Health Games – Spielen als Therapie

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Health Games – Spielen als Therapie
Senioren lenken Motorräder über virtuelle Straßen, Krebspatienten
schießen auf Tumorzellen und Brandopfer vergessen bei pixeligen
Schneeballschlachten ihre Schmerzen. Für die sogenannten Health
Games gibt es vor allem in der Krankheitsprävention und der
Rehabilitation einige Einsatzmöglichkeiten.
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Von Birk Grüling
Oma
fährt
Motorrad.
entgegenkommenden
Nicht
im
Hühnerstall,
Auto
weicht
sie
sondern
durch
virtuell.
eine
Einem
geschickte
Gewichtsverlagerung aus, vom rechten auf das linke Bein. Gleich danach
taucht auf dem Bildschirm ein Benzinkanister auf, zurück auf das rechte Bein
und das Motorrad legt sich in die virtuelle Kurve. Die schneeweiße Dauerwelle
der Seniorin wippt aufgeregt. Was auf den ersten Blick wie ein normales
Videospiel anmutet, hat einen therapeutischen Hintergrund. Durch die
Verlagerung des Gewichts soll die Stand- und Gangsicherheit der Seniorin
trainiert werden. Wie bei vielen der weltweit 46 Millionen Demenz-Patienten
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sind ihre Schritte oft unsicher. Regelmäßig macht eine Physiotherapeutin mit
ihr Gleichgewichtsübungen. Die sind allerdings etwas eintöniger als die
Spritztour auf der Konsole. Das Hamburger Startup „Retrobrain“ hat die
Spielesammlung „Memore“ gegen das Vergessen entwickelt. Wie das
Motorradrennen werden auch ein Postboten-Spiel oder die Kegelrunde durch
Bewegungen gesteuert, aufgezeichnet durch eine Kinect-Kamera. Rat bei der
Spielgestaltung holten sich die Hamburger Entwickler bei Demenz-Forschern
und Medizinern. Das ist wichtig, schließlich sollen Health Games nicht nur
unterhalten, sondern wirklich die Gesundheit der betagten Spieler verbessern,
sie zu Bewegung motivieren, in Kontakt mit anderen Patienten bringen.
Gemeinsames Daddeln macht Spaß und regt die Synapsen im Gehirn an.
Die Idee, Computerspiele für die Krankheitsprävention und als Therapiemittel
einzusetzen, passt gut in die Zeit. Kaum ein Thema bewegt die
Gesundheitswirtschaft derzeit so wie „E-Health“. Unzählige Startups und
etablierte Firmen interessieren sich für digitale Gesundheitsangebote irgendwo
zwischen Fitness-Tracker, die uns verraten wie viel wir uns bewegen und
digitalen Pflastern, die unseren Blutzuckerspiegel messen oder sogar
Medikamente verabreichen. Laut einer Erhebung der Beratungsgesellschaft
Deloitte nutzen mittlerweile schon über 45 Prozent der Deutschen ihr
Smartphone und Tablet für digitale Gesundheitsangebote. Wachsender
Beliebtheit erfreuen sich dabei auch Health Games. Die
Zahl der
Forschungsprojekte in diesem Bereich wächst. „Das ist kein Wunder.
Schließlich gibt es einige, sehr spannende Anwendungsszenarien für
Gesundheitsspiele. Sie können in der Therapie unterstützend eingesetzt
werden oder spielerisch über Krankheiten aufklären“, sagt Dr. Steffen P. Walz,
Associate Professor an der RMIT University in Melbourne und Leiter des
dortigen Games and Experimental Entertainment Laboratory, kurz: GEElab.
Quallen und Schneebälle als Pioniere
Zwei der bis heute wichtigsten Genrevertreter stammen aus den USA: Teil 1
und 2 von „Re-Mission“ erinnern an klassische Action-Games. Der Spieler
muss mit dem Chemoblaster Quallen-ähnliche Tumorzellen bekämpfen. Die
Botschaft dahinter: Du kannst deinen Krebs besiegen, wenn du nur dafür
kämpfst und deine Medikamente nimmst. Das scheint bei den jungen
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Krebspatienten anzukommen. Eine Wirksamkeitsstudie der Stanford University
zeigte, dass sie sich dank „Re-Mission“ motivierter an der Chemotherapie
beteiligten und regelmäßiger ihre Medikamente nahmen. Ähnlich erfolgreich ist
auch „SnowWorld“. In einer Eislandschaft liefern sich die Spieler virtuelle
Schneeballschlachten. Forscher der University of Washington entwickelten das
winterliche Health Game für die Behandlung von jungen Verbrennungsopfern.
