5 | 15 Betriebs Kranken Kassen Magazin für Politik, Recht und Gesundheit im Unternehmen ONL I AUS NE ZUG www.bkk-dachverband.de Jetzt kommen die jungen Köpfe! PFLEGEVERSICHERUNG 2.0 Die Bundesregierung wagt Großes. Zwei pflegepolitische Baustellen, fünf Mrd. Euro und ein Ziel: Bessere Pflege für unsere Mütter und Väter. GESUNDES ARBEITEN – GESUNDES SYSTEM? Karrierechancen, sinnvolle Arbeit, Perspektive – Betriebliches Gesundheitsmanagement macht Helfer stark! LEUCHTTÜRME LEUCHTTÜRME KRANKENGELDFALLMANAGEMENT VERSICHERTENBERATUNG: DER FLICKENTEPPICH BLEIBT Von Franziska Herrmann, Siemens-Betriebskrankenkasse SBK Schwerkranke sollen sich auf ihre Genesung konzentrieren – mit einer Kasse an ihrer Seite, die Expertise und Netzwerke nutzt, um ihre Versicherten auf dem Therapiepfad zu begleiten: bei der Suche nach geeigneten Leistungserbringern oder bei der Bewertung unterschiedlicher Behandlungsmethoden. Unterstützung für Patienten, die optimal vorbereitet sind, auf die gemeinsame Entscheidung mit dem Arzt für die beste Therapie. Soweit der Anspruch der Betriebskrankenkassen. Doch was leistet das Versorgungsstärkungsgesetz? Schlüssiges Konzept, das den Schutz der Sozialdaten mit dem Beratungswunsch der Versicherten in Einklang bringt? Oder eine notdürftig ausgebesserte Stelle bei der Versichertenberatung? © Blanchi Costela / Moment Open / Getty Images Am 23. Juli ist das Versorgungsstärkungsgesetz in Kraft getreten – mit einigen viel beachteten und in der Öffentlichkeit zum Teil kontrovers diskutierten Regelungen. Zu nennen sind hier die Maßnahmen zur Stärkung der ärztlichen Versorgung auf dem Land oder die Einführung einer Terminvergabestelle für Facharzttermine. Weniger Beachtung fand der Passus zum Krankengeldfallmanagement. Mit der neuen Regelung erhalten Versicherte, die Krankengeld beziehen, Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch ihre Krankenkasse. Konkret wird der § 44 Abs. 4 des Gesetzesentwurfes wie folgt lauten: „Versicherte haben Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkasse, welche Leistungen und unterstützende Angebote zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erforderlich sind. Maßnahmen nach Satz 1 und die dazu erforderliche Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten dürfen nur mit schriftlicher Einwilligung und nach vorheriger schriftlicher Information des Versicherten erfolgen. Die Einwilligung kann jederzeit schriftlich widerrufen werden. Die Krankenkassen dürfen ihre Aufgaben nach Satz 1 an die in § 35 des Ersten Buches genannten Stellen übertragen …“ 28 Betriebskrankenkassen 05 | 2015 Betriebskrankenkassen 05 | 2015 29 LEUCHTTÜRME LEUCHTTÜRME »Im Versorgungsstärkungsgesetz wurde die Chance verpasst, die Versichertenberatung auf zeitgemäße und praktikable Beine zu stellen. « nur dann umgehen, soweit die Prüfung der Leistungspflicht und die Erbringung der Leistungen betroffen sind. Sie dürfen beispielsweise wissen, dass und wie lange ein Versicherter arbeitsunfähig ist, damit entschieden werden kann, dass und wie lange Krankengeld zu zahlen ist. Und sie dürfen auch nachfragen, aus welchen Gründen ein Taxi genommen wurde, wenn ein Versicherter die Erstattung entsprechender Fahrtkosten beantragt. Weitergehende Ausnahmen gibt es nur bei Themen, die in jüngerer Zeit in Gesetzesform gegossen worden sind. Hier hat der Gesetzgeber das Beratungsbedürfnis erkannt und entsprechende Anpassungen des Datenschutz im SGB V geregelt, etwa bei der elektronischen Gesundheitskarte, den Disease-Management-Programmen oder der Integrierten Versorgung – und eben