Die Bestie und ist der Souverän 17. Oktober 2015 – 17. Januar 2016

P R E S S E I N F O R M A T I O N
Die Bestie und ist der Souverän
17. Oktober 2015 – 17. Januar 2016
Ausstellung des Jahres 2015 AICA, Deutsche Sektion
Ausstellungshighlight 2015 Ana Teixeira Pinto, Frieze d/e
Wichtigste Ausstellung des Jahres 2015 Kolja Reichert, Art
Eine Ausstellung des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart
Organisiert und Koproduziert mit MACBA – Museu d’Art Contemporani de Barcelona
Die Bestie und ist der Souverän
17. Oktober 2015 – 17. Januar 2016
Württembergischer Kunstverein Stuttgart
Ausstellung des Jahres 2015 AICA, Deutsche Sektion
Ausstellungshighlight 2015 Ana Teixeira Pinto, Frieze d/e
Wichtigste Ausstellung des Jahres 2015 Kolja Reichert, Art
KünstlerInnen
Efrén Álvarez, Daniel G. Andújar / Itziar González, Hicham Benohoud, Ángela Bonadíes / Juan José
Olavarría, Peggy Buth, Ines Doujak, Juan Downey, Edgar Endress, Oier Etxeberria, Eiko Grimberg,
Masist Gül (präsentiert von Banu Cennetoğlu und Philippine Hoegen), Ghasem Hajizadeh, Jan Peter
Hammer, Geumhyung Jeong, Alexander Kluge, Julia Montilla, Ocaña, Damir Očko, Genesis Breyer POrridge, Ulrike Ottinger, Prabhakar Pachpute, Mary Reid Kelley / Patrick Kelley, Jorge Ribalta, Wu
Tsang, Stefanos Tsivopoulos, Viktor Vorobyev / Yelena Vorobyeva
KuratorInnen
Hans D. Christ, Iris Dressler, Paul B. Preciado, Valentín Roma
Eine Ausstellung des
Württembergischen Kunstvereins Stuttgart
Organisiert und Koproduziert mit
Gefördert durch
Württembergischer Kunstverein · Schlossplatz 2 · 70173 Stuttgart
Fon: +49 (0)711 - 22 33 70 · Fax: +49 (0)711 - 29 36 17 · [email protected] · www.wkv-stuttgart.de
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Einführung
Die Bestie und [et] der Souverän, die Bestie ist [est] der Souverän, so
würde sich unser Paar ankündigen, ein Paar, ein Duo, ein Duell gar,
aber auch ein Bund, fast eine Vermählung …“
Jacques Derrida
Die Ausstellung Die Bestie und ist der Souverän, die vom 17. Oktober 2015 bis zum 17. Januar
2016 im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart zu sehen ist, beschäftigt sich mit den
Konstruktionen des politischen Souveräns in den westlichen Denktraditionen. Im Vordergrund stehen
dabei künstlerische Praktiken, die Souveränität – wie sie in den Konzepten des Heiligen, des
Nationalstaats, moderner Institutionen, des Humanismus, von Männlichkeit oder dem unversehrten,
(hetero)normativen Körper zum Tragen kommen – infrage stellen, umkehren oder auflösen.
Der Titel der Ausstellung geht auf das letzte Seminar des französischen Philosophen Jacques Derrida
(2002–2003) zurück1. Für Derrida versinnbildlichen die Bestie und der Souverän zwei
entgegengesetzte Figuren des Politischen, die beide außerhalb des Gesetzes verortet sind: Das Tier
bzw. die Bestie, die das Gesetz nicht kennt, und der Souverän, dessen Macht sich durch die Befugnis
auszeichnet, das Gesetz aufheben zu können.
Die Ausstellung setzt an den binären Herrschaftsverhältnissen an, die sich aus diesem eigentümlichen
Paar – „ein Duo, ein Duell gar“ (Derrida) – ableiten lassen: Auf der einen Seite die Bestie, die für
Animalität, Natur, Weiblichkeit, Knechtschaft, das nichtweiße Subjekt, Kolonie, Krankheit, das
Abnorme et cetera steht. Auf der anderen Seite der Souverän, der das Menschliche und
Übermenschliche, Gott, den Staat, Männlichkeit, das weiße, körperlich wie sexuell „normale“ Subjekt
verkörpert.
Die Figur der Bestie wirkt in dieser Ordnung nicht nur als Gegenpart des Souveräns, sondern haftet
diesem auch wie ein Tanzpartner an. Die Bestie ist auch der Souverän, wie Derrida in einem
Sprachspiel zwischen dem französischen et (und) und est (ist) hervorhebt. Sind unsere Mythen – von
den Fabeln bis zur Science-Fiction, von den Sirenen bis zum Werwolf – nicht voller Hybriden und
Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier? Und hat nicht ein Übermaß an Machtkonzentration immer
schon zu bestialischem Machtmissbrauch geführt? Dem Menschen sei der Mensch ein Wolf, heißt es
seit Plautus.
Die Ausstellung fokussiert künstlerische Praktiken, die die bestehenden Konzepte und
Wirkungsmächte des Souveräns befragen und zurückweisen.
Dabei stehen vier Aspekte im Vordergrund, in und zwischen denen sich die KünstlerInnen bewegen:
– Das Heilige und der unangemessene Gebrauch des Heiligen
– Ökonomien der Schuld und alternative Ökonomien
– Dissidente Körper: Wider die Ordnungen von Spezie, Geschlecht, Sexualität,
Normativität, Unversehrtheit …
– Moderne Institutionen in der Krise, Kritik, Auflösung und Neubestimmung
Die Ausstellung basiert auf einer Kooperation zwischen dem Württembergischen Kunstverein
Stuttgart und dem Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA).
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Sie wurde kuratiert von Hans D. Christ und Iris Dressler, DirektorInnen des Württembergischen
Kunstvereins, Paul B. Preciado, Kurator des Diskurs- und Veranstaltungsprogramms der Documenta
14, sowie Valentín Roma, ehemaliger Chefkurator des MACBA.
Die Ausstellung wird von einem dichten Veranstaltungsprogramm begleitet. Eine abschließende
umfangreiche Publikation ist für das Frühjahr 2016 geplant.
