150 Jahre Ringstraße Albert Pethö Die Ringstraße vermittelt uns bis heute den imperialen Glanz des 19. Jahrhunderts; das irritiert manche, denn Schönheit steht, fortschrittlichen Denkgeboten gemäß, unter ideologischem Verdacht; aber den meisten Zeitgenossen gefällt dieser Glanz, was die Tourismuswirtschaft bestätigen wird können. Die Ringstraße bringt den damaligen Anspruch der ihr zugehörigen Metropole zur Geltung, eine der bedeutsamen, großen und schönen Hauptstädte der Welt zu sein. In diversen publikumswirksamen Reihungen, den heute so beliebten „Rankings“, wird häufig festgestellt, daß Wien, in globalem Vergleich mit den anderen Großstädten des Erdkreises, an erster Stelle stehe, was Lebensqualität betrifft. Angeblich sagen uns das auch die „Habitat-Studien“ der UNO. Ich persönlich halte diese Einschätzungen für völlig gerechtfertigt; auch die entschlossen ansteigenden Immobilienpreise in Wien deuten ja in diese Richtung. Erstaunlich viele der Umständen, die zu dieser schmeichelhaften Beurteilung führen, haben sehr eng mit der Vergangenheit der Stadt zu tun. So etwa mit dem Umstand, nur als ein Beispiel aus einer aufstellbaren langen Liste herausgegriffen, daß im Mittelalter und der Neuzeit die Babenberger und die Habsburger den Wienerwald als Jagd- und Nahversorgungsgebiet sozusagen unter ihre Protektion gestellt haben, Rodungen und Nutzungen justierend; oder daß im 19. Jahrhundert der militante Christlich-Soziale Josef Schöffel eben diesen Wald vor dem Zugriff des freien Marktes und somit vor der großflächigen Abholzung bewahrt hat. Der Wienerwald ist heute überaus wesentlich für das Stadtklima und einer der Faktoren unserer hohen Lebensqualität. Und ebenso ist, als Beispiel für einen der weiteren Faktoren, selbstverständlich unsere Ringstraße zu nennen, nicht nur Verkehrsader, auch grün gefaßte Einrahmung des Stadtzentrums, besetzt mit einer ganzen Reihe von genial komponierten Monumentalbauten, die alle unter die wirklich bedeutenden Exempel der Architekturgeschichte zählen. Die Ringstraße ist der Mittelpunkt der unter Kaiser Franz-Joseph vorgenommenen Stadterweiterung; eine Erweiterung, die man „con amore“ betrieben hat, mit gründlicher Planung, mit Liebe zum Detail und zur schönen und gediegenen Ausführung, mit dem Mut aber freilich auch der Kompetenz zum ganz großen Projekt und mit sehr hohem Können. In seinem Handschreiben vom 20. Dezember 1857 umreißt Kaiser Franz-Joseph die zentrale Idee dieses in radikaler Größe dimensionierten Bauvorhabens: „Es ist Mein Wille, daß die Erweiterung der Inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und dabei auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde. Zu diesem Ende bewillige Ich die Auflassung der Umwallung und Fortifikationen der inneren Stadt, so wie der Gräben um dieselbe.“ Das ist sozusagen die Einleitungserklärung, mit der eines der weltweit größten städtebaulichen Projekte des 19. Jahrhunderts in Angriff genommen wird. 150 Jahre Wiener Ringstraße. Der Bezugspunkt dieses heurigen Jubiläums ist genaugenommen ein bestimmter Tag, der erste Mai des Jahres 1865. An diesem Tag wird im Verlauf der traditionellen Praterfahrt des Kaisers, Arbeiteraufmärsche gibt es damals noch nicht, das ist erst eine Entwicklung späterer Jahre, an diesem Tag wird also die Ringstraße feierlich eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt sind die Basteien und anderen Anlagen der Wiener Stadtmauer zum großen Teil schon abgerissen und die Straßenzüge zu großen Teilen fertig angelegt, zusammen mit dem Kai ergeben sie ein Polygon von über 5 km Länge, eine der längsten Prachtstraßen Europas. Und man hat sie bereits mit Allee-Bäumen bepflanzt; damals Ailanthusbäumen, Platanen und Roßkastanien; über 2600 Stück; ein erster Ersatz für die baumbestandenen Promenade- und Reitwege auf und vor den Mauern. Auch ein wesentlicher Teil der Parkanlagen ist schon vorhanden; seit dem Biedermeier gibt es ja Burg- und Volksgarten, diese rücken