jetzt bei der Beratung von Versicherten, die Krankengeld erhalten. Auch für die Hospiz- und Palliativberatung sind erweiterte Beratungsrechte für die Kassen geplant. Rückschritte hingegen gibt es bei der Pflegeberatung. War diese bisher vorbildlich gelöst, ist im aktuellen Gesetzesentwurf ebenfalls eine Unterscheidung zwischen Auskunftsrechten für den Kundenberater und Beratungsrechten für den Pflegeberater vorgesehen. Auch hier ein Beispiel zur Veranschaulichung: Fragt der Kundenberater, welches Bett ein Pflegebedürftiger benötigt, um den Leistungsanspruch zu prüfen, soll das auch zukünftig problemlos möglich sein. Geht es darum, zu beraten, welches Bett oder welche zusätzlichen Hilfsmittel rund ums Liegen sinnvoll sind, darf er das nicht tun. In diesem Fall muss er das Gespräch an einen Pflegeberater übergeben und dieser benötigt eine schriftliche Einwilligung zur Beratung. Beim Versorgungsstärkungsgesetz wurde damit erneut die Chance verpasst, die Versichertenberatung umfassend zu regeln und den notwendigen Schutz der Sozialdaten im Sinne der Versicherten auf zeitgemäße und praktikable Beine zu stellen. In der Praxis führt diese bislang unterbliebene gesetzliche Klarstellung zu juristischen Diskussionen zwischen Krankenkassen und Aufsichtsbehörden bzw. zwischen Krankenkassen und Datenschützern, die ihrem Auftrag folgend nur die Einhaltung der geltenden Gesetze überprüfen dürfen, auch wenn diese einer patientenorientierten Beratungspraxis im Wege stehen. So können die Krankenkassen die Versicherten beispielsweise bei der Suche nach geeigneten Leistungserbringern, Terminvereinbarungen, Wiedereinstieg in das Berufsleben etc. unterstützen. Damit wird die Beratung der Versicherten, die Krankengeld erhalten, endlich auf rechtssichere Beine gestellt – einerseits. Andererseits: Die aktuelle Regelung hat ihre Tücken. Während man keine Einwilligung des Versicherten braucht, wenn es um Informationen geht, die die Kasse zur Leistungsgewährung braucht, ist eine Einwilligung für die Beratung hingegen zwingend erforderlich. Ein Beispiel: Wenn der Kundenberater fragt, wie lange der Kunde voraussichtlich arbeitsunfähig ist, um über die Länge des Krankengeldbezugs zu entscheiden, ist dies ohne Zustimmung des Versicherten möglich. Wenn er die gleiche Frage stellt, um hinsichtlich der Reha-Möglichkeiten zu beraten, braucht er vorab die schriftliche Zustimmung. In der Realität führt diese Unterscheidung dazu, dass die Rechtsunsicherheit weiter bestehen bleibt. FLICKENTEPPICH IN SACHEN VERSICHERTENBERATUNG Hinzu kommt, dass der Flickenteppich in Sachen Versichertenberatung um eine ausgebesserte Stelle reicher wird. Denn datenschutzrechtlich werden unterschiedliche Beratungssachverhalte unterschiedlich eingestuft. Diese Schieflage ist historisch begründet. Die Pflicht zur Beratung der Versicherten wurde 1976 in § 14 SGB I grundlegend normiert – lange, bevor das Bundesverfassungsgericht 1983 über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entschieden hat. Seitdem ist die Beratungspflicht der Kassen gesetzlich vorgeschrieben. Bisher hat es der Gesetzgeber allerdings versäumt, die aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erforderliche, ausdrückliche datenschutzrechtliche Befugnis zum Umgang mit Daten bei der Beratung für die Krankenkassen im SGB V nachzuziehen. Nach geltendem Recht dürfen Krankenkassen demnach mit Daten 30 KRANKENKASSEN ALS DIENSTLEISTER FÜR DEN KUNDEN Dass die Versicherten sich eine Beratung durch ihre Krankenkasse wünschen, zeigt der Arbeitsalltag unserer Kundenberater. Sie stoßen