Krankheiten erforschen, vorbeugen und heilen September 2015 SONDERVERÖFFENTLICHUNG DER BAYER-STIFTUNGEN DIE PUZZLE-SUCHER Emmanuelle Charpentier und Markus Bender wollen die Entstehung schwerer Krankheiten besser verstehen. SEITE II DIE FERIEN-FORSCHER Zehn Jugendliche aus Deutschland forschten in einem Sommercamp in Denver. SEITE III DIE OPTIMIERERIN Ekaterina Karabasheva hat eine App entwickelt, die Therapien gegen Essstörungen erleichtert. SEITE IV Der Forscher Gerhard Domagk entwickelte in den 1930er-Jahren das erste Antibiotikum. Lücken sehen und schließen Unser Leben, unser Wohlergehen und unsere Wirtschaftskraft hängen vom Fortschritt ab – und damit von Menschen, die neue Wege gehen. G erhard Domagk war Wunden zu desinfizieren und 20 Jahre alt, als der schädliche Bakterien außerhalb Erste Weltkrieg in Eu- und im Körper zu bekämpfen. ropa tobte. Der damalige Me- In den 1930er-Jahren entdeckdizinstudent sah mit eigenen te er eine neuartige Klasse von Augen, wie Ärzte und Medikamenten, die Der Einsatz für das Krankenschwestern unter anderem geAllgemeinwohl in den Kriegslazagen Hirnhaut- oder ist nicht nur gut, retten machtlos mit Lungenentzündunsondern nachhalansehen mussten, gen, Kindbettfieber tig nützlich. dass viele verwunund Tuberkulose dete Soldaten an den Folgen wirkten. Mit diesem ersten Anvon Infektionskranheiten wie tibiotikum rettete der Forscher Wundbrand starben. Tausenden von Menschen das Domagk wollte das so nicht Leben. Vor 76 Jahren hat der hinnehmen. Nach dem Krieg Wissenschaftler den Nobelwar er in der Pharmaabteilung preis für Medizin bekommen. "Ohne Menschen wie Doder IG Farben in WuppertalElberfeld tätig und forschte magk, die neue Wege gehen, nach neuartigen Möglichkeiten, sich ungelösten Herausfor- www.bayer-stiftungen.de derungen stellen und mutig ihrer Inspiration folgen, wäre Fortschritt nicht denkbar", sagt Thimo Valentin Schmitt-Lord, Vorstand der Bayer-Stiftungen. "Fortschritt wiederum ist unerlässlich für unsere Gesellshaft. Wirtschaftskraft, Wohlergehen und Gesundheit hängen davon ab." Fortschritt findet aber nicht nur in Labors statt. "Er ist ganz allgemein mit Menschen verbunden, die Visionen und Schaffenskraft haben", ist SchmittLord überzeugt. Und solche Pioniere sind in Schulen, Krankenhäusern, Unternehmen oder Vereinen genauso zu finden wie in Forschungszentren. Es sind Menschen, die sich ähnlich wie der Mediziner Domagk aus einer eigenen Betroffenheit heraus dafür einsetzen, Krankheiten zu erforschen, vorzubeugen oder zu heilen. Sie sehen Lücken und wollen sie schließen. Einige dieser modernen Pioniere der Medizin stellen wir auf den folgenden Seiten vor. Die Bayer-Stiftungen haben ihren Einsatz in verschiedenen Förderprogrammen unterstützt. IMPRESSUM Bayer-Stiftungen Kaiser-Wilhelm-Allee 1 51368 Leverkusen www.bayer-stiftungen.de Die Kontaktaufnahme zu den in dieser Beilage porträtierten Forschern oder Initiativen ist über die Bayer-Stiftungen möglich: [email protected] Layout: Sandra Janzsó Bilder mit Unterstützung von Corbis | Fotos: Corbis | Michael Nicholson; Andrew Aitchison/In Pictures II SONDERSEITEN Fehlende Puzzlestücke Emmanuelle Charpentier und Markus Bender erforschen kleinste Details, die große medizinische Wirkungen erzielen. P ioniere müssen nicht unbedingt als Erster den Mond betreten oder den Mount Everest erklimmen. Manche werden zu Pionieren, indem sie sich tagelang in einem Labor einschließen, komplizierte Versuchsreihen ansetzen und Zusammenhänge immer wieder überdenken. Sie sind auf der Suche nach winzig kleinen Puzzlestücken, die fehlen, um zum Beispiel schwere Krankheiten besser zu bekämpfen. Einer dieser Sucher ist der Biomediziner Markus Bender vom Uniklinikum Würzburg. Forschungsfeld des 35-Jährigen ist das Wiskott-Aldrich-Syndrom, eine schwere Störung der Blutgerinnung und des