Erfinder des Jahres 2015: Alto Stemmer

Gestochen scharfe MR-Scans im Rhythmus des Atems
Alto Stemmers Software verbessert die
Bildqualität bei Aufnahmen des Brustkorbs
Einfach ein paar Minuten die Luft anhalten – wenn das so leicht wäre. Der Mensch muss
atmen, um zu leben. Zum Problem wird dieser lebenswichtige Reflex bei Magnetresonanz(MR-)Scans: Bei dieser relativ langsamen Aufnahmetechnik führt Bewegung – also auch der
Atemvorgang – zu unscharfen Stellen in den Bildern. Doch hier wurde Abhilfe geschaffen:
Der Erfinder Alto Stemmer (46) von Siemens Healthcare in Erlangen hat eine Software entwickelt, die den Rhythmus der Aufnahmezeit mit dem des Atems synchronisiert und so die
Bildqualität von Aufnahmen des Brustkorbs wesentlich verbessert.
Alto Stemmer –
Erfinder des Jahres 2015
Anwendungsentwickler bei Healthcare,
Erlangen, Deutschland
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Alto Stemmer –
Erfinder des Jahres 2015
»Meine Erfindungen erleichtern den Alltag von
Medizinern und Patienten,
das erfüllt mich.«
Den meisten Menschen geht es so wie Alto Stemmer: Ihr
ursprünglicher Berufswunsch lässt sich nicht so realisieren,
wie sie sich das als junger Mensch vorgestellt haben. »Ich
hätte nach dem Studium am liebsten weiter in der theoretischen Physik geforscht«, sagt der Erfinder. Doch das klappte
nicht, denn in den späten 1990er-Jahren waren in Deutschland gut bezahlte Promotionsstellen rar. So blieb Stemmer
zwar in Erlangen, wo er auch studiert hatte, fing aber bei
Siemens Healthcare an, zunächst als Werkstudent, um
schon bald als Entwickler für Magnetresonanztomografen
(MR) zu arbeiten. Heute gehört Stemmer zu den Glücklichen, die eine Tätigkeit ausüben, die ihnen sehr viel Freude
bereitet und praktische Erfolgserlebnisse verschafft. Ob
ihm das auch als Wissenschaftler in der theoretischen
Physik so gegangen wäre, ist eher eine hypothetische
Frage. Fakt ist, dass Stemmer sehr gerne Software für
MR-Geräte von Siemens entwickelt. Er spricht selbst von
seinem »Traumjob«. Denn, so berichtet Stemmer voller
Stolz: »Meine Erfindungen erleichtern den Alltag von
Medizinern und Patienten, das erfüllt mich.«
»Meine Software kann man mit Apps vergleichen – also
mit Programmen, die man jederzeit auf bestehende Geräte
aufspielen kann. Einmal installiert, steuert diese ›App‹ die
Aufnahmen von MR-Scans und berechnet aus den
gewonnenen Daten medizinische Bilder – in allen MR-Scannern von Siemens, auch in den modernsten Geräten«,
erklärt Stemmer. Doch gerade bei einem der erfolgreichsten
MR-Scanner funktionierte eine von Stemmer entwickelte
Technologie nicht bei jedem Patienten. Der sogenannte
Navigator sollte die MR-Aufnahmen mit dem Atemrhythmus
synchronisieren, indem er Scans der Atemorgane auswertete – denn qualitativ gute Bilder entstehen nur, wenn der
Patient während der einzelnen Teilaufnahmen nicht zu stark
den Brustkorb bewegt. Das Gerät müsste also immer am
Ende der Ausatmung mit dem Aufnahmen beginnen, denn
nur da gibt es einen kurzen Moment des Stillstands.
Diese MR-Anlage, die vor einigen Jahren auf den Markt
kam, hat erstmals einen größeren Durchmesser, nämlich 70
statt der bisher üblichen 60 Zentimeter, und ist dadurch vor
allem für Menschen mit größerem Körperumfang wesentlich
bequemer. Und der »Tunnel« oder die »Röhre«, in dem die
Patienten während der MR-Aufnahme liegen, ist so kurz, dass
sie im Falle von Thorax-Aufnahmen mit dem Kopf im Freien
liegen können. »Das war eine enorme Verbesserung, da sehr
viele Menschen klaustrophobisch reagieren, wenn sie eine
halbe Stunde lang mit der ganzen oberen Körperhälfte in
der engen Röhre liegen mussten«, erklärt Stemmer. Weil der
Magnet aber genauso kurz ist, lieferte Stemmers Navigator
bei sehr großen Patienten keine zuverlässigen Messergebnisse.
Dass damals seine eigene Technologie beim innovativsten
MR-Scanner nicht immer funktionierte, stachelte Stemmers
Ehrgeiz umso mehr an. Er bezeichnet sich selbst als Menschen, der im stillen Kämmerlein vor sich hinbrütet, um
Lösungen zu finden. »Ich muss alles von Grund auf durchdenken und mir alles selbst beibringen, da lässt sich nichts
delegieren oder beschleunigen«, erklärt er. Auch bei dieser Erfindung dachte er lange nach, bis ihn dann doch ein
Impuls von außen, nämlich die Bemerkung eines Kollegen,
auf die richtige Fährte brachte. »Er erzählte, dass durch die
Atmung auch bei Aufnahmen der Wirbelsäule unscharfe
Stellen entstehen. Das zeigte mir, dass die Atembewegung
überall im Körper für eine marginale Fluktuation des Magnetfelds sorgt. Wenn man diese Fluktuation misst, lässt sich
daraus ein Signal errechnen, in dem die Ausatmung detektiert werden kann«, erklärt Stemmer. Das ist die Grundlage
für eine neue Navigatortechnologie, die nicht mehr auf der
Auswertung von Scans der Atemorgane beruht.
Was sich so einfach anhört, ist beinharte Physik. Da geht es
darum, welche Wasserstoffmoleküle sich wie verändern,
welche Signale das ergibt und wie sich die empfangenen
Signale in Bilder umrechnen lassen. »Am Schluss die Software zu schreiben, ist für mich eigentlich das geringste
Problem«, sagt Stemmer. Die Herausforderung liege eher
darin, die physikalischen Prozesse dahinter zu verstehen.
Hier hat der Erfinder also auch abseits der universitären
Forschung eine Aufgabe gefunden, die ihn als Physiker voll
fordert – und ebenfalls messbare Erfolge bringt: Stemmer
hat 37 Erfindungen gemeldet, die in 40 Schutzrechtsfamilien
mit 54 Patenten geschützt sind.
Viel Freizeit bleibt dem allein lebenden Forscher nicht. »Um
abzuschalten, setze ich mich auf das Rennrad oder das
Mountainbike«, erzählt er. Im Winter ist ihm das auf den
dunklen Straßen aber zu gefährlich. Dann geht er joggen,
denn Bewegung braucht Stemmer nach den langen Tagen
am Computer oder an der MR-Anlage unbedingt. Wenn er
so scheinbar gedankenverloren Kilometer um Kilometer
abspult, fällt ihm häufig wie aus dem Nichts die Lösung für
ein verzwicktes Problem ein. »Das ist ja ein bekanntes Phänomen in der Kreativität, dass man gedanklich einfach mal
loslassen muss«, sagt Stemmer. Die richtige Mischung aus
Anspannung und Loslassen muss aber jeder Erfinder für sich
selbst finden. Das ist Stemmer offensichtlich gelungen.
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