Der Konflikt
Bei der Premiere der Ausstellung „Die Bestie und der Souverän“ im März diesen Jahres in Barcelona
ist es zu einem Eklat gekommen. Kurz vor Eröffnung entschied der damalige Direktor des MACBA,
Bartomeu Marí, dass eines der Kunstwerke nicht angemessen für eine Präsentation in diesem
Museum sei und forderte dessen Entfernung. Es handelte sich um eine Skulptur der österreichischen
Künstlerin Ines Doujak, die Teil eines langjährigen Projektes zu Fragen der (neo)kolonialen Kontexte
der Textilproduktion ist. Neben zahlreichen anderen Referenzen, lässt sich die Skulptur, die zuvor auf
der São Paulo-Biennale zu sehen war, auch als eine Karikatur des spanischen Ex-Königs lesen. Weder
die KuratorInnen noch die KünstlerInnen der Ausstellung waren bereit, diesen Akt der Zensur
stillschweigend hinzunehmen. Daraufhin sagte Marí die gesamte Ausstellung am Tag der geplanten
Eröffnung ab. Nach einer lokalen wie internationalen Protestwelle wurde sie vier Tage später
schließlich doch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Marí trat zurück. Die beiden Kuratoren des
MACBA, Valentín Roma und Paul B. Preciado, wurden fristlos entlassen.
Konferenz (17. + 18. Oktober 2015)
Die Erfahrungen im MACBA haben eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die wir im Rahmen einer
Konferenz diskutieren möchten, die über diesen konkreten Fall hinausgeht und dabei auch an die
Themenfelder der Ausstellung, die ja unter anderem die Funktionsweisen moderner Institutionen
fokussiert, anknüpft. Wie weit reicht der Einfluss von Politik und Wirtschaft auf das Programm und die
Inhalte öffentlicher Kunstinstitutionen in Europa heute? Welche Rolle spielt dabei die zunehmende
Kommerzialisierung und Unternehmensstruktur von Museen, Kunsthallen etc.? Muss Kunst Rücksicht
auf religiöse, sittliche oder patriotische Gefühle nehmen? Wie wollen wir als InstitutionsleiterInnen,
KuratorInnen und KünstlerInnen in Zukunft arbeiten?
ReferentInnen: Edit András, Daniel G. Andújar, Banu Cennetoğlu, Hans D. Christ, Ines Doujak, Iris
Dressler, Antke Engel, Martin Fritz, Itziar González, Philippine Hoegen, Max Jorge Hinderer Cruz, Paul
B. Preciado, Valentín Roma, Simon Sheikh, Sergio Zevallos u.a.
Programm, Abstracts, Dokumentation und Ergebnisse siehe:
http://www.wkv-stuttgart.de/programm/2015/ausstellungen/die-bestie-und-ist-dersouveraen/konferenz
–––––––––––––––
1: Der originale französische Titel des Seminars und der dazu veröffentlichten Publikation lautet La bête et le
souverain. Die Herausgeber der ersten deutschen Übersetzung dieser Publikation, die 2015 erschienen ist,
haben La bête mit ‚das Tier’ statt mit ‚die Bestie’ übersetzt. Da es uns aber – wie auch Derrida – ganz
entscheidend um die sexuelle Differenz dieses Paares geht, ziehen die Bezeichnung Bestie vor. Nach den
Vorfällen in Barcelona entschlossen wir uns schließlich, den Titel der Ausstellung im Rahmen der Stuttgarter
Ausstellung zu verändern: das "und" wurde durchgestrichen und durch ein "ist" erweitert.
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Auszeichnungen
Deutsche Sektion des Kunstkritikerverbands AICA: Ausstellung des Jahres 2015
Der deutsche Kunstkritikerverband AICA hat den Preis für die "Ausstellung des Jahres 2015" an den
Württembergischen Kunstverein Stuttgart für die Ausstellung "Die Bestie und ist der Souverän"
vergeben. Damit erhält erstmals ein Kunstverein diesen renommierten Preis.
"Die Ausstellung 'Die Bestie und ist der Souverän' untersucht auf unorthodoxe,
nonkonformistische und multiperspektivische Weise Formen von Wirkungskräften
hegemonialer Macht, und zwar anhand von vier hoch akuten Themenfeldern. Dabei richtet
die Ausstellung ihr Untersuchungsfeld geografisch weit aus, versieht es mit ungewöhnlichen
künstlerischen Positionen und Entdeckungen sowie dichten Werkgruppen aller Genres.
Fragen zur Religion und ihrem Missbrauch, zu den Flurschäden kapitalistischer Ökonomie,
den Verstrickungen biologischer Forschung und dem Erbe kolonialer Machtverhältnisse
werden intensiv und durchweg anspruchsvoll behandelt.
Konzeptuell verankert in Jacques Derridas allegorischem Figurenpaar des „Tieres“ und des
„Souveräns“ gelingt den Kuratoren ein hochbrisanter Überbau, der die einzelnen Werke
dennoch nicht zur illustrierenden Folie missbraucht.
Der bei der Eröffnung (im Frühjahr dieses Jahres) entstandene Eklat in Barcelona mit
zahlreichen personellen Konsequenzen hat zudem weitreichende Fragen aufgeworfen, die
zukünftig den Blick auf den Einfluss von Politik und Wirtschaft auf das Programm öffentlicher
Kulturinstitutionen in Europa einfordern. Wie und warum entstehen Zensur und inhärente
Selbstzensur? Welche Ausstellungen fehlen und werden daher und derzeit nicht gemacht?“
AICA, deutsche Sektion
siehe: www.aica.de/auszeichnungen/ausstellung-des-jahres/2015-die-bestie-und_-ist-dersouveraen.html
Ana Teixeira Pinto, Frieze d/e: Ausstellungshighlight 2015
"The most embattled exhibition of 2015, The Beast and the Sovereign was reduced to the
scandal surrounding the sculpture by Austrian artist Ines Doujak depicting the former Spanish
king, Juan Carlos I, naked, on all fours, mounted by a Bolívian labour leader, and a German
Shepherd. At the MACBA in Barcelona, the exhibition was closed, then re-opened, the
curators were fired and the director resigned. The exhibition is much more than the one
artwork, however: it’s a multidimensional portrait of power and its modes of address, and of
those power excludes."
