte Flammendetektion
des Flammenwächters, die Verwendbarkeit der produzierten Flugasche (Begrenzung des Anteils unverbrannten Kohlenstoffs auf weniger als 5 %), die Kohlen-
Weiterhin würden Modifikationen an den
Anlagen und der Einsatz neuer Techniken zur Reduzierung der dynamischen
Reaktionszeiten bei Laständerungen untersucht, beispielsweise die so genannte
indirekte Feuerung. Da der Mahlprozess
die größte Trägheit im kohlenstaubgefeuerten thermischen Kraftwerk aufweise,
ermögliche die Entkopplung von Mahlung und Feuerung eine Erhöhung der
Lastrampen. Dies könne durch eine indirekte Feuerung mit einem KohlestaubPuffersilo erreicht werden.
Als Beispiel einer an mehreren Anlagen
realisierten Maßnahme zur Flexibilisierung des Anlageneinsatzes stellte Prof.
Dr.-Ing. Heinzel die Absenkung der Mindestlast ausführlich dar. Der Mindestlastbetrieb während kurzer lastarmer Zeiten
Boxerfeuerungs-Kessel: 4 Brennerebenen mit jeweils 8 Low-NOx-Einzelbrennern: Absenkung der Mindestfeuerungsleistung von 35 % auf 20 %
47
Kolloquium der Fakultät
monoxidemissionen und sicherheitstech- können. Die Auswirkungen auf die weite- Gebäude Energie Umwelt (GU)
nische Aspekte des Feuerungsbetriebs.
ren Komponenten seien unerheblich im Wintersemester 2015/2016
Kolloquium der Fakultät Gebäude Energie Umwelt im Sommersemester 2015
Die Maßnahmen seien an typischen
Bestands-Steinkohlefeuerungen dreier
großer Heizkraftwerke der EnBW durchgeführt worden. Die Blöcke unterschieden sich u. a. hinsichtlich des Feuerungskonzeptes (Boxerfeuerung und
Tangentialfeuerung) und der Dampfentnahme aus dem Wasser-Dampf-Kreislauf. Es seien Mittellast-Kraftwerksblöcke
mit 450 MW bis 800 MW elektrischer
Bruttoleistung. Alle drei Anlagen verfügten über eine hohe Fernwärmeauskopplung. Am ersten Block mit einer Boxerfeuerung mit vier Brennerebenen mit jeweils acht Low-NOx-Einzelbrennern sei
die zulässige Feuerungsleistung von etwa 35 % auf rund 20 % abgesenkt worden - sowohl im üblichen ZweiebenenBetrieb als auch im neuen EinebenenBetrieb. Die Feuerungsstabilität werde
dabei durch Flammenwächter an jedem
einzelnen Brenner abgesichert.
Auch bei einer Tangentialfeuerung habe
eine Absenkung der Last und die Einführung eines stabilen Einebenen-Betriebs
erreicht werden können. Bei dieser
Anlage sei es möglich, die Feuerung im
Einmühlenbetrieb bis auf etwa 15 % der
Maximallast abzusenken. Diese erhebliche Reduzierung erfordere begleitende
Maßnahmen zur Stabilisierung der Kesseltemperatur. Zum einen seien die obersten Feuerungsebenen für den Einebenen-Betrieb ausgewählt worden. Zudem
werde die Feuerung mit hohem Luftüberschuss betrieben. Dadurch werde eine
relativ kältere Flamme und eine erhöhte
spezifische Rauchgasmenge erzeugt.
Insgesamt werde anteilig weniger Wärme im Verdampferbereich und mehr im
Überhitzerbereich übertragen. Dadurch
sei eine zu starke Absenkung der Dampftemperaturen vermieden worden. Als ein
wesentliches weiteres Kriterium sei hier
die Einhaltung der DeNOx-Mindesttemperatur zu nennen, die durch die Kombination der genannten Maßnahmen in
allen Anlagen habe sichergestellt werden
gewesen oder hätten mit geringem
Aufwand beherrscht werden können.