Immunsystems. Bender hat herausgefunden, worauf sich diese Störung zurückführen lässt und warum in bestimmten Situationen zu wenig Blutplättchen im Knochenmark entstehen. Aufgrund dieses Puzzlestücks können Ärzte die Erkrankung künftig früher erkennen und besser behandeln. "Ich habe mich schon sehr früh für biomedizinische Fragestellungen interessiert", sagt der Forscher. Dabei sei für ihn stets wichtig, Spaß an seiner Arbeit zu haben: "Wer mit Leidenschaft dabei ist, kann viel erreichen." Für seine Forschungen erhielt Bender den Bayer Thrombosis Research Award 2015. Drei Wissenschaftler von Bayer haben ihn gestiftet, nachdem sie selbst den Deutschen Zukunftspreis gewonnen hatten. Der Bayer Thrombosis Research Award gibt Nachwuchsforschern eine wirtschaftliche Unterstützung, um weiterhin Grundlagen von schweren Erkrankungen zu ergründen. www.bayer-stiftungen.de Längst keine Nachwuchsforscherin mehr, aber immer noch überzeugte Puzzlestück-Sucherin ist Emmanuelle Charpentier. Die 46-jährige Mikro- Emmanuelle Charpentier und Markus Bender biologin und Genetikerin wird im Oktober Direktorin des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin. Sie entdeckte eine bahnbrechende Technologie zur Bearbeitung von Genomen. Diese könnte unter anderem helfen, Erbkrankheiten gezielter zu behandeln und neue Therapieansätze gegen chronische Erkrankungen wie Aids und Krebs zu finden. "Mit meinem Team erforsche ich Infektionen aus der Sicht von Bakterien. Sie haben verschiedene Kommunikationsstrategien entwickelt, etwa ihr eigenes Immunsystem, mit dem sie sich gegen ihre Feinde, insbesondere Viren, verteidigen können", erklärt die Französin. 2015 erhielt sie den Familie-HansenPreis der Bayer Science & Education Foundation, der Pionierleistungen aus der medizinischen Grundlagenfoschung auszeichnet. Ein großes Geschenk Eine spezielle Kühlhaube kann verhindern, dass Krebspatienten ihre Haare verlieren. B ei einer Chemotherapie erhalten Krebspatienten Medikamente, die die Krebszellen gezielt angreifen. Oft verletzen sie aber auch die gesunden Haarzellen. "Der Haarausfall ist eine der gefürchtetsten Nebenwirkungen. Das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität sinken", weiß Monika Puls-Radermacher, Beraterin beim Verein Internationale Senologie Initiative (ISI), der Brustkrebspatientinnen unterstützt. Im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit erfuhr die Psychologin von einer Kühlhaube, die Ärzte in England und Skandinavien erfolgreich gegen den Haarausfall einsetzen. Sie kühlt die Kopfhaut während der Chemotherapie auf 19 bis 22 Grad herunter. Das reduziert die Durchblutung der Haarwurzeln, so dass geringere Dosen der Medikamente dorthin gelangen und der Haarausfall abnimmt. Das Problem: "Die Geräte sind sehr teuer, und die Krankenkassen übernehmen die Behandlungskosten bisher noch nicht", sagt Trudi Schaper, Leiterin der Studienzentrale am Europäischen Brustzentrum in Düsseldorf. Unter anderem mit finanzieller Unterstützung der Bayer Cares Foundation konnte ISI jedoch vor anderthalb Jahren drei Geräte in Düsseldorf zum Einsatz bringen. Rund 60 Patientinnen werden hier pro Jahr behandelt, ohne dass ihnen Kosten entstehen. Für sie ist die Haube eine große Hilfe. "Ich fühlte mich nicht mehr krank, sondern stärker, wenn ich in den Spiegel schaute", so eine Patientin. ISI möchte nun weiter dokumentieren, bei welchem Medikamentenmix die Kühlhaube wirkt. Die Ergebnisse sollen Kassen überzeugen, die Kosten mitzutragen. Monika Puls-Radermacher (r.) mit einer Patientin. Fotos: Jens Wolf; privat SONDERSEITEN III Die Ferien-Forscher 20 Schüler aus Deutschland, den USA und Indien haben im Sommer zwei Wochen im Bayer Science Camp in Denver verbracht. Experimente zu medizinischen Fragen standen auf dem Programm. W ow – da oben waren wir? Begeistert von den Eindrücken