Ana Teixeira Pinto, Frieze d/e
siehe: blog.frieze-magazin.de/highlights-2015-ana-teixeira-pinto
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Kolja Reichert, Art Kunstmagazin / Jahresrückblick: Wichtigste Ausstellung 2015
"Es ist vielleicht ein bisschen naheliegend, "Die Bestie und ist der Souverän" im
Württembergischen Kunstverein Stuttgart zu wählen, die schon von der AICA zur Ausstellung
des Jahres erklärt wurde. Aber mal abgesehen von der wichtigen politischen Debatte über
kuratorische Freiheit in Institutionen, die MACBA-Direktor Bartomeu Marí mit seinem
Zensurversuch in der ersten Version der Ausstellung in Barcelona auslöste, ist die Schau in
kuratorischer Hinsicht wirklich modellhaft. Darin, wie sie unterschiedlichste Stimmen und
Kunstentwürfe zusammen bringt und neue Formen der Zusammenarbeit vorstellt".
Kolja Reichert, Spike
siehe: www.art-magazin.de/szene/14048-rtkl-kritikerumfrage-zum-kunstjahr-2015-der-grossejahresrueckblick
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Werkliste
Courtesy (wenn nicht anders erwähnt): Die KünstlerInnen.
Efrén Álvarez
geb. 1980 in Barcelona
Table of Proportions, 2015
Wandarbeit aus Laserprints und Sprühfarbe; Fanzine
Daniel G. Andújar / Itziar González
D.A.G.: geb. / born 1966 / I.G.: geb. / born 1967
Barcelona Consortium, 2015
Wanddiagramm
Courtesy: Daniel G. Andújar / Itziar González
Diagramm über intransparente Strukturen der Kulturpolitik in Barcelona, angefertigt im Rahmen der
Konferenz „Die Bestie ist der Souverän
Hicham Benohoud
geb. 1968 in Marrakesch
La salle de classe (Das Klassenzimmer), 2000–2002
25 aus einer Serie von 47 Schwarzweiß-Fotografien, je 50 cx 60 cm
Courtesy: Der Künstler und Vu Galerie, Paris
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Die Serie La salle de classe (Das Klassenzimmer) entstand während Hicham Benohouds Arbeit als Kunstlehrer in
Marrakesch, bei der er das Klassenzimmer als Bühne für eine Reihe von Übungen nutzte. Jeweils ein/e SchülerIn
wurde dazu aufgefordert, eine bestimmte Pose einzunehmen. Dabei durfte er / sie sich nur solcher Materialien
bedienen, die sich im Klassenzimmer befanden. Währenddessen mussten alle anderen SchülerInnen den
„normalen“ Unterricht fortsetzen, so als würde nichts Merkwürdiges passieren. Die dabei entstandenen
Szenarios sind geprägt von einer starken Spannung zwischen Regelwerk und Zufall, Ernsthaftigkeit und
Absurdität, Gehorsam und Ungehorsam, Komik und Gewalttätigkeit.
Ángela Bonadies / Juan José Olavarría
(Á.B.: geb. 1970 in Caracas, Venezuela; J.J.O.: geb. 1969 in Valencia, Venezuela; leben in Caracas)
La torre de David (Der David Turm), 2010–2015
Laserprint auf Papier
David Brillembourg, Präsident des Venezolanischen Finanzkonsortiums Confianzas, entschied sich 1990 dazu,
einen vierzigstöckigen, von einem Hubschrauberlandeplatz gekrönten Wolkenkratzer zu bauen. Es sollte das
drittgrößte Gebäude Venezuelas werden. Brillembourg hatte auf der Basis des Börsenbooms der 1980er-Jahre
ein stattliches Vermögen angehäuft, das er mit anderen Bankern in ein Stadtentwicklungsprojekt investieren
wollte. Downtown-Caracas sollte sich zu einem Finanzboulevard im Stil der Wall Street wandeln. In der
Venezolanischen Finanzwelt nannte man Brillembourg “König David”. Dieser Spitzname wurde auch auf das
geplante Gebäude übertragen: David Turm.
1993 starb der Geschäftsmann. Ein Jahr später ging Confianzas wie eine Reihe weiterer Banken, die von der
Regierung Rafael Caldera sanktioniert worden waren, pleite. Die Bauarbeiten wurden eingestellt und das
Gebäude blieb unvollendet. In den darauffolgenden Jahren verfiel der “David Turm” zunehmend zu einer
zeitgenössischen Ruine. 2007 übernahmen schließlich Gruppen von bedürftigen Familien und Einzelpersonen
das Gebäude, um darin ihre eigenen Wohnungen auf der Basis von Selbstorganisation einzurichten. Derzeit
leben rund 2.500 „BesetzerInnen“ in dem Turm, die rechtlich durch eine von ihnen gegründete
Wohnkooperative vertreten werden. (Ángela Bonadies / Juan José Olavarría)
Peggy Buth
geb. 1971 in Berlin, lebt in Berlin
Das Archiv der Missionare, 2013
3 Pigment-Drucke (360 x 90 cm, 450 x 90 cm), Tische, Glasplatten, Typografie: Till Gathmann, Koproduziert
durch das Weltkulturen Museum Frankfurt
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Das Archiv der Missionare basiert auf einer Auswahl von Fotografien aus dem Depot des Weltkulturen Museums
in Frankfurt am Main, die von Missionen u. a. in Afrika, Indonesien, Indien, Papua-Neuguinea und Südamerika
stammen. Einige der Autoren waren zugleich als Theologen und Forschungsreisende vor Ort. Erst Ende der
1987er-Jahre wurden die nicht selten anthropometrischen, das heisst rassekundlichen Vermessungen dienenden
Fotodokumente in Frankfurt systematisch invetarisiert. Andere Fotos erinnern in ihrer Ästhetik an Edward
Steichens universalisierendes Projekt The Family of Man, das mit seinen Bildern einen harmonischen
interkulturellen Kontakt suggerierte. Buths Blick auf diese Bilder richtet sich auf das gespenstische Moment, dass
ihnen innewohnt. Etwas tritt darin als Wiedergänger auf: im Sinne einer „beharrlichen Präsenz“, die sich „aus
dem Ungesagten, dem Nichtrepräsentierten“ (Buth) speist. Diese Geister, schreibt Buth, „fordern Zutritt zu
unseren Texten, unseren Aufschreibesystemen und Repräsentationen.“
Buth hat die im Archiv gefundenen Bilder nicht nur zu verschiedenen Gruppen angeordnet, sondern auch mit
Texten versehen, die auf den ersten Blick wie typische Bildlegenden anmuten. Liest man sich ein, so entpuppen
sie sich als eigenwillig bruchstückhafte Texturen. Anstelle eines kohärenten, die Dinge klassifizierenden und
einnehmenden Diskurses, tritt ein Art Stottern zwischen Bild und Text.
