Vertragsrecht III (7) Bürgschaft Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Die Bürgschaft Die Bürgschaft – Friedrich Schiller Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen die Häscher in Bande, „Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!“ Entgegnet ihm finster der Wüterich. „Die Stadt vom Tyrannen befreien!“ „Das sollst du am Kreuze bereuen.“ „Ich bin, spricht jener, „zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben: Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; Ich lasse den Freund dir als Bürgen, Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen.“ […] 2 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Überblick § Voraussetzungen − Bürgschaftsvertrag zwischen Bürge (Sicherungsgeber) und Gläubiger (Sicherungsnehmer) § möglich, aber praktisch selten: Vertrag zugunsten Dritter zwischen Hauptschuldner und Bürgen − zu sichernde Forderung zwischen Hauptschuldner (Dritter) und Gläubiger 3 VertragsrechtIII Dr.MarcoStaake Überblick Gläubiger Hauptverbindlichkeit Bürgschaftsvertrag (§ 765 ff. BGB) Hauptschuldner Auftrag, Geschäftsbesorgung oder GoA Bürge 4 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Form § § 766 BGB: schriftliche Erteilung − „Erteilung“ à Bürge muss dem Gläubiger die Urkunde zumindest vorübergehend zur Verfügung stellen − Schriftform à vgl. § 126 BGB § grds. eigenhändige Unterschrift erforderlich § nicht ausreichend: Telefax, elektronische Form (§ 766 S. 2 BGB à § 126 III BGB nicht anwendbar) − Gläubiger kann formfrei annehmen (ggf. § 151 BGB beachten!) − betrifft alle essentialia sowie Nebenabreden, durch die Stellung des Bürgen verschlechtert wird § z.B. Verzicht auf Einrede der Vorausklage − Ausnahme von Formerfordernis: § 350 HGB 5 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Form § Problem: Stellvertretung − nach § 167 II BGB ist Vollmachterteilung eigentlich formfrei − nach h.M. teleologische Reduktion bei Unwiderruflichkeit der Vollmacht oder tatsächlicher Bindungswirkung § dann bedarf Vollmachterteilung der Form des Geschäfts, das vom Bevollmächtigten vorgenommen werden soll − nach h.M. ist Vollmachterteilung bei der Bürgschaft immer formbedürfig (vgl. BGHZ 132, 119) § Problem: Blankobürgschaft − Blanketterklärung nicht ausreichend, da dem Bürgen das übernommene Risiko nicht vor Augen geführt wird (BGHZ 132, 119) 6 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Gesicherte Forderung § strenge Akzessorietät − − Bestehen der Forderung ist Voraussetzung für Verpflichtung des Bürgen Ausnahme: Hauptschuldner ist Kapitalgesellschaft (AG, GmbH), die infolge Vermögenslosigkeit erlischt § dann fällt Forderung zwar weg, Bürge haftet aber dennoch! § künftige Forderungen à § 765 II BGB − − bis zum Entstehen der Forderung ist Bürgschaft schwebend unwirksam Voraussetzung: Bestimmbarkeit der Forderung (nicht: ihrer konkreten Höhe) § Umfang der Bürgenhaftung muss zumindest überschaubar (nicht: bezifferbar) sein § Extremfall: Einbeziehung aller zukünftigen Forderungen des Gläubigers gegen den Schuldner aus der gesamten Geschäftsbeziehung ohne summenmäßige Begrenzung (sog. Globalbürgschaft) 7 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Gesicherte Forderung § Problem: Globalbürgschaften − §§ 765 ff. BGB enthalten keine Einschränkungen à daher grds. zulässig. − aber: bei formularmäßiger Ausdehnung findet AGB-Kontrolle statt § Einbeziehungskontrolle − insbes. § 305c BGB: überraschende Klauseln à „Anlassrechtsprechung“ des BGH § Inhaltskontrolle − § 307 I, II BGB − Einzelheiten im Selbststudium! 