jetzt an den Ring heran; frisch angelegt ist der Stadtpark, in Form eines englischen Landschaftsgartens, in dem übrigens heute noch ein alter Ailanthus, 150jährig, vom Zeitpunkt dieser Erstbepflanzung steht; der Rathauspark folgt dann etwas später. Es sind das alles ausgesprochen gelungene Gärten; es wirken hier auch die Traditionen habsburgischen Interesses an Pflanzen und Gärtnerei; es ist bereits die Gartenbaugesellschaft gegründet; es gibt eine hohe Gartenkultur in Wien, die verdienstvoller Weise auch in unseren Tagen noch gepflegt wird. Die bis heute gut gepflegten Gärten der Ringstraße sind eine der erfreulichen Folgen. Fertiggestellt sind 1865 entlang der Ringstraße aber erst einige Zinshäuser und private Palais, allerdings schon denkbar prachtvoll ausgeführt. Um das zu gewährleisten ist bereits eine entsprechende Bauordnung erlassen. Der erste dieser Neubauten ist der Heinrichshof, nach Heinrich von Drasche, dem Bauherrn und Fabrikanten, der einen erheblichen Teil jener Ziegel herstellen läßt, aus denen das Wien des Historismus dann erbaut ist. Wir finden diese Ziegel heute noch häufig, erkennbar an dem Doppeladler in der Mitte und den Initialen H. D. Der Heinrichshof, mitunter auch als das „schönste Zinshaus der Welt“ angesehen, Investitions- wie auch grandioses Vorzeig- und Werbe-Objekt des berühmten Ziegelbarons, wird durch die Bombardements des Zweiten Weltkrieges dann schwer beschädigt werden und in der Folge leider abgerissen; einer unter vielen Verlusten seither. Jene außerordentlichen öffentlichen Bauwerke, welche die Ringstraße dann zur habsburgischen Via triumphalis ausgestalten, benötigen im Jahr 1865 noch ein bißchen Zeit. Die Votivkirche, einer der ersten Belege dieser neuen imperialen Architektur, wenn auch noch nicht in den Straßenverlauf direkt hineingeplant und die Hofoper, heute Staatsoper, sind noch im Bau. Die Hofmuseen, das Parlament, das Rathaus, die Universität, das Hofburgtheater, die Neue Burg werden erst in den 1870er-Jahren begonnen. Das neue Kriegsministerium wird erst 1913, die Neue Burg im Inneren erst 1923 fertiggestellt. Das Projekt Ringstraße ist also, das hat man nicht immer im Blick, eine Baustelle über Jahrzehnte hin. Da gibt es damals eine ganze Reihe boshafter Karikaturen, auf diesen lange unangenehm einwirkenden provisorischen Zustand großer Stadtteile bezogen: unter dem Titel „Stadtverschönerung“ zeichnet man im Schlamm der Umgrabarbeiten versinkende Passanten, Pferde, Fuhrwerke. Auch zwei der technischen Innovationen dieser Zeit seien hier erwähnt, es hat deren zahlreiche gegeben; schon ab 1868 kommt es zur Einrichtung von Straßenbahnlinien auf dem Ring, noch pferdebetrieben, aber schon der Beginn des heutigen und bemerkenswert weit ausgebauten Liniennetzes. Straßenbahnen können aufgrund der großzügigen Breite des Rings, 57 m, leicht implantiert werden. Die andere Innovation betrifft das Burgtheater; von allen öffentlichen Bauten an der Ringstraße ist es das erste, das elektrische Beleuchtung aufweist; das ist noch nicht selbstverständlich. Dieser erste Mai 1865 hat einerseits Nachwirkungen, andererseits eine Vorgeschichte. Die wesentlichste Nachwirkung ist wohl jene auf die architektonische Struktur der Stadt, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts geschaffen wird; das reicht hin bis zu den Gemeindebauten der 1920er und 30er-Jahre; auch das frühe „Rote Wien“ steht in der Tradition kaiserzeitlichen Bauens, auch wenn man das heute vielleicht nicht gerne zugeben würde. Eine Stadtstruktur von beeindruckender Eleganz entsteht. Der Wandel Wiens von der Biedermeier-Idylle zur Metropole bringt hier Moderne in humaner Gestaltung hervor, was gewiß zu einem der zentralen Elemente der erwähnten Lebensqualität dieser Stadt wird. Aus der Vorgeschichte der Ringstraße sei, skizzenhaft nur ein, freilich sehr wichtiger, Umstand herausgegriffen, jener, daß Wien über den längsten Zeitraum seiner Geschichte hin eine Festung gewesen ist. Zeitweilig