Ines Doujak
geb. 1959 in Klagenfurt, lebt in Wien und London
Not Dressed for Conquering / HC 04Transport, seit 2010
Pappmaché, Metall, Karton, Polypropylen, Handkarren
Die Skulptur Not Dressed for Conquering (Für die Eroberung nicht passend gekleidet) / HC 04Transport
entstand im Rahmen von Ines Doujaks 2010 begonnenem Langzeitprojekt Webschiffe / Kriegspfade, das sich mit
den Verschränkungen zwischen Kolonialismus, Gewalt, Textilproduktion und anderen Ökonomien in Südamerika
sowie mit deren globalen Verstrickungen beschäftigt.
Die Skulptur greift formal Traditionen der Parodie, Burleske und des Karnevals auf und birgt vielschichtige
Verweise auf die Geschichte und Gegenwart Deutschlands, Spaniens und Boliviens. Die Anspielungen reichen
von Wehrmachtsstahlhelmen und den Lieblingsblumen Adolf Hitlers, über die bolivianische
Gewerkschaftsführerin Domitila Barrios de Chúngara (1937–2012) bis zum spanischen Exkönig. Die aus
Pappmaché gefertigte Figurengruppe umfasst desweiteren ein Fabeltier und ist auf Pappkartons und einem
Handkarren gebettet.
Mitte der 1970er-Jahre, als in Spanien nach dem Tod Francisco Francos der vom Diktator über 30 Jahre
protegierte und inthronisierte Nachfolger, Juan Carlos I, Staatsoberhaupt wird, engagiert sich Barrios de
Chúngara in der damaligen Zinnminenregion Potosí für Frauen- und ArbeiterInnenrechte. Mit vier weiteren
Frauen tritt sie Ende 1977 aus Protest gegen das diktatorische Regime Hugo Banzer Suárez’ in einen
Hungerstreik, der viele AnhängerInnen findet und schließlich zum Rücktritt Banzers führt. Banzers Regime war
maßgeblich durch den Nazi-Kriegsverbrecher Klaus Barbie unterstützt worden, der seit 1951 unter dem Namen
Klaus Altmann in Bolivien lebte. Wie tausende anderer Nazis war er über die sogenannte Rattenlinie nach
Südamerika gekommen. Barbie, auch „der Schlächter von Lyon“ genannt, der nach dem Zweiten Weltkrieg für
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den US-amerikanischen Geheimdienst und noch 1966 für den Bundesnachrichtendienst arbeitete, steht für die
Kontinuität nationalsozialistischer Machtgefüge nach 1945. Mit der Skulptur und ihren vielfältigen, auch
widersprüchlichen Verweisen, geht es Doujak indes nicht nur um das Fortleben faschistischer Netzwerke,
sondern auch der kolonialen Strukturen der Ausbeutung, wie sie von den neoliberalen multinationalen
Konzernen praktiziert werden – und um den Widerstand dagegen.
Juan Downey
geb. 1940 in Santiago de Chile, gest. 1993 in New York
Chicago Boys, 1982–1983
Video, Farbe, Ton, 16 Min.
Courtesy: The Juan Downey Estate
Juan Downeys Film beschäftigt sich mit der chilenischen Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973–1990) und
dem damaligen Einfluss der sogenannten Chicago Boys, einer Gruppe chilenischer Wirtschaftswissenschaftler,
die an der University of Chicago studiert hatten. Sie läuteten eine ökonomische und soziale Entwicklung ein, die
heute als Testfeld dessen beschrieben wird, was wir Neoliberalismus nennen.
Edgar Endress
geb. 1970 in Osorno, Chile, lebt in Washington D.C.
Acts of Knowledge, 2014–2015
Bücher, Ausschnitte, Teppichnadeln
Acts of Knowledge setzt an einem Grundelement der Wissensbildung, der Enzyklopädie, an, um in Form von
dreidimensionalen Collagen bestehende westliche Denkstrukturen zu analysieren und zu befragen. „Das Projekt
untersucht die Konstruktion der Identität einer Region – konkret Brasilien – und seiner BewohnerInnen, indem es
sich jene Bilder zueigen macht, die Identität, Rasse und Geschlecht definieren. Zugleich fragt es danach, wie sich
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Geschichte in Büchern wie Enzyklopädien und Wörterbüchern darstellt. Diese vom Westen produzierten
Publikationen, auf die das Projekt direkt zurückgreift, tragen nicht nur ein Wissen über die Welt zusammen,
sondern definieren es auch. Eine Praxis, aus der eine kolonialistische und imperialistische Erzählung über die
Welt, ihre Regionen und BewohnerInnen resultiert. Durch das Herauslösen ausgewählter Motive aus ihren
ursprünglichen Zusammenhängen und deren Verschiebung und Neuanordnung entstehen hybride Bilder, die
möglichen zukünftigen Büchern einverleibt werden. Aus den dominanten hegemonialen werden dabei lokale
und persönliche Erzählungen“. (Edgar Endress)
Oier Etxeberria
geb. in 1974, Azpeitia, lebt in San Sebastian
Instinto-pollos (Hühnchen-Instinkt), 2015
– 16mm Film auf DVD (1932-1935), 4:26 Min. (Credits: José Antonio Laburu Olascoaga. Archivo Histórico y
Musical del Santuario de Loyola. Filmoteca Vasca)
– Off-Set Drucke (Credits: Fotografien des Archivo Histórico y Musical del Santuario de Loyola)
– Skulptur, Poster (Unlimitierte Edition), Lithografie (Edition 1/5), Ring
Oier Etxeberrias Installation widmet sich den eigenwilligen Tierversuchen des spanischen Jesuitenpaters José
Antonio Laburu Olascoaga, der in den 1930er- und 1940er-Jahren z.B. das Verhalten von Hühnern beobachtete
und filmte, indem er sie in ihrem Gehege mit ausgestopften Tieren, wie einem Fuchs, konfrontierte. Für eine
weitere Studie versetze er Frösche und andere Reptilien gar in Hypnose. In seinen Schriften hält Laburu fest,
„dass die Hypnose auf Tiere nur durch den Schrecken vermittelt angewandt werden kann, da zur Suggestion das
Vorhandensein einer höheren Paraphysiologie erforderlich ist, die den irrationalen Tieren fehlt. Willensverzicht ist
nicht möglich, wenn es keine Verfügungsgewalt über den Verstand gibt. Die Vielfalt der Bewegungen eines
Lebewesens erfolgt ohne Reflexion, und es ist – ebenso wie im Modell des Sozialen, das Thomas Hobbes im
Leviathan vorschlägt – die Angst, die als physiologisches Prinzip für Ordnung im Hühnerstall sorgt“.
