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Jetzt kommen die
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LEUCHTTÜRME
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KRANKENGELDFALLMANAGEMENT
VERSICHERTENBERATUNG:
DER FLICKENTEPPICH BLEIBT
Von Franziska Herrmann, Siemens-Betriebskrankenkasse SBK
Schwerkranke sollen sich auf ihre Genesung konzentrieren – mit einer Kasse an ihrer Seite,
die Expertise und Netzwerke nutzt, um ihre Versicherten auf dem Therapiepfad zu begleiten:
bei der Suche nach geeigneten Leistungserbringern oder bei der Bewertung unterschiedlicher Behandlungsmethoden. Unterstützung für Patienten, die optimal vorbereitet sind, auf
die gemeinsame Entscheidung mit dem Arzt für die beste Therapie. Soweit der Anspruch der
Betriebskrankenkassen. Doch was leistet das Versorgungsstärkungsgesetz? Schlüssiges Konzept, das den Schutz der Sozialdaten mit dem Beratungswunsch der Versicherten in Einklang
bringt? Oder eine notdürftig ausgebesserte Stelle bei der Versichertenberatung?
© Blanchi Costela / Moment Open / Getty Images
Am 23. Juli ist das Versorgungsstärkungsgesetz in Kraft getreten – mit einigen viel beachteten und in der Öffentlichkeit zum Teil kontrovers diskutierten Regelungen. Zu nennen
sind hier die Maßnahmen zur Stärkung der ärztlichen Versorgung auf dem Land oder die
Einführung einer Terminvergabestelle für Facharzttermine. Weniger Beachtung fand der
Passus zum Krankengeldfallmanagement. Mit der neuen Regelung erhalten Versicherte,
die Krankengeld beziehen, Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch ihre
Krankenkasse. Konkret wird der § 44 Abs. 4 des Gesetzesentwurfes wie folgt lauten:
„Versicherte haben Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkasse, welche Leistungen und unterstützende Angebote zur Wiederherstellung der
Arbeitsfähigkeit erforderlich sind. Maßnahmen nach Satz 1 und die dazu erforderliche Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten dürfen nur mit schriftlicher
Einwilligung und nach vorheriger schriftlicher Information des Versicherten erfolgen. Die
Einwilligung kann jederzeit schriftlich widerrufen werden. Die Krankenkassen dürfen ihre
Aufgaben nach Satz 1 an die in § 35 des Ersten Buches genannten Stellen übertragen …“
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Betriebskrankenkassen 05 | 2015
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LEUCHTTÜRME
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»Im Versorgungsstärkungsgesetz wurde die Chance
verpasst, die Versichertenberatung auf zeitgemäße
und praktikable Beine zu stellen. «
nur dann umgehen, soweit die Prüfung der Leistungspflicht und die Erbringung der Leistungen betroffen sind. Sie dürfen beispielsweise wissen, dass und wie lange ein Versicherter arbeitsunfähig ist, damit entschieden werden kann, dass und wie lange Krankengeld
zu zahlen ist. Und sie dürfen auch nachfragen, aus welchen Gründen ein Taxi genommen
wurde, wenn ein Versicherter die Erstattung entsprechender Fahrtkosten beantragt.
Weitergehende Ausnahmen gibt es nur bei Themen, die in jüngerer Zeit in Gesetzesform
gegossen worden sind. Hier hat der Gesetzgeber das Beratungsbedürfnis erkannt und
entsprechende Anpassungen des Datenschutz im SGB V geregelt, etwa bei der elektronischen Gesundheitskarte, den Disease-Management-Programmen oder der Integrierten
Versorgung – und eben jetzt bei der Beratung von Versicherten, die Krankengeld erhalten.
Auch für die Hospiz- und Palliativberatung sind erweiterte Beratungsrechte für die Kassen
geplant. Rückschritte hingegen gibt es bei der Pflegeberatung. War diese bisher vorbildlich
gelöst, ist im aktuellen Gesetzesentwurf ebenfalls eine Unterscheidung zwischen Auskunftsrechten für den Kundenberater und Beratungsrechten für den Pflegeberater vorgesehen. Auch hier ein Beispiel zur Veranschaulichung: Fragt der Kundenberater, welches
Bett ein Pflegebedürftiger benötigt, um den Leistungsanspruch zu prüfen, soll das auch
zukünftig problemlos möglich sein. Geht es darum, zu beraten, welches Bett oder welche
zusätzlichen Hilfsmittel rund ums Liegen sinnvoll sind, darf er das nicht tun. In diesem Fall
muss er das Gespräch an einen Pflegeberater übergeben und dieser benötigt eine schriftliche Einwilligung zur Beratung.
Beim Versorgungsstärkungsgesetz wurde damit erneut die Chance verpasst, die Versichertenberatung umfassend zu regeln und den notwendigen Schutz der Sozialdaten im
Sinne der Versicherten auf zeitgemäße und praktikable Beine zu stellen. In der Praxis führt
diese bislang unterbliebene gesetzliche Klarstellung zu juristischen Diskussionen zwischen Krankenkassen und Aufsichtsbehörden bzw. zwischen Krankenkassen und Datenschützern, die ihrem Auftrag folgend nur die Einhaltung der geltenden Gesetze überprüfen
dürfen, auch wenn diese einer patientenorientierten Beratungspraxis im Wege stehen.
