Dr. Albert Pethö 0.02MB Die Wiener Ringstrasse anno 1865

150 Jahre Ringstraße
Albert Pethö
Die Ringstraße vermittelt uns bis heute den imperialen Glanz des 19. Jahrhunderts;
das irritiert manche, denn Schönheit steht, fortschrittlichen Denkgeboten gemäß,
unter ideologischem Verdacht; aber den meisten Zeitgenossen gefällt dieser Glanz,
was die Tourismuswirtschaft bestätigen wird können. Die Ringstraße bringt den
damaligen Anspruch der ihr zugehörigen Metropole zur Geltung, eine der
bedeutsamen, großen und schönen Hauptstädte der Welt zu sein. In diversen
publikumswirksamen Reihungen, den heute so beliebten „Rankings“, wird häufig
festgestellt, daß Wien, in globalem Vergleich mit den anderen Großstädten des
Erdkreises, an erster Stelle stehe, was Lebensqualität betrifft. Angeblich sagen uns
das auch die „Habitat-Studien“ der UNO. Ich persönlich halte diese Einschätzungen
für völlig gerechtfertigt; auch die entschlossen ansteigenden Immobilienpreise in
Wien deuten ja in diese Richtung.
Erstaunlich viele der Umständen, die zu dieser schmeichelhaften Beurteilung führen,
haben sehr eng mit der Vergangenheit der Stadt zu tun. So etwa mit dem Umstand,
nur als ein Beispiel aus einer aufstellbaren langen Liste herausgegriffen, daß im
Mittelalter und der Neuzeit die Babenberger und die Habsburger den Wienerwald als
Jagd- und Nahversorgungsgebiet sozusagen unter ihre Protektion gestellt haben,
Rodungen und Nutzungen justierend; oder daß im 19. Jahrhundert der militante
Christlich-Soziale Josef Schöffel eben diesen Wald vor dem Zugriff des freien
Marktes und somit vor der großflächigen Abholzung bewahrt hat. Der Wienerwald
ist heute überaus wesentlich für das Stadtklima und einer der Faktoren unserer hohen
Lebensqualität. Und ebenso ist, als Beispiel für einen der weiteren Faktoren,
selbstverständlich unsere Ringstraße zu nennen, nicht nur Verkehrsader, auch grün
gefaßte Einrahmung des Stadtzentrums, besetzt mit einer ganzen Reihe von genial
komponierten Monumentalbauten, die alle unter die wirklich bedeutenden Exempel
der Architekturgeschichte zählen.
Die Ringstraße ist der Mittelpunkt der unter Kaiser Franz-Joseph vorgenommenen
Stadterweiterung; eine Erweiterung, die man „con amore“ betrieben hat, mit
gründlicher Planung, mit Liebe zum Detail und zur schönen und gediegenen
Ausführung, mit dem Mut aber freilich auch der Kompetenz zum ganz großen
Projekt und mit sehr hohem Können.
In seinem Handschreiben vom 20. Dezember 1857 umreißt Kaiser Franz-Joseph die
zentrale Idee dieses in radikaler Größe dimensionierten Bauvorhabens: „Es ist Mein
Wille, daß die Erweiterung der Inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine
entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff
genommen und dabei auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner
Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde. Zu diesem Ende
bewillige Ich die Auflassung der Umwallung und Fortifikationen der inneren Stadt,
so wie der Gräben um dieselbe.“
Das ist sozusagen die Einleitungserklärung, mit der eines der weltweit größten
städtebaulichen Projekte des 19. Jahrhunderts in Angriff genommen wird.