Die Fotos, die bei Laburus Experimenten mit Reptilien entstanden, erinnern an jene berühmten Fotostudien, die
der französische Arzt Jean-Martin Charcot Ende des 19. Jh. von seinen angeblich hysterischen Patientinnen unter
Einwirkung von Hypnose, Elektroschocks und weiteren Manipulationen anfertigte. Etxeberrias nähert sich den
diskursiven und ästhetischen Ansätzen und Experimenten Laburus in einem museale Formen zitierenden Setting,
bestehend aus einem Arbeitstisch, Text, Fotodiagramm, einer Zeichnung und Objekten.
Eiko Grimberg
geb. 1971 in Karlsruhe, lebt in Berlin
Rückschaufehler, seit 2011
Inkjet-prints auf Papier
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In einem Langzeitprojekt beschäftigt sich der Berliner Künstler Eiko Grimberg mit der umstrittenen, barocke
Fassaden imitierenden Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, das zukünftig das Humboldt-Forum für
außereuropäische Künste und Kulturen beherbergen soll. Die mehrteilige Fotoarbeit Rückschaufehler versteht
sich als Zwischenbericht seiner Auseinandersetzung und greift eine Legende auf. Nach dieser sollen Trümmer
des ursprünglichen Schlosses nach seinem Abriss in einem Affenfreigehege im Ostberliner Tierpark
Friedrichsfelde verbaut worden sein. „Dieses Gehege“, so Grimberg, „ist eine Art postmoderne
Dschungelbuchfantasie von Walter Ulbricht. Stimmte die Geschichte, hätte die DDR-Führung tatsächlich Humor
bewiesen…“
Masist Gül (vorgestellt von Banu Cennetoğlu und Philippine Hoegen)
Masist Gül (1947–2003)
Zeichnungen, Fotografien, Dokumente, Magazine (Abbildung: Ausstellungsansicht MACBA)
Courtesy: Banu Cennetoğlu und Philippine Hoegen
Ein künstlerisches Werk erst posthum sichtbar zu machen ist eine delikate und gewagte Angelegenheit,
besonders wenn der betreffende Künstler zeit seines Lebens von der offiziellen Kunstgeschichte nicht
wahrgenommen wurde. Es besteht immer ein Risiko, dass der Künstler, das Werk oder beide in diesem Prozess
vereinnahmt oder exotisiert werden. In diesem Fall ist der betreffende Künstler Masist Gül, dessen Werk und
Person von sehr besonderer Art sind.
Masist Gül (1947–2003) war ein Künstler mit armenischen Wurzeln, der in Istanbul geboren wurde und dort
lebte. Obwohl er seinen Lebensunterhalt als Schauspieler verdiente, der in über 300 kleineren Rollen spielte, war
er in seinem Privatleben, das der Außenwelt verborgen blieb, ein außergewöhnlicher Künstler. Er produzierte
eine große Anzahl von Collagen, Zeichnungen und Gedichten. Während der 1980er-Jahre konzipierte Gül eine
Serie von sechs handgefertigten Büchern mit dem Titel Kaldırım Destanı – Kaldırımlar Kurdunun Hayatı
(Rinnsteinmythen – Das Leben des Rinnsteinwolfs), in der er sich des Formats eines periodischen Comicheftes
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bedient.“ Das 2006 erstmals veröffentlichte Magazin Bent 001 enthält die ersten Reproduktionen des Originals.
(Banu Cennetoğlu und Philippine Hoegen)
Ghasem Hajizadeh
geb. 1947 in Lahidjan, Iran, lebt in Paris
Courtesy: Der Künstler und Galerie Claire Corcia, Paris
Ghasem Hajizadehs Malereien verschränken queere Bildästhetiken mit Referenzen auf populäre Traditionen der
westlichen wie arabischen Kunst- und Kulturgeschichte, die von religiösen und mythischen Motiven bis zur
Plakatmalerei reichen.
Hochzeit, 1991
Mischtechnik auf Papier, 80 x 60 cm
Hochzeit,1992
Mischtechnik auf Papier, 80 x 60 cm
Restaurant Damavand, 1989
Mischtechnik auf Papier, 80 x 60 cm
Louis Vuitton, 1992
Mischtechnik auf Papier, 80 x 60 cm
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Chinesische Zigarette, 1989
Mischtechnik auf Papier, 80 x 60 cm
Drei Freunde im Damavand, 1992
Mischtechnik auf Papier, 80 x 60 cm
Jan Peter Hammer
geb. 1970 in Kirchheim unter Teck, lebt in Berlin
Tilikum, 2013-2015
Video, Farbe, Ton, 44 Min.
Die Geschichte in Jan Peter Hammers Film Tilikum beginnt am 25. Februar 2010 mit einem Notruf. Nur
Sekunden nach dem Ende einer Vorstellung im Meerespark SeaWorld in Orlando, Florida, wurde die 40-jährige
Tiertrainerin Dawn Brancheau von dem Orca-Wal Tilikum ins Wasser gezogen, bis zum Ertrinken
heruntergedrückt und schließlich verstümmelt. Wie später bekannt wurde, war Brancheau schon Tilikums drittes
Opfer. Hammer war fasziniert von der Geschichte (und deren Fortleben in den großen Nachrichtenkanälen) und
begann, den Zwischenfall näher zu untersuchen. Bei seinen Recherchen stieß er auf interessante Details über die
Institutionen der Unterhaltungsindustrie, zu denen auch SeaWorld gehört. Weiterhin entdeckte er ein Netz aus
bizarren Verflechtungen zwischen den ersten Meeres-Themenparks und militärischen Forschungsprojekten
während des Kalten Krieges – Verbindungen ausgesprochen schockierender Natur, ob es nun um die
Entwicklung von Technologien zur Reizdeprivation, frühe Delfin-Experimente mit tödlichem Ausgang,
Wissenschaftler auf LSD oder verschrobene Träume von gattungsübergreifender Kommunikation ging – und was
das alles mit dem Wettlauf ins All zu tun hat. (Quelle: Katalog Monday Beginns on Saturday, Bergen Assembly)
Geumhyung Jeong
geb. 1980 in Seoul, lebt in Seoul
Munbangu (Schreibwaren), 2011
Video, Farbe, Ton, 5:57 Min.