sogar meist auf Verwunderung und Unverständnis, wenn sie den Kunden von den Restriktionen berichten, die aktuell herrschen – wenn sie beispielsweise nach Rat gefragt werden bei bestimmten Behandlungsmethoden und Ärzten und nicht antworten dürfen. Als Beispiel seien hier die unterschiedlichen Krebsdiagnosen genannt: Betriebskrankenkassen 05 | 2015 Betriebskrankenkassen 05 | 2015 31 LEUCHTTÜRME LEUCHTTÜRME KASSEN SIND ERSTE ANLAUFSTELLE BEI FRAGEN Bei einer Eigenstudie der mepirica von 2013 wurde folgende Frage gestellt: „Das Gesundheitswesen ist ein komplexes System. Gerade im Falle einer Erkrankung kann man als Patient schnell die Orientierung verlieren: Wo finde ich geeignete krankheitsspezifische Informationen? Welche Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Welcher Arzt bzw. welche Klinik ist wirklich gut? Stellen Sie sich vor, Sie würden sich im Bedarfsfall persönlich beraten lassen wollen, um Antworten auf diese Fragen zu erhalten. An wen würden Sie sich wenden?“ 66 % – und damit der größte Prozentsatz – der Befragten nannten hier ihre Krankenkasse. Mit 35 % und einem weiten Abstand folgte darauf die unabhängige Patientenberatung auf Platz 2. Ähnlich deutlich waren die Ergebnisse beim Gesundheitsmonitor 2009: 86 % der Versicherten halten eine individuelle und kompetente Hilfe durch ihre Krankenkasse – beispielsweise bei medizinischen Fragen – für wichtig oder sehr wichtig. 85 % der Versicherten, die ihre Kasse bei Fragen schon einmal konsultiert haben, fühlten sich durch ihre Kasse eher gut oder sehr gut beraten. Die Versicherten loben vor allem Aufklärung, Prävention und Patientenführung) der Initiative Präventionspartner in Kooperation mit der dualen Hochschule Lörrach und der APOLLON Hochschule für Gesundheitswirtschaft in Bremen aus dem Jahr 2014 deutliche Hinweise auf datenschutzrechtliche Bedenken der Nutzer. Demnach liegt die größte Hürde für die Nutzung von GesundheitsApps in der Angst vor dem Ausspähen persönlicher Gesundheitsdaten durch Dritte. Es muss eine Balance gefunden werden zwischen einem notwendigen Maß an Datenschutz und den Möglichkeiten, die die digitale Medizin bietet. Die Zusammenführung und Auswertung von Daten muss den Beteiligten im Gesundheitswesen möglich gemacht werden. Nur so kann ein vernetztes Gesundheitssystems zum Wohle des Patienten realisiert werden. Dazu müssen jedoch Vorkehrungen getroffen werden, die einen Missbrauch der Daten verhindern: Zentrales Element ist ein Widerspruchsrecht für Versicherte. Ihnen sollte ein explizites Vetorecht eingeräumt werden: Widerspricht ein Versicherter der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung zum Zwecke der passiven oder aktiven Versichertenberatung, so muss es seiner Krankenkasse untersagt sein, vorliegende Informationen für die Beratung des betreffenden Versicherten heranzuziehen und einzusetzen. Wichtig dabei ist eine praxisnahe Umsetzung. Aktuell fordert der Gesetzgeber, dass der Versicherte vor der Beratung schriftlich der Datennutzung zustimmen muss. Eine mündliche Zustimmung und selbst eine E-Mail sind nicht erlaubt. Dies führt zu unnötigen Verzögerungen in der Beratung. §§ die umfassende Beratung (58 %), §§ den Erhalt hilfreicher Informationen (44 %), §§ die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung (30 %). 