Der Turm und die Eiche - Evangelische Sonntags

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24 · 13. März 2016 · Sonntags-Zeitung
GEMEINDEREPORT
Der Turm und die Eiche
Auferstehungskirche in Eckartshausen ist schon von weitem zu sehen • Von Corinna Willführ
Fotos: Corinna Willführ
Die Reaktionen auf die Ausstellung »100 Jahre Konfirmation«
der Kirchengemeinde Eckartshausen zeigen, dass Erinnerung
mit Leben gefüllt werden kann.
In der Vergangenheit wollen die
Mitglieder der Auferstehungskirche nicht verharren. Mit ihrem
Pfarrer Oliver Mohn suchen sie
nach Wegen, ihren Glauben im
Alltag zeitgemäß zu leben.
O
liver Mohn ist kein
Theologe, der von der
Kanzel predigt. Den
Gläubigen der Kirchengemeinde
Eckartshausen begegnet der Pfarrer gern auf Augenhöhe. »Auf der
Kanzel ist außerdem zu wenig
Platz«, sagt er mit einer Portion
Selbstironie. Denn wenn der
59-Jährige predigt, versucht er,
neue Wege zu gehen. Sein Anliegen ist es, »die Aussagen des
Evangeliums sprachfähiger zu
machen« – für die Arbeit in seiner
Gemeinde, die Fragen, die Sorgen
und Wünsche von Menschen
heute mit den Aussagen der
Schrift zu verbinden und zu aktualisieren. Dabei nutzt Oliver
Mohn neben Symbolen aus dem
Alltag zur Vermittlung der christlichen Botschaft in seinen Predigten auch seine Präsenz – im
gesamten Chorraum.
Er hat zu tun mit einem
komplizierten Konstrukt
Als Seelsorger in Eckartshausen
hat Oliver Mohn seit 2012 eine
halbe Stelle. Die andere Hälfte seiner Tätigkeit gilt der Fürsorge für
die Protestanten in der Gemeinde
Herrnhaag – gemeinsam mit seiner Frau Kerstin. Eine halbe Stelle
für eine Kirchengemeinde, zu der
rund 1400 Protestanten aus drei
Kommunen gehören: aus Altwiedermus, einem Ortsteil von Ronneburg, aus Eckartshausen, einem Stadtteil von Büdingen, und
aus Himbach, einem Ortsteil von
Limeshain.
»Das ist ein wirklich kompliziertes Konstrukt«, sagt Mohn.
Was nicht einfacher wird, wenn
man in die Geschichte schaut.
Denn bevor die Gemeinde Eckartshausen 1971 in die Stadt Büdingen eingemeindet wurde, gehörte sie im 19. Jahrhundert zum
Amt Marienborn, 1848 zum Regierungsbezirk Nidda, dann wieder zu Büdingen. Für die Eckartshausener Protestanten hat die Geschichte zum Beginn des Jahres
ein weiteres Kapitel aufgeschlagen. Seit 1. Januar gehören sie
zum neuen Dekanat Büdinger
Land.
Ihr Gotteshaus, die im histori-
Gehen für eine lebendige Gemeindearbeit auch neue Wege
(von links): Götz Emmrich, Kerstin Emmrich, Pfarrer Oliver
Mohn und Christine Bergmann
(die auch die Fragen unten beantwortet).
Doppelt imposant von der Wirkkraft her– die Auferstehungskirche und die über 100-jährige
mächtige Eiche.
sierenden spätromanisch-neugotischen Stil in den Jahren von
1877 bis 1879 erbaute Auferstehungskirche ist schon von weitem zu sehen. Aber nicht sie allein
prägt den Mittelpunkt von Eckartshausen, sondern mit ihr – wie
ein unteilbares Ensemble aus (sakraler) Kultur und Natur – eine
mehr als 100-jährige Eiche. Das
Naturdenkmal überragt einzig der
schiefergedeckte Turm der Kirche
mit seinen 36 Metern Höhe.
Beide sieht man schon von
weitem. Das über dem Kirchenportal in Sandstein gemeißelte Bibelwort »Selig sind, die das Wort
Gottes hören und bewahren« (Lukas 11,28) erst aus der Nähe. Im
Innern überrascht wieder die
Größe der Dorfkirche. Rund 400
Menschen bietet sie Platz, im Innenraum wie auf der dreiseitigen
Empore. Dann fällt der Blick auf
das ungewöhnliche Bild zwischen den beiden rundbogigen
Fenstern an der Ostseite des Chorraums.
Das Aquarell zeigt auf gut zwei
mal drei Metern die Auferstehung
Jesu Christi. Angefertigt hat es
1919 der Münchner Künstler F.
Leissler. Es sei eine Spende an die
Kirchengemeinde gewesen, erklärt Götz Emmrich, »über die wir
bislang aber keinen Beleg gefunden haben«, so der ehrenamtliche Archivar und Chronist der
Kirchengemeinde. Die Auferstehungsszene ist ein Bild, das die
Menschen immer wieder beschäftigt. Ihre Darstellung wirkt
auf manchen Besucher befremdlich. Diesen Eindruck kann Götz
Emmrich ebenso gut nachvollziehen wie Christine Bergmann.