Geumhyung Jeong ist Choreografin und Performerin. Sie beschäftigt sich im Schwerpunkt mit den Beziehungen
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zwischen dem menschlichen Körper und den Objekten, die ihn umgeben. Sie bedient sich dabei alltäglicher
Gegenstände, denen sie durch eine oftmals erotisch aufgeladene, die Grenzen zwischen Mensch und Objekt
überschreitende Interaktion ein teils befremdendes und verstörendes Eigenleben verleiht. In ihrem Video
Munbangu (Büromaterial) werden die Objekte – ein Stift, ein Pinsel, ein Bleistiftspitzer oder Blatt Papier –
schließlich zu den Hauptakteuren des Szenarios.
Alexander Kluge
geb. 1932 in Halberstadt, lebt in München
Verhedderung
aus: Schlachtbeschreibung, 1964
Hörstation 22 Min., 2015,
gelesen von Matthias Breitenbach
Courtesy: Alexander Kluge
Der Roman Schlachtbeschreibung aus dem Jahr 1964 fokussiert den Zeitraum von Mitte November 1942 – kurz
vor der Einkesselung der 6. Armee in Stalingrad – bis zur Kapitulation durch General Paulus, Anfang Februar
1943. In einer Montage aus Chroniken, Anekdoten, Interviewprotokollen, Originalquellen und fiktiven
Geschichten wird der „organisatorische Aufbau eines Unglücks“ (Kluge) gezeichnet, das zu Beginn des Kapitels
Verhedderung, am 10. Januar 1943, kurz vor seinem Vollzug steht. In der Bewegung zwischen Haupttext und
Fußnoten verschiebt Kluge das Faktische in das Fiktionale: Statt auszuharren, begeben sich vier Offiziere der
großdeutschen Wehrmacht – allesamt Experten mit geheimdienstlich geschulten Fähigkeiten des Verhörens,
Verfolgens und Bestrafens – zu Fuß auf Wanderschaft in Richtung China und verlassen fortan das reale Zeit- und
Raumgefüge. Als ewige Kollaborateure finden sie Verwendungen seitens neuer Ordnungsregime und
schließlich, mit ihrer Ankunft auf dem Mond Mimas im Jahr 2103, eine neue Mission. Kluges Narrativ eines
unaufhaltsamen Kontinuums erweitert die Perspektive einer historischen Kontextualisierung, wie sie Ines Doujak
in ihrer Skulptur Not Dressed for Conquering / HC 04Transport vornimmt, indem sie die Verhedderungen
zwischen Kolonialismus, Faschismus (und der sogenannten „Rattenlinie“), der Militärdiktatur in Bolivien, sowie
der Genese des neoliberalen Kapitalismus zuspitzt.
Julia Montilla
geb. 1970 in Barcelona, lebt in Barcelona
Las revueltas de la gente común. Milenarismos (Aufstände des gemeinen Volks. Millenarismen),
2015
Laserprints auf Papier
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Die Arbeit untersucht historisches Text- und Bildmaterial von und über rebellische und emanzipatorische
Bewegungen des „gemeinen Volkes“, die im Mittelalter unter der Landbevölkerung verbreitet waren und mit
dem Millenarismus in Verbindung standen: jener Lehre über die Wiederkunft Jesu Christi, mit der ein
tausendjähriges Reich eingeläutet werden würde. Das Projekt beschäftigt sich mit der von biblischen
Prophezeiungen inspirierten Idee der Emanzipation, wie sie sich in den periodisch wiederkehrenden, von
enteigneten Bevölkerungsgruppen ausgehenden millenaristischen Bewegungen manifestiert – eine Idee, die
ihren Weg bis zu den nach gesellschaftlichen Veränderungen strebenden politischen Bewegungen fand. Anstatt
aufzugeben wählten die revolutionären Millenaristen – und wählen dies noch immer – Auflehnung und Rebellion,
mit dem Ziel der Verwirklichung religiöser Verheißungen sowie des Widerstands gegen die harten
materiellen Bedingungen. (Julia Montilla)
Ocaña
geb. 1947 in Cantillana, gest. 1983 in Sevilla
Sagrado Corazón de Marica (Heiliges Schwulen-Herz), 1982
Öl auf Leinwand
Courtesy: Sammlung Pere Pedrals, Barcelona
Asunción gloriosa (Glorreiche Himmelfahrt),1982
Pappmaché, Acrylfarben, Tüll, Plastikblumen, Gebetstuhl
Courtesy: Sammlung Pere Pedrals, Barcelona
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Der in der Provinz Sevilla geborene Künstler José Pérez Ocaña zählte zu den ProtagonistInnen der queeren
Underground-Kultur im Barcelona der 1980er-Jahre, also zu Beginn des politischen Wandels nach der FrancoDiktatur. In den von ihm und seinen Freunden durchgeführten Aktionen, Performances und Paraden im
öffentlichen Raum – insbesondere auf der berühmten Promenade La Rambla – vermischen sich die Ästhetiken
von Camp, Karneval, sevillanischer „Semana Santa“ (Karwoche) und Flamenco zu eigenwilligen queeren
Szenarios. Dies gilt auch für Ocañas Malereien, Zeichnungen und Pappmaché-Skulpturen, die er in
Ausstellungen zu überbordenden Gesamtkunstwerken arrangierte. Die in der Ausstellung zu sehenden Objekte
zählen unter anderen zu den wenigen verbliebenen Elementen der opulenten Aktion und Ausstellung La
Primavera, die Ocaña 1982 in La Capella de l'Antic Hospital in Barcelona durchführte. Höhepunkt war dabei der
Aufstieg Marias.
Damir Očko
geb. 1977 in Zagreb
The Third Degree, 2015
Video, Ton, Farbe, 10:30 Min.
Das Video The Third Degree zeigt Aufnahmen der Rücken junger Frauen, die deutliche Narben von
Verbrennungen aufweisen. Sie wurden in einer Installation aus großen Spiegelscherben gefilmt, so dass immer
nur Fragmente der gefilmten Personen sowie der Kameraleute und des Umfelds sichtbar werden – Bruchstücke,
die sich mit der kreisenden Kamerabewegung zu immer anderen kaleidoskopartigen Bildern formieren. Nie
sehen wir die Frauen von vorne. Der Titel bezeichnet einen Grad schwerer Hautverbrennungen. Zugleich
verweist er im Englischen auf eine Stufe der Folter.