88 % würden ihre Kasse bei Bedarf erneut anfragen. Erhält ein Versicherter die Diagnose Brustkrebs, kann er sich in das entsprechende DMP einschreiben. Er erklärt damit aktiv sein Einverständnis und die SBK kann die Behandlung als Partner mitgestalten. Erhält er die Diagnose Lungenkrebs, für die es kein DMP gibt, ist es dem SBK-Kundenberater untersagt zu beraten. Nach Meinung der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationssicherheit Andrea Voßhoff auch dann, wenn uns der Versicherte hier sein Einverständnis geben würde. Der Umstand, ob sinnvolles Versorgungsmanagement durch die Krankenkasse für den Versicherten möglich ist, hängt im Moment von der Diagnose ab! DATENSCHUTZ MUSS GROSSGESCHRIEBEN WERDEN FAZIT – VERSICHERTENBERATUNG MUSS RECHTSSICHER WERDEN Ein Ergebnis der medpirica-Studie – neben der generellen Zustimmung zur Beratung durch Krankenkassen – darf dabei nicht aus den Augen gelassen werden. 75 % der Versicherten möchten vorab nach ihrem Einverständnis gefragt werden, ob ihre Daten zu Beratungszwecken gespeichert werden dürfen. Ein ganz verständlicher Wunsch, der in Zeiten der Digitalisierung des Gesundheitswesens immer mehr an Bedeutung gewinnt. Neben der Datenspeicherung bei den Kassen sind es Dinge wie die Elektronische Patientenakte oder auch Gesundheits-Apps verschiedenster Anbieter, bei denen dies zum Tragen kommt. Ein Blick auf den Umgang mit allen diesen digitalen Angeboten wirft zurzeit noch ein zwiespältiges Bild auf die Seele der Deutschen: Bei Apps oder auch in den sozialen Netzwerken geht zumindest ein Teil der Nutzer relativ unbekümmert mit den persönlichen Daten um. So geben die Facebook-Fans der SBK immer wieder Angaben wie Versichertennummern, medizinische Details und Kontaktdaten auf der öffentlichen Timeline der Seite preis, die das Redaktionsteam löschen und die Diskussion auf eine andere, geschützte Ebene umleiten muss. Ungeachtet dieses Verhaltens liefert die GAPP-Studie (Gesundheits-Apps zur Schwerkranke – und das sind nicht nur Versicherte im Krankengeldbezug, sondern auch und gerade die älteren Versicherten – sollten ihr Augenmerk auf ihre Genesung legen können und sich bei der Suche nach geeigneten Leistungserbringern oder bei der Bewertung unterschiedlicher Behandlungsmethoden kompetent unterstützen lassen dürfen. Sie sollten einen Anspruch darauf haben, dass auch eine Krankenkasse ihre Expertise und die ihr vorliegenden Informationen – inklusive jener, die in einem persönlichen Gespräch mit dem Versicherten gewonnen werden – im Sinne einer guten Versorgungslösung einsetzen darf. Wir möchten an keiner Stelle in die Therapiehoheit des Arztes eingreifen. Was medizinisch sinnvoll ist, wird immer der Arzt gemeinsam mit dem Patienten entscheiden. Uns geht es darum, gemeinsam mit dem Versicherten und dem Arzt eine individuelle Lösung für den Betroffenen zu finden und die Versorgung für den Patienten zu verbessern. Dieses Vorgehen muss vom Gesetzgeber endlich auf rechtssichere Beine gestellt werden. Es fehlt ein Konzept, das den Schutz der Sozialdaten mit dem Beratungswunsch der Versicherten in Einklang bringt. Nicht nur beim Krankengeld und der Hospiz- und Palliativberatung. 32 Betriebskrankenkassen 05 | 2015 Betriebskrankenkassen 05 | 2015 33 BETRIEBSKRANKENKASSEN SIE HABEN INTERESSE AN DIESEM MAGAZIN? Alle zwei Monate erscheint unser Magazin für Politik, Recht und Gesundheit im Unternehmen in gedruckter Form. Auf unserer Online Plattform www.bkk-dachverband.de finden Sie ausgewählte Artikel der einzelnen Ausgaben. Sollten Sie Interesse an der vollständigen Printausgabe haben, können Sie diese kostenlos bei uns anfordern. VOLLSTÄNDIGE AUSGABE KOSTENLOS ANFORDERN: www.bkk-dachverband.de/bkkmagazinkontakt Stefan Lummer [email protected] +49 30 2700 406 303 www.bkk-dachverband.de
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