Eine Besonderheit stellten die großen
Heizkraftwerke mit Einbindung in die
Fernwärmeversorgung dar. Diese würden überwiegend stromgeführt betrieben; die Fernwärme sei das Zweitprodukt. Hier sei eine Optimierung des Anlagenbetriebs erforderlich, um den Einsatz teurer, in der Regel öl- oder gasgefeuerter Reserveanlagen zu minimieren.
Die Absenkung der Mindestlast könne,
wenn sie eine Fernwärmeauskopplung
weiterhin zulasse, für diese Anlagen einen Vorteil (in der Kombination der Bereithaltung der schnellen Verfügbarkeit
bei minimaler Leistung und gleichzeitiger
Fernwärmeproduktion) mit sich bringen.
Die Verschaltung der einzelnen Anlagen
habe einen großen Einfluss. In einer Anlage entstehe durch die Fernwärmeauskopplung ein zusätzlicher Vorteil im Mindestlastbetrieb, bei der anderen Anlage
trete eine Einschränkung auf. Dies werde von der Einsatzplanung der Anlagen
entsprechend berücksichtigt. Die elektrische Mindestlast habe bei Anlage 1
(Nominallast 430 MW) von 160 MW auf
80 MW reduziert werden können, bei
Anlage 2 (Nominallast 510 MW) von 170
MW auf 100 MW und bei Anlage 3
(Nominallast 750 MW) von 200 MW auf
105 MW. Eine Übertragung auf weitere
Anlagen sei im Gange.
Insgesamt sei festzuhalten, dass sich die
Betreiber konventioneller Kraftwerke den
neuen Aufgaben im Rahmen der Energiewende stellten und diese unter anderem durch eine Flexibilisierung der Anlagen umsetzten. Nach den Nachrüstungen der letzten Jahre, die der Wirkungsgradoptimierung und der Leistungssteigerung gedient hätten, sei nunmehr die
Absenkung der Mindestlast eine wichtige
Maßnahme; in Zukunft gehe es um weitere Maßnahmen für einen möglichst flexiblen und kostengünstigen Betrieb.
O
Auch im Wintersemester 2015/16 finden
an der Hochschule Esslingen sechs Veranstaltungen im Rahmen des "GU-Kolloquiums" statt. Die Referenten beschreiben neue Entwicklungen in ihren Arbeitsgebieten, zeigen Verbindungen zwischen Industrie, Wirtschaft sowie Hochschule auf und geben der technisch-wissenschaftlichen Diskussion Impulse.
Dies sind die Vorträge:
Mittwoch, 7. Oktober 2015:
Der EnBW-Modellversuch “Flexibler
Wärmestrom” als ein Umsetzungsbeispiel für ein Lastmanagement
in der Energiewende
Dr. Holger Wiechmann, Senior Manager
EnBW, Dipl.-Phys. Thomas Losinger,
Projektmanager EnBW
Mittwoch, 21. Oktober 2015:
Condition-Monitoring
technischer Anlagen
Dr. Uwe Braun, Key Account Director
Stadtwerke/EnBW, GE Germany
Mittwoch, 4. November 2015:
Die Digitalisierung in der Baubranche
- Building Information Modeling (BIM)
in der Anwendung
Dipl.-Ing. (FH) Steffen Schönfeld,
Geschäftsführer Wolff & Müller
Partnering GmbH & Co. KG
Mittwoch, 18. November 2015:
Lebensmittel zu schade für die Tonne
Prof. Dr.-Ing. Martin Kranert,
Institut für Siedlungswasserbau,
Wassergüte- und Abfallwirtschaft
der Universität Stuttgart
Mittwoch, 2. Dezember 2015:
Energieeffizienter Einsatz
industrieller Rückkühltechnik
und hybride Trockenkühlung
Dipl.-Ing. (FH) Thomas Rack,
Vertrieb Hybridkühler,
Jaeggi Hybridtechnologie AG
Mittwoch, 16. Dezember 2015:
Weizen ein Eckpfeiler der Welternährung
Dr. Hans-Joachim Braun, Director Global
Wheat Program, and CRP WHEAT CIMMYT, Mexiko
EnBW-Heizkraftwerk Altbach/Deizisau
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Zugehöriges Schaltschema
Die Vorträge finden um 17.30 Uhr im
Gebäude 8, Hörsaal S 8.008
am Standort Stadtmitte der Hochschule
Esslingen (HE), statt.