150 Jahre Wiener Ringstraße. Der Bezugspunkt dieses heurigen Jubiläums ist
genaugenommen ein bestimmter Tag, der erste Mai des Jahres 1865. An diesem
Tag wird im Verlauf der traditionellen Praterfahrt des Kaisers,
Arbeiteraufmärsche gibt es damals noch nicht, das ist erst eine Entwicklung
späterer Jahre, an diesem Tag wird also die Ringstraße feierlich eröffnet. Zu
diesem Zeitpunkt sind die Basteien und anderen Anlagen der Wiener
Stadtmauer zum großen Teil schon abgerissen und die Straßenzüge zu großen
Teilen fertig angelegt, zusammen mit dem Kai ergeben sie ein Polygon von
über 5 km Länge, eine der längsten Prachtstraßen Europas. Und man hat sie
bereits mit Allee-Bäumen bepflanzt; damals Ailanthusbäumen, Platanen und
Roßkastanien; über 2600 Stück; ein erster Ersatz für die baumbestandenen
Promenade- und Reitwege auf und vor den Mauern.
Auch ein wesentlicher Teil der Parkanlagen ist schon vorhanden; seit dem
Biedermeier gibt es ja Burg- und Volksgarten, diese rücken jetzt an den Ring
heran; frisch angelegt ist der Stadtpark, in Form eines englischen
Landschaftsgartens, in dem übrigens heute noch ein alter Ailanthus, 150jährig,
vom Zeitpunkt dieser Erstbepflanzung steht; der Rathauspark folgt dann etwas
später. Es sind das alles ausgesprochen gelungene Gärten; es wirken hier auch
die Traditionen habsburgischen Interesses an Pflanzen und Gärtnerei; es ist
bereits die Gartenbaugesellschaft gegründet; es gibt eine hohe Gartenkultur in
Wien, die verdienstvoller Weise auch in unseren Tagen noch gepflegt wird. Die
bis heute gut gepflegten Gärten der Ringstraße sind eine der erfreulichen
Folgen.
Fertiggestellt sind 1865 entlang der Ringstraße aber erst einige Zinshäuser und
private Palais, allerdings schon denkbar prachtvoll ausgeführt. Um das zu
gewährleisten ist bereits eine entsprechende Bauordnung erlassen. Der erste
dieser Neubauten ist der Heinrichshof, nach Heinrich von Drasche, dem
Bauherrn und Fabrikanten, der einen erheblichen Teil jener Ziegel herstellen
läßt, aus denen das Wien des Historismus dann erbaut ist. Wir finden diese
Ziegel heute noch häufig, erkennbar an dem Doppeladler in der Mitte und den
Initialen H. D.
Der Heinrichshof, mitunter auch als das „schönste Zinshaus der Welt“
angesehen, Investitions- wie auch grandioses Vorzeig- und Werbe-Objekt des
berühmten Ziegelbarons, wird durch die Bombardements des Zweiten
Weltkrieges dann schwer beschädigt werden und in der Folge leider abgerissen;
einer unter vielen Verlusten seither.
Jene außerordentlichen öffentlichen Bauwerke, welche die Ringstraße dann zur
habsburgischen Via triumphalis ausgestalten, benötigen im Jahr 1865 noch ein
bißchen Zeit. Die Votivkirche, einer der ersten Belege dieser neuen imperialen
Architektur, wenn auch noch nicht in den Straßenverlauf direkt hineingeplant
und die Hofoper, heute Staatsoper, sind noch im Bau. Die Hofmuseen, das
Parlament, das Rathaus, die Universität, das Hofburgtheater, die Neue Burg
werden erst in den 1870er-Jahren begonnen. Das neue Kriegsministerium wird
erst 1913, die Neue Burg im Inneren erst 1923 fertiggestellt. Das Projekt
Ringstraße ist also, das hat man nicht immer im Blick, eine Baustelle über
Jahrzehnte hin. Da gibt es damals eine ganze Reihe boshafter Karikaturen, auf
diesen lange unangenehm einwirkenden provisorischen Zustand großer
Stadtteile bezogen: unter dem Titel „Stadtverschönerung“ zeichnet man im
Schlamm der Umgrabarbeiten versinkende Passanten, Pferde, Fuhrwerke.
