82 ZEIT WISSEN PREIS Wen würden Sie wählen? Stephan Rammler: Mobilität + Ideen = Spaß Pablo Wendel: Kunst + Mut = Strom 83 MUT ZUR NACHHALTIGKEIT Der Welt weiterhelfen – das wollen diese drei Männer, die für den ZEIT WISSEN-Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie »Wissen« nominiert sind Text Ulrike Meyer-Timpe Franz-Bernd Frechen: Wasser − Schmutz = Leben Fotos Peter Rigaud E s ist doch schon alles gesagt. Wir wissen längst, wie sehr das Klima gefährdet ist – und mit ihm die Welt und die Menschheit. An Fakten herrscht kein Mangel. Oder? Wozu also noch die Kategorie »Wissen« beim Nachhaltigkeitspreis, den ZEIT Wissen alljährlich verleiht? Ganz einfach: weil es immer wieder verblüffende Erkenntnisse gibt, die bitte nicht untergehen dürfen. In diesem Jahr stellen wir drei Projekte vor, die sich mit großen Zukunftsthemen befassen: Mobilität, Energie und Wasser. Die Ideen, die die beiden Professoren Stephan Rammler und Franz-Bernd Frechen sowie der Künstler Pablo Wendel entwickelt haben, sind jede auf ihre Art unglaublich faszinierend. Stephan Rammler hat zur Mobilität der Zukunft konkrete Visionen erarbeitet, die Lust auf eine umweltschonende Fortbewegung machen. Er beschreibt sie in seinem Buch Schubumkehr, das sich wie ein fesselnder Science-Fiction-Roman liest. Pablo Wendel wandelt seine kreative Energie in Elektrizität um. Seinen »Kunststrom« speist er dann als kleinster deutscher Energieanbieter in das öffentliche Netz ein. Und Franz-Bernd Frechen hat eine Filteranlage konstruiert, die wie durch Zauberhand aus trübem Flusswasser sauberes Trinkwasser macht und dabei weder Strom noch Chemie einsetzt. Sie kann wie ein Rucksack transportiert werden und bei Naturkatastrophen Leben retten. Allen drei Männern gemeinsam ist: Sie sitzen nicht im Elfenbeinturm. »Wenn wir das Wissen nicht in Handeln umsetzen, bringt es nicht viel«, sagt Franz-Bernd Frechen. »Wir müssen daran arbeiten, dass es der Welt weiterhilft.« 84 On the road, immer weiter Natürlich bleiben wir auch in Zukunft mobil, lustvoll, aber anders, glaubt der Zukunftsforscher Stephan Rammler Er fuhr damals selbst begeistert Motorrad. Als Stephan Rammler in den frühen neunziger Jahren am Lawrence Berkeley Lab studierte, hatte er eine Erkenntnis, die sein Leben verändern sollte: »In Kalifornien wurde mir schlagartig klar, wie existenziell Mobilität für moderne Gesellschaften ist.« Überrascht stellte er fest: Die For schung dazu befand sich fest in den Händen von In genieuren und Naturwissenschaftlern. Die Gesell schaftswissenschaften kümmerten sich kein bisschen darum. Dabei erschienen dem Soziologie- und Umweltmanagement-Studenten schon damals wenige Themen so drängend wie die Mobilität. Er begann, diese Lücke in der Forschung zu füllen. Wenn er heute gefragt wird, ob uns triste Zeiten drohen, wenn die fossilen Rohstoffe ausgehen, dann lächelt er nachsichtig. Inzwischen ist er Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hoch schule für Bildende Künste in Braunschweig und zeichnet das taisch betrieben und nicht mehr an Bild einer bunten Zukunft, in der aufwendige Flughäfen gebunden wir es weiter genießen können, sind, sondern überall an kleinen Die emotionale mobil zu sein – nur eben ganz an Landestationen Passagiere aufneh ders als bisher. In seinem Buch phone Fixierung der Menschen men können. Ihr Smart navigiert sie blitzschnell durch ein Schubumkehr schürt er nun gera auf ihr PS-starkes dichtes Netz von jeweils passenden dezu die Vorfreude auf die Ära nach Auto ist das Problem, Transportmitteln. Und in China dem Erdöl. »Beim Thema Mobili hat man die Phase des eigenen Au tät besteht eine extreme Kluft zwi nicht die Technik schen Wissen und Handeln«, sagt tos einfach übersprungen und in er. »Wir kennen die Gefahren des den Megacitys gleich flexible Car Klimawandels und seine Ursachen. sharing-Modelle installiert. Aber wir handeln nicht entsprechend.