eine der stärksten Festungen des Abendlandes. Das ist eine der Konstanten dieser Stadt; vom bereits schwer bewehrten Römerlager, über jene Mauern, die dann der ersten und dann, gewandelt, der zweiten Türkenbelagerung standhalten, bis eben zu den Umwallungen, die schließlich Kaiser Franz-Joseph abzureißen befiehlt. Man trennt sich nicht gerne von diesen Stadtmauern, an denen Generationen gebaut haben; es geht dem ein langer Nachdenk- und Entwicklungsprozeß voran. Eine entscheidende Zäsur ist da 1809, die Belagerung und Bombardierung Wiens durch die Truppen Napoleons und der Umstand, daß die Stadt, ungeachtet ihrer enormen Befestigungen, nicht gehalten werden kann. Zu Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts wird zudem der dominante militärische Charakter von Fortifikationen, Gräben und Glacis zunehmend durch gärtnerische Ausgestaltung oder Verbauungen verändert, wie etwa durch die Errichtung des Albertina-Palais auf der Hauptmauer zwischen Kärntnerbastei und Hofburg, der Errichtung der Platz- und Gartenanlagen vor der Hofburg nach der Sprengung der Burgbastei durch die Franzosen oder der Technischen Hochschule neben der Karlskirche. Das Glacis ist im Biedermeier schon als allgemeines Erholungsgebiet gewidmet und gestaltet. Die Auflassung des alten Befestigungsgürtels wird dann einerseits sowohl vom Militär skeptisch betrachtet, das ihm immer noch eine vorbeugend-befriedende und unruhehemmende Wirkung zuweist, als auch, sehr verständlich, von der breiten Bevölkerung mit Unbehagen zur Kenntnis genommen, die in den denkbar umfassenden Neugestaltungen zunächst nur den Verlust romantischer Landschaft, liebgewordenen Grünraums und schwere Belästigungen durch permanente Baustellen erkennen kann. Das von seinen stimmungsvoll bepflanzten und begehbaren Bastionen und einem vorgelagerten Glacis umgebene Lucca im nördlichen Italien vermittelt bis heute, in geringerem Maßstab, aber sehr eindrücklich, wie diese Bereiche Wiens damals ausgesehen haben, mit kleinen Wäldchen, Gärten, Alleen, Caféhäusern, Pavillons, und Möglichkeiten vielfacher anderer Nutzung. Das äußerst umfangreiche Areal dieser Befestigungsanlagen und des ihnen vorgelagerten Freiraumes ist dann aber die städtebauliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Idee einer ringartigen Prunkstraße, die ja dann auch im Grunde dem Verlauf der Basteien folgt. Man könnte sagen: ohne Festung kein Ring. „Voraussetzung“ ist hier im zunächst räumlichen Sinn zu verstehen; es bieten sich jetzt entsprechend nutzbare enorme Flächen, alles ja im Staatsbesitz, also, wie schon erwähnt, der Bereich der Mauern, die man abträgt, der Gräben, die man zuschüttet, und des Glacis, also des unverbauten freien Schußfeldes vor den Mauern; dieses Glacis reicht dann, zur Veranschaulichung nur eine der Achsen, so ungefähr von der Mitte des Rathausparks bis hinter die Landesgerichtsstraße – alles unverbaute Ebene. “Voraussetzung“ meint aber auch das Finanzielle, denn über den Verkauf von rasch Absatz findenden erstklassigen Baugründen und den Verkauf wiederverwertbaren Baumaterials werden zahlreiche der überaus aufwendig ausgeführten diversen Großprojekte bezahlt. Das in ultimativer Weise aufwendige Jahrhundertvorhaben, es mag für unsere Gegenwart phantastisch klingen, finanziert sich in großem Ausmaß selbst, was nicht zuletzt auch auf die Fähigkeiten und die Seriosität der altösterreichischen Verwaltung zurückzuführen ist. Denn der Bau der Ringstraße steht unter dem Kommando der Bureaukratie. Es ist das halt aber die Bureaukratie von damals, und nicht die von heute. Eine Bureaukratie, die den ersten internationalen Bewerb für Städtebau der neueren Zeit durchführt, die damals in sehr geschickter Weise ebenso das allgemeine Wohl sichert, wie private Interessen gelten läßt, zugleich der unternehmerischen Initiative Entfaltung ermöglicht und überdies auf Enteignungen verzichtet. Der beamtlich verwaltete und ausbalanciert bleibende Stadterweiterungsfonds