Auch zwei der technischen Innovationen dieser Zeit seien hier erwähnt, es hat
deren zahlreiche gegeben; schon ab 1868 kommt es zur Einrichtung von
Straßenbahnlinien auf dem Ring, noch pferdebetrieben, aber schon der Beginn
des heutigen und bemerkenswert weit ausgebauten Liniennetzes. Straßenbahnen
können aufgrund der großzügigen Breite des Rings, 57 m, leicht implantiert
werden. Die andere Innovation betrifft das Burgtheater; von allen öffentlichen
Bauten an der Ringstraße ist es das erste, das elektrische Beleuchtung aufweist;
das ist noch nicht selbstverständlich.
Dieser erste Mai 1865 hat einerseits Nachwirkungen, andererseits eine
Vorgeschichte. Die wesentlichste Nachwirkung ist wohl jene auf die
architektonische Struktur der Stadt, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. und der
ersten des 20. Jahrhunderts geschaffen wird; das reicht hin bis zu den
Gemeindebauten der 1920er und 30er-Jahre; auch das frühe „Rote Wien“ steht in der
Tradition kaiserzeitlichen Bauens, auch wenn man das heute vielleicht nicht gerne
zugeben würde. Eine Stadtstruktur von beeindruckender Eleganz entsteht. Der
Wandel Wiens von der Biedermeier-Idylle zur Metropole bringt hier Moderne in
humaner Gestaltung hervor, was gewiß zu einem der zentralen Elemente der
erwähnten Lebensqualität dieser Stadt wird.
Aus der Vorgeschichte der Ringstraße sei, skizzenhaft nur ein, freilich sehr
wichtiger, Umstand herausgegriffen, jener, daß Wien über den längsten Zeitraum
seiner Geschichte hin eine Festung gewesen ist. Zeitweilig eine der stärksten
Festungen des Abendlandes. Das ist eine der Konstanten dieser Stadt; vom bereits
schwer bewehrten Römerlager, über jene Mauern, die dann der ersten und dann,
gewandelt, der zweiten Türkenbelagerung standhalten, bis eben zu den
Umwallungen, die schließlich Kaiser Franz-Joseph abzureißen befiehlt. Man trennt
sich nicht gerne von diesen Stadtmauern, an denen Generationen gebaut haben; es
geht dem ein langer Nachdenk- und Entwicklungsprozeß voran. Eine entscheidende
Zäsur ist da 1809, die Belagerung und Bombardierung Wiens durch die Truppen
Napoleons und der Umstand, daß die Stadt, ungeachtet ihrer enormen
Befestigungen, nicht gehalten werden kann. Zu Ende des 18., Anfang des 19.
Jahrhunderts wird zudem der dominante militärische Charakter von Fortifikationen,
Gräben und Glacis zunehmend durch gärtnerische Ausgestaltung oder Verbauungen
verändert, wie etwa durch die Errichtung des Albertina-Palais auf der Hauptmauer
zwischen Kärntnerbastei und Hofburg, der Errichtung der Platz- und Gartenanlagen
vor der Hofburg nach der Sprengung der Burgbastei durch die Franzosen oder der
Technischen Hochschule neben der Karlskirche. Das Glacis ist im Biedermeier
schon als allgemeines Erholungsgebiet gewidmet und gestaltet. Die Auflassung des
alten Befestigungsgürtels wird dann einerseits sowohl vom Militär skeptisch
betrachtet, das ihm immer noch eine vorbeugend-befriedende und unruhehemmende
Wirkung zuweist, als auch, sehr verständlich, von der breiten Bevölkerung mit
Unbehagen zur Kenntnis genommen, die in den denkbar umfassenden
Neugestaltungen zunächst nur den Verlust romantischer Landschaft, liebgewordenen
Grünraums und schwere Belästigungen durch permanente Baustellen erkennen kann.
