Folien Woche 12

Rechtswissenschaftliches Institut
Übersicht (Lektion vom 21. März 2016)
I.
II.
III.
IV.
V.
Rechtsgrundlagen von Treu und Glauben
Begriff und Tragweite des Grundsatzes von Treu
und Glauben im öffentlichen Recht
Vertrauensschutz
Verbot widersprüchlichen Verhaltens und Verbot
des „Rechtsmissbrauchs“
Beispielfälle
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Rechtswissenschaftliches Institut
I. Rechtsgrundlagen
Bis Ende 1999
Art. 4 aBV: Rechstgleichheit, Rechtssicherheit, Willkürverbot,
allgemeiner Grundsatz von Treu und Glauben
Seit 2000
Art. 5 Abs. 3 BV
Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
Art. 9 BV
Jede Person hat Anspruch darauf von den staatlichen Organen
ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
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II. Begriff und Tragweite des
Grundsatzes von Treu und Glauben
im öffentlichen Recht
Ausprägungen von Treu und Glauben im öffentlichen Recht
Grundsatz von
Treu und Glauben
(Art. 5 Abs. 3 BV)
Verbot widersprüchlichen
Verhaltens
Vertrauensschutz
Zugunsten der
Privaten (verfassungsmässiges Recht)
Verbot des Rechtsmissbrauchs
Gegenüber Verwaltungsbehörden u.
gegenüber Privaten (Verfassungsprinzipien)
Art. 9 BV
Darstellung angelehnt an Prof. Uhlmann
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III. Vertrauensschutz
9 BV
Gemeinwesen
5 III BV
Einzelne
Gemeinwesen
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III. Vertrauensschutz
Rechtssicherheit und Treu und Glauben
Treu und Glauben:
individualisiertes Vertrauen
Einzelne
Staat
Rechtssicherheit:
generelles Vertrauen
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III. Vertrauensschutz
Voraussetzungen des Vertrauensschutzes
(Überblick)
– Vertrauensgrundlage
– Vertrauen
– Vertrauensbetätigung
– Vorbehalt der Interessenabwägung
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Rechtswissenschaftliches Institut
III. Vertrauensschutz
Vertrauensgrundlage
–
–
–
–
Verfügungen/Entscheide
Verwaltungsrechtliche Verträge
Verwaltungs- und Gerichtspraxis
Auskünfte und Zusagen
– genügend bestimmt
– vorbehaltlos
– von zuständiger Behörde
– individuell?
– keine Änderung von Sachverhalt oder Rechtslage
Grundsätzlich keine Vertrauensgrundlagen
– Rechtsetzungsakte (Gesetze/Verordnungen) (gem. Praxis!)
–
–
Raumpläne
Duldung rechtswidriger Zustände
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III. Vertrauensschutz
Weitere Voraussetzungen:
Vertrauen
– Kenntnis der Vertrauensgrundlage
– Nichterkennen einer allfälligen Fehlerhaftigkeit
Vorbehalt der Interessenabwägung
Vorrang der Gesetzmässigkeit bei gewichtigen öffentlichen
Interessen
Vertrauensbetätigung
– Tätigung von Dispositionen, die nicht ohne Nachteil wieder
rückgängig gemacht werden können.
– Kausalzusammenhang zwischen Vertrauen und
Dispositionen.
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III. Vertrauensschutz
Rechtssicherheit
(Allgemeines Vertrauen in den Bestand der Rechtsordnung)
ev.
ev.
Richtige Rechtsanwendung
(Legalitätsprinzip)
Schutz des Vertrauens
(Vertrauensschutz)
Darstellung von Prof. Uhlmann
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III. Vertrauensschutz
Rechtswirkungen des Vertrauensschutzes
Bestandesschutz
– Kein Widerruf von Verfügungen
– Wiederherstellung von Fristen
– Keine Vornahme einer Praxisänderung
– Verbindlichkeit unrichtiger Auskünfte und Zusagen
– Anwendung alten Rechts etc.