So können die Krankenkassen die Versicherten beispielsweise bei der Suche nach geeigneten Leistungserbringern, Terminvereinbarungen, Wiedereinstieg in das Berufsleben etc.
unterstützen. Damit wird die Beratung der Versicherten, die Krankengeld erhalten, endlich
auf rechtssichere Beine gestellt – einerseits.
Andererseits: Die aktuelle Regelung hat ihre Tücken. Während man keine Einwilligung
des Versicherten braucht, wenn es um Informationen geht, die die Kasse zur Leistungsgewährung braucht, ist eine Einwilligung für die Beratung hingegen zwingend erforderlich.
Ein Beispiel: Wenn der Kundenberater fragt, wie lange der Kunde voraussichtlich arbeitsunfähig ist, um über die Länge des Krankengeldbezugs zu entscheiden, ist dies ohne Zustimmung des Versicherten möglich. Wenn er die gleiche Frage stellt, um hinsichtlich der
Reha-Möglichkeiten zu beraten, braucht er vorab die schriftliche Zustimmung. In der Realität führt diese Unterscheidung dazu, dass die Rechtsunsicherheit weiter bestehen bleibt.
FLICKENTEPPICH IN SACHEN VERSICHERTENBERATUNG
Hinzu kommt, dass der Flickenteppich in Sachen Versichertenberatung um eine ausgebesserte Stelle reicher wird. Denn datenschutzrechtlich werden unterschiedliche Beratungssachverhalte unterschiedlich eingestuft. Diese Schieflage ist historisch begründet.
Die Pflicht zur Beratung der Versicherten wurde 1976 in § 14 SGB I grundlegend normiert
– lange, bevor das Bundesverfassungsgericht 1983 über das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung entschieden hat. Seitdem ist die Beratungspflicht der Kassen gesetzlich vorgeschrieben. Bisher hat es der Gesetzgeber allerdings versäumt, die aufgrund der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erforderliche, ausdrückliche datenschutzrechtliche Befugnis zum Umgang mit Daten bei der Beratung für die Krankenkassen im
SGB V nachzuziehen. Nach geltendem Recht dürfen Krankenkassen demnach mit Daten
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KRANKENKASSEN ALS DIENSTLEISTER FÜR DEN KUNDEN
Dass die Versicherten sich eine Beratung durch ihre Krankenkasse wünschen, zeigt der
Arbeitsalltag unserer Kundenberater. Sie stoßen sogar meist auf Verwunderung und Unverständnis, wenn sie den Kunden von den Restriktionen berichten, die aktuell herrschen
– wenn sie beispielsweise nach Rat gefragt werden bei bestimmten Behandlungsmethoden und Ärzten und nicht antworten dürfen. Als Beispiel seien hier die unterschiedlichen
Krebsdiagnosen genannt:
Betriebskrankenkassen 05 | 2015
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KASSEN SIND ERSTE ANLAUFSTELLE BEI FRAGEN
Bei einer Eigenstudie der mepirica von 2013 wurde folgende Frage gestellt:
„Das Gesundheitswesen ist ein komplexes System. Gerade im Falle einer Erkrankung kann man als
Patient schnell die Orientierung verlieren: Wo finde ich geeignete krankheitsspezifische Informationen? Welche Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Welcher Arzt bzw. welche Klinik ist
wirklich gut? Stellen Sie sich vor, Sie würden sich im Bedarfsfall persönlich beraten lassen wollen,
um Antworten auf diese Fragen zu erhalten. An wen würden Sie sich wenden?“
66 % – und damit der größte Prozentsatz – der Befragten nannten hier ihre Krankenkasse. Mit 35 %
und einem weiten Abstand folgte darauf die unabhängige Patientenberatung auf Platz 2.
Ähnlich deutlich waren die Ergebnisse beim Gesundheitsmonitor 2009: 86 % der Versicherten halten
eine individuelle und kompetente Hilfe durch ihre Krankenkasse – beispielsweise bei medizinischen
Fragen – für wichtig oder sehr wichtig. 85 % der Versicherten, die ihre Kasse bei Fragen schon einmal konsultiert haben, fühlten sich durch ihre Kasse eher gut oder sehr gut beraten. Die Versicherten
loben vor allem
Aufklärung, Prävention und Patientenführung) der Initiative Präventionspartner in Kooperation mit der dualen Hochschule Lörrach und der APOLLON Hochschule für Gesundheitswirtschaft in Bremen aus dem Jahr 2014 deutliche Hinweise auf datenschutzrechtliche
Bedenken der Nutzer. Demnach liegt die größte Hürde für die Nutzung von GesundheitsApps in der Angst vor dem Ausspähen persönlicher Gesundheitsdaten durch Dritte.