Das von seinen stimmungsvoll bepflanzten und begehbaren Bastionen und einem
vorgelagerten Glacis umgebene Lucca im nördlichen Italien vermittelt bis heute, in
geringerem Maßstab, aber sehr eindrücklich, wie diese Bereiche Wiens damals
ausgesehen haben, mit kleinen Wäldchen, Gärten, Alleen, Caféhäusern, Pavillons,
und Möglichkeiten vielfacher anderer Nutzung. Das äußerst umfangreiche Areal
dieser Befestigungsanlagen und des ihnen vorgelagerten Freiraumes ist dann aber
die städtebauliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Idee einer ringartigen
Prunkstraße, die ja dann auch im Grunde dem Verlauf der Basteien folgt. Man
könnte sagen: ohne Festung kein Ring.
„Voraussetzung“ ist hier im zunächst räumlichen Sinn zu verstehen; es bieten sich
jetzt entsprechend nutzbare enorme Flächen, alles ja im Staatsbesitz, also, wie schon
erwähnt, der Bereich der Mauern, die man abträgt, der Gräben, die man zuschüttet,
und des Glacis, also des unverbauten freien Schußfeldes vor den Mauern; dieses
Glacis reicht dann, zur Veranschaulichung nur eine der Achsen, so ungefähr von der
Mitte des Rathausparks bis hinter die Landesgerichtsstraße – alles unverbaute
Ebene.
“Voraussetzung“ meint aber auch das Finanzielle, denn über den Verkauf von rasch
Absatz findenden erstklassigen Baugründen und den Verkauf wiederverwertbaren
Baumaterials werden zahlreiche der überaus aufwendig ausgeführten diversen
Großprojekte bezahlt. Das in ultimativer Weise aufwendige Jahrhundertvorhaben, es
mag für unsere Gegenwart phantastisch klingen, finanziert sich in großem Ausmaß
selbst, was nicht zuletzt auch auf die Fähigkeiten und die Seriosität der
altösterreichischen Verwaltung zurückzuführen ist. Denn der Bau der Ringstraße
steht unter dem Kommando der Bureaukratie. Es ist das halt aber die Bureaukratie
von damals, und nicht die von heute. Eine Bureaukratie, die den ersten
internationalen Bewerb für Städtebau der neueren Zeit durchführt, die damals in sehr
geschickter Weise ebenso das allgemeine Wohl sichert, wie private Interessen gelten
läßt, zugleich der unternehmerischen Initiative Entfaltung ermöglicht und überdies
auf Enteignungen verzichtet. Der beamtlich verwaltete und ausbalanciert bleibende
Stadterweiterungsfonds ist die Kassa, in die eingezahlt wird und aus der man heraus
die Rechnungen begleicht. Über die Verwendung der Gelder entscheidet letztlich der
Kaiser – was sich wohl auch in der Großzügigkeit des Endergebnisses zum
Ausdruck gebracht hat.
Von Wiens Stadtmauer sind übrigens kleine Stücke erhalten geblieben; Reste
der Mölkerbastei hat man gegenüber der Universität belassen, und auch Reste
der Coburg- bzw. Braunbastei sind noch vorhanden. Auch am Stubenring
beziehungsweise am Luegerplatz hat man in Zusammenhang mit dem U-BahnAusbau Teile der alten Befestigung freigelegt.
Kaiser Franz-Joseph wird, zu Recht oder Unrecht, mittelmäßiger Geschmack
unterstellt. Jedenfalls aber hat er Leute die Sache machen lassen, die zu den
herausragendsten Persönlichkeiten ihres Metiers gehört haben. Architekten wie
Semper und Hasenauer, Hansen, Schmidt, Ferstel, Förster, Sicardsburg und van
der Nüll zählen schlicht zu den besten ihrer Zeit; Fernkorn setzt mit seinen zwei
kolossalen Reiterdenkmälern auf dem Heldenplatz neue Maßstäbe in der
plastischen Kunst; auch der brillante Innenminister Bach sei erwähnt, der eine
der treibenden Kräfte der Umgestaltung Wiens ist; oder der weitgehend
unbekannte Sektionschef Franz v. Matzinger, der die Geldbeschaffung
organisiert und den Stadterweiterungsfonds verwaltet.