Entschädigung
Falls trotz erfüllter Voraussetzungen wegen überwiegender öffentlicher
Interessen Bestandesschutz verneint wird (selten).
Übergangsregelung
Dispositionen sollen während einer bestimmten Frist der neuen
Rechtslage angepasst werden können.
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IV. Verbot widersprüchlichen Verhaltens
Verbot widersprüchlichen Verhaltens
1. Verbot widersprüchlichen Verhaltens der
Verwaltungsbehörden
– Abgrenzung zum Vertrauensschutz?
2. Verbot widersprüchlichen Verhaltens Privater
– Erhöhte Anforderungen an die Widersprüchlichkeit!
Rechtsmissbrauch als zweckwidrige
Rechtsverwendung?
– Umstritten, ob dies im Zusammenhang mit Treu und
Glauben steht.
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Rechtswissenschaftliches Institut
V. Beispielfälle
Beispielfall 30 (Parksünder I)
A wohnt an einer Nebenstrasse in der Gemeinde G. Da sein kleines
Haus, das bereits über 100 Jahre alt ist, weder über eine Garage noch
einen Abstellplatz verfügt, hat er bereits kurz nach seinem Einzug vor
über vier Jahren begonnen, sein Auto auf der Strasse vor seinem Haus
zu parkieren. Die unübersichtliche Strasse ist jedoch mit einem
beidseitigen Parkverbot belegt. Weil auf ihr nur sehr wenige Fahrzeuge
verkehren, ist es bislang noch zu keinen Zwischenfällen oder
Reklamationen gekommen. Auch der Dorfpolizist, der jeden Tag auf
seinem Weg zur Arbeit am parkierten Auto vorbeikommt, hat bislang
noch nie reagiert.
Eines Tages findet A unter seinem Scheibenwischer einen Busszettel
wegen Parkens im Parkverbot. A ist der Meinung, dass er nach über vier
Jahren seinen Parkplatz nun „ersessen“ habe und sich keine solche
Busse gefallen lassen müsse.
Wie beurteilen Sie den Standpunkt des A aus rechtlicher Sicht?
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V. Beispielfälle
Beispielfall 31(Parksünder II)
A (siehe Beispielfall 30) möchte aus Bequemlichkeit nicht auf seinen
Parkplatz verzichten. Er stellt auch weiterhin gelegentlich sein Fahrzeug
am gewohnten Platz ab und nimmt allfällige Bussen in Kauf. Solche
Bussen erhält er dann auch regelmässig. Dabei stellt er fest, dass zwar
er eine Busse bekommt, nicht aber zwei andere Fahrzeuge, die auf
derselben Strasse ebenfalls im Parkverbot stehen. Auf seine Nachfrage
hin teilt ihm der zuständige Polizist mit, dass im einen Fall das Fahrzeug
einer gehbehinderten Frau gehöre, die auf eine nahe Parkiermöglichkeit
angewiesen sei. Im anderen Fall handle es sich um einen Arzt, der sein
Auto wegen eines allfälligen Notfalls in der Nähe haben müsse. A
hingegen habe keine solchen Gründe, um sein Auto im Parkverbot
abzustellen.
Soll sich A mit diesem Bescheid zufrieden geben?
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Übersicht (Lektion vom 24. März 2016)
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
Rechtliches, tatsächliches und informelles
Verwaltungshandeln
Probleme der Rechtsbindung und des
Rechtsschutzes
Begründung verwaltungsrechtlicher Rechte und
Pflichten
Beendigung verwaltungsrechtlicher Rechte und
Pflichten
Änderung verwaltungsrechtlicher Rechte und
Pflichten
Übertragung verwaltungsrechtlicher Rechte und
Pflichten und Stellvertretung
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I. Rechtliches, tatsächliches und
informelles Verwaltungshandeln
Rechtswissenschaftliches Institut
Verwaltungshandeln
Unterschiede
Beispiele
Rechtliches
Tatsächliches
Informelles
• Verfügung
• Verwaltungsrechtlicher Vertrag
• Realakte (Strassenbau
u. –unterhalt etc.)