ist die Kassa, in die eingezahlt wird und aus der man heraus die Rechnungen begleicht. Über die Verwendung der Gelder entscheidet letztlich der Kaiser – was sich wohl auch in der Großzügigkeit des Endergebnisses zum Ausdruck gebracht hat. Von Wiens Stadtmauer sind übrigens kleine Stücke erhalten geblieben; Reste der Mölkerbastei hat man gegenüber der Universität belassen, und auch Reste der Coburg- bzw. Braunbastei sind noch vorhanden. Auch am Stubenring beziehungsweise am Luegerplatz hat man in Zusammenhang mit dem U-BahnAusbau Teile der alten Befestigung freigelegt. Kaiser Franz-Joseph wird, zu Recht oder Unrecht, mittelmäßiger Geschmack unterstellt. Jedenfalls aber hat er Leute die Sache machen lassen, die zu den herausragendsten Persönlichkeiten ihres Metiers gehört haben. Architekten wie Semper und Hasenauer, Hansen, Schmidt, Ferstel, Förster, Sicardsburg und van der Nüll zählen schlicht zu den besten ihrer Zeit; Fernkorn setzt mit seinen zwei kolossalen Reiterdenkmälern auf dem Heldenplatz neue Maßstäbe in der plastischen Kunst; auch der brillante Innenminister Bach sei erwähnt, der eine der treibenden Kräfte der Umgestaltung Wiens ist; oder der weitgehend unbekannte Sektionschef Franz v. Matzinger, der die Geldbeschaffung organisiert und den Stadterweiterungsfonds verwaltet. Man hat heuer dem Ring die Bezeichnung „jüdischer Boulevard“ zugewiesen; das hat durchaus seine Berechtigung, denken wir nur an die überaus herrschaftlichen Palais Todesco, Epstein und Ephrussi. Ebenso kann man ihn freilich als Kaiserlichen Boulevard bezeichnen, zumal Kaiser Franz-Joseph immer wieder auch selbst in die Gestaltung der Pläne eingreift, zahlreiche Details von ihm selbst initiiert werden und jedenfalls die dem Hof zugehörigen Bauten der Straße ihr wesentliches Gepräge geben. Und er ist auch ein aristokratischer Boulevard; die Aristokratie meidet den Ring, wie es seltsamer Weise immer wieder kolportiert wird, durchaus nicht, läßt auch selbst dort bauen – die Erzherzöge Ludwig-Viktor und Wilhelm, der Herzog von Württemberg, die Grafen Hoyos, Larisch, Henckel-Donnersmarck. Die Ringstraße prägt sich im Zusammenwirken der damaligen gesellschaftlichen Kräfte aus, „Viribus unitis“, wie die Devise Kaiser Franz-Josephs lautet, „mit vereinten Kräften“. Und der Ring ist auch keinesfalls jene „unsichtbare Barriere“ zwischen den Ständen des alten Österreichs, eine ebenfalls häufig zu lesende Behauptung. Im Haus Türkenstraße 23, also sehr nahe zum Ring, Ringstraßenzone sozusagen, sind die Bewohner aus dem Jahr 1872 festgehalten: Graf u. Gräfin Dietrichstein, zwölf Beamte, zwei Witwen, ein Offizier, ein Geschäftsmann, ein Schauspieler, eine Trödlerin. Eine für die heutigen klischeehaften Ansichten über die „böse alte Zeit“ eher unerwartete soziale Durchmischung. Es gibt auch Kritik an der Ringstraße, in drastischer Schärfe, zeitgenössisch wie gegenwärtig. Die Architekten der Oper werden damals mit dem Spottvers „Sicardsburg und van der Nüll haben beide keinen Stil“ bedacht; die Oper selbst bezeichnet man nach einer unvorhergesehenen Terrain-Anhebung als „versunkene Kiste“ oder gar als „Königgrätz der Architektur“, wobei die Pointe daran der Umstand ist, daß wir bei Königgrätz die größte Schlacht des 19. Jahrhunderts bravourös verlieren. Loos, später Architekt, seinerzeit umstritten, heute bejubelt, spricht in Bezug auf den Ring sinngemäß von „Neu Wien“ für „die Plebs“ und hätte dort gerne alles abgerissen und selbst gebaut. Das ist bis heute bekanntlich stets Desiderat der Architekten geblieben, Altes wegmachen und sich selbst zur Darstellung bringen. Das 19. Jahrhundert hat leider viel schönes Altes abgerissen, aber es hat noch hohen Standard dafür hingesetzt. Eine mediale Kritik von heuer führt aus, daß die Monarchie mit der unvollendeten Anlage des Kaiserforums in ihrer Absicht der, ich zitiere, „Selbstglorifizierung“ „auf allen Linien“ gescheitert sei. Gehässigkeit der Ablehnung sagt aber noch