Man hat heuer dem Ring die Bezeichnung „jüdischer Boulevard“ zugewiesen;
das hat durchaus seine Berechtigung, denken wir nur an die überaus
herrschaftlichen Palais Todesco, Epstein und Ephrussi. Ebenso kann man ihn
freilich als Kaiserlichen Boulevard bezeichnen, zumal Kaiser Franz-Joseph
immer wieder auch selbst in die Gestaltung der Pläne eingreift, zahlreiche
Details von ihm selbst initiiert werden und jedenfalls die dem Hof zugehörigen
Bauten der Straße ihr wesentliches Gepräge geben. Und er ist auch ein
aristokratischer Boulevard; die Aristokratie meidet den Ring, wie es seltsamer
Weise immer wieder kolportiert wird, durchaus nicht, läßt auch selbst dort
bauen – die Erzherzöge Ludwig-Viktor und Wilhelm, der Herzog von
Württemberg, die Grafen Hoyos, Larisch, Henckel-Donnersmarck. Die
Ringstraße prägt sich im Zusammenwirken der damaligen gesellschaftlichen
Kräfte aus, „Viribus unitis“, wie die Devise Kaiser Franz-Josephs lautet, „mit
vereinten Kräften“. Und der Ring ist auch keinesfalls jene „unsichtbare
Barriere“ zwischen den Ständen des alten Österreichs, eine ebenfalls häufig zu
lesende Behauptung. Im Haus Türkenstraße 23, also sehr nahe zum Ring,
Ringstraßenzone sozusagen, sind die Bewohner aus dem Jahr 1872 festgehalten:
Graf u. Gräfin Dietrichstein, zwölf Beamte, zwei Witwen, ein Offizier, ein
Geschäftsmann, ein Schauspieler, eine Trödlerin. Eine für die heutigen
klischeehaften Ansichten über die „böse alte Zeit“ eher unerwartete soziale
Durchmischung.
Es gibt auch Kritik an der Ringstraße, in drastischer Schärfe, zeitgenössisch wie
gegenwärtig. Die Architekten der Oper werden damals mit dem Spottvers
„Sicardsburg und van der Nüll haben beide keinen Stil“ bedacht; die Oper selbst
bezeichnet man nach einer unvorhergesehenen Terrain-Anhebung als
„versunkene Kiste“ oder gar als „Königgrätz der Architektur“, wobei die Pointe
daran der Umstand ist, daß wir bei Königgrätz die größte Schlacht des 19.
Jahrhunderts bravourös verlieren. Loos, später Architekt, seinerzeit umstritten,
heute bejubelt, spricht in Bezug auf den Ring sinngemäß von „Neu Wien“ für
„die Plebs“ und hätte dort gerne alles abgerissen und selbst gebaut. Das ist bis
heute bekanntlich stets Desiderat der Architekten geblieben, Altes wegmachen
und sich selbst zur Darstellung bringen. Das 19. Jahrhundert hat leider viel
schönes Altes abgerissen, aber es hat noch hohen Standard dafür hingesetzt.
Eine mediale Kritik von heuer führt aus, daß die Monarchie mit der
unvollendeten Anlage des Kaiserforums in ihrer Absicht der, ich zitiere,
„Selbstglorifizierung“ „auf allen Linien“ gescheitert sei.
Gehässigkeit der Ablehnung sagt aber noch nicht, daß sie unbedingt berechtigt
ist; in den vorliegenden Fällen mag es angemessener sein, genau das Gegenteil
anzunehmen. So hat es viele Stimmen gegeben, welche die Wiener Oper,
zusammen mit der in Paris, als die beiden schönsten Opernhäusern überhaupt
bezeichnet haben. Und man könnte auch ausführen, daß die genannte
„Selbstglorifizierung“ in Form des Kaiserforums in kaum überbietbarer Weise
gut gelungen ist.