Ulrike Ottinger
geb. 1942 in Konstanz, lebt in Berlin
Arbeitsbuch zu dem Film Freak Orlando von 1981
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Die Ausstellung zeigt Ulrike Ottingers Arbeitsbuch zu ihrem Film Freak Orlando (1981): „Eine Irrtümer,
Inkompetenz, Machthunger, Angst, Wahnsinn, Grausamkeit und Alltag umfassende ‚Histoire du monde’
[Weltgeschichte] am Beispiel der Freaks von den Anfängen bis heute als Kleines Welttheater in fünf Episoden“
(Ulrike Ottinger).
The Pandrogeny Manifesto, 2005
von Aldo Lee und Genesis Breyer P-Orridge; Regie: Aldo Lee und Dionysos Androis
Video, Farbe, Ton, 12 Min.
Courtesy: der / die Künstler_in und Invisible-Exports, New York
Das Manifest der Pandrogynität ist ein Videostatement von Genesis Breyer P-Orridge und Lady Jaye über ihren
durch chirurgische und andere Eingriffe vollzogenen Prozess einer körperlichen Annäherung hin zu einer
pandrogynen, zugleich weiblichen und männlichen Geschlechtsidentität.
Prabhakar Pachpute
geb. 1986 in Sasti, Indien, lebt in Mumbai
The Capsuled Blue (Das eingekapselte Blau), 2015
Wandarbeit: Kohle, Acrylfarbe, Papier
Courtesy: Prabhakar Pachpute
In seinen großformatigen, gleichermaßen realistische wie fantastische Ästhetiken aufgreifenden Wandarbeiten
setzt sich der indische Künstler Prabhakar Pachpute mit der Geschichte und Gegenwart des Bergbaus in Indien
und dessen Auswirkungen auf Menschen und Landschaften sowie dessen globalen Verschränkungen
auseinander. Die ProtagonistInnen seiner Szenarien sind Wesen zwischen Mensch und Werkzeug, Körper und
Landschaft. Für Stuttgart entstand ein neues Wandbild.
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Mary Reid Kelley / Patrick Kelley
M.K.: geb. 1979 in Greenville
Mary Reid Kelley / Patrick Kelley, Priapus Agonistes, 2013
Video, Schwarzweiß, Ton, 15:09 Min.
Courtesy: die Künstlerin und Pilar Corrias Gallery, London
Mary Reid Kelley, Masken aus Priapus Agonistes, 2013
Neopren, künstliches Haar, Holz, Farbe
Courtesy: die Künstlerin und Pilar Corrias Gallery, London
Mary Reid Kelley / Patrick Kelley, Swinburne’s Pasiphae, 2014
Video, Schwarz-Weiß, Ton, 8:05 Min.
Courtesy: die Künstlerin und Pilar Corrias Gallery, London
Priapus Agonistes und Swinburne’s Pasiphae sind die ersten beiden Videos einer Videotrilogie, in der die USamerikanische Künstlerin Mary Reid Kelley in Zusammenarbeit mit Patrick Kelley eine Neuinterpretation des
Minotaurus-Mythos vornimmt. Die in Schwarzweiß gedrehten und zu Grotesken stilisierten Szenen basieren auf
hybriden (allesamt von Reid Kelley dargestellten) Wesen zwischen Mensch und Tier, Körper und Prothese. Die
von Reid Kelley geschriebenen Dialoge sind voller anspielungsreicher Wortspiele, die den Mythos
dekonstruieren und mit feministischen Diskursen durchsetzen.
In Priapus Agonistes wird der Mythos des Minotaurus – jenem unbändigen, von König Minos’ Frau Pasiphae und
einem Stier gezeugten Zwitterwesen, das in einem Labyrinth gefangen gehalten wurde, wo man ihm alle neun
Jahre Jungfrauen und Jünglinge zum Opfer brachte – in den Kontext eines Volleyball-Turniers zwischen
Presbyterianern und Baptisten verschoben. Minotaurus erscheint als verstoßene Tochter im Labyrinth des Kellers
eines Gymnasiums. Ihre Opfer sind die SpielerInnen des im Turnier geschlagenen Teams, deren Überreste ihr in
diesem undurchdringlichen Raum den Weg zur Toilette weisen sollen.
In Swinburne’s Pasiphae setzt Reid Kelley erstmals einen bestehenden Text ein: das Fragment Pasiphae des
viktorianischen Poeten Algernon Charles Swinburne, das wegen seiner direkten sexuellen Anspielungen Zeit
seines Lebens unveröffentlicht blieb (und für die Ausstellung von Katrin Mundt erstmals ins Deutsche übersetzt
wurde). Ausganspunkt ist die Zeugung des Minotaurus. Minos, der sein Versprechen, einen edlen Stier zu
opfern, hinterging, wurde bestraft indem Gott Poseidon in seiner Frau Pasiphae das überwältigende Verlangen
nach diesem Stier entfachte. Von Daidalos, dem genialen Baumeister, ließ sie sich eine hölzerne Kuh anfertigen,
in der sie den Stier empfing.
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Jorge Ribalta
geb. 1963 in Barcelona, lebt in Barcelona
Playa de la Marquesa bis Garxal. 11 September 2013. Aus der Serie Eel Story. Delta Notebook,
2005-2014
Serie aus Schwarzweiß-Fotografien, Inkjetprints auf Papier
Der Ebro-Fluss markiert eine Art symbolische geografische Grenze zwischen den katalonisch- und
spanischsprachigen Regionen Spaniens. Es handelt sich um den größten Fluss des Landes. Das Delta umfasst
verschiedene Lagunen und ist ein wichtiger Ort für Wandervögel. Es wurde 1983 zum regionalen
Wildschutzgebiet und 2015 von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt. 2000 formierte sich in der
katalanischen Region am niederen Ebro eine massive Protestbewegung gegen den Nationalen
Wasserhaushaltsplan der spanischen Regierung, der eine Umverteilung des Ebro-Wassers in die trockeneren
Regionen vorsah. Die Argumente gegen den Plan beriefen sich zunächst auf ökologische Bedenken und
richteten sich gegen die urbanen und wirtschaftlichen Spekulationsprojekte im unter Trockenheit leidenden
Süden. Die neuen katalanischen Sezessionsbewegungen, die 2012 aufkamen, verliehen den Symbolen der
Bewegung indes eine neue nationalistische Färbung.