Es muss eine Balance gefunden werden zwischen einem notwendigen Maß an Datenschutz und den Möglichkeiten, die die digitale Medizin bietet. Die Zusammenführung und
Auswertung von Daten muss den Beteiligten im Gesundheitswesen möglich gemacht
werden. Nur so kann ein vernetztes Gesundheitssystems zum Wohle des Patienten realisiert werden. Dazu müssen jedoch Vorkehrungen getroffen werden, die einen Missbrauch
der Daten verhindern:
Zentrales Element ist ein Widerspruchsrecht für Versicherte. Ihnen sollte ein explizites Vetorecht eingeräumt werden: Widerspricht ein Versicherter der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung zum Zwecke der passiven oder aktiven Versichertenberatung, so muss
es seiner Krankenkasse untersagt sein, vorliegende Informationen für die Beratung des
betreffenden Versicherten heranzuziehen und einzusetzen. Wichtig dabei ist eine praxisnahe Umsetzung. Aktuell fordert der Gesetzgeber, dass der Versicherte vor der Beratung
schriftlich der Datennutzung zustimmen muss. Eine mündliche Zustimmung und selbst
eine E-Mail sind nicht erlaubt. Dies führt zu unnötigen Verzögerungen in der Beratung.
§§ die umfassende Beratung (58 %),
§§ den Erhalt hilfreicher Informationen (44 %),
§§ die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung (30 %).
88 % würden ihre Kasse bei Bedarf erneut anfragen.
Erhält ein Versicherter die Diagnose Brustkrebs, kann er sich in das entsprechende DMP
einschreiben. Er erklärt damit aktiv sein Einverständnis und die SBK kann die Behandlung
als Partner mitgestalten. Erhält er die Diagnose Lungenkrebs, für die es kein DMP gibt, ist
es dem SBK-Kundenberater untersagt zu beraten. Nach Meinung der Bundesbeauftragten
für Datenschutz und Informationssicherheit Andrea Voßhoff auch dann, wenn uns der Versicherte hier sein Einverständnis geben würde. Der Umstand, ob sinnvolles Versorgungsmanagement durch die Krankenkasse für den Versicherten möglich ist, hängt im Moment
von der Diagnose ab!
DATENSCHUTZ MUSS GROSSGESCHRIEBEN WERDEN
FAZIT – VERSICHERTENBERATUNG MUSS RECHTSSICHER WERDEN
Ein Ergebnis der medpirica-Studie – neben der generellen Zustimmung zur Beratung durch
Krankenkassen – darf dabei nicht aus den Augen gelassen werden. 75 % der Versicherten
möchten vorab nach ihrem Einverständnis gefragt werden, ob ihre Daten zu Beratungszwecken gespeichert werden dürfen. Ein ganz verständlicher Wunsch, der in Zeiten der
Digitalisierung des Gesundheitswesens immer mehr an Bedeutung gewinnt. Neben der
Datenspeicherung bei den Kassen sind es Dinge wie die Elektronische Patientenakte oder
auch Gesundheits-Apps verschiedenster Anbieter, bei denen dies zum Tragen kommt.
Ein Blick auf den Umgang mit allen diesen digitalen Angeboten wirft zurzeit noch ein zwiespältiges Bild auf die Seele der Deutschen: Bei Apps oder auch in den sozialen Netzwerken
geht zumindest ein Teil der Nutzer relativ unbekümmert mit den persönlichen Daten um.
So geben die Facebook-Fans der SBK immer wieder Angaben wie Versichertennummern,
medizinische Details und Kontaktdaten auf der öffentlichen Timeline der Seite preis, die
das Redaktionsteam löschen und die Diskussion auf eine andere, geschützte Ebene umleiten muss. Ungeachtet dieses Verhaltens liefert die GAPP-Studie (Gesundheits-Apps zur
Schwerkranke – und das sind nicht nur Versicherte im Krankengeldbezug, sondern auch
und gerade die älteren Versicherten – sollten ihr Augenmerk auf ihre Genesung legen können und sich bei der Suche nach geeigneten Leistungserbringern oder bei der Bewertung
unterschiedlicher Behandlungsmethoden kompetent unterstützen lassen dürfen. Sie sollten einen Anspruch darauf haben, dass auch eine Krankenkasse ihre Expertise und die ihr
vorliegenden Informationen – inklusive jener, die in einem persönlichen Gespräch mit dem
Versicherten gewonnen werden – im Sinne einer guten Versorgungslösung einsetzen darf.
Wir möchten an keiner Stelle in die Therapiehoheit des Arztes eingreifen. Was medizinisch
sinnvoll ist, wird immer der Arzt gemeinsam mit dem Patienten entscheiden. Uns geht es
darum, gemeinsam mit dem Versicherten und dem Arzt eine individuelle Lösung für den
Betroffenen zu finden und die Versorgung für den Patienten zu verbessern. Dieses Vorgehen muss vom Gesetzgeber endlich auf rechtssichere Beine gestellt werden. Es fehlt ein
Konzept, das den Schutz der Sozialdaten mit dem Beratungswunsch der Versicherten in
Einklang bringt. Nicht nur beim Krankengeld und der Hospiz- und Palliativberatung.
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