des Tages blicken 20 Schüler im Alter zwischen 14 und 16 auf den Mount Elbert. Sein Gipfel ragt stolze 4 400 Meter mitten in den Rocky Mountains in Colorado (USA) empor. Genau dorthin ist die Schülergruppe gewandert. Alle sind bis zur Baumgrenze gekommen, etwa die Hälfte hat es sogar bis zur Spitze geschaff t. Die Bergtour war einer der Höhepunkte des diesjährigen Bayer Science Camp. Zwei Wochen lang durften zehn Schüler aus Deutschland, fünf aus den USA und fünf aus Indien gemeinsam in Denver forschen und Naturwissenschaften live erleben. Fragen rund um die Themen Anatomie, Biomechanik und biochemische Veränderungen des Körpers in großer Höhe standen im Mittelpunkt. In der ersten Woche konnten die Schüler etwa an dem Institut "Anatomy "Ganz unmittelbar Menschen helfen" Tobias Ludwig (32), interner Unternehmensberater bei Bayer, hat im Rahmen des Stiftungsprogramms „Bayer People Care For Society“ zweieinhalb Monate in einem Kinderheim in Bolivien geholfen. Was waren Ihre Aufgaben in Bolivien? Ich habe viel Zeit mit den Kindern verbracht, ihnen etwa bei den Hausaufgaben geholfen, Yoga beigebracht oder mit ihnen gespielt. Gemeinsam haben wir auch ein Stückchen Land zu einem Obst- und Gemüsegarten umgestaltet. Für eine an das Kinderheim angegliederte Berufsschule habe ich zudem Öffentlichkeitsarbeit für ein berufliches Ausbildungsprogramm gemacht – eine Webseite erstellt und versucht, Partner aus der Wirtschaft zu finden, die das Programm unterstützen. www.bayer-stiftungen.de in Clay" (Anatomie in Ton) menschliche Skelette und Körper aus Ton nachbauen und Die deutschen Teilnehmer des Bayer Science Camp kurz vor ihrem Abflug. in einem Laborraum des Colorado Mountain College in Leadville unter Anleitung Schafsorgane sezieren. Die zweite Woche stand ganz im Zeichen der Bergtour. Warum haben Sie sich für das Programm gemeldet? Weil es für mich eine einzigartige Möglichkeit war, im Rahmen meiner Arbeit als Berater einmal ein ganz anderes Projekt zu machen. Mit anders meine ich ein Projekt, das ganz unmittelbar Menschen hilft. Manchmal fragt man sich, wie und wann die positiven Auswirkungen der eigenen Arbeit auf die Gesellschaft spürbar sind. In der Arbeit mit den Kindern habe ich sofort Zustimmung, Ablehnung oder Begeisterung erfahren. Was hat Sie am meisten beeindruckt? Die Lebensgeschichten der Kinder und die Armut, in der viele aufgewachsen sind, waren manchmal sehr schockierend. Umso mehr hat mich beeindruckt, welche Offenheit sie mir als Fremdem entgegengebracht haben. Hat das Ihre Sicht auf den Alltag in Deutschland verändert? Ja. Viele sogenannte wichtige Probleme im eigenen Alltag relativieren sich. Man "Das Gefühl, über 4 000 Meter geschaff t zu haben, ist unbeschreiblich", schwärmt Dennis Kirsch. Sein Chemielehrer hatte den 15-Jährigen auf das Bayer-Stipendium aufmerksam gemacht und ermutigt, sich zu bewerben. Der Berliner zögerte keine Sekunde. "Das war eine tolle Chance, Naturwissenschaften mal anders als im Unterricht zu erleben und in die USA zu reisen", erinnert er sich. Dennis hat ohnehin eine Vorliebe für Naturwissenschaften und möchte später gerne Physik studieren. Besonders spannend war für ihn daher auch ein Skype-Interview, das die Schüler mit einem Physikprofessor der Colorado University führen konnten. Neben den vielen Erlebnissen hat Dennis aber auch neue Freundschaften mit nach Hause gebracht. "Obwohl wir uns fast alle erst am Flughafen oder in Denver kennen gelernt haben, sind wir eng zusammengewachsen", sagt er. "Wir bleiben auf jeden Fall in Kontakt." wird gelassener, wenn man weiß, unter welchen Umständen andere Menschen aufwachsen und leben. Ich bin auch froh, in Bolivien nun viele neue Freunde zu haben, mit denen ich in Kontakt stehe – unter anderem mit meinem Patenkind, das ich bald wieder besuchen werde. Tobias Ludwig von Bayer