Ich besuche das Delta seit Mitte der 1990er-Jahre und begann 2005 dort zu fotografieren. Bis heute handelt es
sich dabei um ein work in progress, das den Ort tagebuchartig dokumentieren möchte. Für diese Ausstellung
habe ich Szenen ausgewählt, die einen Spaziergang vom Marquesa-Strand bis zum Garxal-Wildschutzgebiet
festhalten, den ich am 11. September 2013 unternahm. Der 11. September ist der katalanische Nationalfeiertag,
der 2013 mit einer großen Menschenkette für die Unabhängigkeit begangen wurde. Die Kette breitete sich vom
Norden bis zum Süden, von der französischen Grenze bis zur Region Valencia über katalanisched Territorium
aus. Es war ein riesiges Medienspektakel. Mein fotografischer Spaziergang versteht sich als genaues Gegenbild
zu diesem Event, das die Idee von politischer Unabhängigkeit banalisierte. Er zeigt den anti-heroischen Alltag.
Was ich vorfand: eine fortdauernde Rave-Party vom Vortag, deren Rhythmen entlang des gesamten Strandes zu
hören waren, Camper, Kite-Surfer, Leute, die mit ihren Hunden am Strand spazierten und BesucherInnen des
Wildschutzgebietes. (Jorge Ribalta, Auszüge aus einem längeren Text)
Wu Tsang
geb. 1982 in Massachusetts, USA
The Shape of a Right Statement, 2008
Video, Farbe, Ton, 5 Min.
Courtesy: der Künstler, Clifton Benevento (New York), Michael Benevento (Los Angeles) und Isabella Bortolozzi
Galerie (Berlin)
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In The Shape of a Right Statement (2008) reinszeniert Wu Tsang Amanda Baggs' YouTube-Manifest In My
Language (2007), in dem sie sich für das Personsein und die Rechte von Autisten stark macht und um wirkliches
Verständnis wirbt. Dabei rezitiert Tsang nicht nur, sondern imitiert mittels einer von ihm als „full body quotation“
beschriebenen Schauspieltechnik sowohl Tonfall als auch Erzähltempo und Ausdrucksweise von Baggs' durch
einen Sprachcomputer generierten Rede. Die Idee dieser möglichst präzisen Nachahmung ist es, Authentizität
und Intention der Sprechenden zu hinterfragen und den ursprünglichen Inhalt durch eine Kontextverschiebung
anders lesbar zu machen. Durch diese Aneignung und Verkörperung Tsangs, welche die sprachlichen Strukturen
hinter vielen Formen von Diskriminierung herausarbeiten, wird aus dem zunächst spezifischen Plädoyer für die
Rechte von Autisten ein vielfältig lesbares Statement, das sich auf viele „andere“ beziehen lässt. (Quelle:
Migrosmuseum, Zürich)
Stefanos Tsivopoulos
geb. 1973 in Prag, lebt in New York
Archive of Alternative Currencies: An Archive and a Manifesto (Alternative Währung. Ein Archiv
und Manifest), 2013
Inkjet Prints, Auswahl
Courtesy: der Künstler und Kalfayan Galleries, Athen, Thesaloniki
Die grafische Wandarbeit Archive of Alternative Currencies ist im Kontext der Drei-Kanal-Videoinstallation
History Zero entstanden. Das Archiv umfasst Bilder und Texte zu verschiedenen Ansätzen und Modellen
alternativer, nicht-monetärer Tauschsysteme. Es versteht sich als ein politisches Statement, das eine
Umgestaltung der Ökonomie in Richtung autonomer kommunaler Formen des Überlebens und des
Widerstandes vorschlägt.
Geometry of Fear, 2012
Video, Farbe, Ton, 7 Min.
Courtesy: der Künstler und Kalfayan Galleries, Athen, Thesaloniki
2012, zu Beginn der derzeitigen Krise in Griechenland, war das Land zwischen zwei Nationalwahlen im Mai und
Juni für 37 Tage ohne Regierung. Tsivopoulos erhielt die Möglichkeit, während dieses „Ausnahmezustands“ das
menschenleere Parlament zu filmen.
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Yelena Vorobyeva / Viktor Vorobyev
Y.V.: geb. 1959 in Nebit-Dag, Turkmenistan, V.V., geb. 1959 in Pavlodar, Kasachstan
Neototalitarismus, 2015
Acryl auf Wand
Vom Motiv des Opfertieres ausgehend entwerfen Yelena Vorobyeva und Viktor Vorobyev ein komplexes
Diagramm zum Neototalitarismus.
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D I E B E S T I E U N D I S T D E R S O U V E R Ä N
17. Oktober 2015 – 17. Januar 2016
Württembergischer Kunstverein Stuttgart
KuratorInnen
Hans D. Christ, Iris Dressler, Paul B. Preciado, Valentín Roma
Ein Ausstellung des
Württembergischen Kunstvereins Stuttgart
Organisiert und Koproduziert mit
Gefördert durch
PRESSE
Presserundgang
Freitag, 16. Oktober 2015, 11 Uhr
Pressetext und -bilder
http://www.wkv-stuttgart.de/presse
Pressekontakt
Iris Dressler, Hans D. Christ
Fon: +49 (0)711 22 33 711
[email protected] // [email protected]
TERMINE
Eröffnung
Freitag, 16. Oktober 2015, 19 Uhr
Konferenz + Workshop
17. + 18. Oktober 2015
Mit Edit András, Daniel G. Andújar, Banu Cennetoğlu, Hans D. Christ, Ines Doujak, Iris Dressler, Antke Engel, Martin Fritz, Itziar
González, Philippine Hoegen, Max Jorge Hinderer Cruz, Paul B. Preciado, Valentín Roma, Simon Sheikh, Sergio Zevallos u.a.
Kostenlose Führungen
Sonntags, 15 Uhr
Kuratorenführungen
Mittwoch, 28. Oktober 2015, 19 Uhr
Mittwoch, 18. November 2015, 19 Uhr
Mittwoch, 9. Dezember 2015, 19 Uhr
Sonntag, 17. Januar 2016, 16:30 Uhr
WÜRTTEMBERGISCHER KUNSTVEREIN
Öffnungszeiten
Di, Do–So: 11–18 Uhr; Mi: 11–20 Uhr
Eintritt
5 Euro, 3 Euro gemäßigt, Mitglieder des WKV: frei
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