8 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Sittenwidrigkeit § § 138 II BGB nicht einschlägig − − setzt einen Leistungsaustausch voraus Bürgschaft ist aber einseitiges Verpflichtungsgeschäft § § 138 I BGB − − gute Sitten = „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ Sittenverstoß kann sich ergeben aus … § Inhalt des Rechtsgeschäfts − Begleitumstände sind nicht maßgeblich − subjektive Komponente nach h.M. nicht erforderlich § Umständen des Rechtsgeschäfts − umfassende Würdigung von Vertragsinhalt, Vertragszweck, Motiven der Beteiligten und Umständen des Vertragsschlusses − Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände erforderlich § Was ist hier einschlägig? 9 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Zum Einstieg: BVerfGE 89, 214 Sachverhalt: DerVaterderBeschwerdeführerinwarzunächstalsImmobilienmaklertätig;er errichteteundverkaufteEigentumswohnungen.ImJahre1982begehrteervonder StadtsparkasseC.eineVerdoppelungseinesKreditlimitsvon50.000DMauf100.000 DM.AlsdieStadtsparkasseeineSicherheitverlangte,unterzeichnetediedamals 21jährigeTochterameinevorgedruckteBürgschaftsurkundemiteinemHöchstbetrag von100.000DMzuzüglichNebenleistungen.DieselbstschuldnerischeBürgschaft solltederSicherungallerbestehendenundkünftigenForderungenderSparkasseaus derGeschäftsbeziehungmitdemVaterdienen.BeiUnterzeichnungder BürgschaftsurkundeerklärtederSparkassenmitarbeitersinngemäß:„Hierbitte, unterschreibenSiemal,SiegehendabeikeinegroßeVerpflichtungein,ichbrauchedas fürmeineAkten.“DieKrediterhöhungwurdedaraufhinbewilligt.DieTochterverfügte selbstüberkeinVermögen.SiehattekeineBerufsausbildung,warüberwiegend arbeitslosundverdientezurZeitderBürgschaftserklärungineinerFischfabrik1.150 DMmonatlichnetto.SpätergingdieStadtsparkasseklageweiseausderBürgschaft vorundbekamvomBGHRecht.HiergegenerhobdieTochterVerfassungsbeschwerde. 10 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Zum Einstieg: BVerfgE 89, 214 Leitsatz: Die Zivilgerichte müssen – insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB – die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art 2. Abs. 1 GG beachten. Daraus ergibt sich ihre Pflicht zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind. Aus den Gründen: […]HeutebestehtweitgehendeEinigkeitdarüber,daß […]der AusgleichgestörterVertragsparitätzudenHauptaufgaben desgeltendenZivilrechtsgehört […] FürdieZivilgerichtefolgtdarausdiePflicht,beiderAuslegungundAnwendungder Generalklauselndaraufzuachten,daß VerträgenichtalsMittelderFremdbestimmung dienen.HabendieVertragspartnereineansichzulässigeRegelungvereinbart,sowirdsich regelmäßigeineweitergehendeInhaltskontrolleerübrigen.IstaberderInhaltdes VertragesfüreineSeiteungewöhnlich belastendundalsInteressenausgleich offensichtlich unangemessen, sodürfensichdieGerichtenichtmitderFeststellungbegnügen: „Vertrag istVertrag“.Siemüssen vielmehrklären,obdieRegelungeineFolgestrukturellungleicher Verhandlungsstärke ist,undgegebenenfalls imRahmenderGeneralklauselndesgeltenden Zivilrechtskorrigierendeingreifen. 11 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Sittenwidrigkeit § Wie hat Rspr. diese Vorgaben umgesetzt? − Bürgschaft naher Angehöriger ist sittenwidrig, wenn … (1) der Bürge finanziell krass überfordert wird, (2) der vertrag sich auch aus Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers als sinnlos erweist (3) der Bürge aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner handelt und kein eigenes wirtschaftliches Interesse am besicherten Darlehen hat − anstelle der finanziellen Überforderung können auch andere Umstände Sittenwidrigkeit begründen, z.B. § Überrumpelung § Ausnutzung einer