Blutsauger heilen Rinder

Fotos: Heil
Tiergesundheit
Tierheilpraktikerin Anja Hauswald setzt die Blutegel bei eitrigen Abszessen oder Strichverletzungen ein.
Blutsauger heilen Rinder
Der Biss eines Blutegels kann bei Rindern die Heilung von Strichverletzungen, Ekzemen
oder dicken Gelenken fördern. Wie funktioniert die Blutegel-Therapie in der Praxis?
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in dunkler Blutegel kriecht aus einer umgebauten Spritze auf das
Euter einer Kuh. Mit seinen Kiefern beißt er sich an der Haut fest und
saugt Blut. Innerhalb weniger Minuten
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Vor der Egel-Therapie muss bei Abszessen der Eiter ausgedrückt werden.
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verzehnfacht sich sein Körpergewicht.
Die Kuh bleibt ruhig. Nach 30 Minuten
fällt der Egel ab. Die Wunde blutet noch
einige Stunden nach, denn der Speichel
des Egels hemmt die Blutgerinnung.
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Die hungrigen Egel lassen sich mit einem
Reagenzglas transportieren.
Während die Blutegel-Therapie in der
Humanmedizin seit Jahrhunderten zur
Behandlung verschiedener Krankheiten
genutzt wird, ist sie in der Rinderhaltung noch weitgehend unbekannt. Oft-
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Schon kurze Zeit nach dem Ansetzen
saugt der Egel Blut.
Schnell gelesen
Fakten rund um den Blutegel
Der medizinische Blutegel lebt im
Süßwasser. Sein natürliches Verbreitungsgebiet ist Europa, Nordafrika
und Kleinasien. Der Egel verfügt
über drei Kiefer mit jeweils 80 Kalkzähnchen.
Außerhalb des Wassers bewegt er
sich mit zwei Saugnäpfen an den
Körperenden fort. Mithilfe von Tastorganen auf der Hautoberfläche werden Blutegel auf potenzielle Beute
aufmerksam. Oftmals suchen Wild-
mals wird die Heilkraft der kleinen
Schlangen unterschätzt. Anja Hauswald
und Anne Verhoeven setzen die Blut­
egel schon seit mehreren Jahren im ökologischen Kuhstall auf Haus Riswick
ein. Vor allem bei Strichverletzungen,
Ekzemen, Gelenkentzündungen oder
eiternden Narben haben sie eine heilungsfördernde Wirkung festgestellt.
Strichverletzungen heilen auf natürlichem Wege nur sehr langsam. Denn die
Wunden werden beim Melken ständig
beansprucht und verursachen Schmerzen. Dadurch verschlechtert sich die
Melkbarkeit oftmals erheblich, sodass
Euterviertel nicht vollständig leer werden und eine Mastitis droht.
Der Biss eines Blutegels schafft Abhilfe: Der Speichel enthält mehr als 20
verschiedene Heilsubstanzen. Er wirkt
schmerzstillend, abschwellend, reinigend und natürlich antibiotisch. Während der Egel Blut saugt, bildet sich ein
schleimiger, wässriger Film auf seiner
Haut. Denn er sondert Blutplasma ab.
So bleiben nur die festen Blutbestandteile in seinem Magentrakt und er kann
mehr Blut aufnehmen.
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Der Blutegel wird schwerer und lässt
sich bald fallen.
• Der Speichel des Blutegels
hat eine natürliche Heilkraft.
tiere mit entzündeten Gelenken gezielt Tümpel mit Blutegeln auf.
Die Egel sind nach dem 15- bis
60-minütigen Saugakt bis zu zwei
Jahre gesättigt. Sie können bis zu
30 cm lang und bis zu 20 Jahre alt
werden. Ein erwachsener Egel nimmt
bis zu 50 ml Blut auf.
Der Biss eines Blutegels fühlt sich
beim Menschen wie die Berührung
mit Brennnesseln oder ein Insektenstich an.
Die Blutegel-Therapie beschleunigt
die Wundheilung der Zitze und die
Melkbarkeit verbessert sich. „Wird der
Egel rechtzeitig angewendet, wirkt er
besser als jedes Antibiotikum – und
zwar ohne Wartezeit“, weiß Anja Hauswald aus Erfahrung. Bei Strichverletzungen setzt sie im Abstand von einigen Tagen zwei bis drei Blutegel an.
Blutegel sind Arzneimittel.Auch bei
eitrigen Entzündungen können Blutegel
die Heilung positiv beeinflussen. Nachdem der Eiter ausgedrückt wird, kann
der Blutegel den Sekretfluss und die
Lymphaktivität fördern. Mit Blutegeln
lassen sich auch Blutergüsse, Prellungen
und Quetschungen therapieren. Ebenfalls haben sich die Egel bei Operationsnarben bewährt. Sie beschleunigen die
Zellgeneration und beugen Wundinfektionen vor.
Allerdings hat auch die Blutegel-Therapie ihre Grenzen. Durch die gerinnungshemmende Wirkung dürfen Kühe
mit starken Blutungen nicht mit Blut­
egeln therapiert werden. Es besteht die
Gefahr, dass die Kuh verblutet. Auch
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Nach dem Abfallen blutet die Wunde wie
beim Aderlass mehrere Stunden nach.
• In der Rinderhaltung gibt es
gute Erfahrungen bei Strichverletzungen, Ekzemen oder
Schwellungen.
• Die Egel werden in Stationen
gezüchtet. Ein Egel kostet
zwischen 5 und 12 €.
• Blutegel dürfen wegen der
Infektionsgefahr nur einmal
Blut saugen. Danach müssen
sie getötet werden.
bei schweren Mastitis-Infektionen kann
ein Blutegel nicht weiterhelfen. Für ein
optimales Ergebnis ist es ratsam, vor
Therapie-Beginn ein Fortbildungsseminar zu besuchen.
Blutegel sind Fertigarzneimittel. Rinderhalter dürfen ihre Kühe deshalb offiziell erst nach Rücksprache mit dem
Tierarzt mit den Egeln behandeln. Die
kleinen Tierchen werden in Blutegelzuchtstationen gezüchtet oder in Osteuropa gefangen und nach einer Quarantäne importiert. Ein Egel kostet je
nach Größe zwischen 5 und 12 €. Der
Tierarzt kann die Egel bestellen.
Gesättigte Blutegel dürfen nicht wiederverwendet werden, damit sie keine
Infektionen übertragen. Deshalb müssen die Egel nach dem Blutsaugen getötet werden. Die schonendste Methode
ist der Kälteschock im Gefrierschrank.
Denn Blutegel sind kälteempfindlich.
Für Anja Hauswald besitzt der Blut­
egel insgesamt sehr viel Potenzial. Sie
will mit den negativen Vorurteilen aufräumen und wünscht sich, dass der
Blutegel-Therapie mehr Beachtung geschenkt wird.
Sandra Lefting
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Gesättigte Egel müssen getötet werden.
Ein Kälteschock ist besonders schonend.
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