« Also stellt Dabei kann Stephan Rammler als ehemaliger Motor Rammler erst einmal Fragen, als Zukunftsforscher vor radfahrer ja jede Leidenschaft für die Automobilkultur allem aus gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive: nur zu gut nachfühlen. Er kennt das Emanzipations Welche innovativen Konzepte gibt es, um die mobili potenzial, das für Jugendliche auf dem Land im ersten tätsbedingten Emissionen nachhaltig zu reduzieren? eigenen Auto steckt. Das Gefühl der Freiheit, das etwa Wie bereitet man die Menschen rechtzeitig auf Zeiten auf dem Highway durch die Wüsten Nevadas entsteht, vor, in denen die Erdöl-Vorräte aufgebracht sind und in ist ihm nur allzu vertraut. Umso überzeugender wirbt denen ein Umdenken notwendig sein wird? Und wie er für Alternativen. Vieles sei bereits auf einem guten Weg, zumindest weckt man in ihnen nicht nur die Bereitschaft zur, son in den Städten, wo das Auto seinen Stellenwert als Sta dern sogar die Lust auf Veränderung? Bestimmt nicht, indem man als Moralist auftritt tussymbol bei der urbanen Jugend bereits verloren habe. oder die Apokalypse beschwört, meint Rammler. Seine Nicht die Technik sei das Problem auf dem Weg ins Leitbilder für eine postfossile Mobilitätskultur verpackt postfossile Zeitalter, sondern die emotionale Fixierung er in seinem Buch in spannende Geschichten von der Menschen auf ihr PS-starkes Fahrzeug. »Das ist wie »Futurnauten«, die durch das Jahr 2043 reisen, in dem eine Sucht, und der Entzug ist erst mal schmerzhaft«, Wasserstoff längst das Erdöl ersetzt hat. Sie sind mit sagt Rammler. Um ihn zu erleichtern, hat er positive Luftschiffen unterwegs, die unter anderem photovol Leitbilder von großer Strahlkraft entwickelt. Stephan Rammler, 47, lebt in Berlin und Braunschweig, wo er den Masterstudiengang Transportation Design aufgebaut hat. In seinem Buch »Schubumkehr« schreibt er über eine postfossile Mobilitätskultur 85 Unter Strom, mit ganz viel Kunst als er nutzen konnte, reifte eine erstaunliche Idee: Warum nicht den Kunststrom ins öffentliche Netz einspeisen? Er entwickelte seine Power Station als architektonische Skulptur, die die selbst erzeugte Energie entsprechend umwandelt, und gründete 2012 den Stromlieferanten Seine kreative Energie erzeugt mehr Performance Electrics. Über die Website können Neu Elektrizität, als Pablo Wendel nutzen kann, kunden dorthin wechseln. »Die Erlöse werden zu hun also speist er sie ins öffentliche Netz dert Prozent in die Erforschung neuer stromerzeugender Kunstaktionen investiert«, sagt Wendel. Das Stromnetz stellt sich der Künstler als europa Kann man die kreative Energie eines Künstlers nutzen, um damit den Laptop aufzuladen? Für die Kunden von weite Kupferskulptur vor, in der die elektrische Energie Performance Electrics ist das ganz alltäglich: Deutsch fließt. Er verknüpft es mit einem Netzwerk aus mensch lands kleinster Stromlieferant versorgt rund zwanzig licher Energie, um seinen Kunststrom zu generieren: Haushalte und Museen mit ökologisch einwandfreier Elektromeister machen mit, Architekten, Designer und Elektrizität, die obendrein künstlerisch wertvoll ist. In sogar Mitarbeiter des Instituts für Aerodynamik der Uni dem die Abnehmer die Espressomaschine starten oder Stuttgart. Zudem arbeitet Wendel mit Schulen zusam das Licht anschalten, werden sie zu Kunstmäzenen. men. In seinem Projekt Testudo Solaris löten die Schüler Es begann 2008 in der Stutt Solarmodule, die sie dann wie ei garter Marienstraße. Pablo Wendel nen Schutzschild einsetzen: In der stand am Fenster seines Ateliers und römischen Schildkrötenformation, überlegte, wie die nächste Strom seitlich und nach oben abgeschirmt Als Höhepunkt der durch die Module, schwärmt die rechnung zu bezahlen sei. Zwar Aktion »Schmarotzer« Gruppe in die Stadt aus. So fängt sie hatte