Das Spiel dient als Ablenkung während der schmerzhaften Verbandwechsel.
Durch die Eislandschaft soll außerdem das Kälteempfinden der Patienten
stimuliert werden. Mit Erfolg: Laut einer Wirksamkeitsstudie sank das
subjektive Schmerzempfinden der Patienten um bis zu 50 Prozent. Aus Sicht
von Kevin Dadaczynski von der Leuphana Universität Lüneburg helfen solche
Studienergebnisse die Akzeptanz von Health Games bei Krankenkassen und
Medizinern zu steigern. „Die wenigen, bisher gemachten Untersuchungen
deuten eine positive Wirkung von Spielen an, gerade wenn es um die
Unterstützung von Therapien und die Unterstützung einer gesunden
Lebensweise geht“, sagt er. Allerdings wisse man bisher nur wenig über die
Dosierung oder eine richtige Auswahl der Spiel-Elemente für bestimmte
Krankheiten. Hierzu braucht es noch mehr interdisziplinäre Forschung von
Spiele-Experten und Mediziner.
Wie eine solche Forschung aussehen könnte, zeigt ein Projekt des HertieInstituts für klinische Hirnforschung in Tübingen. Dort werden Patienten mit
einer degenerativen Kleinhirn-Ataxie mit Hilfe von Health Games behandelt. An
der unheilbaren Krankheit leiden in Deutschland etwa 5.000 Menschen. In
ihrem Verlauf verlieren die Patienten immer mehr die Kontrolle über ihren
Körper. Sprechen, Gehen, nach der Kaffeetasse greifen, all diese Alltagsdinge
fallen im Laufe der Zeit immer schwerer. Da keine medikamentöse Behandlung
zur Verfügung steht, hat man eine intensive Therapie bisher eher für
aussichtslos gehalten. Die Tübinger Forscher zeigten nun, dass aktives
Bewegungstraining eine anhaltende funktionale Verbesserung der Motorik
bringen kann. Bei ihrem Training setzten die Forscher auf herkömmliche
Konsolenspiele, bei denen die Patienten gesteuert durch eigene Bewegungen
koordinative Aufgaben lösen. Zum Beispiel müssen sie mit Armen und Beinen
Löcher in der Außenwand eines U-Bootes flicken oder virtuelle Gegner im
Tischtennis schlagen. Mit Erfolg: Die Patienten fühlten sich im Alltag sicherer
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und bewegten sich deshalb mehr. Nach einer Einführung durch den
Therapeuten konnten die Spiele auch Zuhause genutzt werden und das
beliebig oft. Physiotherapie mit gleicher Intensität würde dagegen von den
Krankenkassen kaum bezahlt werden. „Die Spiele ergänzen die herkömmliche
Therapie sinnvoll, auch in dem sie Behandlungslücken ausgleichen und die
Patienten zusätzlich zur Bewegung motivieren“, erklärt Projektleiter Winfried
Ilg. Eine intensive Begleitung und Anpassung der Spiele durch Therapeuten
und Mediziner sei aber weiterhin nötig.
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Gute Spiele kosten Zeit und Geld
Trotz einiger positiver Beispiele für den Einsatz von Health Games gibt es eine
entscheidende
Hürde
–
nämlich
die
Finanzierung.
Die
Entwicklung
wirkungsvoller Spiele kostet viel Zeit, Geld und bedarf einer intensiven,
wissenschaftlichen Begleitung. „Ein gutes Health Game für eine Konsole zu
entwickeln, kostet schnell einen hohen sechsstelligen oder noch höheren
Betrag. Selbst weniger aufwändige Mobile Games haben ihren Preis. Auch
wenn sich die Spiele nicht mit der Komplexität oder Grafik von SpieleBlockbustern messen müssen, brauchen sie doch ein durchdachtes Konzept“,
erklärt Walz. Sie sollten schließlich Spaß machen und auf eine angenehm,
spielerische Weise Lösungsansätzen aufzeigen und Therapien unterstützen.
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Bisher kommt das Geld für solche aufwendigen Entwicklungen zumeist aus
öffentlichen
Fördertöpfen.
Die
deutschen
Krankenkassen
unterstützen
dagegen weder die Entwicklung von Spielen noch ihre Anschaffung durch die
Patienten.
Das
Interesse
seitens
der
Krankenhäuser
und
Senioreneinrichtungen ist dementsprechend noch überschaubar. Auch durch
Werbung oder Verkäufe im App-Store sind die Kosten kaum zu decken.