nicht, daß sie unbedingt berechtigt ist; in den vorliegenden Fällen mag es angemessener sein, genau das Gegenteil anzunehmen. So hat es viele Stimmen gegeben, welche die Wiener Oper, zusammen mit der in Paris, als die beiden schönsten Opernhäusern überhaupt bezeichnet haben. Und man könnte auch ausführen, daß die genannte „Selbstglorifizierung“ in Form des Kaiserforums in kaum überbietbarer Weise gut gelungen ist. Mit „Kaiserforum“ ist die quer zur Ringstraße angelegte Erweiterung des durch die Jahrhunderte gewachsenen Hofburgkomplexes gemeint; mit zunächst zwei neuen Trakten der Burg, die den Heldenplatz einfassen sollen, sowie in ihrer Verlängerung, auf der anderen Seite des Rings, den beiden Hofmuseen, dem Kunst- und dem Naturhistorischen Museum. Diese beiden zählen, völlig offenkundig, zu den beeindruckendsten Kulturbauten Europas, und sie beherbergen mit den habsburgischen Kunst- und naturkundlichen Beständen Sammlungen von Weltrang. Von den zwei geplanten neuen Trakten der Hofburg ist bekanntlich nur einer errichtet worden; der Umstand, daß der zweite, gegenüberliegende Flügel der neuen Hofburg nie gebaut wurde, macht den Heldenplatz, wenn auch gewissermaßen in Abänderung des ursprünglichen Planes, zu einem der schönsten Plätze der Welt, mit einem großartigen Panoramablick über Volksgarten und Ringstraße. Die Ringstraße ist ein vielleicht einzigartiges Ensemble herrschaftlicher Architektur. Mit ihren Palästen und Privathäusern, mit ihren prachtvollen Gärten und Alleen, den raffiniert angelegten Plätzen und dem Figurenschmuck mit seinen inspirierenden und bereichernden Akzenten ist sie ein Gesamtkunstwerk ganz außerordentlichen Ranges, eine der wirklich bedeutenden Schöpfungen der menschlichen Baukunst und Stadtplanung. Alle heute wieder intensiviert geäußerten Begehrlichkeiten, doch auch auf oder beim Ring an Stelle historistischer Palais oder sich sonst anbietender Gelegenheiten weitere Neubauten zu errichten, wie wir sie etwa auch im „Masterplan Glacis“ der Gemeindeverwaltung aus dem Jahr 2014 angedeutet finden, sind in Zeiten wie diesen nur als gefährliche Drohung und beginnender Einbruch von Barbarei zu werten. Nicht etwa, daß man am Ring nicht auch neu bauen können sollte; erlesene Scheußlichkeiten, Folgen der Kriegszerstörungen in Wien, wie der Ringturm von 1955, der Opernringhof von 1958 oder die Polizeidirektion von 1971 warten nur darauf, durch eine Architektur, die diese Bezeichnung ernsthaft verdient, ersetzt zu werden; aber man vergreift sich bei Neubauten nach wie vor lieber an der wertvollen Bausubstanz vor 1918, statt die entbehrliche nach 1945 heranzuziehen. Ein Zitat zum Abschluß: „Es ist dringend notwendig, mit größtem Nachdruck auf die künstlerisch einzigartige Leistung der Wiener Ringstraße hinzuweisen; deren Erhaltung ständig bedroht wird. Unkenntnis und mangelnde Aufklärung, falsch verstandene Modernität und eine ganz einseitig nach materiellen Zielen ausgerichtete und daher irregeleitete Wirtschafts- und Baupolitik sind die Gegner des größten künstlerischen Vermächtnisses, das Wien als Stadt aufzuweisen hat.“ So die bekannte Professorin der Kunstgeschichte, Renate Wagner-Rieger, im Jahr 1969; eine aktuell gebliebene Mahnung. Versuchen wir – sehr wohl auch im eigenen Interesse und dem der Nachkommenden, dieses kostbare Erbe des Historismus, dieses bis heute in seiner Bedeutung für das Stadtbild und daher auch die Schönheit Wiens sträflich verkannten Stils, versuchen wir, dieses Erbe und in besonderer Weise die Ringstraße zu bewahren. Wir werden etwas in auch nur annähernder Qualität so bald nicht wieder zusammenbringen. Albert Pethö; lebt und wirkt in Wien; Historiker. Militärhistorische Publikationen: „Agenten für den Doppeladler – Österreich-Ungarns Geheimer Dienst im Weltkrieg“, Graz 1998 „Belagerung und Gefangenschaft – Von Przemysl bis Russisch-Turkestan – Das Kriegstagebuch des Dr. Richard Ritter von Stenitzer 1914-1917“, Graz 2010
© Copyright 2024 ExpyDoc