Mit „Kaiserforum“ ist die quer zur Ringstraße angelegte Erweiterung des durch
die Jahrhunderte gewachsenen Hofburgkomplexes gemeint; mit zunächst zwei
neuen Trakten der Burg, die den Heldenplatz einfassen sollen, sowie in ihrer
Verlängerung, auf der anderen Seite des Rings, den beiden Hofmuseen, dem
Kunst- und dem Naturhistorischen Museum. Diese beiden zählen, völlig
offenkundig, zu den beeindruckendsten Kulturbauten Europas, und sie
beherbergen mit den habsburgischen Kunst- und naturkundlichen Beständen
Sammlungen von Weltrang. Von den zwei geplanten neuen Trakten der
Hofburg ist bekanntlich nur einer errichtet worden; der Umstand, daß der
zweite, gegenüberliegende Flügel der neuen Hofburg nie gebaut wurde, macht
den Heldenplatz, wenn auch gewissermaßen in Abänderung des ursprünglichen
Planes, zu einem der schönsten Plätze der Welt, mit einem großartigen
Panoramablick über Volksgarten und Ringstraße.
Die Ringstraße ist ein vielleicht einzigartiges Ensemble herrschaftlicher
Architektur. Mit ihren Palästen und Privathäusern, mit ihren prachtvollen
Gärten und Alleen, den raffiniert angelegten Plätzen und dem Figurenschmuck
mit seinen inspirierenden und bereichernden Akzenten ist sie ein
Gesamtkunstwerk ganz außerordentlichen Ranges, eine der wirklich
bedeutenden Schöpfungen der menschlichen Baukunst und Stadtplanung.
Alle heute wieder intensiviert geäußerten Begehrlichkeiten, doch auch auf oder
beim Ring an Stelle historistischer Palais oder sich sonst anbietender
Gelegenheiten weitere Neubauten zu errichten, wie wir sie etwa auch im
„Masterplan Glacis“ der Gemeindeverwaltung aus dem Jahr 2014 angedeutet
finden, sind in Zeiten wie diesen nur als gefährliche Drohung und beginnender
Einbruch von Barbarei zu werten. Nicht etwa, daß man am Ring nicht auch neu
bauen können sollte; erlesene Scheußlichkeiten, Folgen der Kriegszerstörungen
in Wien, wie der Ringturm von 1955, der Opernringhof von 1958 oder die
Polizeidirektion von 1971 warten nur darauf, durch eine Architektur, die diese
Bezeichnung ernsthaft verdient, ersetzt zu werden; aber man vergreift sich bei
Neubauten nach wie vor lieber an der wertvollen Bausubstanz vor 1918, statt
die entbehrliche nach 1945 heranzuziehen.
Ein Zitat zum Abschluß: „Es ist dringend notwendig, mit größtem Nachdruck
auf die künstlerisch einzigartige Leistung der Wiener Ringstraße hinzuweisen;
deren Erhaltung ständig bedroht wird. Unkenntnis und mangelnde Aufklärung,
falsch verstandene Modernität und eine ganz einseitig nach materiellen Zielen
ausgerichtete und daher irregeleitete Wirtschafts- und Baupolitik sind die
Gegner des größten künstlerischen Vermächtnisses, das Wien als Stadt
aufzuweisen hat.“ So die bekannte Professorin der Kunstgeschichte, Renate
Wagner-Rieger, im Jahr 1969; eine aktuell gebliebene Mahnung. Versuchen wir
– sehr wohl auch im eigenen Interesse und dem der Nachkommenden, dieses
kostbare Erbe des Historismus, dieses bis heute in seiner Bedeutung für das
Stadtbild und daher auch die Schönheit Wiens sträflich verkannten Stils,
versuchen wir, dieses Erbe und in besonderer Weise die Ringstraße zu
bewahren. Wir werden etwas in auch nur annähernder Qualität so bald nicht
wieder zusammenbringen.
Albert Pethö; lebt und wirkt in Wien; Historiker.
Militärhistorische Publikationen:
„Agenten für den Doppeladler – Österreich-Ungarns Geheimer Dienst im Weltkrieg“, Graz
1998
„Belagerung und Gefangenschaft – Von Przemysl bis Russisch-Turkestan – Das
Kriegstagebuch des Dr. Richard Ritter von Stenitzer 1914-1917“, Graz 2010