Gerade
die
therapeutischen
Spiele
sind
auf
ein
ganz
bestimmtes
Krankheitsbild spezialisiert, das Käuferpotential entsprechend begrenzt. „Damit
Health Games bei den Patienten ankommen und neue Projekte in diesem
Bereich vorangetrieben werden können, benötigen wir dringend einen Abbau
der derzeit bestehenden Barrieren, die die Entwicklung eines Health-GamesMarktes
verhindern.
Die
Anerkennung
von
Health
Games
durch
Krankenkassen wäre ein erster wichtiger Schritt“, sagt Maximilian Schenk,
Geschäftsführer des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware.
Auch der Status als „Medizinprodukt“ ist noch ungeklärt. Einerseits sichern
verlässliche Studien zur Wirksamkeit der Health Games die Qualität der
Anwendungen.
Andererseits
wären
die
Zulassungshürden
für
kleine
Entwickler-Teams kaum überwindbar, so Schenk weiter.
Finanzierung über die Hintertür
Bis die Rahmenbedingungen rund um Finanzierung und Zulassung geklärt
sind,
müssen
gerade
kleinere
Entwickler-Teams
ohne
große
Forschungsinstitute im Hintergrund kreative Lösungen finden. So finanzierten
die Macher der App „Patchie“ ihre Entwicklung über einen CrowdfundingAufruf, der ihnen immerhin 76.000 Euro einbrachte. Zusammen mit
Sponsorengeldern soll damit bis 2016 eine kostenlose Smartphone-App
entwickelt werden. „Patchie“ richtet sich dabei an Kinder und Jugendliche, die
an Mukoviszidose erkrankt sind. Die unheilbare Stoffwechselkrankheit sorgt
dafür, dass der Körper zähen Schleim produziert, der Herz und Lunge angreift
und die Atmung und Verdauung beeinträchtigt. Die moderne Therapie ist zwar
wirksam, aber sehr zeitaufwendig. Bis zu acht Stunden pro Tag müssen die
Erkrankten inhalieren, Medikamente einnehmen und kalorienhaltiges Essen zu
sich nehmen. Physiotherapie und Bewegung sind ebenfalls Pflicht. Die App will
die jungen Patienten zur Behandlung motivieren und über die Krankheit
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aufklären. Dafür übernehmen die Spieler selbst „Verantwortung“ für Patchie,
einen an Mukoviszidose erkrankten Außerirdischen. Für die Einnahme von
virtuellen
Medikamenten
und
die
Therapie
bekommen
die
Spieler
Erfahrungspunkte und Geschenke. So lernen sie spielerisch mehr über die
Krankheit und die Notwendigkeit der Therapien. Außerdem enthält die App ein
leicht verständliches Therapie- und Medikamenten-Tagebuch. Kopf hinter dem
Projekt ist Marc Kamps von der Software-Firma Birds and Trees und selbst
Vater eines an Mukoviszidose erkrankten Sohnes. Unterstützt wurde die
Entwicklung
von
einem
Betroffenen-Verein
und
dem
Altonaer
Kinderkrankenhaus.
Interessant ist auch der Ansatz der Macher des Health Games „Luftikids“. Das
Spiel will Kindern den Umgang mit ihrer Asthmaerkrankung erleichtern. Die
kleinen Patienten entdecken zusammen mit dem Streifenhörnchen Rudi einen
Inselstaat irgendwo im Ozean. Als dort ein Vulkan ausbricht, ist die Idylle
bedroht. Alle Bewohner entwickeln Symptome des Asthma bronchiale. Helfen
können nur die Spieler. Sie müssen alle Insel bereisen, Wissen sammeln und
Aufgaben lösen. Die Besonderheit: Das Spiel findet als eine vierwöchige
Online-Schulung statt. Die jungen Asthmapatienten lernen dabei alles über ihre
chronische Erkrankung und den richtigen Umgang damit. Richtiges Verhalten
wird belohnt, indem die Kinder in immer neue Spielfelder gelangen und am
Ende auch etwas gewinnen können. Begleitet wird „Luftikids“ von den
behandelnden Ärzten und Therapeuten. Untersuchungen der Universität
Gießen
zeigten,
dass
die
"Luftikids"-Kinder
Therapie-Anweisungen
konsequenter befolgen und deshalb weniger Medikamente brauchten und
seltener in die Klinik mussten. Inzwischen werden die Kosten für Schulungen
von den Krankenkassen bezahlt. Abgerechnet wird allerdings nicht das Health
Game, sondern die Beratung.
Über den Autoren:
Birk Grüling schreibt als freier Journalist für Zeitungen und Magazine über Wissenschaft und
Technik. Bei Twitter ist er unter @birkgrueling erreichbar.
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Martin Puppe
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