»Wir kennen das Bild aber
schon seit unserer Kindheit«, sagt
die 48-jährige Vorsitzende des
Kirchenvorstands. »Es gehört zu
uns und zu unserer Kirche«, findet sie. Wie auch die Fürstenloge,
die den Patronatsherren aus dem
Hause der Fürsten zu Ysenburg
und Büdingen jederzeit den von
fremden Blicken unbeobachteten
Besuch des Gottesdienstes ermöglichte.
Götz Emmrich und Christine
Bergmann sind seit vielen Jahren
der Kirchengemeinde verbunden, wurden in der Auferstehungskirche konfirmiert. Neben
vielen anderen, die ihr Lebensweg in andere Orte, Städte, Dörfer
und Länder geführt hat. Von denen viele auch nicht mehr leben.
Ihre Namen nennt die Fotoausstellung in der Auferstehungskirche nicht. Aber in Dutzenden
von reproduzierten SchwarzWeiß-Aufnahmen im Format 30
mal 40 Zentimeter dokumentiert
sie die Konfirmanden-Jahrgänge
von 1909 an. Nicht auf improvisierten Ausstellungstafeln, sondern längs der Kirchenwände.
Was 2015 ein Beitrag zum
750-jährigen Ortsjubiläum war
und auch im Hessischen Fernsehen in der Reihe »Dolles Dorf« gewürdigt wurde, hat den Anlass
überdauert.
ckungen mehr.« In den 1970er
Jahren des vergangenen Jahrhunderts aber »den ersten Langhaarigen unter den Konfirmanden.
Auch ein erstes Mädchen, das zur
Konfirmation einen Hosenanzug
trug.«
Die 750 Jahr-Feier ist vorbei, Sanierungsarbeiten an der Kirche
stehen an. Zur Sicherung der Glocken müssen die sogenannten
Schall-Luken im Turm erneuert
werden. Um ihr Geläut zu sichern, das bis zum Ersten Weltkrieg aus drei Glocken bestand.
Dann musste eine abgeliefert werden für Kriegsgerät. Erst 1959
wurde das Geläut durch eine vierte Glocke, 520 Kilogramm
schwer, komplettiert. Oliver
Mohn ist sicher, dass seine Gemeinde auch diese Aufgabe meistern wird. Neben dem Engagement der Kirchenmitglieder im
Gitarrenkreis, in der Jugend- und
Seniorenarbeit, in der Vorbereitung von Konzerten, den Ver-
ECKARTSHAUSEN
■ Pfarramt Eckartshausen
Pfarrer Oliver Mohn
Oberpforte 1
3654 Büdingen-Eckartshausen
Telefon 0 60 48/529
E-Mail:[email protected]
anstaltungen zum Luther-Jahr
2017. »Unsere Kirche steht nicht
nur mitten im Dorf, sondern sie
ist auch dessen Mittelpunkt.«
Stolz ist der Pfarrer auf die Jugendlichen. Sie hätten zu Weihnachten 2015 ein Krippenspiel
aufgeführt, das das Lukas-Evangelium mit Breakdance und Rap
verbunden habe. Ihre Darbietung
sei »ein gelungenes Experiment«
gewesen. Ein Experiment, das
den Theologen, der nicht von der
Kanzel predigt, in seinem Ansinnen bestätigt hat: Es braucht neue
Wege zur Kommunikation der
christlichen Botschaft – auch in
den Kirchen auf dem Lande.
DREI FRAGEN AN ...
... Christine Bergmann, im
sechsten Jahr Vorsitzende des
Kirchenvorstands:
Wo ist Ihr Lieblingsplatz in der
Kirche?
Männer ohne Hüte,
Mädchen mit Anzügen
?
»Auf dem ersten Foto aus dem
Jahr 1909«, weist Götz Emmrich
hin, »trägt nur der Pfarrer einen
Hut. Die jungen Frauen haben
helle Kleidung an, die jungen
Männer dunkle.« Zwei, drei Meter
weiter zeigen die Aufnahmen aus
den Jahren 1914 bis 1923 auch
die männlichen Konfirmanden
mit Kopfbedeckung. »Danach«,
hat Emmrich, ein Eckartshäusener in achter Generation, festgestellt, »gab es keine Kopfbede-
Eigentlich habe ich keinen bestimmten. Denn auf welche Kirchenbank ich mich auch immer
setze, bin ich an einem Ort der
Ruhe.
?
Welches ist Ihr liebstes
Kirchenlied?
»Ins Wasser fällt ein Stein« im
Gesangbuch Nummer 621. Der
Text stammt von Manfred Sie-
bald (1973), die Musik von Kurt
Kaiser (1965). Es ist ein Lied, das
wir auch mit unserem Gitarrenkreis spielen und singen. Es berührt mich sehr.
?
Wo holen Sie sich Anregungen
für die Gemeindearbeit?
Manchmal direkt aus Zeitungen. So hatte ich von der offenen Kirche vor Weihnachten
gelesen. Eine Idee, die wir übernommen haben. Ich gehe aber
auch mit neugierigen Augen in
andere Kirchen. Ganz wichtig
natürlich ist der Austausch im
Kirchenvorstand.