seelische Zwangslage oder der geschäftlichen Unerfahrenheit des Bürgen § Darstellung der Bürgschaftsverpflichtung als „reine Formalität“ 12 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Sittenwidrigkeit § Wie hat Rspr. diese Vorgaben umgesetzt? − aber: nicht jede „teure“ Bürgschaft ist auch sittenwidrig − vielmehr Abwägung der Leistungsfähigkeit des Bürgen und der Sicherungsinteressen des Gläubigers § aber: besonderes Sicherungsinteresse (z.B. Schutz vor Vermögensverlagerungen) muss im Bürgschaftsvertrag zum Ausdruck kommen − maßgeblicher Zeitpunkt für Sittenwidrigkeit: Abschluss des Bürgschaftsvertrages 13 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Anfechtung § Anfechtung wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums (§ 119 I BGB) − uneingeschränkt möglich − Beispiel: Vertreter eines Kreditinstituts geht davon aus, dass eine Bürgschaft seines Instituts schon abgegeben sei und will dies nur „der Form halber“ bestätigen. Empfänger kann und muss dies als Angebot auf Abschluss eines Bürgschaftsvertrages verstehen. § Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums (§ 119 II BGB) − nicht möglich, sofern sich Bürge über die Kreditwürdigkeit oder Vermögenslage des Schuldners geirrt hat − Grund: Sicherungszweck der Bürgschaft à dieses Risiko soll gerade der Bürge tragen! § zum Selbststudium: Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) 14 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Akzessorietät § zentrale Norm: § 767 BGB § Haftung des Bürgen ist von Bestand der Hauptschuld abhängig − besteht Hauptschuld nicht, haftet auch der Bürge nicht − (Teil-)Erfüllung der Hauptschuld führt zum Entfallen bzw. zur Reduzierung der Bürgenschuld § Hauptschuld und damit auch Bürgenschuld können sich nachträglich erhöhen (§ 767 I 2 BGB) − aber nicht durch Rechtsgeschäft des Hauptschuldners (§ 767 I 3 BGB) − Ausnahme: wirksame Globalbürgschaft 15 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Einreden § schuldnerbezogene Einreden à § 768 BGB − Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen − auch noch nach Verzicht durch Hauptschuldner − praktisch bedeutsam: Einrede der Verjährung § § 216 I BGB ist nicht analog anwendbar § ist Hauptschuld verjährt, muss Bürge nach § 768 I BGB nicht leisten § BGH NJW 1999, 278: auch noch nach rechtskräftiger Verurteilung des (i.d.R. selbstschuldnerischen) Bürgen − Wie? à Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO 16 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Einreden § bürgschaftsbezogene Einreden = Einreden, die sich unmittelbar aus der Beziehung des Bürgen zum Gläubiger ergeben − praktisch auch hier bedeutsam: Einrede der Verjährung − Hauptforderung und Bürgschaftsforderung verjähren selbständig! − Erhebung der Klage gegen Hauptschuldner hemmt nur die Verjährung der Hauptforderung, nicht aber die Verjährung der Bürgschaftsforderung – und umgekehrt! § Bürge kann sich daher berufen auf … − Verjährung der Hauptschuld nach § 768 I 1 BGB − Verjährung der Bürgschaftsforderung nach § 214 BGB 17 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Einreden § Einrede der Anfechtbarkeit (§ 770 I BGB) − Bürge kann Gestaltungsrecht nicht für Hauptschuldner geltend machen, darf aber „abwarten“ − analog anwendbar auf andere Gestaltungsrechte des Hauptschuldners § Rücktritt § Widerruf § Minderung 18 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Einreden § Einrede der Aufrechenbarkeit (§ 770 I BGB) − − Telos: Gläubiger soll sich durch Aufrechnung befriedigen und nicht auf den „armen“ Bürgen zugreifen Problem: § Was gilt, wenn nur der Hauptschuldner