der Installationskünstler welt weit Aufsehen erregt, als er sich flackerte dann in Pablo Sonnenenergie ein und speichert sie in einer Batterie, die sie hinter sich mit selbst kreierter Verkleidung in Wendels Studio eine herzieht. Eine Aktion, die nicht nur Chinas Terrakotta-Armee einreihte parasitäre Glühbirne Wissen, sondern auch viel Spaß und erst mal nicht enttarnt wurde. bringt. Und die Zahl der Kunst Doch mit solchen Kunstaktionen lässt sich kaum Geld verdienen. strom-Aktivisten stetig steigen lässt. Wendels Blick fiel auf die Leucht reklamen an der Marienstraße. Und er dachte: »Was für eine Riesen-Energieverschwendung!« Er beschloss, sich das Licht der Werbung künstlerisch anzueignen. Die Idee zu seiner Aktion »Schmarotzer« war geboren. Schon bald hingen, wie schwarze Zensurbalken, Solarmodule vor den Leuchtreklamen. Kabel kletterten die Fassaden empor, baumelten an Vordächern und Re genrohren, überspannten die Straße. Und in Wendels Studio flackerte – als Höhepunkt der Installation – die parasitäre Glühbirne. Die Aktion ließ die Marienstraße aussehen, als sei dort das Geld ausgegangen, um die Kabel unter Putz zu legen. Aber das scheinbar nachlässig verlegte Stromnetz vernetzte auch die Menschen: Es brachte die Ladenbesitzer miteinander ins Gespräch und machten sie zu Kunstvermittlern, die den erstaunten Kunden die Aktion erklärten. Seither ließ das Thema den Künstler nicht mehr los. Mal zapfte er die Bewegungsenergie des Uhrzeigers an einem Kirchturm ab. Dann schuf er acht Meter hohe Skulpturen, die als Windrad dienten. Um selbst bei deren Herstellung das Klima zu schonen, nutzte er dafür ausgediente Straßenpfosten und Verkehrsschilder. Der so erzeugte Strom floss in mobile Kunststrom-Speicher, die sich in ausrangierten Mülltonnen befanden und Laptops, Smart phones und E-Bikes aufluden. Weil Wendels kreative Energie für mehr Elektrizität reichte, Pablo Wendel, 35, lebt in Stuttgart. Er ist Installationskünstler und Energielieferant. Seine Firma Performance Electrics versorgt derzeit 20 Kunden mit Kunststrom 86 Alles fließt, durch einen Filter Mit Membran und blauem Plastikrucksack: Franz-Bernd Frechens Idee rettet mit sauberem Wasser viele Menschenleben Eine Membran bringt’s: Mit ihr wird aus trübem Flusswasser sauberes Trinkwasser. Die Idee für den Zauberfilter entstand vor 15 Jahren. Als einer der großen nordrhein-westfälischen Wasserversorger eine neuartige Kläranlage in Betrieb nahm, die das Wasser ganz ohne Chemie, allein mithilfe einer sehr feinen Membran reinigte. Da dachte Franz-Bernd Frechen, Professor für Wasserwirtschaft an der Universität Kassel: Könnte man das Prinzip nicht auch für transportable Filter nutzen und damit Menschen helfen, die nach einer Katastrophe ums Überleben kämpfen? »Bei Überschwemmungen, Taifunen oder Erdbeben sind die hygienischen Probleme am vordringlichsten«, sagt Frechen. Zwar stellen die Hilfsorganisationen oft große Aufbereitungsanlagen zur Verfügung und versorgen Tausende in den betroffenen Städten mit Trinkwasser. Doch schwer zugängliche Regionen erreicht solche Hilfe meistens nicht. Er bedavon ausgegangen, dass seine gann, mit Membranen zu experiKleinstanlagen später wieder abgementieren: Wenn Flusswasser mit zu viel Druck hindurchgepresst holt werden. Doch die NGOs, die Die Menschen können wird, verstopfen sie und müssen in sie bei ihm ordern, lassen sie eines kaum glauben: In regelmäßigen Abständen aufwenfach stehen: Die Menschen möchdig erneuert werden. Deshalb entten nicht mehr darauf verzichten. ein paar Minuten wird wickelte Franz-Bernd Frechen aus brauner Flussbrühe Inzwischen gibt es weltweit 1800 davon, vor allem in Asien und Afrieinen Filter, der im Niederdrucksauberes Trinkwasser betrieb funktioniert. Das Wasser ka. Weil die Uni mit Produktion drückt sich allein durch sein eigeund Vertrieb überfordert war, bat sie Frechen, dafür eine GmbH zu nes Gewicht durch die Membran. gründen. Die WaterBackpack Dennoch hält sie Viren und Bakterien, die etwa Typhus oder Cholera verursachen, zu- Company lässt die Rucksäcke in einer Kasseler Behinrück. 