10.01.2016 Holger Kleinstück Sipplingen 40 Jahre Fasnetküchlefahrt der Narrenvereinigung Hegau-Bodensee Rund 400 Narren gedenken zum neunten Mal der elf Sipplinger, die im Jahr 1576 auf dem Rückweg vom Holen der Fasnetküchle in Bodman bei einem Schiffsunglück im Sturm ertrunken waren Zum Abschluss der Fasnetküchlefahrt das "Hochbadner Lied" in der Turn- und Mehrzweckhalle, vorne von links mit Landrat Lothar Wölfle, Johann Wilderich Graf von und zu Bodman und Sipplingens Bürgermeister Anselm Neher. | Bild: Holger Kleinstück Eine Fasnetküchlerede und eine Gedenkmesse der Sonderklasse, bei denen das Zwerchfell arg strapaziert wurde – damit lässt sich am besten die neunte Fasnetküchlefahrt der Narrenvereinigung Hegau-Bodensee am Samstag umschreiben. Rund 400 Narren aus dem gesamten südwestdeutschen Raum haben mit der Veranstaltung an die elf Sipplinger gedacht, die gemäß der Chronik des Überlinger Bürgermeisters Jakob Reutlinger im Jahr 1576 auf dem Rückweg vom FasnetküchleHolen in Bodman bei einem Schiffsunglück im Sturm ertrunken waren: Damit hielt auch die Fasnet Einzug in die Geschichtsschreibung. Bildergalerie: Alle Fotos auf: http://www.suedkurier.de/region/Sipplingen~bilder/40-JahreZum neunten Mal hatte die Narrenvereinigung Hegau-Bodensee zu ihrer nur alle fünf Jahre stattfindenden Fasnetküchlefahrt eingeladen. Unter Leitung ihres Präsidenten Rainer Hespeler machten sich die Narren in aller Frühe bei Nebel und Regen auf der MS Stuttgart auf den Weg auf dem sonst um die Jahreszeit so ruhigen See. Dass es sich auf dem Hauptdeck des MS Stuttgart um keine Trauer-, sondern um eine lustige, vom Bläserquintett Gottmadingen umrahmten Gedenkmesse handelte, wurde schnell jedem klar, der den Versen des Pfarrers Adrian Bolzern aus Aarau in der Schweiz folgte, mit der an die elf Frommen erinnerte, die seinerzeit ertranken. Bolzern ist nicht nur als Priester in der Pfarrei Aarau, sondern gleichzeitig auch noch Zirkus-Schausteller- und Markthändler Seelsorger tätig. Schon eine seiner ersten Ausführungen, dass aufgrund des Schiffes heuer niemand seine Messe verlassen könne, führte zu Lachsalven bei den Narren. Der ehemalige Gärtner machte darauf aufmerksam, dass Wasser das Zeichen des Lebens, aber auch ein Gefahr darstelle, womit er den Bogen zu den ertrunkenen Sipplingern spannte. Dass die seinerzeit Verunglückten alle ledig waren, die vier Geretteten aber verheiratet, gewann er „Hochzeit härtet ab“. Und auf sich bezogen: „Ich würde ertrinken.“ Die Predigt war durchgehend von Witzen geprägt wie der mit dem Papst, der den besten Job habe, weil er nur einen einzigen Chef habe, den er erst nach seinem Tod sähe. Hespeler lobend: „Wir haben heute eine wunderbare Messe der ganz besonderen Art erleben dürfen.“ Am Sipplinger Landessteg angekommen, wurden die Honoratioren der südwestdeutschen Fasnet auch mit einem "Kriese Wasser", einem Kirschschnaps, begrüßt. | Bild: HK Am Sipplinger Landessteg angekommen, wurden die Honoratioren der Fasnet aus dem südöstlichen Baden mit Böllerschüssen, mit einem Spalier der knallroten Sipplinger „Trube Kriese Rätscher“, der grauen „Store“, der „Kriese-Wieber“ und der Zimmermannsgilde der Sipplinger Fastnachtsgesellschaft und mit einem „Kriese Wasser“ (Kirschschnaps) begrüßt. Angeführt von deren Narrenkapelle, zogen die Fastnachter durch das Dorf zur Festhalle. Hier wartete auf sie eine mitreißende Fasnetsküchlerede von Lothar Bottlang aus Allensbach-Langenrain, bekannt aus der Konstanzer Konzilfastnacht. Zuvor hatte der ganze Saal mit einem einmütigem Applaus an die am Neujahrstag im Alter von 74 Jahren verstorbene Sigrun Mattheis gedacht, die vor fünf Jahren die Rede gehalten hatte und als „Kuh vom Land“ Kultstatus erlangt hatte. Die kurzen Reime von Bürgermeister Anselm Neher („Waren’s die Fasnetküchle wert, dass man wegen ihnen den See rüberfährt?“) konterte Hespeler mit den Worten: „Bürgermeister sagt mit wenig Worten so viel. Normal ist’s anders rum.“ Willi Schirmeister, Präsident der Sipplinger Fastnachtsgesellschaft, wiederum freute sich augenzwinkernd über die Ausrichtung: „Mehr als eine Ehre ist es aber nicht.“ Nach einem Mittagessen und dem Auftritt der Show-Tanzgruppe „Swamp Hoppers“ aus Sauldorf wurden Fasnetküchle und Erinnerungsgaben ausgegeben, bevor sich die Narren wieder auf die „MS Stuttgart“ begaben. Schüchterner Bub rührt Narren In seiner Paraderolle als verklemmter Bub vom Land, der an seiner Mama hängt, hat Lothar Bottlang aus Allensbach-Langenrain, bekannt aus der SWR-Fernsehfastnacht, die Narren während seiner „Fasnetküchlerede“ zu Lachtränen gerührt. Ist der „begnadete Büttenredner“, wie ihn Rainer Hespeler nennt, anfangs auf der Suche nach einer Frau, freilich nach solch einer, „die die Blüte des Lebens noch vor sich hat“, reist er zum „Schattenloch“ nach Bodman, wo man Depressionen kriege, wolle man freiwllig dort wohnen. „Und im Summer kasch dei Lebe friste, zwische Schnoke und Touriste.“ Dann beschäftigt er sich mit dem Wetter. „An Weihnachte brummled Hummle, Marienkäfer dund sich tummle . . . Am Heiligobend, noch de Christemett, hab i sogar än Holzbock ghet.“ Lothar Bottlang | Um darauf kurz auf den Gedenkgottesdienst auf dem Schiff zurückzublicken: „Dieser Pfarrer hät mir g'falle. Wie hät der g'hoße - Adrian, du der Typ der isch de Wahn. Mit solche Kerle, sag i do han, wär's mir um Zukunft vu de Kirche itte bang.“ Und erinnert an Sigrun Mattes: „Noch weint de Himmel ä paar Träne, aber bald scho wird mer's sähne. Mehr und mehr wie di Sonne lacht,well d'Sigrun do obe Spirenzle macht.” Dann trinkt er auf alles, „was uns wichtig isch“, wie etwa „Uf die Fasnetkuechle, lecker und fein, und genauso uf de Bodmaner Wein“. Tobender Applaus im Stehen. Die Tradition Zum Gedenken an elf tote Narren steht die Gemeinde Sipplingen alle fünf Jahre im Mittelpunkt der Fasnetküchlefahrt der Narrenvereinigung Hegau-Bodensee. Genau 400 Jahre nach dem Schiffsunglück vom 26. Februar 1576 hatte die Narrenvereinigung den Brauch neu belebt: Sie erinnert mit der Fahrt an jene Sipplinger Bürger, die damals in Bodman - das Faßnacht-Kuechlin holten und einschlimmes Schicksal erlitten. Bei der Rückfahrt ertranken elf der 15 fröhlichen Narren – nur vier konnten sich retten. Dieses Kapitel Fastnachtsgeschichte war 1976 von dem damaligen Singener Kreisarchivar Herbert Berner in der Chronik des Überlinger Bürgermeisters Jakob Reutlinger wiederentdeckt und somit die Tradition begründet worden.
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