aufrechnen kann? § aus Telos folgt: − Risiko, dass der Hauptschuldner nicht aufrechnet, trägt der Bürge à entspricht dem allg. Risiko der „Nichterfüllung“ und dieses hat der Bürge ja gerade übernommen − daher keine Einrede des Bürgen (a.A. Habersack in MünchKomm. BGB, § 770 Rn. 10: entsprechende Anwendung des § 770 I [!] BGB) § Kunstgriff von BGHZ 24, 97: − aus bestehenden Gegenansprüchen des Hauptschuldners kann sich aber ein Zurückbehaltungsrecht (z.B. nach § 273 BGB) ergeben, auf das sich auch der Bürge gemäß § 768 I 1 BGB berufen kann 19 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Einreden § Einrede der Vorausklage à § 771 BGB − − − besondere Ausprägung des Akzessorietätsgrundsatzes Inanspruchnahme des Bürgen setzt erfolglosen Vollstreckungsversuch gegen Hauptschuldner voraus § dazu näher § 772 BGB Ausnahmen: § 773 BGB § praktisch bedeutsam: Verzicht à selbstschuldnerische Bürgschaft (Nr. 1) § noch weitergehend: Bürgschaft auf erstes Anfordern − begründet Verpflichtung des Bürgen, auf die bloße Aufforderung des Gläubigers zu leisten − erfüllt nicht nur Sicherungs-, sondern auch Liquiditätsfunktion − einstweiliger Verzicht auch auf §§ 768, 770 BGB! § Einwendungen und Einreden gegen die Hauptschuld soll der Bürge erst in einem Rückforderungsprozess geltend machen können § „Zahle jetzt – prozessiere später!““ 20 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Regress des Bürgen § Rückgriffsanspruch des Bürgen … − aus Rechtsbeziehung zum Hauptschuldner § Auftrag à § 670 BGB § Geschäftsbesorgung à §§ 675, 670 BGB § GoA à §§ 677, 683, 670 BGB oder §§ 677, 684, 812 ff. BGB − kraft Gesetzes gemäß § 774 BGB (Legalszession) − Anspruchskonkurrenz 21 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Mitbürgschaft § § 769 BGB à mehrere Bürgen haften als Gesamtschuldner − unabhängig davon, ob sie sich gemeinsam oder getrennt voneinander verbürgen − dies gilt auch bei Teil- oder Höchstbetragsbürgschaften § keine Addition der Beträge! § abweichen Vereinbarung mit den Bürgen ist möglich § Ausgleich der Mitbürgen untereinander − nach § 426 BGB − bei Bürgschaft in unterschiedlicher Höhe à „Quotenmodell“ − Ausgleich anteilig im Verhältnis der jeweils übernommenen Haftung 22 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Mitbürgschaft SschuldetG100.000 €.FürdieseForderung verbürgensichAundBjeweilsunabhängig voneinander, AbiszueinemHöchstbetragvon60.000 €,BbiszueinemHöchstbetragvon 40.000 €.BeideverzichtenaufdieEinredederVorausklage.NachdemSnichtzahlt, nimmtGzunächstAausderBürgschaft inAnspruch. Azahltdaraufhin60.000 €.KannG dierestlichen40.000 € vonBverlangen?WaskannAvonBverlangen? § Antwort: Nein! − − − A und B haften gemäß § 769 BGB gesamtschuldnerisch abweichende Vereinbarung ist zwar möglich, hier aber (-) nach § 422 BGB wirkt die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für den anderen § Ausgleich zwischen A und B (§ 426 BGB) − − − „Quotenmodell“: Haftung im Verhältnis 3:2 (A trägt 60 %, B 40 %) gerechnet auf 60.000 € à A: 36.000 €, B: 24.000 € daher Ausgleichsanspruch des A in Höhe von 24.000 € gegen B 23 Vertragsrecht III Dr. Marco Staake Weitere Formen der Bürgschaft § Nachbürgschaft − sichert Forderung des Gläubigers gegen (Vor-)Bürgen § Rückbürgschaft − sichert Regressanspruch des Bürgen gegen Schuldner § Sicherungszweck (Anlass) der Bürgschaft kommt oft in ihrer Bezeichnung zum Ausdruck − − − − − − − „Abschlagszahlungsbürgschaft“ „Gewährleistungsbürgschaft“ „Leasingbürgschaft“ „Mietbürgschaft“ „Prozessbürgschaft“ „Vertragserfüllungsbürgschaft“ „Vorauszahlungsbürgschaft“ 24
© Copyright 2024 ExpyDoc