2010 erlebte die Portable Aqua Unit for Live- dertenwerkstatt zusammenbauen und verkauft sie zum saving, kurz PAUL, dann ihren ersten offiziellen Einsatz Selbstkostenpreis von 1000 Euro an humanitäre Orgabei einer großen Überschwemmung in Pakistan: als nisationen. Zehn Jahre lang tut PAUL dann nahezu blauer Behälter, der wie ein Rucksack transportiert oder wartungsfrei seine Arbeit. Unter dem Strich kosten fünf vom Hubschrauber abgeseilt werden kann. PAUL be- Liter Trinkwasser somit weniger als einen Cent. Wenn das alles so einfach und preiswert ist: Warum reitet bis zu 1200 Liter Trinkwasser pro Tag auf. Das reicht für etwa 400 Menschen. Die Bedienung wird haben dann immer noch Millionen Menschen kein durch ein schlichtes Piktogramm erklärt, bestehend aus sauberes Wasser? Franz-Bernd Frechen würde gern die nur vier Bildern: mit dem Eimer das Wasser aus dem Gründung von Wasser-Kooperativen initiieren. Die Fluss schöpfen; es in den Behälter gießen; ein Glas unter Anschaffung von PAUL könnte ein Mikrokredit finanden Hahn halten – und trinken. zieren, der getilgt wird, indem die Dorfbewohner einen In indischen Dörfern hat Frechen die Verständlich- Cent pro Liter Trinkwasser zahlen – weit weniger als für keit überprüft. »Erst schleichen die Menschen ungläu- sauberes Wasser in Flaschen. Oder ein Sponsor müsste big um den Wasserrucksack herum und können es nicht her. Frechen: »Ich hätte gern einen Termin bei Bill fassen, dass aus der braunen Brühe in ein paar Minuten Gates.« Eine halbe Stunde würde reichen: Die PAULsauberes Trinkwasser wurde.« Ursprünglich war Frechen Vorführung hat noch jeden überzeugt. — Franz-Bernd Frechen, 61, ist seit 20 Jahren Professor für Wasserwirtschaft in Kassel. Seinen Wasserfilter PAUL hat er mit finanzieller Unter stützung der Bundesstiftung Umwelt entwickelt MATHE-ABITUR? Die sechs Nominierten Lass Dich nicht verwirren! In dieser Ausgabe stellen wir die Nominierten in der Kategorie »Wissen« vor: Stephan Rammler hat Visionen für eine postfossile Mobilitätskultur Pablo Wendel speist kreativen Strom ins öffentliche Netz Franz-Bernd Frechen rettet mit sauberem Trinkwasser Menschenleben In der kommenden Ausgabe von ZEIT Wissen stellen wir die Nominierten der Kategorie »Handeln« vor: Cucula Zwei Designer und fünf Flüchtlinge bauen gemeinsam Möbel, deren Erlös die Ausbildung junger Afrikaner finanziert Werner & Mertz GmbH Die Nachhaltigkeitsstrategie des »Frosch«Herstellers setzt auf natürliche Wirkstoffe und effektives Recycling der PET-Flaschen Grandhotel Cosmopolis Unter einem Dach vereint das Projekt in Augsburg eine Flüchtlingsunterkunft, ein Hotel, Künstlerateliers und ein Café DER INTENSIVKURS FÜRS MATHE-ABITUR Der ZEIT Wissen-Preis »Mut zur Nachhaltigkeit« wird von den Trägern der Initiative »Mut zur Nachhaltigkeit« (Klaus Wiegandt), dem Magazin ZEIT Wissen und dem Unternehmer Dr. August Oetker initiiert. Preisträger kön nen Bildungs- und Forschungsinitiativen sein oder Firmen, die unseren Alltag nachhaltiger gestalten. In den Kategorien »Wissen« und »Handeln« stehen je drei Nominierte in der Schlussrunde. Die ersten Preise sind mit 10 000 Euro dotiert und werden am 1. März 2016 in Hamburg während des ZEIT-Nachhaltigkeitskongresses verliehen. Mehr Informationen finden Sie unter www.zeit.de/nhp. Lerne von erstklassigen Mathematik-Tutoren und meistere mit uns Deine Abiturprüfung. Im Frühjahr 2016 bundesweit in 68 Städten. 5 Tage. 139 Euro. Kursbuch inklusive. Informationen und Anmeldung auf zeit.de/mathe-abi. In Kooperation mit abiturma Anbieter: Zeitverlag in Kooperation mit abiturma GbR, Reinsburgstraße, Stuttgart
© Copyright 2024 ExpyDoc