• Auskünfte
• Warnungen /
Informationskampagnen
• Empfehlungen
• Berichte /
Vernehmlassungen
• Kooperation
• Absprachen (Gentlemen‘s
Agreement)
• Einladung zu
Selbstregulierung (z.B.
Umweltschutz)
Zielen auf Begründung,
Änderung oder
Aufhebung von
Rechtsverhältnissen ab
(Rechte und Pflichten
des Verwaltungsrechts)
Zielen nicht auf
Rechtswirkungen ab, haben
aber u. U. (mittelbare)
Rechtswirkungen
Zielen darauf ab, dass die
Privaten sich freiwillig zu
einem bestimmten Verhalten
bereit erklären, welches
sonst rechtlich durchgesetzt
würde.
Darstellung von Prof. Uhlmann
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Rechtswissenschaftliches Institut
I. Rechtliches, tatsächliches und
informelles Verwaltungshandeln
Handlungsformen der Verwaltung
1
Realakt
Rechtsakt
[hier: alle Verwaltungs2 massnahmen, die nicht
auf einen Rechtserfolg
gerichtet sind]
3
öffentlichrechtlich
“innen“
Verwaltungsverordnung
4
1
Taterfolg
Dienstbefehl
Öffentliches Recht
3
Nur Behörden
4
Hoheitlich (einseitig)
=
=
=
=
Frage
Frage
Frage
Frage
nach
nach
nach
nach
“aussen“
Rechtsverordnung
Plan
Verfügung
Verwaltungsrechtl.
Vertrag
Privatrechtlicher
Vertrag
Rechtserfolg
2
1
2
3
4
privatrechtlich
Privatrecht
Auch Private
Konsensual (zweiseitig)
dem Erfolg: Taterfolg oder Rechtserfolg?
der Rechtsgrundlage: Öffentliches Recht oder Privatrecht?
den Adressaten: Nur Behörden oder auch Private?
dem Handlungsmodus: Hoheitlich (einseitig) oder konsensual (zweiseitig)?
(Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Bern 2005, S. 206)
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II. Probleme der Rechtsbindung und
des Rechtsschutzes
Art. 25a VwVG Verfügung über Realakte
1 Wer
ein schutzwürdiges Interesse hat, kann von der
Behörde, die für Handlungen zuständig ist, welche sich auf
öffentliches Recht des Bundes stützen und Rechte oder
Pflichten berühren, verlangen, dass sie:
a. widerrechtliche Handlungen unterlässt, einstellt
oder widerruft;
b. die Folgen widerrechtlicher Handlungen beseitigt;
c. die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt.
3
Die Behörde entscheidet durch Verfügung.
Darstellung von Prof. Uhlmann
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Rechtswissenschaftliches Institut
III. Begründung verwaltungsrechtlicher
Rechte und Pflichten
Öffentlich – rechtlicher Anspruch (Stichworte)
Begriff: Ein öffentlich-rechtlicher Anspruch ist eine sich aus dem öffentlichen
Recht ergebende Berechtigung, zu deren Geltendmachung den Berechtigten
ein Rechtsmittel zur Verfügung steht. Er ist mehr als nur ein Vorteil, der sich
aus der Anwendung des positiven Rechts ergibt.