Business Consulting (r.) bei der Gartenarbeit in Bolivien. Fotos: TEAM UWE NÖLKE Fotografie & Film für Menschen & Unternehmen; privat IV SONDERSEITEN „Menschen mit Essstörung helfen“ Ekaterina Karabasheva (25) hat die App "Jourvie" erfunden, die die Behandlung von Essstörungen unterstützt. Ihr Team erhielt dafür den "Aspirin Sozialpreis 2015" der Bayer Cares Foundation. Wie genau hilft Ihre App? Wer unter Essstörungen leidet, muss in der Therapie oft protokollieren, was er wann gegessen hat und welche Gefühle oder Ereignisse dabei eine Rolle gespielt haben. Über die kostenlose App lässt sich das einfach und diskret erledigen. Außerdem bietet sie Motivation und Bewältigungsstrategien für schwierige Situationen. Wir haben das Programm unter Beratung der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin entwickelt. Wie kamen Sie auf die Idee? Nach dem Abitur litt ich selbst unter Magersucht. Auch ich musste mein Essverhalten dokumentieren. Dafür gab es Papiervordrucke, die sehr unpraktisch und indiskret waren. Essstörungen zuzugeben kostet viel Überwindung. Es war mir peinlich, die Tabellen in der Öffentlichkeit auszufüllen. Ich habe die Krankheit zum Glück überwunden. Jetzt wollen wir anderen helfen. Was erhoffen Sie sich? Dass der Einsatz der App die Erfolgsaussichten von Therapien verbessert und insgesamt beim Umgang mit der Krankheit hilft. Essstörungen sind immer noch ein Tabuthema. Das macht es so schwer, sich helfen zu lasEkaterina Karabasheva sen. Mit der App haben wir aber in den sechs Monaten seit dem Start bereits rund 8 100 Menschen erreichen können. Das macht Mut. Wie soll es weitergehen? Momentan ist die App nur für AndroidGeräte verfügbar. Wir werden demnächst eine iOS-Version veröffentlichen. Zudem wollen wir eine Plattform entwickeln, die es Therapeuten ermöglicht, direkter mit den Nutzern zu kommunizieren und Zugang zu den wichtigen Informationen für den Therapiefortschritt zu haben. Jourvie: App für Essprotokolle Schüler erforschen seltene Krankheiten In Theorie und Praxis lernen Bio-Leistungskurse über ein Unterrichtspaket der NCL-Stiftung die genetischen Grundlagen von Kinderdemenz kennen. V ier Schüler stehen in weißen Kitteln an einem Labortisch. Konzentriert tröpfeln sie Flüssigkeit aus einer Pipette in ein Reagenzglas. Die 11.-Klässler haben Bio. Ausnahmsweise aber nicht im Klassenzimmer, sondern im Schülerlabor des Naturwissenschaftlich-Technischen Zentrums Hamburg. Fiktiv führen sie eine Diagnostikmethode durch, die NCL nach- Schüler experimentieren im Labor. www.bayer-stiftungen.de weisen könnte. NCL steht für Neuronale Ceroid Lipofuszinose: Kinderdemenz. In Deutschland sind rund 700 Kinder von dieser tödlich verlaufenden Stoffwechselerkrankung betroffen. Die NCL-Stiftung will über die Krankheit aufklären, sie weiter erfor- schen und junge Menschen für die Problematik sensibilisieren. Zu diesem Zweck hat die Stiftung ein Unterrichtspaket entwickelt, mit dem Schü- ler die Grundlagen seltener Krankheiten kennen lernen. "Bio-Leistungskurse können es im Rahmen ihres Genetikunterrichts einsetzen", erklärt Projektleiterin Tiziana Serio. In fünf Modulen, die sich über ein Halbjahr erstrecken, lernen die Schüler am Beispiel NCL humangenetische Grundlagen und Methoden, diskutieren ethische Fragen und erhalten Einblicke in medizinische Berufsfelder wie den Humangenetiker oder den Laboranten. "Im Unterricht haben wir sonst nur die Theorie durchgenommen. Hier waren wir näher an der Realität dran", lobt ein Schüler des Gymnasiums Altona. Bislang kamen nur Hamburger Schüler in den Genuss der Bildungsinitiative. Mit Hilfe des Schulförderprogramms der Bayer Science & Education Foundation gibt es das Projekt jetzt auch an Kölner Schulen. Fotos: Felix Strosetzki; ©Bayer Aspirin Sozialpreis
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