Beispiele:
– Verfassungsmässige Rechte
– Recht auf Leistungen der Sozialversicherung
– Rechte im Verwaltungsverfahren
– Anspruch auf Erteilung einer Polizeierlaubnis
Begründung: Rechtssatz, Rechtsgrundsatz, Verfügung,
Verwaltungsrechtlicher Vertrag
Darstellung von Prof. Uhlmann
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IV. Beendigung verwaltungsrechtlicher
Rechte und Pflichten
Rechtswissenschaftliches Institut
Beendigung verwaltungsrechtlicher Rechte und Pflichten
Durch Ausübung /
Leistung (bei
einmaligen Rechten
und Pflichten)
Durch Verzicht
(nur beschränkt
zulässig)
Durch Gesetz
Durch Zeitablauf
Erfüllung
Verrechnung
(bei Geldforderungen)
Verjährung
Verwirkung
Fristablauf (bei
befristeten Rechten
und Pflichten)
Darstellung von Prof. Uhlmann
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Rechtswissenschaftliches Institut
IV. Beendigung verwaltungsrechtlicher
Rechte und Pflichten
Art. 125 OR (Verrechnung)
Wider den Willen des Gläubigers können durch Verrechnung nicht
getilgt werden:
1. ...
2. ...
3.
Verpflichtungen gegen das Gemeinwesen aus
öffentlichem Rechte.
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IV. Beendigung verwaltungsrechtlicher
Rechte und Pflichten
Forderung des Privaten
Forderung des Staates
Privatrechtlich
(z.B. Honorar)
Privatrechtlich
(z.B. Kaufpreis für Grundstück)
Privatrechtlich
(z.B. Honorar)
Öffentlich-rechtlich
(z.B. Steuerforderung)
Öffentlich-rechtlich
(z.B. Expropriationsentschädigung)
Privatrechtlich
(z.B. Kaufpreis für Grundstück)
Öffentlich-rechtlich
(z.B. Expropriationsentschädigung)
Öffentlich-rechtlich
(z.B. Steuerforderung)
Verrechnung auch ohne Zustimmung des Staates
Verrechnung nur mit Zustimmung des Staates (Art. 125 Ziff. 3 OR)
Allgemeine Voraussetzungen
•
•
•
Gleicher Rechtsträger für Forderung und Gegenforderung
Gleichartigkeit der Forderungen (z.B. Geldforderungen)
Fälligkeit der Forderung des Verrechnenden, Erfüllbarkeit der Forderung
des Verrechnungsgegners
Darstellung von Prof. Uhlmann
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Rechtswissenschaftliches Institut
V. Änderung verwaltungsrechtlicher
Rechte und Pflichten
Begründung durch Rechtssatz
- i.d.R. Änderung bei Änderung des Rechtssatzes
- Ausnahme: Übergangsregelung wegen
Vertrauensschutz/Verhältnismässigkeit
Begründung durch Verfügung
- Änderung vor Eintritt der formellen Rechtskraft möglich
- Änderung nach Eintritt der formellen Rechtskraft: Bei
ursprünglicher oder nachträglicher Unrichtigkeit möglich
(Interessenabwägung)
Begründung durch Vertrag
- Änderung möglich bei Verstoss des Vertrags gegen zwingendes
öffentliches Recht
- Stark geänderte Verhältnisse seit Vertragsabschluss
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VI. Übertragung verwaltungsrechtlicher
Rechte und Pflichten
Rechtswissenschaftliches Institut
Übertragung verwaltungsrechtlicher Rechte und Pflichten; Stellvertretung
Dingliche Rechte und
Pflichten
Persönliche Rechte und
Pflichten
Gemischte Rechte und
Pflichten
z.B. Gastwirtschaftspatent
Höchstpersönliche
Rechte und Pflichten
Andere persönliche
Rechte und Pflichten
Persönliche
Leistungspflichten
Rechte aus
Fähigkeitsausweisen
Höchstpersönliche
vermögensrechtliche
Ansprüche
Bewilligungen
und
Konzessionen
Vermögensrechtliche
Ansprüche und
Pflichten
z.B. Militärdienst
z.B. Anwaltspatent
z.B. IV-Rente (vgl.
Art 22 ATSG)
z.B. Mobilfunkkonzession
z.B. Entschädigung
aus materieller
Enteigung
Nicht übertragbar
Keine
Stellvertretung
Beschränkt
übertragbar
Frei übertragbar
Stellvertretung zulässig
Zum Teil:
zwangsweise
übertragbar
Darstellung von Prof. Uhlmann
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